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Take 2 Seehausen Wir haben eine Reihe von Unternehmen, die sehr ernsthaft sich damit auseinander- setzen, auch im Sinne des Corporate Citizenship, einen gemeinwesenorientierten Beitrag leisten wollen, weil sie merken, dass die Wertschöpfung in Zukunft gekoppelt ist an die Übernahme sozialer Verantwortung. Spr. vom Dienst Moral oder Kalkül? Soziale Verantwortung als Wettbewerbsvorteil Von Conrad Lay MUSIKAKZENT Sprecherin Managementstrategien lassen sich grob in zwei Richtungen unterscheiden: Geht es nur um den Gewinn? Oder haben Unternehmen eine darüber hinausgehende soziale und ethische Verantwortung? Der 2006 gestorbene Milton Friedman, Theoretiker der Neoliberalismus, steht für Kapitalismus pur, für einen ungeregelten freien Markt, Pri- vatisierung, Entstaatlichung, Deregulierung, Shareholder value. Soziale Verantwor- tung hat in seiner Gedankenwelt keinen Platz. Schlicht und einfach bringt er den neo- liberalen Zeitgeist der vergangenen 30 Jahre auf den Punkt: Zitator Die einzige Verantwortlichkeit eines Unternehmers besteht darin, Gewinn für die An- teilseigner zu erwirtschaften. Sprecherin Josef Ackermann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, drückt es nicht viel anders aus: Take 3 Ackermann Wir geben der Gesellschaft nicht etwas zurück. Als unsere wichtigste soziale Ver- antwortung betrachten wir es, international wettbewerbsfähig zu sein, Gewinne zu erwirtschaften und als Unternehmen zu wachsen. Sprecherin Man kann diese Einstellung auch etwas vornehmer und theoretischer ausdrücken. In seinem Lehrbuch "Unternehmensethik" schreibt der renommierte Ökonom Horst Albach, die, wenn man so will: "graue Eminenz der Betriebswirtschaftslehre": Zitator Selbstsüchtiges Verhalten ist dann ein moralisches Verhalten, wenn die Marktteil- nehmer wissen, dass sie den Kapitalmarkt unter ordnungsethischen Aspekten genau so gestaltet haben, dass die Maximierung des individuellen langfristigen Nutzens den höchsten erwarteten durchschnittlichen Nutzen in der Gesellschaft bewirkt. Sprecher Soll sich die Ethik aber nicht im Gewinne-Machen erschöpfen, sondern eine darüber hinausgehende soziale Komponente haben, ist diese dann Teil des wirtschaftlichen Kalküls? Wird sie als Voraussetzung für den Gewinn angesehen? Ist Moral Bedin- gung für nachhaltige Wirtschaftlichkeit? Sprecherin Der Wind scheint sich zu drehen. Seit den schmerzlichen Auswirkungen der Finanz- katastrophe und zahlreichen Managementskandalen werden heute ethische Kriterien der Unternehmensführung wiederentdeckt. Sprecher In der Personalpolitik lassen sich die unterschiedlichen Ansätze deutlich erkennen; dabei ist nach Branchen und Standorten zu differenzieren: Unternehmen, die nicht auf Fachkräfte angewiesen sind, setzen weiterhin auf Kostensenkung. So genanntes "Humankapital" gilt ihnen nicht als wertvolle Investition, sondern als Kostenfaktor, der zu minimieren ist. Sprecherin Entsprechend wird man einen Hinweis auf soziale Verantwortung in ihrer Personal- politik nicht finden. Das starke Anwachsen des Billiglohnsektors ist ein Hinweis dar- auf. Sprecher Von 1995 bis 2006 ist die Zahl der Niedriglöhner um 43 Prozent auf jetzt 6,5 Millio- nen gestiegen. Die Ungleichheit nimmt zu. Dr. Claudia Weinkopf ist Volkswirtin und stellvertretende Leiterin des Instituts für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen: Take 4 Weinkopf Wenn man sich die Lohnentwicklung, die Lohnsteigerung oben und unten anschaut, dann kann man feststellen, dass es insgesamt seit '95 praktisch keine Reallohnstei- gerung gegeben hat, insgesamt ein Plus von 0,2 Prozent, aber dass es oben reale Zuwächse gegeben hat von drei bis vier Prozent, während die Geringverdiener fast 14 Prozent Reallohnverluste hinnehmen mussten in den letzten elf Jahren, das ist genau die auseinandergehende Lohnschere. Wir haben oben zumindest geringe Zuwächse, während unten ganz erhebliche Verluste zu verzeichnen sind. Sprecher Deutschland weist - zusammen mit Großbritannien - seit den Hartz IV-Gesetzen den größten Niedriglohnsektor Europas auf. 1,3 Millionen Menschen sind so genannte "working poor", d.h. ihre Löhne reichen für den Lebensunterhalt nicht aus, sie sind so niedrig, dass sie zusätzlich auf Hartz IV angewiesen sind. Claudia Weinkopf wider- spricht vehement der Ansicht, dass es sich dabei nur um Minijobber und Teilzeitbe- schäftigte handele. Der Niedriglohnsektor reiche bis in "den Kern des Beschäfti- gungssystems" hinein. Take 5 Weinkopf Es sind keineswegs nur Randgruppen, die von Niedriglöhnen betroffen sind, es sind in großem Maße gegen alles, was so häufig behauptet wird, Menschen mit einer ab- geschlossenen Berufsausbildung oder sogar mit einem akademischem Abschluss, nur rund ein Viertel der Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland sind Menschen oh- ne abgeschlossene Berufsausbildung, also die Geringqualifizierten. Fast 90 Prozent der Niedriglohnbeschäftigten sind Deutsche, es sind auch keineswegs nur Jüngere betroffen, wie manchmal behauptet wird, sondern rund drei Viertel aller Niedriglohn- beschäftigten sind im mittleren Alter zwischen 25 und 54 Jahren, also in den Kernjah- ren, wo Erwerbstätigkeit ganz besonders wichtig ist. Sprecherin So wie bei den Löhnen die Schere auseinandergeht, so ist auch bei Unternehmen diese Spreizung festzustellen. Wo Mitarbeiter leicht ersetzbar erscheinen, ist von so- zialer Verantwortung wenig zu spüren, etwa im Bereich der Discounter. Der Gewerk- schafter Achim Neumann ist im Verdi-Bezirk Berlin-Brandenburg für Handel zustän- dig: Take 6 Neumann Das System der Discounter baut auf einer ungeheuer hohen Personalarmut auf. Zweites Element ist, dass dort sehr häufig ungelernte Kräfte eingesetzt werden. Wir haben bei diesen Vertriebsformen, bei Discountern insbesondere, es mit stark ge- werkschaftsfeindlichen und betriebsratsfeindlichen Unternehmen zu tun, die hohen Wert darauf legen, dass das Betriebsverfassungsgesetz nicht zur Anwendung kom- men kann. Sprecherin Ausnahmen gibt es auch bei den Discountern, etwa den Gründer der DM-Drogerien, Götz Werner: Take 7 Werner Kreatives Potenzial entfaltet sich nicht, wenn ich den Menschen unter Druck setze, wenn ich ihn bedrohe. Wenn ich ein Führungsprinzip habe, das sagt, ich muss das ganze Unternehmen steuern und lenken und kontrollieren, das führt zwangsläufig dazu, wenn die Unternehmen immer größer werden, dass man zusätzliche Augen haben möchte, das führt letzten Endes zur Installation von Überwachungskameras. MUSIKAKZENT Sprecher Auch wenn es einiges kostet, praktiziert eine Minderheit von Unternehmen tatsäch- lich soziale Verantwortung. Erstaunlicherweise nehmen sie die Kosten dafür in Kauf, selbst wenn die Konkurrenz nicht mitzieht. Wissenschaftler sprechen in diesem Fall von einem so genannten "Gefangenendilemma". Und so fragt sich mancher Unter- nehmer: 'Wenn andere Unternehmen aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten sind und nicht mehr an Tariflöhne gebunden sind, warum sollte ich das nicht auch tun?' Claudia Weinkopf: Take 8 Weinkopf Wenn das Thema soziale Verantwortung ist, dann muss man auch sehen, dass durch diese Außenseiterkonkurrenz, die in Deutschland möglich ist, dadurch, dass man aus Tarifverträgen, aus Arbeitgeberverbänden austreten kann und es keine ver- bindliche Lohnuntergrenze gibt, die die untere Linie markiert, kommen auch sozial verantwortungsvolle Unternehmen unter Druck, wenn ihre Konkurrenz auf Billiglöhne setzt, Niedriglöhne zahlt, und dann eben die Wettbewerbsbedingungen schwierig werden, und dann selbst sozial verantwortungsvolle Unternehmen, die das eigentlich gar nicht so machen wollen, gezwungen oder zumindest gedrängt werden, eben auch nach Möglichkeiten zu suchen, Kosten einzusparen, Löhne zu drücken, und dass das eine Spirale nach unten in Gang gesetzt hat, die zum Teil inzwischen sogar von Arbeitgebern, Arbeitgeberverbänden beklagt wird. Sprecher Von dem "Gefangenendilemma" nicht beeindrucken lässt sich der Inhaber des Blei- stift-Produzenten Faber-Castell, Anton Wolfgang Graf Faber-Castell. Take 9 Graf Faber-Castell Ich glaube, dass unser Unternehmen sehr gut aufgestellt ist, dadurch dass wir auf der einen Seite sagen, die Klasse wird in Deutschland gemacht, die Masse, in Anfüh- rungszeichen, machen wir in Brasilien oder auch einigen fernöstlichen Märkten. Sprecher Vor Jahren schon schloss der Graf mit der IG Metall eine Sozialcharta ab, die - über die gesetzlichen und tariflichen Regeln hinaus - faire Arbeitsbedingungen sichern soll, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern überall, wo Faber-Castell produzie- ren lässt. So betragen die Mindestlöhne von Faber-Castell etwa in Brasilien das Drei- fache des Üblichen. Weltweit soziale Verantwortung wahrzunehmen, gehört zum Bild, das sich das Unternehmen seit Jahren aufgebaut hat. Pressesprecher Peter Schaffhauser: Take 10 Schaffhauser Diese Verpflichtung aus der Generationenkette ist eine ganz andere, als wenn Ma- nager oder Vorstandsvorsitzende von anonymen Kapitalgesellschaften vielleicht mal für ein paar Jahre einem Unternehmen vorstehen. Diese Identifikation, noch zumal mit dem Namensträger, Graf Faber-Castell, das hat etwas ganz Besonderes und es ergibt sich daraus auch für ihn eine Verpflichtung, die man nur bei wenigen Unter- nehmen in Deutschland so sieht. Sprecher Unternehmer wie Götz Werner und Graf Faber-Castell wurden zwar als "Entrepre- neur des Jahres" ausgezeichnet oder mit dem "Nachhaltigkeitspreis" geehrt. Doch das hebt ihren Ausnahmecharakter nur noch mehr hervor. MUSIKAKZENT Sprecherin Unternehmensverantwortung findet meist nicht im Kerngeschäft der Firmen statt, dort, wo die heiklen Fragen lauern. Stattdessen wählen viele Unternehmen lieber den einfachen Weg: sie verlagern ihr gutes Gewissen in externe Projekte, finanzieren einen aufwendigen Opernball, spenden für den Sportverein um die Ecke oder unter- stützen Straßenkinder in Afrika. "Corporate Social Responsibility" nennen sich solche externe Projekte dann wohlklingend; gemeinhin gelten diese Marketingmaßnahmen nur soviel, wie man darüber redet. Sprecher Aber es gibt auch Unternehmen, die die Verantwortung intern praktizieren. Meist sind das solche, die dringend Fachkräfte brauchen. Angesichts des Facharbeitermangels, der sich in einigen Branchen bemerkbar macht, überlegen sie sich Strategien, wie sie ihre Mitarbeiter halten bzw. neue gewinnen können. Sprecherin Eine Reihe von Unternehmen setzt deshalb darauf, soziale Verantwortung in die un- ternehmerischen Leitlinien aufzunehmen und ein soziales Unternehmensprofil zu schärfen, sodass sie neuerdings als "soziale Kapitalisten" bezeichnet werden. Eini- ges spricht dafür, dass sich die Verantwortung - zumindest für bestimmte Unterneh- men - in Euro und Cent auszahlt. Take 11 Kids & Co Atmo "Wie macht das Pferdchen?" Kickericki", "Nein, wie macht das Pferdchen?", "Hühü- hü", "So macht das Pferdchen" / Atmo Kind weint, Rufen, "Hallo", "zieht sich am Stuhl hoch", weibliche Stimme und Kinderstimmen / "Kann ich mal sehen", "genau der Johann", "und da", "Da ist der Johann", "da ist die Lolo", "Das wollte ich dir grade zeigen", "zum Schießen", (unter Sprechertext weiter bis zum nächsten O-Ton) Sprecher Es nimmt nicht Wunder, dass die Kinder von "Kids & Co" Hochhäuser bauen. Sie brauchen nur auf dem Fenster zu schauen und sehen die Skyline-Kulisse der Frank- furter Bankentürme. Morgens verschwindet die Sonne für einige Stunden: Dann liegt das vierstöckige, ehemalige Bürogebäude wortwörtlich im Schatten der Hochhäuser. Die Einrichtung, die zum "pme Familienservice" gehört, geht auf eine Initiative der Commerzbank zurück, die ihren Mitarbeiterinnen damit die Möglichkeit bietet, nach der Geburt eines Kindes frühzeitig an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Martina See- hausen, eine der pädagogischen Leiterinnen: Take 12 Martina Seehausen Wir haben überwiegend Kinder unter drei Jahren, hier in diesem Haus haben wir 12 Gruppen für Kinder unter drei Jahren, und zwei für Kinder von drei bis sechs Jahre. Take 13 Kids & Co. Atmo Kindergartenkinder "Ich drücke", "oh nein", "noch höher bitte", Rufe, "Daniel", "Wir bauen noch höher", "Nein", / "Ahorn", "Guck mal Ahornsaft", / "Da kommt was raus", "oh lecker" (unter Sprechertext weiter bis zum nächsten O-Ton) Sprecher Insgesamt werden in der Einrichtung 200 Kinder betreut. Die unteren drei Etagen des Bürohauses haben die Betreuer in Krippenplätze verwandelt, das oberste Stockwerk in einen Kindergarten. Für die Kosten der Einrichtung kommt nach Schätzung von Martina Seehausen etwa zu 50 Prozent die Commerzbank auf, zu 30 Prozent die Eltern und zu 20 Prozent die Stadt. Take 14 Martina Seehausen Es ist natürlich wichtig für die Mitarbeiter der Unternehmen, dass sie relativ flexibel auf Termine und ähnliche Wünsche des Arbeitgebers reagieren können und aus dem Grund ist das Angebot sehr gefragt, und wir haben sehr, sehr lange Wartelisten. Sprecher Geöffnet ist die Einrichtung von morgens sieben bis abends sieben Uhr. Darüber hinaus gibt es eine Notfallbetreuung, die nennt sich "Back up - das Sicherheitsnetz für berufstätige Eltern". Take 15 Bankmitarbeiter (1. Frau) Ich arbeite bei der Commerzbank vier Tage die Woche, und da ist er dann hier in der Einrichtung. Ich bin halt darauf angewiesen, dass ich flexibel arbeite und nicht von neun bis 16 Uhr, wie es viele Betreuungseinrichtungen vorgeben. (2. Frau) Es macht mir überhaupt möglich, einen anspruchsvollen Job und ein Kind gleichzeitig zu haben, also diese beiden Wünsche konnte ich mir eigentlich nur durch diese Einrichtung hier erfüllen. (3.Frau) Die Betreuungszeiten hier sind ja optimal, weil Sie einen flexiblen Fächer haben von sieben bis abends um sieben, was natürlich keiner voll ausnutzt, und ich gehe sechs Stunden am Tag arbeiten. Ich hab' momentan noch Elternzeit und arbei- te halt innerhalb der Elternzeit Teilzeit. (Mann) Meine Frau ist Lehrerin, die eben morgens früh um acht vor der Schulklasse stehen muss, und wenn ich auf Dienstreise bin, muss das Kind im Endeffekt vorne- weg hier abgegeben werden, und insofern ist das Frühzeitige wichtig, und im Um- kehrschluss aber auch das abends. Weil Kindergärten bis 17 Uhr, ist problematisch für jemanden, der viel arbeiten muss. MUSIKAKZENT Sprecher Ähnlich wie die Commerzbank versucht die DekaBank, flexible Arbeitszeiten mit fle- xibler Kinderbetreuung zu verbinden; auch die Fondsgesellschaft der Sparkassen- Finanzgruppe setzt dabei auf den "pme Familienservice". Oliver Büdel, Personalchef der DekaBank: Take 16 Büdel Für uns ist es selbstverständlich, dass wir für Mütter Krippenplätze vorhalten. Damit die Mütter relativ zügig nach der Geburt ihres Kindes wieder zum Arbeiten kommen können. Sprecherin Ob das soziale Engagement ethisch begründet ist oder nicht - jedenfalls zahle es sich aus, meint Büdel. Das lasse sich mit den vier Grundrechenarten wunderbar be- weisen. Für einen Krippenplatz sei zunächst eine einmalige Investition von 3.500 Eu- ro fällig und anschließend pro Monat noch 1.200 Euro, von denen die Bank 750 und die Mitarbeiterin 450 Euro übernehmen. Take 17 Büdel Wir sind insbesondere auf die Mütter oder auf die Elternteile aus, die wichtiges Know how vorhalten. Jemanden dort wiederzubeschaffen, wird zunehmend nur über Head- hunter, über Personalberater, möglich sein. Die rufen in aller Regel mit 25 bis 30 Pro- zent des Jahreseinkommens als Provision auf, und wenn man dann die Abfindungs- kosten, die Ausfallzeiten, die Einarbeitungskosten eines Neuen und das Honorar für den Headhunter mal zusammenaddieren, können Sie in etwa sieben bis acht, manchmal zehn Krippenplätze locker vorfinanzieren und auch wunderbar davon betreiben, aber dann habe ich den acht- bis zehnfachen Effekt. Also das ist eine rela- tiv simple Rechnung. Sprecherin Allerdings sei es wichtig, meint der Personalchef, dass die Führungskräfte Teilzeitar- beit akzeptierten und in eine moderne Unternehmenskultur integrierten. Take 18 Büdel Dazu brauchen Sie nur eines: eine Krippe, die durchgehend geöffnet hat, denn das verhindert, dass die Mutter um 12 Uhr aus der Teambesprechung rausrennen muss, weil sie sagt, 'um halb eins macht die Krippe zu, ich muss mein Kind holen'. Weil sie diesen Zeitdruck hat. Und wenn das zwei-, dreimal passiert, gibt's Führungskräfte, die sagen, 'die macht mir die Truppe struppelig, bei mir gibt's keine Teilzeitarbeitar- beit'. Das kann man dann auch nachvollziehen, das Argument, und der ganz simple, unspektakuläre Hebel, den wir dort fanden, war eine Krippe anzubieten, die durch- gängig geöffnet hat. Da ist der Stress weg, und es ist bei uns sagenhaft etabliert, wir haben lange Wartelisten. Sprecher Bereits heute, so meint Oliver Büdel, sei die Qualität und Quantität von hochqualifi- zierten Arbeitnehmerinnen rückläufig. Um als Arbeitgeber attraktiv zu sein und Mitar- beiterinnen zu binden, müsse man sich schon öffnen. Take 19 Büdel Wenn man sich diesen Themen verschließt, trennen Sie sich ganz bewusst von rele- vanten Rekrutierungsmärkten ab. Das muss man sich leisten können. Es scheint noch ausreichend Unternehmen zu geben, die sich das leisten können oder leisten wollen. Wir wollen's uns nicht leisten, wir können's uns auch nicht leisten, und wir möchten als Arbeitgeber gelten, der diesen Themen völlig offen gegenübersteht. Sprecherin Auch die "weichen" Faktoren wie Mitarbeiterbindung könne man mit modernen Me- thoden sehr genau beziffern, die Rückwirkung auf Fehlzeiten und Fluktuationsquote exakt kalkulieren. Sozial verantwortliche Personalpolitik, so der Personalchef, erwei- se sich als Wettbewerbsvorteil. Take 20 Büdel Die DekaBank hat sich ja die letzten Jahre als Arbeitgeber etabliert unter den Ban- ken, der genau solche Werte in den Vordergrund stellt. Aus dem Grund glaube ich, dass wir, wenn wir die ganzen Nachhaltigkeitsthemen, die auch soziale Verantwor- tung stark beinhalten, wenn Sie die geschickt in die Personalpolitik integrieren, ohne das Leistungsprinzip zu negieren, werden sie eindeutig zu einem Wettbewerbsfaktor, und das spüren wir. MUSIKAKZENT Take 21 Harald Seehausen Wenn heute ein mittleres Unternehmen, aber auch ein großes Unternehmen sich mit Work-life-balance auseinandersetzt, dann spielen die Motivation und die Zufrieden- heit als Leistungseffekte, ich nenn' das mal so, innerhalb des Unternehmens einen immer höheren Stellenwert. Sprecher Seit mehr als zwei Jahrzehnten setzt sich der Familienforscher Harald Seehausen für praktische Projekte zur Work-life-balance, also zur Vereinbarkeit von Beruf und Fami- lie, ein. Take 22 Harald Seehausen Weil die Kopfarbeiterin und der Kopfarbeiter mit ihren Denkwerkzeugen hochemp- findlich sind, was alle außerbetrieblichen Lebenskontexte betrifft: wenn es meinem Einzelkind nicht gut geht in der Betreuung, wenn entsprechende Zeiten fehlen, dann wirkt sich das auf Alltagsnervosität, auf Unruhe und damit natürlich auch auf Produk- tivität am Arbeitsplatz aus. Sprecher Bei praktischen Projekten, etwa den "Kids & Co." seiner Schwiegertochter Martina Seehausen, kommt der Sozialforscher immer wieder mit Managern in Kontakt und bemerkt erstaunliche Veränderungen: Take 23 Harald Seehausen Wenn bei der Herstellung einer spielgerechten Außenfläche Führungskräfte auf der ersten, zweiten und dritten Ebene, angeleitet durch einen Gartenpädagogen, tätig werden, dann begegnen sich die Personen, Frauen wie Männer, nicht nur in den Blaumännern, sondern Menschen beginnen, außerhalb des Unternehmens sich über Alltagsfragen zu unterhalten. Das führt zu einer sehr positiven Unruhe, man diskutiert nicht nur über Zahlen und Kostenüberlegungen, sondern man lernt sich einfach emo- tional auf einer neuen Ebene kennen. Nun will ich das nicht psychologisieren und überbewerten, aber da kann ein Funke entstehen, der oft viel mehr bewirkt, als all- gemein als richtig gesehen wird. Sprecher Während Seehausen vor 20 Jahren noch auf, wie er meint, "zahlreiche Betonköpfe" in den Geschäftsleitungen gestoßen sei, sieht er heute mehr Sensibilität: Take 24 Harald Seehausen Das heißt, dass neben allen modernen Kostenberechnungen wir parallel durch die ganzen Fragen von Work-life-balance eine neue Nachdenklichkeit auch über den tieferen Sinn von Arbeit, Leben, Freizeit und Familie bekommen haben, und das ver- knüpft sich natürlich mit der Frage nach der sozialen Verantwortung von Unterneh- men. MUSIKAKZENT Sprecherin Die Debatte um die Verantwortung von Unternehmen reicht weit bis ins 19.Jahrhundert zurück. Eine der großen, sozial eingestellten Unternehmerpersön- lichkeiten war damals Ernst Abbe, seit 1889 alleiniger Leiter der Zeiss-Werke in Je- na. Er gehörte zu den ersten, die den Achtstundentag in Deutschland einführten. Sein Leitmotiv lautete: Zitator Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf, acht Stunden Mensch sein. Sprecherin Einerseits war Ernst Abbe darauf bedacht, den wirtschaftlichen Fortbestand des Un- ternehmens zu sichern, andererseits wollte er durch sein Vorbild zeigen, dass soziale Verantwortung und Menschenwürde lebbare Wertvorstellungen sind. Abbe führte zahlreiche Sozialmaßnahmen ein, etwa die Zeiss-Krankenkasse, die jedem Mitarbei- ter die freie Behandlung durch einen Kassenarzt garantierte. Um die Rechte der Mit- arbeiter im Unternehmen zu sichern, gründete er die Carl-Zeiss-Stiftung und brachte ein Großteil seines Vermögens in sie ein. Dabei ließ er sich von der Vorstellung lei- ten: Zitator Ich habe mir nur gesagt, wenn du jetzt Leiter eines Unternehmens wirst, wo so viele von dir abhängig sein werden, so soll das Arbeitsverhältnis in diesem Unternehmen so sein, dass auch ein Mensch wie du selber in ihm als Arbeiter tätig sein könnte, ohne dass dein Stolz daran Anstoß nehmen müsste. Sprecherin In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden solche Vorstellungen zu der Kon- zeption einer "sozialen Marktwirtschaft" weiterentwickelt, die eine Sozialbindung des Eigentums kennt und die wirtschaftliche Konkurrenz mit sozialen Sicherungssyste- men verbindet. Sie ist in der Nachkriegszeit in das Modell des "Rheinischen Kapita- lismus" eingegangen, wie etwa im Jahr 1971 der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller betonte: Take 25 Schiller Marktwirtschaft nach innen und außen ist ohne die Freiheit der Konsumenten und Produzenten, ist ohne die Leistung der Arbeitnehmer und Unternehmer und ohne die soziale Verantwortung aller auf Dauer nicht lebensfähig. Sprecherin Doch wie soll diese Verantwortung auf der einzelbetrieblichen Ebene Berücksichti- gung finden? Die arbeitgebernahe Schweizer "Stiftung sozialverantwortliche Wirt- schaft" möchte Unternehmen die Entscheidung erleichtern. Unter dem Titel "Ein so- zialer Arbeitgeber sein - wozu?" bot sie 2006 eine Checkliste an, wann ein Arbeitge- ber sich sozial verhalten soll. Nämlich wenn drei der folgenden Faktoren zutreffen: Zitator 1. Im Arbeitsmarkt konkurriere ich um hoch qualifizierte Arbeitskräfte 2. Motivierte und leistungsfähige Mitarbeiter sind für mich matchentscheidend. 3. Ich betreibe im Rahmen des Finanzierbaren ein umfassendes Risikomanagement (ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit). 4. Ich bin auf Sympathie und Vertrauen der Öffentlichkeit angewiesen. 5. Ich bewerbe mich um Aufträge der öffentlichen Hand. Sprecherin Als weiteres Kritierium wird die so genannte "Swissness" genannt, gemeint ist das Eingebundensein in der jeweiligen Heimatregion. Deutlicher als in dieser Checkliste kann man wohl kaum ausdrücken, wie stark die soziale Verantwortung vom wirtschaftlichen Kalkül abhängt. Sprecher Doch dies lässt sich auch an anderen Merkmalen erkennen, etwa wenn innerhalb eines Unternehmens je nach Bedeutung der Arbeitnehmergruppe ungleich verfahren wird. Claudia Weinkopf von der Universität Duisburg-Essen: Take 26 Weinkopf Das kann man zwischen verschiedenen Unternehmen diese Strategie unterschied- lich sehen, aber es gibt unterschiedliche Strategien sogar auch in ein und demselben Unternehmen, dass für die Qualifizierten gute Löhne, gute Leistungen, Sozialleistun- gen gezahlt werden, während am unteren Ende des betrieblichen Qualifikations- spektrums die Politik eine ganz andere sein kann, dass eben dort sowas nicht ange- boten wird bzw. bestimmte Tätigkeiten einfach ausgelagert werden an andere Unter- nehmen. Das ist eine ganz starke Triebkraft des Niedriglohnwachstums, dass Tätig- keiten ausgelagert werden in andere Branchen, in Kleinbetriebe, um diese Leistun- gen günstiger zu bekommen. MUSIKAKZENT Sprecher Die gemeinnützige Vereinigung "Common Purpose Deutschland" setzt sich dafür ein, Führungskräfte für das Gemeinwohl sensibel zu machen. Die Initiative entstand in Großbritannien und ist heute in mehr als 70 Städten in 12 Ländern aktiv. Ihr Motto lautet: "Leadership für das Gemeinwohl". Geschäftsführer Frank Trümper: Take 27 Trümper Darunter verstehen wir die Fähigkeit von Verantwortungsträgern in welcher Position auch immer, in der Wirtschaft, in der öffentlichen Verwaltung, in gemeinnützigen, so- zialen oder anderen Sektoren, das große Ganze bei ihren Entscheidungen mit zu bedenken. Sprecher Das neoliberale Denken, wonach alles schlank sein solle und alle zusätzlichen Leis- tungen und Aktivitäten eines Unternehmens als störend angesehen werden, hält Trümper für überholt. Man könne die Welt nicht so in Funktionen trennen, wie Milton Friedman das gemacht habe, als ob die einen für die Rendite zuständig seien und die anderen für das Soziale. Take 28 Trümper Die Themen, die Friedman noch so schön sortieren konnte, fallen heute in eins. Der erfolgreiche Unternehmer muss auch, wenn er als Unternehmer erfolgreich sein will, sich darum kümmern, wie sorge ich dafür, dass meine besten weiblichen Führungs- kräfte Familie haben können und trotzdem bei mir angestellt bleiben können. Sprecher Frank Trümper, der früher für die Deutsche Bank tätig war, hat in vielen Unterneh- men beobachtet, dass sich junge Nachwuchsführungskräfte, so genannte "high po- tentials", nach einer gewissen Anlaufphase, also nach etwa drei, vier Jahren, recht grundsätzliche Fragen stellen: Take 29 Trümper Was hat das, was ich hier tue, mit meinem Leben zu tun? Was hat das, was das Un- ternehmen tut, mit den gesellschaftlichen Verhältnissen oder mit dem Leben in der Gesellschaft zu tun? Was tun die eigentlich Gutes für die Gesellschaft? Will ich das eigentlich? Wie will ich eigentlich leben? Will ich nur noch von einem Büro zum nächsten jetten, keine Familie haben, oder wenn ich sie habe, meine Kinder kaum noch sehen oder will ich eine andere Work-life-balance? D.h. jetzt mal von den aku- ten, konjunkturellen Verhältnissen abgesehen, beobachten wir einen ganz signifikan- ten Trend, dass gerade hochleistungsfähige Nachwuchsführungskräfte sich viel frü- her diese Frage stellen, und wenn diese Frage nicht hinreichend befriedigend in ih- rem Unternehmen beantwortet wird, das Unternehmen wieder verlassen. Sprecher Den kommenden Generationen von Managern gehe es nicht nur um Zweckrationali- tät, davon ist Frank Trümper überzeugt. Ihr gehe es nicht nur darum, wie viel soziales Engagement aus betriebswirtschaftlichen Gründen geboten sei, sondern um eine Rückbesinnung: Wie kann Wertschöpfung zur Verbesserung von Lebensqualität die- nen? Sprecherin Ob soziale Verantwortung und Work-life-Balance, ob ökologische Folgen und Klima- erwärmung, Frank Trümper hält es für notwendig, die Konsequenzen rechtzeitig mit- zubedenken. Take 30 Trümper Das heißt eben wieder, Stichwort common purpose, gemeinsame Sache: jeder, der eine nur spezielle fachliche Verantwortung in der Gesellschaft trägt, kann selbst nur effektiv und effizient sein langfristig, wenn er eben diese gemeinsame Sache im Blick hat: die Wohlfahrt der Gesellschaft, und sich fragt, was kann ich und was tue ich mit meinem speziellen Beitrag eigentlich für die Wohlfahrt der Gesellschaft? Spr. vom Dienst Moral oder Kalkül? - Soziale Verantwortung als Wettbewerbsvorteil Von Conrad Lay Es sprachen: Bettina Hoppe, Thomas Holländer und Gerd Grasse Ton: Andreas Narr Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 18 1