COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschland- radio Kultur benutzt werden. Sendung: Forschung und Gesellschaft Autor: Matthias Baxmann Redaktion: Kim Kindermann Sendedatum: 21.2.2013 Titel: Stress im Mutterleib Die Bindungsanalyse in der pränatalen Forschung __________________________________________________________ Musik O-Ton Kollage/ O-Ton 1 Baller Man sagt immer, dass ein Drittel der Frauen erleben ihre Schwangerschaft als besonders schöne Zeit, ein Drittel der Frauen so als, ja, OK, und ein Drittel erleben sie aber auch als eine ganz besonders schwierige Zeit im Leben. O-Ton 2 Jans-Ottomann Das Eigentliche ist die Bindung, die hergestellt wird und gefördert wird. O-Ton 3 Hüther Und dann darf man doch fragen, was sind denn die wichtigen Erfahrungen, die ein ungeborenes Kind macht, und da gibt es eigentlich nur diese Zwei: Ich bin verbunden. Das ist natürlich keine kognitive, formulierbare Erfahrung, aber das ist eben, was ihm passiert ist. Und wenn man so ein Embryo fragen könnte: Was war dir das Wichtigste? Dann wird der sagen, ich war verbunden, und ich bin gewachsen. Musik noch mal hoch, dann weg Sprecherin: Wie wichtig eine gesunde Bindung zwischen einer Mutter und ihrem ungeborenen Kind ist, erforschen Wissenschaftler seit den frühen 1990er Jahren. Denn die Zeit im Mutterleib und die Geburt prägen ein Leben lang. Mehr noch. Stimmt die Beziehung ist das der beste Schutz vor Krankheiten, davon waren jedenfalls die Begründern der Bindungsanalyse, die ungarischen Psychoanalytikern Jenö Raffai und György Hidas (gesprochen "Hidasch"), überzeugt. O-Ton 4 Blazy: Raffai und Hidas entdeckten in ihrer Arbeit mit psychotischen Jugendlichen, dass deren Traumatisierungen sehr frühe waren, so dass sie dazu kamen, anzunehmen, es sind vorgeburtliche und geburtliche Störungen, die da vorrangig diese jungen Leute psychotisch machen. Sprecherin: Erklärt Helga Blazy. Sie ist eine der führenden Expertin für Bindungsanalyse in Deutschland und Vizepräsidentin der Internationalen Gesellschaft für Pränatale Psychologie und Medizin. O-Ton 5 Blazy Also, sich innerlich nicht von der Mutter lösen können, sich wie ein Organ, ein Stück der Mutter zu fühlen und Todesangst zu erleben, wenn sie den Gedanken auch nur an Trennung haben. Sie erwogen, man solle dann das Problem bei der Wurzel angehen und Schwangeren die Möglichkeit geben, günstiger schon in der Schwangerschaft zu erfahren, dass sie und ihr Kind zwei unterschiedliche Wesen sind. Das ist dann der prophylaktische Ansatz. Der weitere Ansatz, der sich dazu entwickelte, geht darauf hin, auch frühe Störungen wie Fehl- oder Frühgeburten zu Folge hätten mit Bindungsanalyse zu behandeln und herauszufinden, was psychisch das Problem ist. Trenner bitet Regie besorgen: Krankenhaus mit entsprechenden Instrumenten kurz stehen lassen, dann unterlegen, immer mal wieder hörbar stehen lassen, bis nach O-Ton 8 O-Ton 6 Seibel: Ich hatte mit meinem ersten Kind eine traumatische Krankenhausgeburt, weil ich auch wie sehr viele Frauen der Meinung bin - war, dass das auf jeden Fall der beste Weg ist, ins Krankenhaus zu gehen. Da ist alles sicherer und da kann jeder sofort eingreifen, wenn irgendwas schief geht. Sprecherin: Claudia Seidel, 37 Jahre alt. Bei ihrer Entbindung kam es nach einer Kaskade medizinischer Eingriffe wie Päridualanesthesie, Urinkatheder und Wehentropf zu einem Geburtsstillstand. Nach Stunden im Kreissaal, umgeben von Schläuchen und Kabeln und ohne eine ihr vertraute Geburtsbegleitung fühlte sie sich verloren. Sie gab auf und überließ die weitere Verantwortung dem Personal und den Apparaten. O-Ton 7 Seibel: Man ist halt in einem Krankenhaus, wo man auch wie ein kranker Mensch behandelt wird und nicht wie eine Frau, die auf natürlichem Wege ihr Kind zur Welt bekommt. Sprecherin: Jetzt ist Claudia Seidel ein zweites Mal schwanger. Sie ist im 7. Monat und hat sich entschieden, dass sie dieses Mal besser vorbereitet sein will. O-Ton 8 Seibel: Ich hatte jetzt so massive Ängste, dass sich das wiederholt und wollte halt gerne daran arbeiten, alles, was ich dafür tun kann, dass das nicht noch mal passiert, zu tun. Sprecherin: Schon während der Schwangerschaft mit ihrem ersten Kind hat Claudia Seibel einen Geburtsvorbereitungskurs besucht. Darin ging es um praktische Fragen, wie den Geburtsablauf, das Stillen, das Wochenbett und die medizinische Untersuchungen. Die emotionale Begleitung der Frau war - und ist in den meisten Fällen auch heute noch - kein fester Bestandteil dieser Kurse. O-Ton 9 Flade: Ich glaube, für die Klinikhebammen ist es manchmal sehr, sehr schwierig, weil sie die Frauen nicht vorher kennen. Sprecherin: Anne Flade arbeitet als freiberufliche Hebamme in einer Berliner Praxis für Geburtsvorbereitung. O-Ton 10 Flade: Die lernen die an der Kreißsaaltür kennen und sollen dann so gut wie möglich unter der Geburt begleiten. Und ich glaube, dass gerade in solchen Stellen, wo es wirklich problematisch war im Leben einer Frau oder es schon es schon zu frühen Verletzungen kam, zu Traumatisierungen, die eben verhindern, dass eine Frau offen ist für eine Geburt, die kann man gar nicht in so kurzer Zeit abfangen als Hebamme, die die Frau gerade kurz vor der Geburt kennen lernt. Sprecherin: Anne Flade betreut Frauen über die gesamte Schwangerschaft und im Wochenbett. Die Geburt in einem Krankenhaus darf sie allerdings nicht begleiten. So will es der Gesetzgeber. Freiberufliche Hebammen können eine Geburt meistens nur dann begleiten, wenn sich die Schwangere für eine Entbindung in einem Geburtshaus entschließt. Noch machen das nur etwa 4 Prozent der werdenden Mütter in Deutschland. Der Rest entbindet im Krankenhaus. Aus Gründen der medizinischen Sicherheit, weniger weil die Frauen dort emotional gut versorgt werden. O-Ton 11 Seibel: Ich denke, dass, was man wirklich braucht bei einer Geburt ist dieses volle Zutrauen in sich selbst, in seine Kräfte, niemand der alle fünf Minuten fragt, kommt's jetzt, ist es soweit? Was, Geburtsstopp? Schnell noch mal einen Wehentropf und ständige Untersuchungen und immer wieder dieses Rausbringen aus diesem Gefühl: Ich bin Eins mit meinem Kind, und ich kann die Geburt schaffen. O-Ton 12 Flade: Je besser das Verhältnis zwischen Hebamme und Frau ist, desto höher schätze ich immer die Chance ein, dass man dann auch unter der Geburt der Frau hilfreich zur Seite stehen kann und möglicherweise sogar solche Art von Verletzungen, die dazu geführt haben, dass eine Frau sehr große Ängste hat, noch auffangen kann. Atmo Geburtsgeräusche, Babygrummeln (bitte von Regie besorgen) Sprecherin: Die Verletzungen und Ängste der Schwangeren können aber nicht nur die Geburt erschweren, sie können vor allem Auswirkungen auf die Bindung zwischen Mutter und dem ungeborenen Kind haben. Diese Bindung ist für den Verlauf von Schwangerschaft, Geburt und für die Entwicklung des Kindes von zentraler Bedeutung. Wie also können Mütter also in ihrer Beziehung zum Baby gestärkt werden? Wächst zwischen ihnen nicht ganz intuitiv eine intensive Bindung im Verlauf der Schwangerschaft trotz psychischer Belastungen der Mutter? O-Ton 13 Baller: Es ist schön, wenn das so ist, aber es ist keine Selbstverständlichkeit. Sprecherin: Wiebke Baller ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Berliner Sankt- Joseph-Krankenhaus. O-Ton 14 Baller: Natürlich gehört zur Schwangerschaft oft auch weniger Belastungsfähigkeit, psychische Schwankungen und wenn man dann im Beruf trotzdem der Meinung ist, man muss so seine Frau stehen, dann kann das ganz schnell zu Konflikten führen und dann kann es ganz schnell so sein, dass die Schwangerschaft nicht als schön erlebt wird. Sprecherin: Wiebke Baller bietet deshalb seit vier Jahren "SAFE"- Seminare für werdende Mütter und deren Partner an. "SAFE" steht für "Sichere Ausbildung für Eltern". O-Ton 15 Baller: Man sagt immer, dass ein Drittel der Frauen erleben ihre Schwangerschaft als eine ganz besonders schwierige Zeit im Leben. Und muss man eben aufpassen, dass das nicht zu einer Beziehungsstörung schon vor der Geburt zum Kind wird. Dass man unbewusst dem Kind das alles anlastet, dass man im Beruf nicht mehr so gut ist, dass man nicht mehr so fit ist, dass man nicht mehr so attraktiv ist. Sprecherin: Die SAFE-Seminare beginnen im 5. Schwangerschaftsmonat und werden bis zum Ende des ersten Lebensjahres in einer geschlossenen Gruppe von sechs bis acht Elternpaaren oder Müttern durchgeführt. Unter der Anleitung einer Therapeutin trifft sich die Gruppe einmal im Monat ganztägig an einem Samstag. O-Ton 16 Baller: Es gibt Untersuchungen, wie viel Prozent der deutschen Bevölkerung haben nach einem Lebensjahr eine sichere Bindung zum Kind? Gibt es ein standardisiertes Verfahren. In Deutschland sind wir bei 65 Prozent, die den von der Bindungstheorie, den klassischen Kategorien der sicheren Bindung entsprechen. Und dann fängt man schon sehr an, darüber nachzudenken, ob das wirklich so selbstverständlich ist mit dem Aufbau einer Bindung. Sprecherin: In den Theorie- und Praxisseminaren geht es um Gefühle und Phantasien während der Schwangerschaft, um die Kommunikation zwischen Vater, Mutter und dem Ungeborenen. Außerdem wird die Auswirkung der Schwangerschaft auf die Paarbeziehung thematisiert. O-Ton 17 Baller: Auch in der Schwangerschaft können Eltern schon eine Bindung zum Kind aufbauen Und das Kind spürt das, ob eine Ambivalenz im Raum steht oder ob eine Ablehnung im Raum steht oder ob eine positive Bindung aufgebaut wird. Sie spüren, ob Stress oder nicht Stress ist. Und das ist etwas, das müssen werdende Eltern - denen muss das bewusst sein, dass die fühlen können, dass die jeden Streit der Eltern mitbekommen, dass wenn Streit ist, geht das ganze Vegetativum hoch, Herz geht hoch, Blutdruck geht hoch, alles ist auf Alarmbereitschaft und die Durchblutung der Plazenta reagiert darauf. Und das kleine Wesen da drin reagiert auch da drauf. Und das ist etwas, das ist oft nicht so im Bewusstsein, wie diese kleinen Menschen alles mitbekommen. Musikakzent (bitte von Regie besorgen) Sprecherin: Claudia Seidel fühlt sich keinem äußeren Stress ausgesetzt, weder im Beruf, noch in der Partnerschaft. Sie und ihr Mann freuen sich auf das zweite Kind. Dennoch hat sie Angst vor der Geburt. Die 37jährige entschied sich deshalb für eine andere Art der Begleitung ihrer Schwangerschaft, die Bindungsanalyse. Und lernte so viel über die Gründe ihrer Angst: O-Ton 18 Seibel: Ich denke, dass meine Mutter sich dem nicht gewachsen gefühlt hat, damals mit mir schwanger zu sein, allein erziehend zu sein, ich auch abgetrieben werden sollte, ich gar kein Wunschkind war, gar nicht angenommen war von ihr, so dass die sich natürlich auch unter der Geburt mit Sicherheit gesträubt hat, mich zu empfangen und ich gefühlt habe, dass ich gar nicht willkommen bin und das auch als Kind unter der Geburt so gefühlt habe. Sprecherin: Die Bindungsanalyse ist eine psychotherapeutische Einzelbegleitung der Schwangeren und folgt anders als in den SAFE-Kursen keinem gruppendynamischen Ansatz. Doch ihr Ziel ist ebenso die Stärkung der Mutter-Kind- Beziehung während der Schwangerschaft, um eine komplikationsfreie, natürliche Geburt zu ermöglichen. Im Fokus stehen aber vor allem ungelöste traumatische Erfahrungen der werdenden Mutter aus der Zeit vor und während ihrer eigenen Geburt. O-Ton 19 Seibel: In der Bindungsanalyse habe ich in der ersten Sitzung gleich meine Geburt erlebt, wie unerwünscht ich mich gefühlt habe und was ich dabei für Schmerzen hatte und wie schrecklich das war, nicht willkommen zu sein. Und ich hatte irgendwie bei der Geburt meiner Tochter, die das absolute Wunschkind für uns war und ist, das Gefühl, dass ich sie nicht richtig annehmen konnte, und ich wusste nicht, wo das herkam? Wir wollten dieses Kind so gerne. Das hat so lange nicht geklappt und warum habe ich da so eine Blockade meinem Kind gegenüber. Das habe ich lange nicht verstanden. Ich glaube, ich bin in meiner Mutterrolle da gar nicht so gut angekommen. Wahrscheinlich, weil ich diese vorgelebte Parallele zu meiner Mutter, weil ich dem nachgeeifert habe oder weil ich keine Bestätigung hatte für mich in dieser Mutterrolle. Ja, ich sehe da extreme Parallelen. O-Ton 20 Janus: Es gibt Menschen, bei denen diese frühen Erfahrungen, gerade wenn sie belastend waren, sehr dicht unter der Oberfläche sind. Dass sie, sagen wir mal, ungewollt waren und Minderwertigkeitsgefühle oder mehr hatten und sich reinszenieren. Sprecherin: Ludwig Janus gilt als einer der Pioniere der Pränatalpsychologie in Deutschland. Er forscht zu möglichen Langzeitwirkungen von vorgeburtlichen und geburtlichen Belastungen. O-Ton 21 Janus: Die objektive Schwierigkeit im Zusammenhang mit der Einschätzung der Bedeutung der frühen Erfahrungen liegt darin, dass diese Erfahrungen in der vorsprachlichen Zeit gemacht werden. Wir fangen mit anderthalb Jahren, zwei Jahren an zu sprechen und sprechen dann über die Dinge, die dann passieren. Wir sprechen aber nicht über meine Geburt oder meine Plazentaerfahrung oder meine Nabelschnurerfahrung. Aber das ist gedächtnismäßig, vorsprachlich in uns - das ist auch forschungsmäßig geklärt - aber als Ereignis, als Körpergefühl, als Irritation, als Empfindlichkeit oder Reaktionsbereitschaft und so weiter. Sprecherin: Die Pränatalpsychologie erforscht die lebensgeschichtliche Bedeutung von vorgeburtlichen und geburtlichen Erlebnissen jenseits des frühkindlichen Erfahrungsschatzes. Die Biographie eines Menschen wird so um neun Monate erweitert, um das existenzielle Ereignis der Geburt und um die Zeit davor. O-Ton 22 Janus: Die Bindungsanalyse ist eigentlich eine Fortsetzung der Säuglingsforschung, dass man früher in den Säuglingen nur biologische Reflexwesen gesehen hat und dann den Säugling, das Kind nach der Geburt als ein eigenes Wesen entdeckt hat . Aber wer nur als Reflexwesen gesehen worden ist, der hat dann große Schwierigkeiten, eine innere Autonomie zu gewinnen. Und die Bindungsanalyse setzt das noch einen Schritt zurück, dass das Kind schon vor der Geburt in seiner Eigenheit wahrgenommen wird. Musikakzent hoch stehen lassen, dann unterlegen O-Ton 23 Seibel: Natürlich möchte ich gern eine andere, eine bessere Geburt haben als mit meinem ersten Kind. Mit der Erfahrung, die ich habe, möchte ich nicht das weitergeben, was ich selbst erlebt habe. Ich möchte gern keine Last weitergeben, die ich selbst erfahren und vielleicht nicht genug aufgearbeitet habe. Sprecherin: Einmal die Woche geht Claudia Seidel jetzt zur Bindungsanalyse. O-Ton 24 Herr Jans-Ottomann: Der Begriff der Analyse an der Stelle ist insofern hinderlich, als dass es nicht so sehr um ein reflektieren und analysieren geht, als um das Spüren und den Kontakt aufnehmen und um die Bindung. Sprecherin: Erklärt der Psychotherapeuten Gerhard Jans-Ottomann das Verfahren, das er gemeinsam mit seiner Ehefrau Ulrike Jans-Ottomann - auch eine Psychotherapeutin - anbietet. O-Ton 25 Frau Jans-Ottomann: Es fängt an mit der Frage, welchen Kontakt haben sie zu ihrem Kind? Und von da an entwickelt sich ein Gespräch über Ängste, Befürchtungen, Wünsche, Erfahrungen. Oft geht es dann schon so, dass Mütter sich erinnern an ihre eigene Kindheit, wie war meine Mutter. Und das hat Einfluss auch auf die Beziehung, die Bindung der werden Mutter mit ihrem jetzigen Kind. Musik O-Ton 26 Reiter: In der pränatalen Bindungsanalyse machen wir die Erfahrung, dass die Schwangerschaft ein sehr regressionsfördernder Entwicklungsabschnitt ist. Sprecherin: Alfons Reiter ist Psychotherapeut und Professor der Universität Salzburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind vorgeburtliches Erleben und frühe Individuationsprozesse. O-Ton 27 Reiter: Das heißt, die werdende Mutter - durch die Schwangerschaft werden auch in ihr sehr frühe Erfahrungen wieder belebt. Dass durch die Schwangerschaft Traumata, die die Mutter in der Zeit, wo ihre Mutter mit ihr schwanger war, wieder in ihr Leben kommen können, dass die hochkommen und jetzt eine Möglichkeit ergeben, sie therapeutisch zu erreichen. Sprecherin: Ziel der Bindungsanalyse ist es, den Teufelskreislauf von transgenerativer Fortpflanzung erlebter Traumata zu durchbrechen. Mit der therapeutischen Begleitung der Schwangeren soll gleichsam das ungeborene Kind vor psychischen Störungen geschützt werden. O-Ton 28 Reiter: Wir wissen heute von der vorgeburtlichen Gehirnforschung, dass von Anfang an Erfahrung, Erleben gespeichert wird. Also, schon bevor sich das Organ entwickelt hat, mit dem wir meinen, dass es Erinnerung speichert. Man könnte hier von einem Zellbewusstsein sprechen, dass eben sehr früh Traumatisierungen gesetzt werden und infolge dessen sich eben Schwangerschaftsbeschwerden, Geburtskomplikationen, frühe Regulationsstörungen und eben weitere psychische Störungen sich entwickeln können. Sprecherin: Die Forscher gehen davon aus, dass immer dann, wenn über die Sinnesorgane oder Hormone Impulse zum Gehirn weitergeleitet werden, dort ein für diese Wahrnehmung charakteristisches Erregungsmuster entsteht. Ein emotionales Erinnerungsbild wird verankert, welches bewusst oder unbewusst mit einem Gefühl verknüpft wird: Freude, Lust oder auch Angst und Verunsicherung. Die für das Zustandekommen dieser Gefühle verantwortlichen Netzwerke des so genannten lymbischen Systems sind zum Zeitpunkt der Geburt bereits relativ gut ausgebildet. O-Ton 29 Hüther: Ganz am Anfang hat man gedacht, das Gehirn wird von genetischen Programmen zusammengesetzt wie eine Maschine. Das war so der Ausgangspunkt Ende der achtziger Jahre, dass man geglaubt hat, einmal verdrahtet, immer verdrahtet. Und dann kamen diese Durchbrüche mit der Einführung der Bildgebender Verfahren, wurde es plötzlich möglich, zu beobachten wie sich im Hirn Strukturen bauen, konnte man sehen, wie bilden sich neue Netzwerke aus. Sprecherin: Gerald Hüther ist Professor für Neurobiologie an der psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen. Sein Buch "Das Geheimnis der ersten neun Monate" machte die wissenschaftliche Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung schon im Mutterleib einem größeren Publikum bekannt. O-Ton 30 Hüther: (falls O- Ton zu lang, dann bitte inhaltlich kürzen) Wenn das nun stimmt, dass im Hirn eines Menschen, wenn der eine wichtige Erfahrung macht, entsprechende Netzwerke stabilisiert werden, wenn das eine wichtige Erfahrung ist, die ihm unter die Haut geht und mit dieser Aktivierung der emotionalen Zentren einher geht, diese Netzwerke dann um so deutlicher geformt werden, dann heißt das doch, /// Schnitt das, was unser Hirn prägt, eigentlich die im Laufe des Lebens gemachten Erfahrungen sind, denn Erfahrung zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass das emotional ist. Und deshalb sind diese Erfahrungen auch so fest. Wenn man Erfahrungen in ähnlichen Kontexten macht, verdichten sich diese Erfahrungen zu einer Art Metaerfahrung und die nennt man dann im Deutschen eine Haltung oder eine innere Überzeugung. Wenn das nun so stimmt, dann muss ich davon ausgehen, /// dass Erfahrungen auch vor der Geburt gemacht werden. Warum soll das vorher anders sein als nach der Geburt? Das Hirn entwickelt sich ja vorher nicht anders als hinterher, sondern das ist ein durchgängiger Prozess, in dem dann unterwegs auch die Geburt stattfindet. Und dann darf man doch fragen, was sind denn die wichtigen Erfahrungen, die ein ungeborenes Kind macht, und da gibt es eigentlich nur diese Zwei: Ich bin verbunden. Das ist natürlich keine kognitive, formulierbare Erfahrung, aber das ist eben, was ihm passiert ist. Und wenn man so ein Embryo fragen könnte: Was war dir das Wichtigste? Dann wird der sagen, ich war verbunden, und ich bin gewachsen. So kommt jedes Kind auf die Welt. Und was man dann beobachtet, ist ein Bindungssystem und ein Explorationssystem. Musikakzent Sprecherin: Für Geburt und Entwicklung eines Kindes ist es deshalb bedeutsam, wie sich dieses Bindungssystem zur Mutter entwickelt, und in welcher Weise sich diese Schwangerschaftserfahrung als neuronales Muster ins Gehirn des Embryos einschreibt. Sie ist wie eine prägende emotionale Urerfahrung und somit gleichsam Basis für die Art alles späteren Erlebens, mit der alle späteren Erlebnisse unbewusst abgeglichen werden. Diese frühe Beziehung wird vor allem dadurch gestaltet, wie Mutter und Kind miteinander kommunizieren. Diese Kommunikation steht im Mittelpunkt der Bindungsanalyse. Claudia Seibel. O-Ton 31 Seibel: Ich soll Zugang zu meinem Inneren finden. Dann streichele ich meine Gebärmutter mit meinem inneren Auge. Das entsteht alles über innere Bilder. Und dann finde irgendwie immer Eintritt auf die unterschiedlichsten Arten. Es war einmal wie ein Zirkuszelt und der Vorhang ging auf und dann passiert immer irgendwas. Heute war es zum Beispiel so in der Sitzung, dass mein Baby mir einen Weg gezeigt hat. Es kommt immer ein Impuls von dem Baby. Ich sehe wirklich die Bilder vor mir und erlebe eine komplexe zusammenhängende Geschichte, die ich dann beschreiben kann, was da passiert. O-Ton 32 Janus: Wir kommunizieren auf sehr vielen Ebenen, mimischen, aber auch intuitiv atmosphärischen. Sprecherin: Erklären Ludwig Janus und Helga Blazy den Ablauf einer solchen Bindungsanalyse. O-Ton 33 Janus: Man könnte es sich vielleicht vorstellen, wenn zwei verliebt sind und sich umarmen, dann teilen die sich in der Umarmung, in ihren körperlichen Spannungen unendlich viel mit. Die brauchen sich das nicht alles erzählen, dass sie sich mögen, und man spürt auch, wenn der reserviert ist. Und diese außersprachlichen Kommunikationsebenen, die sind in der Schwangerschaft sehr lebendig von der Mutter her und vom Kind natürlich sowieso. Und das kann in Empfindungen kommen, in Bildern oder auch Gedanken oder auch sprachliche Formen annehmen. Und die Bindungsanalyse, die macht nicht etwas, sondern die ermöglicht eine Zentrierung auf diese Beziehungsebene. O-Ton 34 Blazy: Wir wissen ja, dass Schwangere normalerweise auch sagen, auch ohne Bindungsanalyse, ja, ich spreche immer mit meinem Kind und erzähle dem, was ich so tue. Das geschieht ja auch innen und nicht außen. Die Mutter ist ja sehr bereit, ihr Kind erreichen zu wollen innen. Und das Kind antwortet darauf und spiegelt ihr das wieder. So die Mutter die Bewegungen des Kindes spürt, kann sie sie ja auch als Antworten auf etwas wahrnehmen und interpretiert das ja auch so normalerweise. Und die Bindungsanalyse, das ist eigentlich eine Fortsetzung dann davon, dass sie das Kind auch in sich sprechen hört und es auch sieht und es in die Arme nehmen kann und wiegen kann und mit ihm spielen kann. O-Ton 35 Seibel: Ich versuche, im Alltag intensiv mit meinem Kind zu kommunizieren, wenn ich spüre, dass es mir gut, schlecht geht, dass ich irgendwelche überwältigenden Gefühle habe. Und ich habe das Gefühl, dass das Baby das versteht, dass das Baby darauf reagiert, dass es sich dabei beruhigen lässt, dass wir in einem guten Kontakt stehen und das Kind mir Zeichen gibt. Sprecherin: Die werdenden Väter nehmen nicht immer an diesen Sitzungen teil. Sie können, müssen aber nicht. Vor allem die werdenden Mütter stehen im Zentrum der Behandlung. Ulrike und Gerhardt Jans- Ottomann. O-Ton 36 Herr Jans-Ottomann: Der Mann wird ja auch einbezogen, insofern als dass er bestimmte Aufgaben kriegt, wenn er mitmacht, machen nicht alle mit, dass er dann abends noch mal mit dem Kind spricht. Und man muss es natürlich so früh wie möglich machen, bis zur Geburt. O-Ton Frau 37 Jans-Ottomann: Ansonsten ist das Setting nicht von vornherein gedacht, dass beide zur gleichen Zeit kommen, obwohl ich die Väter auch einlade. Dennoch ist es natürlich erst einmal die Mutter, die rund um die Uhr mit dem Baby verbunden ist eben auch hormonell. Sprecherin: Die Bindungsanalyse hat vor allem tief greifende Wirkungen auf den Geburtsvorgang und somit die weitere Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Das haben Untersuchungen gezeigt: Bei den vom Begründer der Methode, dem Ungarn Jenö Raffai und den von ihm betreuten Frauen kam es zu keiner Frühgeburt. Gleichfalls nahm die Notwendigkeit schmerzreduzierender Maßnahmen deutlich ab. Es wurden weniger Wehen fördernde Medikamente und weniger lokale Betäubung gebraucht. Auch die Rate der Kaiserschnitte nahm deutlich ab. In Deutschland wird heute schon jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt gebracht. Bei den mit Bindungsanalyse begleiteten Frauen betrug diese Quote nur fünf Prozent. O-Ton 38 Baller: Wenn es ein gut geplanter Kaiserschnitt ist, weil es eine medizinische Indikation gibt, dann haben dieses Kind und auch die Mutter die gleichen guten Vorraussetzungen wie eine andere Geburt. Da muss die Mutter nur gut begleitet werden. Sprecherin: Nimmt die Psychotherapeutin Wiebke Baller Frauen, die einen Kaiserschnitt hatten, die Angst vor einer fehlenden Bindung zu ihrem Kind. Aber sie gibt auch zu bedenken: O-Ton 39 Baller: Wenn es diese Notkaiserschnitte sind, haben wir ganz häufig, dass es schon zu einer Bindungsstörung von Mutter und Kind kommt, weil die Mutter, die ist um dieses Geburtserlebnis gebracht und wenn ihr dann das Kind später gezeigt wird, dann ist oft ein Gefühl von Fremdheit. Dieser Frau fehlen die Endorphine, die wir sonst nach Spontangeburten haben, und sie spürt nur die Schmerzen und das Dramatische, was sie alles durchlitten hat. Es gibt Frauen, die sehr stabil sind und die dann trotzdem die Kraft haben, über das ganze Trauma auch so ein Stück hinwegzugehen und sagen: Mein Kind, alles ist gut! Aber es gibt ganz viele, die eine so traumatische Geburt wirklich als ein schweres Trauma erleben, und die größte Gefahr ist dann einfach das, was wir die postnatale Depression nennen. Teilweise wird das Kind emotional sogar ein Stück abgelehnt, und das ist für die Frauen natürlich die Hölle. Musikakzent Sprecherin: Neben der Kontakt- und Bindungsförderung geht es in der Endphase der Schwangerschaft auch um die Vorbereitung einer Trennung, um die innere Verabschiedung der Frau vom Baby in ihr. O-Ton 40 Janus: Und das ist bedeutsam, und das ist eine Entdeckung der Bindungsanalyse. Das hat man vorher nicht so klar gewusst, dass die Geburt nicht nur ein Geborenwerden ist, nicht nur ein körperlicher Vorgang, sondern auch ein seelischer Vorgang, den die Frau mit vollziehen muss. Viele Frauen können das auch intuitiv, die haben die Fähigkeit. Aber manche können es nicht, haben Blockierungen und können da begleitet werden. Sprecherin: Und so werden die Schwangeren auch darauf vorbereitet, loszulassen und zu verstehen, dass die Geburt auch für ihr Kind ein ganz besonderes Erlebnis ist: O-Ton Frau 41 Jans-Ottomann: Was haben wir erlebt? Was war gut, was war schlecht? Und es wird auch vorbereitet auf die Veränderungen. Die Schwerelosigkeit wird aufgegeben, es wird heller, es wird lauter, Temperaturschwankungen werden empfunden. Auf all das wird das Kind vorbereitet. Musik hoch, stehen lassen unter Text und O-Ton bis zum Ende Sprecherin: Claudia Seibel jedenfalls fühlt sich jetzt viel sicherer. Die Angst vor der Geburt ihres zweiten Kindes ist weg. Die Bindung zu ihrem noch ungeborenen Kind ist verfestigt und Claudia Seibel hat ein viel besseres Verständnis für die eigene Person. O-Ton 41 Seibel: In der Therapie habe ich jetzt sehr viel über mich herausgefunden. Ich glaube, dadurch habe ich ein sehr gutes Gefühl zu mir gefunden, zu meinem Inneren gefunden, und ich glaube, das hilft einem auch gut zu sich selbst zu sein, gut zu dem Kind zu sein, und ich glaube, dann kann man auch eine gute Geburt haben. Musik noch mal hoch ENDE 17