DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 18.08.2015 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 ? 20.00 Uhr Die Moschee am Bahndamm Muslimische Roma in Düsseldorf Von Ulla Lachauer URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik: instrumentales Vorspiel von Esma Rezepova ?Dzelem, Dzelem? Sami Dzemailovski ?Ich bin nen Mensch, der aus Jugoslawien stammt, der nach Deutschland gekommen ist, der sich mit dieser Kultur auch identifiziert. Ich bin auch ein Osmane. Ich bin ein Düsseldorfer. Ich bin ein Fortuna-Fan. Und ich bin ein Europäer. Ich bin so Vieles. Dass man dann wirklich nur auf eins reduziert wird, auf die Ethnie, find ich nicht o.k. (lacht). Man will mich eigentlich nur mit meiner ethnischen Zugehörigkeit verletzen, weil man denkt, dass Roma sein, Zigeuner sein, was man früher gesagt hat, was Negatives ist.? Erzählerin Sami Dzemailovski, geboren in Mazedonien, einer von 5000 muslimischen Roma, die in und um Düsseldorf leben. Musik Ayse/ Pseudonym ?Weil es ist so, leider Gottes Roma werden wir abgestempelt, werden wir alle in einen Topf rein geschmissen. Ob gut oder schlecht, wird nicht begutachtet. Sag ich richtig? Anstatt zu sagen, Moment mal, wir sind alle Menschen, egal welcher Nationalität, es gibt böse Menschen und gute Menschen überall.? (lacht) Erzählerin Sie will ?Ayse? genannt werden, ihren wirklichen Namen nicht öffentlich nennen. Der Geschäftsmann Kamber Rustemovski tut es ? er habe sich lange genug versteckt. Kamber Rustemovski ?Wir zahlen unser Steuer. Wir haben Familien. Wir sind sesshaft. Wir haben Häuser. Wir haben Geschäfte. Wir haben ein soziales Leben, wo wir integriert sind. Warum sollen wir uns dafür schämen? Dass wir Zigeuner sind? Dass wir Roma sind? Und jetzt im Nachhinein müssen wir uns immer doppelt rechtfertigen. Ich muss mich rechtfertigen, weil ich ein Muslime bin, ich muss mich rechtfertigen, weil ich ein Zigeuner bin, ein Roma, das ist doch nicht nötig.? Musik Atmo: Muezzin ruft zum Freitagsgebet, ?Allahu Akbar? Ansage Die Moschee am Bahndamm Muslimische Roma in Düsseldorf Ein Feature von Ulla Lachauer Erzählerin Sie sind stolz darauf, eine eigene Moschee zu haben. Und dass sie sie haben, ist ein kleines Wunder! Als ich im Januar zum ersten Mal vor dem verrosteten weißen Tor stand, wusste ich kaum etwas von dieser Welt. Ich ahnte noch nicht, dass mein Besuch eine lange Reise werden würde - in den Orient und die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Atmo: Bagger, Holz splittert Erzählerin Düsseldorf-Lierenfeld, Posener Straße 209. Gegenüber eine bescheidene Siedlung, die nach dem Zweiten Weltkrieg von vertriebenen Ostpreußen und Schlesiern gebaut wurde. Ein schmales, etwas verwildertes Grundstück, links davon der Bahndamm, rechts eine städtische Müllverwertungsanlage. ?Romani Dzamija?, ?Roma-Moschee?, steht über dem Tor. Kein Minarett. Von der Straße aus ist der flache, hellgrüne Bau nicht zu sehen, selbst im Winter nicht. Imam Ajdini, ein dunkler, stämmiger Mann Anfang vierzig, bittet mich ins Büro, herzlich, in unbeholfenem Deutsch. Ihm zur Seite Nebojsa Sakirovski, der Kassenwart der Gemeinde, der soufflieren soll, wenn dem Imam mal ein Wort fehlt. Eine Journalistin ist in diesen Januartagen hochwillkommen. Imer Ajdini ?Mit dieser Öffentlichkeit kann man uns zeigen: Die Roma gehört auch in diese Welt (lacht). Sonst haben wir keine Möglichkeit, uns zu zeigen draußen. Wir machen die Tag der offenen Tür alles, aber natürlich wenn die Radio kommt oder Fernseher kommt, ich meine, dann ändern wir die Meinungen von vielen Leuten für die Roma.? Erzählerin Was da draußen passiert, beunruhigt sie. Die täglichen Medienberichte über Armutsflüchtlinge, Roma meist aus Rumänien, die betteln und stehlen und Schlimmeres. Und jetzt in Paris der Anschlag auf die Redaktion von ?Charlie Hebdo?, die Täter zwei fanatische Muslime. Ein muslimischer Rom zu sein, ist in diesen Tagen so ziemlich das Schwierigste, was man sich vorstellen kann. Imer Ajdini ?Was haben die da in Frankreich gemacht, in Paris, ne, das ist keine muslimische Leute, weil das ist keine Islam. Koran sagt uns nicht das. Prophet hat das auch nicht gemacht.? Atmo: Zug rauscht vorbei Erzählerin Der Zug ist so nahe, dass er die Tassen auf dem Tisch zum Tanzen bringt, der große Kühlschrank schwankt. Unbemerkt hat Kamber Rustemovski, das Büro betreten und mischt sich ein. Von seinem Handy liest er eine Sure aus dem Koran vor, die er runtergeladen hat, um sie Nicht-Muslimen wie mir entgegenzuhalten. Kamber Rustemovski ?Wenn man einen Menschen umbringt, ist es so, als wenn man die ganze Menschheit umgebracht hat.? Koran Sure 5, Vers 32, Almeida. Also, der Islam, der verbietet uns solche Sachen. Weil es heißt, wer bist du, dass du dich ermesst, jemand zu bestrafen oder zu töten.? Erzählerin Unser Islam ist friedlich, das muss unbedingt klargestellt werden, bevor ich ins Allerheiligste geführt werde, den Gebetsraum der Männer. Atmo: leise Stimmen im Gebetsraum Erzählerin Die Pracht ist unerwartet: orientalische Kacheln, Blau und Türkis, arabische Zeichen auf weißem Grund, im Zentrum die Gebetsnische, das Mihrab, wohlproportioniert und anmutig. Erleuchtet vom weißen Licht des Winters, das durch die Milchglasscheiben fällt. Imam Ajdini und sein Kassenwart Nebojsa Sakirowski freuen sich über mein Erstaunen. Imer Ajdini ?Wo bin ich reingekommen, hab ich gesagt, ne, hier nen Moschee, nee passt nicht. Von vorne bis hinten war alles wild. Da muss man viel Geld investieren. Und haben wir das Geld? Wir haben gar kein Geld gehabt. Und dann haben wir angefangen, jede von seine Tasche, das zu bezahlen. Dann haben wir angefangen zum Arbeiten. Alles von Roma war, Hilfe, mit Geld, mit handwerkliche Begabungen??. Sakirovski: ?Mit handwerkliche Begabungen, Elektriker , Heizungsinstallateure, Maurer, alles.? Erzählerin Mit dem Geld der Gemeinde und viel Eigenarbeit haben sie den ehemaligen Konfirmandensaal in diese Moschee verwandelt. Zuvor haben der Imam und einige Getreue eine Reise unternommen, Moscheen in Skopje, Istanbul und Saudi-Arabien angeschaut, um sich inspirieren zu lassen. Wie soll unsere Moschee aussehen? Die Roma, sagt Ajdini, hatten nämlich noch nie eine eigene Moschee, nirgends in Europa ? auch das wusste ich nicht. Musik Atmo: Gemurmel Erzählerin Es ist Freitag, 14 Uhr. Der Gebetsraum füllt sich allmählich. Männer in frisch gebügelten Hemden lagern auf dem rotgrünen Teppich, die jungen tragen oft Baseballkappen. Sie schwatzen, derweil Imam Ajdini vor aller Augen einen lilienweißen Kaftan überwirft. Achtzig Gläubige sind es, vielleicht mehr. Einer der letzten ist Sami Dzemailovski, ein bekannter Aktivist für die Rechte und Kultur der Roma. Er kommt aus Köln, geradewegs aus dem Büro, wo er jugendliche Migranten betreut. Wie viele ist er früher in die türkische Moschee gegangen und hat sich dort fremd gefühlt. Sami Dzemailovski ?Das ist der Unterschied dann zu den anderen Gemeinden, wo wir auch hingehen können, wo wir auch beten können, aber wo wir alles vielleicht nicht verstehen können. Erst mal die Sprache, das ist erst mal das wichtigste, es gibt natürlich auch kleine kulturelle oder traditionelle Unterschiede. Wir wissen, woher wir kommen. Wir sind meistens verwandt, vielleicht haben ein nachbarschaftliches Verhältnis. Ich kenne dort ganz viele Roma, und ich versteh auch die Sprache, und wenn ich was nicht weiß, dann kann ich auch fragen. Und ich fühl mich da Zuhause, es ist mein Zuhause.? Atmo: Predigt Erzählerin Ajdini predigt in Romanes. Bevor die Liturgie in Arabisch beginnt, muss ich den Gebetsraum verlassen. Mein Platz ist bei den Frauen. Unterwegs treffe ich einige Schuljungen, die sich eilig die Turnschuhe ausziehen. Zwei Jungen ?Manche machen so extra Wege, 150, 200 Kilometer, damit die hierhin kommen. Zum Beispiel er kommt jetzt von Solingen.? ? ? Ich komm aus Solingen, das ist jetzt auch so 50 Kilometer.? Atmo: Frauenraum, Imam aus Lautsprecher Erzählerin Der Gebetsraum der Frauen ist klein, fast schmucklos. Über der Schiebetür ein großer Monitor, der die Zeremonie von nebenan überträgt. Sechs Frauen und ein etwa dreijähriges Mädchen an der Hand der Großmutter. Sie schauen nur kurz auf. Lange Mäntel, die Alten in Schwarz, die jüngeren bunt, Türkis, ein samtiges Grün, hier und da Goldlitze. ?Salem aleikum? grüßt eine. Eine andere hilft mir, mein Kopftuch zu binden, dass auch ja kein Härchen rausguckt. Aufmerksam lauschen sie der Predigt, und ich, die ich kein Wort verstehe, muss an Luther denken, der den Deutschen die Bibel in der Muttersprache brachte. Ayse ?Wenn wir auf eigene Muttersprache hört, dann verstehen wir das. Von Allah seine Wörter, seine Suren, seine Ayet, damit man weiß, wovon der redet, der Imam. Da geht einem schon die Tränen kullern runter, wenn man hört, wie schön das ist, wie schön der Imam, unser Imam erzählt das auch so schön. Und deshalb ich finde, meine Meinung ist es sehr schön, eine Roma-Moschee zu haben, dass jeder in seine Sprache was hat.? Atmo: Muezzin Erzählerin Immer wieder besuche ich die Moschee am Bahndamm, von Januar bis zum Juni, dem Beginn des Ramazan, wie sie hier in Anlehnung an die türkische Variante für den Fastenmonat sagen. Wie ist das alles hier entstanden? Wer sind die Gläubigen? Mit den Düsseldorfer Sinti, deutschen Zigeunern, die nur einen Steinwurf entfernt von der Posener Straße siedeln, haben sie anscheinend kaum etwas gemeinsam. Auch nicht mit den Roma, die mir in den Dörfern Siebenbürgens begegnet sind. Ich lerne, mich zu verabschieden von Sammelbegriffen wie ?Sinti und Roma? oder ?Roma-Völker?. Dies hier ist zunächst mal eine Gastarbeitergeschichte. Viele sind als Kinder aus Jugoslawien gekommen, die meisten aus Mazedonien. Musik Kamber Rustemovski ?Also ich bin erste Mal 68 auf 69, da war mein Vater schon das erste Jahr hier, zu Besuch mit meine Mutter und meine Schwester sind wir hierhin gekommen. Mit den alten Dampflock noch, kann ich mich noch etwas erinnern, an den Geruch vor allem, durch die Tunnels.? Erzählerin Kamber Rustemovski war damals sechs Jahre alt. Musik: Lied ?Vozot za Germanija? (Version von Pepi Baftirovski, Jugoton EPY 4374) Ayse ?Mein Vater hat immer gesungen, als sie nach Deutschland gekommen sind. ?Vozot braka trgnuva.? Der Zug fährt, und die Frauen bleiben zuhause, die sind ja damals alle nach Deutschland gekommen, als Arbeiter und so, und die Frauen sind mit Kinder geblieben, ne. Die Väter sind in eine fremde Land gegangen, zur Arbeit und Geld verdienen und alles.? Musik Erzählerin Die Kinder kamen dann irgendwann nach. Das beschwingte Lied, ein Hit, den ein Rom aus Mazedonien komponierte, haben sie heute noch im Ohr. Sami Dzemailovski ?Die Fahrt mit dem Zug aus Mazedonien dauerte zwei Tage. Und irgendwo in Süddeutschland, als wir in Deutschland reingekommen sind, unser Zug stand am Bahnhof und wartete auf die Weiterfahrt, und auf dem anderen Bahnsteig saßen irgendwelche Schüler und haben was gegessen. Und dann ist einer aufgestanden und ist zehn Meter weit zum Papierkorb gegangen und hat ein Stück Papier in den Korb geworfen, und das war für mich, ohhh, ich bin gerade in Deutschland reingekommen, war noch im Zug und bin noch nicht ausgestiegen und habe das gesehen und hab das für mich mitgenommen. Ich erinnere mich jetzt noch, immer noch daran.? Erzählerin In Deutschland kam Sami Dzemailovski in die Schule, in eine jugoslawische Klasse, ebenso Kamber Rustemovski. Bloß nicht auffallen, hatten die Eltern ihnen eingeschärft. Kamber Rustemovski ?Also wir haben nicht gesagt, dass wir Roma sind. Man hat uns von Anfang an Zuhause gesagt, Ihr dürft nicht sagen, dass ihr Roma bzw. Zigeuner seid, und das ging dann jahrelang so, wir haben uns immer versteckt. Wir haben immer gesagt, wir sind Jugoslawen, wir sind Mazedonier.? Erzählerin Ich bin Jugoslawe, dieser Satz war das sicherste Versteck. Romanes hätten sie nur Zuhause gesprochen, die muslimischen Feiertage wie Ramazan Bayram und Kurban Bayram nur in der Familie gefeiert. Und zugleich den Festtagskalender des Gastlandes eingehalten. Ayse ?Auf einmal hier ein anderes Land. Haben wir angefangen mit Weihnachten, mit Weihnachtsbaum, mit alles. Dann haben wir alles gefeiert. Wenn Bayram kam, haben wir Bayram gefeiert, wenn Weihnachten kam, haben wir Weihnachten gefeiert. Und das war für mich ein besinnlicher Fest, ich hab das geliebt und so.? Kamber Rustemovski ?Meine Mutter, sie war eine sehr fromme, aber sehr offene Frau, eine sehr, sehr herzlich intelligente Frau. Sie hat gesehen, dass wir in eine Welt leben, wo wir uns integrieren müssen, schon als Kinder damals. Das war in den 70er-Jahren. Und hat sie angefangen, Weihnachtsbaum zu kaufen, zu schmücken. Warum hat sie das gemacht? Nach den Weihnachtsferien hat man sich in der Schule getroffen und hat man gefragt: Und was hast du denn geschenkt gekriegt? Um das zu vermeiden, dass wir unwissend dastehen und ausgelacht werden oder gehänselt von den anderen Kindern, hat meine Mutter schon sofort am Anfang so gehandelt mit die Weihnachtsgeschenke.? Erzählerin Unvorstellbar damals, dass muslimische Roma mal eine eigene Moschee haben würden. Sie erzählen, mit Humor und kritischer Distanz, von ihrem unauffälligen, deutschen Leben, das so ganz aufs Diesseits gerichtet war, aufs ?Dunya?, wie es im Koran heißt. Kamber Rustemovski ?Wir haben den Fehler gemacht, wir wollten mehr von der Dunya, von diese hetzige Leben jetzt, mehr an Wohlstand, mehr an Geld, mehr Autos, mehr Reisen. Neben unserer Arbeit haben wir uns noch selbständig gemacht. Reinigungsfirma, wir haben noch ein Einzelhandelgeschäft aufgemacht, von 24 Stunden waren wir bestimmt 12 bis 14 Stunden unterwegs am Arbeiten. Man hat reagiert, man hat aber nicht agiert, man war wie eine aufgezogene Uhr, Roboter. Zehn Jahre ohne Samstag, ohne Sonntag, keine Feiertag, kein Silvester, kein Weihnachten, keine Feiertage gar nichts. Wir haben durchgemacht. Ja, dann bin ich dann erkrankt. Magenkrebs, bösartig. Und nach der OP, wie gesegnet oder neugeboren, wie soll ich sagen, hab ich da zu Gott, zu Allah die Nähe gefunden.? Atmo: gesungener Koran Erzählerin Bei Kamber Rustemovski war es die Krankheit, die ihn zur Religion führte. Es gibt andere Gründe, nicht jeder mag davon reden. Jedenfalls seien viele der Gläubigen, die zum Freitagsgebet in die Moschee am Bahndamm kamen, mit dem Koran und den meisten religiösen Ritualen nicht gerade vertraut gewesen, sagt Imam Ajdini. Imer Ajdini/ Nebojsa Sakirovski ?Die haben alle Koran gehabt Zuhause, aber die haben nicht gelesen. Ich sag immer noch heute das, sie haben Koran, aber leider sie lesen das Koran nicht Zuhause.? Sakirovski: ?Die stellen das in hohen Schränken oder so ab, die halten das schon so als Respekt da, aber er sagt, man soll das nicht irgendwie sauber aufbewahren, sondern man soll damit arbeiten (lacht). Man soll das lesen, ein bisschen studieren, und wenn man Fragen hat, soll man den Imam ja auch fragen.? Erzählerin Jahre vor dem Bau der Moschee hat der Imam mit dem Koran-Unterricht begonnen, in einem kleinen, gemieteten Gebetsaal in der Düsseldorfer Bruchstraße. Schon in der alten Heimat, in Mazedonien, war das religiöse Leben nicht einfach gewesen. Die Roma, vor gut tausend Jahren aus Indien zugewandert, waren unter der Herrschaft der Osmanen oft Muslime geworden. Doch sie hatten keine eigenen Moscheen, gingen in die der Albaner, andernorts in die der Türken. Auch im sozialistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien, der Religion in gewissen Grenzen zuließ, war das so. Imam Ajdini, in den 70er-Jahren in Skopje aufgewachsen, erinnert sich, dass er als Rom in der Moschee nicht gern gesehen war. Imer Ajdini ?Wenn ein intelligenter Roma geht in Moschee, dann haben die den immer so erniedrigt, weil die Roma gehört nicht in Moschee. Die Worte waren so, wenn ein Roma oder ein Zigeuner kommt in eine Moschee, dann die Engel sind weg von Moschee, da gibt es gar keine Engel mehr. Die laufen weg (lacht), und die wollten uns nicht eigentlich rein lassen, gibt es so Situationen, wo die Roma konnten nicht in Moschee rein gehen.? Erzählerin Also seien sie eigene Wege gegangen. Der Glaube, Gebote, Feste und Reglements sind meist mündlich überliefert worden, von Generation zu Generation. Mevlid, der Geburtstag des Propheten, und das Opferfest, die Alten fasteten im Monat Ramazan. Zur Beschneidung und bei Hochzeiten kam ein Baba, ein glaubenskundiger älterer Mann, der dabei half, die richtigen Gebete zu sprechen. Manchmal ein Scheich, das Oberhaupt einer Tekke, wenn es denn am Ort eine gab. Tekke, lerne ich, heißt Asyl, Rückzugsort, ein unscheinbares Gebäude meist, in dem eine Sufi-Bruderschaft lebte. Vom Sufismus, der mystischen Strömung des Islam, sind viele Roma offenbar stark geprägt. Früher, im mazedonischen Kumanovo, erzählt Sami Dzemailovski, habe er manchmal am Fenster der nahen Tekke gestanden und den tanzenden Derwischen zugesehen. Atmo: Oruc Güvenc, Heilende Musik aus dem Orient, Daire, Ney, Atmen Sami Dzemailovski ?Ich hab bei einigen Veranstaltungen in Tekke als kleiner Junge, bzw. als junger Mann teilgenommen, wo ich auch nur von außen reinschauen konnte durch das Fenster, wir die jungen Leute, und was die Älteren da gemacht haben. Und das war wirklich faszinierend, wie die Derwische da getanzt haben, bzw. diese Riten gemacht haben und sich auch in Trance versetzt haben oder versetzt worden sind, ich weiß nicht, wie das funktioniert, keine Ahnung, wie das geht, und dann teilweise auch mit diesen Nadeln dann gearbeitet haben, wo kein Blut floss oder so. Unglaublich, unglaublich! Das ist, aber ich hab?s mit meinen eigenen Augen gesehen. Es war nicht aus dem Fernsehen, nicht irgendwie im Kino, sondern ich hab?s übers Fenster aus gesehen, dass das möglich ist.? Erzählerin Auch Sami Dzemailovski kommt aus einer Familie, wo der Koran in einem sauberen Handtuch aufgehoben, aber nicht gelesen wurde. Heute ist er ein wissbegieriger Schüler von Imam Ajdini. Er bewundert ihn, weil er einer der ersten Roma ist, der sich auf eine islamische Fakultät gewagt hat, in Ankara, später in Bursa. Imer Ajdini/ Nebojsa Sakirovski ?Ich kann nicht sagen, ich bin Muslim-Roma, aber wir haben gar keine Theologen, gelernte Theologen. Wie wollen wir mit dem Albaner in gleiche.? Sakirovski: ?Rang.? Ajdini: ?Rang. Oder mit dem Bosnier in gleiche, kann man nicht. Wir müssen mindestens tausende gelernte Theologie haben.? Sakirovski: Weil wir zurück geblieben sind, von den anderen Nationen, die ja sehr, sehr, sehr weit fortgeschrittener von uns sind. Der Imam ja immer sagt, die Bosnier oder die Albaner, weil die mehrere Gelehrten haben, mehr geschulte Menschen haben, wo wir vielleicht als Beispiel zwei oder drei Imame, oder jetzt, vielleicht wenn wir das zusammen zählen in Europa, würden wir bis zu 20 haben.? Erzählerin Schulung, Professionalisierung, viel Nachholbedarf. Der Begriff ?Re-Islamisierung? fällt mir ein. Wäre er nicht in die Nähe des Dschihad gerückt worden, würde er hier gut passen, in dem einfachen, wörtlichen Sinne, dass Muslime ihren Glauben wiederfinden. Atmo Koran gesungen, Zug Erzählerin Obwohl auf dem Weg zu Allah sind manche Gemeindemitglieder auch dem Christengott zugetan, so wird hinter vorgehaltener Hand erzählt. Sie lieben das Osterfest und seine Bräuche. Oder feiern gar Mariä Himmelfahrt, besuchen am 15. August die heilige Jungfrau im Kölner Dom oder pilgern ins belgische Banneux, wie einst nach Letnica. Der Marienwallfahrtsort im Kosovo, nahe der Grenze zu Mazedonien, zog früher viele Roma an. Ein fröhliches, Religionen verbindendes Volksfest. In Jugoslawien war man den christlichen Nachbarn eng verbunden. Sami Dzemailovski ?Also in meiner Familie wurde sehr darauf geachtet, dass man alle Feiertage mitnimmt, egal ob muslimische oder orthodoxe Feiertage. Und das war wirklich wunderbar, weil ich bin unter Orthodoxen aufgewachsen, unter Mazedonier, slawische Mazedonier, und das war natürlich für uns ein ganz normales Ding, dass sie zu uns kommen zu unsren Feiertagen und wir die dann auch besuchen und gratulieren bei deren Feiertagen.? Erzählerin Das Zusammenleben mit den Mazedoniern, der slawischen, orthodoxen Mehrheitsbevölkerung, hat Sami Dzemailovski geprägt. Ihn und alle, auch den Imam, wie er lachend zugibt. Imer Ajdini/ Ajdini-Sakirovski ?In Skopje, ich komm von Hauptstadt, wo wir haben geleben oder wo war unsere Haus waren viele Mazedoner da. Das war sehr gut, wenn der Ostern bei den Christen kommt, dann haben wir bei unsere Haus Eier gemacht. Ich war auch in diese Tradition wie die Christen. Und dann haben wir Bayram gehabt, das war interessant, unsere Bayram, muslimische Feier war das, dann haben wir immer Baklava gemacht. Und dann alle Mazedoner bei uns gekommen, und dann haben wir zusammen alle Baklava gegessen.? Erzählerin Traditionen, über die Jahrhunderte miteinander verschmolzen. Roma vom Balkan verehren bis heute den heiligen Georg, den Patron der Ostkirche. Vasilica, das orthodoxe Neujahr, ist ihr Fest. Mit Wein und Schnaps. Ob in den Cevapcici Schweinefleisch sein könnte, kümmert manchen Muslim dabei, nicht. Dagegen kämpft Ajdini seit Jahren an, anfangs mit nicht allzu großem Erfolg. Imer Ajdini/ Nebojsa Sakirovski ?Und dann hab ich angefangen zum Arbeiten, erst mal die Tradition wegzunehmen. Die Mentalität wollte ich wegnehmen, diese alte, ungelernte Tradition, wo die haben, wie sagt man.? Sakirovski: ?Der Roma war gewohnt oder ist gewohnt von der Erziehung, und jetzt da wo der, sag ich mal, aufgewachsen ist, jede Feier, egal, von welche Religion das war, die sind ja gewohnt immer zu feiern, das ist ja im Blut (lacht), egal , wo was war als Feier, Musik und dies, waren die ja gewohnt, nur zu feiern. Und der Imam Imir Ajdini sagt: ?Wartet, ihr habt eure Feiertage, aber es sind bestimmte Tage.? Und das war am Anfang sehr, sehr schwer, auch diese Art Leute oder Menschen, gerade unsere Roma da zu bewegen. Weil, wenn die das einmal drinnen haben, ist es schwer, jemandem was weg zu nehmen.? Erzählerin: Vor allem die Alten mögen nicht davon lassen. Darüber habe sich die Gemeinde in den ersten Jahren gespalten, wird berichtet. Die Jungen zogen mit Ajdini in die Posener Straße - den Islam im reinen Sinne zu suchen, alles Nicht-Islamische abzustoßen. Geblieben ist: die Vielsprachigkeit. In der Moschee am Bahndamm höre ich ein halbes Dutzend Sprachen, im fliegenden Wechsel. Imam Ajdini kann sie alle. Von Kindsbeinen an Romanes, Mazedonisch und Türkisch, von seinen Klassenkameraden Albanisch, Serbokroatisch als Schulfach. Arabisch natürlich, die Sprache der Theologie. Zuletzt, als siebte Sprache, Deutsch. Vielsprachigkeit, ein Erbe, das sie Jugoslawien verdanken, und für das sie bis heute eine nostalgische Liebe hegen. Musik: Esma Rezepova ?Dzelem, Dzelem? Sami Demailovski ?Es war eine tolle Situation für uns, wir konnten uns frei entfalten, natürlich alles im Rahmen. Aus dem einfachen Grund, weil wir ein Teil der Gesellschaft waren. Auch diese Einheitsgefühl, diese Brüderlichkeit, Bratstvo jedinstvo, Brüderlichkeit und Einheit, das galt auch in gewissem Rahmen auch für die Roma, nicht hundertprozentig, kann ich nicht sagen. Aber zum Beispiel gab es so Folklore-Gruppen, das wurde gefördert. Es gab auch in der sozialistischen Partei, nicht in jeder Gemeinde, aber gab auch Gemeindevertreter mit Roma-Hintergrund, aber es gab auch welche in den Regionalparlamenten, die Roma waren.? Erzählerin: Gleichheit ? im Prinzip wenigstens, verbunden mit dem Namen Josip Broz Tito. Dazu ein Reisepass, Jugoslawien war das einzige Land des Ostblocks, aus dem man ausreisen durfte, z.B. nach Deutschland. Und nicht zuletzt: Schule, auch Roma-Kinder gingen regelmäßig zur Schule. Drangsaliert oft von Lehrern und Mitschülern, doch auf acht Klassen brachte es jeder. An diese Tradition knüpft Ajdini an, wenn er sagt: Die deutsche Schule, ist wichtig, noch wichtiger als unsere Moschee. Imer Ajdini ?Das machen wir immer alles auf Deutsch, alles auf Deutsch machen wir, weil wir leben in Deutschland. Und wir müssen das erst mal in Deutschland integrieren. Wie die Deutschen muss man das akzeptieren. Ohne Schule keine Arbeit, ohne Schule keine Bildung. Ohne Schule kein gar nix. Du musst du dein Kind in die Schule erst mal bringen.? Erzählerin Lesen, Schreiben, weiterbilden - in seinen Predigten zitiert Ajdini entsprechende Stellen aus dem Koran. Das gilt auch für Frauen, auf meine Frage, ob es Analphabetinnen in der Gemeinde gebe, heißt es: nur zwei. Ayse ?Es ist sehr wichtig, die Bildung. Gott möchte das auch. Als allererstes hat er gesagt: ?Ikra?, ?schreibe?! Die sollen alle lernen, zur Schule zu gehen, ein Beruf haben, ein vernünftiges Leben, ein geregeltes Leben zu führen. Ich denk, Bildung ist sehr wichtig.? Erzählerin Ich bin überrascht, wie ernst man berufliche Bildung genommen wird. Es ist offenbar Tradition bei den mazedonischen Roma, in vorindustrieller Zeit waren sie oft Handwerker, besonders angesehen die Schmiede. Kamber Rustemovski ?Man sagt Kovaci, das Wort Kovac heißt bei uns Schmied. Und es gibt Sippschaften, Kovaci, das sind diese Schmiede, Schmiedeleute, ne. Wir, ich und der Ajdini, der Hodscha, er ist auch ein Kovac, das heißt, sein Opa ist auch Schmied gewesen. Das sind sehr angesehene Leute, das sind Handwerker.? Sami Dzemailovski ?Natürlich bin ich stolz darauf, weil meine Eltern, also meine Urgroßeltern, mein Urgroßvater Schmiede waren. Mein Urgroßvater und mein Vater waren Schmiede, und mein Opa war ein Wagenbauer. Ich habe Glück gehabt, dass ich in eine solche Familie, sag ich mal mit Wohlstand in einem großen Haus aufgewachsen bin. Wo auch andere, die nicht Roma waren, auf unser Haus mit Neid geguckt haben (lacht), und die sich gedacht haben, wie können das diese in Anführungsstrichen ?Zigeuner? so was machen? Aber die Leute haben Tag und Nacht gearbeitet. Und das hat dann dazu geführt, dass es uns wirklich gut ging, und sogar besser als der Mehrheitsgesellschaft.? Erzählerin Warum können wir uns Roma immer nur als arme Leute vorstellen? In der Moschee am Bahndamm höre ich Geschichten aus einer Welt, die sozial äußerst heterogen war. Zwar ist sie längt vergangen, aber einige Spuren davon sind noch zu finden, hier in Düsseldorf. Die Nachfahren der Schmiede, der Kovaci, so scheint es, geben immer noch den Ton an. Neben ihnen gibt es Enkel und Urenkel der Gurbet, der Pferdehändler, und die der Kenefci, die in der Vergangenheit Latrinen gereinigt haben. Früher hätten sie niemals untereinander geheiratet, heute tun sie es mehr und mehr. Einige Unterschiede sind noch auszumachen, vor allem im Dialekt. Atmo: Predigt im Kovac-Dialekt Erzählerin Das also ist Kovac-Dialekt, durchmischt mit mazedonischen Ausdrücken. Es ist Juni, am Bahndamm sind die wilden Kirschen reif. Gerade hat der Fastenmonat Ramazan begonnen, die Moschee am Bahndamm ist total überfüllt, auch der Gebetsraum der Frauen. Eine wachsende Gemeinde ? ihre kurze Geschichte ist Stoff für einen ganzen Roman, eines Tages wird ihn jemand schreiben, hoffe ich. Die Liebe spielt darin eine tragende Rolle, hätte sich Imam Ajdini nicht in eine Deutsche verliebt, gäbe es diese Moschee vermutlich nicht. Sicher ist, dass sie ohne die Wende in Europa nicht entstanden wäre, die Ereignisse vor und nach 1989 sind der historische Prospekt der kleinen Geschichte der Düsseldorfer Roma. Der blutige Untergang Jugoslawiens hat sie aus ihrem friedlich angepassten Leben gerissen. Die Kriege in der alten Heimat schwemmten Zehntausende Flüchtlinge nach Deutschland, darunter Roma, die zwischen die Fronten des neuen Nationalismus geraten waren. Plötzlich standen Familiengehörige von drüben vor der Tür, und Nachbarn von einst, aus Skopje oder Kumanovo. Sami Dzemailovski ?Aus meiner Familie kamen auch einige hierhin. Und wir haben versucht, als sie dann hierhin kamen, zu helfen. Jeder hat versucht, seinen Familienangehörigen so gut es geht zu unterstützen. Und ich hab die jüdische Bevölkerung beneidet, die dann hierhin als Kontingentflüchtlinge kommen konnten, und unsere Leute, die Roma, die mussten dafür kämpfen, dass sie hier bleiben können, dass sie hier arbeiten können, und viele von ihnen wurden zurück geschickt.? Erzählerin Wenn Sie den Ihrigen helfen wollten, mussten sich die gut integrierten Gastarbeiter-Roma outen. Sami Dzemailovski hatte damals gerade mit einigen anderen den Kultur- und Sportverein der Roma ?Carmen e.V.? gegründet, um Kinder und Jugendliche, die ihre Identität versteckten, zu ermutigen. Und war plötzlich mitten in der politischen Bewegung, die für das Bleiberecht der Neuankömmlinge kämpfte. Er und viele politisierten sich in den 90er Jahren, man verfolgte intensiv die Entwicklungen in der neuen Republik Mazedonien. Von dort kam auch der Impuls zur Gründung einer Moschee. Sami Dzemailovski ?Mitte der 90er Jahre gab? s eine Aktion, da ist jemand aus Skopje gekommen und wollte Geld einsammeln für Mazedonien, um Moschee bauen in Skopje. Und dann haben wir eine Versammlung einberufen im Bürgerhaus Bilk und haben das vollends unterstützt. Und dann ist dann im Rahmen dieser Versammlung auch jemand aufgestanden und hat gesagt: eigentlich brauchen wir das ja hier in Deutschland. Das haben wir voll unterstützt. O.K. genau, hast du recht! Nächsten Tag kann jeder kommen, da haben sich 40, 50 Leute angemeldet, um für die Moschee in Skopje und auch für die zukünftige Moschee, also die Gemeinde hier in Düsseldorf, zu spenden.? Erzählerin Es muss eine wilde Zeit gewesen sein. Aufbruch und Chaos, Spenden und Streit ums Geld, Richtungskämpfe, in diesen Jahren kam Ajdini dazu, frisch vom Studium aus Bursa. Noch in den Gründungswirren, stellten sich der Gemeinde neue Aufgaben. Kosovokrieg 1999, damals wurden viele Roma vertrieben, und Deutschland nahm traumatisierte Familien vorübergehend auf. Wer in Düsseldorf landete, konnte bei der jungen Gemeinde Hilfe bekommen, manche Abschiebung in den Kosovo konnte verhindert werden. Wieder hieß es spenden. So ist es bis heute geblieben. Die Moschee muss unterhalten werden, der Kreis der Gabenempfänger wächst. Imam Ajdini besteht darauf, dass die Gemeindemitglieder alles aus eigener Tasche zahlen. Kein Geld vom Staat! Seine Arbeit als Imam wird ebenfalls durch Spenden finanziert - eine symbolische Summe, seine Familie ernährt er durch sein Taxi-Unternehmen. Musik Atmo: Gebetsraum Frauen, Gemurmel, Imam singt Erzählerin Freitagsgebet. Es ist der zweite Tag des Ramazan, kurz nach 14 Uhr, draußen regnet es in Strömen. Im Gebetsraum der Frauen herrscht Aufregung, denn heute hat der zwölfjährige Arwin zum ersten Mal einen kleinen Auftritt als Muezzin. Atmo: Arwin Muezzin Erzählerin Auch Arwin fastet seit gestern. Ramazan zur Mittsommerzeit, das heißt, die Zeit, in der man nicht essen und nicht trinken darf, ist besonders lang. Bei Sonnenuntergang, um 21 Uhr 59, werden sich alle wiedertreffen zum Fastenbrechen und Beten und zum gemeinsamen Nachtessen. Ein wenig matt wirken die Fastenden ? und zugleich euphorisch. Kamber Rustemovski ?Die Welt ist so grausam geworden. Man findet hier Halt in der Gemeinde. Und das sieht man wirklich bei Fastenmonat, da ist man jeden Tag zusammen, man respektiert sich, man toleriert einen, auch der einem vielleicht nicht so sympathisch ist, aber da findet man die Nähe zueinander. Und wenn man zusammen auch beten kann und zusammen isst und die Gesangs zusammen macht, ist das was ganz Herrliches.? Erzählerin Er wirkt ganz besonders glücklich, dieser Kamber Rustemovski. Vergangene Woche hat seine einzige Tochter geheiratet, er zeigt mir Handyfotos vom großen Fest auf Schloss Benrath. Wie die Hochzeit einer Prinzessin, sagt er stolz. Musik Atmo: Geschirr Klappern/ Regen Erzählerin Aus der Küche, ganz hinten auf dem verwilderten Grundstück, hört man geschäftiges Hantieren. Das Büffet für den Abend ist fast fertig, im Ess-Saal werden weiße Papiertischtücher ausgebreitet. Ein junger Mann mit gegeltem Hahnenschopf macht Ordnung auf dem Vorplatz, rückt die Stühle unterm Zeltdach zusammen, auf das der Regen prasselt. Und streicht die schwarz-rot-goldene Fahne glatt, am Zaun auf der Bahndammseite, die offenbar von der letzten WM übrig geblieben ist. Junger Rom aus Serbien ?Wir treffen uns abends hier, essen wir zusammen, danach sitzen wir, reden ein bisschen über Islam und so.? Erzählerin Er und die zwei pummeligen Mädchen, in hautenger Jeans und Kopftuch, die große Töpfe herbeischleppen, sind vor zwei Jahren erst als Asylbewerber aus Serbien gekommen. Sie freuen sich offenbar sehr auf das große gemeinsame Nachtessen. Junge Romni aus Serbien ?Also mir ist voll schön, dass hier alle fasten und so. Für Allah und so, weil Mohammed, der hat auch das gemacht, also der hat eigentlich drei Monaten gefastet, aber nur Dienstag und Donnerstag, und wir fasten ja nur 30 Tage.? Atmo Nachtessen Erzählerin Bei den Frauen, links im Saal, geht es lebhafter zu als bei den Männern rechts. Am Tisch der älteren Männer wird über die nächste Hilfsaktion für Roma in der alten Heimat beraten. Seit vielen Jahren schon bringen sie die Spenden, die im Ramazan zusammenkommen, in bitterarme Dörfer und Vorstadt-Siedlungen, feiern dort gemeinsam das Opferfest, den Kurban Bayram. Sami Dzemailovski ?Da sind wir sehr stolz darauf. Und vor allen Dingen, diese Hilfe zur Selbsthilfe, die entstanden ist, das ist was Tolles. Dass wir mittlerweile auch andere Gemeinden in Ex-Jugoslawien unterstützen für Kurban Bayram, diese Opferfest, dass wir da Geld sammeln und auch nach unten schicken, und dass da zumindest an einen Tag Roma andere Roma unterstützen.? Kamber Rustemovski ?Man gibt gerne, man ist seliger, und dieses Gefühl haben wir permanent, wenn man sieht, was für ein Elend da unten ist, wo die Leute leben. Wie die leben. Da braucht man immer ein, zwei Wochen, bis man sich regeneriert hat, innerlich zu sich kommt wieder. Wenn man zwei, drei Säcke Gold oder Geld hätte, hätten wir alles gegeben da. Und das ist zu wenig alles. Aber es gibt einem inneren Frieden bisschen, wenn man doch jemand helfen kann.? Musik Atmo Nachtessen Erzählerin Mein Platz ist am Tisch der älteren Frauen. Mir gegenüber eine Frau über Siebzig mit bäuerlichem Gesicht, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, wie ein Mensch aus dem alten Mazedonien sieht sie aus. Ihr ganzes Leben, erzählt sie, habe sie als Putzfrau gearbeitet, zuletzt im Klinikum Düsseldorf. Ins Mikrophon will sie das nicht sagen. Immer wieder reicht sie mir ein Stück Wassermelone, bis die Kinder vom Nachbartisch mich nach draußen entführen. Sie wollen fürs Radio was erzählen. Vorneweg Arwin, der kleine Muezzin. Arwin ?Wo ich kleiner war, so zehn Jahre alt, wollt ich immer Fußballer werden, aber jetzt will ich das irgendwie nicht mehr. Ich will so Richtung was mit Medizin, Zahntechnik oder so irgendwas machen.? Atmo Zug Erzählerin Sie wirken selbstbewusst. Muslimische Deutsche, die ihren Glauben offen leben, ansonsten sind sie, wie Kinder eben sind, mit elf oder zwölf. Man muss sich um sie nicht allzu viele Sorgen machen. Atmo Zug Erzählerin Dass sie Roma sind, verschweigen sie allerdings meistens. Auch ihre Eltern und Großeltern verstecken sich heute wieder, besonders die erfolgreichen. Angesichts der neuen Welle des Rassismus haben die große Angst, das Erreichte wieder zu verlieren. Kamber Rustemovski ?Die Vorurteile sind ja bei den Menschen da, man sagt ja, ein Zigeuner, man sagt ja nicht Roma, ein Zigeuner, der klaut, der stiehlt, der betrügt, klaut Kinder, aber das ist wirklich nicht so. Ich möchte nichts verharmlosen, es gibt prozentual wahrscheinlich wie in jeder Religion, wie in jedem Land: Es gibt immer schwarze Schafe. Was man sieht, natürlich, das ist sehr traurig, wobei wir uns dafür auch schämen und distanzieren, dieses wo die Häuser eingebrochen sind oder betrügen die Leute.? Erzählerin Es ist ihnen wichtig, sich von kriminellen Roma zu distanzieren. Mit den Armutsflüchtlingen, die heute aus Rumänien oder Bulgarien einreisen, haben sie Mitleid. Sie sind ihnen allerdings nicht besonders nahe, keine Brüder und Schwestern, wie ich vermutet hatte. Ihre gemeinsame Urheimat Indien liegt tausend Jahre zurück, eine Ewigkeit. Ihre Sprache, das Romanes, hat sich seither so differenziert, dass sie einander kaum verstehen können. Zudem gehören sie verschiedenen Religionen an, die rumänischen Roma etwa sind meist orthodoxe Christen, andere katholisch. Und der eine wie der andere kennt die deutschen Sinti nicht. Als kürzlich Düsseldorfer Sinti, von Hause aus Katholiken, der Moschee in der Posener Straße einen Höflichkeits-Besuch abstatteten, fühlten sie sich dort völlig fremd. Jede Gruppe ist anders, sehr anders. Die Düsseldorfer Roma, die sich auf diese Radiosendung eingelassen haben, wollten zeigen, wer sie sind und dass sie es zu etwas gebracht haben. Sami Dzemailovski ?Unsere Jugend und unsere alte Leute brauchen jemand, der ihnen den Weg aufzeigt, dass sie stolz auf sich sein können, auf das Erreichte, und dass sie sich nicht selbst verleugnen müssen, sondern dazu stehen, was sie sind. Und wenn wir alle dazu stehen würden, was wir sind, und wenn dann alle unsere Freunde, Nachbarn, Kollegen auf der Arbeit sehen würden, Mitschüler wissen würden, was wir sind, dann gäb? s, glaube ich, auch ein anderes Bild über uns.? Atmo Muezzin Absage Die Moschee am Bahndamm Muslimische Roma in Düsseldorf Ein Feature von Ulla Lachauer Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks, 2015. Es sprach: Isis Krüger Ton und Technik: Gunther Rose und Angelika Brochhaus Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Hermann Theißen 1