DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature Dienstag, 10.02.2009 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Denke global, handle idiotisch - Alternative Kunst aus Nowosibirsk Von Viktoria Balon URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik Smereka/Mad Heads XL/Russendisko Ukraine Do Amerika (Compiled by Kaminer and Gurzhy) Ansage Denkle global, handle idiotisch Alternative Kunst aus Nowosibirsk Von Viktoria Balon O Ton Alina 1. Übersetzerin Es ist gut, auf diese flachen Dächer zu steigen. Von hier aus sieht man ganz Nowosibirsk. Wirklich Klasse! Jetzt haben alle Häuser eiserne Eingangstüren, nur hier noch nicht. Nowosibirsk ist eine junge Stadt. Sie wurde erst vor Hundert Jahren gegründet; hier gibt es nur wenige Sehenswürdigkeiten: ein paar alte Gebäude, das neue Hochhaus "Blauer Zahn" und neue Geschäfts- und Einkaufszentren. Die Konstruktivistischen Gebäude der 20er Jahre - die sind architektonisch interessant - sie tragen den Siegel des Avantgardismus. Das Haus der Kommune zum Beispiel. Es sollte von "neuen" Menschen bewohnt werden - von Kollektivisten, offenen, kontaktfreudigen Menschen, die ihre Türen nicht verriegeln. O-Ton Artjom 1. Übersetzer Dem Protagonisten des Films missfällt hier alles, er hält die Stadt für oberflächlich. Graue Häuser, keine aktiven Menschen, die Kunst im Arsch, und die einzige Galerie ist fürchterlich. Und dann frisst er bei einer Party irgendeinen Stoff und verliert das Gefühl für die Realität. Musik Ya Na Mori /Mad Heads XL /Russendisko Ukraine Do Amerika (Compiled by Kaminer and Gurzhy) Atmo Galerie, Gespräche und Stimmen Autorin Die ersten Gäste kamen eine Stunde vor der Eröffnung der Ausstellung und warteten geduldig auf der Straße im Schneegestöber. Die Künstler klebten in dieser Zeit noch die letzten Titel unter die Bilder. Musikende O-Ton Alina 1. Übersetzerin Das ist eine Troika - Russlands Präsident Dmitri Medvedev, Sergej Zverev - ein berühmter Friseur, Vjatsheslav Zajtsev - ein Couturier. Wie man sehen kann, hat man dem Medvedev beim Ringen aufs Auge geschlagen, im Fernsehen zeigt man ihn retuschiert, aber wir kennen die Wahrheit. O-Ton Artjom 1. Übersetzer Wir nennen die Troika "die drei am wenigsten funktionalen Sachen". Atmo Galerie, Gespräche und Stimmen Autorin Die Galerie "Ohne Seife "ist winzig: Eigentlich handelt es sich lediglich um ein Treppenhaus, das zu einem Reisebüro führt, aber mitten im Stadtzentrum. Sie zeigt die Arbeiten junger Künstler, Bearbeitungen von Fotos, die sie dem Internet entnommen, im Photoshop bearbeitet und bemalt haben. Populäre Figuren mit großer Medienpräsenz: Putin, bemalt wie eine Eidechse, grün und mit Hörnchen; Lustmörder; Triebtäter - russische und amerikanische, reale und solche aus Filmen. Ein Boxer, der seinem Gegner aus Wut das Ohr abbeißt, glamouröse Frauen. Die Künstler haben ihre Bilder zu seltsamen Troikas kombiniert. O-Ton Alina 1. Übersetzerin Das ist Xenia Sobtschak, ein Pop-Idol des russischen Fernsehens; sie interessiert sich für Demographie und will, dass mehr Kinder in die Welt gesetzt werden. In ihrer Fernsehshow wollen 15 junge Leute sich ein Haus bauen, und da findet so ein öffentlicher Paarungsakt statt. Neben ihr ist der Patriarch Alexij. Er ist wie sie für Liebe und Bevölkerungswachstum. Wir nennen die Installation: "Homophobie ist heilbar". Die Heilbarkeit der Homosexualität wird von unserer Kirche immer wieder behauptet. Wie kommt nun Freddy Krueger aus "Nightmare on Elm Street" in die Troika? - Alexij ist ein geistlicher Anführer, Sobtschak ein praktischer, und Freddy ist die Kehrseite, die ungeschminkte Wahrheit, Er steht für das, was sich hinter der Erhöhung der Geburtenrate und dem Kampf gegen die Homosexualität verbirgt. Autorin Die jungen Aktionskünstler der Gruppe "Die Oma nach dem Begräbnis" oder abgekürzt einfach "Oma" habe ich noch vor der Reise nach Nowosibirsk kennen gelernt. Artjom Loskutov und Dima Puris traf ich in Rostock, während der Proteste gegen den G8-Gipfel. Die anderen kenne ich über die Internet-Videospots ihrer Aktionen. Ihre Ausstellungen nennen sie "12". Sind damit die 12 Apostel gemeint, frage ich Alina Rybalova? O-Ton Alina 1. Übersetzerin 12 - das ist eine sakrale Zahl, die aus den Ziffern 2 und 1 besteht. 1 ist ein Stock, 2 ist ein Schwan. Ein kunstinteressierter Mensch hat sofort die Assoziation: Schwäne werden mit Stöcken geschlagen! O-Ton Ljuba 2. Übersetzerin Acht Jahre Putin-Regierung sind vorüber. Für uns war das die Zeit, in der wir im Leben Fuß fassen sollten, die Zeit der sekundären Sozialisation. Man hat uns diesen Brei aus unverdaulichen Mediengestalten und Ikonen eingetrichtert. Und das ist alles, was in unseren Köpfen geblieben ist. Autorin sagt Ljuba Beljackaja. Atmo: Sekt, Musik, lachen, Musik aus Galerie-Film Autorin Die Ausstellung wird mit Ananas und Sekt eröffnet, es sind so viele Menschen gekommen, dass es sehr schwierig ist, die Bilder zu sehen. Kameraleute zwängen sich durch das Gewühle. Die Künstler drehen hier eine Episode für ihren Film über Nowosibirsk. Fast alle Besucher sind sehr jung. Auch die Künstler sind erst 20 oder höchstens 23 Jahre alt. Die Zusammensetzung der Gruppe wechselt ständig. Ihre Mitglieder vereint die Entschlossenheit zur Provokation. Eine Provokation ist auch die Ausstellung und ihr Titel. Kurz zuvor war mit großem Rummel "Die 12", der neue Film von Nikita Michalkow, dem "Hof-Regisseur" des Kremls, in die Kinos gekommen. Der Film verklärt die orthodoxe Geistlichkeit, arbeitet mit patriotischem Pathos und stilisiert mit kitschigen Bildern den Krieg in Tschetschenien zur Friedensmission. Die Ausstellung und ihr Titel "12" seien eine Antwort darauf, sagt Artjom Loskutov. O-Ton Artjom 1. Übersetzer Unsere Gesellschaft und die Medien beschäftigen sich überhaupt viel mit der russischen Seele, mit Versuchen, sie zu verstehen, die nationale Idee zu finden. Wir haben versucht, unsere Version zu skizzieren. Atmo/Musik (aus Galerie-Film) Autorin Die offiziellen Russischen Medien spielen im Leben der Künstler keine wichtige Rolle. Das Medium, das sie wirklich interessiert, ist das Internet. Vor kurzem wurde die Website von Artjom Loskutov im Live Journal - dem populärsten bei russischen Nutzern virtueller communities - wegen angeblicher Drogenpropaganda gesperrt. Im Video-Spot, der Anlass für die Entfernung war, hatten Trickfilmfiguren die Freuden des Kiffens demonstriert. Atmo: Lachen eines Kinderspielzeugs, die Stadt, Autos Autorin Als ich am nächsten Tag Artjom Loskutov und Ljuba Beljatskaja an der Galerie "Ohne Seife" treffe, ist sie geschlossen. Die Bilder haben die Besucher mitgenommen. Die Leute vom Reisebüro "Hurra" hätten befürchtet, ihre Kunden könnten an dem, was da an den Wänden hing, Anstoß nehmen. Sie hätten aber versprochen, nach neuen Räumlichkeiten für die Galerie zu suchen. Artjom studiert an der Technischen Universität Video- und Fernsehkunst. In diesem Jahr will er sein Studium beenden. Wie viele russische Studenten arbeitet er nebenbei. O Ton Artjom 1. Übersetzer Ich drehe Nachrichten aus den Instituten, mache Videoinstallationen und dokumentiere wissenschaftliche Tagungen für meine Universität. Es gibt nicht so viel Arbeit und mein Gehalt ist auch nicht hoch. Mit Werbespots könnte ich wirklich Geld machen. Aber ich fände es schade, dafür Zeit zu verschwenden, die ich für was Kreatives nutzen kann. Mir würde es auch so reichen, aber meine Mutter ist Rentnerin. Irgendwann sollte ich sie unterstützen. Deshalb möchte ich nach dem Studium mit privaten Aufnahmen was dazu verdienen. Autorin Ljuba, seine Freundin, hat sich erst vor kurzem der Gruppe angeschlossen. Tagsüber kümmert sie sich in ihrem Büro um die Öffentlichkeitsarbeit einer EDV - Firma, abends schreibt sie Presse-Meldungen und Texte für den Internet-Blog der "Oma nach dem Begräbnis". Ljuba 2. Übersetzerin Die Firma, die die besten Werbespots in der Stadt dreht, hat einen Dokumentarfilm über Nowosibirsk gemacht, was für eine tolle Stadt das ist, voller Möglichkeiten: Die Kuppel des Opernhauses ist die größte Theaterkuppel Russlands, die Nikolaus- Kapelle ist im geographischen Zentrum des Weltalls errichtet, unsere Zukunft ist das Technozentrum. Atmo aus Werbefilm, Musik und Text pathetisch, Lachsack Ljuba 2. Übersetzerin Wir sind zur Diskussion gegangen und haben da gesagt, dass das ein bescheuerter Film ist. Dann hat Artjom beschlossen, einen eigenen Film über Nowosibirsk zu drehen und zu zeigen, wie wir die Stadt sehen. Atmo aus CAT-Film, Stimmen Autorin Der Protagonist des geplanten Films weiß nicht, ob er noch lebt. Um es festzustellen, soll er sein Haus suchen. Er geht durch die Stadt und begegnet verschiedenen Wesen, die ihm ein anderes Nowosibirsk zeigen. Wir sind im Atelier des Kurators der Galerie "Ohne Seife" Konstantin Skotnikov. Artjom und Ljuba wollen hier die erste Episode für ihren Film drehen. Das Atelier befindet sich auf dem Dach eines Wohnhauses; erbaut in den 70er Jahren vom Sowjetischen Künstlerverband. Ein großer heller Raum, in dem alles mit Staffeleien zugestellt ist. An den Wänden - Regale mit Büchern, Büsten, Installationen und Werke zeitgenossischer Künstler. Konstantin Skotnikov, gehört zur bekannten russischen Künstlergruppe "Blaue Nasen". Ihre Mitglieder sind für ihren derben Humor bei der Behandlung von aktuellen Themen bekannt. Ihre berühmtesten Werke: die Darstellung halbnackter Männer in Putin- und Bush-Masken; sich zärtlich küssender Polizisten zwischen Birken. Atmo-Ende Der russische Kultusminister bezeichnete ihre Werke als "Pornographie" und als "eine Schande für Russland". Die Sammlung der Französischen Nationalstiftung für Moderne Kunst hingegen hat einige dieser Werke gekauft. Alle "Blaue Nasen" außer Konstantin Skotnikov sind nach Moskau umgezogen. Bei den jungen Künstlern in Nowosibirsk gilt Konstantin Skotnikov als Guru. O-Ton Skotnikov 3. Übersetzer Warum ich nicht weggehe? Ich fühle mich nicht wie ein gesunder und kräftiger Mensch. Ich mag Nowosibirsk, weil ich es mag, hier krank zu sein. Ich habe nicht den Willen, die Situation zu verändern. Deshalb habe ich beschlossen, hier der Einwohner zu sein, der im eigenen Kloster lebt. Und ich will diesen lokalen Kontext schaffen. Atmo: Dreharbeiten, Stimmen Autorin Als Artjom Loskutov gerade mit den Filmaufnahmen beginnt entflammt sich eine Diskussion über das neue Manifest der Gruppe und darüber, ob die Kunst sich grundsätzlich für beschissen erklären kann, und wo es so etwas schon mal gegeben habe. O-Ton Skotnikov 3. Übersetzer Die Oma-Künstler sind die Nachfolger des Moskauer Aktionismus, und der Moskauer Aktionismus der 90er Jahre war eine der interessantesten Erscheinungen in der postsowjetischen modernen Kunst. Außerdem sind diese Menschen auch bemerkenswerte Figuren in der Jugendbewegung. Mit ihnen kann ich immer spannende Gespräche führen und sie überreden mich, Ausstellungen zu machen. Autorin Konstantin Skotnikov unterrichtet Grafik an der Architektur-Akademie. Ein paar Jahre lang leitete er das Projekt "Neues Kulturhaus": Zum Programm gehörten Ausstellungen, ein Festival für sehr kurze Videofilme, Vorträge, Videodokumentationen internationaler Biennalen. Die jungen Aktionskünstler haben mit einer avantgardistischen Nacht-Ausstellung und einem Happening zum Programm beigetragen. Atmo: Cat Happening Autorin Dann wurde der Geldhahn zugedreht. O-Ton Skotnikov 3. Übersetzer Dort war ein gutes Team, und ich habe davon geträumt, dieses Projekt in ein Zentrum für Moderne Kunst zu verwandeln! Denn bei uns gibt es nur die Klassik im Stadtmuseum. Die Galerien kann man entweder nicht so richtig als Galerien bezeichnen oder sie präsentieren eine moderne Kunst, die im internationalen Kontext keine Bedeutung hat. Ich sage das halb im Spaß, halb im Ernst: Solange es amerikanisches Geld gab, entwickelte sich die Kunst. Russisches Geld sehe ich nicht. Offizielle Figuren wollen - bewusst oder unbewusst - nicht, dass es in Nowosibirsk moderne Kunst gibt. Die meinen, dass sich in Russland nur die nationale Kunst entwickeln soll, nur lokale, nur "unsere". Ich kann auch mich selbst beschuldigen: Ich habe es nicht gelernt, mit der alten Garde der "Machthaber" zu kommunizieren, habe nicht gelernt, sie um etwas zu bitten. Autorin Das Filmfestival zog zusammen mit seinem Gründer nach Moskau um. Einige junge Oma-Künstler studieren im Ausland. Als erster ging Max Neroda nach Deutschland, der Gründer der Gruppe, die damals CAT (Contemporary Art Terrorism) hieß. Im vergangen Jahr sind ihm zwei weitere Künstler nach Berlin gefolgt. Artjom ist der einzige in der Oma Gruppe, der schon ganz am Anfang dabei war. Die Wahl: wegfahren oder bleiben ist in Nowosibirsk für jeden Künstler die Frage Nummer eins. Die zweite Frage ist wohin: nach Moskau oder noch weiter. O-Ton Artjom 1.Übersetzer Nowosibirsk muss man nicht unbedingt lieben. Das ist einfach eine Stadt, in der man lebt. Wir sagen nicht, dass die Stadt widerlich ist, aber wir wollen zeigen, dass sie ambivalent ist. Sie steht am Übergang über den Fluss Ob. Sie entstand beim Bau der TransSib - als Brücke zwischen dem Westen und dem Osten. Auf dieser Brücke steht ganz unentschieden der Protagonist unseres Films. Es gibt hier diesen eigenartigen Eklektizismus, der ein lustiges Milieu schafft. Autorin Die Stadt ist für die Gruppe in allen ihren Aktionen der Akteur und die Bühne zugleich, auch deshalb, weil sie keine andere Bühne haben. Ihr bevorzugtes Genre ist die konzeptuelle Straßenkunst.. Atmo von der Monstration (Trommel, Ausrufe aus der Menschenmenge) Autorin Die Demonstration zum ersten Mai. Vorne die roten Fahnen der Kommunisten und die nationale Trikolore der regierenden Partei "Einheitliches Russland", hinter ihnen zieht eine bunte Menschenmenge unter Parolen wie "Denke global, handle idiotisch", oder "Nicht Eier schmücken den Menschen, sondern der Mensch schmückt die Eier!" In dem Gedränge dreht "Die Oma" für ihren Film über Nowosibirsk, ein unabhängiges Internet-TV - dokumentiert die seltsame Prozession, eine Manga-Fan-Gruppe schießt ihre Bilder für einen Film über die Revolution. Die Männer in Zivil drehen ihren eigenen Film. Atmo Ende O-Ton Artjom 1. Übersetzer In einem unserer Manifeste sagen wir: Die einzig normale Antwort auf den Appetit der Macht ist das Absurde. Als Verweigerung der Zurichtung und als Ausdruck des Unwillens, aus den angebotenen Varianten zu wählen. Man bietet dir an, ein Bier zu trinken, mit Freunden zu picknicken oder zu den Kommunisten zu gehen. Du hast die Freiheit, nach der Schule zur Armee zu gehen oder einen Beruf zu lernen, den du nicht brauchst. Du willst noch etwas anderes und dadurch die festgelegte Ordnung brechen. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir wider die Regeln spielen. Atmo von der Monstration Autorin Vor fünf Jahren haben sich die Aktionskünstler und einige ihre Freunde zum ersten Mal mit absurden Parolen an der Demonstration zum 1. Mai beteiligt. Ein Jahr später kamen bereits mehr Menschen mit Parolen wie "Trommel an den Hals, Trompete in den Mund". Noch ein Jahr später haben die Künstler niemanden mehr mobilisiert, aber die Menschen sind trotzdem gekommen. Inzwischen lebt diese absurde Prozession ihr eigenes Leben und zieht Jahr für Jahr Hunderte von Studenten und Vertreter verschiedenster Subkulturen an. Die Künstler nennen diese Form des Happenings Monstration. Atmo: Computer Blog 2. Übersetzer Videogruß von DJ BUZ und von DJ Tretjakov-Jeep Atmo: Computer Blog 2. Übersetzer: Hallo alle! Ich bin DJ BUZ, und das ist DJ Tretjakov-Jeep. Wir laden Sie auf eine Party ein, "Überraschung auf ihrem Gesicht"! Bringen Sie dem Loskutov seinen Hund zurück! Atmo von der Monstration Autorin Den großwüchsigen Artjom, dessen schwarze Dreadlocks bis zur Gürtellinie reichen, kann man zwischen den Nachahmern japanischer Rockmusiker und den Punks, die sich zur Maidemonstration versammelt haben, schon von weitem erkennen. Artjom war bis letztes Frühjahr Solist in einer Punk-Band. Mit 16 war er nach Barnaul gefahren, um am ersten russischen Sozialforum teilzunehmen. Damals war er Erstsemestler an der Uni. Ein Jahr später klebte er mit einem Freund Stickers auf Wahlplakate und schmückte Putin mit dem Hitler-Bart. Damals lernte er den jungen Künstler Max Neroda kennen. Sie gründeten die Gruppe "CAT" und organisierten erste Aktionen. Eine davon war die Verwandlung der Mai Demonstration in eine Monstration. Seitdem interessiert sich auch die Polizei für Artjom. Atmo: Gespräch Polizeifunkgerät O-Ton Ljuba 2. Übersetzerin Auf einmal waren wir umringt von Polizisten und Menschen in Zivil, und rund herum waren die Monstranten. Artjom weigerte sich, mit den Polizisten mitzugehen. Einer in Zivil forderte mich auf, keine Aufnahmen zu machen, sonst würde er meine Kamera zerstören. Die Menschen in Zivil versuchten Artjom mitzunehmen, drohten ihm, dass sie seinen Uni-Abschluss verhindern würden. Eine Provokation, und dazu noch so eine dumme. Atmo aus Film von Ljuba mit den Polizistenstimmen Autorin Ljuba stand die ganze Zeit neben Artjom und hielt ihn bei der Hand. In der anderen Hand hielt sie die Kamera, mit dem Objektiv nach unten. Der Clip mit den Polizistenschuhen und dem Sound erschien am nächsten Tag auf der Internetseite. 3000 Besucher hätten sie jeden Tag besucht, erklärt Ljuba voller Stolz. Atmo Ende Autorin Artjom hält den Polizeieinsatz für eine Einschüchterungsstrategie. Auch bei anderen Aktionen seien immer wieder Teilnehmer festgenommen, aber bald auch wieder freigelassen worden. Alle seien mit Geldstrafen davongekommen. Man müsse Ruhe behalten und sich an dem Prinzip "Handle idiotisch" orientieren. Verglichen mit den Übergriffen der Moskauer Polizei, die Jugendliche aus alternativen Szenen mitunter grundlos verprügelt, wirkt die Polizei in Nowosibirsk tatsächlich eher friedlich. Die Moskauer anarchistischen Künstler aus der Art-Gruppe "Wojna" - "Krieg" - veranstalten sehr beeindruckende Aktionen, aber sie müssen blitzschnell und in kleinen Gruppen handeln. In Nowosibirsk, meinen die Künstler, lasse sich mehr machen. O-Ton Artjom 1. Übersetzer Wenn wir unsere eigene Aktion machen würden, würden nicht viele kommen. Die Polizei würde alle auseinander treiben und nachher sagen, dass das Fußballfans gewesen seien, so wie sie das mit den Anarchisten in Moskau gemacht haben. Also, wenn es schon eine attraktive Aktion gibt, dann kannst du sie dir zunutze machen und sie umdrehen. Das war mit der Monstration so, das war so auch mit der Antipiraten-Aktion. Wir sind zu dieser Antipiraten-Aktion gegangen und haben versucht, sie umzudrehen. Atmo Piratenaktion und Musik Ya Na Mori /Mad Heads XL /Russendisko Ukraine Do Amerika (Compiled by Kaminer and Gurzhy) Autorin Eine Kette von Audio und Videoläden hatte die "Antipiraten"-Aktion initiiert: Den jungen Menschen wurde angeboten, illegale DVDs oder CDs gegen legale umzutauschen - zum Kurs von 3:1. Tatsächlich brachten viele ihre CDs. Als sie von einem Bagger zerquetscht werden sollten, verteilten die Oma Künstler Flugblätter mit einem Bekenntnis zum Piratentum: Atmo Ende O-Ton Katerina Parshutina 3. Übersetzerin Ein Berg von CDs lag schon auf dem Boden, und in dem Moment tauchten wir auf - mit schwarzen Fähnchen in den Händen mit der Aufschrift "I love pirats". Vom Dach des Nachbarhauses ließ jemand zur Begeisterung der Zuschauer ein schwarzes Spannplakat mit Schädeln und Knochen und den Worten "Freiheit! Gleichheit! Piraterie!" herunter. Als der Bagger losfuhr, um die CDs zu zerquetschen, haben wir uns prompt auf diesen Haufen gesetzt. Und obwohl der Bagger versuchte, uns einzuschüchtern, ließen wir uns nicht erschrecken. Autorin Damals war Katerina Parschutina noch Studentin, heute arbeitet sie als Journalistin für einen privaten Radiosender. O-Ton Katerina Parshutina 3. Übersetzerin Dann kamen die Veranstalter mit einem Geländewagen und versuchten ebenfalls uns Angst zu machen. Am Ende hantierten sie aus dem Fenster des Autos heraus mit einem Feuerzeug, und natürlich flammte alles sofort auf und eine Rauchwolke stieg hoch. Wir flüchteten ins Atelier von Skotnikov. Autorin Noch als Studentin war Katerina Siegerin beim russischen Wettbewerb junger Theaterkritiker geworden. In Petersburg besuchte sie einen Kurs, bei dem die bekanntesten russischen Kulturjournalisten talentierte Nachwuchskräfte unterrichteten. Sie ist zwar erst 24 Jahre alt, hat aber sogar schon einige Zeit als Dozentin an der Uni gearbeitet. Da hat sie aber keine Perspektive gesehen. Das Gehalt habe gerade gereicht, um die Fahrtkosten zur Arbeit zu decken, Studenten telefonierten während der Vorlesungen mit ihren Handys, interessierten sich allenfalls für ihre materiellen Perspektiven, einige wollten überhaupt nichts lernen. Atmo Äther FM-Radio O-Ton Katerina Parshutina 3. Übersetzerin Die Medien in Nowosibirsk sind alle abhängig, von der Werbung, von den Mächtigen, von der Unterhaltung. Einen interessanten Kulturjournalismus gibt es in Nowosibirsk nicht. Ich kann es mir aber nicht leisten, zwei Wochen lang eine Rezension für eine Kulturzeitschrift zu schreiben, und dann ein halbes Jahr auf das Honorar zu warten. Man muss noch irgendwo arbeiten, um zu überleben. Beim Radio kann man keine eigene Meinung äußern, hier wird man aber nicht schlecht bezahlt. Ich bin alt genug und kann nicht vom Geld meiner Eltern leben. Autorin Katerina geht nicht mehr zu den Aktionen. Sie sei "erwachsen geworden", sagt sie. Sie will ihren Freund, einen Marktanalytiker, heiraten und sucht gerade eine Limousine für die Hochzeit. Auch den Beruf will sie wechseln. In ihrer Freizeit näht sie Plüschbären, jetzt denkt sie darüber nach, einen Handarbeitsladen zu eröffnen. Atmo Blog 2. Übersetzerin Heute ein Videogruß von einer minderjährigen Verbrecherin. Autorin Ein junges Mädchen mit kindlicher Mütze steht auf der Straße an einer Plakatsäule mit der Werbung des Mobilnetzanbieters BeeLine. Atmo Blog 2. Übersetzerin Ich bin fünfzehn Jahre alt, ich gehe in die Schule, ich wohne in Nowosibirsk und arbeite bei der Firma BeeLine. Wenn sie den Blog nicht zurückgeben, werde ich nicht mehr wissen, was ich in meiner Freizeit tun soll. Ich werde gezwungen sein, meinen Körper auf der Straße zu verkaufen. Es wird eine minderjährige Täterin mehr geben. Autorin Wir sehen uns das Video einer Oma Aktion an, in dem junge Frauen BHs an bunten Ballons befestigen und sie zwischen Betonbauten aus der Stalinzeit in den Himmel steigen lassen. Die Künstler überlegen, ob sie diese Szene in ihren Film einbauen sollen. Atmo aus Aktion-Video, Begeisterte Schreie, Auto- Hupen O-Ton Tanja 3. Übersetzerin Wir standen da mit der Parole: "Frau = Mann = Mensch". Wir wollten den wahren Sinn des Internationalen Frauentags erklären. Und damit es lustiger wird, haben wir BHs in den Himmel geschickt, als Symbol der Befreiung der Frau. Alle fanden es toll. Wie die BHs geflogen sind, das war so wunderschön. Es hat sich rausgestellt, dass man für einen BH mindestens fünf Luftballons braucht. Autorin Tanja ist 21 Jahre alt. Sie studiert Design an der Hochschule für Kunst und Grafik und sie bezeichnet sich als Anarchistin. In ihren Bücherregalen stehen die Werke von Bakunin und Kropotkin neben globalisierungskritischer Literatur. An den Wänden hängt die mit einem Anarchie Zeichen verfremdete russische Trikolore, ein Plakat, das dazu aufruft, bei den Wahlen gegen alle zu stimmen, eine schwarze Fahne mit der Aufschrift "I love pirats", die Reproduktion eines Modiglianis und ein paar Grafiken und Fotoarbeiten von Tanja und ihren Freunden. Eine große Videoleinwand, lustige Plüschtiere, die wichtigste Zeitschrift der kreativen Klasse in Russland. Sie hat mich zu sich nach Hause eingeladen, nachdem wir den Film "Birdy" von Alan Parker über den Vietnam-Krieg gesehen haben - im Filmclub, den Tanja an ihrer Hochschule gegründet hat. O-Ton Tanja 3. Übersetzerin Wir wollten zeigen, dass Krieg etwas Schreckliches ist, den Krieg schmutzig zeigen, ohne Heroismus und Ästhetik. Wir wollen den Menschen nicht nur schöne und gute Filme zeigen, wir wollen auch ihre Gehirne aufladen. Es gibt auch Filme über Tschetschenien, aber ich habe Angst vor Radikalität. Wir haben diesen sehr, sehr wertvollen Kinoklub, und ich will nicht, dass er geschlossen wird. Wir können keinen Film zeigen, in dem gesagt wird: Der Staat ist Scheiße, lass uns gegen die Partei "Einheitliches Russland" kämpfen. Man muss sehr vorsichtig vorgehen. Musik Punk Autorin In Nowosibirsk gebe es keine wirklich anarchistische Bewegung, aber verschiedene soziale Bewegungen oder Einzelpersonen beriefen sich auf Ideen der Anarchisten, erklärt mir Tanja, Vegetarier oder Tierschützer zum Beispiel oder Antifa Gruppen und eben die Oma-Künstler. Sie unterstützen sich gegenseitig bei ihren Protestaktionen und sie verstehen sich als radikale Alternative zu Jugendorganisationen wie die "Unseren" und die "Junggarde ". Die werden von der russischen Regierung gegründet und in allen Städten großzügig finanziert. Sie sollen für Kontinuität des politischen Kurses sorgen, vor allem aber orangene Revolutionen verhindern. Wegen ihrer nationalistischen Demagogie, ihrer Fremdenfeindlichkeit und wegen ihrer aggressiven Ablehnung linker Altersgenossen werden die "Unseren" und die "Junggarde " im Volksmunde "Putinjugend" und "Unserschisten" genannt. Diese Organisationen rekrutieren sich wie die rechtsradikalen Banden aus einem brutalisierten Jugendmilieu, dem der sogenannten Hopniks, denen in Städten wie Nowosibirsk Tausende von Jugendlichen zuzuordnen sind. Die Hopniks teilen die Bezirke der Städte unter sich auf und machen in ihren Revieren Jagd auf Fremde und Intellektuelle. Musikende O-Ton Tanja 3. Übersetzerin In meiner Kindheit - ich will nicht sagen, dass ich schon erwachsen bin, - war ich Punkerin und habe viel getrunken. Aber meinen eigenen Willen hatte ich schon. Damals sah ich viel verwegener aus als heute. Ich hatte eine Irokesenfrisur und Tätowierungen. Die Hopniks haben uns geschlagen. Ich habe nicht so gedacht wie manche andere: weg mit den Klamotten, nie mehr Punker sein! Ganz im Gegenteil: Sie haben kein Recht uns zu verfolgen, ich werde immer Punker bleiben. Als ich älter wurde, ging ich damit konstruktiver um, hatte keine Lust mehr, diese Irokesenfrisur zu tragen. Also, früher war es den Hopniks nicht recht, dass ich ein cooles Mädel mit Irokesenschnitt war, jetzt sind sie zu Faschisten geworden. Sie sind nicht nur nationalistisch. "Du bist schmutzig, du stinkst", sagen sie, "du bist kein Mensch". Autorin Tanja ist Aktivistin der Nowosibirsker Sektion einer internationalen Organisation, die sich "Food not bombs" nennt und vegetarisches oder veganes Essen zubereitet und verteilt. Es geht dabei nicht so sehr um Wohltätigkeit, sondern darum, das kapitalistische Wertprinzip zu hinterfragen: Es gibt nicht genug Geld, um die Armen zu ernähren, aber genug für Waffen, um Kriege zu führen, lautet die zentrale Botschaft der Aktivisten. O-Ton Tanja 3. Übersetzerin Wir hatten große Töpfe, standen damit auf der Straße und gaben den obdachlosen Menschen zu essen - jeden Sonntag. Es war alles wunderbar, bis die Gruppe, zu der ich gehöre, von Faschisten überfallen wurde. Ca. 20-30 Jugendliche stürzten sich auf uns, wir waren zu fünft. Die Jungs sind weggelaufen, uns Mädels haben sie nicht angerührt. Sie demolierten die Töpfe und schlugen einen jungen Skater zusammen, der zufällig in der Nähe war. Er war etwa fünfzehn Jahre alt. Autorin Auf meine Frage ob sie die Polizei gerufen hätten, winkt Tanja ab: Selbst wenn die Täter gefunden würden, kämen sie bestenfalls mit einer Geldstrafe wegen Rowdytums davon. Tanja erzählt mir, die Faschisten hätten im vorigen Jahr das Öko- Lager gegen Atommüll am Baikal-See überfallen. Die Polizei sei erst gekommen, als viele Umweltfreunde schon verprügelt worden waren und es sogar einen Toten gab. Die Polizisten sagten, dass sie die Sicherheit der Demonstranten nicht hätten garantieren können. Wichtiger war es ihnen, die politischen Motive dieses Überfalls zu vertuschen. O-Ton Tanja 3. Übersetzerin Mir geht es nicht nur um politisches Engagement, es geht auch um eine innere Haltung. Verwandte und die meisten meiner Bekannten verstehen nicht, warum ich mich auf diese gefährlichen Aktionen einlasse. Tatsächlich gibt es ab und zu Momente, da denke ich: "O Gott, zum Teufel damit. Ein Kind kriegen, arbeiten und friedlich leben, das wärs doch." Aber das ist unmöglich, weil man im Kopf nicht einfach zurückgehen kann. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, nur dafür zu leben, einen Beruf und eine gut bezahlte Arbeit zu ergattern, ein Auto zu kaufen und Geld für Immobilien zu sparen. Autorin Tanja ist die Tochter einer vermögenden Familie. Ihre Mutter macht Geschäfte in dem an Diamanten reichen Jakutien. "Meine Mutter träumt von einer normalen Tochter", sagt Tanja. "Einer Tochter, der man einen Mantel für 80 Tausend Rubel schenken könnte, die man unterstützen könnte bis sie ihr eigenes Geschäft beginnt." Tanja sagt, wenn sie ein Kind hätte, wäre ihre größte Sorge, das Kind könnte Manager werden wollen. Atmo Cafe Autorin Ich treffe mich mit Künstlern in ihrem Lieblings Café, dem "Travelers". Zwei Stockwerke, rote Hängematten und in jeder ein Gast oder ein Pärchen, große Fenster und lange Tische. Sie bezeichnen es als ihre französische Terrasse zwischen den Schneebergen. An den beiden Nachbartischen sitzen Teenager in rosa Kleidern mit dramatisch geschminkten Augen. Sie tragen schwarze Armringe mit Dornen und rosa Handschuhe. Sie nennen sich "Emos" und sind die populärste Subkultur der russischen Teenager. Mit einer Mischung aus kindlichen und düsteren Accessoires wollen sie ihre Sensibilität ausdrücken, gegen die gewalttätige und vereinheitlichende Welt der Erwachsenen protestieren. Das Russische Parlament will die Emos verbieten, wegen ihrer angeblichen Bisexualität und wegen ihrer Neigung zum Selbstmord. "Wir treffen uns fast immer hier", - sagt Alina, "hier planen wir unsere Aktionen und hier besprechen wir unsere Manifeste". Und hier hängen sie auch ihren Träumen nach. O-Ton Alina 1. Übersetzerin Wenn die Welt vollkommen wäre, gäbe es das ganze Jahr hindurch in allen Architekturakademien der Welt Konferenzen. Die Menschen aus Nowosibirsk würde man nach Mali einladen, sie würden dort ein Praktikum machen. Ich würde gerne so eine Reise machen. Bei Gelegenheit würde ich aber auch als Touristin reisen. Autorin Dafür müsste sie aber erst mal das nötige Geld haben und es sieht nicht danach aus, dass sie das in den nächsten Jahren verdienen könnte, zumal ein Flug von Nowosibirsk nach Moskau weit teurer ist als eine Reise von Moskau in jede beliebige europäische Stadt. Alina ist zwanzig und studiert seit drei Jahren Architektur. Sie hat einen der wenigen und hart umkämpften staatlich subventionierten Studienplätze ergattern können, ihre Eltern hätten das Studium und die Studiengebühren nicht finanzieren können. Alina möchte gerne Architekturgeschichte unterrichten, damit kann man aber kein Geld verdienen. Und Einkaufszentren entwerfen - das liegt ihr nicht. O-Ton Katja Drobyscheva Übersetzerin Eine unserer besten Aktionen hieß die "Schule für rechtzeitige Kunst". Wir haben das leer stehende Verwaltungsgebäude der Luftstreitkräfte besetzt und alle Künstler in Nowosibirsk eingeladen, mit zu machen. Die einen stellten ihre Installationen auf, andere hängten Bilder an die Wände. Die Idee war folgende: Lernen muss man rechtzeitig, und zu jeder Zeit. Das System, das aus dem Menschen einen Profi macht, der ans System wie eine Schraube angepasst ist, ist falsch. Autorin Katja Drobyscheva war Mitbegründerin der Gruppe "CAT". Inzwischen ist sie Dozentin für Englisch und Geschichte an der Wirtschaftsuniversität und interessiert sich mehr für soziale Initiativen als für die Kunst. O-Ton Katja Drobyscheva Übersetzerin Ich habe da mein Objekt: "Geschichte nach dem Eurocent" ausgestellt. Die Eurocents bedeckten strahlenartig die Europa-Karte. Für die Karte selbst habe ich ein Motiv der Eurocentmünze genommen und das vergrößert. Darauf habe ich Plakate verteilt, die ich vom europäischen sozialen Forum mitgebracht hatte. "Dieses Europa ist voll von Demonstrationen und Protesten, und das ist ein Europa, das wir nicht kennen" wollte ich damit sagen. Wir in Russland leben in einer geschlossenen Welt, die immer geschlossener wird. Aber das Interesse für Europa ist groß, es ist wichtig, dass die Leute von all diesen lebendigen Bewegungen erfahren, die es dort gibt. Autorin Artjom Loskutov hat viele dieser Bewegungen bei den Protestaktionen gegen den G8-Gipfel in Rostock kennen gelernt. Am meisten beeindruckt hat ihn, wieviele Menschen sich selbst organisieren und damit Erfolg haben. O-Ton Artjom Übersetzer Nach meiner Rostock Reise war mir klar, dass es schön und gut ist, das Absurde unserer Wirklichkeit zu zeigen, aber man kann mehr machen. Ich habe meine Einstellung zur Stadt revidiert und will nun nicht mehr um jeden Preis auswandern. Wenn man in den Westen will, sollte man ein konkretes Ziel haben. Früher war es mein Traum zu internationalen Biennalen zu fahren, aber jetzt denke ich: ja, das ist gut, und du wirst vielleicht mit deiner Kunst Geld verdienen, aber deine Stadt, deine Umgebung werden sich nicht ändern. Und mich interessieren die soziale Kommunikation und kollektive Initiativen für die Verbesserung des Lebensraumes. Auch das ist Kunst, eine durchaus avantgardistische Kunst. Atmo: Computer Blog Übersetzer Ein Videogruß von Ivan Lochman, einem bekannten Nowosibirsker Fotokünstler und Mann ohne Pass. Atmo Blog O-Ton Übersetzer Ich habe gehört, dass man dem User - sage ich das richtig? - Loskutov den Account - heißt das so? - gesperrt hat. Das geschieht ihm ganz recht. Man soll sich nicht in die virtuelle Welt zurückziehen! Genug der Kinderspiele! Er soll hier herumgehen, seinen Zottelkopf schütteln. Autorin Artjoms erster Film "Geld für die Revolution" zeigte wie die Oma-Künstler auf dem Nevski-Prospekt in Petersburg Geld für die Weltrevolution sammelten. Damit gewann er zwar den Zuschauerpreis beim Festival "Russian Elementary Cinema", an der Uni hat ihm das allerdings nicht geholfen. O-Ton Artjom 1. Übersetzer Man ließ mich beim Staatexamen durchfallen. Meine Beziehung zum Institut ist merkwürdig. Die Professoren sagen, meine künstlerische Tätigkeit sei "eine Schande für die Lehranstalt?. Es gefällt ihnen nicht, dass die Medien über mich berichten, dass ich mit den "Blauen Nasen" zu tun habe, die von unserem Kulturminister gerügt wurden. Dass sie in der ganzen Welt ausstellen - das ist meinen Lehrern unbekannt oder für sie irrelevant. Die Menschen, die mit Kunst zu tun haben, müssen doch ein bisschen mehr Ahnung haben. Autorin Widerstand gibt es auch gegen den geplanten Film über Nowosibirsk: Artjom wurde empfohlen, ein anderes Thema für seine Diplomarbeit zu suchen. Musik Smereka/Mad Heads XL/Russendisko Ukraine Do Amerika (Compiled by Kaminer and Gurzhy) Autorin Seitdem ich Nowosibirsk verlassen habe, verfolge ich die Ereignisse auf der Internet- Seite der "Oma". Im August wurde die White Cube Gallery eröffnet, das erste Zentrum für moderne Kunst in Nowosibirsk. Die Galerie ist eigentlich ein Projekt und ließe sich als Garage aus Metall beschreiben oder als Schatulle mit Kunst. Entwickelt wurde sie von Konstantin Skotnikov und dem österreichischen Künstler Lukas Pusch. Im Sommer 2009 wird die "White Cube Gallery Nowosibirsk? auf einem LKW von Nowosibirsk nach Wien gebracht und dort zu sehen sein. Niemand hat Atjom Loskutov seinen Blog zurückgegeben, aber die auf der "Oma" - Seite eingestellten Videos haben bis zu zwanzigtausend Zuschauer bei YouTube gefunden. Artjom Loskutov ist mit seiner Diplomarbeit beschäftigt und schreibt an einem neuen Drehbuch. Der Protagonist will binäre Oppositionen auflösen, will nicht über die Brücke gehen, sondern am Strand tanzen. Der Film soll "Fegefeuer" heißen, zwischen Leben und Tod, zwischen zwei Ufern spielen. Er soll einen Raum zwischen der Hölle und dem Paradies, zwischen dem "Guten" und dem "Bösen" schaffen und er soll deutlich machen, dass nicht die Geographie diesen Raum definiert, sondern unsere Einstellung und unser Handeln. Musik Smereka/Mad Heads XL/Russendisko Ukraine Do Amerika (Compiled by Kaminer and Gurzhy) Absage Denkle global, handle idiotisch Alternative Kunst aus Nowosibirsk Ein Feature von Viktoria Balon Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2009. Es sprachen: Isis Krüger, Anja Bilabel, Susanne Dobrusskin, Frauke Poolman, Philipp Schepmann, Bruno Winzen und Volker Risch Ton und Technik: Eva Pöpplein und Gaby Traichel Regie: Wolfgang Rindfleisch Redaktion: Hermann Theißen Atmo: Blog-Pfeifen 22