Deutschlandradio Kultur: Die Reportage Titel: Kampf ohne Waffen ? Der Rüstungsgegner Jürgen Grässlin (Wdhlg. v. 12.09.2010) Autorin: Sonja Heizmann Anmoderation: Am nächsten Donnerstag bekommt der Rüstungsgegner Jürgen Grässlin den Aachener Friedenspreis. Der heute 53jährige kämpft seit mehr als 25 Jahren für eine Welt ohne Waffen und legt sich dabei immer wieder mit der deutschen Rüstungsindustrie an: EADS, Daimler, Heckler & Koch ? und viele andere. In der Begründung der Jury heißt es: ?Grässlin beeindruckt durch seine Kreativität, wenn es darum geht, phantasievolle und wirkungsvolle Aktionen auszutüfteln.? Sonja Heizmann war im vergangenen Jahr bei einer Aktionen dabei. Die Preisverleihung in Aachen nehmen wir zum Anlass ? und wiederholen ihre Reportage. Skript: Regie: 1.Atmo_Gespräch 0:27 De Vries: Kann man das einfach tun, so eine Aktie kaufen? Grässlin: Du gehst zur Bank, Du sagst, Du möchtest eine EADS Aktie kaufen. Die kostet jetzt um die 16 Euro und dann sagt die: Kaufen sie doch aber 100. Und dann sagst Du: Ich will nur eine Aktie. Dann sagt die Bank: Du bist aber blöd, weil Du nur eine Aktie willst. Und dann sage ich: Ich will die Aktie ja nur um Reden halten zu können. De Vries: Wir haben eine ganz nette Bank, die werden das verstehen. Grässlin: Die werden lachen, wenn Du sagst: Ich will eine EADS Aktie. Regie: 2. Atmo_Straße Autorin 1 Jürgen Grässlin, 52 Jahre alt, steht vor dem Amsterdamer Hotel Okura, in der einen Hand eine Kamera, in der anderen eine prallgefüllte Plastiktüte. Gleich will er zur Hauptversammlung des europäischen Luftfahrt- und Rüstungskonzerns EADS, deshalb das gebügelte Hemd, das beigefarbene Sacco. Vorher aber organisiert er eine Protestaktion. Regie: 3.Atmo (0:30) Grässlin: Die scheinen alle hier durch zu müssen, dann ist das optimal, dann ist das ein toller Platz hier. Wir können uns hinstellen mit dem Transparent und haben oben den Titel für das Foto, das ist schon mal sehr gut. Regie: 2. Atmo_Straße hochziehen Autorin 2 Jürgen Grässlin hat nur eine einzige Aktie von EADS, so wie er überhaupt nur Einzelaktien besitzt. Eine von EADS, eine von Daimler, eine von der Deutschen Bank, die an beiden Rüstungskonzernen Anteile hält. Seit 25 Jahren nutzt Jürgen Grässlin die Aktionärsversammlungen um bissige Reden zu halten ? GEGEN die deutsche Rüstungsindustrie und FÜR den Stopp aller Waffenexporte. O-ton 1_Jürgen Grässlin (0:22) Wir müssen kämpfen. Mit den Mitteln der Gewaltfreiheit müssen wir unseren Politikerinnen und Politikern und auch uns selbst klar machen, dass unser System des Reichtums nur darauf basiert, dass wir uns abschotten durch Militär, dass wir diese Oase haben, wo wir die Rohstoffe von außen kriegen, nämlich von Afrika und Asien, und teure Produkte verkaufen in alle Welt, die ja dann wieder dazu beitragen, dass diese Staaten abhängig werden von uns, wenn sich das nicht ändert, dann tolerieren wir den Hunger, dann tolerieren wir die Diktaturen, ja, wir rüsten sie ja sogar aus mit Waffen. Autorin 3 Jürgen Grässlin will auch heute reden. Als Aktionär hat er am Ende der Veranstaltung 5 Minuten Redezeit. Genug um nach den Kampfjets und -hubschraubern von EADS zu fragen, nach den militärischen Transportflugzeugen und den Atomwaffenträgersystemen. Nach Lieferungen in Länder mit schlechter Menschenrechtslage. Genug Zeit auch für seine Botschaft: Wer Waffen in die ganze Welt verkauft, der schürt Kriege. Regie: 4.Atmo_Auspacken Banner Grässlin: Toll, der hat ja mehr gemacht als ich gedacht habe. Autorin 4 Jürgen Grässlin holt ein Stoffbanner aus seiner Plastiktüte: Blutrote Schrift auf weißem Grund. ?Stoppt Waffenexporte von EADS und Daimler!? steht darauf. Darunter ?Wir kaufen keinen Mercedes.? Er und seine beiden Mitstreiterinnen -- Wendela de Vries aus Amsterdam und Andrea Kolling aus Bremen ? breiten das Banner aus, stellen sich in die Zufahrt zum Hotel. Regie: 5.Atmo_Fotoklicken/Polizist (01?00) Autorin 5 Ein Fotograf der Associated Press wittert die beste Fotomöglichkeit des Tages. Und die Polizei ist auch schon da. Bittet darum, sich ein Stück vom Eingang zu entfernen, dorthin, wo das Hotelgelände endet. Regie: 5.Atmo hochziehen Polizist: If you want to stand before the...there it?s allowed, it?s public domain...Please go a couple of miles away... Grässlin: And if we stay here you imprison us? Polizist: No, I?ll be nice. Grässlin: You look nice. Autorin 6 Jürgen Grässlin scherzt ein wenig mit dem freundlichen Polizisten, will wissen, was passiert, wenn sie bleiben. Regie: 5.Atmo hochziehen Polizist: Then I must call someone from the hotel and he must say to you: Go away! Autorin 7 Dann muss er Verstärkung aus dem Hotel holen, warnt der Ordnungshüter und Grässlin nickt. Regie: 5.Atmo hochziehen Grässlin: Tell it to them, for me it is no problem. Polizist: I have to tell you now. Grässlin: Yeah, you told me. Autorin 8 Die drei Protestierer rücken nicht von der Stelle, blockieren weiterhin die Durchfahrt. Angepasst, fast brav, sehen die Rüstungsgegner aus, sogar den Bart hat Jürgen Grässlin ordentlich gestutzt. Der Mann, der hautberuflich Lehrer an einer Realschule in Freiburg ist, will äußerlich nicht anecken, nicht auffallen. Dafür ist er umso hartnäckiger, wenn es um die Sache geht. Regie: O-ton 2_Jürgen Grässlin (0:14) Grässlin: Ja, es müssen die Aktionäre sehen, was wir machen, wenn wir jetzt nach 10 Sekunden das Feld räumen, sagt jeder, ich habe ja nichts mitbekommen, war da was? Regie: 5.Atmo hochziehen Regie: O-ton 3_Jürgen Grässlin (0:15) Ist vielleicht gar nicht schlecht, hier stehen jetzt Autos, Aktionäre die rein wollen, auch ein Mercedes und dann zu zeigen: Wir weisen darauf hin, wir kaufen keinen Mercedes, weil die Waffen herstellen, weil sie Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete exportieren, das ist genau die Kundschaft, die wir wollen. Autorin 9 Ein paar Sekunden harren die drei vor einem schwarzen Geländewagen mit hellen Ledersitzen aus. Eine sehr blonde Frau sitzt drin, um die 50, also im Alter der drei Rüstungsgegner. Sie blickt stur geradeaus. Regie: 5.Atmo ausblenden, 6.Atmo aufheulender Motor Lassen wir sie durch? Ja. Autorin 10 Der Fotograf möchte noch wissen, wen er vor sich hat, braucht eine Bildunterschrift. Regie: 6.Atmo ausblenden, 7.Atmo einblenden (0:45) Grässlin: We have a campaign, a boycott campaign: Don?t buy a Mercedes because Mercedes is part of Daimler and Daimler is the largest weapons producer and exporter in Germany and is the largest shareholder with the French together here in EADS. We have a lot demonstrations in Germany and now we transport them to Amsterdam. Voice over Wir rufen zum Boykott von Mercedes auf, weil Mercedes zu Daimler gehört und Daimler der größte Waffenproduzent und -exporteur in Deutschland ist. Gleichzeitig ist Daimler der größte Anteilseigner von EADS zusammen mit den Franzosen. Wir demonstrieren in Deutschland dagegen und bringen diesen Protest jetzt auch nach Amsterdam. Regie: 7.Atmo hochziehen Fotograf: But you are a critical shareholder? Grässlin: I am the spokesman of the critical shareholders. You can delete this and can write spokesman of the ciritical shareholders Daimler. Autorin 11 Jürgen Grässlin stellt sich als Sprecher der Kritischen Daimler-Aktionäre vor. Was nur die halbe Wahrheit ist. Jürgen Grässlin ist auch Sprecher der ?Deutschen Friedensgesellschaft?, des ?Deutschen Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen? und Vorsitzender des ?RüstungsInformationsBüros?. Hier werden Tageszeitungen, Militärzeitschriften und Söldnermagazine ausgewertet, um festzustellen, wer welche Waffen herstellt, exportiert und importiert. Regie: 7.Atmo ausblenden, 8.Atmo einblenden Autorin 12 Ein Mann, Mitte vierzig, grauer Anzug, stellt sich vor das Banner. Steckt die Hände in die Hosentaschen und grinst. Regie: 8.Atmo hochziehen Grässlin: It?s a campaign against buying Mercedes because Mercedes is selling weapons all around the world in conflict and war nations. Mann: I see, ah, really. Ok, thank you. Regie: 8.Atmo ausblenden Autorin 13 Mehr Aufmerksamkeit bekommen Jürgen Grässlin und die beiden Frauen heute nicht. Sie brechen ab, packen zusammen. Regie: 9.Atmo It?s ok, we have the photos we need. Autorin 14 Jürgen Grässlin vermutet, dass es einen zweiten geheimen Eingang gibt. Regie: O-ton 4_Jürgen Grässlin Die Leute leiten sie irgendwo anders rum, normal müssten da ja, wenn da 300 nachher drin sind, also gut, 200 sind schon drin, weil sie übernachtet haben, aber auch die anderen 100 kommen ja gerade nicht, von daher macht die Aktion an der Stelle finde ich jetzt nicht mehr Sinn. Jetzt macht es Sinn sich korrekt anzumelden, damit wir auch im ersten Frageblock drin sind, weil da nur Leute sprechen dürfen, die sich angemeldet haben mit Fragen. Regie: 10.Atmo Can I see your invitation, please. Autorin 15 Am Eingang fragen Hostessen in schwarzen Kostümen mit orangefarbenen Halstüchern nach Einladungen und Personalausweisen. Hinter Jürgen Grässlin steht ein Aktionär aus Mönchengladbach. Auch er ist unzufrieden: Regie: O-ton 5_Aktionär (0:12) Ja, ich wünsche mir natürlich eine bessere Dividende, darum ist man ja in der Gesellschaft, um für sein Geld, das man für die Aktien bezahlt hat, eine Dividende zu bekommen. Autorin 16 EADS zahlt seinen Aktionären zum ersten Mal keine Gewinne aus. Schuld daran sind Verzögerungen und Kostensteigerungen bei mehreren Flugzeugen, unter anderem auch bei dem militärischen Transportflugzeug A400M. Dass EADS im Rüstungsgeschäft tätig ist, stört diesen Aktionär nicht. Regie: O-ton 6_Aktionär (0:07) Nein, ist kein Problem für mich, weil wenn EADS das nicht macht, dann macht das eine andere Firma. Regie: 11.Atmo ausblenden, 12.Atmo Schritte einblenden, darüber 13.Atmo Veranstaltungsort Autorin 17 Jürgen Grässlin und die beiden Frauen betreten den Raum, wo die Hauptversammlung stattfinden wird. Stühle mit roten Stoffbezügen, schwere Vorhänge, an den Decken Spots, in der hintersten Reihe Kameras, Mischpulte, ein Dutzend Techniker. Nur um die 70 Plätze sind besetzt, viel weniger als Jürgen Grässlin erwartet hat. Auch der Mann, der sich vor dem Hotel für das Banner interessiert hat, ist da, entpuppt sich als Mitarbeiter des Konzerns. Vor einer blauen Wand mit der Aufschrift ?10 Jahre EADS? sitzt der Vorstand, elf Männer in dunklen Anzügen. Regie: 13.Atmo hochziehen Autorin 18 Bevor es losgeht, ein Wort an die Journalisten: Wer sich vom Pressezentrum zum Veranstaltungsort bewegen möchte, muss von einem EADS Mitarbeiter begleitet werden. Von den Reden der Aktionäre -- keine Aufzeichnungen. Alles zum Schutz der Persönlichkeitsrechte. Eine Einwilligung von Jürgen Grässlin, seine Rede aufzunehmen, ändert daran nichts. Was wird er also fragen? Regie: O-ton 7_Jürgen Grässlin (0:36) Die heutigen Fragen zielen vor allem darauf ab, die menschenrechtsverletzenden Empfängerländer von EADS-Waffen zu thematisieren, zu fragen, wie viel Profit durch ganz konkrete Rüstungsexporte, beispielsweise 72 Eurofighter nach Saudi-Arabien gemacht werden und umgekehrt einfach mal mitzuteilen, passen Sie bitte auf bei der EADS, Sie liefern Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete. Ich finde es verwerflich, dass das passiert, will das deutlich thematisieren und will letztlich erreichen, dass diese Exporte wesentlich restriktiver gehandhabt werden, wenn es nach mir geht natürlich gestoppt werden. Autorin 19 Dann eröffnet Bodo Uebber, Chairman des ,Board of Directors' der EADS und gleichzeitig Finanzvorstand der Daimler AG, die Hauptversammlung: Regie: 13.Atmo ausblenden, 14.Atmo_ Rede Aufsichtsratsvorsitzender EADS (1:22) Dear shareholders, ladies and gentlemen, good afternoon and welcome to the AGM of EADS, the European Aeronautic Defence and Space Company. Now let us turn to the review of the past year. To be straight, there was good and bad.... Autorin 20 EADS macht um die 43 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, ein Viertel davon kommt aus dem Verteidigungsgeschäft. Das will man in Zukunft ausbauen, denn das Geschäft mit Waffen ist verlässlicher als das Geschäft mit zivilen Flugzeugen. Man will verstärkt auf Exporte setzen, Indien und Brasilien planen ihren Verteidigungsetat zu erhöhen, das klingt gut. Regie: 14.Atmo ausblenden, 15.Atmo_Empfang nach Hauptversammlung Autorin 21 Zwei Stunden später. Jürgen Grässlin steht zwischen Weingläsern und Häppchen. Schweißperlen hängen an seinen Schläfen. Regie: O-ton 8_Jürgen Grässlin (0:19) Es ist insofern eine hoch konzentrierte Angelegenheit als dass die Fragen ja brisant sind, hinter den Kulissen natürlich alle Alarmglocken klingeln, ein Riesenstab daran arbeitet, diese Fragen so zu beantworten, dass sie nur teilbeantwortet sind oder nicht beantwortet sind, aber nach außen hin die Form gewahrt ist, man antwortet. Und von daher ist es für beide Seiten sehr anstrengend. Autorin 22 Zu Jürgen Grässlins Kritik möchte vom Konzern niemand Stellung beziehen. Auf eine allgemeiner formulierte Frage, wiederholt Finanzvorstand, Hans Peter Ring, die Antwort, die Jürgen Grässlin bereits im Saal bekommen hat: Regie: O-ton 9_Finanzvorstand EADS (0:06) Das Einzige, was wir dazu sagen können ist, wir halten uns an das, was es an Spielregeln gibt und mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Autorin 23 Im Klartext: Die zuständigen Regierungsbehörden haben die Waffenexporte genehmigt. Regie: 15.Atmo hochziehen Autorin 24 Und die Aktionäre, was sagen sie zu Grässlins Vorwürfen? Wenige waren es heute. Keine Pfiffe, keine Buh-Rufe, kein Gelächter, aber auch kein Zuspruch. Die Rüstungsindustrie schafft Arbeitsplätze, Waffen bringen Sicherheit, das sind die bekannten Argumente von Jürgen Grässlins Gegnern. Vor dem Mikrofon will sich niemand äußern. Und dann doch: Regie: O-ton 10_Holländischer Aktionär (0:26) Höllandischer O-ton VOIVE OVER Ich wusste nicht, dass EADS mit Ländern zusammenarbeitet, die Menschenrechte verletzen, das wusste ich nicht. Für mich ist es sehr wichtig, dass EADS sich an grundsätzliche Normen und Werte hält und dass diese Regeln auch bei der Rüstung gelten und strikt eingehalten werden. Autorin 25 Der Aktionär, der mehrere hundert Aktien hält, ist dankbar für Jürgen Grässlins Informationen. Ob er seine Aktien verkaufen wird, verrät er nicht. Zum Schluss noch die Frage, mit welchem Gefühl Jürgen Grässlin jetzt nach Hause fährt. Regie: O-ton 11_Jürgen Grässlin (0:20) Das ist sehr ambivalent, auf der einen Seite sind wir einen Schritt weitergekommen im Dialog und Dialog heißt auch immer die Chance auf Veränderung, auf der anderen Seite weiß ich, dass während wir hier sitzen, an 30, 34 Plätzen dieser Erde Krieg stattfindet, dass in dem Moment, wo wir uns treffen und hier der Wein fließt, dass derweil Menschen sterben und zwar durch die Waffen dieses Unternehmens. Regie: 15.Atmo ausblenden, 16.Atmo_Stimmen Schüler Autorin 26 Zurück in Freiburg, unterrichtet Jürgen Grässlin wieder an der Lessing-Realschule. In schwarzen Jeans und gelbem T-Shirt. Unterrichtsfach ist Deutsch. Regie: 17.Atmo Schülerin: Sollen wir jetzt schreiben, eigentlich ist es auch eine Werbetrommel für die Rechten gewesen, das Minarettverbot? Grässlin: Wenn Du so denkst, dann schreib es bitte hin. Das ist ja Deine Meinung. Autorin 27 Heute diskutieren Schüler und Lehrer über das Minarettverbot in der Schweiz. In Gruppen erarbeiten die Teenager ihre Argumente für und gegen das Verbot. Schreiben sie mit dicken Filzstiften auf große weiße Pappen. Regie: 18.Atmo Schüler: Zweiter Punkt: Sie integrieren sich nicht in die Gesellschaft. Regie: 19.Atmo Schülerin: Sollen wir noch Gleichberechtigung zwischen den Religionen aufschreiben? Autorin 28 Jürgen Grässlins Schüler wissen von seinem Engagement, manchmal erzählt er ihnen von seinen Aktionen. Sie finden seinen Einsatz gut, würden aber selbst nicht für Abrüstung auf die Straße gehen. Johanna sagt: Regie: O-ton 12_Schülerin 1 (0:05) Schülerin: Ich finde es sehr gut, dass er sich engagiert. Ich denke jeder braucht irgendetwas wofür er kämpfen kann. Und sein Ziel ist es eben eine friedliche Welt zu haben. Autorin 29 Auch Johanna kämpft. Gegen Faschismus und Tierquälerei. Manuel ist 15 Jahre alt: Regie: O-ton 13_Schüler (0:23) Klar ist er ein Vorbild, wenn er sich für Menschenrechte und so engagiert, aber jetzt so generell, weiß ich nicht, ob ich ihn jetzt so als Vorbild nehmen würde. Regie: O-ton 14_Schüler Was ich echt krass finde, er ist manchmal echt ganz alleine auf irgendwelchen Konferenzen. Das ist halt so, einer muss halt anfangen, dann merken die anderen, ja, das ist gut, da sollten wir vielleicht mitmachen, dem sollten wir helfen, den sollten wir unterstützen und ich glaube, irgendwann wird das mal etwas bewirken. Regie: Regie: 19.Atmo ausblenden, 20.Atmo_Vogelgezwitscher Autorin 30 Der Schultag ist beendet. Jürgen Grässlin sitzt auf der Terrasse seines Hauses. Er und seine Frau Eva haben das Eigenheim am Rand der Stadt, gleich neben einem Industriegebiet, selbst gebaut. Regie: O-ton 15_Jürgen Grässlin (0:35) Als 16Jähriger hätte ich gesagt, ich heirate nie, das Schlimmste, was es gibt, ist ein Reihenhaus zu besitzen und biederlich einen Opel oder sonst was zu fahren, heute bin ich verheiratet, glücklich verheiratet, bin Mitbesitzer mit meiner Frau, eines Reihenhauses, was wir sehr genießen, die Ruhe, fahre ein sehr biederes Fahrzeug, einen Opel, und trotzdem habe ich da eines gelernt, es gibt auch wirklich etwas ganz Sinnvolles, eine geordnete Welt zu haben. Zumal, wenn ich in Krisen- und Kriegsgebiete fahre, dort eben erlebe, dass eine staatliche Ordnung nicht gegeben ist, dass familiäre Strukturen ganz kaputt sind, dass Menschen psychisch traumatisiert sind oder physisch zerstört sind, ich glaube, es gibt nichts Besseres und Höheres und nie im Leben durch Geld Aufzuwiegendes als persönlich intakte Strukturen zu haben. Autorin 31 Seit 30 Jahren ist Jürgen Grässlin verheiratet. Zwei Kinder haben er und seine Frau, vor vier Monaten kam das erste Enkelkind zur Welt. Die Familie, sagt Grässlin ? ist das Einzige, was Deutschlands hartnäckigsten Rüstungsgegner von seinem Vorhaben abbringen kann. Regie O-ton 16_Jürgen Grässlin (0:13) Wenn es so wäre, dass meine Familie blocken würde, wenn es so wäre, dass meine Frau sagen würde, es reicht, ich glaube, dann müsste ich aufhören. Wenn ich den Kampf gegen meine Frau führen müsste, gegen meine Kinder, gegen meine Familie, gegen meine Eltern, der ist nicht zu gewinnen, der soll auch nicht gewonnen werden. Autorin 32 Während sich ihr Mann in den letzten 25 Jahren gegen die Rüstungsindustrie stark macht, kümmert sich Eva Grässlin um die Kinder und den Hausbau, hält ihrem Mann den Rücken frei. Sie steht auch hinter ihm, als die Daimler AG zwei Mal gegen ihn klagt. Beide Male geht es um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten von Daimler-Managern. Ein Verfahren wird eingestellt, das andere verliert Daimler. Jürgen Grässlin und seine Frau bleiben trotzdem auf 40.000 Euro Prozesskosten sitzen. Sie sind sogar bereit ihr Haus zu verkaufen, als Freunde ihnen Geld leihen. Regie: O-ton 17_Eva Grässlin (0:40) Es wäre falsch, wenn man sagen würde, das war ganz locker, also es war schon eine Belastung. Aber wir waren uns im Klaren darüber, dass es so weit kommen könnte und wir haben das vorher alles durchkalkuliert, durchgesprochen, was kann jetzt alles auf uns zukommen, können wir das stemmen, können wir es nicht stemmen, und dann haben wir gesagt, wir machen es, weil wenn es eine Gerechtigkeit gibt, dann muss sie auch irgendwann mal zum Tragen kommen. Man darf nicht immer sagen, ach, es hat keinen Wert und die sind alle viele größer und wir können da doch nicht dagegen angehen, ich denke, man muss für seine Ziele und seine Überzeugungen auch kämpfen und das sind dann so Einschränkungen, die man hat, im persönlichen Leben, aber die nehme ich gerne in Kauf, wenn man dann wirklich auch etwas erreicht. Regie: 20.Atmo ausblenden, 21.Atmo_Verabschiedung Autorin 33 Eva Grässlin macht sich jetzt auf den Weg zu ihrer Tochter, gemeinsam mit dem Enkelsohn wollen sie die Großmutter besuchen. Vor dem Spiegel im Flur trägt sie Lippenstift auf, streift sich ihre Sandalen über. Also, bis heute Abend. Ich gehe jetzt erst zur Sandra...bis später. Gruß der Tochter, dem Manne und dem Kinde. Das mache ich. Tschüß. Ciao. Regie: 22.Atmo, darüber 23.Atmo Autorin 34 Jürgen Grässlin läuft durchs Haus, vorbei an den leicht vergilbten Fotos der Kinder, dem Zeitungsturm neben dem Esstisch, den Bücherstapeln. Sortiert Artikel und Manuskripte für die nächsten Reden. An den Wänden hängen selbstgemalte Portraits, eines neben dem anderen. Regie: O-ton 18_Jürgen Grässlin (0:29) Alle die Menschen, die ich portraitiere, bedeuten mir irgendetwas, also Che Guevara war natürlich für mich immer bewundernswert, weil er den Widerstand organisiert hat, aber als Pazifist lehne ich militärische Gewalt ab. Viel inspirierter bin ich natürlich durch Bertha von Suttner, erste Frau, die den Friedennobelpreis bekommen hat, die die deutsche Friedensgesellschaft gegründet hat. Und es hängen ganz häufig die Doors hier, Jim Morrison, weil er hat so die dunkle Seite des Lebens beleuchtet, und wir alle tragen ja etwas Frohgemutes in uns, aber auch etwas Dunkles. Autorin 35 Jürgen Grässlins Antwort auf die Frage nach seiner dunklen Seite: Regie: 24.Atmo_Lachen (0:06) Grässlin: Prost! Autorin 36 Er hebt sein Wasserglas, nimmt einen großen Schluck. Der Friedensaktivist will keine Brüche erkennen lassen. 25 Jahre Kampf ? was haben er und seine Mitstreiter erreicht? Regie: O-ton 19_Jürgen Grässlin (0:34) Ich finde es einen Rückschlag, dass wir es nicht geschafft haben, die Regierenden in Berlin davon zu überzeugen, dass Waffenexporte eigentlich ein Verbrechen sind, dass sie ein Verbrechen an der Menschheit sind und dass die Waffenexporte gestiegen sind, sowohl im Bereich der Großwaffensysteme als auch bei den Kleinwaffen, also war unser Kampf vielleicht in der Form erfolgreich, dass es uns gelungen ist immer wieder einzelne Waffenexporte zu verhindern, aber noch nicht in der Form, dass es uns gelungen ist die Rüstungsexportzahlen der Bundesrepublik Deutschland, wenn es nach mir geht, massiv zu senken, wirklich auch zu Null zu senken. Autorin 37 Deutsche Waffenexporte haben sich laut den neusten Zahlen des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt. Im weltweiten Exportvergleich liegt Deutschland inzwischen auf Platz drei ? hinter den USA und Russland. Vor allem U-Boote und Panzer liefern die Deutschen. Regie: O-ton 20_Jürgen Grässlin (0:28) Es wäre ja illusorisch zu glauben, dass ich in meinem Leben erreiche, dass wir überhaupt gar keine Waffen mehr auf dem Globus haben und es keine Kriege mehr gibt. Ich wäre schon verdammt froh, wenn es so wäre, dass wenn ich in 25 Jahren mal mein Leben bilanziere, dass ich dann sagen könnte die Zahl der Kriege hat massiv abgenommen, die Konflikte deeskalieren und es kommen keine neuen hinzu. Dann ist diese Menschheit auf dem richtigen Weg und bis dahin werden wir genau das Gleiche wieder fordern müssen und genauso gleich sagen müssen und eigentlich noch viel massiver fordern müssen als wir es bisher getan haben. Autorin 38 Gesagt, getan. Ein paar Tage später spricht Jürgen Grässlin in einem Café in seiner Heimatstadt Freiburg, stellt eine neue Kampagne für 2011 vor -- ?Aktion Aufschrei?. Regie: 22.Atmo und 23.Atmo 22 ausblenden, 24.Atmo einblenden_Stimmen Grässlin: Wir, die Bundesrepublik Deutschland, gießt mit diesen Waffen Öl ins Feuer der Kriege und Bürgerkriege.... Regie: 24.Atmo ausblenden Autorin 39 Jürgen Grässlin hat wieder Großes vor. Regie: 25.Atmo_Rede Jürgen Grässlin einblenden Erst einmal. Unmissverständlich, ein Verbot aller Rüstungsexporte, aufgenommen ins Grundgesetz. Dann, dass die Täter bekannt werden, mit Name und Gesicht. Ich nenne mal den Bundessicherheitsrat, Frau Merkel, Herr Westerwelle, bei den Rüstungsfirmen kann man sie auch benennen, bei Daimler ist es Dieter Zetsche, Bodo Uebber habe ich Ihnen gesagt, der Finanzchef der Daimler AG und Aufsichtsratsvorsitzender der EADS. Das sind die Menschen, die verantwortlich sind für die Rüstungsexporte. Regie: 26.Atmo Rede_Jürgen Grässlin 2.Teil Wir wollen den Opfern eine Stimme geben, wir werden sie einladen, um auf den Hauptversammlungen zu sprechen, um mit der Bundesregierung zu sprechen und wir werden sie einladen um mit den Rüstungsmanagern zu sprechen, was wir machen können ist auf den Hauptversammlungen agieren und zwischen den Hauptversammlungen agieren... Regie: 27.Atmo_Applaus, 28.Atmo_Stimmen einblenden Autorin 40 Fast zwei Stunden spricht Jürgen Grässlin. Die vielen Informationen, die bewegenden Geschichten der Opfer, die durch deutsche Waffen Arme und Beine verloren haben, die Jürgen Grässlin selbst in Somalia und der Türkei besucht hat -- das Publikum ist überwältigt. Regie: 29.Atmo Frau: Also, ich bin immer noch völlig fassungslos...Ich dachte immer, ich habe einen halbwegs kritischen Kopf und bin interessiert und fühle mich heute Abend richtig erschlagen von allem, von dem ich keine Ahnung hatte. Grässlin: Es ist erschlagend, die Fakten sind erschlagend...die Opfer sind so düster in ihren Schicksalen, man muss schauen, dass man sich davon befreit und sagt: Es darf nicht wieder passieren. Und da müssen wir gemeinsam dagegen ankämpfen. Frau: Ja! 2. Frau: Es ist ja nicht so: Dort sind die Waffenhersteller und wir haben nichts damit zu tun. Das ist wie bei den Bankern jetzt...dort sind die Banker und wir... Grässlin: Wir sind die Waffenhersteller.... 2.Frau: Wir sind darin verflochten in irgendeiner Weise und wenn Sie den Leuten sagen, sie gewinnen damit und die Wirtschaftskrise wird beseitigt durch den vergrößerten Export von Waffen, ich glaub, dann sind die meisten Leute einverstanden. Also ich bin sehr pessimistisch in der Richtung, ich denke, da würden 90 Prozent, wenn nicht sogar mehr sagen, haja, wenn wir damit die Wirtschaft... Grässlin: Ich bin optimistisch... 2.Frau: Das ist schön. Grässlin:...wenn wir den neuen Weg wählen und den Betroffenen eine Stimme und zwar in Deutschland geben, dass wir weiterkommen. 2.Frau: Ich habe den Eindruck, dass die Leute, die Angst haben vor der Wirtschaftskrise, dass die mit allem einverstanden sind, was die Wirtschaft irgendwie voranbringt, egal... Grässlin: Lassen Sie uns in drei Jahren wieder darüber sprechen und Sie werden sehen, ich habe Recht. 2.Frau: Das wäre toll, das wäre ganz toll....Ich verfolge Ihre Arbeit ja schon sehr lange. 1.Frau: Wie lange beschäftigen Sie sich....? Grässlin: 25 Jahre jetzt. Autorin 41 Jürgen Grässlin bleibt Optimist. Sein friedlicher Kampf gegen die deutsche Rüstungsindustrie und für den Stopp aller Waffenexporte geht weiter. ENDE 1