COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport "Ein so verwegener Menschenschlag" - Goethe in Berlin - Autor Claus Stephan Rehfeld Red. Stefan Pape Sdg. 15.505.2012 - 13.07 Uhr WH vom 21.03.2007 - 13.07 Uhr Spr. Thormann MUSIK Musik aus dem Film "Barry London" von Stanley Kubrick daraus : Track 19 - "Sarabande End-Title? von Georg Friedrich Händel mit dem National Philharmonic Orchestra Gesamtlänge : 4'09, davon (6", 5" + 5") gesamt 16" frei Warner Bros. Records WE 833 LC 0392 für andere Musik (9 Einblendung, gesamt 27?) kein Bandpass vorhanden Moderation Wer etwas gegen Berlin und ein Vorurteil hat, der beruft sich gern auf Informant Eckermann, also auf Goethe aus zweiter Hand. Im Eintrag 04.Dezember 1823 zitiert E. den Herren G. mit den Worten: in Berlin "lebt ... ein so verwegener Menschenschlag beisammen, dass man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern dass man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muss, um sich über Wasser zu halten." Punktum. Wer sich auf dies Zitat beschränkt, unterschlägt leider, leider, so manch andere Berlin-Delikatesse vom großen Meister, der an einem 15. Mai ... in Berlin eintraf. Goethe in Berlin, Goethe und Berlin - nun ja, ein hübsch interessantes Verhältnis. folgt Script Beitrag Script Beitrag LR Goethe in Berlin / Rehfeld - 20'30" Erzähler (Zelter an Goethe, 22.März 1832) "Der Diener des Hausherrn umhergehend und einen neuen Wein einschenkend wird vom Bischof R. gefragt: was das für Wein sei? Der junge Mensch hatte vielleicht den französ. Namen der auf der Flasche stand nicht lesen können, geht an seinen Herrn heran und fragt. Der Herr etwas ärgerlich antwortet: Schafskopf! Chambertin. So geht der arme Tropf nicht faul zum Bischof und sagt: Schafskopf Chambertin. Und wie mit einem Zauberschlage war ... die Losung Schafskopf aufgerichtet und zu belebter Umsprache geworden." (3) Karl Friedrich Zelter, Berlin, 22.März 1832, an seinen Freund Goethe in Weimar. Kapitel 1: Goethes berliner Handgebäck Erzähler In Leipzig, am 11.Mai 1778, hatte Fürst Leopold von Anhalt-Dessau die Gesellschaft eingeladen. Goethe (Tagebuch, 11. Mai 1778) "Vorschlag mit ihm zu gehn. Kurzgefasster Entschluss. bey Tisch zugesagt." (4) Zwei Tage später bricht die Gesellschaft auf. (5) Herzog Karl August kostümiert sich als "Kammerjunker von Ahlefeld". Sein 28jähriger Angestellter, Goethe, schleppt schweres berliner Handgepäck mit sich. Im siebenjährigen Krieg zerstritt sich des Knaben Frankfurter Familie heillos über Preußen und Fredericus Rex. Als Student in Leipzig rief er Schwester Cornelia zu, Goethe (an Cornelia Goethe, 13. Oktober 1776) "ich glaube es ist jetzo in ganz Europa kein so gottloser Ort als die Residenz des Königs in Preusen." (6) Nun, ein Kirchgänger ist er weißgott auch nicht. Und just am "gottlosen Ort" ward sein "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" uraufgeführt. Vor vier Jahren war das, am 13. April 1774. (7) Im gleichen Jahr traf "Werther" in Berlin ein und löste ein Fieber aus. Im Jahr darauf knallte der Berliner Nicolai dem Autor seinen Anti-Werther aufs Pult. Und mit Berliner Verlegern ficht Goethe auch so manchen Strauß aus. (8) Berlin? Goethe (an Karsch, 17. - 28. August 1775) "( ... ) wahrscheinlich nicht nordwärts, ob ich gleich gern Lot und seine Hausgenossen in euerm Sodom wohl einmal grüssen möchte. Addio." (9) Nun kommt er doch nach "Sodom" - nicht ganz freiwillig und in diplomatischer Mission. Kapitel 2: Der Vorhang geht auf Erzähler Er hat momentan Ämter, nur kein poetisches. In Weimar nicht, auf dieser Reise nach Preußen nicht, in Berlin nicht. Er kommt als Beamter, übt sich auf noch ungewohntem diplomatischen Parkett. Es reizt, einmal Goethe (an Merck, 22. Januar 1776) "zu versuchen, wie einem die Weltrolle zu Gesicht stünde." (10) Eine Ahnung hat er schon ... einen Tag, bevor er berliner Pflaster betreten wird: Goethe (an Charlotte von Stein, 14. Mai 1778) "( ... ) ich scheine dem Ziele dramatischen Wesens immer näher zu kommen, da michs nun immer näher angeht wie die Grosen mit den Menschen, und die Götter mit den Grosen spielen. Adieu." (11) Krieg zwischen Preußen und Österreich droht, der bayerische Erbfolgekrieg. Preußen mag Bayern nicht an Österreich fallen lassen. Berlin macht mobil, der Alte Fritz ist bereits außerhalb bei der Truppe. Nun, es wird ein Krieg ohne Schlachten - der Kartoffelkrieg. Aber das weiß die Reisegesellschaft noch nicht. Sie will die Lage erkunden, macht in Wörlitz Zwischenstation. Goethe (Tagebuch, 13. Mai 1778) "Nach Tische im Regen die Tour vom Parck im Regen. Wie das Vorüberschweben eines leisen Traumbilds." (12) Der Vorhang geht langsam auf. Goethe (an Charlotte von Stein, 14. Mai 1778) "( ... ) das ganze hat die reinste Lieblichkeit. - Und nun bald in der Pracht der königlichen Städte im Lärm der Welt und der Kriegsrüstungen. ( ... ) Adieu." (13) Kapitel 3: "Es wimmelt von allem" Goethe (Tagebuch, 15. Mai 1778) "15. Mai ( ... ) in Berl. 9. Abend bey Pr.H.G." (14) Erzähler Berlin. Stichworte, Abkürzungen, Geheimzeichen im Tagebuch. Kein vollständiger Satz. Berlin - sechs Tage in 15 Zeilen. Namen, Örtlichkeiten - mehr nicht. Goethe (Tagebuch, 16. Mai 1778) "16.Mai. Berlin. Früh Porzellan fabr. Opernhaus. Cath Kirche Mittag bey Pr. Hans Georg. Nachm Graf(f), Chodowiecki. Wegelin." (15) Chodowiecki hatte "Werther" illustriert. Den Kupferstecher sucht er als einzigen 2 x auf. Die Karsch, die berliner Stegreifpoetin, wird er auch treffen, andere Berliner Schriftsteller meidet der Reisende. Goethe (Tagebuch, 17. Mai 1778) "17.Mai. Berlin. Zu André durch die Stadt, Spaldings Predigt. Zu Frisch" (16) Am Abend des 17. Mai, im Brief an die Stein, preßt der 28jährige die Lippen nicht mehr zusammen. Goethe (an Charlotte von Stein, 17. Mai 1778) "Es ist ein schön Gefühl an der Quelle des Kriegs zu sizzen in dem Augenblick da sie überzusprudeln droht. Und die Pracht der Königstadt, und Leben und Ordnung und Überfluss ( ... ). Menschen Pferde Wagen, Geschütz, Zurüstungen, es wimmelt von allem." (17) Er blickt in das große Räderwerk. Es fasziniert ... und es stößt ihn ab. Kapitel 4: Fast wortlos Goethe (Tagebuch, 17. Mai 1778) "17.Mai. Berlin. ( ... ) Zu Tafel Pr. Heinrich." (18) Erzähler Wortkarg der Tagebuch-Eintrag, wortkarg der Schreiber bei der Tafel. Graf Lehndorff versucht den berühmten Tischnachbarn "zum Sprechen zu bringen". (19) "Aber er ist sehr lakonisch ... " (20) "Unerträglich hochmütig" - urteilt nicht nur Lehndorff über den bekannten Dichter. Goethe verschanzt sich. Er hat sich auf "Gleichmut und Reinheit" (21) seines Wesens zu fixieren begonnen, auf das Selbst. Die Stadt, die Mission stören, behagen nicht seinem Gefühl. Goethe (an Charlotte von Stein, 19.Mai 1778) "Wenn ich nur könnte bey meiner Rückkunft Ihnen alles erzählen wenn ich nur dürfte. Aber ach die eisernen Reifen mit denen mein Herz eingefasst wird ... " (22) Der Gastgeber, Prinz Heinrich, ist auf Distanz zum Alten Fritz, seinem Bruder, dem vom Goethe lebenslang verehrten. In der Runde fallen Äußerungen, die ... Goethe (an Charlotte von Stein, 19.Mai 1778) "So viel kann ich sagen ie gröser die Welt desto garstiger wird die Farce ... " (23) Sie ist bald vorbei, in drei Tagen, am 20. Mai, aber nicht zu Ende. Kaum in der kleinen Welt, in Weimar angelangt, schreibt er: Goethe (an Merck, 05. August 1778) "dem a l t e n F r i t z bin ich recht nah geworden ( ... ) und hab über den großen Menschen seine eignen Lumpenhunde räsonniren hören." (24) Der 28jährige Goethe ist verstört - vom diplomatischen Spiel, von der Kriegsstimmung, von der Großstadt. Goethe (an Merck, 05. August 1778) "Mit Menschen hab ich sonst gar Nichts zu verkehren gehabt und hab in preußischen Staaten kein laut Wort hervorgebracht, das sie nicht könnten drucken lassen. Dafür ich gelegentlich als stolz etc. ausgeschrieen bin." (25) "Kein laut Wort hervorgebracht" - nur in Berlin? "( ... ) äußerst trocken; und verschlossen, wie er's schon lange ... ist" (26), trifft ihn Wieland in Weimar in Begleitung "der schönen Schröterin" an, zwei Tage nach der Rückkehr aus Berlin. Trotz "gereinigter Seele". (27) Kapitel 5: Berlin rückt näher Goethe (an Charlotte von Stein, 19.Mai 1778) "Aber den Werth," Erzähler schreibt er 1778 noch aus Berlin, Goethe (ebenda) "den ... dieses Abenteuer für mich ... hat, nenne ich nicht mit Nahmen." (28) Doch, er tut es. Später. Goethe wird die Stadt nicht noch einmal besuchen, trotz vieler Einladungen, aber sich oft in ihr aufhalten. Er reist nie wieder nach Berlin, aber Berlin kommt zu ihm. Die Liste seiner Gäste in Weimar ist umfänglich und prominent, reicht von Chodowiecki bis Humboldt. Über keine andere Stadt besorgt er sich so viele Informationen, saugt sie so begierig auf, ist er so gut unterrichtet ... wie über Berlin. Zu keinem anderen Ort pflegt er so intensive und fruchtbare Kontakte: menschlich, politisch, künstlerisch, wissenschaftlich. Von Hegel bis zu Staatsrat Schultz. Zwei Biographien stehen sich gegenüber: Weimar und Berlin, Ackerbürgerstadt und Großstadt; Seele oder Sodom, Ruhe oder Gewimmel. Dichter oder ... Weimar heißt für ihn Selbstfindung, Berlin Zerstreuung. Berlin ist nicht Weimar, und der Berliner schon gar kein Kleinstädter. Kapitel 6: Prügel und Lob Goethe (in Nicolai an Werthers Grabe) "Da kam ein schöner Geist herbei, Der hatte seinen Stuhlgang frei" (29) Erzähler Die Schmähreime auf den Anti-Werther flossen ihm noch 1775 aus der Feder. Nicolai hatte in den "Freuden des jungen Werthers" Hühnerblut aus der Pistole spritzen lassen. Werther und Lotte heiraten und bekommen 8 Kinder. (30) Goethe nahm übel. Goethe (dito) "Hätt er geschissen so wie ich, er wäre nicht gestorben!" (31) "Nicolai auf Werthers Grabe", verfasst zur "stillen ... Rache." (32) Goethe konnte auch austeilen, wiewohl Nicolai mehr das Werther-Fieber auf die Federspitze genommen hatte. Egal, noch Jahrzehnte später wird der Berliner mit literarischer Prügel bedacht: in den Xenien (33) und im Faust. (34) Der stichelt in der Walpurgisnacht des ersten Teils: Goethe (Mephistopheles in "Faust") "Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen, Das ist die Art, wie er sich soulagiert, Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen, Ist er von Geistern und von Geist kuriert." (35) Das ist nicht nur derb. Der Riß geht tiefer. Der Berliner Verleger, Autor und Kritiker Friedrich Nicolai ist Verfasser des Anti-Werther und ein Wortführer der Berliner Aufklärung. Die setzt auf den praktischen Nutzen der Kunst, Goethe auf Kunst als Kunst. (36) Goethe (an Staatsrat Schultz, 15. Juli 1821) "Dass mein Prolog Beifall erhielt, freut mich sehr, ich konnte den zutraulichen Antrag nicht ablehnen, ob ich schon mit Gelegenheitsgedichten nicht gern in die Ferne wirke. Den guten Willen der braven Berliner gegen mich weiß ich gewiß zu schätzen, leider dass ich nicht in Person zu danken im Stande bin." (37) Der Ton des 73jährigen klingt versöhnlicher. Der Prolog zur Eröffnung des Berliner Theaters im Mai 1821 (38) floß ihm schnell und freudig aus der Feder. "Iphigenie" ward gegeben, das Stück mit langem Beifall aufgenommen. (39) Und 82jährig sendet er einem berliner Freund die Zeilen nach: Goethe (an Rauch, 20. Februar 1832) "Sie wieder in Berlin zu wissen. Ich lebe dort mehr, als ich sagen kann, und vergegenwärtige mir möglichst das mannigfache Große, was für die Königsstadt, für Preußen und für den ganzen Umfang der Kunst und Technik, der Wissenschaft und Geschäftsordnung geleistet und gegründet wird." (40) Kapitel 7: FR & Preußen Goethe (an Charlotte von Stein, 17. Mai 1778) " ... die grose alte Walze FR ... die diese Melodieen eine nach der anderen hervorbringt." (41) Erzähler Im Brief an die Stein aus Berlin, im Mai 1778, steht FR für Fredericus Rex. Der spaltete schon im siebenjährigen Krieg die Frankfurter Sippe. Goethe (in "Dichtung und Wahrheit") "Man stritt, man überwarf sich, man schwieg, man brach los." (42) Ging gar mit Messer und Degen aufeinander los. Schwiegervater Textor war habsburgisch, Vater Goethe fritzisch. Goethe (in "Dichtung und Wahrheit") "Und so war ich denn auch preußisch oder, um richtiger zu reden, fritzisch gesinnt: denn was ging uns Preußen an? Es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüter wirkte." (43) Zu Preußen bleibt ein distanziertes Verhältnis, für den Alten Fritz die Bewunderung. Er bezeichnet ihn als "Genius" (44). Und ausgerechnet sein "Genius" zerreißt, zwei Jahre nach der Berlin-Visite, öffentlich den "Götz von Berlichingen". Das Stück verstoße "gegen sämtliche Regeln der Dramatik" (45). Der Gescholtene gibt seine Antwort nicht in Druck, aber ein Jahr später zu Briefpapier. Goethe (an Jenny von Voigts, 21. Juni 1781) "Wenn der König meines Stücks in Unehren erwähnt, ist es mir nichts befremdendes. Ein Vielgewaltiger, der Menschen zu Tausenden mit einem eisernen Scepter führt, muss die Production eines freien und ungezogenen Knaben unerträglich finden." (46) Wie ein Berliner beharrt der 31jährige "Knabe" "ungezogen" auf seinem Standpunkt und sieht sich als Schriftsteller Goethe (ebenda) "bezüglich auf das Jahrzehend, um nicht zu sagen Jahrhundert, unserer Litteratur." (47) Er schreibt dies 1781 aus Weimar. Drei Jahre zuvor waren ihm in Berlin "tausend Lichter aufgangen" (48) - über Preußen, über große Politik, über sich und seinen Platz. Gleich am Tag nach der Ankunft in Weimar schickt er der Stein ein sehr gefühliges Billett: Goethe (an Charlotte von Stein, 02. Juni 1778) "In meinem Thal ist mirs lieber und wohler als in der weiten Welt." (49) Kapitel 8: Der Berliner Goethe (zu Eckermann, 04. Dezember 1823) "Es lebt aber ... dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, dass man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern dass man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muss, um sich über Wasser zu halten." (50) Erzähler Eckermann hat den Ausspruch auf Donnerstag, den 4. Dezember 1823 datiert. Wilhelm von Humboldt war gerade 10 Tage hier (51), Zelter ist noch auf Besuch in Weimar. Und auf ihn, der gerade nicht im Zimmer ist, beziehen sich diese Worte. Goethe (ebenda) "Er kann ( ... ) bei der ersten Bekanntschaft etwas sehr derbe, ja mitunter sogar etwas roh erscheinen. Allein das ist nur äußerlich. Ich kenne kaum jemanden, der zugleich so zart wäre wie Zelter." (52) Die Berlin-Schelte dient der Rechtfertigung des Charakters des besten Freundes. Und wir wissen, dass auch Meister G. sehr "preußisch" werden konnte. (53) Ja, rauhe Schale, weicher Kern - der Berliner, "Schnauze mit Herz". Zelter billigt er es zu. Und zwei Jahre später auch dem Berliner: Goethe (an Zelter, 30. Dezember 1825) "Ihr Berliner ... seid mir die wunderlichsten Leute, Ihr schmaust und trinkt und verzürnt Euch unter einander, so dass Mord und Totschlag im Augenblick und tödlicher Haß in der Lebensfolge daraus entspringen müßte, wäre es nicht in Eurer Art, das Widerwärtige auch stehen zu lassen, weil denn doch am Ende alles neben einander verharren kann, was sich nicht auf der Stelle aufspeist." (54) "O ihr Athenienser!" (55) - er spielt launig mit Berliner Begriffen, fordert schon mal "einen Trunk Berliner Lebenslust" (56), poltert dann wieder rum, um sich, "wie oft und viel habe ich Ursache" (57), um sich nach Berlin zu wünschen. Goethe (an Lobe, Juli 1820) "Das Völkchen besitzt viel Selbstvertrauen, ist mit Witz und Ironie gesegnet und nicht sparsam mit diesen Gaben." (58) Kapitel 9: Der berliner Freund Goethe (an Zelter, 14. April 1816) "Wenn Du fortfährst so grob zu sein, wie gegen die unlustige gräfliche Person, so wirst Du schon was zu Wege bringen; das geist- und sorgenlose Wesen der Menschen ist ... gar häufig." (59) Erzähler Der 67jährige Goethe ermuntert den 10 Jahre jüngeren Wahlverwandten - Karl Friedrich Zelter. Er ist Goethes Stadthalter in Berlin und bevorzugter Komponist seiner Gedichte, diplomatischer Handlanger und vertraulicher Ansprechpartner, launiger Schreiber und Lieferant von Teltower Rübchen an Goethe. (60) Der braucht den Freund ... und Berlin, fordert ein ums andere mal Nachricht aus "Sodom". Goethe (an Zelter, 19. März 1818) "Schreibe mir von dem Erfolg ... so derb als möglich, denn das kleidet euch Berliner doch immer am besten." (61) Wiederholte Einladungen nach Berlin schlägt Goethe aus. (62) Aber er schickt 1819 Sohn August und Ottilie für einen Monat nach Berlin. August soll dem Vater ein Tagebuch führen, Zelter sich kümmern. (63) Und wir hören auf, denn seit der Berlin-Reise der Goethe (an Zelter, 18. Februar 1821) "Kinder bei Euch ( ... ) steh ich in einem stillen wunderlichen Verhältnis zu Berlin; ich begreife nämlich kaum, wie ihr, hastig lebend, so viel genießend, euch grenzenlos zerstreuend, doch noch nebenher auch wieder fürs Leben sorgen könnt?" (64) Drei Jahrzehnte währt die Wahlverwandtschaft zwischen Goethe und Zelter. Mit der Veröffentlichung der einmaligen Korrespondenz will Goethe seine Werkausgabe letzter Hand abschließen. (65) Am 22. März 1832 greift Freund Zelter wieder zur Feder. Sprecher (Zelter an Goethe, 22. März 1832) "Nun les ich im 33ten Band die Sammlung Deiner Rezensionen zum ersten Male und bin zufrieden mit - mir, indem ich es mit Dir bin. Ein Urteil muss nicht überredend aber unterrichtend sein, wenn der Sache an sich ihr Recht werden soll. Dein Z. Donnerstag den 22 März 1832" (66) Donnerstag, den 22 März 1832 - Mittags um halb 12 Uhr ist Goethe verstorben (67). Der Brief, in dem Zelter einen hübschen berliner Witz zum besten gibt, trifft am Tag der Beisetzung in Weimar ein. (68) Wenige Wochen später stirbt Zelter in Berlin. (69) Nachspiel Erzähler Nachspiel. Ach ja, für die, die noch immer ein Vorurteil und etwas gegen Berlin haben: blättern Sie ein paar Seiten weiter, bei Eckermann. Da findet sich ein hübsche Pointe auf den "so verwegenen Menschenschlag" und die verschmähten "Delikatessen" und den ach so derben Berliner. Ja, da: Mittwoch, den 30. März 1831. (70) Haben Sie es? Der Weimarer verpasst der Berliner Veranlagung eine nette Wendung - Meister G. und sein Schreiber E. sprechen gerade über das Dämonische. Und wir notieren seine Worte: Goethe (zu Eckermann, 30. März 1831) "Es wirft sich gern an bedeutende Figuren, ( ... ) auch wählt es sich gerne etwas dunkle Zeiten. In einer klaren prosaischen Stadt, wie Berlin, fände es kaum Gelegenheit, sich zu manifestieren." (71) Hübsch, nicht wahr! -ENDE Beitrag- MOD "Ein so verwegener Menschenschlag" - Goethe in Berlin. Ein Streiflicht zur Preußengeschichte. Als Autor und Moderator versbchiedet sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld. -ENDE Sendung-