Deutschlandfunk GESICHTER EUROPAS Samstag, 19. September 2015 / 11:05 – 12:00 Uhr Mit Pauken und Trompeten: Das Fest der Blechbläser im serbischen Guca Mit Reportagen von: Dirk Auer Am Mikrofon: Britta Fecke Musikauswahl und Regie: Babette Michel Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar – Trailer Mod: Dejan Lazarevic tourt mit seinem Orchester von einem Fest zum nächsten O-Ton 1: Alle warten hier nur auf den Tag, dass sie wieder auf ein Feier gehen und loslegen können. Durch die Musik drücken sie ihre Gefühle aus, das ist Teil der serbischen Kultur. Und Du siehst, dass die Trompete das Instrument ist, das von 95% der Nation geliebt wird. Mod: …doch von ihrer Musik zu leben ist nicht leicht: O-Ton 2: Die Leute haben aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation einfach kein Geld mehr. Und darunter leiden vor allem die Orchester, die nicht so bekannt sind. Für sie ist es viel schwerer als früher. Mod: Mit Pauken und Trompeten: Das Fest der Blechbläser im serbischen Guca Mit Reportagen von Dirk Auer Am Mikrophon begrüßt sie Britta Fecke 1. MOD Frieden herrscht schon seit vielen Jahren, doch beim Gedanken an Serbien kommen sie wieder die Namen: Milosevic, Mladic oder Karadzic, kaum einer denkt an Boban Markovic. Die Kriegsverbrecher sind in Westeuropa immer noch präsenter als Serbiens berühmtester Trompeter, obwohl er mit seiner Brass-Band schon lange Konzerthäuser in der ganzen Welt füllt. Atmo: anhaltender Trompetenton Der Balkanbeat ist nicht nur der froh gelaunteste Exportschlager des Landes, er gibt auch den Takt im Alltag vieler Serben an. Ob Taufe, Beerdigung oder Hochzeit – die Trompetenorchester dürfen auf keiner Familienfeier fehlen, zumindest auf dem Dorf. Auf Hochzeiten tragen sie die Feiergemeinde musikalisch durch den ganzen Tag und die lange Nacht. Geheiratet wird vor allem im Sommer, denn dann ist Chance größer, die weit verstreute Verwandtschaft wieder im Dorf zu versammeln. Für die Orchester herrscht deshalb in der heißesten Zeit des Jahres die Hochsaison -eine musikalische aber auch sportliche Herausforderung: Atmo: einsetzende Musik Reportage 1 Autor Schon um 11 Uhr schallt es durch das ganze Dorf. Die Familie der Braut hat in ihrem Garten ein paar provisorische Stände aufgebaut. Seit einer Stunde spielt das zehnköpfige Orchester schon – bei Temperaturen, die auf die 40 Grad zugehen. Atmo Die Braut tritt aus der Eingangstür, in strahlendem Weiß und eine Schnapsflasche in der Hand. Die Musiker erhöhen die Geschwindigkeit. Und trotz der Hitze finden sich immer ein paar Gäste, die bereit sind mitzugehen. Schnell. Atmo Und immer schneller. Atmo So dass sich auf den Hemden und Kleidern bald großflächige Schweißflecken abzeichnen. Atmo Und schon klebt, als Trinkgeld, der erste Geldschein auf der Stirn eines Trompeters; der Bräutigam geht noch einmal mit der Schnapsflasche herum, die Musiker nutzen die kurze Pause, um sich mit einem Handtuch den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Dann wird zum Aufbruch geblasen. Atmo Auch der Gang zur Kirche gehört zum Ritual. Ganz vorneweg, auf einem Pferd und mit der Flagge Serbiens in der Hand: der Brautführer. Dahinter folgen das Orchester, das Brautpaar und schließlich die etwa 100 Gäste, die schon jetzt eingetroffen sind. Nach serbischen Maßstäben: der engere Familienkreis. Atmo Für Dejan Lazarevic und sein Orchester bedeutet die Trauung in der Kirche die erste wirkliche Pause. Erschöpft lassen sich die Musiker in die Sessel eines Cafes fallen. Dejan, erster Trompeter, Namensgeber und Chef des Orchesters, bestellt sich ein Wasser. Alkohol kommt heute nicht in Frage für ihn. O-Ton 1 Bei der Hitze geht das einfach nicht, es ist ja noch nicht einmal leicht zu laufen, und ich bin immer klatschnass geschwitzt. Trotzdem bemühen wir uns sehr, meine Band und ich geben das Letzte. Wenn Du spielst, merkst Du nicht, ob es regnet, es schneit oder eine so abnormale Hitze ist wie heute. Alles passt. Und es geht von einem zum nächsten. Autor Dejan Lazarevic lebt von seiner Musik. Und das heißt für ihn: 120-180 Auftritte im Jahr. Das meiste davon sind Hochzeiten. O-Ton 2 Morgen zum Beispiel wieder. Und dann am Donnerstag, am Freitag, am Samstag und Sonntag. Denn jetzt ist Saison. Aber das sind hier wirklich einzigartige Hochzeiten. Auf orthodoxen Hochzeiten sind immer viele Leute, und alle sind sehr fröhlich, besonders hier in unserer Gegend. Autor Und doch fließen manchmal auch Tränen. Heute morgen zum Beispiel, als der Vater der Braut zu Ehren seiner Tochter ein Lied anstimmte. O-Ton 3 Unser Volk ist so, und insbesondere die Väter, wenn sie ihre Töchter weggeben müssen. Ich lache darüber. Ich lache immer noch auch über meinen Vater. Er hat auch geweint, als meine Schwester geheiratet hat. Und dann sagt er mir: Deine Tochter ist noch klein, Du wirst sehen, wie das ist. Aber mein Vater ist wirklich extrem: Selbst wenn er jetzt einen anderen Vater sieht, dessen Tochter heiratet – dann weint er mit ihm zusammen. Atmo Autor Dann kommt das frisch vermählte Brautpaar aus der Kirche. Begrüßt wird es natürlich: mit Trompetenmusik. Atmo: Knall In sicherem Abstand zündet jemand ein paar Knallkörper. Vor noch nicht allzu langer Zeit war es hier noch Brauch, mit Pistolen in die Luft zu schießen. Aber auch Serbien ändert sich. Atmo Am Abend sind etwa 500 Gäste eingetroffen. Sie sitzen, stehen oder tanzen in einem Restaurant um die Tische, auf den Tellern liegen die Reste der verzehrten Spanferkel. Das Durchschnittseinkommen in Serbien liegt bei knapp 400 Euro. Und so verschulden sich die Familien für die Hochzeit ihrer Kinder oft auf viele Jahre. Eine Möglichkeit dem zu entkommen, gibt es kaum. Der soziale Druck ist groß, insbesondere auf dem Land. Atmo Dejan Lazerevic ist jetzt schon wieder seit drei Stunden im Einsatz. Schon während des Essens waren die Gäste aufgesprungen, jetzt stehen die ersten tanzend auf den Stühlen. O-Ton 4 Die Leute lassen sich wirklich komplett gehen. Seltsam ist das alles. Interessant und seltsam. Aber so ist unsere serbische Mentalität, wenn Du damit aufgewachsen bist und damit lebst - für mich ist das normal. Ich habe das jeden Tag. Autor Auf einem Podest, zusammen mit den Trauzeugen: Das Brautpaar. Der Höhepunkt des Abends ist der Anschnitt der mehrstöckigen Hochzeitstorte – natürlich begleitet von einem Sonderkonzert des Orchesters, dass sich jetzt vor dem Paar aufgebaut hat. Atmo Auch das Hochzeitspaar muss einiges leisten. 16 Stunden sind sie jetzt schon auf den Beinen. Und immer, wenn sich das Orchester ihnen nähert, müssen sie reagieren: Während der Bräutigam jetzt euphorisch seine Arme ausbreitet, so als wolle er das ganze Orchester auf einmal umarmen, sind die Tanzbewegungen der Braut schon sichtbar langsamer geworden. Atmo Doch der Abend ist noch lang. Bis vier Uhr morgens wird es so weiter gehen. Auch für Dejan Lazerevic und sein Orchester, der nur wenige Stunden Schlaf bekommen wird, bevor er morgen wieder auf der nächsten Hochzeit spielt. O-Ton 5 Was will man machen? Alle warten hier nur auf den Tag, dass sie wieder auf ein Feier gehen und loslegen können. Durch die Musik drücken sie ihre Gefühle aus, das ist Teil der serbischen Kultur. Und Du siehst, dass die Trompete das Instrument ist, das von 95% der Nation geliebt wird. MOD Literatur Der Briefroman Mein lieber Petrović von Milovan Danojlic ist die Geschichte des Schriftstellers Mihailo Putnik, der Ende der 1970er Jahre nach einem erfolgreichen Leben in den USA nach Serbien zurückkehrt. Dabei beklagt der Schreiber gegenüber seinem Freund Petrovic den tiefen Provinzialismus und die Engstirnigkeit ihrer Landsleute, denen er auf Schritt und Tritt begegnet. Literatur 1 Gutmütig und unglücklich ist unser Landsmann, gutmütig deshalb, weil er unglücklich ist, und mit so einer Gutmütigkeit erreicht man in der modernen Zeit nichts. Nah am Wasser gebaut und schnell bei Versprechungen, redet er mehr, als er in der Lage ist zu erfüllen, er verspricht dir etwas, um es dir recht zu machen, und später überlässt er es dem Schicksal, die Ereignisse hängen sowieso nicht von ihm ab. Seine Seele ist ein löchriger Sack, sie rieselt heraus auf den Weg, alles Mögliche rieselt aus ihr heraus, vom einem wird dir warm ums Herz, vom anderen wird dir schlecht. MOD 2 Es waren Soldaten, die ihre Trompeten aus den Kasernen Anfang des 19. Jahrhunderts in die Dörfer brachten, auch deshalb erinnert die serbische Blasmusik mit ihren klaren und einfachen Rhythmen noch immer ein bisschen an Marschmusik. Diesen Stil hört man vor allem im Westen Serbiens. Die Spielweise der Roma unterscheidet sich von der der Serben, beeinflusst von der Bulgarischen, Mazedonischen ja Osmanischen Tradition sind die Rhythmen komplexer, die Improvisationen freier. Es ist ihr treibender Neunachtel-Takt, der auch die Musikfans in Berlin oder Paris in Ekstase versetzt. Atmo: Trompete von drinnen Die Roma, größte Minderheit in Serbien und im Land noch immer sozial geächtet-wie Amnesty International auch in diesem Jahr wieder anprangert – diese Roma gehören zur ärmsten Bevölkerungsgruppe Serbiens, 95% von ihnen haben kein festes Einkommen. Doch über ihre Musik können sie die Achtung erfahren, die ihnen im Alltag oft verwehrt bleibt. Stolz skandieren sie: „Uns lädt man zu Hochzeitsfeiern ein, die Serben zu Beerdigungen“. Die meisten Roma-Bands kommen aus dem Südosten des Landes, Wer von Nis weiter nach Süden Richtung Mazedonien fährt, kommt auch an Vladicin Han vorbei, dem Geburts- und Wohnort des gefeierten Trompeters Borban Markovic. Die Kleinstadt mit ihren umliegenden Dörfern gilt als Zentrum der Roma-Blasmusik. Mehr als 30 Orchester soll es in der Gegend geben. Zehn von ihnen kommen allein aus Zaguzanje, einem Dorf mit nur 70 Häusern. Reportage 2 Atmo: Djelem, djelem Autor Djelem, djelem – schon seit einer haben Stunde klingt die Melodie der internationalen Roma-Hymne aus dem Haus von Sinisa Stankovic. Sinisa sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa, vor ihm stehen zwei jugendliche Trompeter. Einer von ihnen ist sein Sohn Darko. Atmo: Djelem, Djelem (Schluss) Djelem, djelem ist zwar ein ureignes Roma-Lied, aber noch klingt es nicht so. Was fehlt, ist das besondere Tremolo, der Triller, wie Sinisa sagt. Atmo: singt den Schluss. Trompeter wiederholen. Sinisa singt mit. O-Ton 1 Man muss den Triller fühlen, damit es klingt, wie unsere Musik. Wenn ich die Jungs hier unterrichte, dann gehen wir Teil für Teil des Liedes durch – und am Ende fügen wir den Triller hinzu. Und dann hört sich das ganze dann schon viel anders an. Autor Zur Demonstration greift Sinisa nun selbst zur Trompete. Atmo: spielt O-Ton 2 Das ist der Triller. Das ist der Musikstil, für den wir bekannt sind: für den Triller. Wenn die Serben das da oben im Westen spielen, dann spielen sie so. Atmo: spielt (westlich) Autor Und die Roma spielen eben so: Atmo: spielt (mit Triller) O-Ton 3 Sie versuchen uns zu imitieren, aber sie schaffen es nicht. Man fühlt immer noch, dass sie die Trompete spielen und nicht wir. Ok, auf geht’s, versucht das jetzt noch einmal. Atmo Autor Während drinnen weiter geübt wird, sitzt Sinisa mit seiner Frau und Tochter vor dem Haus und trinkt Kaffee. Wie es hier üblich ist, hat auch Sinisa zuerst von seinem Vater gelernt. Das war noch zu Zeiten Jugoslawiens, als auch die Roma noch Arbeit hatten, und Musik nur ein Freizeitvergnügen war. Heute sind die meisten Fabriken geschlossen. Die Roma waren die ersten, die massenhaft ihre Arbeit verloren hatten, sie stürzten in Armut oder emigrierten. Für die Zurückgebliebenen ist die Musik eine der wenigen Möglichkeiten geworden, ein befriedigendes Einkommen zu erzielen. O-Ton 4 Wir spielen auf Hochzeiten, auf Festivals und geben Konzerte – es hängt ganz davon ab, wer Dich bucht. Meistens sind es Hochzeiten, aber im Prinzip auch jede andere Feier. Wenn man in Gesellschaft ist und in guter Stimmung, dann ist immer auch Musik dabei. Jedenfalls ist das hier bei uns so. Autor Von seiner Terrasse aus kann Sinisa fast über das ganze Dorf blicken. Hier, im oberen Teil, leben ausschließlich Roma. Und in einem Ort wie Zaguzanje, wo fast alle Musiker sind, sagt die Größe der Häuser zwangsläufig etwas über ihren Erfolg: Armut ist nur wenig zu sehen, stattdessen eine breite Mittelschicht – während das zweistöckige Anwesen von Sinisa verrät, dass er gut von seiner Arbeit leben kann. Tatsächlich hat sich das Orchester Sinisa Stankovic schon einen solchen Namen gemacht, dass es auch auf Festivals und Hochzeiten im Ausland eingeladen wird. Das ist ein großer Vorteil: Denn dort gibt es bessere – und vor allem: feste – Honorare. O-Ton 5 Hier gibt es oft nur Trinkgeld. Und das ist jetzt viel weniger als früher. Denn die Leute haben aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation einfach kein Geld mehr. Und darunter leiden vor allem die Orchester, die nicht so bekannt sind. Für sie ist es viel schwerer als früher. Du kannst jetzt nicht mehr mit der Musik noch ein bisschen Geld sparen. Im Normalfall kann man einfach nur überleben, anstatt zu leben. Autor Und deshalb wird der Unterricht jetzt fortgesetzt. Denn schließlich soll sein Sohn nicht in einem namenlosen Orchester enden. O-Ton 6 Wenn sie gut werden, treten sie erst einmal in mein Orchester ein. Sie sind noch jung, sie brauchen noch sehr viel Erfahrung, bis sie ihr Instrument beherrschen und ein eigenes Orchester führen können. Davon sind sie noch weit entfernt. Literatur 2 Die Erde bebt. Vier Zigeunerorchester haben die Schuhspitzen in die Erde gesteckt, stehen breitbeinig da und legen los. Dumpf, wie aus einem leeren Kessel, schnattern die Saiten des Kontrabasses: Dumba, dumba, dum! Dum, dum, dum! Daajida, daajida, daj! Dumba, dumba, dum. Alles, was zwischen Kopanja, Prigrevica und Rudna Glavna Beine hat, ist gekommen, um zu sehen und gesehen zu werden. Und alles steht zum Verkauf bereit: Kühe, Kälber, entmutigte Bräute, Siebe, Schilf für die Stuckatur, ungelöschter Kalk, der an der Sonne fest wird, gedengelte Hacken und frisch gepflückte Kürbisse. In kleinen Haufen fliegen die Worte herbei wie Spatzen. Das Leben bietet sich zu einem Spottpreis an, aber auch zu diesem Preis will es niemand. Die menschliche Sehnsucht ist mit einer Leere zusammengestoßen, und aus dem Zusammenstoß ist ein großes, verlängertes Gähnen geworden: dumba, dumba, dum! Das einschläfernde Gemurmel des gemeinsamen Schicksals breitet sich aus: dum, dum, dum! Es hallt bis ans Ende der Welt. MOD 3 Mit Trompeten haben die Soldaten damals noch unter osmanischen Herrschaft zur Schlacht geblasen. Wenn mal Frieden herrschte in Serbien transponierten die Soldaten lieber ihre traditionellen Volkslieder in die Tonlage ihres Instrument. Als Ende des 19. Jahrhunderts der Krieg endgültig vorbei war kehrten die Männer in ihre Dörfer zurück und mit ihnen die Trompeten. Seitdem ist die Trompete befriedet, ein Teil der nationalen Identität und ihr Klang fester Bestandteil des zivilen Dorfleben. Atmo Ein typisches Blasorchester besteht aus acht bis zehn Musikern, mindestens drei Trompeten, Flügelhorn, Tenorhorn, Tuba und Schlagzeug. Der erste Trompeter gibt nicht nur den Rhythmus vor, er ist zudem der kreative Kopf der Truppe. Er gibt dem Orchester seinen Namen und eine musikalische Linie. Der militärische Ursprung der serbischen Trompetentradition mag der Grund sein, warum die Musiker fast ausschließlich Männer sind- oder besser waren: Reportage 3 Autor Generalprobe bei Familie Veselinovic in Arilje, einem kleinen Dorf in Westserbien: Ein ganzes Orchester hat sich im Wohnzimmer versammelt; das Sofa, die Sessel und die Stühle sind bis auf den letzten Platz besetzt. Morgen wollen sich die jungen Musiker für das Festival in Guca qualifizieren. Entsprechend konzentriert wird gearbeitet. Atmo: Schlusssequenz Danijela ist noch nicht zufrieden. Atmo: Anweisungen Ihre beiden Brüder und die sieben anderen Jugendlichen hören aufmerksam zu. Es wird kurz diskutiert. Atmo Dann geht es noch einmal an die Feinarbeit. Atmo Das ist es, sagt Danijela. Schaut, wie es jetzt besser ist. O-Ton 1 In jedem Orchester gibt es eine erste Trompete, und hier bin ich das. Ich organisiere die Proben und die Auftritte. Aber wenn wir proben, sind wir mehr oder weniger wie ein Kollektiv: Ich achte darauf, dass jeder eingebunden ist und sagt, was er denkt. Und dann fällen wir gemeinsam eine Entscheidung. Autor Und das ist nicht das Einzige, was das Danijela Orchester von anderen unterscheidet. O-Ton 2 Ich bin die einzige Chefin eines Orchesters. Überhaupt gibt es in ganz Serbien keine einzige Frau, die Trompete spielt. Es sind alles Männer. Nur auf den Musikschule werden es langsam mehr. Aber in der Volksmusik gibt es sonst niemanden. Autor Dabei wirkt Danijela auch sonst überhaupt nicht wie ein Mädchen vom Land. Sie hat lange blonden Haare, ist dezent geschminkt und modisch gekleidet. So kann man sie sich auch gut in einem der angesagten Cafes von Novi Sad vorstellen, wo sie seit drei Jahren Trompete studiert. Aber Tradition und Moderne – das geht in Serbien oft zusammen. O-Ton 3 An der Uni spielen wir ausschließlich Klassik, ein bisschen Jazz noch. Ich mag das, auch Rockmusik, aber mit der Volksmusik bin ich aufgewachsen, und ich liebe es immer noch sie zu spielen. Gut, nicht alles ist interessant. Manche Lieder spielen wir, aber ohne großes Gefühl. Während ich andere Kompositionen wirklich sehr liebe. Autor Kurz vor der Pause hat Danijela noch eine kurze Bitte: noch einmal Tamo daleko spielen – das Lied, das im Ersten Weltkrieg von den serbischen Soldaten gesungen wurde, die über die Berge Albaniens auf die griechische Insel Korfu geflohen waren. Atmo: Musik O-Ton 4 Vor zehn Tagen war ich auf Korfu, dort habe ich das Lied gespielt. Das war nicht leicht für mich. Ich bin da nicht hingegangen mit dem Gefühl, okay, wir haben irgendeinen Auftritt. Ich stand da und habe begonnen: Tadadada. Atmo: Musik O-Ton 5 Puh, ich weiß nicht. Ich war emotional überwältigt. Diese Musik erinnert an den Krieg vor 100 Jahren, als sich unsere Leute für unser Land geopfert haben. Ich hatte einen Film über diesen Krieg geschaut, und dann sind mir all die Szenen wieder durch den Kopf gegangen: wie die Leute hier hin gekommen sind, wie das damals war. Ich hatte Tränen in den Augen. Autor Dann wird gemeinsam zu Mittag gegessen, der Tisch wird zur großen Tafel ausgezogen, die Jungs stehen in der Küche und bereiten Suppe und Salat zu. So ist das eben bei uns, sagt Danijela: Alles ist ein bisschen anders als im restlichen Serbien, wo die Rollen von Mann und Frau noch immer recht klassisch verteilt sind. O-Ton 6 Aber unsere Eltern haben uns von Anfang an gleichermaßen unterstützt. Als erstes habe ich und mein Bruder angefangen. Da lag eine Trompete herum, für uns war das wie ein Spielzeug: Was ist das? Was für Töne hat es? Wir haben dann andere aus der Verwandtschaft gefragt, ob sie auch spielen wollen. Und schon hatten wir ein Orchester zusammen. Sechs bis zehn Jahre alt waren wir damals. Autor Zehn Jahre später hat sich das Danijela Orchester dann zum ersten Mal für das Finale in Guca qualifiziert. Atmo: Fanfare Und dieses Jahr sind sie wieder am Start. Vorausscheidung in Zlatibor, in der Nähe der Grenze zu Bosnien. Atmo: Ansage Auf dem freien Feld ist eine große Bühne aufgebaut. Ein paar Tausend Zuschauer sind gekommen, es herrscht Volksfeststimmung. Atmo: Musik Vier solche regionale Vorausscheidungen gibt es. In Zlatibor treten die Orchester aus Westserbien an. Die ersten fünf dürfen zur Endausscheidung nach Guca. Letztes Jahr hatte Danijela es auf Anhieb geschafft: als erste Frau stand sie auf der großen Hauptbühne, zusammen mit den besten Orchestern Serbiens. Atmo: Jubel Als die Sieger bekannt gegeben werden, steht Danijela hinter der Bühne. Jedes Orchester hat seinen eigenen Fanklub mitgebracht. Für Danijela und ihr Orchester hat es diesmal nicht geklappt. Atmo Wir haben uns nicht qualifiziert, sagt sie enttäuscht und schluckt einmal kurz. Und doch wird sie natürlich auch dieses Jahr wieder nach Guca fahren. Denn Guca ist schließlich das Größte. Und es ist der Ort, wo für Danijela und ihr Orchester vor zehn Jahren alles begann, als sie in der jüngsten Altersgruppe ihren ersten großen Auftritt hatten. O-Ton 7 Als wir fertig waren, kam plötzlich Borban Markovic auf die Bühne. Ich hatte das gar nicht begriffen, erst später habe ich erfahren, dass Borban Markovic so berühmt ist und dass kein anderer es erreicht hat, Trompete auf diesem Niveau zu spielen. Und dann hat er mir seine Trompete geschenkt. Und er hat dazu gesagt: Du bist eine kleine Prinzessin der Trompete. Literatur 3 Unser Landsmann würde für die Wahrheit sein Leben lassen, für die Gerechtigkeit würde er das letzte Hemd hergeben, aber etwas Geringeres zu tun, als sein Leben zu lassen und seine Kleider zu verschenken, das kann er nicht. In Erwartung, sich in besonderen, in heroischen Situationen zu zeigen, versäumt er es, wenigstens etwas Zuverlässigkeit und Ordnung in alltägliche Beziehungen mit seinen Mitmenschen zu bringen. Er würde gerne, wenn es möglich wäre, und er würde wollen, wenn es gelingen könnte, und daher verlangt er, dass man ihn nicht danach beurteilt, was er ist, sondern danach, was er gerne wäre. Immer sich selbst um einen Kopf überlegen schwebt er in der Leere. MOD 4 Wer rund dreieinhalb Stunden mit dem Auto von Belgrad gen Süden fährt erreicht die zentralserbische Region Dragacevo. Große Greifvögel ziehen in weiten Kreise über Hügel und Wiesen, durch die Täler mäandrieren kleine Flüsse, ihr Wasser so klar, dass man die Flossen der Forellen zählen kann. Die Gegend wird wegen ihrer guten Luft und der unberührten Natur auch kleine Schweiz genannt. Die meisten leben hier von der Landwirtschaft, vor allem vom Anbau der Himbeeren, denn Serbien ist weltweit der drittgrößte Himbeerexporteur. Und in dieser Idylle, umgeben von Himbeerfeldern und sanften Hügeln liegt Guca mit seinen rund 3000 Einwohnern. Das Dorf hat zwei Hauptstraßen, ein paar Straßencafes, ein kleines Fußballstadion, eine Tankstelle und eine Kirche. Atmo: Doch einmal im Jahr wird die ländliche Beschaulichkeit je gestört, wenn Anfang August hundertausende Musikfans aus Serbien, aus aller Welt anreisen, um das größte Blechblasfestival Europas zu feiern. Woodstock auf dem serbischen Dorf. Fünf Tage lang wird gefeiert, gesoffen und getanzt, aber vor allem wird gespielt: Vielleicht liegt in der Musik die Seele Serbiens, ganz sicher aber spielen sich die Musiker hier die Seele aus dem Leib. Atmo Reportage 4 Autor Es ist Mittag, als sich die Straßen füllen und der Lautstärkepegel langsam wieder anschwillt. Und da ist er dann, der Sound von Guca. Atmo Ein wildes Trompeten von allen Seiten, es kommt aus den Bierzelten und Restaurants, die sich links und rechts der Straßen aneinanderreihen. Atmo Manchmal erwischt er einen auch ganz unerwartet, direkt von hinten, wenn sich plötzlich wieder eines der Orchester die Seele aus dem Leib bläst. Atmo Oder: Aus den Lautsprechern der CD-Stände, aus denen der Balkanbeat schallt, wie er auch in westlichen Klubs zu hören ist. Atmo Und über allem liegt der Dunst von Gegrilltem und Spanferkeln, die sich an langen Spießen über dem Feuer drehen. Auch Nikola Stojic ist schon wieder unterwegs, ein älterer Herr mit weißen Haaren. Er sitzt im Kirchhof, genau dort, wo er vor 54 Jahren mit ein paar befreundeten Intellektuellen das Festival ins Leben gerufen hat. Vier Orchester waren eingeladen, und schon damals sollte es einen Wettbewerb geben. Es war Sonntag, ein Feiertag, und in der Kirche hatte gerade eine Messe stattgefunden. O-Ton 1 Dann sind die Orchester auf die Bühne gestiegen. Ihre Trompeten waren so gut geputzt, dass sie in der Sonne geglänzt haben. Da standen sie, ernst und still. Und dann haben sie angefangen. Autor Nikola Stojic weiß noch genau, wie nervös er war, als die überraschten Kirchgänger zunächst gemurrt hatten. O-Ton 2 Aber langsam hat sich das Publikum beruhigt und zugehört. Und dann sah ich, wie dem Vorsitzenden der Jury die Tränen gekommen sind. Was ist das? Was haben wir falsch gemacht? Als alles vorbei war, hat er uns gesagt: Ihr habt keine Ahnung, was ihr hier heute vollbracht habt! Das ist der Anfang der Renaissance der serbischen Volks-Trompete. Autor Nur die kommunistische Regierung Jugoslawiens reagierte mit Argwohn. Nicht nur, weil ein gänzlich selbstorganisiertes Festival per se schon verdächtig war. Auch die serbische Volksmusik wurde misstrauisch beäugt – stand sie doch immer unter dem Verdacht, nationalistische Gefühle zu bedienen. O-Ton 3 Statt uns uns zu unterstützen, haben sie uns aus Belgrad eine sogenannte Ideologie-Kommissionen auf den Hals geschickt. Und dann haben sie uns Ratschläge gegeben: Das ist alles alt und überwunden, ihr müsst etwas Neues machen: Über Tito und die Partisanen und diese Dinge. Autor Doch ein direktes Verbot hat es nie gegeben. Der jugoslawischen Sozialismus war weitaus liberaler als der Obstblock-Kommunismus, und weil Nikola Stojic außerdem ein Sturkopf ist, der sich nicht so schnell einschüchtern lässt, konnte er das Festival über all die Jahre gegen politische Einflussversuche verteidigen. O-Ton Mein Glück war, dass ich nie Mitglied der Kommunistischen Partei war. Was dieses Komitee gesagt hat, interessierte mich nicht. Sondern nur, was das Volk sagt, die Trompeter und unsere Gäste. Das ist das, was wichtig ist. Autor Und doch: Spätestens seit den 1990er Jahren haben auch die Nationalisten ihre Liebe zu Guca entdeckt. T-Shirts wurden verkauft und getragen, auf denen Kriegsverbrecher wie Radovan Karadzic und Ratko Mladic abgebildet waren. Lange hat es gedauert, bis die Veranstalter endlich dagegen vorgegangen sind. Für Stojic jedoch sind das Versuche der Vereinnahmung. Denn Guca selbst, das ist doch ein Fest des Friedens und der Verständigung, sagt er. O-Ton 4 Alle, die hierher kommen, sind für uns echte Gäste. Und so werden sie hier von uns begrüßt. Niemals ist es passiert, dass zum Beispiel Roma diskriminiert oder schlecht behandelt wurden, als Trompeter haben sie hier oft gewonnen. Und auch alle anderen: Muslime, Serben – all das spielt hier keine Rolle. Autor Tatsächlich sind es vor allem Roma Orchester, die in den Restaurant- und Bierzelten für Stimmung sorgen. Ein paar Tische weiter hat sich eine zehnköpfige Kapelle um einen einzelnen Tisch versammelt – ihre Instrumente von links und rechts direkt auf die Ohren ihres Publikums gerichtet. Atmo In den Zelten funktioniert ein Orchester im Grunde genommen wie eine juke box: Es spielt, solange es bezahlt wird. Und nur wenige Besucher lassen sich dabei lumpen. Die Geldscheine werden den Musikern in die Hemdtaschen oder Instrumente gestopft. Oder – vorzugsweise – einfach an die schweißnasse Stirn gepappt. Doch Geld hin oder her: Wenn die Stimmung gut ist, die Frauen zum Tanzen auf die Stühle oder Tische steigen, dann bleiben die Musiker auch gerne noch länger. Atmo Autor Draußen zieht jetzt Borban Markovic mit seinem Orchester vorbei. Auch er hat einmal so angefangen. Inzwischen ist er der absolute Superstar, hat unzählige Male die „Goldene Trompete gewonnen und tourt um die ganze Welt. Dass er dabei einen ganz eigenen Stil entwickelt hat, der nur noch entfernt an den klassischen Guca-Sound erinnert, ist für Nikola Stojic kein Problem. Für ihn ist und bleibt er ein Kind von Guca – und damit der berühmteste Botschafter der serbischen Trompete. O-Ton 6 Viele Musiker sind von hier aus in die Welt gegangen. Borban Markovic war einer der ersten. Man sagt uns: Aber die Trompete ist nicht euer Instrument. Nein, natürlich nicht. Aber wir haben uns in sie verliebt. Und wir brauchen vor dem Orchester keinen Dirigenten, der es mit einem Stock bedroht. Es spielt ganz alleine. Einer unserer Trompeter wurde einmal gefragt: Wie kannst Du ohne Noten spielen? Und seine Antwort war: Ich habe meine Seele meiner Trompete eingehaucht. Und dann spielt sie. Literatur 4 Sie sind überzeugt davon, die größte Fleischesser auf der Welt zu sein! Es ist bekannt, dass die Schwaben wenig und schwach essen, sie sparen sich alles vom Mund ab, deshalb haben sie Technologie und Schwerindustrie entwickelt. Wir haben keine entwickelte Industrie, aber dafür essen wir, und wenn wir satt sind, stürzen wir uns in amouröse Abenteuer, worin uns niemand auf der Welt das Wasser reichen kann. Allerdings verbrauchen laut Statistik die Deutschen zwei Mal so viel Fleisch wie wir! Das ist nicht möglich, ärgert sich Lukic; es ist bekannt, dass den Deutschen die Ernährung nicht wichtig ist! Wichtig oder unwichtig, sage ich, ihr Fleischkonsum ist zwei Mal so hoch wie unser. (..) Es ist bekannt, dass es auf der Welt keinen Grill gibt, wie bei uns, erklärt Lukic feierlich, und Paligoric gibt ihm mit einem Lächeln recht. Woher ist das bekannt, wer hat das festgestellt und wo, frage ich. Sie schweigen. Sie haben nicht gelernt, auf solche Fragen zu antworten. MOD 5 In Guca messen sich die besten Blechbläser des Landes, für sie ist das Festival ein wichtiges Schaulaufen, denn hier auf dem Dorf werden Plattenverträge geschlossen, Engagements auch im Ausland vereinbart. Hier wird Karriere gemacht! Die Musiker sind auf zusätzliche und lukrative Aufträge angewiesen. Die Arbeitslosigkeit in Serbien ist hoch und selbst wer einem Beruf nachgeht, verdient damit im Schnitt nicht mehr als 300 Euro monatlich. Auch auf dem Balkan kommt man damit nicht sehr weit. Atmo: Das Konzert am Samstagabend ist der Höhepunkt des Festivals, dann spielen die Finalisten der Vorausscheidung um die „Goldene Trompete.“ um Ruhm, Ehre und das nächste Engagement auf einer Hochzeit oder wenn es richtig gut läuft auf einem Konzert in Westeuropa: Atmo Reportage 5 Autor Es ist Samstag Nachmittag. Links und rechts der Hauptstraße stehen die Festivalbesucher in mehreren Reihen Spalier. Gleich werden hier ein paar Dutzend Orchester durchmarschieren. Milica und Mladen Djordjevic haben sich einen der begehrten Plätze im Schatten gesichert. Milica ist Musikethnologin, Mladen ist Professor für Trompete und war bis zum vergangenen Jahr Jury-Mitglied. 12 Jahre lang. Seitdem hat sich viel verändert, sagen sie beide. Und das nicht unbedingt zum Guten. O-Ton 1 Frau Nehmen wir irgendein Orchester, es spielt großartig, und sie nehmen an den Wettkämpfen teil. Das Ziel von allen ist, dass sie drei Mal die „goldene Trompete“ gewinnen, denn dann erhalten sie den offiziellen Titel „Meister der Trompete“. Und wenn sie das geschafft haben, sagen sie jetzt neuerdings: Wir wollen nicht mehr an den Wettkämpfen teilnehmen. Autor Denn in Guca selbst lässt sich kein Geld verdienen. Mit dem Titel „Majstor“ aber schon. Er ist es erst, der gut bezahlte Folgeaufträge garantiert: auf Festivals und Hochzeiten. O-Ton 2 Mann Die ganze Gesellschaft ändert sich. Es gibt keine wirklichen Werte mehr. Früher war es normal, dass die Meister weiter an den Wettkämpfe teilgenommen haben. Heute, mit der ganzen Kommerzialisierung, müssen alle Preise kriegen und Meister werden. Und es gibt einen großen Druck auf die alten Meister, nicht mehr bei den Wettkämpfen mitzumachen. Klar, dass dann auch Qualität sinkt. Atmo Autor Dann ziehen die ersten Orchester vorbei, aus ganz Serbien und jeweils in den traditionellen Trachten ihrer Region. O-Ton 3 Mann Sie haben alle ihre Besonderheiten: ihre eigenen Melodien mit eigenen Ornamenten und Rhythmen. Aber jetzt, in Zeiten des Internets, kann jeder alles hören und die wechselseitigen Einflüsse sind viel größer. Aber mein Gott, es ist eine neue Zeit mit neuen Gewohnheiten. Autor Für die Musikethnologin Milica ist das jedoch keine gute Entwicklung. Die Orchester haben ihren ursprünglichen Stil verloren, klagt sie, und wie überall drohten die lokalen Traditionen Opfer der Globalisierung zu werden. O-Ton 4 Anfang der 2000er Jahre war es soweit, dass man nicht mehr wusste, wer aus welcher Region ist. In Guca wurde dann eine Regel eingeführt, wie sie von Musikethnologen gefordert wurde: Dass die Orchester zumindest im Wettbewerb etwas aus ihrer Region spielen müssen, aus der sie kommen. Damit sie ihre eigene Tradition bewahren. Autor Der eigentliche Wettkampf beginnt am Abend im Stadtion. Atmo Obwohl es auf der Bühne teilweise ein bisschen wie im Musikantenstadl zugeht, ist die Stimmung wie auf einem Rockkonzert: Junge Frauen erklimmen die Schultern ihres Liebsten, westliche Alternativtouristen mit nackten Oberköpern und langen Rastalocken tanzen mit serbischen Dörflern den einheimischen Kolo. Und hier hört man dann wieder den Unterschied zwischen den Bands aus Westserbien mit ihrem klaren und etwas uniformierten Rhythmus. Atmo Und den Romaorchestern aus dem Süden, bei denen es ein bisschen verspielter und orientalischer klingt. Atmo O-Ton 5 Mann Wie kann man das am besten dem westlichen Hören aus Europa erklären? Nehmen Sie die Anfänge des Jazz: Der New Orleans Stil ist von den Schwarzen, das sind Leute ohne Ausbildung, aber sie spielen mit ihrer ganzen Seele. Auf der anderen Seite der Dixieland Stil, der von den gebildeten Weißen gespielt wird, die aber gerne wie die Schwarzen spielen würden. Und genau so ist es hier. Autor Zwar sind Roma in Serbien in vielerlei Hinsicht diskriminiert. Aber den Blasorchestern wird tatsächlich überall mit größter Hochachtung begegnet. Arm und ungebildet, aber von Natur aus geborene Musiker – dieses Stereotyp über Roma hält sich auch in Serbien hartnäckig. Aber zumindest in ihrer musikalischen Ausbildung wird sich in Zukunft etwas ändern, meint Mladen Djordjevic. O-Ton 6 Ich bin jetzt seit 20 Jahren Professor an der Fakultät der Künste. Und in diesem Jahr haben wir den ersten Trompeter diplomiert, der von seiner Herkunft Rom ist. Das ist ein großer Erfolg. Er hat einen universitären Abschluss und spielt jetzt im Orchester von Goran Bregovic. Atmo Autor Zur Preisverleihung stehen dann alle Orchester zusammen auf der Bühne. Nach und nach werden die Auszeichnungen verliehen: Für den besten Trommler, den besten Tenor, das beste Orchester, den Publikumspreis. Atmo: Preisverleihung Die mit Abstand wichtigste Trophäe ist aber die „Goldene Trompete“, die dem besten ersten Trompeter eines Orchester verliehen wird. Wer sie gewinnt, der braucht sich um nachfolgende Engagements keine Sorgen mehr zu machen. Atmo: najobolje trubac .. Sie geht dieses Jahr an Sasa Krstic aus dem südserbischen Dorf Zaguzanje. Auch die meisten anderen Preise gehen an Romaorchester aus dem Süden. Atmo Zum Abschluss ein großes Feuerwerk, dann ist Guca vorbei, zumindest der offizielle Teil.. Noch einmal wird in der Nacht in den Straßen gefeiert. Dann wird es ab morgen wieder still werden im Dorf. O-Ton 7 Milica Für die meisten Orchester fängt die eigentliche Arbeit dann aber erst an. Und deshalb ist es für sie so wichtig, dass sie einen Preis bekommen: Weil für sie davon abhängt, wie viel Arbeit sie weiter haben werden. Die serbischen Orchester aus dem Westen haben meistens noch eine andere Arbeit, im Süden ist das nicht so. Alles, was sie verdienen, ihre ganze Existenz, hängt von der Musik ab. Und nicht nur ihre, sondern auch die ihrer ganzen Familie. Atmo: Feuerwerk Abmod: Mit Pauken und Trompeten: Das Fest der Blechbläser im serbischen Guca Mit Reportagen von Dirk Auer Musik und Regie: Babette Michel Ton und Technik: Angelika Brochhaus und Daniel Dietmann Die Literaturauszüge las Thomas Lang Redaktion und Moderation: Britta Fecke ---------------------------------------- 2