COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 12.März 2012, 19.30 Uhr Die Wiederentdeckung der Allmende Über den Streit um Gemeinschaftsgüter Von Rosemarie Bölts O-Ton 2a Dagmar Görling-Schulze Bei der Gemeinderatssitzung, da hab ich ihnen das Märchen Vom Fischer un syner fru erzählt, dass die immer mehr wollten und größer und schöner. Und am Ende saßen sie wieder im Pissputt. Dieses ist hier auch zu befürchten. Sprecher vom Dienst: Die Wiederentdeckung der Allmende Über den Streit um Gemeinschaftsgüter Von Rosemarie Bölts. O-Ton Arno Schilling Allmende ist ja sone - im Mittelalter waren das die allgemeinen Wiesen, die Gemeingut waren, die alle genutzt haben, wo alle ihr Vieh geweidet haben. Sprecherin Allmende: Ein Modell von vorgestern? Für Leute, die nicht rechnen können? Ganz im Gegenteil, meint Silke Helfrich, international renommierte Fachfrau in Sachen "Allmende". Die Zeit ist reif: O-Ton 40 Silke Helfrich Absolut, würde ich sagen. Das Komplizierte an der Sache ist ja, wenn wir die Allmende in die Praxis bringen wollen, diese Idee zu gestalten, die geeigneten Eigentumsformen zu finden, die geeigneten Entscheidungsformen zu finden. Sprecherin Man nennt "Allmenden" auch "Gemeingüter", "Gemeinschaftsgüter" oder, englisch: Commons. Inzwischen kann man international von einer "Bewegung" sprechen, die mit der Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises an die Amerikanerin Elinor Ostrom 2009 weltweit öffentliche Aufmerksamkeit erfuhr. Sie hat nachgewiesen, wie man knappe Ressourcen ohne Privatisierung gemeinschaftlich und nachhaltiger zum Wohle aller bewirtschaften kann. O-Ton 40 Silke Helfrich Ich denke, das wichtigste Prinzip ist das der Selbstorganisation, das heißt, dass alle Betroffenen, alle Nutzer einer bestimmten Ressource, eines bestimmten Gebietes sozusagen an allen Entscheidungen über diese Sache teilhaben müssen und auch an der Veränderung dieser Entscheidung teilhaben müssen. Das bedeutet auch die Sanktionsmechanismen selbst mit zu entwickeln, und das bedeutet auch, dass der Staat dies zu respektieren hat, den Menschen nicht die Verfügungshoheit über ihre Ressourcen nimmt, indem er sich zum Eigentümer und zum Regler mit Patentrezepten geriert. Sprecher (Zeitungsstil) "Der Senat glaubt, dass trotz des immerhin nicht unerheblichen Ausfalls an Pacht im Hinblick auf den unbestreitbaren Vorteil, der gesamten bremischen Bevölkerung durch Anlage eines Stadtwaldes erwachsen wird, dem Antrag des Bürgerparkvereins die Zustimmung nicht zu versagen sei. Er begrüßt das Vorgehen des Bürgerparkvereins im Interesse Bremens lebhaft, ...das den wärmsten Dank verdient und ersucht die Bürgerschaft, sich dem Beschlusse zu vereinigen, dass dem Bürgerparkverein das gewünschte Areal bald tunlichst unter denselben Bedingungen überwiesen wird, wie solche für den Bürgerpark festgelegt sind." Sprecherin Man schrieb das Jahr 1906, als der Senat der Freien Hansestadt Bremen einstimmig seine derart freudige Zustimmung gab. Engagierte Bürger, die sich zu einem Verein zusammengeschlossen hatten, bekamen ein 200 Hektar großes Areal mitten in der Stadt vom Senat geschenkt, um es als Grüne Lunge naturnah, mit kleinen Seen, vielen Spielplätzen und Freizeitmöglichkeiten in eigener Regie zu finanzieren, zu gestalten und zu verwalten, bis heute: den weithin bekannten Bremer "Bürgerpark". Heute bekommen die Bürger nichts mehr vom Staat geschenkt: O-Ton Arno Schilling Die Gemeinde Bad Zwischenahn ist eine hoch verschuldete Gemeinde. Wir haben schlichtweg auch nicht die Reserven in unserem Haushalt, ein derartiges Projekt, selbst, wenn wir es wollten, in öffentlicher Zweckbestimmung umzusetzen. Sprecherin sagt Arno Schilling, Bürgermeister der niedersächsischen Gemeinde Bad Zwischenahn, die gerade dabei ist, ein lukratives Seegrundstück zu verlieren. Michaela Schreiber, die als Bürgermeisterin im brandenburgischen Zossen mit vielen, ungeklärten Eigentumsverhältnissen kämpft, setzt andere Prioritäten: O-Ton Michaela Schreiber Das ist mir 2004 so dermaßen ins Gesicht gesprungen dass ich gesagt hab, oberste Priorität, wir kaufen an, und hab das eben für die Straßen, für die Grundstücke und die Wälder und Seen versucht zu ordnen. Atmo/ Bad Zwischenahn Quelle: http://plan53.de/ Sprecherin Nur 60 Kilometer westlich vom Bremer Bürgerpark liegt das "Zwischenahner Meer". Ein Kleinod, mit dem das Kur-"Bad" Zwischenahn wirbt. Pech, dass mehr als drei Viertel des Ufers in Privathand sind. Ein Glücksfall, dass jetzt am Westufer ein zusammenhängendes, zum Teil unter Landschaftsschutz stehendes Areal von 38 Hektar zum Verkauf ansteht. Ein Fall für eine Allmende, schwärmt Edgar Autenrieb, Sprecher der "Zwischenahner Bürgerinitiative", die sich extra aus diesem Anlass gegründet hat: O-Ton 10 Edgar Autenrieb Es geht darum, viele Dinge naturnah unterzubringen an dieser Stelle. Für einen Teil des Geländes haben wir beantragt den Titel "nationales Naturerbe". Und das könnte stattfinden im Rahmen von UN-Dekadeprojekten. Und das könnte durchgeführt werden in einem langfristigen Projekt gemeinsam mit den Schulen Bad Zwischenahns. Des Weiteren erhoffen wir uns auf dem Gelände eine Zusammenarbeit mit den örtlichen Vereinen in Bezug auf Sport und Freizeit und mit den Altenwohnanlagen vor Ort. Dann haben wir vor eine Zusammenarbeit mit kulturellen Institutionen. Sprecherin Bürger engagieren sich für ihre Gemeinde, auf dem letzten, in öffentlichem Besitz befindlichen Land, das allen Bürgern unter ökologischen, sozialen und gemeinschaftsfördernden Gesichtspunkten nutzbar gemacht werden soll. Ist damit nicht schon die Allmende-Idee erfüllt? Sie ist prozessorientiert, erklärt Silke Helfrich: O-Ton 42 Silke Helfrich Es kommt auf die Prinzipien des kollektiven Handelns an. Sind da die Prinzipien von Nachhaltigkeit, eine Stimme, ein Anteil, Selbstorganisation und Kooperation präsent oder nicht. Und ich würde sagen, in allen Projekten, Initiativen, selbst Parteien, nehmen wir mal an, es gäbe eine solche, wo diese Prinzipien im Zentrum des eigenen Handelns stehen, egal, ob ein Gesetz ausgehandelt wird, ein Projekt, oder es um die Verwaltung einer Kulturlandschaft geht, all diese Dinge sind eigentlich gute Beispiele für Allmende, ganz egal, ob sie so heißen oder nicht. Sprecherin Dieser Prozess einer Allmendisierung hat sich in Bad Zwischenahn am Bundeswehrkrankenhaus-Gelände Rostrup entzündet, das sich etwa drei Kilometer vom Ortskern entfernt am See ausbreitet und nun zur Disposition steht. Das früher erheblich größere Areal wurde 1936 von den Nazis vereinnahmt und als Militärflughafen ausgebaut. Nach dem Krieg wurde es von britischen Soldaten in Beschlag genommen, die auf dem Gelände ein Lazarett mit 150 Betten errichteten. 1958, zwei Jahre nach Gründung der Bundeswehr, erhielt das Bundesverteidigungsministerium das Areal, und aus dem Lazarett wurde schließlich das "Bundeswehr-Krankenhaus", das bei den Soldaten wegen seiner schönen Lage direkt am "Zwischenahner Meer" das beliebteste in Deutschland war. Sprecher Auf dem 38 Hektar großen Gelände befinden sich ausgedehnte gepflegte Grünflächen. Dadurch und durch den vorhandenen Baumbestand erhält die Liegenschaft einen parkähnlichen Charakter. Eine zirka 20 Hektar große am Seeufer gelegene Teilfläche ist als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Dazu befinden sich in unmittelbarer Nähe ein 18-Loch-Golfplatz und der 2004 neu angelegte "Park der Gärten", ein Segelflugplatz und Bootsanleger. Sprecherin So steht es 2009 im Exposé der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, abgekürzt Bima, die 2006 gegründet wurde, um das Immobilienvermögen des Bundes zu verkaufen. Mit möglichst viel Gewinn. Alles andere wie: naturnah, nachhaltig oder kommunal und sozial verträglich, kann ihr egal sein. Ist damit der Zugriff für die Gemeinde obsolet geworden? O-Ton 11 Arno Schilling Ja, die Begrifflichkeit Allmende, ich denke mal, ist schwierig umzusetzen hier bei dem Bundeswehr-Krankenhausgelände. Dazu wäre notwendig, dass der Bund letztendlich sagen würde, ich schenke es der Öffentlichkeit. Sprecherin Und die Bima sagt? O-Ton 12 Arno Schilling Wir wollen Knete! Sprecherin Ganz so simpel ist es allerdings nicht, wie Bad Zwischenahns Bürgermeister Dr. Arno Schilling glauben machen will. Denn den "Wert" des Grundstücks und damit die Höhe des Mindest-Verkaufspreises bestimmt die Gemeinde und zwar dadurch, dass sie die Nutzung festlegt: O-Ton 18 Arno Schilling Wenn die Gemeinde es kaufen würde, dann muss sie es kommunal nutzen, das sind Parks, Gärten, öffentliche Einrichtungen, die sie dann auf diesem Gelände realisieren können. Dies ist von der Politik nicht erwogen worden. Wir haben auch nicht den unmittelbaren Bedarf hier einer öffentlichen Nutzung, welcher Art auch immer, zu projektieren. Was nutzt der Gemeinde, wenn wir hier Nutzung zulassen, dass hier ausschließlich Grün fläche die optimale Lösung wäre. Sprecherin Ausschließlich Grünfläche? Landschaftsschutz? Tatsächlich wurden die Vorschläge der kleinen Zwischenahner Umwelt-Gruppe Agenda 21, das ganze Areal möglichst "grün" zu lassen, nicht ernst genommen. Dabei lebt Bad Zwischenahn von der Natur. Sie ist sein wesentliches Kur- und vor allem sein touristisches Potenzial. Auch der Bund für Natur und Umwelt unterstützt eine "grüne" Nutzung, denn nur ein gesunder See mit intaktem Röhrichtgürtel ist Garant für das gute Klima im Kurort. Ende 2010 gab es mit der Agenda 21 einen öffentlichen "Informationsabend" über die Nachnutzung des Bundeswehrgeländes, der laut Lokalzeitung "turbulent" mit einem Machtwort des Bürgermeisters beschlossen wurde: Sprecher "In Bad Zwischenahn entscheidet nicht der Bürger, sondern der Rat". Sprecherin "und der Bürgermeister", soll er hinzugefügt haben, erinnern sich Anwesende. Die über 300 versammelten Bürger, konfrontiert mit Investorenplänen zur Rundumbebauung, forderten nämlich nicht nur mehr Beteiligung an der Planung. Am Ende boten auch noch drei Unternehmer spontan 90 000 ? an, um eine Stiftung "zum Ankauf und der gemeinsamen Beplanung des Areals mit dem Fokus auf Natur- und Landschaftsschutz" zu gründen. Dass sich Bürgermeister und die Bima nicht davon beeindrucken ließen, hatte allerdings Gründe, die den Bürgern damals nicht bekannt waren. Die entscheidenden Weichenstellungen wurden nämlich bereits 2005 vorgenommen, als der damalige Bürgermeister von der CDU und der Gemeinderat eine "Machbarkeitsstudie" in Auftrag gaben und sich schon 2006 auch der neu gewählte Rat mit dem heutigen SPD-Bürgermeister auf ein von der Öffentlichkeit gänzlich unbemerktes, so genanntes "Eckwertepapier" festlegten, das "die strukturpolitischen und städtebaulichen Entwicklungsmöglichkeiten der Liegenschaft darstellt" und damit "die Rahmenbedingungen für eine Bauleitplanung vorgibt". Und die Bima konnte in ihr Internetangebot hineinschreiben: Sprecher "Es kommt nur der Verkauf der Gesamtliegenschaft an einen Investor oder eine Investorengemeinschaft in Betracht." Sprecherin Wera Buhr, Verkaufskoordinatorin der Bima für den nordwestdeutschen Raum, betont das "vorbildliche, offene und in tiefstem Einvernehmen" herrschende Verhältnis zwischen Gemeinde und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Was immer das im Einzelnen bedeuten mag, fest steht, so Wera Buhr: O-Ton 13 Wera Buhr Wir orientieren uns an den Vorgaben der Gemeinde. Und die Vorgaben werden ja vom Gemeinderat mitgetragen. Und insofern muss uns, betrifft uns der Widerstand in Bevölkerung ja weniger, ich will das mal so formulieren. Das heißt, auch die Gemeinde bestimmt mit ihren Planungsvorgaben den Wert des Grundstücks mit. Wenn es also eine rein landwirtschaftliche Nutzung wird oder Landschaftspark, dann wäre das Grundstück, hätte einen niedrigeren Wert, als wenn ich dort ein fünfgeschossiges Hotel hinbauen dürfte. Daher rührt dieser Mindestpreis von zwei Millionen Euro. Sprecherin Mindestpreis. Der Bürgermeister, der gleichzeitig Spitzenbeamter der Gemeindeverwaltung ist, und der Gemeinderat bestimmten also, dass die künftige Nutzung des Geländes privatisiert wird und "touristisch" aussehen sollte. Von Allmende-Gedanken keine Spur. Der seit 2005 amtierende SPD-Bürgermeister Arno Schilling: O-Ton 14 Arno Schilling Es war eigentlich immer schon Konsens im Rat, dass die Gemeinde hier sich finanziell nicht engagieren will, sondern dass die Gemeinde ihr Planungsrecht wahrnehmen will. Und da die öffentliche Nutzung, die öffentliche Zweckbestimmung - dafür gab's in dem Sinne aus der Politik keine Vorschläge, dafür gab's keine Anträge. Und von daher ist dies der einzige Weg. Sprecherin Und wie stichhaltig ist der Verweis des Bürgermeisters auf die Schulden der Gemeinde und deswegen ein Kauf des Geländes so wörtlich, "haushaltstechnisch nicht darstellbar" sei? Der Kämmerer der Gemeinde, Rolf Oeljeschläger, der es eigentlich wissen muss: O-Ton 25a Rolf Oeljeschläger Die Begründung kenne ich nicht. Wir sind natürlich handlungsfähig. Wir haben einen ausgeglichenen Haushalt und sind durchaus handlungsfähig. Sprecherin Trotzdem beharren der Planungsreferent und der Kämmerer im Sinne ihres Bürgermeisters darauf, dass eine Bürgerpark-ähnliche Nutzung wie in Bremen "nicht darstellbar" ist, weil: O-Ton 25 Andreas Gronde und Rolf Oeljeschläger Das sind enorme Summen, die in die Realisierung einer Grünfläche fließen würden. Und das ist politisch nicht gewollt, eindeutig. Eindeutig. Sprecherin Markt gegen Idealismus. Anscheinend. Die ausschließende Haltung der Gemeinde, das heißt, des Bürgermeisters mit seiner in steter Eintracht harmonisierenden SPD- und CDU-Ratsmehrheit zu Natur, Umwelt und Bürgerengagement ist nicht erst seit dem spektakulären "Informationsabend" bekannt. Jedes Zipfelchen des rund 7 000-Seelen-Kernortes werde doch verbaut und vermarktet, wettert Dagmar Görling-Schulze von der Bürgerinitiative für Bad Zwischenahn: O-Ton Dagmar Görling-Schulze Die Hochklassigkeit des Kurortes Bad Zwischenahn, die wird zerstört, systematisch von, wie ich sage, kleingeistigen, pensionierten Beamten, die sich als Großunternehmer und Planer gerieren und leider überhaupt keinen Überblick haben. Und offensichtlich weder Zeitung lesen noch die Medien sind ihnen zugänglich, dass sie sehn, was auf der Welt passiert. Der Allmende-Gedanke ist ihnen vollkommen fremd. Sondern Geld, das ist der oberste Wert, den sie kennen und den sie seit dreißig Jahren betreiben. Sprecherin 625 000 Übernachtungen pro Jahr, viele Tages- und Bustouristen, viel Remmidemmi. Nicht genug, meinen die Gemeindepolitiker. Bewerber, die mit einem Investitionsvolumen von über 80 Millionen Euro in 1 000-Betten-Hotels, Wellness- und Freizeitanlagen lukrative Gäste versprechen, sollen zum Zuge kommen. Andreas Gronde, der Leiter des Planungs- und Umweltamts, beruft sich auf ein Kölner Touristik-Gutachten, das die Gemeinde in Auftrag gegeben und die Bima mit bezahlt hat: O-Ton 16 Andreas Gronde Dieses Vorhaben dient der langfristigen Sicherung des Tourismus-Standortes Bad Zwischenahn. Mit diesem Vorhaben wird das etwas höher geschraubt auf ca. 800 000 Übernachtungen. Also das Gutachten geht momentan davon aus, dass im Bereich Gastronomie, Einzelhandel und Dienstleistungen durch die zusätzlichen Gäste etwa, ich sag jetzt mal, um die zwei Millionen Euro im Ort ausgegeben werden. Und das ist auch nicht zu vernachlässigen. Sprecherin Die Bürgerinitiative, die angesichts des Vorhabens der Gemeinde den unwiederbringlichen Verlust an Natur für alle befürchtet, findet diese Zahlenspiele höchst problematisch. Edgar Autenrieb: O-Ton 17 Edgar Autenrieb Das sind gewaltige Zahlen, das ist ein Sprung von über 20 %. Wer sich mal vorstellt, dass tagtäglich 500- 600 Autos zusätzlich in Bad Zwischenahn verweilen werden - wir als Zwischenahner halten es ja doch heute schon so, dass wir am Wochenende nicht mehr in den Ort fahren, weil es uns einfach zu voll ist. Sprecherin Die Gemeinde rechnet also mit einem Wirtschaftswachstum und spekuliert auf Steuereinnahmen, wenn Investoren mit solch klingenden Namen wie BONA, SCHWEBO oder ABALIO 200 000 Übernachtungen mehr im Jahr mit ihrem "Golf&SPA Resort" oder "Village- und Golf-Bereich", einem "Paralympics- Olympiastützpunkt" oder "Ferienpark am Meer" mit "Edutainment" und "Geocaching" versprechen. Der Hotel- und Gaststättenverband hat indes im April 2011 minutiös vorgerechnet, dass die Übernachtungszahlen schon seit mehr als zehn Jahren stagnieren. Für wahrscheinlicher hält der Verband deshalb eine Bauruine. Viele Bürger sehen das genauso. Und organisierten den Aufstand: Öffentliche Veranstaltungen, Anfragen an Politik und Bima, starke Begleitung durch die Medien. Im Juni 2011 dann 5 000 Unterschriften "für eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Nachnutzung". Das gab es noch nie in Bad Zwischenahn. Als diese 5 000 Unterschriften dann aber sang- und klanglos im Rathaus verschwanden, platzte einigen in der Agenda 21- Gruppe der Kragen. Sie gründeten die "Bürgerinitiative" und machten sich mit ihren Mitstreitern für die Kommunalwahlen im September 2011 fit. Die neue Gemeinderätin der Grünen, Inga Brettschneider: O-Ton 3 Inga Brettschneider Ich bin für die Bürgerinitiative und auch für die Wahl über die Meile gegangen und hab also festgestellt, dass viele, viele Menschen sagen: endlich mal jemand und endlich mal eine Bürgerinitiative, die was unternimmt, die auch laut wird, die sich auch politisch betätigt, und vielleicht habt ihr ja das große Glück, da noch was dran zu ändern! Sprecherin Seitdem geht es richtig rund. Bei den Kommunalwahlen im September 2011 erhöht die Bürgerinitiative den Anteil der Grünen von 2 auf 6 Sitze. Richtet eine Facebook- Seite ein. Organisiert Mahnwachen am Gelände. Stellt ihr Konzept einer alternativen Nutzung vor. Gründet für ihr Projekt eine Genossenschaft. Der neue Gemeinderat der Bürgerinitiative, inzwischen auch bei den Grünen, Edgar Autenrieb: O-Ton 27 Edgar Autenrieb Wir wollen die Bürger einbinden. Die Bürger sollen entscheiden, was es denn wird, und wir als Bürgerinitiative sind wirklich basisdemokratisch eingestellt, dass wir sagen, nein, wir legen kein fertiges Konzept vor, so sehr sich auch jeder einzelne von uns per Bauchgefühl etwas wünscht, wir müssen mit einer demokratischen Entscheidung leben. Sprecherin Die Bürgerinitiative ist ständig Thema in der Lokalzeitung und nervt sichtlich den Bürgermeister, der weder von der Bürgerinitiative noch von deren Konzept etwas wissen will: O-Ton 22 Arno Schilling Also, wir haben in vielen Dingen letztendlich häufig die Situation, dass einzelne Gruppen meinen, dass sie den Bürgerwillen darstellen. Also, von daher darf man sich nicht verkennen, dass diejenigen, die, die am stärksten in der Lage sind, sich zu äußern und pressemäßig auch gehört zu werden, unbedingt immer auch repräsentativ seien. Sprecherin Immerhin: Zwei von der Gemeinde "empfohlene" Investoren scheitern an der Bonitätsprüfung, einer zieht von sich aus zurück. Die Bima will nun ohne Vergabeverfahren in die nächste Runde, diesmal komplett ohne Öffentlichkeit. Sie drängelt, und bangt um ihr Geschäft. Alles ist wieder offen. Das "Eckwertepapier" steht zur Disposition. Bürgermeister Schilling versucht, das mit aller Macht zu verhindern. Er kann sich nicht oft genug wiederholen: O-Ton 20 Arno Schilling Ich bin ja nun Bürgermeister. Ich muss ja was der Gemeinderat mir auferlegt, auszuführen und auch durchzuführen. Meine Arbeitsgrundlage ist das, was der Rat beschließt. Das war bisher und wird in Zukunft so sein. Und ich denke, unsere Demokratie wollen wir nicht abschaffen. Sprecherin Es ist ein ungleicher Machtkampf zwischen Politprofis und Politneulingen, zwischen zwei Weltanschauungen, ja, zwischen zwei Welten, erklärt die Allmende-Forscherin Silke Helfrich. Können Bürger unter diesen Umständen noch die Wende zur Allmende schaffen? O-Ton 44 Silke Helfrich Das ist die Machtfrage, genau. Und wenn dann unsere demokratisch legitimierten, gewählten Repräsentanten an dieser Stelle die Macht ausnutzen, wird das dazu beitragen, dass sich dieses System der Repräsentation immer weiter delegitimiert. Also kann ich keinem Volksvertreter raten, sich nicht auf die Kernfragen einlassen, die in diesen unterschiedlichen Ansätzen, das Setzen auf Markt und Staat einerseits und das Setzen auf Allmende- basierte Lösungen andererseits, in diesem Konflikt zutage treten einlassen. Atmo Zossen See Sprecherin Ortswechsel. Politikwechsel. O-Ton 33 Michaela Schreiber Auf der Karte sieht man mit den umliegenden Gemeinden, wie seenreich die Stadt Zossen ist. Sprecherin Zossen in Brandenburg, etwa 30 km südlich von Berlin, siebzehneinhalb Tausend Einwohner. Eine Gemeinde mit DDR-Vergangenheit. Das heißt, alles, was Volkseigentum in der DDR war, ging nach der Wiedervereinigung in Staatseigentum über, auch natürliche Ressourcen wie Wälder und Seen. Und die wiederum sollten mit Hilfe der Bima und deren Pendant BVVG privatisiert werden, um die Staatskasse aufzufüllen. Idylle an allen Seen in der Gemeinde Zossen. Atmo Intakte Röhrichtgürtel, Anglerparadiese, freier Zugang am Ufer, fast überall. Alles sicher in kommunaler Hand. Michaela Schreiber war Rechtsanwältin, ehe sie 2003 - ohne Parteibuch - zur Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt gewählt wurde. Kaum im Amt, hat sie angefangen, Ordnung in die ungeklärten Eigentumsverhältnisse der Kommune zu bringen und so neben Wäldern, Grundstücken und einigen wertvollen Immobilien auch die Seen samt möglichst breiter Uferbereiche, einen nach dem anderen, der Kommune einzuverleiben. Die Bürger brauchten sich also gar nicht erst um "ihre" Seen zu sorgen. Es gibt Bereiche, die sollten der Gewinnerzielungsabsicht entzogen sein, begründet Bürgermeisterin Schreiber den kommunalen Zugriff: O-Ton 34 Michaela Schreiber Ich hab gern in meiner Stadt alles, was ich brauche, in der Hand. Also, ich find das einfach wichtig, und zwar nicht nur aus ökologischen Gründen oder so, sondern, um meinen Bürgern in dieser Stadt und auch den Gästen auch die Möglichkeit zu geben, ohne Schwierigkeiten an den See zu kommen, den See zu nutzen. Und nicht auf Goodwill von irgendjemand Fremden angewiesen zu sein. Das war so der Grund, weshalb ich hart daran gearbeitet hab, die Seen zu kapern. Sprecherin Gewusst, wie, meint die Verwaltungs- und Verhandlungsexpertin. Nein, Zossen steht nicht am wirtschaftlichen Abgrund. Sondern hat einen ausgeglichenen Haushalt ohne Altschulden. Nein, die Bürger werden in Zossen nicht ausgegrenzt. Sondern sind aufgefordert, ihre Ideen und Aktivitäten für die Stadt einzubringen, und zwar schon im Vorfeld. Bürgermeisterin Schreiber könnte ihrem Zwischenahner Kollegen viele gute Ratschläge geben. Immerhin ist sie mit ihrer Politik nach acht Amtsjahren gerade mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt worden: O-Ton 36 Michaela Schreiber Wenn ich ein Grundstück am See habe, ein großes, und das hab ich mit der Bima auch schon mal gemacht - da hab ich sie ein bisschen geärgert - dann leg ich dort eben einen Bebauungsplan drauf. Und dann ist das Grundstück plötzlich nicht mehr soviel wert, wie die denken, dass es das wert ist. Und das kann ich doch als Kommune, ich hab das Planungsrecht. Sprecherin Es geht in der Politik um Verantwortung und Macht, erklärt Michaela Schreiber ihren Politikstil. Und natürlich gebe es auch die Gefahr des Machtmissbrauchs, wenn man sein Amt falsch versteht. Der Gemeinderat oder, wie es in Zossen heißt, die Stadtverordnetenversammlung ist zum Beispiel keine Parlament, sondern als Gemeindevertretung nachgeordnetes Organe der Verwaltung, dessen Spitzenbeamter der Bürgermeister ist. Der hat die Macht: O-Ton 35 Michaela Schreiber Und ich bin auf keinen Fall als Bürgermeister dazu da, mich zurückzulehnen und zu sagen: und meine Gemeindevertretung hat beschlossen, ich kann ja gar nichts dafür! Da krieg ich ja Anfälle! Dann brauche ich mich auch nicht wählen zu lassen als Bürgermeisterin. Sorry, also. Sprecherin Und worin besteht nun der Vorteil kommunalen Eigentums gegenüber der Allmende, dem Gemeinschaftsgut? Ihr gehe es um klar definierte, hierarchische Verantwortung für die Kommune, betont Bürgermeisterin Schreiber: O-Ton 37 Michaela Schreiber O.k., da bin ich Verfechter der repräsentativen Demokratie, ich finde, das hat echte Vorteile. Dass der Bürger ja seine Repräsentanten wählt, aber die dann dafür die echte, harte Verantwortung tragen. Ich find immer, wenn Verantwortung aufgesplittet wird, kann es dazu kommen, dass sich keiner mehr nicht richtig verantwortlich fühlt. Sprecherin Die Zossener Bürger honorieren diese Haltung. Mit der Allmende-Idee können sie deshalb auch gar nichts anfangen, müssen sie auch nicht. Die Seen sollen auf keinen Fall in Privathand. Das genügt. Auch im Anglergeschäft am Zossener Marktplatz - Angeln ist eine der Hauptsportarten in der Region -, ist man erleichtert über die Kommunalisierung der Seen: O-Ton 46 passionierter Vereinsangler Na gut, wenn wir so'ne Pachtgewässer haben, das die Kommunen dann verpachten an die Fischer zum Beispiel, dann sind die der Allgemeinheit trotz alledem zugänglich, uns Anglern jedenfalls. Aber, klar, ist der See privatisiert und wird zugebaut, dann ist die Sache nicht mehr gegeben. Also, letztendlich dürfte keiner dafür sein weil, wie gesagt, wer hat was davon? Nur der, der es sich leisten kann. Und andere Leute eben nicht. Und das ist ja nicht Sinn und Zweck. Solche Dinge sind eben naturgegeben, und das kann man nicht verkaufen Sprecherin Carsten Preuß, im Vorstand des Bundes für Natur und Umwelt, BUND, Brandenburg und als Zossener Bürger auch in die Stadtverordnetenversammlung gewählt, hat gegen den Ausverkauf der Seen in den neuen Bundesländern bereits 2009 eine Petition an den Bundestag gestartet, die von über 110 000 Mitunterzeichnern unterstützt wurde. Auch wenn damit erstmal die Privatisierung gestoppt wurde, der Vollzug steht immer noch aus. Insofern kann es auch Carsten Preuß recht sein, wenn Bürgermeisterin Schreiber ihre Seen in Zossen schon mal vor der Privatisierung "gekapert" hat. O-Ton 47 Carsten Preuß Die Idee der Petition war allerdings, dass wir gesagt haben, eigentlich müssten die Seen kostenlos an die Kommunen, beziehungsweise an das Land übertragen werden. Es macht wenig Sinn, dass eine Gebietskörperschaft der anderen Geld gibt, um öffentliches Eigentum zu bewahren. Sprecherin Immerhin sind die Preise mit der Verhinderung der Privatisierung gefallen. Und dann muss man gucken, wer in der Lage ist, solche Seen zu bewirtschaften, und die Folgekosten zu tragen, gibt Carsten Preuß zu bedenken: O-Ton 48 Carsten Preuß Da seh ich im Augenblick eigentlich das Land eher als Eigentümer in der Pflicht mit seinen Landesfachämtern. Wenn die Kommune mehrere Seen auf dem Territorium hat und auch auf mehreren Seen was gemacht werden müsste, dann kann's für ne Kommune natürlich ne sehr große Last werden, finanziell. Und wenn man dann zu dem Schluss kommt, die Zugänglichkeit vielleicht noch gebührenpflichtig zu machen, nur, weil man Gelder einnehmen muss, um den See bewirtschaften zu können, dann wird's natürlich problematisch. Sprecherin Und wenn das Amtsverständnis überall in den Behörden unterschiedlich ausfallen kann, ist die Zeit dann nicht doch reif für die Allmende? Wobei es nicht darum geht, Demokratie abzuschaffen, sondern Demokratie zu gestalten und dabei die Politikverdrossenheit vieler Bürger in deren langfristige Eigenverantwortung umzuleiten, argumentiert die Expertin. Silke Helfrich ist überzeugt davon, dass wir in der Politik vor einer Zeitenwende stehen, für die die Allmende zukunftsweisend ist: O-Ton 45 Silke Helfrich Und dann braucht man den Allmende-Begriff. Man braucht die Idee, dass der Gedanke, wir sorgen für die Bürger, wir versorgen die anderen, wir lösen das Problem als gewählte Repräsentanten, nicht ausreicht, sondern dass es um das gemeinsame Sorgetragen gehen muss. Das macht auch ja auch den Unterschied zwischen den Gemeingütern und den öffentlichen Gütern aus. Diese Idee der öffentlichen Güter impliziert ganz häufig, der Staat muss bereitstellen, dem Staat gehört, der Staat ist in der Pflicht zu liefern und entlässt wiederum ein Stück die Bürger aus der Verantwortung. Und da zu sagen, wie können wir das wieder gemeinsam anpacken und nicht die Verantwortung uns gegenseitig zuschieben. Sprecher vom Dienst: Die Wiederentdeckung der Allmende Über den Streit um Gemeinschaftsgüter Ein Feature von Rosemarie Bölts. Es sprachen: Marina Behnke und Thomas Holländer Ton: Bernd Friebel Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 1