DEUTSCHLANDFUNK -Köln im DeutschlandRadio Redaktion: Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr / Karin Beindorff Dossier "Wir respektieren die Kultur" Im deutsch kontrollierten Norden Afghanistans Von Marc Thörner Regie: Thomas Wolfertz Technik I und II Autor Übersetzer 1: Ibrahimi, Dashty Übersetzer 2: Hasib, Naim, Nafi Khan Übersetzer 3: Richter, General Khalil Übersetzer 4: Justizbeamter, Staatsanwalt, Gouverneur Mohammed URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? DeutschlandRadio - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, d. 06. Februar 2009, 19.15 - 20.00 Uhr Musik: "Marsch der Bundeswehr" O-Ton Verteidigungsminister Jung: Rekruten des Wachbataillons! Die Bundeswehr und Sie wissen um ihre Verpflichtung. Das Erbe der Frauen und Männer des 20. Juli ist Auftrag, die Begründung soldatischen Handelns an die Werte und Normen des Grundgesetzes zu binden. Musik: "Marsch der Bundeswehr" O-Ton Verteidigungsminister Jung: Die Offiziere des 20. Juli 1944 handelten in der Überzeugung, dass die Herrschaft des Rechts und die Achtung der Menschenwürde als unverletzbare Werte auch das höchste Opfer: das eigene Leben rechtfertigen. O-Ton Justizbeamter (Dari) Übersetzer 4: Anwesende, erheben Sie sich von den Plätzen. Verhandelt wird die Beleidigung der heiligen islamischen Religion und des Propheten. Sayed Pervez Kaambaksh, im dritten Jahr Student der Journalistik an der Universität von Balkh, ist aufgrund der hier zitierten Gesetze zum Tod durch Erschießen verurteilt worden. O-Ton Staatsanwalt: Übersetzer 4: Bezüglich der Beleidigung der heiligen islamischen Religion hat Sayed Pervez Kaambaksh folgendes gestanden: "Ich Pervez Kaambaksh gebe zu, dass ich einen Artikel aus dem Internet heruntergeladen, ihn eigenhändig um drei Absätze ergänzt und anschließend meinen Kommilitonen zur Verfügung gestellt habe." O-Ton Verteidigungsminister Jung: Die Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten stellen sich heute den vielfältigen Herausforderungen, auch im Auslandseinsatz, für die Sicherheit unseres Landes. O-Ton Richter: Dari Übersetzer 3: Die Verhandlung findet statt im Namen der allgemeinen Sicherheit. O-Ton Staatsanwalt: Übersetzer 4: Ausgehend von den falschen und gegenstandslosen Informationen in dem von ihm heruntergeladenen Artikel, hat Sayed Pervez Kaambaksh den Unterricht gestört, indem er dem Dozenten seines Seminars sinnlose und irrelevante Fragen bezüglich der Rechte der Frauen im Islam stellte. Ansage: "Wir respektieren die Kultur" Im deutsch kontrollierten Norden Afghanistans Ein Feature von Marc Thörner Musik: Marsch der Bundeswehr O-Ton Ingenieur: Das ist die Grenzstation fürs afghanische Finanzministerium, für Einnahmen, für revenue für Afghanistan. Atmo: Schritte Autor: Eine Zollanlage an der afghanisch-tadschikischen Grenze. Soeben fertiggeworden. Unter deutscher Leitung mit afghanischen Arbeitern von einer chinesischen Firma errichtet. Der deutsche Ingenieur führt durch die noch leeren, frischverputzten Hallen, in denen die letzten Kabel verlegt werden - von Chinesen. In wenigen Wochen soll der Betrieb losgehen. O-Ton Ingenieur: Hier sitzen dann die Mitarbeiter des Zolls und durchleuchten die LKWs, die nach Afghanistan `reinkommen. O-Ton Ingenieur: Es können auch, bei Verdachtsmomenten, LKWs, die `rausgehen, umgeleitet werden und hier auch noch durchleuchtet werden. Atmo Stimme Ingenieur: Das sind hier alles Stahlbetonwände... Stimme chinesischer Techniker: Gutten Morrr! O-Ton Ingenieur (Hallenklang): Hier wird dann der LKW auf den Trolley draufgefahren, der Fahrer steigt aus, verlässt das Gebäude und der LKW wird an dem Scanner vorbeigezogen, mit `ner Motorwinde und vorne kommt dann das Resultat raus, ist es OK, ist es nicht OK? Dann kriegt der LKW-Fahrer seinen Stempel drauf und kann weiterfahren. Autor: Die Zollstation sieht aus wie ein Symbol des internationalen 'Nation Building'. Diese Station steht für die afghanische Souveränität über Steuereinnahmen, für staatliche Kontrolle. Ein steingewordenes Fanal gegen Schmuggel und Korruption. Aus gutem Grund. Atmo:Markt Autor: Von Tadschikistan über Afghanistan bis nach Pakistan verläuft eine der geostrategisch wichtigsten Verbindungsrouten Zentralasiens: Die Lebensader des pakistanischen Exports und Imports, auch der afghanischen Wirtschaft. Wer diese Strecke kontrolliert, kann den Zufluss nach Belieben unterbrechen - und wieder zulassen; der beherrscht, was der pakistanische Journalist Ahmed Rashid The New Great Game genannt hat: Das neue große Spiel um Macht und Geld in Zentralasien. Und: Dem Wächter dieser Verbindungsstraße fließt auch ein nie versiegender Strom von Einnahmen zu. Zitator (Händler): "Wir tauschen Waffen gegen Heroin. Ein Kilo afghanisches Heroin gegen zehn fabrikneue russische Kalakow-Gewehre, das ist der aktuelle Preis. Die Waffen, die wir hier einhandeln, verkaufen wir anschließend an Abnehmer aus Südafghanistan, aus der Helmand-Provinz oder aus Kandahar, entweder gegen Bargeld oder gegen neues Heroin." Atmo Markt Autor: Nicht allein nur handelsübliche Waren gelangen über diese Route ins Land hinein oder heraus. Auf den Märkten beiderseits der Grenze wird auch ganz anderes verkauft und eingetauscht. Zitator (Händler): "Eigentlich liegt der Normalpreis bei zehn Gewehren für ein Kilo Heroin. Aber wenn die Taliban kommen, schnellen die Preise in die Höhe. Die Taliban geben uns ein Kilo Heroin für nur fünf oder sechs Gewehre. Auch professionelle Schmuggler sind unsere Kunden. Die Gewehre, die sie bei uns bekommen, bringen sie über die Grenze nach Pakistan, zum Landi Kotal Markt am Khyber-Pass. Dort verkaufen sie die Waffen an die al Kaida. Oder an andere radikale Organisationen in Palästina oder Kaschmir." Autor: Die Äußerungen der Händler, ihre Angaben über Mengen und Preise stehen im Internet. Zugänglich gemacht hat sie Sayed Yaqub Ibrahimi. Ich habe mir seine Reportage ausgedruckt, sie steckt griffbereit in meiner Tasche, während ich der Bundeswehr-Patrouille durch die neue Zollanlage folge. Ibrahimi schreibt für den Online-Dienst des 'Institute for War and Peace Reporting', eine Nachrichtenagentur, die unter anderem von Kanada und der EU gesponsert wird. Der 27jährige ist der bekannteste Journalist Nord-Afghanistans - niemand hat so genau wie er über die Waffen- und Drogenmafia recherchiert. Auch der deutsche Bauingenieur und der Offizier, der die Patrouille führt, können zu dem Thema noch einige Details beisteuern. Um die Bestechungsgelder, die der neue Grenzposten abzuwerfen verspricht, seien bereits Verteilungskämpfe entbrannt. Sonderbare Dinge kämen vor. O-Ton Ingenieur: Da haben sie einen von der Border Police nachts aus seinem Haus `rausgezogen und ihm den Fuß abgeschnitten. Was jetzt der genaue Hintergrund ist, weiß keiner so genau. O-Ton Kapitänleutnant Müller: Ja, und auch, was mit dem alten Bürgermeister ist, warum der jetzt verschollen ist, konnte auch keiner Angaben machen. Der war ja auch erst zwei Wochen im Amt... und was mit dem andern ist... keine Information.... Atmo:Fahrzeug fährt an; Funkstimme: Bravo an alle, Abstände vergrößern, Vorwärts, marsch! Autor: Auf der Rückfahrt frage ich den Patrouillenführer, Kapitänleutnant Müller, ob es an der afghanisch-tadschikischen Grenze nach seinen Erkenntnissen tatsächlich einen Austausch von Drogen gegen Waffen gibt. O-Ton Kapitänleutnant Müller: Ich denk mal, dass es sicherlich möglich sein wird. Eine Kontrolle (/), was rein oder rausgeht... wenn es denn überhaupt möglich sein wird, wird's wahrscheinlich auch möglich sein, das mit entsprechenden Geldern zu, sag ich mal, legalisieren. Dann wird auch kurzfristig mal der Bürgermeister ausgetauscht, weil er nicht so mitspielt, wie's andere gerne hätten. Der vorherige Bürgermeister war cirka sechs Wochen nicht auffindbar. Wo er sich befindet, weiß man nicht. Jetzt ist ein neuer da. Der andere wurde massiv unter Druck gesetzt von der Border-Polizei. Entweder war sein Einfluss zu groß, wovon wir ausgehen, weil er wohl die Hand zu lange aufgehalten hat oder zu viel haben wollte, von dem was da verteilt wird. Es gibt Gerüchte, dass der Bürgermeister am Tag allein 1000 Dollar verdienen soll. Autor: In Mazar-e Sharif, am Schreibtisch seines Büros beim Institute for War and Peace Reporting, sitzt Sayed Yaqub Ibrahimi, soeben zurückgekehrt von einer neuen Recherche über den Schmuggel an der afghanisch-tadschikischen Grenze. O-Ton Yaqub Ibrahimi: All is happening ... ... ceremonial activities Übersetzer 1: Das alles spielt sich leider im Kontrollbereich der Deutschen ab. Natürlich wissen sie davon. Sie haben eine Riesenbasis in Nordafghanistan, sie bewegen sich bis zu den abgelegensten Ortschaften vor. Aber ihre Aktivitäten beschränken sich in der Regel auf protokollarische Dinge Autor: Welche Beamten sind die Drahtzieher der illegalen Waffen- und Drogengeschäfte? Wem genau fließen die Gelder zu? Wie weit oben in der Regierungs- und Verwaltungshierarchie sitzen diejenigen, die am Schmuggel verdienen? O-Ton Yaqub Ibrahimi: I know their names Übersetzer 1: Ich kenne alle ihre Namen. Es sind die alten Kämpfer, die ehemaligen Mudschaheddin der 80er Jahre. Inzwischen sind sie zur Drogenmafia von Nordafghanistan mutiert. Aber nennen kann ich Ihnen diese Namen nicht. Sobald mein Bruder freigelassen ist, werde ich alle Fakten, die ich habe, auf den Tisch ... cannot say something now. After my brother is released I will say something Autor: Yaqub Ibrahimi ist nicht nur der profilierteste Kritiker der alten Kriegsherren und neuen Provinzgewaltigen. Er ist auch der Bruder von Pervez Kaambaksh, des wegen angeblicher Gotteslästerung zum Tode verurteilten Studenten. Atmo:Prozess Autor: Im Oktober 2007 wurde der Student der Journalistik an der Universität von Mazar-e Sharif verhaftet, das Todesurteil wegen Gotteslästerung wurde im Januar 2008 gesprochen. Das Berufungsverfahren in Kabul begann im Frühjahr 2008. Darin revidierte der Gerichtshof in Kabul die Strafe und wandelte sie in 20 Jahre Haft um. Seit August 2008 wartet Pervez Kaambaksh in einem Kabuler Gefängnis auf den Fortgang der Revision in der nächsthöheren Instanz. Zitator (Artikel Arasch): "Mohammed hat oft gesündigt. Mohammed unterdrückte die Frauen. Der Koran stellt Frauen dar, als seien sie nicht ganz richtig im Kopf. Der Islam ist eine Religion gegen die Frauen (...) Wenn Mohammed etwas haben wollte, sang er eine Sure und behauptete dann, sie käme von Allah. Alles, was ihm nicht gefiel, hat er einfach verboten. Alles, was ihm gefiel, hat er erlaubt. Das ist ein Witz. Das ist das wahre Gesicht des Islam, Allahs und Mohammeds." Autor: ... so heißt es im Beitrag eines iranischen Bloggers namens Arasch. Pervez Kaambaksh, dem damals 23-jährigen Journalistik-Studenten an der Balkh-Universität von Mazar-e Sharif wird vorgeworfen, den Artikel aus dem Internet heruntergeladen zu haben. Anfang 2008, kurz nach dem Todesurteil, schickte der SPIEGEL einen Reporter nach Mazar-e Sharif, dessen Artikel die Berichterstattung über den Fall bis heute prägt. Zitator (Spiegel): "Kaambaksh kopierte einige Passagen aus dem Text, ordnete sie. Ob er einige Zeilen dazuschrieb, ist unklar. Dann klickte er auf Drucken. Später verteilte er an der Universität ein paar Blätter an Kommilitonen. (...) Er wollte diskutieren. So, wie er (...) über Marx und Hegel diskutiert hatte. (...) Womöglich überschätzt Kaambaksh sein Land. Womöglich wollte er es auch darauf ankommen lassen. Vielleicht wollte er einfach testen, wie weit man gehen kann im neuen Afghanistan." Autor: Eine Geschichte über den Konflikt zweier Weltanschauungen: Hier die westliche der Aufklärung, des Individualismus, der Meinungsfreiheit. Dort der Islam, die Tradition, das Scharia-Recht. Die beteiligten Akteure verhielten sich prompt wie zu erwarten: Atmo:Demonstration Autor: Aufgebrachte Muslime im ganzen Land, in Unkenntnis der Einzelheiten und der Verhältnisse im Norden, protestierten gegen die angebliche Beleidigung des Islam, das US-Außenministerium forderte Kaambakshs Freilassung und europäische Parlamente verabschiedeten zu seinen Gunsten Resolutionen. Atmo: Demonstration Autor: In Deutschland verurteilten Politiker die Todesstrafe gegen Pervez Kaambaksh, forderten aber gleichzeitig auch Verständnis für die Eigenständigkeit der afghanischen Justiz. Unter ihnen Niels Annen, Mitglied im SPD-Parteivorstand und im Auswärtigen Ausschuss des deutschen Bundestages. Nur, wenn die afghanischen Entscheidungsträger in Einklang mit ihrer eigenen Tradition, Religion und Kultur handelten, so Annen, nur dann gebe es die Chance auf dauerhafte Stabilität; nur dann werde die Bevölkerung die ausländischen Truppen akzeptieren. O-Ton Niels Annen: Das andere Szenario würde ja bedeuten: man versucht, einen Zustand herzustellen, wie die Briten ihn mit Afghanistan ja für eine lange Periode hergestellt hatten: nämlich genau so eine Semi-Souveränität. Aber eine solche kolonialistische Strategie setzt ja voraus, dass man gar nicht vorhat, sich irgendwann zurückzuziehen, sondern dauerhaft seinen Einfluss dort ausüben will. Wir wollen nicht auf ewig in Afghanistan bleiben. Zitator (SPIEGEL): "Er sprach vom Recht, gemacht vom Menschen. Sie sprachen vom Recht, gemacht von Gott. Sie saßen sich gegenüber, jeder in seiner Ecke, wie zwei Boxer." Autor: ... so spitzte der SPIEGEL den Konflikt zu - ein Schlagabtausch zwischen dem jungen Idealisten und den ebenfalls idealistischen Scharia-Richtern, zwischen westlich orientierter Meinungsfreiheit und islamisch orientierter afghanischer Tradition. Die Geschichte verfügt über alle Elemente einer Shakespeare'schen Tragödie. Eine gute Geschichte. Nur - seit ich mit dem Journalisten Yaqub Ibrahimi gesprochen habe, frage ich mich: Wenn es wirklich um einen Konflikt zwischen Aufklärung und religiöser Tradition geht, zwischen Säkularismus und traditionell verstandenem Islam, weshalb will Pervez Kaambaksh Bruder Yaqub Ibrahimi die Hintermänner des Waffen- und Drogenschmuggels nicht öffentlich machen? Was hat der Schmuggel mit dem religiösen Traditionalismus zu tun? Atmo: Universität Autor: Meine Nachforschungen beginnen dort, wo auch der Fall begonnen hat: an der Balkh-Universität von Mazar-e Sharif. Bei Professor Yasin Fallah, dem Hauptbelastungszeugen gegen Pervez Kaambaksh. Der bietet mir - dem Gast - zwar einen Tee an - lehnt Auskünfte aber ebenso höflich, wie bestimmt ab: Es stehe ihm nicht zu, ein noch schwebendes Verfahren zu kommentieren. Andere Professoren und Studenten reagieren ähnlich. Niemand möchte etwas in ein Mikrophon sagen. Wenn es um diesen Blasphemie- Fall geht, wächst nach der sprichwörtlichen Gastfreundschaft, der Aufforderung, Tee zu trinken, im Handumdrehen eine Mauer des Schweigens. Nach einigem Suchen findet sich ein Seminarkollege des mutmaßlichen Gotteslästerers. Abdullah Hasib, ebenfalls Anfang 20. Er ist bereit, die Vorgänge zu schildern. Seinen Namen dürfe ich gerne nennen. Die Geheimniskrämerei an dieser Uni sei er ohnehin seit langem leid. Atmo: Universität O-Ton Abdullah Hasib: It was a week... Übersetzer 2: Die ganze Sache mit Pervez begann eine Woche nach dem Examen. Vier Studenten aus unserer Klasse: Siddiq, Jan Mohammad, sein Bruder Mustafa und Rahmatullah waren gerade in Professor Fallahs Prüfung durchgefallen. Pervez hatte bestanden. Fallah sagte den vieren: falls ihr auch bestehen wollt, dann könnt ihr etwas für mich tun. -pass you Musik:"Spannungsmotiv" Autor: Was Abdullah Hasib erzählt, beginnt zunächst tatsächlich wie eine Geschichte über den Zusammenprall zweier Welten - wenn auch nicht wie der von Orient und Okzident. Pervez, ein aufgeweckter, überdies höchst belesener Student, fordert durch ständige Nachfragen seinen eher behäbigen Islam-Professor heraus. Und der Professor kann dem nichts entgegensetzen, außer auswendig gelernten Phrasen. Aber, was dann kommt, stellt die Geschichte, die ich bisher kannte, auf den Kopf. Sayed Pervez Kaambaksh, so sein Kommilitone Abdullah, besitze nicht nur ein profundes Detailwissen über islamische Geschichte und Philospohie. Er sei auch ein Sayed, ein Prophetenabkömmling aus alter Familie. Seine Ansichten scheint er mit der ganzen Gelassenheit eines jungen Mannes vorgetragen zu haben, der seine Wurzeln auf den Religionsgründer zurückführen kann - in einer Art, die dazu angetan war, dass Yasin Fallah, der Leiter der Scharia-Abteilung, seine Autorität gefährdet, seine Ehre angegriffen sah. Irgendwann will er den Unruhestifter loswerden und setzt seine vier gescheiterten Examenskandidaten unter Druck. Sie sollen helfen, den Besserwisser, den Querulanten ein für allemal zu diskreditieren - am besten als Gotteslästerer. O-Ton Abdullah Hasib: Such a chapter ... Übersetzer 2: Eines Tages brachten die besagten vier Studenten einen Artikel mit ins Seminar, unter den sie selbst den Namen von Pervez gesetzt hatten. An dem Tag war ich mit Pervez zusammen. Er war direkt von seiner Unterkunft zur Uni gekommen, in der Hand hatte er gar nichts, außer seinem Notizheft und einem Buch mit dem Kapitel, das wir gerade durchnahmen. Weder einen eigenen Artikel, noch hatte er irgendetwas aus dem Internet Heruntergeladenes dabei. Aber alle unter den Dokumenten stand sein Name, und deshalb mussten alle denken denken, dass sie von ihm herrührten. Autor: Auf den Zetteln waren die Anmerkungen des iranischen Bloggers Arasch ausgedruckt, ergänzt durch ähnlich lautende Kommentare, angeblich von Pervez Kaambaksh. Islam-Professor Yasin Fallah empörte sich. Gemeinsam mit seinen Zeugen, den vier durchgefallenen Studenten, alarmierte er den Inlandsgeheimdienst, der Pervez vorlud und gleich dabehielt. O-Ton Abdullah Hasib: Pervez... Übersetzer 2: Dort wurde Pervez windelweich geprügelt bis seine Hand gebrochen und seine Nase schief war. Anschießend musste er in ärztliche Behandlung. Dadurch lässt sich nachweisen, dass er gefoltert wurde. Nach einer Woche überstellten sie Pervez vom Geheimdienst in ein gewöhnliches Gefängnis. Dort konnte ich ihn besuchen und als ich ihn sah, bemerkte ich an ihm die schief geschlagene Nase. Er sagte mir, dass er am ganzen Körper Schmerzen habe. -pain Autor: Als Resultat der Verhöre präsentierte der Inlandsgeheimdienst ein Geständnis. Das Dokument, erklärte Pervez Kaambaksh später, sei ihm unter Anwendung von Folter und durch massive Drohungen abgenötigt worden. O-Ton Shamsurrahman Mohmand, Richter:(Dari) Übersetzer 3: Jemand soll ihn gezwungen haben, etwas zu erklären, jemand soll ihn gefoltert haben? Das ist absolut falsch. Wäre beim Geheimdienst etwas Derartiges passiert, wieso hat Kaambaksh das vor Gericht nicht erzählt? Während der Verhandlung hat er sogar gesagt: "Ich entschuldige mich gegenüber dem Gerichtshof". Warum hat sich entschuldigt? - Weil er sich strafbar gemacht hatte. Autor: Die im Januar 2008 anberaumte Verhandlung gegen Pervez Kaambaksh führte der Leiter des Provinzgerichtes persönlich, Richter Shamsurrahman Mohmand, ein jovialer älterer Herr mit dunkel getönter Brille, Turban und langem weißen Bart, ausgebildet in islamischem Scharia-Recht an einer Madrassa, einer Koranhochschule im ostafghanischen Jalalabad. O-Ton Shamsurrahman Mohmand, Richter:Dari Übersetzer 3: Während des ersten Verhörs pflegen wir den Angeklagten stets zu fragen: Was möchten Sie: möchten Sie einen Rechtsanwalt; möchten Sie sich selbst verteidigen; möchten Sie vielleicht ein Geständnis niederschreiben, in dem Sie akzeptieren, was die Staatsanwaltschaft Ihnen vorwirft? So war es auch im Falle von Pervez Kaambaksh. Wir haben ihn gefragt, ob er einen Anwalt wünsche. Er sagte nein. Autor: Für Richter Mohmand ist die Sache kristallklar: Pervez Kaambaksh schrieb eigenhändig ein Geständnis, entschuldigte sich für seine Tat und lehnte einen Anwalt ab. O-Ton Shamsurrahman Mohmand, Richter:Dari Übersetzer 3: Daraufhin haben wir ihn gemäß der Scharia zum Tod verurteilt. Die Scharia schreibt vor: Eine Person, die den Islam verlässt und zu einer anderen Religion übertritt, wird mit dem Tod bestraft. Autor: Auf welche Rechtsquellen der Scharia stützte sich das Urteil genau, frage ich weiter? O-Ton Shamsurrahman Mohmand, Richter:Dari Übersetzer 3: Die entsprechenden Quellen finden sich in den Büchern der Religionsgelehrten unserer hanifitischen Rechtsschule. Atmo:Gelöbnis Soldaten, sprechen Sie mir zum feierlichen Gelöbnis nach: Ich gelobe. Soldaten im Chor: Ich gelobe! Kommandeur: Der Bundesrepublik Deutschland Soldaten im Chor: Der Bundesrepublik Deutschland! Kommandeur: Treu zu dienen. Soldaten im Chor: Treu zu dienen! Kommandeur: Und das Recht. Soldaten im Chor: Und das Recht! Kommandeur: Und die Freiheit! Soldaten im Chor: Und die Freiheit! Autor: Im ungeheizten Zimmer meines kleinen Hotels im Zentrum von Mazar-e Sharif, auf dem Bett liegend und eine Erkältung ausbrütend, schwirren mir die einzelnen Elemente der Recherche durch den Kopf. Auf meinem Laptop springe ich durch meine Notizen und Aufnahmen. Musik:"Fieberklänge" Autor: Will ein heißblütiger Afghane seinen Freund reinwaschen? Ist die ISAF und mit ihr Deutschland dabei, in Afghanistan einen Rechtsstaat aufbauen zu helfen oder einen islamisch-fundamentalistischen Staat? Wofür sind deutsche Soldaten am Hindukusch und wofür sind bereits 28 von ihnen gestorben? O-Ton Außenminister Steinmeier: Sollen wir wirklich gehen, wenn es schwierig ist? Wir reden über ein Land, meine Damen und Herren, in dem vor sieben Jahren noch Menschen gesteinigt worden sind. Autor: So warb Außenminister Steinmeier noch im September 2008 für die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Doch wie hatte mir Shamsurrahman Mohmand, der Vorsitzende des Provinzgerichts von Balkh heute gesagt? O-Ton Shamsurrahman Mohmand, Richter:Dari Übersetzer 4: Wenn wir einer Person einen Diebstahl hundertprozentig und ohne Zweifel nachweisen könnten, dann würden wir entscheiden, dem Betreffenden die Hand abschlagen zu lassen.Dies ist ein hundertprozentig islamisches Gericht Jedes Gesetz entspricht der Scharia, auch das Strafgesetz. O-Ton Niels Annen: Manchmal wird überlesen, dass in der afghanischen Verfassung steht: es ist eine islamische Republik und alles, was dort vom Gesetz her nicht geregelt ist, orientiert sich nach den Vorgaben der Scharia. Das ist nachzulesen, das hat jeder gewusst und deshalb sollte der eine oder andere jetzt nicht so überrascht tun... Autor: so hatte SPD-Außenpolitiker Niels Annen argumentiert O-Ton Niels Annen: Natürlich hat man versucht, mit hochtrabenden moralischen Argumenten auch die zweifelnde deutsche Bevölkerung zu überzeugen, vielleicht war das auch ein Fehler. Und das illustriert sich jetzt an einem solchen Fall. Musik: "Fieberklänge" Atmo: Straße Mazar-e Sharif Autor: Soll man, kann man Afghanistan wirklich durch fremdes, europäisches Menschenrecht kolonisieren? - Ist es nicht sinnvoller, wenn sich ein nationaler, speziell afghanischer Rechtsstaat aus der ureigenen afghanischen Kultur entwickelt? Mehr und mehr ringe ich mich dazu durch, der Auffassung bundesdeutscher Koalitionspolitiker recht zu geben - bis ich Naim begegne. O-Ton Naim: Sixthousand Dollars! Autor: In irgendeiner Kebab-Stube komme ich mit dem jungen Bankangestellten ins Gespräch. Wir reden über die Scharia, das Provinzgericht und dessen Leiter. O-Ton Naim: Qazi Shamsurrahman Mohmand ... Autor Shamsurrahman Mohmand? - Richter Mohmand? fragt Naim. Dem habe sein Bruder vor einem halben Jahr 6000 Dollar in die Hand drücken müssen, um eine fingierte Anklage wegen Körperverletzung abzuwenden. Aber auch er selbst habe mit dem Chef des Provinzgerichts einschlägige Erfahrungen. O-Ton Naim: Ten Thousand Afghani Übersetzer 2: Ich selber habe ihm mal 10 000 Afghani bezahlt. Das ist vier Jahre her. Damals hatte ich noch keinen Führerschein und bin trotzdem Auto gefahren. Die Verkehrspolizei nahm mich fest, brachte mich zum Staatsanwalt und der leitete den Fall an Richter Mohmand weiter. (/) Mohmand erklärte mir: Ich verurteile Sie hiermit zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Bedenken Sie: Sechs Monate für fahren ohne Führerschein! So etwas hatte ich noch nie gehört. Normalerweise gibt es dafür eine kleine Geldstrafe. Sechs Monate. Aber Richter Mohmand legte mir eine Lösung nahe: Geben Sie mir 10 000 Afghani, umgerechnet etwas über 200 Dollar, und ich schließe ihren Fall. Atmo: Blaue Moschee, Rezitation Autor: Das bringt mich erneut ins Grübeln über das Verhältnis zwischen Scharia, afghanischer Verfassung und Kultur und deren Wahrnehmung durch deutsche Politiker. Ist Pervez Kaambaksh vielleicht zum Tode verurteilt worden, weil Richter Mohmand das Geld für seine neuen Möbel nicht zusammenkratzen konnte? Oder für irgendetwas anderes, das er gerade brauchte? Was bedeutete hier überhaupt Scharia, was heißt: afghanische Kultur? Ich fahre zur Blauen Moschee, dem Wahrzeichen von Mazar-e Sharif. Vielleicht können die Mullahs dort eine Antwort geben Atmo: Sufi-Zeremonie Autor Am Tor an der Außenmauer gebe ich meine Schuhe ab und gehe über den Marmorboden ungehindert weiter bis zum Eingang des heiligen Schreins, der prachtvoll mit blauen Kacheln eingefasst ist.. Hier soll Ali, der Schwiegersohn des Propheten beigesetzt sein. Obwohl es sich um das höchste islamische Heiligtum weit und breit handelt, kommt niemand auf die Idee, den Ausländer und Nichtmuslim aufzuhalten. Im Inneren ist gerade eine Sufi- Zeremonie im Gange. Ein Dutzend Männer hat sich in einem Kreis zusammengestellt. Im selben Rhythmus klopfen sie sich an die Brust und wiederholen im Dikhr unablässig den Namen Gottes. Atmo Sufi-Zeremonie Autor: In einiger Entfernung von den untergehakten, rhythmisch auf und nieder hüpfenden Männern, sitzt Nafi Khan auf einer Matte, der ehemalige leitende Mullah der Moschee. Herzlich willkommen, sagt er. Scheu brauche ich keine zu haben. Hier in Mazar-e Sharif sei man schon immer einer liberalen Variante des Islam gefolgt. Viele hier gehörten einer Sufi-Bruderschaft an und versuchten, so wie die Männer im Kreis, Gott auf individuelle Art zu erleben. Wenn ich die afghanische Tradition suche - dies sei sie. Die Taliban hätten sie verboten. Umso besser, dass die endlich weg seien. Ich frage Nafi Khan nach seiner Ansicht: welchen Islam wünscht er sich für Afghanistan; welchen Einfluss soll das Scharia-Recht auf die geltende Rechtsordnung haben? O-Ton Nafi Khan:Dari Übersetzer 2: Die Scharia sollte die Basis bleiben, aber wir dürfen sie nicht den Fundamentalisten. überlassen. Wir wollen, dass die Scharia die Grundlage für demokratische Entscheidungen wird. Autor: Die afghanische Variante des islamischen Rechts, erklärt er mir, sei die hanifitische. In der hanifitische Rechtsschule pflege man in der Regel keine Todesurteil wegen Gotteslästerung oder Glaubensabfall zu verhängen. Ehe die Taliban Afghanistan erobert hätten, seien die letzten Urteile wegen Gotteslästerung in den 1920er Jahren gesprochen worden. Auch im afghanischen Strafgesetz gebe es keine Sanktion gegen Gotteslästerung. Artikel 130 besage lediglich, dass die Scharia angewandt werden könne, sollte es für einen Fall keine brauchbaren Paragraphen geben. Aber gerade gemäß der spezifisch afghanisch-hanifitischen Auslegung sei es unüblich, eine Gotteslästerung mit dem Tod zu ahnden. Rechtsauffassungen wie diese stammten von woanders her - sie seien erst in den 1980er Jahren nach Afghanistan gelangt, zusammen mit den antisowjetischen Mudschaheddin. Die seien von Saudi Arabien inspiriert, finanziert und ausgebildet worden. Und dieser saudische Islam, der Wahabismus, sei eine sektenartige Extremform des Islam, der mit der afghanischen Kultur nichts zu tun habe. Das Problem sei also nicht die afghanische Kultur. Das Problem sei, dass die Karzai-Regierung in der Hauptstadt Kabul sich zunehmend auf die Hilfe dieser saudisch beeinflussten Ex- Mudschaheddin stütze. Autor: Eine Auffassung, die auch Faheem Dashty teilt, Chefredakteur einer Wochenzeitung und einer der bekanntesten Analytiker der afghanischen Verhältnisse: O-Ton Faheem Dashty: Now, the President ... Übersetzer 1 Dem Präsidenten wird allmählich klar, dass die Leute, die die Werte der Demokratie, der Redefreiheit, der Frauenrechte und der Menschenrechte unterstützen, dass diejenigen, denen es um Entwicklung, Stabilität und Frieden geht, dass diese Leute nicht diejenigen sind, die ihn wiederwählen werden. (/) Deshalb versucht er jetzt die Hilfe der konservativen Kräfte zu bekommen. (/10.20:Negociations...)Die Verhandlungen mit Hekmatyar, dem Islamistenführer laufen - für mich dem größten aller Extremisten. Die meisten Schlüsselmitglieder der Hekmatyar-Gruppe sind bereits in der Regierung gelandet. Der Kultur- und Informationsminister ist einer von ihnen. Der Generalstaatsanwalt ist ein anderes Mitglied der Hekmatyar-Islamisten. (/) Elf Provinzgouverneure stammen aus der Hekmatyar- Partei. (/12:16:)Das ist dieselbe Partei, die mit den Taliban verbündet ist und gegen die Regierungstruppen und deren internationale Verbündete kämpft. Autor: Doch außer der Suche nach Stabilität, meint Faheem Dashty, könnte es noch einen anderen Grund geben, weshalb vor allem afghanische Politiker die Renaissance des von Osama Bin-Laden beeinflussten Islam nicht ungern sehen: Die saudisch- wahabitisch ausgelegte Scharia kommt - wie im Fall von Pervez Kaambaksh - unter Umständen auch ohne Anwälte, ohne Beweisaufnahme, ohne Ermittlungsverfahren, kurz: ohne internationale Mindeststandards aus. Schriftliche Geständnisse können leicht durch Folter oder Drohungen erzwungen werden und ebenso leicht zu Grundlagen von Todesurteilen oder langen Haftstrafen werden. Formal liefe das völlig korrekt. Der Kriminalität, besonders der organisierten, der Regierungskriminalität wären durch solche Verfahren Tür und Tor geöffnet. Das bringt mich auf eine andere Frage: Haben die Beamten der Eupol, der europäischen Polizeimission entsprechende Hinwiese? Sind beispielsweise Mitglieder der Provinzregierung in illegale Geschäfte verstrickt? Andreas Büschgens ist einer der Beamten, die helfen sollen, den afghanischen Rechtsstaat aufzubauen. O-Ton Andreas Büschgens, Eupol: Die europäische Gemeinschaft und auch andere Länder haben sich angeboten, denen zu helfen, die zu unterstützen. Das machen wir auch, so weit wir das wollen, aber es wird sicherlich hier auch Grenzen geben, wo die denn auch ganz klar sagen: Wir sind ein souveräner Staat, wir regeln unsere Probleme selber - und dann ist die Sache im Grund genommen auch schon erledigt. Autor: Ein Eupol-Kollege in Mazar-e Sharif hat weniger Probleme, Klartext zu reden. Ich muss ihm versprechen, seinen Namen nicht zu nennen. Ansonsten sei er seinen Job los. Dann packt der Eupol-Kommissar aus Atmo: Spannungsmotiv Autor: Ata Mohammed, der Gouverneur der Nordprovinz von Balkh, stecke bis zum Hals in Drogengeschäften. Die Gewinne lasse er regelmäßig über den Flughafen von Mazar- e Sharif ins Ausland bringen, wobei ihm der dort stationierte Polizeichef helfe. Immer, wenn man versucht habe, diesen Polizeichef ablösen zu lassen, habe Gouverneur Ata beim Innenministerium in Kabul angerufen - und der Polizeichef sei geblieben. Wie der Schmuggel von der tadschikischen Grenze an organisiert sei, könne am besten sein Freund, General Khalil erzählen, der Chef der Grenzpolizei, die dem Gouverneur nicht unterstehe und deren Einheiten er, der Eupol-Mann, gerade ausbilde. General Khalil, ein sportlich wirkender Vierziger, scheint erfreut, dass jemand sich für seine Arbeit interessiert. Die Berichte Yaqub Ibrahimis über Waffen- und Drogenschmuggel dementiert er nicht, im Gegenteil. Seine Beamten würden bei der Verfolgung des Schmuggels von der Provinzpolizei, gelinde gesagt, nicht eben unterstützt. O-Ton General Khalil:Dari Übersetzer 3: Jemand, der Opium vom Süden Richtung Norden bringt, wird während seiner Fahrt zwangsläufig auf viele Checkpoints stoßen. Aber ich frage Sie: Wenn die Polizisten an diesen Checkpoints die Schmuggler nicht verhaften, wie sollen wir von der Grenzpolizei das tun? Dazu sind unsere Einheiten viel zu verstreut. Jeder unserer Posten ist zwischen dreißig und vierzig Kilometer vom anderen entfernt. Autor: Ein weiteres Problem sei, so der General, dass einige seiner eigenen Beamten bestochen würden. O-Ton General Khalil, Chef der Grenzpolizei:Dari Übersetzer 3: Ich bin gerade dabei, entsprechende Informationen über einzelne Bataillonskommandeure und Befehlshaber unserer eigenen Checkpoints zusammenzutragen. Sobald das abgeschlossen ist, gehe ich mit meinem Material nach Kabul und werde sehen, ob es möglich ist, die entsprechenden Stellen umbesetzten zu lassen oder nicht. Ich will keine bloßen Verschiebungen von einem Posten auf den anderen, ich will neue Gesichter. Es ist mir auch egal, ob diese neuen Beamten rangniedriger sind als die anderen. Hauptsache, sie sind intelligent und haben keine kriminelle Vergangenheit. Autor: Ich melde mich zum Besuch bei Gouverneur Ata Mohammed an. Vom bärbeißigen General und Mudschaheddin-Führer hat er sich inzwischen zum Politiker gemausert. Besucher empfängt er in einem hallenartigen Audienzsaal, in dem Rokokomöbel an den Wänden stehen. Er residiert auf einem thronartigen Stuhl mit rotem Samtpolster und golden eingefasster Lehne. Neben ihm steht eine monumentale Weltkugel aus Lapislazuli. Sein ehemals struppiger schwarzer Bart gleicht inzwischen dem gepflegten Dreitage-Bart eines internationalen Filmstars. Zum schwarzen Blazer mit Krawatte trägt er grau gestreifte Hosen à la Stresemann. Den ganzen Wirbel um das Todesurteil gegen Pervez Kaambaksh kann er nicht verstehen. Gotteslästerung, so sagt er, sei ein überaus ernst zu nehmendes Verbrechen. O-Ton Gouverneur Ata Mohammed)Dari Übersetzer 5: In Afghanistan setzt die Verfassung der Meinungsfreiheit gewisse Grenzen. Und das gilt insbesondre dann, wenn der Islam betroffen ist. Wenn es um den Islam geht, müssen wir das bestehende Recht ganz besonders respektieren. Autor: Hat er auf die Verhaftung Einfluss genommen, ging es möglicherweise darum, die Berichterstattung von Kaambaksh' Bruder, Yaqub Ibrahimi, zu stoppen? Der Gouverneur weist das zurück. O-Ton Ata Mohammed, Gouverneur:Dari Übersetzer 5: Wir haben die ganze Sache von Anfang an ausschließlich der Staatsanwaltschaft überlassen, und das war gut so. Wir haben nie gewollt, dass die Affäre die Ausmaße annimmt, die sie jetzt angenommen hat. Die Medien und Kaambaksh' Familie haben den Fall künstlich aufgebläht, einzig und allein, um Pervez Kaambaksh zu helfen, ins Ausland ausreisen zu können. Einige Leute, unter anderen auch einige seiner Mitstudenten haben ein Verfahren gegen Kaambaksh angestrengt. Zwischen ihnen und Kaambaksh gab es einen Konflikt. Hätte der hiesige Chef des Inlandsgeheimdienstes nicht eingegriffen und Pervez in Verwahrung genommen, wäre Pervez möglicherweise von seinen Kommilitonen gelyncht worden. Mit der Verhaftung hat ihm der Inlandsgeheimdienst das Leben gerettet. Autor: Pervez' Mitstudent, Abdullah Hasib, zeichnet ein ganz anderes Bild. O-Ton Abdullah Hasib: We are 40... Übersetzer 2: In unserer Klasse sind wir 40 Studenten. Doch außer den besagten Vier, stehen alle hinter Pervez. Sie wissen, dass er keinen Artikel mitgebracht hat. Aber sie können nicht die Wahrheit sagen, sie fürchten um ihre Sicherheit. Insbesondere die zehn Frauen, die in unserer Klasse sind. Sie sind alle für Pervez, können sich aber nicht entsprechend äußern. Ihre Familien fürchten um ihre Sicherheit. - about Pervez now Autor: Steht der Gouverneur der Nordprovinz selbst hinter der Anklage? Hat er sich eines frustrierten Professors bedient; hat er den Rat der Geistlichen selbst aktiviert und schließlich mithilfe eines käuflichen Richters auf das Todesurteil hingewirkt? Oder hat er entsprechende Entwicklungen gefördert, als sie bereits in Gang gekommen waren? Warum sind vor Gericht Entlastungszeugen wie Abdullah Hasib nicht zugelassen worden? Oder wie Hamid Nabil, ein anderer Kommilitone der seine Aussage gegen Kaambaksh in einer schriftlichen Erklärung widerrief? Atmo: Prozess O-Ton Abdullah Hasib:Hamid ... . Übersetzer 2: Hamid erzählte mir, dass er beim Inlandsgeheimdienst geschlagen worden sei und man ihn mit Gewalt gezwungen habe, Pervez zu belasten.(/HR II, Tr. 11, 10:21:They warned)Die Beamten dort drohten ihm: Wenn du die Aussage gegen Pervez nicht schreibst, dann wird deine Familie zu leiden haben. Aber bei der Berufungsverhandlung in Kabul (/) entschied sich Hamid, die Wahrheit zu sagen. Es wurde ihm klar, dass wenn er jetzt nicht sprechen würde, Pervez ganze Zukunft auf dem Spiel stehen würde. Autor: Tillman Schmalzried, der als Afghanistan-Koordinator den Prozess für die 'Gesellschaft für bedrohte Völker' beobachtet, hat keinen Zweifel: Der eigentliche Ursprung des Blasphemieverfahrens sei die journalistische Arbeit von Pervez Kaambaksh' Bruder Sayeed Yaqub Ibrahimi O-Ton Tillmann Schmalzried: Der Norden Afghanistans wird beherrscht von Warlords. Das sind die Warlords, die Afghanistan in den 90er Jahren in einen Hexenkessel verwandelt haben. Es sind Generäle des 30-jährigen Krieges, die nur mit Menschenrechtsverletzungen an der Macht bleiben können. Und genau diese Leute haben jetzt wieder das Sagen im Norden. Yaqub Ibrahimi legt ihre Tätigkeiten als Menschenrechtsverletzer bloß. Und er legt die Strukturen dieses Warlord-Netzwerkes bloß, das ist das Interessante an seiner Arbeit, was ihn über andere Journalisten eigentlich hinaushebt. Er wurde gefährlich, so dass er ab Anfang 2007 Morddrohungen bekommen hat, als sie dann gemerkt haben, dass (/) sein Mut groß genug ist, um sich nicht beeindrucken zu lassen, haben sie die Familie selber bedroht. Und als diese Drohungen gegen die Familie auch nicht ausreichten, haben sie den Bruder vor Gericht gebracht mit einer letztlich gefälschten Anklage. Autor: Ausführendes Organ, so Schmalzried, sei zwar der Inlandsgeheimdienst der Nordprovinz von Balkh gewesen. O-Ton Tillman Schmalzried: Allerdings kann dieser Geheimdienst auch nur agieren, weil er Ata Mohammed untersteht, dem größten Warlord des Nordens. Atmo:Markt Autor: Während Pervez Kaambaksh im Gefängnis auf die Fortsetzung des Berufungsverfahrens wartet, geht an der afghanisch-tadschikischen Grenze der Schmuggel weiter. Zitator (Händler): "Ich war früher selbst ein Warlord." Autor: ... gibt in einer von Yaqub Ibrahimis Reportagen ein Händler zu Protokoll Zitator: Aus dieser Zeit habe ich noch Verbindungen. Wir verfügen über Freunde in den örtlichen Behörden, auch in der afghanischen Regierung. Vom Gewinn bekommt jeder seinen Teil ab. Beim Tauschgeschäft von Heroin gegen Waffen ist eine unglaubliche Menge Geld zu machen. Besonders, wenn die arabischen Zwischenhändler auf unserem Markt auftauchen. Dann schnellen die Preise in die Höhe. Ich kenne Leute, die sich von den Erträgen in Dubai oder anderen arabischen Ländern Luxuspaläste gebaut haben." O-Ton Oberstleutnant Zaude: Also ein Umschlagplatz für Waffen oder ein Bereich, wo das passiert, ist mir nicht bekannt. Ich kann Ihnen das nicht bestätigen. Uns liegen hier, zumindest mir keine Erkenntnisse vor, dass dort ein reger Austausch stattfindet. Autor: Nach offizieller Auskunft der Bundeswehr gibt es das Problem nicht. Oberstleutnant Zaude, Sprecher von General Weigt, dem Kommandeur des deutsch geführten Regionalkommandos Nord: Oberstleutnant Zaude: Durch unsere gemeinsamen Maßnahmen mit den afghanischen Sicherheitskräften haben wir es geschafft, hier eine Region relativer Sicherheit zu schaffen. Im Vergleich zu anderen Regionen ist es sicher. Aber das heißt nicht, dass in diesem Sicherheitsfeld die Taliban besser in der Lage sind, mit Waffen zu schmuggeln. Das heißt, dass gerade das Gegenteil der Fall ist, dass aufgrund des hohen Sicherheitsstandards wir ein Umfeld geschaffen haben, dass gerade das nicht möglich wird. Autor: Hätte die Bundeswehr das Mandat, einen Waffen- und Drogenschmuggel zu stoppen? O-Ton Oberstleutnant Zaude: Wir haben in erster Linie einen Auftrag als Polizei-Lead-Nation, diese zu unterstützen. Und den Rest, also, wenn Opium... das kann ich Ihnen ehrlich nicht sagen, da weiß ich nicht, wie weit wir da sind. Ich glaube nicht, dass wir ... ob wir da 'n Mandat haben, muss ich sagen: muss ich passen. O-Ton Ata Mohammed:Dari Übersetzer 5: Die deutschen Truppen sind bisher niemals direkt gegen Schmuggelaktivitäten eingeschritten. Ich bin sehr glücklich, dass sie bei allen ihren Operationen eng mit uns kooperieren. Ein direktes, mit uns nicht abgestimmtes Eingreifen, würde ich unter keinen Umständen dulden. Autor: Doch allen Mißerfolgen beim Aufbau eines modernen Rechtsstaates zum Trotz: Es gibt ihn wirklich, den belesenen, bildungsbeflissenen Afghanen, der sich für Demokratie und Menschenrechte engagiert. Atmo: Hallo - Pervez? Autor: Manchmal gelingt es Abdullah Hasib, seinen Freund Pervez über ein eingeschmuggeltes Handy im Gefängnis zu erreichen. Stimme Abdullah Hasib, Dari - Antwort Stimme Pervez Kaambaksh, entfernt am Telefon Autor: Und dann bittet Pervez meistens, ihm neue Bücher ins Gefängnis zu schicken. Atmo:Stimme Abdullah Hasib: There are... the police. I think he can not talk now ... die Verbindung bricht ab, geht über in rhythmisches Piepen. Musik: "Marsch der Bundeswehr" Absage: "Wir respektieren die Kultur" Im deutsch kontrollierten Norden Afghanistans Ein Feature von Marc Thörner Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2009 Es sprachen : Frank Arnold, Daniel Berger, Hüssein Cirpici Ton und Technik: Karl-Heinz Stevens und Jürgen Hille Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Karin Beindorff 27