DLR Kultur Nachspiel 02.08.2015 The Bigger The Better - Extremsport Big Wave Surfing Von Kerstin Ruskowski 01 Haiattacke Video WSL Atmo Sonntag, 19. Juli 2015. Am Strand von Jeffreys Bay in Südafrika läuft das Finale des Surfwettbewerbs J-Bay Open. Der Weltverband WSL überträgt live auf seiner Webseite. Im Wasser: Mick Fanning und Julian Wilson. Die Kamera ist auf Fanning gerichtet, der auf seinem Surfbrett liegt und auf die Wellen wartet, als rechts neben ihm eine Rückenflosse auftaucht: ein Hai. As we look at Fanning in the rankings, we can see a little splash. Oh! Holy shit! Excuse me. Fanning dreht sich um, wird unter Wasser gezogen. Einige Momente später taucht er wieder auf und fängt an, in Richtung Strand zu schwimmen. Fanning needing some assistance... He's swimming into the beach. Hupen They stop the final. Der Wettbewerb wird unterbrochen. Innerhalb weniger Sekunden sind mehrere Motorboote zur Stelle, um Fanning aus dem Wasser zu ziehen. He'll hop on the sled. Fanning with the thumbs up. He is ok. Er ist unversehrt, hockt auf dem Rettungsschlitten, dreht sich immer wieder nach dem Hai um und schüttelt den Kopf - der Schock ist ihm anzusehen. Doch der Hai hat nur die Leine abgebissen, mit der Fanning sein Brett am Fußknöchel befestigt hatte. Es ist das erste Mal, dass ein Surfer während eines Wettbewerbs der World Surfing League von einem Hai angegriffen wird. Doch ganz generell sind Haie natürlich eine Gefahr für Surfer - insbesondere in Hawaii, Australien und eben auch Südafrika. Und nicht immer geht ein Zusammentreffen so glimpflich aus wie bei Fanning: Der Profisurferin Bethany Hamilton zum Beispiel hat mit 13 Jahren ein Hai in Hawaii den linken Arm abgebissen. Doch wie reagiert man am besten in so einer Situation? Mick Fanning hat nach dem Angriff erzählt, dass er dem Hai seine Faust in den Rücken geschlagen hat. Gut reagiert. Spontan kann diese Reaktion aber nicht gewesen sein, sagt Professor Jens Kleinert, Sportpsychologe an der Deutschen Sporthochschule in Köln. 02 Prof. Jens Kleinert Dann zu überlegen: Wo schlag ich jetzt hin? Das kann nicht in der Situation stattfinden, weil dann würde ich versuchen, eher den Zähnen auszuweichen. Das ist etwas, was der sicherlich vorher öfter mal durchdacht hat und dann einfach in der Situation nur noch abruft - gar nicht mal bewusst abruft, sondern nur noch reagiert. Surfen ist kein ungefährlicher Sport - nicht nur wegen der Haie. Denn auch das Meer selbst birgt Gefahren - und je größer die Wellen, desto größer die Gefahr. Surfer wissen das und bereiten sich entsprechend vor. Auf die Spitze treiben es Big Wave Surfer. Von Big Waves spricht man ab einer Höhe von sechs Metern - doch für Sportler wie Ken Bradshaw und Sebastian Steudtner wird es eigentlich erst so ab 20 Metern richtig interessant. 03 Ken Bradshaw + OV Als ich jung war, habe ich Surfen so verstanden, dass es vor allem darum geht, dass man größere Wellen surfen kann als jeder andere. Und ich glaube wirklich, dass es das ist, worum es beim Surfen geht. Musik: Nelly Furtado - Big Hoops (Bigger The Better) Komponist: Nelly Furtado, Rodney Jerkins Label Code: 02604 04 Sebastian Steudtner Ich will die größte Welle surfen mit der besten Leistung. Punkt. Mit seiner Leidenschaft für riesige Wellen steht Sebastian Steudtner in Deutschland ziemlich alleine da, denn Big Wave Surfing ist ein Extremsport. Videoaufnahmen zeigen den 30-Jährigen nicht als braungebrannten Sonnyboy, der entspannt mit der Welle im Rücken über das Wasser gleitet. Wellen von dem Kaliber, das Steudtner interessiert, sind dunkel und riesig - ihre Wucht ist für den Betrachter vor dem Bildschirm fast spürbar. Wer in solchen tonnenschweren Wassermassen die Kontrolle über sein Brett verliert, für den kann es lebensgefährlich werden. Wird es aber meistens nicht, sagt Steudtner. Er sieht das ganz entspannt. 05 Sebastian Steudtner Big Wave Surfen ist für mich deshalb nicht lebensmüde, weil es nichts ist, wo ich reinspring ohne ein bestimmtes Wissen zu haben. Ich bin absoluter Experte und Spezialist auf all den Gebieten, was ich brauche. Angst kennt auch Ken Bradshaw nicht. Der 62-Jährige Amerikaner surft seit mittlerweile fast 50 Jahren - so lange wie kein anderer. 06 Ken Bradshaw + OV Der Faktor Angst ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn Du Angst hast, wirst Du Angst haben. Wenn Du Angst hast, wirst Du zögern. Wenn Du zögerst, dann wirst Du in einer Situation landen, in der Du schon hättest aufstehen müssen, um dieser Situation ´zu entkommen. Für die meisten Leute ist das größte Problem, dass ihre Erwartung oft viel schlechter ist als ihre Lebensrealität. Es ist nur das Leben! Geh raus und mach! Es ist komisch, wie Leute sich von ihrer Angst davon abhalten lassen, Dinge zu tun. Genau deswegen sprechen Sportler nicht gerne von Angst, sagt der Sportpsychologe Jens Kleinert. Was sie aber unbedingt brauchen, ist Respekt. Damit sie in einer Gefahrensituation reagieren können ohne nachzudenken. 07 Prof. Jens Kleinert Angst vor Konsequenzen dürfen in solchen Situationen keine Rolle spielen. Risikosportler, die mit hohen Gefahren agieren, die beherrschen es, in der Situation nur an die Situation zu denken - auch dann, wenn sie unheimlich brenzlig ist - nur daran zu denken: Wie kann ich diese Situation jetzt am Besten lösen? Für viele Big Wave Surfer kommt es aber nicht nur darauf an, dass sie selbst in einer Gefahrensituation richtig reagieren, sondern auch ihr Partner. Denn ab einer gewissen Größe und Masse der Welle kommt man gar nicht mehr so ohne weiteres an die Welle heran. Die Wucht, mit der sie bricht, ist dann so gewaltig, dass Surfer praktisch keine Chance haben, mit purer Muskelkraft hinter die Gischt zu paddeln. 08 Wellenrauschen Deshalb besteht das Team draußen in den Wellen aus zwei Leuten: dem Surfer und demjenigen, der den Jetski fährt, eine Art Motorrad fürs Wasser. An einem Seil zieht er den Surfer an die richtige Position der Welle - und holt ihn wieder raus, wenn er stürzt. Tow-Surfing nennt sich das. Dabei wechseln sich Surfer und Fahrer ab. Beide Partner müssen das Meer gut kennen, müssen die Wellen lesen und voraussehen können. Für den Surfer versteht sich das vielleicht von selbst, doch auch für den Jetski-Fahrer sind diese Kenntnisse und Fähigkeiten unerlässlich. Bradshaw weiß das aus eigener Erfahrung. 09 Ken Bradshaw + OV Er muss ein Surfer sein. Er muss ein wirklich guter Surfer sein. Und das ist das Problem für die meisten Leute: Keiner hat genug Erfahrung, um ein Fahrer UND ein Surfer zu sein. Nur ganz wenige Leute haben diese Begabung zu fahren UND zu surfen. Bradshaw war einer der ersten, die diese Art des Surfens in den 60er- und 70er-Jahren ausprobiert haben. 10 Ken Bradshaw + OV Wir haben praktisch ein Wasserski-Boot genommen und ein Wasserski-Seil daran gebunden. Und damit haben wir uns dann in die großen Wellen gezogen. Das erste Mal haben wir das 1976 gemacht. Besonders überzeugt von ihrer Idee waren die Tow-in-Pioniere damals aber nicht. Bis Anfang der 90er dauert es, bis sich Tow-Surfing allmählich durchsetzt. Aus dem Wasserskiboot wird ein Jetski, der kleiner und wendiger ist und mehr PS hat. Daran wird eine Art Anhänger gehängt, der flach auf dem Wasser liegt, sodass sich der Surfer ohne große Anstrengung selbst aus dem Wasser ziehen kann. 11 Ken Bradshaw + OV Und dadurch hat sich natürlich die Skala der Wellen, auf denen man ein Surfbrett reiten kann, geöffnet. Und wo sie endet, das ist auch heute noch nicht klar. Steudtner, der Deutsche, arbeitet wie besessen daran, diese Skala weiter auszuloten. Und er hat Glück: Seit vier Wintern surft er zusammen mit Tom Butler. Butler ist Mitte 20 und, anders als Steudtner, mit Meer und Wellen aufgewachsen: in Newquay, Cornwall, Großbritannien. Butler surft seit er zehn ist - und zwar jeden Tag. Doch zum Big Wave Surfen ist er eigentlich erst durch Steudtner gekommen. Was auch für Butler ein Glücksfall war. 12 Tom Butler + OV Von allen Surfern, die ich getroffen hab, ist er der professionellste - was das richtige Equipment angeht, was das härteste körperliche Training angeht und einfach fokussiert zu sein. Er ist eine absolute Maschine. Wenn ich ihn nicht getroffen hätte, dann wäre ich jetzt nicht an diesem Punkt meiner Karriere. Ich glaube, er ist einfach ein besonderer Typ. Ja, aber manchmal übertreibt er es schon. Dann denke ich: Oh, lass mich in Ruhe. Aber eigentlich ist es gut. So ein Tritt in den Hintern ist immer gut. Eben weil Steudtner so verbissen und professionell ist, kann er sich heute voll auf seinen Sport konzentrieren. Doch der Weg dahin war weit. Denn im Gegensatz zu Butler hatte Steudtner nicht das Glück, direkt an der Küste aufzuwachsen, sondern in Nürnberg. Mit neun Jahren steht er im Frankreich-Urlaub zum ersten Mal auf einem Surfbrett - und ist sofort begeistert. 13 Sebastian Steudtner Damals gab's auch so ne Serie, die hieß "Gegen den Wind" mit Ralf Bauer... Musik: Smokie - Surfin' Komponist: Dave Dunhill, Mick Dash, Alan Barton Label Code: 08744 Darin geht es zwar nicht ums Wellenreiten, sondern ums Windsurfen in St. Peter-Ording - aber Windsurfen ist auch der einzige Surfsport, der Steudtner zuhause in Deutschland übrig bleibt. Denn Wellenreiten: Wie soll das gehen, in Nürnberg, ohne Meer und ohne Wellen? Windsurfen kann er wenigstens auch auf einem See. Doch das reicht ihm nicht. Als er 13 ist, steht für ihn fest: 14 Sebastian Steudtner Ok, ich will nach Hawaii gehen - da kann ich die Sportart ausüben. Hier komm ich nicht weiter. Mit 13 ans andere Ende der Welt? Von der Idee sind Steudtners Eltern verständlicherweise nicht gerade begeistert. Drei Jahre dauert es, bis er seine Mutter so weit hat, dass sie ihn ziehen lässt. 15 Sebastian Steudtner Mit 16 hat mir meine Mutter dann geglaubt, hat gesagt: Ok, der hört nicht auf zu randalieren und ja, dann konnte ich ein paar Monate hin und hab dann in der sehr kurzen Zeit es geschafft auf ein fast professionelles Level zu kommen, hab dann Sponsoren gehabt... Steudtners Plan scheint aufzugehen: Innerhalb kürzester Zeit läuft die Sache mit der Surfkarriere. Er bleibt auf Hawaii, wohnt erst einmal in einer Windsurfschule. Die Schule? Abgehakt. Tschüss Deutschland! Musik: Hawaiian Breezes Komponisten: Dan Petty [BMI], Doug Petty [ASCAP] Label Code: NM296 Doch obwohl er mit dem Geld der Sponsoren gut über die Runden kommt und offensichtlich ein echtes Talent im Windsurfen ist - es ist einfach nicht das, wofür er brennt. Vielleicht, weil es ihm zu leicht fällt. Steudtner ist ein Typ, der Herausforderungen braucht, das ist schon als Teenager so. Und im Prinzip ist Windsurfen für ihn nur ein Mittel zum Zweck. Denn was Steudtner eigentlich will, ist in großen Wellen surfen. Als er zum ersten Mal eine 20 Meter hohe Welle in Jaws auf der hawaiianischen Insel Maui surft, ist ihm das klarer als je zuvor. So klar, dass er alles auf eine Karte setzt. 16 Sebastian Steudtner Und dann wusste ich: Ich kann es. Und ich hab das Zeug, dass ich die größten Wellen surf. Hab das gesagt, öffentlich in nem Interview mit einem deutschen Surfmagazin kundgetan - und dann haben alle Windsurfsponsoren, ALLE, innerhalb von ein paar Tagen gesagt: Ok, wenn Du das machst, dann bist Du raus. Also, wenn Du nicht weiter windsurfst, wenn Du Dich aufs Big Wave Surfen konzentrieren willst, raus. Und dann hab ich alle Sponsoren verloren und dann war ich Bauarbeiter erstmal. Sechs Jahre lang baut Steudtner auf Hawaii Schwimmbäder. Weil es ihm wichtiger ist, seinen Weg zu gehen, als es irgendwem recht zu machen. Keine Kompromisse. Musik: Nelly Furtado - Big Hoops (Bigger The Better) Komponist: Nelly Furtado, Rodney Jerkins Label Code: 02604 Auch Ken Bradshaw ist nie Kompromisse eingegangen. 17 Ken Bradshaw + OV Mein Erfolg beruht auf der Tiefe meiner Hingabe. Meine Hingabe beruhte auf Besessenheit. Ich war buchstäblich besessen. Da gibt es keinen Zweifel. Nichts anderes durfte mir im Weg stehen: keine Familie, keine Eltern, keine geliebten Menschen, keine Frauen, keine Schule, keine Jobs. Surfen stand an erster Stelle und in jeder neuen Beziehung machte ich klar, dass das auch immer so sein würde. Meine Besessenheit trieb mich an, meine Besessenheit war Ziegel und Mörtel meines Erfolgs. Genau wie Steudtner ist Bradshaw nicht gerade an einem Hotspot für Surfer aufgewachsen, sondern in Houston, Texas. Auch er ist 16 Jahre alt, als er von Zuhause ausreißt und nach Kalifornien geht, um jeden Tag surfen zu können. Doch anders als Steudtner macht Bradshaw in Kalifornien seine High School fertig. Drei Jahre später zieht es auch ihn nach Hawaii, an die Nordküste der Insel Oahu. Musik: The Ventures - Ten Over Komponist: Don Wilson, Leon Taylor, Nokie Edwards, Bob Bogle Label Code: Sundazed Music ?– SC 6289 Innerhalb weniger Jahre beherrscht Bradshaw die großen Wellen so gut, dass die Sponsoren von ganz alleine auf ihn zukommen. 1982 gewinnt er den Duke, damals einer der prestigeträchtigsten Surfwettbewerbe an Oahus Nordküste. Der Erfolg hat seinen Preis: Von Bradshaw heißt es, dass er nicht trinkt, nicht raucht, keinerlei Drogen nimmt und sich streng vegetarisch ernährt - bis heute. Aber die wohl wichtigste Voraussetzung für den Erfolg ist seine Besessenheit. 18 Ken Bradshaw + OV Wobei ich glaube, dass die besten Athleten immer besessen sind. Das ist die einzige Möglichkeit, richtig gut in etwas zu werden. Das ist natürlich keine gesunde Art und Weise, sein Leben zu leben, aber wer glaubt, auch ohne diese Eigenschaft Erfolg haben zu können, macht sich etwas vor. Wohl auch deshalb steht Surfen für Bradshaw immer an erster Stelle - so wie für Steudtner. Auch der interessiert sich nicht sonderlich dafür, was andere denken. 19 Sebastian Steudtner Ich bin ein Exot in allen Bereichen: Ich bin in Amerika ein Exot weil ich Deutscher bin und ich bin in Deutschland ein Exot, auch weil ich Deutscher bin. Und weil das keine deutsche Sportart ist und was ganz, ganz Ungewöhnliches ist. Ein deutscher Big Wave Surfer ist ungefähr so verrückt wie ein Hawaiianer, der versuchen wollte, die Streif runterzufahren, eine der schwierigsten und gefährlichsten Skirennpisten der Welt. Denn in Deutschland gibt es gar keine Szene fürs Big Wave Surfen - wie auch? Selbst das reguläre Wellenreiten findet in deutschen Medien ja nur dann statt, wenn entweder gerade Bundesligapause ist oder Mick Fanning vor laufender Kamera von einem Hai angegriffen wird. Zum Zuschauen sind Surfwettbewerbe nämlich ziemlich langweilig, sagt Andi Spies, Chefredakteur der Surfzeitschrift Blue Magazine. 20 Andi Spies Weil einfach die Heats bei nem normalen Surfcontest dann immer so 30 Minuten dauern, das heißt da sind zwei Surfer 30 Minuten, oder manchmal zu dritt im Wasser und versuchen halt die besten Wellen in der Zeit zu erwischen und viel Leerlauf ist dazwischen, wo sie hin- und herpaddeln, wo sie auf Wellen warten, wo die Sets einfach nicht kommen. Und deswegen ist es, glaube ich, einfach keine Live-Sportart. Also schwer, live zu vermitteln. Ein Fußballspiel ist nach 90 Minuten aus in der Regel. Aber ein Surfwettkampf, der dauert dann wirklich fast den ganzen Tag. Oder auch mal mehrere Tage - ganz einfach, weil die Natur nicht mitspielt und die Wellen nicht „wettkampftauglich“ sind. Von daher hat es Surfen als Publikumssport schwer. Und wo kein Publikum, da keine Reichweite - und wo keine Reichweite, da keine Sponsoren. Auch wenn viele, auch branchenfremde Firmen, gerne den Coolness-Faktor des Surfens für ihre Werbung ausnutzen, sagt Spies. Surfer ganz offiziell zu sponsern, dazu sind sie aber meistens nicht bereit. 21 Andi Spies Wenn man einen Sportler unterstützt, finanziell, dann will man, dass der entsprechend als Botschafter seiner Marke da rausgeht und entsprechend wahrgenommen wird. Und da ist es natürlich unheimlich schwer - auch gerade für Deutsche - sich da so zu platzieren, dass sie entsprechend attraktiv in den Medien stattfinden. Ein deutscher Surfer hat es trotzdem mal geschafft, von einem branchenfremden Unternehmen gesponsert zu werden, erinnert sich Spies: 2008/2009 gehörte Marlon Lipke zu den 36 besten Surfern der Welt und wurde unter anderem von der Deutschen Bank unterstützt. Doch die Saison lief nicht so gut für Lipke und auch die Medien interessierten sich kaum für ihn, sodass die Bank bald das Interesse verlor, ihn weiter zu sponsern. Auch Steudtner weiß, dass es in Deutschland nur ganz wenige gibt, die seinen Sport überhaupt verstehen. Weil es keiner macht, Big Wave Surfing ist keine Sportart für die Massen - die extreme Variante Tow-Surfing noch viel weniger. 22 Sebastian Steudtner Das schaut ja erstmal aus wie ein Haufen Verrückter, die sich da versuchen, umzubringen. Und wer will einen Verrückten unterstützen, der sich versucht umzubringen? Keiner! Kein Wunder also, dass deutsche Sponsoren Steudtner ihr Geld nicht gerade hinterherwerfen. Für ihn interessiert haben sich große Firmen in den letzten Jahren zwar schon. Dabei ging es ihnen aber mehr darum, sein Wissen abzuschöpfen. Jahrelang hat er Mitarbeitern Vorträge gehalten über Motivation, Mut, Risikomanagement, Teamführung und wie man mit Extremsituationen umgeht. Dabei hat er nur leider oft die besten Wellen verpasst. Steudtner hat es trotzdem gemacht - weil ihm nicht viel anderes übrig blieb. Denn Big Wave Surfing ist ein kostspieliger Sport: Steudtners Equipment, verteilt über Garagen in Portugal, Irland und Deutschland, hat einen sechsstelligen Wert. Öffentlich als seine Sponsoren sind diese Firmen aber nicht aufgetreten. Namen will er nicht nennen. 23 Sebastian Steudtner Milliardenschwere Unternehmen, die dann nicht den kleinen Betrag haben, um mich zu sponsern, weil sie sagen: Uh, wenn dem irgendwas passiert, dann stehen wir imagemäßig schlecht da. Inzwischen ist Steudtner nicht mehr auf solche Vorträge angewiesen: Dank Crowdfunding und eines festen Sponsors, ein internationaler Sportwettenanbieter, kann er sich voll und ganz aufs Big Wave Surfing konzentrieren. Und darauf, den Weltrekord zu knacken: Denn dann würde endlich auch das Publikum in Deutschland verstehen, was für ein Talent er hat - und wahrscheinlich auch noch ein paar Sponsoren. 24 Sebastian Steudtner In Deutschland brauchst Du nen Titel. Wenn einer sagt: Das ist der beste Big Wave Surfer, dann sagen alle: Ist er Weltmeister? Nee, nee, ist nicht Weltmeister - da gibt es keinen Weltmeister-Titel. Hat er nen Weltrekord? Nee, nee, hat keinen Weltrekord. Wie ist er dann der Beste? Der Beste, das war lange Zeit Ken Bradshaw. Am 28. Januar 1998 bezwingt der damals 46-Jährige eine etwa 25 Meter hohe Welle: an einem Spot namens Log Cabins, einem Riff, das ein Stück vor der Nordküste Oahus liegt. 25 Atmo Wellen Ein Beweisfoto gibt es allerdings nicht. Nur eine qualitativ ziemlich schlechte Videoaufnahme, von der Küste aus gefilmt. Deswegen ist dieser Weltrekord auch nicht offiziell. Denn der Weltverband, die World Surfing League, erkennt nur Wellen an, die dokumentiert und offiziell eingereicht werden. Eine Jury beurteilt dann anhand des Foto- und Videomaterials, wie hoch die Welle tatsächlich war. Und das ist auch der einzige Weltrekord, den das Guinness Buch der Rekorde aufnimmt. Aktuell liegt dieser Rekord bei 23 Metern 80 - aufgestellt von dem Amerikaner Garrett McNamara, 2011 in Nazaré an der portugiesischen Atlantikküste. Musik: Nelly Furtado - Big Hoops (Bigger The Better) Komponist: Nelly Furtado, Rodney Jerkins Label Code: 02604 Nazaré ist inzwischen auch Steudtners Stamm-Surfspot. Denn es ist der Ort in Europa, an dem es die mit Abstand größten Wellen gibt - und an dem er eine Chance hat, den Weltrekord zu knacken und sich einen Titel zu verschaffen. Darauf hat er in den letzten Jahren kontinuierlich hingearbeitet. Nicht nur, indem er sich selbst einiges abverlangt hat, sondern auch seinem Team. Und dazu gehört allen voran der Partner auf dem Jetski. Doch als Steudtner und Butler sich vor ein paar Jahren getroffen haben, kannte sich Butler mit großen Wellen gar nicht aus. 26 Sebastian Steudtner Ich hab ihn antrainiert, ich hab ihm das beigebracht alles in den letzten Jahren und hab auch jetzt erst letztes Jahr den Weltrekord in Angriff genommen, weil er davor noch nicht bereit war. Und weil ich auch davor gesagt hätte: Ok, wir sind noch nicht zu 100 Prozent da. Am 11. Dezember 2014 ist es so weit: Ein heftiger Sturm trifft die portugiesische Küste bei Nazaré. 27 Wellengeräusche, Sturm Butler sitzt auf dem Jetski, Steudtner mit seinem Brett auf dem Anhänger. 28 Sebastian Steudtner An dem Tag war's extrem anspruchsvoll, weil's relativ windig war und extrem groß war, die Wellen, und es extrem schwer war, auf der Welle zu bleiben überhaupt. Also, war schwer in die Welle reinzufahren. Doch schon auf der dritten oder vierten Welle - so genau erinnert er sich nicht mehr - gelingt ihm der perfekte Ritt. Der Rest des Teams beobachtet ihn von den Klippen aus. 29 Jubelschreie Es sieht so aus, als hätte er den Weltrekord geknackt. Doch ob die Welle wirklich höher war als 23 Meter 80? Das erfahren Steudtner und seine Mitstreiter erst im Frühjahr 2015: Am 1. Mai lädt der Weltverband WSL die besten Big Wave Surfer der vergangenen Saison zur Preisverleihung ins kalifornische Anaheim ein. Der Deutsche bekommt für seine Leistung vom 11.Dezember 2014 in Nazaré den Biggest Wave Award für die größte gesurfte Welle der Saison. Doch für den Weltrekord reicht es nicht: Die Jury stuft die Höhe der Welle mit 21 Metern 60 knapp hinter der von McNamara ein. Steudtner wundert das nicht, schließlich ist die weltweite Surfszene noch immer fest in der Hand der Amerikaner und Australier. Aber so wichtig ist ihm der Weltrekord auch gar nicht, sagt er. 30 Sebastian Steudtner Wenn ich den Weltrekord mach, dann auch mit der besten Leistung auf der Welle. Und wenn's dann die größte Welle ist, dann ist es die größte Welle. Und wenn's nicht die größte Welle ist, dann ist es nicht die größte Welle. Immerhin war es schon das zweite Mal, dass Steudtner den Preis für die größte Welle der Saison bekommen hat. Für Big Wave Surfer ist der so wertvoll wie der Oscar für Filmschaffende. Vor ihm hat das noch kein anderer Deutscher geschafft. Steudtner ist der Underdog, der Junge aus Deutschland, dem Land ohne Wellen, der sich den Respekt der anderen erkämpfen muss - den Respekt von Hawaiianern, Australiern und Kaliforniern, von denen die meisten auf dem Surfbrett stehen, seit sie laufen können. Sein Ziel, die größten Wellen zu surfen, und zwar hauptberuflich, hat er jedenfalls schon erreicht. Mit einem Partner, der gut zu ihm passt, ihn ergänzt. 31 Tom Butler + OV Ich bin ein besserer Surfer in kleineren Wellen als er, also helfe ich ihm mit seiner Technik in kleineren Wellen und er hilft mir mit meiner Technik in größeren Wellen. Unser beider Stärken sind zusammengekommen und haben sich einfach gut getroffen und das hat unsere Leistung auf den Höhepunkt getrieben. Das ist was ziemlich Besonderes. Die Chancen, dass das Duo in einem der nächsten Winter den Weltrekord knackt, stehen ziemlich gut. Was Steudtner nicht nur wegen des Titels freuen würde. 32 Sebastian Steudtner Wenn ich den Weltrekord hab, dann ist das weltweit ein Skandal, ein Riesenereignis, ein Riesenerfolg, eine Riesenklatsche für die Amerikaner. Ich mein, überleg Dir mal: Deutschland hat den Weltrekord fürs Big Wave Surfen. Das ist komplett balla-balla eigentlich, ne? Wenn man sich das so überlegt. Musik: Allah-Las - Long Journey Komponist: Miles Michaud, Pedrum Siadatian, Matthew Correia, Spencer Dunham Label Code: LC 14513