COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Falladas Kugel als Ausstellungsstück - Reliquien von Literaten in Museen - Autor Matthias Biskupek Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 17.10.2011 - 13.07 Uhr Länge 17.25 Minuten Moderation "Ich geb die Intendanz auf! Weimar ist mir verleydet. Mir träumt, ich wär zurück in meinem schönen Frankfurt! Gedicht. Aus Trotz uff frankforderisch! J.W.G." Die Reliquie eines Stoßseufzers vom 13.04.1817 aus der Hand von Goethe sähen wir gerne in einer Museumsvitrine. Nun, es war mal ein schöner 1. April-Scherz der WELT. Andere Reliquien sind es nicht. Im Herbst vor 100 Jahren titelten Zeitungen: "Tödliches Selbstmord-Duell am Uhufelsen!!" Der Gymnasiast Rudolf Ditzen, später als Schriftsteller Hans Fallada weltbekannt geworden, hatte sich mit seinem Schulkollegen Hanns Dietrich von Necker ein Duell geliefert. Dabei tötete er Necker und verletzte sich selbst schwer. Diese einschneidende Episode im Leben des Rudolf Ditzen hatte ein Nachleben. Die Prozessakten samt jener Kugel, die aus Falladas Körper herausoperiert wurde, lagerten Jahrzehnte im Rudolstädter Staatsarchiv. Jetzt gelangte das Material als Leihgabe ins Fallada-Museum Carwitz, man kann die Kugel dort in einer Glasvitrine bewundern, zumindest jedenfalls anschauen. Matthias Biskupek lässt nun die Ereignisse von 1911 noch einmal Revue passieren. Er verfolgte die Spur der Kugel von Thüringen nach Mecklenburg und sprach mit Archivaren und Museumsleuten über die Bedeutung von literarischen Reliquien angesichts von Jubiläen. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag Atmo Wald, Sägegeräusch AUT Wir sind an jenen Ort gewandert, an dem die Tragödie stattfand. Doch außer einer sehr fernen Motorsäge hören wir nichts. Atmo Wald, Sägegeräusch AUT Und sehen vor allem Gestrüpp. Die Wege sind lange nicht begangen, die Natur holt sich langsam zurück ... Atmo Wasser AUT ... was vor hundert Jahren ein beliebter Ausflugsort oberhalb von Quellen und Bächen war. Der Uhufelsen bei dem Dorf Eichfeld. Zwei Männer aus dem Ort unten waren auch lange nicht mehr droben. E 01 Zwei Eichfelder Hinter der Kanzel war doch mal so ne Bank - Jaha - Direkt an der Kanzel - Da stehen jetzt - und weiter hinten war noch ne Bank - ganz hinten - weiter hinten, wo de nach Keilhau gucken kannst - kannste jetzt ooch nich mehr hintergucken, ist alles zugewachsen ... AUT Zugewachsene Geschichte. Hier fand am 17. Oktober 1911 das statt, was bis heute in den Akten des Staatsarchivs zu Rudolstadt penibel nachlesbar ist. Wissen die Dorfbewohner um diese Geschichte? E 02 Eichfelder No gor nischt. Kennt gar keener mehr. - (...)- Heechstens noch ä paar Alte, dass die noch was wissen... AUT Auch Uralte dürften jene Zeit nicht mehr selbst erlebt haben, als im nahe liegenden Rudolstadt der Fürst Günther Victor vom Stamme der Schwarzburger residierte, das Kaiserreich Deutschland mit Sedans-Denkmalen prunkte, ein geselliges Leben in Theatervereinen gepflegt wurde und Heranwachsende - wie in Frank Wedekinds "Frühlings Erwachen" beschrieben - mit sexuellen und sonstigen Nöten allein gelassen waren. E 03 Eichfelder Da gabs ä Buch, da stand das drinne, aber wo war das ... AUT Der Ortsbürgermeister hat das Buch offenbar gelesen. E 04 Bürgermeister von Eichfeld Ich weiß zum Beispiel, dass die in Rudolstadt zur Schule gegangen sind und das da irgendwie über ä Mädschn, also die haben wahrscheinlich, nehm ich an, das Mädschn zusammen geliebt, jeder wollt se wahrscheinlich habe und da sind sie in Streit geraten und da gabs ähmd das Duell und da sind sie ähmd früh beizeiten los und sind aufm Uhu-Felsen und da oben ham se sich duelliert. Einer is zu Tode gekommen. Und der andere ist schwer verletzt hier unten ins Gasthaus reingebracht worden. AUT Ein Experte von heute beschreibt uns anhand von Foto und Skizze, wo dieses Duell stattfand. E 05 Dr. Knüppel Ja und hier stehen wir vor einem Bild, das die Lichtung auf dem Uhufelsen zeigt, der als wahrscheinlicher Tatort gilt, (...) man kann das nicht mehr so richtig rekonstruieren, wo das stattgefunden hat, haben könnte, ich war leider noch nicht da und da verlass ich mich so ein bisschen auf die Biografen, die Leute, die die Ausstellung gemacht haben und auch was Sie sagen, dass es sehr schwer ist, diesen wirklichen Tatort zu rekonstruieren. AUT Die Vorgeschichte jenes Duells: Rudolf Ditzen, achtzehnjähriger Sohn eines Leipziger Gerichtspräsidenten, soll zur Kräftigung seiner Nerven in der Klein- Residenz Rudolstadt das Abitur machen, fern vom messestädtischen Sündenbabel. Hier aber spielt er Theater, lässt sich im Gymnasialverein "Literaria" vor der Pörzbierhalle fotografieren, freundet sich mit einem jüngeren Gymnasiasten an - doch lassen wir den Chronisten sprechen. Werner Liersch. In seiner Biografie über Hans Fallada - so nannte sich jener Rudolf Ditzen später als Schriftsteller - hat er den Hergang beschrieben. SPR Erna Simon und ihre Freundin Charlotte Stefani sind in Rudolstadt auf dem "Bummel". Es ist Montag, der 16. Oktober. Charlotte Stefani kennt Rudolf Ditzen nicht, dafür aber aus der Tanzstunde um so besser Hanns Dietrich von Necker. Rudolf Ditzen geht mit Erna Simon allein ein Stück weiter. Als die Paare sich wiedertreffen, sagt Necker zu Charlotte Stefani: "Ich muß ihm etwas sagen. Weil ich sein Freund bin, tue ich es." Necker nun zu Ditzen: "Harry, Du weißt doch, daß du mir nicht mit Fräulein Simon gehst!" Wieder an der Seite von Stefani erklärt er ihr, jetzt habe er den Freund verärgert. Sie hätten sich entzweit, es sei etwas sehr Unehrenhaftes dabei. Abends gegen achtzehn Uhr begegnet Erna Simon Rudolf Ditzen in der Schillerstraße. Sie erkundigt sich nach dem Ausgang der "Affäre". "Ich werde mich mit Necker schießen!" heißt die Antwort. AUT Der Theatereleve Ditzen hat ein Spiel inszeniert. Ein tödliches Spiel, das an diesem Nachmittag geprobt wird. SPR Oberst von Busse sieht die Freunde in bestem Einvernehmen. Sie bitten ihn um Erlaubnis, mit dem Tesching seiner Söhne im Garten auf Spatzen schießen zu dürfen. Busse hat nichts dagegen, auch nichts, daß sie später auf eine Scheibe schießen. AUT Der folgende Tag, der 17. Oktober 1911: SPR Um viertel sechs brechen sie zum Uhufelsen auf, den sie bei Sonnenaufgang gegen sieben Uhr freundschaftlich plaudernd erreichen. Sie streifen auf einer kleinen Lichtung im Walde umher, besteigen dann den Aussichtspunkt am Uhufelsen, rauchen, unterhalten sich und gehen schließlich wieder zu der Lichtung. Atmo Wasser, Atmo Wald, Sägegeräusch SPR Zu dieser Zeit ist der Bauer August Voigt aus dem nahen Eichfeld auf einem nur wenige Minuten vom Dorf entfernten Feld dabei, Dornbüsche zu roden. Es ist halb neun, da taumelt ein junger Mann den vom Uhufelsen kommenden Weg herab. "Helfen Sie mir doch, helfen Sie mir doch, stöhnt er immer wieder. Helfen Sie mir doch, mein Vater bezahlt ja alles." AUT Wir können uns das Haus anschauen, in das der schwer verletzte Ditzen gebracht wurde. Denn ehemalige Gasthäuser, die kennt man bis heute. E 06 Eichfelder Das war das Stockmannsche Gasthaus, ja SPR Man bettet Rudolf Ditzen dort auf ein Sofa. Er friert und ist völlig stumm. Neugierige drängen in das Zimmer, der Pfarrer Moeller telefoniert nach einem Arzt, der Tierarzt Krüger kommt, und bald ist auch Sanitätsrat Dr. Strauch aus Rudolstadt mit seinem Automobil da. Rudolf Ditzen wird in das Rudolstädter Krankenhaus gebracht. Dort wird festgestellt, daß ein Schuss das Herz gestreift und die Lunge verletzt hat. Necker findet man tot am Uhufelsen. Zwischen seinen Beinen liegt der Revolver, rechts von ihm das Tesching Ditzens. AUT Bereits am andern Tag steht der Vorfall in der "BZ am Mittag": SPR "...ein auf ungewöhnliche Weise in Szene gesetzter Doppelselbstmord zweier zwar begabter, aber idealistisch veranlagter, nervenüberreizter junger Menschen, die sich zu schade für diese schlechte Welt gedünkt haben und in Schönheit sterben wollten." AUT Ditzen kommt ins Krankenhaus, dann in Untersuchungshaft. SPR "Verbrechen gegen die §§ 205, 206 und 208 des StGb. Die Untersuchungshaft wird verhängt, weil ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet und daher Fluchtgefahr begründet ist." AUT Doch es gab auch damals den berühmten Paragraphen 51. "Ein Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit." Der Untersuchungsrichter in Rudolstadt lässt die Anklage fallen. Die Akten werden eingelagert. Ditzen kommt nach Jena, dann nach Tannenfeld, wird landwirtschaftlicher Eleve. Der Jenaer Historiker Daniel Börner hat für eine Ausstellung über diese Zeit erst kürzlich den 36-seitigen Lebenslauf des Patienten veröffentlicht, den dieser in der Psychiatrie schreiben musste. Rudolf Ditzen hat auch als Hans Fallada später mit der Justiz zu tun, verbringt Jahre im Gefängnis, bevor die relativ glückliche Zeit in Carwitz bei Feldberg folgt. 1947 stirbt er. Alkohol, Scheidung, Morphium - und hohe Buchauflagen bis heute. Die Prozessakten aus dem Jahr 1911 lagern bis zum Frühling 2011 in Rudolstadt. Im Staatsarchiv auf der Heidecksburg. Dessen Leiter Dieter Marek: E 07 Marek Als ich (...) nach Rudolstadt gekommen bin und zum ersten Mal diese Kugel in der Hand hatte, da sagte ich mir schon beim ersten Mal, warum sollte man dieses Exponat, dieses Lebenszeugnis nicht einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung stellen - und logischerweise dachte ich damals an das Fallada-Museum in Carwitz als den dafür prädestinierten Ausstellungsort. AUT Diesen Ort sehen wir uns an. Dr. Stefan Knüppel, Leiter des Fallada-Museums Carwitz, kennt - und liebt - sein kleines, feines Museum. Inmitten einer weiten Seenlandschaft, fernab dunkler hinterwäldlerischer Schusswaffenduelle. E 08 Dr. Knüppel Hier stehen wir auf der Terrasse. Fallada ließ das Anwesen 1934, nachdem er im ersten Jahr dafür gesorgt hatte, dass das Haus einigermaßen bewohnbar wird, sehr umfangreich, auch teuer aus- und umbauen. Man sieht das schöne Anwesen, man sieht Falladas Bienenhaus,(...) man sieht Paddler, die vorbeifahren (...) die sehn denn wiederum uns, man hört oft, weil der See ja so schön überträgt - guck mal, das ist doch das Fallada-Haus! - und dann legen die gerne an und dann komm' sie zu uns. Und wenn wir den See überqueren, nach links, ist man auf der anderen Seite bereits in Brandenburg. Wir sind ja Mecklenburg-Vorpommern und der See ist an dieser Stelle die Landesgrenze zwischen den beiden Bundesländern. AUT Doch mitten in diesem norddeutschen Idyll wird ein oft wüstes, krankes Leben dokumentiert. Der Rudolstädter Archivar: E 09 Marek Weil wir ja alle wissen, dass das Leben von Hans Fallada aus vielerlei Verletzungen bestand und am Ende als eine große Wunde dargestellt werden kann, die sich aus vielen kleineren zusammensetzt, die er sich in der Regel auch selbst zugefügt hat. (...) Die Verletzungen, die dieses Leben erfahren hat, kulminiert ja in dieser (...) Pistolenkugel, die man dem jungen Gymnasiasten (...) Hans Ditzen aus dem Leib geschnitten hat. AUT Deshalb ließ Dieter Marek die Idee auch nicht los, diese Asservate, wie man sie nennt, angemessen zu präsentieren. E 10 Marek Nun ergab sich einige Jahre später (...) die (...) Möglichkeit (...) diese fixe Idee von 2002 auch zu realisieren und zwar auf dem Weg (...) der stillen Post. Als der Herr Börner hier diese Ausstellung in Jena über Hans Fallada vorbereitete, hatte ich ihn auch betreut und ihm die Akte gezeigt und mal so nebenbei im Gespräch fallen lassen: Wenn denn das Fallada-Museum in Carwitz Interesse an einer Ausleihe dieser Kugel hätte, würde ich mich diesem nicht verwehren. AUT Und so gingen Teile der Gerichtsakte auf die Reise nach Mecklenburg ... E 11 Marek (...) Wir haben diese Kugel und diese Zigarettenreste (...) dem Fallada-Museum in Carwitz auf der Grundlage einer unbefristeten Leihgabe erst einmal übereignet oder in den zeitweiligen Besitz übergeben (...) AUT ...und kamen dort wohlbehalten an. Dr. Stefan Knüppel ist hochzufrieden: E 12 Dr. Knüppel Also hier in unserer Vitrine haben wir einige der Sachzeugen - also alle Sachzeugen, die in der Akte waren - und auch einiges an Archivmaterial ausgestellt, unter anderem die Pistolenkugel, die ja in Falladas Brust steckte. Nachdem Fallada seinen Freund erschossen hatte, schoss er zweimal auf sich selbst. Eine Kugel konnte entfernt werden, diese, die andere ist wohl in seinem Körper verblieben, an die hat man sich nicht rangestraut. Und diese Kugel ist dann auch in die Akte eingegangen. Darunter sieht man einen Stofffetzen, von denen die Kriminalisten am Tatort nicht so recht wussten, offensichtlich, worum es sich dabei handelt, aber, die gehen davon aus, so steht es in der Akte, dass dieser Stofffetzen von einer Schleife stammen könnte, die sich von Necker über der Brust befestigt hat, damit sein Gegner, sein Freund, Fallada, besser traf, oder trifft. Und darunter wiederum Tabakreste, Zigarettenpapierreste. Die beiden haben am Tatort, wenn man ihn so nennen möchte, noch viele Zigaretten geraucht, haben sich lange unterhalten, und auch solche Dinge sind natürlich als Beweismittel in die Akte eingegangen. AUT Literaturmuseen müssen vor allem Papier ausstellen: Bücher, Plakate, Verträge, Manuskripte. Über einen angeknabberten Füllfederhalter freut man sich, ebenso über die "Orga Privat" oder die "Erika" von Anno dunnemals, in die der jeweilige Meister seine Texte hineinhämmerte. Ein authentisches Schreibpult ist oft Blickpunkt einer Ausstellung. Und wenn eine echte Zigarette des Schriftstellers - durch Zufall per Gerichtsakte - bis in unsere Tage kam, ist das ein Glücksfall. Im Zeitalter der Elektronik kann allerdings jedes Original - quasi kundenorientiert - vergrößert werden ... E 13 Dr. Knüppel So dass wir vom Thüringischen Staatsarchiv freundlicherweise Digitalisate bekommen haben, sehr gut zu verwenden, und daraus kann man natürlich auch hervorragende Kopien ziehen und so weiter und vor allem kann man damit natürlich auch hervorragend arbeiten. AUT Zum Beispiel mit der von Kriminalisten und dem Delinquenten Ditzen angefertigten Tatortskizze. E 14 Dr. Knüppel Ja hier stehen wir vor einer Skizze, die am Tag nach dem Vorfall, nach dem Duell, nach dem Doppelselbstmordversuch angefertigt wurde. Nicht von Fallada, nicht von Ditzen, sondern Ditzen musste mit Kreuzen markieren, wo die Schützen standen. Hier ist sie natürlich sehr vergrößert, damit sie Teil der Ausstellung sein kann. Auch diese Tatortskizze ist aus der Akte, die ja natürlich weiter im thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt verbleibt. AUT Denn im an Reliquien reichen Thüringen konzentriert sich dennoch viel zu viel auf Weimar. Davon ist zumindest der Rudolstädter Archivar überzeugt. E 15 Marek Was auch für mich wichtig ist, und ich spreche hier auch für das Staatsarchiv Rudolstadt, ist die Tatsache, dass man mit diesem Exponat, (...) auch verdeutlicht, dass eben die kulturhistorische Landschaft Thüringens nicht nur aus Weimar besteht, was in der Außensicht oftmals so verstanden werden könnte ... AUT Obwohl nun gerade diese Reliquie, jene Pistolenkugel, die im Körper Hans Falladas steckte, nicht mehr in Thüringen zu besichtigen ist. Was über ein Jahrhundert hinweg allerdings nur aus wissenschaftlichen Gründen, mit Voranmeldung und Termin und Unterschrift, möglich war. E 16 Marek Man muss auch der Gerechtigkeit halber sagen, dass natürlich diese Kugel und vor allem die Tabakreste und diese Stoffschleife durch die Lagerung in dieser Verwaltungsakte konservatorisch auch nicht besser wurden. Und diese wirklich museologisch fachgerechte Präsentation in Carwitz, denke ich, dient der historischen Überlieferung dieser Lebenszeugnisse (...) AUT Bleibt die Frage: Was sind wirkliche Lebenszeugnisse, literarische Reliquien, wenn wir sie so nennen wollen? Nur die Original-Locke von Goethe? Nur jenes Gedicht, das eine Dichterin später weltberühmt machte? Der Archivar ist ohnehin davon überzeugt, dass die Kugel aus Falladas Körper keine wirkliche literarische Reliquie darstellt. E 17 Marek ... weil er zum Zeitpunkt dieses Duells und dieses Ermittlungsverfahrens gegen ihn ja noch nicht der weltberühmte Schriftsteller Hans Fallada gewesen ist. Das stand ja ganz am Anfang seiner Lebenslaufbahn. Als Schriftsteller hatte er damals nur dilettiert. AUT Sind aber nicht gerade jene Zeugnisse, die lange vor späterer Berühmtheit entstanden, genau die Dinge, die uns himmelhoch jauchzen lassen oder zu Tode betrüben? Der unerwiderte pubertäre Liebesbrief oder die einen Georg Büchner anregende Gerichtsakte über den Mörder Woyzeck? Obwohl von den meisten Dichter-Leben bis heute scheinbar Unspektakuläres zeugt. Wie der ganz normale Familien-Esstisch des Schriftstellers Fallada: E 18 Dr. Knüppel Hier wurde nicht nur zu Feiertagen (..) eingedeckt, mit weißen Tischdecken und silbernen Bestecken und Messerbänkchen - es war Alltag. AUT Das blieb erhalten; normaler Alltag. Die Plätze jäh und früh einschneidender Ereignisse hingegen finden wir günstigen Falles in Akten. Wie jenen Ort, der für Fallada lebensbedrohend und lebensentscheidend war. Zugewachsen und schlecht auffindbar ist die Duell-Lichtung. Das erfuhren wir am Anfang, bei unserer ersten Tat-Orts-Besichtigung. Da nützen uns Beschreibungen der alten Eichsfelder auch weiterhin wenig. E 19 Zwei Eichfelder ... Hinter der Kanzel - war doch mal so ne Bank - jaha - direkt an der Kanzel - Da stehen jetzt - und weiter hinten war noch ne Bank - ganz hinten - weiter hinten, wo de nach Keilhau gucken kannst - kannste jetzt ooch nich mehr hintergucken, ist alles zugewachsen ... AUT Besäßen wir ein Digitalisat des Geschehens vor hundert Jahren, mit O-Tönen, mit einer Handy-Fotostrecke, durch die Duellanten vor ihrer makabren Tat ins Netz gestellt, könnte ein - man muss es wohl so formulieren: lebendiges Museum dieser tödlich verlaufenen Angelegenheit entstehen. Doch ohne solche heute zeittypischen Zugaben konzentrieren wir uns auf das derzeit noch immer wichtigste Hilfsmittel literarischer Museen. Auf die Phantasie des Betrachters. Und diese Phantasie hat bis heute genug Anregung. Angesichts einer Kugel, nicht größer als ein paar Millimeter. -Ende Script-