Manuskript Kultur und Gesellschaft Reihe : Forschung und Gesellschaft Titel : Die Kraft der Sterne Neues aus der Fusionsforschung Autor/in : Uwe Springfeld Redakteur/in : Kim Kindermann Sendung : 28.06.2012 / 19:30 Uhr Besetzung : Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Atmo: Aufdringliches Ticken, kurz frei stehenlassen, dann Sprecher drüber. Jeweils zwischen Sprecherwechsel hoch. Sprecher: Kernfusion: Wissenschaftler wollen Atomkerne zusammenbringen, zusammenkleben, aneinanderheften. Miteinander fusionieren lassen. Weil dabei Energie entsteht. Reichlich. Take 1A The fusion is to bring the sun on the earth. It?s a huge program. Übersetzer: Die Fusion von Atomkernen bringt die Sonne auf die Erde. Das ist ein gewaltiges Programm. Ich glaube, die größte Herausforderung der Menschheit. Sprecher: Mitsuru Kikuchi ist Mitte fünfzig. In seinem Beruf hat er sich keine grauen Haare wachsen lassen. Obwohl es vermutlich kaum jemanden gibt, der ihn darum beneidet hätte: Mitsuru Kikuchi ist Mitglied der japanischen Atomenergiebehörde NAKA. Sein Schwerpunkt ist die Fusionsforschung. Take 1B It?s the most challenging program for the human being, I believe. Because all the energy sources are coming from the fusion. In the universe. So to control the fusion energy is the ultimate goal. Übersetzer: Ich glaube, dass ist die größte Herausforderung der Menschheit. Weil letztlich alle Energiequellen aus der Fusion von Atomkernen herkommen. Im ganzen Universum. Deshalb ist die Kontrolle über die Kernfusion das ultimative Ziel. Sprecher: Ist die Fusionsforschung also die Antwort auf die Energieprobleme unserer Zeit? Schließlich will man hier Atomkerne nicht spalten, so wie bisher. Im Gegenteil. In Fusionsreaktoren sollen Atomkerne zusammengefügt werden, sie sollen miteinander verschmelzen. Und damit hier auf der Erde den Prozess nachbilden, aus dem Sonne und alle Sterne des Universums ihre Energie beziehen. Take In just one century we have spent a huge amount of fossil fuel. To create this culture. But after two centuries or three centuries there is no fossil fuel. And we need multiple sources of energy. And then fusion is the most challenging and quiet important sources. Übersetzer: In nur einem Jahrhundert haben wir enorme Mengen Erdöl verbraucht. In ein oder zweihundert Jahren wird es keine fossilen Brennstoffe mehr geben. Und wir brauchen viele Energiequellen. Die Fusion von Atomkernen ist von allen die wichtigste und herausfordernste. Sprecher: In Deutschland gibt es drei Zentren der Fusionsforschung. Das Karlsruher Institut für Technologie, ein Zusammenschluss aus der Universität und dem dortigen Forschungszentrum. Dann das Forschungszentrum Jülich. Und schließlich das Max Planck Institut für Plasmaphysik in Garching bei München. Und seiner Außenstelle in Greifswald. Eine nette kleine Stadt nahe der Ostsee. Viel Klinkerbarock, eine Universität mit 450-jähriger Tradition, ein großes Klinikum und, etwas abseits gelegen, das Max Planck Institut, an dem zur Fusion von Atomkernen geforscht wird. Atmo Konferenz/Gespräch? Sprecherin: Greifswald, Donnerstag der 3. Mai 2012. Treffen des Fachbeirats. Dreizehn Fusionsforscher aus den USA, Japan, Groß Britannien und anderen Ländern mit der Aufgabe, die Institutsleitung bei der Planung und Durchführung von Forschungsvorhaben, und den Präsidenten der Max-Planck Gesellschaft hinsichtlich der wissenschaftlichen Entwicklung des Instituts zu beraten. Auf der Tagesordnung: Die neue Experimentieranlage zur Fusionsforschung. Wendelstein-7X. Atmo ?Helmausgabe? Take Wir befinden uns jetzt hier in der Montagehalle ? hier wird die große Experimentieranlage Wendelstein-7x aufgebaut ? es ist ne sehr ambitionierte, hoch flexible Anlage zur Fusionsforschung mit der wir zeigen wollen, dass dieses Konzept, was wir hier umsetzen, diese Idee, dass die das Zeug zum Kraftwerk hat. Wir erzeugen hier kein bisschen Strom, also das ist Grundlagenforschung, was wir hier machen. Sprecherin: Der wissenschaftlicher Leiter von Wendelstein 7-X, Thomas Klinger, hat sich einen Bauhelm aufgesetzt. Er ist in die haushohe Montagehalle vorangegangen. Überall stehen Kräne herum, Transportwagen, Werkzeuge. Mitten im Raum, wie auf einem Altar auf gelben Stahlträgern aufgebockt, schimmert eine Edelstahl-Konstruktion durch die Gitter eines Stahlgerüstes. Die Experimentieranlage Wendelstein-7X. Noch bis 2014 im Bau. Take Einerseits ist es ein Betrieb wie auf einer Werft, das heißt sechs Tage Woche, zwei-Schicht-Betrieb, wir kommen auf etwa 80 Arbeitsstunden pro Woche. Es wird viel geschweißt, gefügt, geschnitten. Aber gleichzeitig muss mit einer Uhrmachermentalität gearbeitet werden. Enorm sorgfältig, da wir außerordentlich hohe Genauigkeitsanforderungen besonders an das Magnetsystem haben. Da reden wir immer vom Millimeter, teilweise vom Submillimeterbereich insofern ist es ein seltsames Gemisch aus Großanlagenbau und Uhrmacherei. Sprecherin: Von weitem fallen vor allem die Zylinder, Stutzen und kreisrunden Löcher auf, die der Anlage das Aussehen einer Unterwasser-Station aus einem Science Fiktion Film der sechziger Jahre geben. Beim Näherkommen ändert sich das Bild. Man erkennt, dass die Anlage aus unregelmäßig geformten Blechen zusammengefügt wurde. Dreiecke, Fünfecke, Rundstücke werfen Ecken und Kanten, als wäre die Experimentieranlage ein Faltmodell aus Pappe für Kinder, statt High Tech aus Edelstahl. Atmo Schritte auf Stufen Sprecherin: Erst wenn man, eine Treppe hochgestiegen, sich einen Überblick verschafft hat, erkennt man das große Ganze. Die Konstruktion entpuppt sich als schlauchförmig, zu einem Ring zusammengebogen. Später wird man öfter den Vergleich mit einem Donut hören, dem reifenförmigen Kuchen. Und dass die Donut-Konstruktion etwa 780 Tonnen wiegt, 400 Tonnen davon die supraleitenden Magnete, der geplante Sonnenbrennstoff darin jedoch nur ein Zehntel Gramm. Aufgeblasen auf ein Volumen von 30 Kubikmetern. Take Der Forschungsgegenstand ist, dieses heiße Gas gegen die kalte Wand so gut zu isolieren, mit Hilfe eines geeignet geformten Magnetfeldes, dass das Gas heiß bleibt, um bei den Temperaturen diesen nuklearen Prozess hinreichend oft durchzuführen. Dass er stattfindet und dass er leicht zu erzeugen ist, bei Deuterium und Tritium, das ist seit vielen, vielen Jahrzehnten bestens erforscht, das ist nicht unser Forschungsgegenstand. Sprecher: Wissenschaftlersprache. Deuterium und Tritium. Zwei verschiedene Atomsorten des Wasserstoffgases. Brennstoff des Fusionsreaktors. Die Atomkerne stoßen sich gegenseitig ab. Trotzdem wollen die Wissenschaftler sie zusammenbringen, fusionieren lassen. Weil dabei Energie entsteht. Genügend, wie die Forscher versprechen. Weil genügend Brennstoff auf der Erde vorhanden sei. Eine Badewanne voll Wasser und ein verbrauchter Akku aus einem Notebook würden reichen, eine Familie fünfzig Jahre lang mit Elektrizität zu versorgen. Ist mit Fusionsreaktoren die Stromversorgung der Welt nicht nur für die nächsten Jahrzehnte, sondern für die nächsten Jahrhunderte gesichert? Atmo als Trenner noch mal hoch Sprecher: Rein technisch kommt es bei der Fusion von Atomkernen auf drei Größen an. Temperatur, Druck, Zeit. Wie heiß ist es im Inneren des Reaktors, wie dicht sind die Atomkerne zusammengepresst und wie lange können die Magnete Hitze und Druck aufrechterhalten. Fusionsforscher sprechen vom Tripelprodukt. Konkret: sie müssen in jeden Kubikzentimeter zehn Millionen mal zehn Millionen Atomkerne bei 100 bis 200 Millionen Grad Hitze für mindestens zwei Sekunden eingeschlossen halten. Bei diesen Temperaturen zerfällt der Sonnenbrennstoff in seine letzten Bestandteile, in Elektronen und Atomkerne. Das Gas reagiert jetzt auf Magnetfelder und Physiker geben ihm einen neuen Namen. Plasma. Atmo Sprecherin: Durch das Schwarz der ovalen Öffnungen schimmern die Magnete, die den Forschern heute noch Probleme machen. 50 mit ebener Oberfläche, 20 in der verdrillten Form einer Miniatur-Achterbahn. Gefunden in langen Modellrechnungen auf dem Computer. Und in einem Modellbau an der University of Wisconsin, Madison, USA, überprüft. Eine Anlage, die ein Zehntel so groß ist wie Wendelstein-7X. Die Max-Planck-Forscher sind aber optimistisch, dass ihre Magnete das Plasma im Reaktor-Schlauch halten und es darin gleichzeitig auf einer komplizierten Spiralbahnen in Bewegung versetzen werden. Damit es sich selbst aufheizt. Take Unsere Anordnung ist in Wirklichkeit ein verketteter magnetischer Spiegel ? Das heißt, diese fünf Module bilden an ihren Enden jeweils ein Spiegelfeld, wo die Teilchen reflektiert werden ? das heißt der Absolutwert des Magnetfeldes steigt an Richtung Ende dieses Moduls. So. Das heißt, wir haben Spiegel, Spiegel, Spiegel und das fünf Mal, nicht? Fünf miteinander verbundene Spiegel und wir können das Spiegelverhältnis in einem sehr weiten Bereich verändern. Sprecherin: Die Magnete sind supraleitend. Und wie alle Supraleiter gekühlt. Auf knapp 200 Grad unterm Gefrierpunkt. Nur ein paar Zentimeter neben dem 150 Millionen Grad heißen Plasma. Das zeigt das zweite Problem der Wissenschaftler. Wie isolieren sie die Brennkammer? Dadurch, dass man das Wasserstoff-Plasma schwebend in der Röhre hält. Und ein genügender Abstand zu den Wänden bleibt. Fusionsreaktor müssen deshalb eine Mindestgröße haben. Wendelstein-7X ist zu klein, als dass in ihm das Plasma jemals zünden würde. Take Wir haben es ausgelegt auf etwa eine Betriebsdauer von etwa 20 Jahren vielleicht 25 Jahre ? Irgendwann wird so eine Maschine auch langweilig. Dann haben sie sich auch jede Ecke angeguckt. Das heißt, 20 Jahre ist eine gute Zeit für eine Maschine. Da kann man die schon vollständig verstanden haben. Der ganzer Spaß, das heißt, die Maschine, so wie sie hier vor uns steht, kostet etwa 400 Millionen. Sprecher: 20 Jahre Forschung, um Magnete richtig zu konfigurieren. Fusionsforschung verlangt Langmut. Schon immer, nicht erst seit heute. Die theoretischen Grundlagen der Kernfusion sind schon seit über neunzig Jahren bekannt. Seit der Ausnahmephysiker Ernest Rutherford die Theorie ausarbeitete, dass die Sonne ihre Energie aus der Fusion von Atomkernen bezieht. Atmo als Trenner, vielleicht sollte man hier eine Musik finden, die auch weiter oben schon funktioniert. Wabernde Töne so was? Sprecher: Wie die Fusion im Detail abläuft, hatten vor über 80 Jahren der Deutsche Fritz Houtermans und der Brite Robert d?Escourt Atkinson beschrieben. Dann, 1951, der erste Versuch, einen Fusionsreaktor zu bauen. Von Lyman Spitzer, Astrophysiker an der Princeton University. Der seine Anlage Stellerator nannte. Von Stella. Lateinisch für Stern. Lyman Spitzer wollte daran erinnern, dass die Kernfusion die Energiequelle der Sterne ist. Kaum war die Anlage aufgebaut, musste Lyman Spitzer die gleiche Erfahrung machen wie heute Thomas Klinger, Mitsuru Kikuchi und andere Plasmaphysiker. Theroetisch ist alles ganz einfach, aber praktisch? Ganz und gar nicht, sagt die wissenschaftliche Direktorin des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik, Sibylle Günter. Take Der Lyman Spitzer, den man ja kennt aus der Astrophysik, hat halt den ersten Stellerator gebaut, und das ist richtig schief gegangen ? Das Problem war, dass alle heißen Teilchen, die haben das Plasma verlassen, aber die sollen ja eigentlich heizen. Und damit ist damals der Stellerator gestorben gewesen als Fusionsmaschine, denn gerade die schnellen Teilchen, die flogen raus. Sprecher: Fusionsforschung. Ein Jahrhundertvorhaben. Ohne Garantie des Gelingens. Zu den beiden genannten Problemen, passende Magnetfelder und Wärmeisolierung, kommen zwei weitere. Welche Materialien verbaut man in den Reaktorwänden, dass das Plasma möglichst wenig verunreinigt wird. Und: woher bekommt der Brennstoff des Reaktors. Genauer, das Tritium, ohne das der Reaktor nicht funktioniert. Es kommt nicht in der Natur vor und müsste, wie Forscher sagen, aus Lithium erbrütet werden. Atmo Zug Sprecherin: Man kann ein Fusionsplasma zünden. Das hat sich in England gezeigt. Etwa eine Zugstunde nördlich von London, Paddington Station. Mit Umsteigen in Oxford erreicht man Culham. Ein Dörfchen mit 400 Einwohnern und einem Plastikunterstand, an dem der Zug hält. Der Weg führt an Wiesen und Militärunterständen vorbei zur Hauptstraße, dann zwei mal links und durch ein Tor. Im Hauptgebäude des Joint European Torus, JET, warten schon Lorne Holton, Leiter für Betrieb und Entwicklung der Anlage. Bei ihm ist der Plasmaphysiker Sebastijan Brezinsek vom Forschungszentrum Jülich, der hier in Culham an der Wechselwirkung zwischen Plasma und Reaktorwand arbeitet. Sebastijan Brezinsek bestätigt, dass die Physiker am JET einmal die Bedingungen für eine gelungene Kernfusion geschaffen haben. Damals. Take Bei diesem DT-Experiment, es ist also Deuterium-Tritium, hat man dann ungefähr 70% der Energie rausbekommen, die man reingesteckt hat an Zusatzenergie. Wir haben neue Betriebsmodi entdeckt mit Barrieren drin, dass man diesen Einschluss noch weiter verbessert. Wenn man das extrapolieren würde, würde man wahrscheinlich jetzt bei Faktor 1 rauskommen. Viel mehr kann man nicht machen, weil, man muss die Maschine größer machen, um Fusionen zum Gelingen zu bringen. Sprecherin: Das heißt: Im Joint European Torus wurde zwar ein Fusionsplasma gezündet. Die Anlage ist aber kein funktionsfähiger Fusionsreaktor, sondern auch nur eine Experimentieranlage. Sie hat nicht einmal Anschluss, um eventuell erzeugte Energie ins Stromnetz einzuspeisen. Mit einem Bauhelm auf den Kopf geht es weiter, in die Montagehalle. Die hier Assemblyhall heißt. Atmo Gang zur Assembly Hall: ?We have hats? frei stehen lassen. Auch ?Assembly hall? Sprecherin: Weiße Plastikplanen versperren den Blick. Nicht, weil der Fusionsreaktor geheim ist, sondern weil gerade umgebaut wird. Eigentlich sollte die Anlage schon stillgelegt sein. Aber der Bau des Nachfolgers, der 15 Milliarde Euro teure International Thermonuclear Experimental Reactor, ITER, im südfranzösischen Ort Cardarache, liegt fünf Jahre hinter dem Bauplan zurück. Die sieben beteiligten Staaten und Staatengruppen hatten sich erst 2010 auf eine weitere Finanzierung des Projektes geeinigt. Bis zur Fertigstellung muss hier am Joint European Torus im englischen Culham weitergeforscht werden. Wieder dominieren Gerüste das Bild. Stahlgrau und Blau. Dahinter, von der Form her kaum zu unterscheiden, gelbe Portalkräne. Dazwischen Handwerker. Hier in England in weißen Schutzanzügen. Nicht wegen möglichen Strahlengefahr. Niemand hat sich ein Dosimeter angesteckt. Das Messgerät, mit dem in Atomkraftwerken die Strahlenbelastung der Mitarbeiter gemessen. Es strahlt momentan nichts. Die Arbeiter sollen den Reaktor so wenig wie möglich verschmutzen, wenn sie die Wand austauschen. Take Der Tokamak hat einen kleinen Radius von 3 Metern und ist aufgebaut in einen Hauptraum und den Deverto, die Nebenkammer. Und bis vor 1½ Jahren war das gesamte Gerät ausgekleidet mit Kohlenstoff. Und wir sind im Moment in einer Phase, wo der gesamte Innenraum ausgewechselt wird zu einer Kombination mit Beryllium und Wolfram. Das ist diese Kombination, die man vorsieht für ITER für den Betrieb mit Tritium. In der Materialkombination. Sprecherin: Es gibt Unterschiede zwischen den Anlagen in Culham und Greifswald. Gravierende, wenn auch für Laien kaum ersichtlich. Die Magnete sind anders angeordnet. Das macht die Anlage in Culham einfacher. Pragmatischer. Orientiert sie stärker aufs praktische Ziel hin. Die Stromerzeugung. Sprecher: Die Konstruktion geht auf den Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe und späteren Bürgerrechtler Andrei Dimitrowisch Sacharow zurück. Er hatte sie erstmals in den sechziger Jahren entwickelt. Und dabei den Nachteil in Kauf genommen, dass sie nur gepulst arbeiten kann. Plasma rein, Zündung, Verbrennungsprodukte raus. Dann wieder neues Plasma rein, nochmal Zündung, Verbrennungsprodukte wieder raus. Und so weiter. Jeweils zwischen dreißig Sekunden und ein paar Minuten. In die Greifswalder Anlage kann dagegen kontinuierlich Brennstoff geblasen werden. Andrei Sacharow hatte seine Anlage Tokamak genannt. Der Name sollte ans russische Wort ?Tok? für Strömung erinnern. Aber eigentlich beschreibt er nur das, was die Maschine ist. Eine ?Toroidale Kammer in Magnetspulen?. Ein donutförmiger Metallring mit Magneten drin. Take JET ist auch der Tokamak, der weltweit mit DT operieren kann. Nach einer Phase, wo diese Wand jetzt in Betrieb genommen wird, wird man ungefähr 1 Jahr brauchen, um wieder die Plasmen so durchzuführen, wie man konnte, dann noch Jahr um mehr Leistung einzubringen, weil zeitgleich mit der neuen Wand gibt es auch eine Verbesserung der Zusatzheizung. Und danach wird man irgendwann auf eine DT-Kampagne gehen und das wäre dann der Startpunkt für die ersten Plasmen in ITER. Atmo Sprecherin: Nun geht es vorbei am Kontrollraum. Einige Männer vor Computermonitoren. Und schließlich in die Bibliothek zum Abschlussgespräch mit Lorne Holton, dem Verantwortlichen für Betrieb und Weiterentwicklung der Anlage, über die Zukunft des Joint European Torus. Geduld müsse man haben, sagt er. Weil im südfranzösischen Cardarache der Bau des Nachfolgeprojekts, der International Termonuclear Experimental Reactor, ITER, fünf Jahre im Zeitplan zurückliege. So lange könne man in England weiter forschen. Take 11. The reference plan and exploitation for JET is to do what I said, to do this 5 years till about 2015 with an exploitation of the new wall and demonstration of high performance and the wall in DT. In the reference plan that would than be the end of JET. There are ideas about bridging somewhat this gap between 2015 and 2019, when ITER is meant to start. But they?re not funded yet and they have to be balanced against the money that is necessary to build ITER. Übersetzer: Laut Plan und Verwertung der Anlage läuft noch bis 2015. Eine neue Wand wird eingebaut und die Performance erhöht. Laut Plan endet das Vorhaben hier anschließend. Aber es gibt Ideen, die Lücke von 2015 bis 2019 zu überbrücken, wenn ITER startet. Aber die Zeit ist noch nicht finanziert. Da wird man das Geld für ITER gegenrechnen müssen. Atmo Zug Sprecherin: Dann wieder Zug nach London, umsteigen in den Eurostar, durch den Kanaltunnel nach Paris. Bevor es weitergeht nach Südfrankreich, wo es nach Thymian und Lavendel duftet, Zikaden zirpen und die französische Regierung ihre Atomforschung gebündelt hat, grübelt man. Welche Gefahren stecken in der Fusionsforschung? Und kann man sie mit den Risiken der Atomkraft vergleichen? Sprecher: Vier Argumente sprechen hauptsächlich gegen Atomkraft. Zuletzt in Fukushima hat sich gezeigt, dass die komplizierte Technik nicht sicher zu beherrschen ist. Der Reaktor kann durchbrennen, der Kern kann schmelzen. Zweitens muss mit extrem giftigen Brennstoffen umgegangen werden, mit Uran und Plutonium, der im Fall eines Unfalls nicht im Reaktor bleiben muss, sondern sich über die ganze Welt verteilt. Drittens muss der hochradioaktive Müll für hunderttausend Jahre sicher weggeschlossen werden. Und viertens, das zeigen die diplomatischen Auseinandersetzungen mit dem Iran, lässt sich die Technik auch zum Bau von Atombomben missbrauchen. Kann in einem Fusionsreaktor eine nukleare Katastrophe wie in Tschernobyl und Fukushima passieren? Nein, sagt Mitsuru Kikuchi von der japanischen Atomenergiebehörde. Take The case of Fukushima was produced by a hydrogen explosion. Due to the melting of the spent fuel. And that comes from the residual heat from the fission fuel ? And since the fusion does not produce any residual heat from the fuel I think it?s much safer. Übersetzer: Die Katastrophe von Fukushima wurde durch eine Wasserstoffexplosion hervorgerufen. Wegen der Kernschmelze, die durch die Resthitze des Spaltmaterials erzeugt wurde. Weil die Fusion solch eine Resthitze nicht produziert, denke ich, dass sie viel sicherer ist. Sprecher: Bricht in einem Fusionsreaktor das Magnetfeld zusammen, anders als in herkömmlichen Atomkraftwerken, stoppt damit auch der Prozess, der zur Energieerzeugung führt. Der Reaktor hört auf zu arbeiten, als ob jemand den Hauptschalter umgelegt hätte. Bleibt die Frage nach dem Atommüll. Take The reaction with neutrons there are some radioactivities of the structure materials. Fusion products do not have any long term activities. Only the structure materials which are activated becomes radioactive have a reduction of radioactivity of hundred years. Übersetzer: Durch die Reaktion mit Neutronen wird einiges an Radioaktivität entstehen. Aber Fusionsprodukte haben keine lange Halbwertszeit. Nur die aktivierten Materialien, etwa der Wand, werden etwa hundert Jahre strahlen. Sprecher: Bliebe die missbräuchliche Nutzung der Fusionsenergie. Das heißt: Bau einer Wasserstoffbombe. Tausendmal stärker als die Hiroshimabombe. Oder die kleinen Schwester der Wasserstoffbombe, die Neutronenbombe. Beide beziehen ihre mörderische Sprengkraft aus der Fusion von Atomkernen. Die Diskussionen um den Bau iranischer Atomkraftwerke zeigt, wie brüchig internationale Abkommen sind. Und tatsächlich gibt es hier ein Problem. Der Brennstoff Tritium wird heute nur in kleinen Mengen hergestellt. Sollten künftig Fusionskraftwerke gebaut werden, wird man Tritium in großtechnischen Maßstab produzieren. Ein wichtiges Material für die Wasserstoffbombe wäre damit verfügbar. Atmo hoch Sprecherin: Mietwagen. Anders kommt man von Marseille aus nicht nach Cardarache. Die Straße schlängelt sich 70 Kilometer Richtung Norden. Obstplantagen, Weinfelder und Pinienwälder begrünen die hügelige Landschaft. Die letzten Kilometer führen an einem Kanal mit azurblauem Wasser entlang. Dann plötzlich eine weite, asphaltierte Fläche und ein mit Stacheldraht bewehrter Masschendrahtzaun. Ein Container mit Büro für den Sicherheitsdienst, hundert Meter weiter ein dreigeschossiger Leichtbau. Das Headquarter des Forschungsprojektes ITER. Die Abkürzung ?Iter? steht für ?International Thermonuclear Experimental Reactor?. Seit 1990 in Planung. Aber was lange dauert, soll irgendwann auch mal gut werden, erklärt Norbert Holtkamp. Er war bis 2010 Principal deputy Director General und verantwortlich für die Konstruktion des Projektes ITER, heute ist er Vorsitzender des Direktoriums des Linearbeschleunigers SLAC, Menlo Park, Kalifornien. Take ITER selbst wird demonstrieren, dass man 500 Megawatt Leistung produzieren kann und 500 Megawatt thermische Leistung das ist schon ein kleineres Kraftwerk schon. ITER macht das noch nicht permanent, aber ITER macht das schon in Pulsen oder in Zeiträumen, die bis zu einer Stunde eben gehen ? und damit ist das im Gleichgewicht, ja? Und demonstriert, dass man das wirklich langfristig machen kann. Atmo Besuchergruppe im Bus Sprecherin: Auf dem Gelände tummeln sich Technik-Touristen. An diesem Tag eine ungarische Besuchergruppe. Sie können nicht viel sehen. In der Ferne ein planiertes Stück Fels, wo einmal der Reaktor stehen soll. Wo aber noch für Jahre Baufahrzeuge hin- und herfahren werden. Für einen Fusionsreaktor sind enorme Bauarbeiten notwendig. Ein ganzer Hügel ist für den Bauplatz abgetragen worden. Die Bäume, die dort standen, sind umgepflanzt worden. Ein Wald, so groß wie 250 Fußballfelder. 2019 soll es dann soweit sein. Dann soll das erste Plasma eingefüllt werden. Bis die Forscher jedoch experimentieren können, werden noch einmal acht Jahre ins Land ziehen. Das wäre dann 2027. Und falls die Experimente klappen, wird der Fusionsreaktor endlich gebaut? Denkste, sagt Norbert Holtkamp. Gebaut wird dann ein Demonstrator. Also eine Anlage, an der keine wissenschaftlichen Probleme mehr gelöst werden, sondern technische. Take Das ist, würde ich denken, vielleicht auch schon so ein bisschen konservativer Zeitplan. Einer muss sicherlich DEMO bauen. Ob DEMO so gebaut wird, wie man das heute konzipiert, wird sicherlich sehr, sehr, sehr davon abhängen, wie erfolgreich ITER ist. Wenn ITER sehr erfolgreich ist, abhängig vom Ölpreis, könnte ich mir gut vorstellen, dass die Industrie da deutlich eher einsteigt und es vielleicht schon selber übernimmt. Aber das hängt ein bisschen jetzt davon ab, wie gut wir also ITER hinkriegen, wie schnell das zum Laufen kommt und wie viel man wirklich erreicht. Sprecher: Würden die Wissenschaftler im Plan bleiben, ginge es 2040 mit richtig los. 130 Jahre, nachdem Ernest Rutherford die Fusion von Atomkernen als Energie der Sonne beschrieben hatte. 90 Jahre nachdem Lyman Spitzer an der Princeton University den ersten Fusionsreaktor baute. Aber noch immer argumentieren Wissenschaftler nach bekannten Mustern. Dass sie, wie schon seit sechzig Jahren, mit dem Joint European Torus, mit wendlstein-7X und mit ITER kurz vor einem Durchbruch stehen. Dass nur noch ein oder zwei Detailfragen zu klären sind, das Magnetfeld oder das Material der Reaktorwand. Und dass man Geld braucht, mehr als die 15 Milliarden Euro, die für ITER veranschlagt sind. Aber im Prinzip kann man den Fusionsreaktor bauen. Schon heute, sagt Sibylle Günter, wissenschaftliche Direktorin des Max Planck Instituts für Plasmaforschung. Take Das einzige Problem ist, dass es ein paar technologische Fragen auch gibt. Wir haben noch nicht getestet, wie man jetzt Brennstoff erbrütet ? Deuterium haben sie im Meerwasser, aber Tritium gibt es natürlich nicht ? sie wollen robuste Materialien haben, damit so ein Fusionskraftwerk ökonomisch ist. Aber prinzipiell, wenn sie sagen heute, sie brauchen jetzt ein Demonstrationskraftwerk, jetzt sofort bauen, ist ein hohes Risiko, unmöglich ist es nicht. Sprecher: Kann man solchen Aussagen trauen? Kann man sich auf Wissenschaftler verlassen, die zukunftsoptimistisch eigene Forschungsprobleme klein, und kleine Forschungserfolge groß reden? Oder sollte man irgendwann die Reißleine ziehen und sagen: Stopp, bis hierher und nicht weiter. Auch wenn das Ziel, unbegrenzt viel elektrische Energie, noch zu verlockend scheint. Eines wird sicher nicht geschehen. Dass Wissenschaftler, zur Einsicht gelangt, den Fusionsreaktor nie realisiert zu bekommen, sich der Öffentlichkeit stellen und sagen: Es wird nicht gelingen, die Energie der Sonne auf die Erde zu bringen. 1