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Wir haben in der internationalen Leichtathletik momentan die Möglichkeit, Nationalitäten zu wechseln. Allerdings ist damit normalerweise eine Sperrfrist von drei Jahren verbunden, um sozusagen hier nicht nen Transfermarkt entstehen zu lassen. Ein Schlupfloch existiert jedoch: Wenn sich abgebender und aufnehmender Verband einig sind, kann diese Sperrfrist auf ein Jahr reduziert werden. So geschehen nicht nur im Fall von Yasemin Can. Über 400 Meter Hürden feierte der gebürtige Kubaner Yasmani Copello Escobar in Amsterdam seinen ersten EM-Titel. Jak Ali Harvey, der einmal Jacques Harvey hieß und für Jamaika lief, errang Silber über 100 Meter. Zwölf Medaillen holte das türkische Team bei dieser EM ? genau so viele wie bei den letzten 22 Ausgaben zuvor zusammen. Nur zwei dieser Medaillen wurden von türkischstämmigen Athleten gewonnen. Manche Wettbewerber reagieren erbost. Zum Beispiel die Irin Fionnuala McCormack. Sie war beim Sieg von Yasemin Can über 10.000 Meter nur Vierte geworden. ?Es ist wirklich ein Witz. Ich glaube nicht, dass Leute von Land zu Land springen sollten, nur will ihnen danach ist. Es gibt im Moment wirklich keinen Grund dafür, dass jemand in die Türkei immigriert. Es ist mehr als frustrierend, ich habe es satt.? DLV-Mann Prokop kann diesen Unmut nachvollziehen. Letzten Endes wird diese Regelung inzwischen offenkundig von einigen Ländern missbraucht. Wir haben von den Ländern vor allem Katar, Bahrein und Türkei nun einen richtigen Einkaufsmarkt zu registrieren. Hier werden Athleten aus verschiedenen Ländern quasi eingekauft und dann mit dem Startrecht wird das andere Land versehen. Und damit ist ne Situation entstanden, die sehr skurril und im Ergebnis keinesfalls zu akzeptieren ist. Ein Transfermarkt für Leistungssportler auch im Nationenbereich? Nicht nur der DLV mutmaßt, dass ein nur schlecht kaschierter Medaillenopportunismus hinter dieser Strategie der Turbo-Nationalisierung steckt. Christoph Rasche, Professor für Management, Professional Services und Sportökonomie an der Uni Potsdam. Hierbei handelt es sich um typische Ermessens-Einbürgerungen, das heißt, dass Staaten im Fall des nationalen Interesses Schnelleinbürgerungen von Sportlern durchführen, die aber keinen echten Bezug zu dem Land haben, für das sie starten. Gerade Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, Olympische Spiele leben ja davon, dass hier Länder sich vergleichen und die Länder aber auch sich mit den Athleten identifizieren wollen. DLV-Präsident Prokop. Und wie soll ich dieses Ziel erreichen, wenn die Athleten nicht einmal das eigene Land kennen, die Sprache nicht sprechen und mit dem Land, für das sie dann starten wie jetzt in dem genannten Beispiel der Türkei eigentlich überhaupt nichts gemeinsam haben. Der ?Daily Telegraph? hat ja sogar gemutmaßt, dass viele der Athleten, die hier neuerdings für die Türkei starten, dieses Land nicht einmal auf der Landkarte finden würden. Also das ist einfach nur lächerlich. Sportwissenschaftler Christoph Rasche hält diese Praxis auch unter einem anderen völkerrechtlichen Gesichtspunkt für bedenklich. Wenn sich dieser Sportler in dem Land, für das er startet, in keiner Weise aufhält, oder nur an zwei, drei Tagen im Jahr, dann würde ich sagen: Hier handelt es sich um eine sehr grenzwertige Einbürgerung, die dann ein anderes völkerrechtliches Problem der relativen Ungleichbehandlung aufwirft, denn inwiefern kann es sein, dass Sportler schneller eingebürgert werden eben als andere Bürger. Weil im Grunde kann man ja fast schon unterstellen, dass hier dann auch mit Staatsbürgerschaften de facto ein florierender Handel getrieben wird, sozusagen ein Geschäftsmodell. Wie dieser Handel funktioniert, belegt das Beispiel der aus Kenia stammenden Läuferin Ruth Jebet. Bei den Olympischen Spielen in Rio gewann sie Gold über 3.000 Meter Hindernis ? für Bahrain. Am 27. August dieses Jahres pulverisierte sie beim Diamond-League-Meeting in Paris den Weltrekord über dieselbe Distanz. Die Endzeit von 8:52,78 bedeutete eine Verbesserung um rund sechs Sekunden. Jebet war eine von rund 30 Athleten aus Kenia, die sich in Rio für andere Länder eingeschrieben hatten. Nach Medienberichten erhielt sie für ihr Olympia-Gold eine Siegprämie in Höhe von 500.000 Dollar. Außerdem soll ihr das Königreich Bahrein zugesagt haben, ein Vollstudium der Tierheilkunde zu finanzieren. Wäre sie für ihr Geburtsland Kenia gestartet, hätte sie sich mit einer Prämie von 10.000 Dollar begnügen müssen. Da fällt Athleten der Wechsel der Nationalität nicht schwer. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kann Sportwissenschaftler Rasche das aus Sicht der Athleten gut verstehen. Ich kann?s hundertprozentig nachvollziehen, insbesondere wenn es sich um Athleten handelt, die aus Entwicklungsländern kommen. Für die ist das die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Man kann deren Verhalten dann auch nicht groß ankreiden. Insofern haben wir es hier mit einem institutionellen Problem zu tun, das der IAAF, nämlich der Internationale Leichtathletik-Verband zu lösen hat. Hier sind die Funktionäre gefragt, für ein konsistentes Regelwerk zu sorgen, das dazu beiträgt, dass Wettbewerbsverzerrungen dieser Art gar nicht erst in Erscheinung treten können. Ganz neu ist die Problematik nicht. Bereits im Jahr 2005 befasste sich ein Wissenschaftlicher Kongress des Internationalen Zentrum für Sportstudien der Universität Neuchatel in Lausanne mit der ?Frage der Staatsangehörigkeit im Sport?. In der Problembeschreibung hieß es damals: ?Der Wechsel der Staatsangehörigkeit wird zu einem immer häufiger zu beobachtenden Phänomen in der Welt des Spitzensports. Verantwortlich dafür ist neben zahlreichen individuellen Motiven ein mit dem Anliegen von Aktiven, sich materiell besser zu stellen, einhergehendes Bedürfnis mancher Nationen, sich auf internationaler Ebene zu präsentieren. Die internationalen Sportverbände sind dabei zum Teil von der rasanten Entwicklung eines ursprünglich marginalen zu einem zentralen Problem ihrer Sportart überrascht worden. Mittlerweile scheint es notwendig, die übliche Einzelfall-Praxis durch weltweit und sportartenübergreifend tragfähige Lösungen zu ersetzen.? Geschehen ist seither offenbar nicht allzu viel. Auch die Olympische Bewegung hat noch keine klare Linie gefunden, wie mit dem Phänomen des Nationalitätenwechsels umgegangen werden soll. Ich finde, es ist ein sehr schwieriges Thema. Wir leben heute in einer globalen Welt. Michael Vesper, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes. Wir sind für durchlässige Grenzen, wir sind auch dafür, dass Menschen sich für ein anderes Land, für eine andere Nation entscheiden können. Auf der anderen Seite darf es nicht zu einem Markt werden. Es darf nicht dazu kommen, dass dies gewissermaßen verhökert wird, die nationale Zugehörigkeit und damit zum bloßen Zweck der sportlichen Wertsteigerung einer Nation führt. Das wäre fatal. Wir sind beim Handball: Es laufen die letzten Sekunden im Viertelfinale der Männer beim Olympischen Handball-Turnier. 12 Tore Führung, das ist ? salopp gesagt ? ne richtige Klatsche für Katar. Viertelfinale bei der WM vor zwei Jahren die Niederlage und jetzt also dieser überlegene Sieg. Zwei Spiele haben sie also in jedem Falle noch. Gratulation zu diesem 34:22-Sieg. Ein überragendes Gesamtpaket. Und eine gelungene Revanche. Noch im Januar 2015 bei der WM waren die ?bad boys? im Viertelfinale gegen Gastgeber Katar ausgeschieden. Das Scheichtum, ein Land ohne große Handballtradition wurde am Ende gar Vizeweltmeister, bezwungen nur von Titelfavorit Frankreich. Wie konnte Katar eine so erfolgreiche WM spielen? Ein Land, dessen bislang beste WM-Platzierung - ein 16. Rang ? mehr als ein Jahrzehnt zurücklag. Möglich wurde dies durch eine großzügige Einkaufspolitik. Im WM-Kader von 2015 standen gerade einmal vier gebürtige Kataris, die übrigen Spieler stammten aus Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Kuba, Spanien und Frankreich. Sportwissenschaftler Rasche: Hier liegt im Grunde doppelter Opportunismus vor: zum einen von Seiten der einbürgerungswilligen Sportler, die natürlich in diesen Deal einwilligen müssen. Und es sind eben die einbürgerungswilligen Länder, die ausländische Sportler im Schnellverfahren einbürgern. Hier stellt sich natürlich die Frage nach der Identität des nationalen Sports, die dadurch eventuell einen Reputationsschaden erleiden könnte. Die Lilli Henoch Halle am Sportforum Berlin-Hohenschönhausen. Hier trainieren die Bundesliga-Handballer der Füchse. Darunter Rückraumspieler Steffen Fäth. Besonders gern denkt Fäth an die zu Jahresbeginn gewonnene EM in Polen und die Bronzemedaille von Rio zurück. Ja, ich denke, am meisten stolz bin ich auf die Erfolge mit der Nationalmannschaft, weil wir auch gerade bei der Europameisterschaft gar nicht zu den Favoriten gezählt haben, sondern praktisch aus dem Nichts gewonnen haben. Wo wir das dann bei Olympia noch mal bestätigt haben. Aber ist es nicht ärgerlich, bei großen Turnieren auf Retorten-Teams wie Katar zu treffen? Das ist mir eigentlich relativ egal. Ich mein, es ist regelkonform. Die dürfen das machen. Und wer dazu Lust hat, kann das von mir aus auch gern machen. Ich wär da jetzt kein Typ dafür, aber wenn die Leute meinen, es macht sie glücklich oder wie auch immer, dann ist das auch okay. Nicht alle Gegner sehen das so entspannt. Schließlich handelt es sich beim Zusammenkauf einer derartigen Söldnertruppe um eine Art von Wettbewerbsverzerrung, bei der die Hierarchien ganzer Sportarten auf den Kopf gestellt werden kann. Rio de Janeiro, Olympisches Finale im Tischtennis-Mannschaftswettbewerb der Frauen. Das erste Einzel bestreiten die chinesische Vizeweltmeisterin Xiaoxia Li und die Deutsche Han Ying. Im ersten Satz führt die Deutsche anfangs mit 8:6. Das ist ohne Zweifel eine Überraschung. Die Abwehrspielerin hat sehr stark begonnen, gleich mit 2:0 geführt und ? von wegen, wir schießen die einfach mal so von der Platte ? bisher schlägt sich die deutsche Chinesin, sag ich mal so, Han Ying in diesem Match ganz hervorragend. Am Ende aber ist das deutsche Team chancenlos gegen die überlegenen Chinesinnen. Dennoch markiert der Gewinn der olympischen Silbermedaille den größten Erfolg in der Geschichte des deutschen Frauen-Tischtennis. Deutsche Frauen? Zwei der drei Mannschaftsspielerinnen ? Han Ying und Shan Xiaona - sind gebürtige Chinesinnen. Manche Medien können sich eine kleine Spitze nicht verkneifen. Ohne ihre eingebürgerten Spielerinnen aus China wäre Deutschland nicht Weltspitze - heißt es da zuweilen. Frage an Matthias Vatheuer, Generalsekretär des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB): Ärgert Sie sowas? Nein, das ärgert uns nicht. Im Übrigen trifft es insgesamt nicht zu. Wir haben ja ohne die beiden in China geborenen Spielerinnen bei den letzten Mannschafts-Weltmeisterschaften den Vize-Weltmeister Japan einmal geschlagen und dann einmal knapp verloren, waren insgesamt im Viertelfinale. Und bei uns ist das so: Die Spielerinnen, die ? ja ? deutsch sind, die spielen für Deutschland, egal, wo die geboren sind. Wir behandeln die alle gleich. Han Ying und Shan Xiaona kamen beide vor über zehn Jahren nach Deutschland, um mit ihrem Sport Geld zu verdienen. Beide erfüllten die Voraussetzungen zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft: acht Jahre Aufenthalt, finanzielle Unabhängigkeit, keine Vorstrafen, ausreichende Deutschkenntnisse. Seit 2010 bzw. 2012 besitzen sie einen deutschen Pass und dürfen daher bei Olympischen Spielen für Deutschland starten. Nicht so bei Weltmeisterschaften. Grund: Der unterschiedliche Umgang des Welttischtennisverbands ITTF und des IOC mit eingebürgerten Sportlern. Seit Ende der 90er Jahre untersagt der Weltverband Spielern mit chinesischen Wurzeln die Spielberechtigung für andere Nationen. Wenn jemand seine Nationalität wechselt und der tut das, bevor er 15 Jahre alt ist, dann kann man frei für das neue Land antreten. Und dann gibt?s unterschiedliche Wartezeiten, ob man eben über 15 ist, ob man über 18 ist. Und wenn man über 21 ? sprich: 22 Jahre ? alt ist, dann darf man gar nicht mehr für ein anderes Land spielen. Mit dieser Maßnahme wollte der Weltverband die Flut kurzzeitiger Einbürgerungen von China-Importen in der ?Welt stoppen. Eine unbefriedigende Situation, findet DTTB-Generalsekretär Vatheuer. Das ist ja den Spielerinnen nicht zu vermitteln und nach außen hin, also den Zuschauern und Fans auch nicht. Bei Olympischen Spielen dürfen Spielerinnen spielen, die dann bei einer Weltmeisterschaft nicht antreten dürfen. Wir bemühen uns darum, dass das auch insgesamt geändert wird, unabhängig von persönlichen Fällen jetzt, sondern dass einfach in allen internationalen Tischtennis-Wettbewerben dann die gleichen Regeln für alle gelten und sich alle an den gleichen Regeln orientieren. Das ist für uns ein großes Anliegen. Vatheuer findet die Regelung ungerecht und nicht mehr zeitgemäß. Es ist schon richtig, dass insgesamt eingeführt wurde die Weltverbandsregel, um das ein bisschen einzudämmen. Aber man muss doch klar unterscheiden zwischen kurzfristigen Einbürgerungen und Einbürgerungen, die auf natürlichem Wege passieren. Das deutsche Tischtennis-Team ist nicht das einzige, das seine olympische Leistungsbilanz auch mithilfe von eingebürgerten Sportlerinnen und Sportlern aufbesserte. Auch in den Mannschaften Australiens, der USA, Kanadas und Singapurs schlugen Talente aus dem Reich der Mitte auf. Von den 172 Tischtennis-Spielern, die in Rio antraten, waren laut New York Times 44 in China geboren. Egal in welchem Wettbewerb - am Ende gewinnt immer ein Chinese oder eine Chinesin, heißt es sarkastisch in der internationalen Tischtennis-Szene. Möglich wird dies durch die vergleichsweise milden Zulassungsbestimmungen des IOC. Anders als beim Welttischtennisverband sind eingebürgerte Sportler und Sportlerinnen bereits nach einer Sperre von drei Jahren startberechtigt. DOSB-Vorstandschef Michael Vesper findet das in Ordnung. Bei den Spielerinnen, die jetzt in Rio angetreten sind für Deutschland, die leben alle seit zehn Jahren in Deutschland, und die ? ich hab sie ja auch in der Mannschaft immer wieder sprechen können ? die identifizieren sich auch mit Deutschland. Also so etwas muss möglich sein. Ähnlich argumentiert auch DTTB-Generalsekretär Matthias Vatheuer. Diejenigen, die aktuell für uns antreten, auf die eben das zutrifft, dass sie nicht in Deutschland geboren sind, die identifizieren sich voll mit unserem Land, die identifizieren sich voll mit unserem Verband, die sind Teil unseres Fördersystems, die spielen seit vielen Jahren in deutschen Vereinen. Und teilweise ist es auch so, dass die ? bei Han Ying beispielsweise, die ist auch schon Mutter inzwischen, das Kind geht in nen deutschen Kindergarten. Und ja, das ist einfach so, dass die Welt sich da verändert hat. Zur Frauenmannschaft, die in Rio Silber für Deutschland holte, gehört auch Petrissa Solja, geboren im pfälzischen Kandel. Ihre vier Jahre ältere Schwester, Amelie Solja, debütierte bereits 2007 ? mit 16 Jahren - in der deutschen Frauennationalmannschaft. Drei Jahre später wechselte sie nach Österreich, weil sie in der deutschen Mannschaft keine sportliche Perspektive mehr für sich sah. Das geschah ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, als Han Ying in Deutschland eingebürgert wurde. Treibt der Verband mit dieser Einbürgerungspolitik seine eigenen Talente ins Exil? Vatheuer wehrt ab. Es sei keine bewusste Politik des Verbands, auf gebürtige Chinesen oder Chinesinnen zu setzen. Sobald aber ein Sportler die deutsche Nationalität erwerbe, habe er dieselben Rechte und Pflichten wie jeder andere Deutsche auch. Alles andere wäre schlicht diskriminierend. Aktuell spielen in den ersten beiden deutschen Tischtennis-Bundesligen mehr als 20 Akteure chinesischer Herkunft, die meisten mit einem deutschen Pass. Sportwissenschaftler Rasche sieht diese Entwicklung kritisch. Auf diese Weise wird natürlich das nationale Sport-Fördersystem unterminiert - durch diese ausländischen Spitzensportler, die natürlich eine massive Konkurrenz darstellen zu den deutschen Talenten, die dann vielleicht gar kein Interesse haben, sich im Spitzensport zu engagieren und sich vornehmlich dann auf die Berufsausbildung konzentrieren werden. DLV-Mann Clemens Prokop zieht die Grenze nicht ganz so eng. Solange Athleten nicht deutsche Staatsbürger geworden sind, findet keinerlei Förderung durch uns statt, gibt auch kein Startrecht für die Nationalmannschaft, sodass wir persönlich als Verband hier überhaupt keine Anreize setzen für Athleten aus anderen Ländern, zu uns zu kommen. Das Problembewußtsein wächst. Auch anderswo. Kürzlich meldete Africanews, ein panafrikanischer Fernseh-Nachrichtensender: ?Der Präsident der Afrikanischen Leichtathletik-Vereinigung will das Gesetz über den Nationalitätenwechsel verschärfen. Hamad Kalkaba Malboum hat den Verlust afrikanischer Talente zugunsten europäischer Staaten, aber auch zugunsten von Katar und Bahrein beklagt. (?) Daher sollten die Regierungen ermutigt werden, angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Sportler zu halten.? Auch der Deutsche Leichtathletik-Verband möchte die internationalen Regeln ändern. Nationalitätenwechsel von Sportlern aus rein wirtschaftlichen Gründen sollen unterbunden werden, fordert er in einem Antrag zum kommenden Kongress des Weltverbandes. Demnach sollen Athleten in der Regel wie bisher erst drei Jahre nach dem Erwerb einer neuen Staatsbürgerschaft ihre neue Heimat repräsentieren dürfen. Anders als vorher soll diese Sperre unter Zustimmung der beteiligten Verbände auf nur noch zwei Jahre reduziert werden können. Weiter heißt es im Antragsentwurf: ?Der Erwerb einer neuen Staatsbürgerschaft darf in keinen Fall an die Gewährung oder den Erhalt von finanzielle Vorteilen oder Geschenken gekoppelt sein, ebensowenig an Vorteile anderer Art, die von einer der beteiligten Parteien gefordert werden.? Wer gegen diese Regel verstößt, darf nicht starten. Ergebnisse, die unter diesen Umständen bei internationalen Wettbewerben erzielt werden, sind ungültig. DLV-Präsident Prokop wünscht sich, dass auch in anderen Sportarten die Verbände in dieser Frage mitziehen. Aber wahrscheinlich wär sogar ne Regelung, die auf der Ebene des IOC notwendig wäre. Es ist ne grundlegende Regelung für den internationalen Sport, und damit wäre eigentlich sogar das IOC aufgefordert, entsprechende Regelungen zu treffen. Ähnlich denkt DOSB-Mann Vesper. Er könnte sich eine internationale Harmonisierung solcher Bestimmungen durchaus vorstellen. Das Ideal wäre, es gibt strenge Regeln, aber Regeln, die auch Durchlässigkeit ermöglichen und es gibt Regeln, die in allen Sportarten gleich wären. Das wäre der Idealfall. Das ist schwierig durchzusetzen. Aber wenn sich die Stimmen mehren, die dafür eintreten, dann ist es durchsetzbar. Solange es aber dieses Regelwerk nicht gebe, werde sich die olympische Bewegung auf ihre Kernkompetenz beschränken. Das IOC kann nur etwas sagen zu den Olympischen Spielen, wer da zugelassen ist. Bei Weltmeisterschaften sind die Verbände gefragt. Das ist nicht in der Kompetenz des IOC. Da müssen sich alle zusammen setzen. Das könnte Thema des Olympischen Summit sein, wo das IOC sich mit den Internationalen Verbänden zusammen setzt. Oder der ANOC, der Association of National Olympic Committees. Aber es gibt eben auch nicht-olympischen Sport, und die Verbände sind in der Ausrichtung ihrer Weltmeisterschaften autonom, die müssen dann mitziehen. Das klingt nicht unbedingt nach einer Lösung des Problems in naher Zukunft. Auch Sportwissenschaftler Christoph Rasche gibt sich in dieser Frage skeptisch. Gerade große Sportnationen, so fürchtet er, könnten bei hochkarätigen Turnieren aus Prestigegründen der Versuchung nicht widerstehen, dem sportlichen Erfolg ein wenig nachzuhelfen. Und er nennt ein konkretes Beispiel. Russland möchte wieder zurück auf die Sport-Bühne. Russland hat jetzt irgendwo auch auf der sportpolitischen Ebene ein Stück weit wieder Kreide gefressen. Und die haben das nächste Sportereignis vor der Tür stehen, nämlich die Fußball-WM in Russland. Und auch dort kann ich mir natürlich sehr gut vorstellen, dass es eventuell wieder zu diesen besagten Turbo-Einbürgerungen kommen wird. Weil: Es wäre natürlich für die russische Sportnation ein absoluter Makel, wenn die Fußballmannschaft Russlands dann in der Vorrunde sang- und klanglos ausscheidet. Von daher gehe ich davon aus, dass hier auch ein gewisser Aufrüstungswettbewerb in jedem Fall stattfinden wird. Wird künftig der Nationenbegriff durch kurzfristige Einbürgerungen weiter entwertet? Muss die Sportwelt sich damit abfinden, dass Athleten für Staaten Medaillen erringen, die sie im Extremfall nur zweimal gesehen haben: beim formellen Akt der Einbürgerung und beim Empfang der Siegprämie? Oder ist diese Entwicklung schlicht der Preis, den wir für die Globalisierung zu zahlen haben? Wir zahlen sicherlich einen Preis für die Globalisierung. Wir bewegen uns ja immer so im Spagat zwischen Siegmaximierung einerseits und dann der Aufrechterhaltung der Sportidentität. Und dann stellt sich auch die Frage: Wie viel Migration verträgt eine Sportnation in der Öffentlichkeit? In dem Moment, wo dieses Legionärswesen überhand gewinnt und die Sportler im Interview dann auch der deutschen Sprache in keiner Weise mächtig sind, dann wird sich der Sport dadurch auch ad absurdum führen, weil er irgendwo nicht mehr glaubwürdig rüberkommt. 1