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Und so war die Yenidze auch eine Art Werbung im Stadtbild, erklärt Holger Starke vom Dresdner Stadtmuseum, der an diesem windigen Morgen hoch zur Kuppel blickt. ?Dieses Reklamebauwerk kann man gar nicht verorten in eine bestimmte Gegend also er hatte da keine konkreten Vorbilder, sondern es ist ein Konglomerat von verschiedenen Bestandteilen, die irgendwie an den Mittelmeerraum beziehungsweise an den griechisch-türkischen Raum erinnert, in dem Moscheen überall präsent waren. Und diese Form hat er adaptiert und mit in den Fabrikbau nach Dresden gebracht, um auch die Verbindung der Herkunft der Tabake und den Produkten auch im Stadtbild deutlich zu machen.? Das vermeintliche Minarett an der Yenidze ist ein Schornstein, und auch sonst hatte jeder Raum in der Fabrik seine feste Bestimmung. Unumstritten war der Bau Anfang des 20. Jahrhunderts in Dresden allerdings keineswegs. ?In jener Zeit gab es harte Auseinandersetzungen innerhalb der Stadt, aber vor allem innerhalb der Architektenzunft, Marin Hammitzsch, der Architekt dieses Bauwerks, wurde auch vorübergehend aus dem Architektenverein ausgeschlossen, so stark waren die Auseinandersetzungen damals, denn in jener Zeit setzte sich schon allmählich der Heimatschutzgedanke durch, gerade in dem auf die Tourismusindustrie angewiesenen Dresden, in dem auch solche Fabrikbauwerke sich in die regionalen Begebenheiten auch einpassen sollten.? Der Architekt Hammitzsch, der später in die NSDAP eintrat und Hitlers Halbschwester heiratete, konnte seine Pläne aber schließlich doch umsetzen und die Yenidze am Elbufer bauen. Zuvor soll Zigarettenfabrikant Zietz gedroht haben, seine sogenannte Tabak-Moschee in Leipzig zu bauen. Ein Argument, das offenbar zog. So entstand 1909 die modernste Tabakfabrik Dresdens, inklusive eines Ruheraums unter der Kuppel für die Arbeiterinnen, denn die Arbeit in Zigarettenfabriken war von Beginn an Frauenarbeit. Als ein Petersburger Fabrikant 1862 die erste Zigarettenfabrik in Dresden eröffnete - die Zigarette war ein paar Jahre zuvor nach dem dem Krimkrieg erstmals nach Westeuropa gekommen - drehten vor allem Frauen in Handarbeit das neuartige Genussmittel, teilweise auch zu Hause: ?Das war gewissermaßen eine Verlagsarbeit. Einerseits kleinere Produktionsstätten, in denen mehrere Leute arbeiteten. Andererseits schlecht bezahlte Frauen, die Grundbestandteile mitbekamen und dann zu Hause neben ihrer sonstigen Arbeit auch unter Zuhilfenahme der Kinder, deswegen später dann auch großer Protest der Gewerkschaften gegen dieses Verlagssystem, zu Hause Zigaretten drehten.? Das änderte sich mit der Industrialisierung: Immer bessere Maschinen wurden zur Zigarettenfabrikation entwickelt, sodass die Tabakindustrie den Maschinenbau in Dresden ebenso befeuerte wie die aufstrebende Werbung. Für den Zusammenschluss zu großen Fabriken wie der des Hugo Zietz zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es aber vor allem steuerliche Gründe, sagt Historiker Holger Starke: ?Am Anfang des 20. Jahrhunderts suchte das Reich im Zuge der Heeresverstärkungen nach eigenen Einnahmen. Das Reich hatte noch nicht viele eigene Einnahmen und die indirekten Einnahmen wurden die Steuern, die dann ausschließlich dem Reich zufielen. Es wurde die Banderolen und Fabriksteuer eingeführt. Und um diese zu kontrollieren, war es nicht mehr möglich, in diesen kleinen Produktionsstätten beziehungsweise in den Verlagssystemen das zu machen. Zumal natürlich auch die Maschinen einen Druck ausübten auf die Zusammenfassung der Produktion.? (Atmo Schüsse) Ein Druck, den der Beginn des Ersten Weltkriegs noch erhöhte. Die Zigarette gehörte zum Marschgepäck des Soldaten wie das Kommissbrot. Einige Minuten, um die Angst zu betäuben, um die erlebten Schrecken zu vergessen. Die Glut hinter einer Hand vor dem Feind kaschierend, wie es Remarque in seinem ?Im Westen nichts Neues? schreibt. Nachschub war wichtig, die Fabrikation musste aufrechterhalten werden. ?Dadurch, dass die Zigarettenindustrie schon vor dem Ausbruch des Krieges, dass mehrheitlich Frauen hier gearbeitet haben, war der Einbruch nicht so groß, und die Zigarettenproduktion für die Front wurde als vordringlich erklärt. Das erklärt auch, wieso erst im späteren Verlauf des Krieges auch die Zigarettenfabrik unter den damals üblichen Kontingentierungen zu leiden hatte. Also am Anfang des Krieges ging das noch relativ problemlos weiter mit der Produktion. Außer, dass der ausländische Markt ausgefallen war, der aber nicht so bedeutsam war.? Ähnliches gilt für den Zweiten Weltkrieg. Die Bemühungen der Nazis um einen möglichst tabakfreien ?gesunden Volkskörper? wurden mit Kriegsbeginn obsolet. Nun war man bemüht, den Soldaten ihre Nikotinzufuhr zu garantieren, dazu liefen auch in Dresden die Fabriken auf Hochtouren - auch unter Einsatz von Zwangsarbeitern. (Bombengeräusche) Beim Bombenangriff auf Dresden 1945 erlitt auch die Yenidze einige Treffer. Die Rote Armee ließ mit der Besetzung der Stadt Produktionsanlagen aus den Trümmern bergen und anderswo wiederaufbauen. Auch ihre Soldaten brauchten das Nikotin. Die Yenidze aber wurde, notdürftig gestützt und um den Südflügel amputiert, zum Herzen des staatlichen DDR-Tabakhandels: Zum Tabakkontor: In gelben Leuchtbuchstaben prangte dies auf dem Dach der Yenidze, neben einem Tabakblatt. Atmo Klingel, Begrüßung. Zu Besuch bei einem, der dort 1978 anfing zu arbeiten. In Gerd Kuhfuss? Wohnzimmer hängt ein Bild der Yenidze, der Ort, von dem er in den 1980er Jahren den Export des in der DDR angebauten Tabak in die damalige Bundesrepublik organisierte. ?Alles was in der DDR mit Tabakanbau, Lagerung, Export, Import, Forschung, war alles in diesem Haus. Wir hatten 700 Mitarbeiter in drei Fabriken allein und ca. 12 Tabakläger. Wenn jetzt ein Schiff aus China ankam mit 2000 Tonnen, musste das ja irgendwo hin. Und das war alles in Regie des Hauses.? Sechs Einkäufer reisten um die ganze Welt, um Tabak zu begutachten, der schließlich in den DDR-Zigaretten landete. Unter anderem in der F6, der wohl bekanntesten Zigarette der DDR. Das F steht für Filter, auch der soll eine Dresdner Erfindung sein. Und dann die Zigarette der Outlaws: Die Karo. Sie kam ohne Filter aus. ?Das war sozusagen für die ganz Harten. Also Seeleute, Bergleute, die rauchten die Karo. Das war eine ganz dunkle Zigarette und da war ein ganz dunkler italienischer Beneventano drin und 30 Prozent dunkler Zigarrentabak. Also da haben Sie schon bei Einzug huuh, aber die hatte ihren festen Raucherkreis. Also da haben wir 300 Millionen hergestellt jedes Quartal, und ist immer gelaufen.? Trotz gesundheitlicher Aufklärungskampagnen, die sozialistische DDR wusste, was sie ihren Arbeitern in den Werken schuldig gewesen sei, sagt Kuhfuss: ?Die DDR hat jährlich rund 20 000 Tonnen Tabak importiert, davon einen großen Teil Würztabacke, Virginia, gegen Valuta. Und dieses Geld war immer da. Weil, wenn es mal keine Apfelsinen gab oder Bananen, das hat man verkraftet. Aber wenn der Arbeiter, der schwer gearbeitet hat, keine Zigarette hatte in der Pause, das war nicht gut.? Mit der Wende kam das Ende für den staatlichen Tabakhandel. Auch dieser wurde privatisiert. Heute gibt es noch eine Tabakfabrik in Dresden, Philipp Morris stellt hier vor allem Drehtabak her. Im ehemaligen Tabakkontor befinden sich Büros, unter der Kuppel ein Restaurant. Im Sommer hat man auf der Dachterrasse einen weiten Blick über die ehemalige Tabakstadt Dresden. Nicht mehr viel erinnere heute an diese Zeit, sagt der ehemalige Tabakhändler Kuhfuss etwas wehmütig: Es gibt noch alte Fabriken mit Tabakbeschriftung oder hier in der Friedrichsstadt, wo unser Haus steht, hier die Maxstraße, da steht heute auch noch Zigarettenhandel dran, dies und das, aber: Es verschwindet immer mehr. 1