COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur - Forschung und Gesellschaft Die genetische Zeitbombe Brustkrebs und seine Prädispositionen Von Margrit Braszus Sendungsdatum 19.9.2013 1.O-Ton Gerti Wiesler Ich habe selber plötzlich an einem Tag festgestellt, dass da ein Knoten ist. Man hat dann festgestellt, dass es Krebs ist und die Brust wurde abgenommen. Zwei Jahre später wurde bei der zweiten Brust auch festgestellt, dass es Krebs ist, und die wurde dann auch abgenommen. 2. O-Ton Kristin Kaschner Mein behandelnder Arzt hatte mir gesagt: Das wird ein minimaler Eingriff. Aber seine Definition von minimalem Eingriff ist etwas anders als meine Definition, das heißt, es war schon ein gewisser Schock. Aber die Brust ist erhalten geblieben und ich hab da natürlich jetzt eine Narbe und es sieht definitiv anders aus. 3. O-Ton Mirjam Jost Manche Menschen können es nicht nachvollziehen, dass man sagt: Ich möchte so eine prophylaktische Operation. Aber ich wusste, wenn ich mich testen lasse und das Gen habe, kommt für mich nur ein Ausweg in Frage, weil ich einfach nur leben möchte, und weil ich nicht krank werden möchte. Autorin Gerti Wiesler, 61; Kristin Kaschner, 43; Mirjam Jost, 28. Drei Frauen aus drei Generationen mit einer Gemeinsamkeit: Bei allen dreien gibt es das familiär bedingte Brustkrebsrisiko. Der Krebs steckt in ihren Genen - wenn auch mit unterschiedlich hohem Risiko. Mirjam Josts gesamte Kindheit war von der Erkrankung ihrer nächsten weiblichen Verwandten überschattet. 4. O-Ton Mirjam Jost Meine Oma habe ich nie kennen gelernt, die ist mit paar-und -fünfzig verstorben, eine andere Tante ist dann erkrankt und wurde behandelt. Leider auch erfolglos. Daraufhin ist dann eine andere Tante erkrankt, nach fünf Jahren ist sie auch verstorben, und kurz nachdem sie verstorben ist, ist die nächste Tante erkrankt. Die hat bei uns zu Hause dann auch gelebt, und das war ganz schlimm, weil ich im Alter von etwa acht Jahren mit erlebt habe, wie sie ihre Chemotherapeutika bekommen hat, die Übelkeit, das Erbrechen auf der Toilette, wie sie dann immer mehr abgenommen hat und wie sie letzten Endes leider verstorben ist nach einem langen, langen Kampf. Autorin Mirjam Josts Onkel ist Arzt. Er weiß, dass bestimmte Gene eine Rolle spielen können, wenn in einer Familie auffällig viele Frauen an Brustkrebs erkranken. Diese Gene heißen BRCA1 und BRCA2, abgeleitet vom englischen Begriff "Breast- Cancer", Brustkrebs. Vor rund 20 Jahren - 1994/95 - wurden sie identifiziert. BRCA1 und BRCA2 sind so verändert, dass sie Stoffwechselschäden in der Zelle nicht mehr reparieren können. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Zellen entarten. Bei Frauen, die solch ein mutiertes BRCA1 und BRCA2-Gen haben, liegt das Risiko an einer aggressiven Form von Brustkrebs zu erkranken bei 80 bis 100 Prozent. Außerdem nimmt die Gefahr für Eierstockkrebs ebenfalls zu. Ob eine Frau diese Risiko-Gene in sich trägt, kann nur ein Gentest abschließend klären. Mirjam Josts Onkel rät ihr dringend zu diesem Test. 5. O-Ton Mirjam Erst Mal habe ich gedacht, wenn ich BRCA1 Mutationsträgerin bin, bedeutet das, dass ich dann auch sterben muss so wie meine Tanten auch. Warum sollte ich nicht erkranken? Alle anderen sind auch erkrankt, und eigentlich war das so eine Art Todesurteil, in dem Moment. Auch für die ganze Familie, weil wir ja nichts anderes kannten, in dem Zusammenhang. Autorin Die Angst wurde immer größer. Schließlich wendet sich die Studentin an das "Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs" der Universitätsklinik Heidelberg. 6. O-Ton Humangenetikerin Dr. Nicola Dikow, Mirjam (Klopfen an der Tür) ...Hallo Guten Tag, nehmen Sie Platz - Vielen Dank. - So, Sie hatten am Telefon ja gesagt, dass in Ihrer Familie Brust- und Eierstockkrebs gehäuft vorkommt, was kann ich für Sie tun?- Ich bin darauf aufmerksam geworden, dass diese Erkrankung in meiner Familie relativ häufig ist, was mich stutzig gemacht hat. Dann hab ich davon erfahren, dass man diese Testung machen kann, deswegen bin ich hier. - Gut. Dann würde ich erst Mal mit Ihnen die Vorgeschichte genauer besprechen. Text der Autorin auf den O-Ton legen und an einzelnen Stellen immer mal wieder hochziehen Humangenetikerin Dr. Nicola Dikow lässt sich von Mirjam Jost ihre Familiengeschichte erzählen und erstellt einen Stammbaum. Alle verstorbenen Tanten sind Schwestern des Vaters. Deshalb schlägt die Ärztin vor, zunächst bei ihm nach den mutierten BRCA-Genen zu suchen. Denn das genetische Risiko kann auch über den Vater weitervererbt werden. 6. O-Ton Humangenetikerin Dr. Nicola Dikow, Mirjam Und dann überlegen wir zusammen, was wir Ihnen anbieten können an Therapie. Autorin Am Heidelberger "Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs" arbeitet ein Team aus hoch spezialisierten Ärzten, Biologen und Psychologen eng zusammen. Fünfzehn solcher Zentren wurden mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe flächendeckend im Bundesgebiet eingerichtet. Sie alle bieten einen Gentest an, wobei immer auch das persönliche Risikoprofil errechnet wird, bevor die Frauen umfassend informiert und beraten werden. 7. O-Ton Prof. Rita Schmutzler Wenn zu uns eine gesunde Ratsuchende kommt, in deren Familie viele Frauen erkrankt sind, dann wäre der erste Schritt, eine Erkrankte zu untersuchen, um festzustellen, geht die Erkrankung denn in der Familie tatsächlich mit einer Veränderung in den bekannten Risikogenen einher. Wenn wir dann eine Veränderung in den beiden bekannten Hochrisiko-Genen BRCA1 und BRCA2 finden, dann hat ad hoc die Tochter erst Mal eine 50-prozentige Chance, dass sie die Veränderung gar nicht geerbt hat. Autorin Rita Schmutzler. Die Professorin leitet das Kölner "Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs" und koordiniert die Arbeit aller deutschen Zentren. 8. O-Ton Rita Schmutzler Denn statistisch gesehen werden diese Risikomutationen, also Gen-Veränderungen, an 50 Prozent der Nachkommen vererbt. 50 Prozent haben sie nicht. Wir müssen aber immer schon bei dem Gespräch vor der Genuntersuchung besprechen, wie wär es denn, wenn diese günstige Situation nicht eintrifft, sondern wir finden doch was. Denn man sollte sich schon im Vorfeld überlegt haben, wie gehe ich denn mit dem eventuellen ungünstigen Ergebnis um, und welche Konsequenzen würde ich daraus ziehen. Autorin Das Ergebnis bei Mirjam Josts Vater ist medizinisch "positiv": Er ist Mutationsträger. Jetzt suchen die Mediziner auch im Blut der Tochter nach den Hochrisikogenen und finden sie. Mirjam Jost trägt das BRCA1- Gen, der Krebs ist vorprogrammiert. Mirjam Jost ist da gerade mal 26 Jahre jung. Sie ist eine bildhübsche gesunde Frau, seit kurzem verheiratet und möchte später Kinder kriegen. Und nun muss sie plötzlich entscheiden, welchen Umgang sie mit dem Wissen wählt. Vertraut sie auf die engmaschigen Früherkennungsuntersuchungen, mit Ultraschall und Kernspintomografie in kurzen Abständen, oder lässt sie sich vorsorglich ihre gesunden Brüste entfernen? Keine einfache Entscheidung. Auch nicht für die begleitenden Ärzte und Ärztinnen. 9. O-Ton Prof. Rita Schmutzler Da müssen wir schauen, nicht nur: wie ist das lebenslange Erkrankungsrisiko, wie ist das Erkrankungsrisiko in den nächsten fünf oder in den nächsten zehn Jahren. Denn es geht ja nicht nur um die Entscheidung, will ich eine prophylaktische Operation durchführen lassen, es geht auch darum, was ist denn der optimale Zeitpunkt für eine solche Operation. Und man kann sagen, selbst in Hoch- Hochhochrisiko- Familien, mit nachgewiesener Hochrisiko-Genveränderung, ist eine Brustdrüsenkrebserkrankung mit 25 immer noch eine Rarität. Das heißt wir können auch hier erst Mal ein bisschen Dampf aus der Sache nehmen. Und ganz wichtig ist, dass die Frauen in aller Ruhe überlegen, kommt denn tatsächlich die eine prophylaktische Operation, Brustdrüsenentfernung für mich in Frage, denn das muss ja eine Entscheidung sein, die das ganze Leben tragen muss. Autorin Frauen, die eines dieser beiden Hochrisiko-Gene in sich tragen, erkranken meist sehr früh, oft schon ab dem dreißigsten Lebensjahr. 10. O-Ton Atmo Schritte in OP Schuhen in der Klinik Autorin Auch deshalb entschließt sich Mirjam Jost nach ausführlicher Beratung für eine Brustamputation. 11. O-Ton Mirjam Ich wusste, wenn ich mich testen lasse und das Gen habe, kommt für mich nur ein Ausweg in Frage, weil ich einfach nur leben möchte und weil ich nicht krank werden möchte. Für mich war absolute Priorität, erst Mal außer Gefahr zu sein. 12. O-Ton Atmo OP-Saal, Geräte piepen etc Autorin Drei Monate nach dem Gentest, am 6. Februar 2012, wird die prophylaktische Mastektomie vorgenommen; das gesunde Brustdrüsengewebe der jungen Frau wird vorsorglich entfernt. 13. O-Ton Mirjam Jost Eigentlich war ich nur froh, dass die eigene Brust endlich weg war, ich habe das wirklich als etwas Positives gesehen, also wirklich ein neues Leben eigentlich. 14. O-Ton OP-Saal, Prof. Christof Sohn mit Atmo ....Skalpell, wir schneiden...(Geräusch Geräte) Autorin, Atmo bleibt Mit der Spitze des Skalpells fährt Professor Christof Sohn, ärztlicher Direktor des Brustzentrums Heidelberg, die Linien nach, die er zuvor als Markierung mit Filzstift auf die Brust gezeichnet hat. 15. O-Ton Prof. Sohn, Atmo bleibt Es wird zunächst nur die Haut eröffnet, der Rest wird gleich mit einem elektrischen mit einem sogenannten Argon-Lasar operiert, der hat den großen Vorteil, dass er gleichzeitig schneidet und Blutgefäße zumacht, so dass die Blutung ganz gering ist. Den Argon -Beamer bitte. (man hört Zischen und Brennen) Autorin, mit Atmo darunter Mit Hilfe des Elektroskalpells, einer Art Schneidbrenner in Miniatur, löst der Operateur mühelos das Gewebe vom Hautmantel. Feiner Rauch steigt auf. Denn beim Schneiden wird gleichzeitig koaguliert, das heißt ein ionisierter Argonstrahl wird ins Gewebe geleitet, der die Gefäße verschließt. Dabei wird das Gewebe stark erhitzt, es verbrennt, die Blutung ist dadurch unterbunden. So hat der Chirurg gute Sicht auf das Gewebe, das entfernt werden muss. 16. O-Ton Prof. Sohn, darunter Atmo Jetzt sind wir gleich einmal außen rum, und dann müssen wir jetzt Sorge tragen, dass die Brustdrüsen die ihre Verankerungen bis in die Haut hinein hat, dass die Brustdrüse bis unmittelbar unter die Haut erfasst und entfernt wird. Das ist ja der Sinn der Mastektomie, das heißt der Entfernung der Brust, dass man dann auch sicher ist, dass das Gewebe komplett entfernt ist. (Geräusch medizin. Gerät) Autorin Nach einer dreiviertel Stunde liegt das, was eine Brust ausmacht, auf dem Seziertisch: Brustdrüsengewebe mit umliegendem Fett- und Bindegewebe. Als nächstes wird die bräunliche Brustwarze aus dem Hautmantel heraus getrennt. 17. O-Ton Prof. Christof Sohn Die Brustwarze sollte immer mitgenommen werden. Man muss bedenken, dass der Brustkrebs eine Erkrankung der Brustdrüsengänge ist und die Gänge münden alle in die Brustwarze, das heißt wir haben in der Brustwarze eine besonders hohe Konzentration von Milchgängen. Deswegen macht es keinen Sinn, die Brustwarze zu erhalten auch wenn manchmal aus kosmetischen Gründen das schöner wäre, wenn man die Brustwarze nicht mit entfernen muss. Autorin Aus Sicht des Arztes wiegen onkologische Gesichtspunkte stärker als ästhetische. Indem er bei dieser sogenannten "Skin-sparing Mastektomie" bis auf die Haut und den Brustmuskel alles entfernt, kann der Heidelberger Chirurg das Brustkrebsrisiko bei Hochrisikopatientinnen optimal reduzieren - um 95 bis 97 Prozent. Einen gleichwertigen Ersatz für die vorsorgliche Operation gibt es bislang nicht. Das bedeutet, medikamentöse Prophylaxe, etwa Medikamente, die die Wirkung des Sexualhormons Östrogen blockieren, verringern bei Hochrisikogenen nicht das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, das belegen jüngste Studien. Doch während in England, Kanada und Holland immerhin rund dreißig Prozent der genetisch belasteten Frauen sich beide Brüste vorsorglich entfernen lassen, sind es in Deutschland nur zehn - das entspricht etwa 150 Frauen pro Jahr. Atmo (akkustischer Trenner, z.B. Musik) Als bei Gerti Wiesler vor 30 Jahren Brustkrebs diagnostiziert wird, sind die Hochrisiko-Gene noch nicht bekannt, und folglich gibt es keinen genetischen Test. Die Diagnose trifft die damals 31- jährige junge Mutter unvermittelt. 18. O-Ton Gerti Wiesler Ich hatte Zwillinge sechs Jahre, und der Große war acht Jahre, ich musste an meine Familie denken. Dann war für mich auch gar nie die Frage, die Brust aufzubauen, mein Mann war hinter mir gestanden, das war überhaupt kein Problem. Ich hab mir gesagt: Es ist sicherer, wenn die Brust abgenommen wird, weil Gefühle sind ja sowieso nicht mehr da, und es war kein Thema für mich, dass ich meine Prothesen in der BH stecke. Von außen sieht man sowieso nichts, ich hatte kein Problem damit. Autorin Ihre erkrankte Brust wird abgenommen, radikal, so wie es zu dieser Zeit üblich ist. Zurück bleibt eine schräge, 15 cm lange Narbe, die bis unter die Achselhöhle reicht. Brust erhaltende Operationen mit Brustwiederaufbau sind damals noch eine komplizierte Angelegenheit. Das Ergebnis ist oft ästhetisch unbefriedigend. Daher entscheidet Gerti Wiesler sich für die Amputation ohne Wiederaufbau. Auch als zwei Jahre später in ihrer zweiten Brust Krebs entdeckt wird, lässt sie sie amputieren. Für die heute 61jährige ist es die richtige Entscheidung: 19. O-Ton Gerti Wiesler Meine Schwester hatte einige Jahre später dann auch Brustkrebs, sie hat sich die Brust nicht abnehmen lassen. Auf jeden Fall hat sie es leider nicht überlebt. Und einige Jahre später dann bekam eine unserer Zwillinge mit 25 Brustkrebs, und das war natürlich ein ungeheurer Schock. Vor allen Dingen für mich, weil als Mutter zuzuschauen ist unheimlich schwer, dass man nichts machen kann. Autorin Spätestens mit der Erkrankung ihrer einen Tochter im Jahr 2003 ist klar, dass es sich auch in ihrem Fall um einen familiär vererbten Brustkrebs handeln muss. Der Gentest ist jetzt möglich. Gerti Wiesler lässt sich testen und seitdem ist gewiss: Sie ist Genträgerin und hat das mutierte BRCA1 Gen an ihre beiden Töchter vererbt. Die beiden jungen Frauen reagieren sofort. 20. O-Ton Gerti Wiesler Und sie hat dann auch alles abnehmen lassen, und ihre Zwillingsschwester, das sind eineiige Zwillinge, hat sich dann auch die Brüste abnehmen lassen, obwohl noch nichts war, das Risiko war einfach zu groß. Aber sie haben sich die Brüste aufbauen lassen. Autorin Normalerweise werden seit den 1990er Jahren bei einer Brustkrebsoperation immer nur die bösartigen Knoten samt Gewebesaum herausgeschnitten. Der Busen wird anschließend wieder aufgebaut. Etwa mit einem Silikonkissen. Allerdings kommt es häufig vor, dass die Implantate verkapseln und sich verhärten, was sehr schmerzhaft werden kann. In der Regel müssen solche Silikonkissen mindestens einmal ausgetauscht werden, gibt Professor Ulrich Knesen zu bedenken. Der plastische Chirurg hat sich deshalb darauf spezialisiert, den Busen der operierten Frauen mit deren Eigengewebe zu rekonstruieren. 21. O-Ton Ulrich Knesen, Plastischer Chirurg Es gibt dafür klassischer Weise den Bauch, das Gesäß oder die Oberschenkelinnenseite, in seltenen Fällen nehmen wir auch das Gewebe vom Rücken. Wenn wir uns geeinigt haben, von welcher Stelle wir das Gewebe entnehmen, dann wird im Operationssaal dieses Gewebe herausgeschnitten unter Schonung der Blutgefäße, dann bringen wir das an die Brust, und machen daraus dann die neue Brust. Autorin Diese Operationsmethode, die zuerst in Japan erprobt und in den USA weiterentwickelt wurde, erfordert nicht nur mikrochirurgische Kleinstarbeit, sondern auch ein hohes Maß an Logistik. Etwa 200 Operateure an europäischen Kliniken beherrschen den nach wie vor sehr komplizierten Eingriff, bei dem über Stunden an der Brust und anderen Körperregionen gleichzeitig operiert wird. Der Heidelberger Spezialist ist routiniert, er führt am Heidelberger Brustzentrum mehrmals pro Monat solche Brustrekonstruktionen mit Eigengewebe durch. 22. O-Ton Atmo, Geräusche während des Eingriffs 23. O-Ton Ulrich Knesen, Plastischer Chirurg Wir entnehmen das Gewebe, das machen wir mit einer Lupenvergrößerung vierfach, und dann bringen wir es an die Brust, und dann müssen wir unter dem Operationsmikroskop die Blutgefäße vernähen, dafür nehmen wir Nähte, die teilweise dünner sind als die Haare des Menschen, die Gefäße haben ein bis zwei Millimeter Durchmesser und müssen dann wasserdicht vernäht werden. Atmo hoch und weiter darunter 24. O-Ton Ulrich Knesen Wir versuchen, aus diesem zunächst nur durchbluteten Fettgewebe und Hautblock dreidimensional eine Brust zu machen. Das heißt, wir versuchen, das Dekolleté schön zu machen, und dann müssen wir natürlich auch schauen, dass die Haut ausreicht, um auch wieder eine schöne lockere Optik zu geben von der Brust. Wir wollen eine sehr schöne Brust formen, die auch sich gut anfühlt. Und wir wollen eine stabile Brust haben, die auch nach 20 Jahren sich weich anfühlt und mit dem Körper gemeinsam altert. Autorin Der ans Gefäßsystem angeschlossene Busen aus Eigengewebe ist sensibel, sieht im besten Fall täuschend echt aus und hält, einmal eingewachsen, lebenslang. 25. O-Ton Ulrich Knesen Wenn wir eine Brustwarze machen wollen, dann kann man, je nach Anspruch der Patientin, entweder nur eine Tätowierung machen, dann hat man die pigmentierte Haut des Warzenvorhofes, oder wir machen durch Gewebeverfaltungen - sogenannte lokale Lappenplastiken - dann eine Brustwarze, das ist einfach eine Hautaufwerfung, und versuchen dann diese etwas andere Optik und Struktur der Haut um die Brustwarze herum durch ein Hauttransplantat zu ersetzen. Ganz am Ende steht immer die Tätowierung, um die letzte Farbangleichung zu erzielen. Autorin Bei manchen Frauen verändert eine Brustkrebsoperation das Bild vom eigenen Körper, ihre Sexualität leidet darunter. Der Wiederaufbau des Busens ist daher nicht nur optisch eine wichtige Behandlung. 26. O-Ton Ulrich Knesen Wir erleben häufig die Patientinnen bei den ersten Gesprächen als sehr bescheiden, sie sagen sie wollen nur irgendwas was in der Form so ähnlich aussieht und im BH sich verbergen lässt. Sie wollen aber keine Plastikeinlage im BH, sondern sie wollen das eigene, aber es soll nur halbwegs so aussehen. Und mit der Zeit, wenn dann erst Mal die Brust da ist, aber vielleicht noch nicht die Brustwarze da ist, oder noch kleine Formkorrekturen erforderlich sind, werden die Patientinnen immer anspruchsvoller und auch eitler. Wir sehen, die Patientinnen legen dann Make-up auf, die Patientinnen tragen dann wieder ganz andere Tops und kommen in die Sprechstunde, und wir merken, dass aus einer Patientin wieder eine Frau wird. Autorin Studentin Mirjam Jost ist nie stolz auf ihre Brüste gewesen. Sie hat sie als Bedrohung empfunden. Dass sie die Brüste vorsorglich entfernen lassen konnte, war eine große Erleichterung. Um weitere Narben zu vermeiden, hat sie sich für den Wiederaufbau mit Silikon entschieden. 27. O-Ton Mirjam Jost Ich hatte das große Glück, weil ich gesund bin, hat man das alles in einem Schritt gemacht, das heißt das Brustgewebe wurde entfernt und unmittelbar danach die Implantate eingesetzt .Es hatte für mich allererste Priorität, dass ich außer Gefahr bin, und alles weitere war für mich nebensächlich. Erst später hab ich mir Gedanken gemacht, sind die Brüste eigentlich wie vorher oder nicht? Mittlerweile bin ich ganz zufrieden mit dem Ergebnis. Autorin Bald lässt Mirjam Jost sich die Haut an den Brustwarzen bräunlich tätowieren. Dann werden die neuen Brüste perfekt aussehen, hofft die heute 28jährige und fügt hinzu, dass sie sich sicher und vor allem wohl fühlt. Ein Wohlgefühl, das sie seit dem Tod ihrer Tanten nicht mehr kannte. Atmo/ Musik Die Möglichkeit, ihr Krebsschicksal ein Stück weit selbst zu steuern, hatte Kristin Kaschner aus Freiburg nicht. Plötzlich war der Brustkrebs da, aus heiterem Himmel. 28. O-Ton Kristin Kaschner Ich habe irgendwann morgens im Bett gelegen, und hab irgendwie auf der Seite gelegen und hab zufälligerweise hingefühlt, und hab gedacht "Oh Gott, was ist denn da"?! Dann bin ich direkt ins Brustzentrum gegangen, aber ich bin dahin gegangen mit einem Gefühl: Nee, das wird schon nichts sein-und als ich da gelegen habe, und erst die Mammographie gemacht habe und dann den Ultraschall, und dann das Gesicht von der Ärztin immer ernster wurde, da dachte ich: "Nee, das kann doch nicht sein, ich doch nicht"! Ja, das war schon Angst einflößend. Autorin Das Krebsgeschwür in ihrer Brust ist da bereits drei Zentimeter groß, auch die Lymphdrüsen sind befallen. Es gibt nicht viel Spielraum für die behandelnden Ärzte an der Freiburger Universitätsklinik. Kristin Kaschner muss erst eine Chemotherapie machen, die das Geschwür schrumpfen lassen soll. Danach wird das, was vom Krebs noch übrig ist, herausoperiert. Unmittelbar danach beginnt eine Chemotherapie mit acht Behandlungszyklen. Eine schwierige Zeit, in der sie unter Übelkeit leidet und sich ständig ermattet fühlt. Die 43- jährigen Mutter von zwei kleinen Kindern hat Krebserkrankungen in der Familie schon miterlebt: 29. O-Ton Kristin Kaschner Also bei meiner Großmutter war ich zu klein, um das richtig zu realisieren, die war schon an die 70. Und bei meiner Mutter ist das erst vor 4 Jahre gewesen, und eben auch aufgrund der Familienvorgeschichte hatte mein Frauenarzt gesagt: Geht doch mal bitte zur Kontrolle, und das haben meine Schwester und ich beide gemacht. Bei mir war das Problem, dass ich entweder gestillt habe, also bevor ich jetzt diagnostiziert wurde, habe ich entweder gestillt oder ich war schwanger, und dann kann man keine Mammographie machen. Autorin Bei Kristin Kaschner konnten die Maßnahmen zur Früherkennung deshalb leider nicht eingesetzt werden. Das ist großes Pech. Aber auch eine Mammographie oder eine Ultraschalluntersuchung kann Brustkrebs nicht verhindern. Doch seit in Deutschland ein Brustkrebsscreening für Frauen ab 50 Jahren angeboten wird, ist die Zahl der sehr früh entdeckten - und damit besser behandelbaren - Brusttumore um ein Drittel gestiegen. In den letzten zehn Jahren von 57.000 auf heute 75. 000. Wobei auch gesagt werden muss, dass es parallel dazu zu einem Anstieg der falsch positiven Befunde kam: Frauen erhielten eine Krebsdiagnose, obwohl sie gesund waren. Tatsache ist zudem, die meisten Brusttumore werden durch die Frauen selbst entdeckt. Atmo alsTrenner Seit die Chemotherapie bei Kristin Kaschner abgeschlossen ist, wächst das ausgefallene Haar wieder nach. Wie kleine Stacheln stehen feine Härchen von ihrer Kopfhaut ab. Die 43jährige kommt nun regelmäßig in die Strahlenklinik der Universitätsklinik Freiburg. Atmo Radiologie-Strahlengerät, darüber Autorin Die Bestrahlung wird mit einem speziellen Gerät durchgeführt, dem Linearbeschleuniger. Mit gezielten Strahlen sollen Tumorzellen zerstört werden. Das gesunde Gewebe hingegen wird weitgehend geschont. Durch die gezielte Bestrahlung bleibt erkrankten Frauen die radikale Brustentfernung erspart. Auch das Risiko eines Lokal-Rezidives, eines zweiten Tumors in der Brust, wird nachweislich reduziert. Dass diese schonendere Vorgehensweise, also ein kleiner operativer Eingriff kombiniert mit Bestrahlung, genauso sicher ist wie eine Amputation, belegt eine aktuelle amerikanische Studie: Beim Vergleich von 112.000 behandelten Krebspatientinnen stieg die Lebenserwartung auch bei denjenigen, die nicht radikal operiert worden waren. Die Radiotherapie hat durch schnellere Computerprozessoren rapide Fortschritte gemacht, sagt die Radioonkologin Anca Grosu. Es sei heute möglich, die Strahlenbehandlung individuell auf jede Patientin abzustimmen. 30. O-Ton Anca Grosu Und zwar bei jeder Frau anhand einer Computertomographie nach der Anatomie der Frau: Wo ist Brustgewebe, wo war der Tumor lokalisiert, wo sind die Lymphbahnen, wo sind die Nerven, wo sind die Muskeln, wo ist der Knochen, wo sind die Gelenke? Der Strahlentherapeut entscheidet wie ein Chirurg auf der Basis der Bildgebung, was bestrahlt werden muss und was geschont werden muss. Der Physiker kommt dazu, er plant die Bestrahlung, er hat mit seinen Geräten die Möglichkeit, in jeden Punkt zu sehen, wie hoch oder wie niedrig die Dosis ist. Autorin Nur wenige Minuten surrt die Strahlenkanone, für die Patientin nicht spürbar. In seltenen Fällen kann die Haut gereizt reagieren und sich leicht röten. Kristin Kaschner hat mit der Strahlentherapie, die sich über sechs Wochen erstreckt, gerade erst begonnen. Sie ist guten Mutes, hat Vertrauen in die Behandlung. Die Großmutter, Tante und Mutter der 43jährigen sind an Brustkrebs erkrankt, aber jeweils erst spät in ihrem Leben. Kirsten Kaschner gehört damit zwar auch zu den Frauen, die ein erhöhtes Brustkrebsrisiko haben. Aber anders als bei Frauen, die ein BRCA 1 oder BRCA 2 Gen in sich tragen, ist bei ihr ungewiss, wie hoch ihr Risiko ist und auch wann die Krankheit ausbricht. Doch bald könnte es genauere Prognosen geben. Wissenschaftler sind den Genen auf der Spur. In einem großangelegten internationalen Forschungsprojekt wurden vor kurzem 49 neue genetische Risikofaktoren für Brustkrebs identifiziert. 31. O-.Ton Rita Schmutzler Wir wissen mittlerweile, dass diese verschiedenen neuen Gene, die wir jetzt auch schon kennen, ganz unterschiedliche Risiken machen. Autorin Rita Schmutzler vom Kölner Brustzentrum 32. O-Ton Rita Schmutzler Es gibt Risikogene, da ist das Risiko zwei Prozent höher als in der allgemeinen Bevölkerung, andere 30 Prozent , 60Prozent, und wir müssen die Frauen fit machen, dass sie wissen, mit Risikozahlen umzugehen. Wir sind angehalten - mehr denn je - uns so auszudrücken, dass die Frauen das verstehen und dass sie aus der Risikoberatung die langfristig tragbare Entscheidung treffen. Und während man bei einer BRCA1 Mutation - mit einem 60/70 prozentigen Risiko - noch sagen kann, da macht die Brustdrüsenentfernung Sinn, wie gehen Sie dann mit einer Frau um, bei der wir dann feststellen, ihr Risiko ist zwanzig Prozent. Atmo Musik hoch Autorin Kristin Kaschner hadert nicht mit ihrem Schicksal. Bis zum Zeitpunkt der Diagnose hatte sie keine Angst krank zu werden. Und heute wird sie von der Hoffnung getragen, gesund zu werden. Eine berechtigte Hoffnung, den 80 bis 90 Prozent der Brustkrebspatientinnen, bei denen der Tumor frühzeitig erkannt wird, könne heute tatsächlich geheilt werden. 32. O-Ton Kristin Kaschner Meine Mutter hat Brustkrebs gehabt vor vier Jahren, meine Großmutter und meine Großtante haben auch beide Brustkrebs gehabt, das heißt ich war so ein bisschen mit dem Ablauf auch vertraut. Aber es war eben auch für mich durch diese familiäre Vorgeschichte irgendwie klar, dass man Brutkrebs haben kann, und dass man das in jedem Fall auch überlebt. +++++++++++++++++++ 1