DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Freitag, 06.06.2014 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 - 20.00 Uhr Schrottplatz Mensch? Wenn Schrittmacher, Hüfte und Co. versagen Von Dorothea Brummerloh URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-Ton Rolf Winter .... und dann fängt die Hüfte an zu quietschen, wie so eine olle Kellertür, die verrostet ist und es wurde immer lauter. Also ganz hässliches Quietschen... O-Ton Annegret Krause Ich hatte tierische Schmerzen und richtige wie Knoten auf dem Implantat und es war auch auf dem Ultraschall etwas zu erkennen. Daraufhin hat mich mein behandelnder Arzt ins MRT geschickt. O-Ton Svend Petersen Ab und zu legt man die Hand auf den Schrittmacher oder da wo die Narbe ist und da habe ich ein Pieksen festgestellt. O-Ton Rolf Winter Als ich es dann gemerkt habe, es kommt aus der Hüfte, bin ich am nächsten Tag zu meinen Orthopäden und der hat mich überwiesen in die Klinik, die mich operiert haben. Und die kannten das. O-Ton Annegret Krause ....und da wurde festgestellt, dass dieses Implantat ein deutliches "Gelbluten" aufweist. Kein Riss. O-Ton Svend Petersen Tatsächlich an der Stelle hat sich dieser Kabelbruch ereignet. Zwischendurch hatte ich noch einen Kabelbruch und noch einen Kabelbruch - es sind also mittlerweile 3 Kabel getauscht wurden an mir. Ansage: Schrottplatz Mensch? Wenn Schrittmacher, Hüfte & Co. versagen... Ein Dossier von Dorothea Brummerloh Atmo Jetzt gehen wir mal nach oben. Ich habe eigens dafür einen Raum. Ich muss ja aufgrund der vielen Operationen Lymphdrainage machen... Autorin Annegret Krause, die ihren wirklichen Namen nicht genannt wissen möchte, ist in ihrer Beweglichkeit stark eingeschränkt. Die dunkelhaarige Frau Mitte Fünfzig hat Mühe, die Treppe in ihrem Haus nach oben zu steigen. Früher hat sie als Bürokauffrau gearbeitet. Jetzt sind ihre Beine angeschwollen, so wie ihre Hände und Arme. Der Lymphabfluss, der wie eine Art Drainagesystem Schadstoffe aus dem Körper filtert und abtransportiert, funktioniert bei ihr nicht mehr von selbst. Atmo ... Das ist eine Hose und dann habe ich noch die Armmanschette, weil die Arme auch betroffen sind und da liegt man dann hier drin und pumpt das auf und lässt wieder ab in Intervallen.... Autorin Zweimal am Tag für jeweils eine halbe Stunde werden die Lymphe aus Beinen und Armen mit Hilfe eines Geräts herausgepresst. Zweimal wöchentlich muss sie außerdem zu einer manuellen, von einer Therapeutin ausgeführten Lymphdrainage. Atmo ... Diese ganzen Binden habe ich dann am beiden Beinen übereinander gewickelt von den Füßen bis hier hoch ... und dann sehen sie aus wie ein Klops...Wenn ich das nicht eisern machen würde, könnte ich irgendwann nicht mehr laufen...würde sich die ganze Lymphe in den Beinen und Armen so was von ausbreiten, das man wie ein Michelin-Männchen aussieht. Autorin Annegret Krause findet den Vergleich mit Bibendum, dem dicken Reifenmann und Werbefigur des französischen Reifenherstellers passend. Genau so fühlt sie sich: dick und unbeweglich. Ihre Leidensgeschichte ist lang: Sie musste sich wegen immer wiederkehrender gutartiger Tumore mehrmals an der Brust operieren lassen. Weil in der Familie Brustkrebs früher schon aufgetreten war, entschied sich Annegret Krause zusammen mit ihrem behandelnden Arzt für die beidseitige Amputation und den Einsatz von Implantaten. O-Ton Krause Mir wurde versprochen, dass dieses Implantat um was es mir geht, nie wieder rausoperiert werden muss. Weil normale Implantate müssten wohl alle 10 Jahre getauscht werden. Und dann habe ich gesagt, da hast du ja was Gutes. Autorin Die Operation verlief gut. Fast 8 Jahre lang verursachten die Implantate keinerlei Probleme. O-Ton Krause In 2012 bekam ich da auf der Seite unwahrscheinliche Schmerzen, und es war auch auf dem Ultraschall etwas zu erkennen. Ich hatte tierische Schmerzen und auch richtige wie Knoten auf dem Implantat. So und das sind dann entzündliche Herde, wo irgendetwas passiert ist und daraufhin hat mich mein behandelnder Arzt ins MRT geschickt und da wurde festgestellt, dass dieses Implantat ein deutliches "Gelbluten" aufweist. Kein Riss, aber es tritt Gel nach außen aus. Autorin Dass bei jeder Operation Risiken nicht auszuschließen sind, war der 4-fachen Mutter immer klar. Sie hatte schon früher solche Erfahrungen machen müssen: Bei einer Schilddrüsen-OP zum Beispiel wurde ein Stimmband verletzt, so dass es nicht mehr funktioniert. Über dieses Risiko wurde sie allerdings vorher aufgeklärt. Dass in ihren vom TÜV geprüften, zertifizierten Brustimplantaten billiges Bausilikon verwendet worden war, dass diese platzen und ihren Körper vergiften könnten, hat ihr niemand gesagt. O-Ton Krause Du als Patient bist ausgeliefert, du liegst da in Narkose und denkst, wenn ich aufwache, noch ein paar Wochen Heilung und dann geht es mir besser. Aber das es einem dadurch auch nur schlechter geht, das darf nicht mehr passieren. Ich weiß nicht, ob es Gift ist oder ob es platzt oder ich falle irgendwo um. Keine Ahnung! Man hat auch noch im Hinterkopf: Was passiert jetzt da drin? Fault das innerlich weg oder wie auch immer? Man kann ja nicht reingucken... Beschissen ... man fühlt sich betrogen, irgendwo so hilflos, kämpft auch alleine. Musik Atmo So jetzt habe ich mal meine großen Ordner geholt, denn ich habe alles in Papierform aufgehoben, was es gibt, was mich betrifft...Da sind zum Beispiel die originale Produktinformation für dieses tolle Implantat, meine Implantat-Ausweise... und wie gesagt, dieses Schreiben der gegnerischen Partei, der gegnerischen Anwälte von der Versicherung und ich sage Ihnen ganz ehrlich, die bringen einen zur Weißglut. Nach deren Auffassung ist man ja eh als Patient an allem selber schuld... Autorin Annegret Krause ist Opfer eines verpfuschten Medizinproduktes geworden. Manch einer wird jetzt wahrscheinlich vermuten, die Betroffene werde sicherlich schnell und unbürokratisch entschädigt. O-Ton Krause Aber das man so darauf pocht, man ist ja selber Schuld als Betroffener. Warum haben sie sich erst so ein Implantat einsetzen lassen? Sie haben es bestimmt selber kaputtgemacht. Das stand auch in einem von den Schreiben von den gegnerischen Anwälten. Wahrscheinlich habe ich Sport gemacht oder irgendetwas gemacht, was dazu führte, dass das Implantat nicht mehr in Ordnung ist... Und wie gesagt dann auch noch der Spruch, es ist ja nicht nachgewiesen, dass Industriesilikon für den menschlichen Körper schädlich ist. Und so etwas macht einen als Betroffenen wütend. Mit welcher Hochnäsigkeit und welcher Kaltschnäuzigkeit man da abgewiegelt. Man versucht die Betroffenen irgendwie mundtot zu machen. Die hoffen, dass man irgendwann mal aufgibt. Musik Autorin Bausilikon in Brustimplantaten. Immerhin sind die Implantate durch den TÜV Rheinland zertifiziert und haben das bekannte europäische CE-Siegel. Medizinprodukte werden in Deutschland und in der gesamten Europäischen Union einheitlich durch "benannte Stellen" geprüft, erklärt mir Jörg Heynemann, Fachanwalt für Medizinrecht. O-Ton Heynemann Das sind die Stellen, die der Firma das Recht verleihen, ein CE-Zertifikat an dem Produkt anzubringen und damit sozusagen, die Sicherheit des Produktes garantieren. Und wenn sozusagen bei der Zertifizierung, also bei der Begutachtung und Freigabe dieser Produkte Fehler unterlaufen, liegt das natürlich im Verantwortungsbereich der benannten Stelle, in dem Fall des TÜV. Autorin In Europa gibt es derzeit rund 80 private Zulassungsinstitute. Das können sowohl große Betriebe mit mehreren hundert Mitarbeitern sein, als auch winzige Firmen mit kaum mehr als 3 Angestellten. Nicht nur die Größe der Institute ist sehr verschieden, auch die Qualität der Prüfer, die in vielen Staaten - ob nun in Deutschland, Litauen oder Bulgarien sehr unterschiedlich ist. In Deutschland bietet zum Beispiel der TÜV oder die DEKRA die Produktprüfung an. Diese kommerziellen Organisationen erhalten den Auftrag vom Produkthersteller . O-Ton Heynemann Es ist so, dass der Hersteller mit der so genannten benannten Stelle, also der Zertifizierungsstelle einen privatrechtlichen Vertrag schließt. Das ist im Grunde absurd, dass derjenige, der überprüft wird, den Überprüfer bezahlt. Autorin Die Konkurrenz ist groß. Zwar werden die Institute nach §15 des Medizinproduktegesetzes durch die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten benannt, aber Institute, die besonders streng prüfen, laufen Gefahr, ihre Kunden zu verlieren. Wer den Prüfauftrag bekommt und damit zwischen 5.000 und 20.000 Euro verdient - das kann der Hersteller eines Medizinproduktes frei wählen. Damit hat er das Zepter in der Hand. Für die Institute heiße das: "Wes Brot ich fress, des Lied ich sing" sagt Jörg Heynemann. Diese Ko- Abhängigkeit sei der Produktsicherheit nicht dienlich, meint der Anwalt und verweist auf den Fall der PIP-Brustimplantate, die durch den TÜV Rheinland zertifiziert worden sind. Der Medizinrechtsanwalt hat den Schriftverkehr zwischen der französischen Firma Poly Implant Prothése - kurz PIP- und dem TÜV Rheinland unter die Lupe genommen: O-Ton Heynemann Das ist kein Schriftverkehr zwischen Kontrolleur und Kontrollierten. Das ist ein Schriftverkehr zwischen befreundeten Geschäftsleuten. Wo man denkt, die arbeiten gar nicht sozusagen, um die Sicherheit der Medizinprodukte zu garantieren, sondern im wirtschaftlichen Interesse für beiden Seiten. Autorin Im französischen Strafverfahren gegen den PIP-Inhaber Jean-Claude Maas sei aber auch deutlich geworden, dass der TÜV Rheinland seine Kontrollaufgaben nicht ganz so genau genommen hätte. Das Image als unbestechlicher Garant für Sicherheit habe der Technische Überwachungsverein leichtfertig verspielt, sagt Heynemann. O-Ton Heynemann Also diese Kontrollen sind nach meiner Auffassung reine Makulatur. Die Kontrollen, die jährlich und angemeldet, also angekündigt durchgeführt werden müssen, sind auch keine Kontrollen. Da kommt jemand und geht da einmal durch den Betrieb und haut dann wieder ab. Musik Autorin 1866 wurde der TÜV, der Technische Überwachungsverein gegründet und kümmerte sich um die Kontrolle von Dampfkesseln, da es immer mehr Unfälle durch explodierende Dampfkessel gegeben hatte. Die "Dampfkessel-Überwachungs-und Revisions-Vereine" waren Selbsthilfe-Organisationen der Dampfkessel-Betreiber. Sie waren erfolgreich bei der Unfallverhütung im Bereich dieser Technologie. Deshalb wurden sie später auch mit Sicherheitsprüfungen auf anderen Gebieten, zum Beispiel bei der Prüfung von Kraftfahrzeugen beauftragt. Der TÜV ist eine Selbsthilfe-Organisation der deutschen Wirtschaft, die der Staat mit hoheitlichen Aufgaben beliehen hat. Heute ist der TÜV ein Milliardenkonzern, der durch drei Holdings, TÜV Rheinland, TÜV Süd und Nord, von Geldanlagen über Skilifte bis zu Regenjacken alles Mögliche prüfe. Selbst spektakuläre Jahrmarktkarussells bekommen vom TÜV das Siegel- denn "TÜV geprüft" kommt bei Verbrauchern gut an. Was das Siegel allerdings über die Sicherheit von Medizinprodukten aussagt, bleibt nach den Erfahrungen des PIP-Skandals offen. O-Ton Heynemann Also der TÜV oder auch andere Zertifizierungsstellen sind sicherlich nicht unabhängig, also jedenfalls nicht so, wie es eine Behörde wäre. Wenn der Hersteller sagt, na ja, das dauert mir zu lange oder ihr seid mir zu teuer, dann suchen die sich eben einen anderen Überwachungsverein, eine andere Zertifizierungsstelle... Autorin Dieser Widerspruch werde allerdings von den Herstellern und von der Medizinproduktelobby vehement bestritten, sei aber nicht wegzudiskutieren, konstatiert Jörg Heynemann und verweist erneut auf die Korrespondenz des TÜV Rheinland und der Firma PIP. O-Ton Heynemann Da hat man wirklich den Eindruck, dass der TÜV am Nasenring vom PIP da vorgeführt wurde. Irgendeine Zertifizierung ging der Firma PIP nicht schnell genug und haben gesagt, ja, wir haben euch doch schon dann und dann angeschrieben. Wo bleibt denn das Zertifikat? Wenn ihr das jetzt nicht schnell macht, dann gehen wir zum nächsten. Da denkt man, wo bin ich hier überhaupt? Es geht doch eigentlich um die Sicherheit der Medizinprodukte und die Sicherheit für die Patienten. Autorin Die Pflichten des TÜV sind in der Medizinprodukterichtlinie geregelt: Sind die verwendeten Materialien zugelassen, nur genehmigte Materialien verwendet? Auch das hat der TÜV bei der Zertifizierung der PIP-Implantate unterlassen. O-Ton Heynemann Aus den Vertragsbedingungen ergibt sich, dass sie jederzeit ein Produkt vom Markt nehmen können, dass untersuchen lassen können und wenn es Auffälligkeiten gibt, dass sie da sofort einschreiten können - also in jedem Vertriebsweg können die da noch einschreiten, die können die Produkte selber prüfen. Autorin Hat man dann einmal Mängel festgestellt, seien die zwar feinsäuberlich in sogenannten Abweichberichten festgehalten worden. Ob sie abgestellt wurden oder nicht, habe man leider nicht überprüft, erklärt Jörg Heynemann. Die Leidtragenden solcher fehlerhaften Kontrollen sind die Patienten. O-Ton Heynemann Also in der Regel haben die Patienten sehr lange, jahrelange zermürbende Kämpfe hinter sich, wenn die ihre Rechte durchsetzen wollen. Das liegt einfach daran, weil sich die Medizinproduktehersteller oftmals der Haftung verweigern, also sagen: Es liegt kein Fehler vor. Oder wenn es ein Fehler ist, dann war er nicht erkennbar, als wir das Produkt auf den Markt gebracht haben. Also wir müssen nicht haften. Autorin Aber wie entziehen sich die Hersteller der Haftung, will ich von dem Anwalt wissen: O-Ton Heynemann Zum Beispiel wenn man jetzt ein Produkt offiziell zurückruft, dann indiziert das mehr oder weniger schon die Fehlerhaftigkeit des Produktes. Der Hersteller macht sich angreifbar, wenn er sagt, ja, wir haben es zurückgerufen. Und das kann natürlich nur zurückgerufen worden sein, weil es fehlerhaft ist... dem können sie sich entziehen, in dem sie sozusagen keinen Rückruf veranstalten, sondern nur einen so genannten Vertriebsstopp. D.h. es wird der Vertrieb weiterer Produkte gestoppt und das auch nur als vorläufig gekennzeichnet, auch wenn der Vertrieb nie wieder aufgenommen wird. Das ist so ein Trick. Wir gucken nur mal, wir wollen es noch ein bisschen verbessern oder so. Autorin Und es geht noch schlimmer, sagt Heynemann: Es wird eine Kanzlei beauftragt, die die Vertreiber-Gesellschaft und nicht den Hersteller vertritt und mit der wird dann verhandelt. Das man allerdings gegenüber dem Vertreiber gar keine Ansprüche durchsetzen kann, bleibt unerwähnt. O-Ton Heynemann D.h. man würde sozusagen mit dem Falschen verhandeln die ganze Zeit und in der Zeit - die Verhandlung können sich über Jahre hinziehen - verjähren die eigentlichen Ansprüche gegen den richtigen Hersteller...und da kann es eben sein, uns ist es nicht passiert, dass da viele andere, insbesondere Patienten, die ihre Ansprüche selbst geltend machen, da ins offenen Messer laufen und in die Verjährungsfalle tappen. Atmo (Mandantengespräch zwischen RA Heynemann und Dr. Rolf Winter) RA: ... die haben ja diesen Beweis erhoben. Da waren sie ja dabei. Als dieser wie hieß er noch? ...Winter: Ach, das... mit den Finger fühlen ...Messtechnik so... fühlen, mit Gefühl... Autorin Rolf Winter ist - wie Annegret Krause- ebenfalls Mandant von Anwalt Heynemann. Die Beiden sitzen an einem Konferenztisch, sehen die Prozessakten durch, beraten, wie sie weiter vorgehen wollen. Der promovierte Physiker Rolf Winter bekam nach zwei Jahren Probleme mit seiner künstlichen Hüfte. O-Ton Winter Wir haben ein Wochenendhaus, haben viel gemacht, stehe aus dem Liegestuhl auf und dann fängt die Hüfte an zu quietschen. Also erst einmal hat es gequietscht. Ich wusste ja nicht, wo es herkommt. Wie so eine olle Kellertür, die verrostet ist... Atmo Handy-Video-Clip Autorin Seine Tochter fand das Quietschen - im Gegensatz zu ihrem Vater - lustig und hat die Szene mit ihrem Handy gefilmt. Der kleine Video-Clip beweist, dass das alles keine bloße Einbildung war, erzählt der heute 70-Jährige. Er hatte zwar keine Schmerzen, aber normal war das Gequietsche nicht. Er ging zu seinem Orthopäden. O-Ton Winter Alles klar, er wusste, was das ist. Sie müssen morgen wieder auf den Tisch... Gebrochen. Die kannten das. Das war also nicht der erste Fall. Sie müssen zur Revisions-OP...Ich so: nach 2 Jahren! Vorher haben sie mir gesagt, 10 Jahre mindestens, 15, vielleicht auch 20 Jahre. Und zwar habe ich Keramik bekommen. Das war damals so der neuste Schrei. Autorin Jedes Jahr werden bundesweit ca. 200.000 künstliche Hüftgelenke eingesetzt. Für viele Mediziner ist das inzwischen Routine. Soll ein Hüftgelenk ersetzt werden, stellt sich die Frage nach dem richtigen Prothesentyp. Über 200 verschiedene Modelle sind in Deutschland auf dem Markt: Total-Endoprothesen, Metall- oder Keramikprothesen, Teilprothesen und oder einfach nur kleine Kappen, die auf den Hüftkopf gesetzt werden. Rolf Winter bekam eine Keramik-auf-Keramik-Prothese. Dabei bestehen sowohl der kugelförmige Hüftkopf, als auch die Hüftpfanne aus Keramik. Keramik gegen Keramik verschleißt am wenigsten. Aber: Die Keramik kann brechen. O-Ton Winter Und sie machen das nicht mehr mit Keramik auf Keramik, neuster Schrei hin und her. Hat sich eben nicht bewährt. Hat niemand vorher geprüft. Hat ihnen auch niemand vorher gesagt... Und dann habe ich gehört beim Gericht, dass der Hersteller das auch zurückgezogen hat, vom Markt genommen. Da war es aber zu spät. Autorin Der behandelnde Arzt riet, erzählt Herr Winter, so schnell wie möglich zum Austausch des Gelenks, um weiteren Schaden abzuwenden. O-Ton Winter Das kann noch schlimmer werden. Dann bricht das Ding richtig und bröselt auseinander und dann können sie auch nicht mehr laufen. Das geht dann nicht mehr. Und deswegen hat er gleich einen OP-Termin gemacht, und das ging dann auch ziemlich schnell. Autorin Eine Wechseloperation ist nicht nur eine erneute große Operation: Die eigentlich gut eingeheilte Hüfte muss aus dem Gewebe herausgeschnitten werden. Und natürlich muss auch wieder ein gutes Lager für die neue Prothese geschaffen werden - das geht nur mit erneutem Gewebsverlust. O-Ton Winter Eine OP ist eine OP. Und so eine Hüfte - das haben die mir vorher gesagt - ist eine große OP: Da geht viel Blut verloren, da wird alles aufgeschnitten und, und... und ja, die zweite OP war nicht ganz so gut gelungen, irgendwie. Also stehen kann ich keine 5 Minuten. Dann schmerzt es. Oder gehen längere Sachen, meine Frau will mit mir spazieren gehen, ich sag, ich kann nicht soweit, Radfahren geht, aber auch nicht so weit - also es war vorher alles viel besser. Autorin In Deutschland werden Knie- und Hüftprothesen aus den unterschiedlichsten Gründen erforderlich. Ca. 62.000 Wechseloperationen im Jahr wies das Statistische Bundesamt für 2011 aus. Probleme bereiten nicht nur die Keramik-Prothesen, auch Metall-auf Metall-Prothesen sind dafür bekannt. Hier kann es zu verstärktem Abrieb an den Metalloberflächen kommen. Die winzigen Partikel gelangen dann in den Körper, und es kann zu Gewebsnekrosen, also zum Absterben von Gewebe kommen. Über die Spätfolgen eines solchen giftigen Partikelabriebs ist noch nichts bekannt. Wenn man davon ausgeht, dass hier nicht - wie im Falle der Brustimplantate der Firma PIP - Betrüger am Werk waren, stellt sich nicht nur Rolf Winter die Frage: Wie kann das passieren? O-Ton Winter Also so ein Ding bricht ja nicht von alleine. Wenn das Ding so ohne weiteres vom Aufstehen aus einem Liegestuhl bricht, dann ist das ein Materialfehler, aus meiner Sicht. Oder ein Herstellungsfehler. Beides kann man prüfen. Wenn natürlich der TÜV eben nur für jedes zehnte oder jedes zwanzigste oder überhaupt nicht, nur auf Sicht macht, dann passiert das eben. Wenn es so etwas gäbe- eine staatliche Prüfung, es vielleicht auch etwas härter anfasst - wird vielleicht jedes Ding mal auf dem Prüfstand gestellt und nicht gleich eingebaut... So wie das für die Arzneimittel ist. Das also Tests vorher laufen, Versuchsreihen. Das man das hier genauso macht ... und das Ding untersucht wird nach allen Mitteln der Kunst. Da gibt es Röntgenstrukturanalysen, man kann das mit Ultraschall machen, mit radioaktiven Strahlen...also es gibt viele Möglichkeiten. Atmo (Maschine piept) Autorin Assistentin Imke Fiedler bedient ein computergesteuertes Messgerät, an dem mit unterschiedlichen Fügekräften der Hüftkopf auf den Schaft aufgeschlagen wird. Die eingestellten Werte schwanken zwischen 500 und 2000 Newton, sollen die Kraft des Operateurs simulieren. Bei dieser Untersuchung misst die junge Frau den Einfluss der Fügekräfte oder einfach gesagt: Wie heftig der Orthopäde in der OP den Kopf einschlagen muss, damit dieser nicht wackelt. Atmo -O-Ton Imke Fiedler Das Problem ist, dass diese Mikrobewegungen dazu führen, das grob gesprochen Korrosion entstehen kann, weil diese Materialien, die verwendet werden, mit Passivierungsschichten belegt sind, die eigentlich vor Korrosion schützen. Dadurch dass diese Mikrobewegungen stattfinden, die wir hier ja messen, kann es sein, dass diese Passivierungsschichten zerstört werden und dadurch dann das Material anfällig ist für Korrosion. Und das ist natürlich ein großer Grund, warum Hüft- Prothesen versagen. Autorin Das Institut für Biomechanik an der technischen Universität Hamburg, wo Imke Fiedler arbeitet, leitet Michael Morlock. Das Institut wird zu ca. 50% aus dem öffentlichen Haushalt finanziert, bekommt aber auch Gelder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und aus der EU. 20% der Einnahmen rekrutiert die Forschungseinrichtung aber auch aus der Industrie. Institutsleiter Morlock betont, dass die Forschung nicht "bezahlt" wird. Das Institut fragt in der Industrie an, ob sie an diesem Problem interessiert sind und bittet dann um Unterstützung. Als Biomechaniker entwickelt der Professor, der selbst Medizin studiert hat, sog. präklinische Testverfahren von Gelenkersatz und prüft neue Materialien und Modelle, um zu verhindern, dass das Implantat später im Körper des Patienten Schaden anrichtet. Am Institut werden vor allem neue Hüft- und Knieprothesen getestet. Diese Prüfberichte können dann die Hersteller bei den benannten Stellen, zum Beispiel beim TÜV einreichen, um eine Zertifizierung und Zulassung zu bekommen. O-Ton Morlock Im Bereich der Hüft-Endoprothetik gibt es ungefähr 30 unterschiedliche Normen, die sich zum einen auf die Festigkeit des Produktes beziehen, d.h. das sind Dauerbelastungsversuche, typischerweise 5 Millionen Zyklen, wo man einfach schaut, - durchschnittliches Patientengewicht von 80 Kilo - hält die Prothese unter standardisierten Bedingungen diese Belastung über 5 Millionen Zyklen aus? Autorin Dauerbelastungstest mit 5 Millionen Zyklen - klingt nach Scharniertests bei IKEA. O-Ton Morlock Das ist genau die identische Idee und bei IKEA wird ja auch nur das Raus- und Reinziehen oder das Öffnen und Schließen irgendwo getestet und in der Hüft- oder auch in der Knie-Endoprothetik hat man sich vor 20 Jahren darauf geeignet, dass der Gangzyklus, und das ist eben die häufigste Tätigkeit, die ein Mensch ausführt, dass der Gangzyklus als Beispiel benutzt wird für diese Dauerfestigkeitstestung. In der Zwischenzeit testen viele Hersteller freiwillig zusätzlich Übergewicht, Stolpern, Treppensteigen, Aufstehen aus dem Stuhl, technisch ist das alles machbar. Autorin Außerdem wird die sogenannte Biokompatibilität getestet, also ob Material und Körper sich vertragen. Man schaut zudem, inwieweit unterschiedliche Materialien Verschleißmengen produzieren, ob unterschiedliche Materialien sich vertragen, eventuell korrodieren oder bei welcher Kraft der Kopf aus der Pfanne springt. Mehr oder weniger jede Situation, die in der Klinik zu einem Problem mit dem Implantat führen könnte, wird überprüft, erklärt mir Michael Morlock. Wenn in der Klinik allerdings neue Probleme auftreten, sind die natürlich nicht mit dabei. Der Professor konstruiert dazu ein Beispiel: ein winziger Blutstropfen bleibt bei der Implantation an der Hüftkopfoberfläche haften. Diese Winzigkeit in Kombination mit dem Übergewicht eines Patienten genügt, um eine ungewollte Reibung zu erzeugen, die dann zu Folgeproblemen mit der Prothese führen kann. Die Variationsmöglichkeiten sind einfach zu groß, um jedes Szenario durchzuspielen. Der Wissenschaftler verfolgt die kontroverse Diskussion zur Prüfung der Medizinprodukte und Vergabe der CE-Zertifizierungen mit Interesse, kann aber die aufgeregte Stimmung teilweise nicht verstehen. O-Ton Morlock Es wird ja immer so dargestellt, dass die Hersteller versuchen, so billig wie möglich ihr CE- Kennzeichen zu bekommen... Man muss jetzt allerdings wissen, dass die verantwortlichen Hersteller, und das sind ja die meisten, dass die die Normen als Grundlage für die Testung machen und dann zusätzlich zu der Normtestung bei sich im Hause sehr viel strengere und härtere Kriterien überprüfen, bevor sie ein Produkt in den Markt bringen... Es wird natürlich immer wie beim PIP-Skandal Unternehmen mit krimineller Energie geben. Aber ich finde, das sollte man in einem völlig anderen Zusammenhang diskutieren. Weil man kann jedes System hintergehen, in dem man irgendwelche Unterlagen fälscht, die man einreichen und das kann nicht zum Standard gemacht werden. Autorin Morlock führt nicht nur Tests vor der Einführung des Produktes durch. Er prüft auch als Sachverständiger, wenn es zu Problemen mit Implantaten gekommen ist. Der Wissenschaftler hat bei seinen Untersuchungen festgestellt, dass die meisten Probleme im Patienten an der Grenzfläche zwischen Implantat und Knochen entstehen. Und Morlock betont noch einmal: Alle Untersuchungen testen nur das Implantat und nie diese Grenzfläche. Hinzukomme, sagt er, dass die Implantate bei der Messung immer perfekt, d.h. normgerecht eingebaut würden. Im Fall der Hüftprothesen verlangt die Norm zum Beispiel, dass der Kopf mit 4 Kilonewton auf den Schaft aufgepresst wird. Atmo aus OP Einbau einer Hüfte ... O-Ton Morlock Was in der Klinik passiert, weiß keiner. Es weiß keiner, wie stark jetzt ein Arzt während der OP den Kopf auf den Konus aufschlägt? Ob er den Konus vorher reinigt oder ob er völlig verschmutzt ist. Was sehr wichtig ist für den Erfolg eines Implantates. Aber all diese Sachen werden präklinisch nicht überprüft.... Wir wissen zum Beispiel bei Keramik, sind kleine Verschmutzungen von Knochensplittern oder Bluttropfen an der Grenzfläche ein großes Problem für die Festigkeit der Keramik und es ist natürlich sehr schwierig bei einer OP zu vermeiden, dass biologische Materialien wie Knochen oder Blut oder Knorpel in die Grenzfläche zwischen die Implantate gerät. Im Bereich der Medizin heißt das, der Arzt und der Patient als die gemeinsamen Anwender, die sind natürlich zu einem sehr großen Prozentsatz am Erfolg einer Implantation beteiligt. Autorin Im Institut sind zum Beispiel Untersuchungen mit Ärzten gemacht worden. Dabei sollten die Operateure den Kopf auf den Konus aufschlagen und die Wissenschaftler haben die Kräfte gemessen. O-Ton Morlock Und die waren zwischen 10 Newton und 10.000 Newton. Also die hatten eine Variationsbreite von einem Faktor 1000... die Norm sagt 2000 Newton und des ist des, was wir getestet haben im Labor. Autorin Und: Im Beipackzettel der Endoprothesen- wie die künstlichen Knie- und Hüftgelenke medizinisch korrekt bezeichnet werden - steht immer: Es werden keine sportlichen Aktivitäten empfohlen. Lesen Sie immer das Kleingedruckte? fragt Morlock provokant. Heute seien Implantate und Endoprothesen soweit entwickelt, dass die Produkte selbst kaum noch versagten, meint der Biomechaniker. O-Ton Morlock Ich glaube, dass die Prüfverfahren, die wir heute haben, im Rahmen der Möglichkeiten, die überhaupt bestehen in einer präklinischen Prüfung, sind ausreichend, um diesen Zweck zu erfüllen. Das Problem ist, dass der Patient und auch die Gesellschaft davon ausgeht, dass das Bestehen eines Prüfverfahrens ein Garant für die Sicherheit des Produktes im Patienten ist. Und das ist es eben nicht. Sondern das ist eine Minimalanforderung und der Garant der Sicherheit der Anforderung. Das muss die Zeit der Produkte im Patienten zeigen, wie weit das erfüllt werden kann oder nicht. Da gibt es keine absolute Sicherheit. Autorin Morlock hebt abwehrend die Hände: Er sei sich bewusst, dass natürlich niemand schuld sein möchte am Versagen eines Medizinprodukts- weder der Hersteller, noch der Operateur, noch der Patient. Um genau festzustellen, wo, was und von wem vielleicht falsch gemacht worden sei, fordert er eine bessere Schadensmeldung. Und zwar beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte. O-Ton Morlock Wir sagen in der Zwischenzeit zu den Ärzten, sie sollen jeden Schadensfall, wo sie den Verdacht haben, dass es irgendetwas mit dem Implantat oder mit der Anwendung zu tun hat, an das BfArM melden sollen. Einfach, um da einmal das Bewusstsein zu schaffen, wie groß das die Anzahl der Probleme ist. Musik O-Ton Schwerdtfeger Wir haben die Aufgabe der Sicherheitsüberwachung, d.h. im Bereich der Medizinprodukte sind wir im Wesentlichen auch dafür verantwortlich, die klinischen Prüfungen in ihren Anträgen zu bewerten und dann auch zu genehmigen, falls die Anträge in Ordnung sind. Und Sicherheitsmeldungen aus der Anwendung von Medizinprodukten oder auch aus der Verwendung im Rahmen von klinischen Prüfungen ebenfalls zu sammeln und müssen sie dann bewerten. Autorin Professor Walter Schwerdtfeger ist der Präsident des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinproduke. Es steht unter Fach- und Rechtsaufsicht des Bundesgesundheitsministeriums. Häufen sich Schadensmeldungen - wie das zum Beispiel in den vergangenen Jahren bei bestimmten Hüftprothesen, aber auch bei den Brustimplantaten der Fall war - nimmt das Bundesamt eine Risikobewertung des Produktes vor. O-Ton Schwerdtfeger Das Ziel ist festzustellen, wie diese Risiken einzustufen sind. Ob sie eben quasi in einer Art von Hintergrundrauschen untergehen, d.h. Einzelrisiken vielleicht sind, die nicht so gravierend sind, die irgendwie bei jedem Produkt mal vorkommen können oder aber, dass sie so sind, dass sie eben nicht tolerierbar sind und man eingreifen muss, um den Risiken dieser Art für die Zukunft entgegenzuwirken. Autorin Anders als die Durchschnittsbevölkerung das beim Namen "Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte" annimmt, greift das Bundesinstitut nicht selbst ein. O-Ton Schwerdtfeger Wir geben eine Empfehlung ab. Diese Empfehlung wird dem jeweils Verantwortlichen - das ist in der Regel der Hersteller oder bei klinischen Prüfungen der Sponsor der klinischen Prüfung - werden an diese Personen oder Einrichtungen weitergegeben und dann allerdings sind wir raus aus dem Geschäft. Das ist so ein oft gehörtes Missverständnis, dass wir dann auch für weitere Dinge verantwortlich wären. Das sind wir im Grunde nicht nach dem Gesetz. Sondern verantwortlich jetzt dafür aus diesen Empfehlungen, die wir abgeben, Handlungen zu machen, ist der jeweilige Adressat, also zum Beispiel der Hersteller eines Produktes. Diese Empfehlungen werden auch zur Kenntnis gegeben der jeweiligen Landesbehörde, zuständigen Behörde- wie es im Gesetz heißt, die also vor Ort oder auch direkt vor Ort des Herstellers der betreffenden Zwischenfälle zuständig ist. Autorin Diese Landesbehörde kann zum Beispiel einem Hersteller, der diese Empfehlung nicht umsetzt, anordnen, dass er es doch tut. Soweit die Theorie. Die Wirklichkeit sieht anders aus, hält Michael Morlock ein Beispiel aus der Vergangenheit dagegen. O-Ton Morlock Der Arzt, der diese Prothese operiert hat, hat sehr sorgfältig über jeden Schadensfall an das BfArM erstattet und das BfArM fand in diesem Zusammenhang die Anzahl der Schadensfälle so hoch, dass nachdem die Firma eine weniger befriedende Antwort auf diese Schadenshäufung gegeben hat, dass BfArM mit dem Regierungspräsidium Kontakt aufgenommen hat und versucht hat, die lokalen Behörden zu überzeugen, die Firma zu überzeugen, das Produkt vom Markt zu nehmen. Es wurden keine Schritte lokal gegen die Firma eingeleitet, weil das war die Wahrnehmung, die wir in der Fachszene hatten, das Regierungspräsidium lokal einfach Angst hatte, dass die Dokumente bzw. die Unterlagen, die darauf hinwiesen, dass es hier eventuell Probleme geben könnte, nicht ausreichend gewesen wären, um eine Klage der Firma gegen das Land zu verhindern. O-Ton Schwerdtfeger Das ist eigentlich so im Gesetz nicht vorgesehen. Nur dazu können wir uns nicht äußern, weil das nicht unsere Zuständigkeit betrifft...Das ist eine klare Trennung der Verantwortung zwischen Bund- und Länderebene. Atmo Herzultraschall Autorin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Kardiologie. Dr. Ali Aydin führt eine Ultraschalluntersuchung durch. Svend Petersen liegt auf der Untersuchungsliege, während sein behandelnder Arzt den Ultraschallkopf über sein Herz scrollt. Alles in Ordnung. Aydin checkt noch das Computerprogramm des Defibrilators. Auch da ist alles "o.B.", also ohne krankhaften Befund. Svend Petersen atmet beruhigt auf. O-Ton Petersen Der letzte Kabelbruch war bei so einer Untersuchung. Da hat der Schrittmacher einen Wert gegeben, der nicht sein konnte. Und beim leichten Druck auf meine Brust hat sich dieser Wert verändert, d.h. der Widerstand im Kabel hat sich verändert, weil da halt ein Kabelbruch war. Den habe ich sogar gespürt. Autorin Und das passierte nicht zum ersten Mal. O-Ton Petersen Zwischendurch hatte ich noch einen Kabelbruch und noch einen Kabelbruch - es sind also mittlerweile 3 Kabel getauscht worden an mir. O-Ton Aydin In den letzten Jahren haben wir mindestens zwei Elektroden gehabt, die Störanfälligkeiten gezeigt haben, d.h. dass diese Elektroden häufiger brechen. Sie müssen sich das so vorstellen, dass eine Elektrode ein Kabel ist, was das Gerät, den Defilibrator, mit dem Herzen verbindet und über diese Kabel wird elektrischer Strom abgegeben, um bei einer lebensbedrohlichen Rhythmusstörung z. B. Kammerflimmern ein Elektroschock anzugeben, d.h. der Patient und sie als Arzt sind darauf angewiesen, dass dieses System in 100 Fällen 100 mal richtig arbeitet. Autorin Medizinprodukte werden nach Risiko klassifiziert. In der Klasse I, also der Klasse mit dem geringsten Risiko findet man zum Beispiel Lesebrillen und Pflaster. Ein mittleres Risiko haben Zahnfüllungen und Hörgeräte, sind damit in der Risikoklasse IIa. Etwas höher werden Kondome und Röntgengeräte eingeschätzt und befinden sich damit in der Risikoklasse IIb. In der höchsten Risikogruppe III finden sich Brustimplantate und Schrittmacher, erklärt Prof. Michael Morlock. O-Ton Morlock Risikogruppe III bedeutet, vereinfacht gesagt, dass eine klinische Studien geführt werden muss, um die Sicherheit des Produktes zu überprüfen. Klinische Studie heißt, dass man eine bestimmte Anzahl von Patienten mit dem Implantat versorgen muss und dann eine bestimmte Zeitspanne abwarten muss, ob es Probleme im Patienten gibt. O-Ton Aydin Wenn man bedenkt, dass es bei uns - beim Defilibrator, bei Aortenklappe- immer um Leben oder Tod geht, ist das eine Sache, wo wir auch vertrauen müssen. O-Ton Morlock Das Problem der klinischen Studie ist, dass die Hersteller sich natürlich Kliniken und Ärzte aussuchen, die nachweisbar sehr gute Erfolge in der Vergangenheit hatten, d.h. eine klinische Studie ist meistens ein Idealfall, wo Ärzte, die sehr gut ausgebildet sind, in sehr guten Umgebungsbedingungen meistens gut selektierte Patienten operieren. Dann steht zum Beispiel im Protokoll einer Studie, der Patient darf nicht über 100 Kilo wiegen. Der Patient darf nicht älter wie 65 Jahre als sein und dann ist natürlich die Schwierigkeit, wenn dann das Implantat hinterher freigegeben wird und von Ärzten operiert wird, die vielleicht nicht diese Erfahrung haben, vielleicht nicht dieses Selektion ihrer Patienten machen - dann kann es eigentlich nicht überraschend sein, dass die Ergebnisse dieser kontrollierten Studien meistens nicht hinterher durch das Ergebnis, was in einer breiten Kohorte erreicht wird, abgebildet wird. Autorin Ein weiteres Problem sieht Kardiologe Aydin darin, dass es keinerlei Kontrollen gibt nachdem die Systeme im Menschen "verbaut worden sind": Es gebe keine klinischen Nachbeobachtungsstudien. O-Ton Aydin Wir wissen natürlich beim Einsetzen nicht, wie das Gerät nach 4, 5, 6, 7 Jahren arbeitet, wie das im Körper reagiert, welche Probleme eventuell im Körper auftreten. Das kann man letztendlich nur bei einem längeren zeitlichen Nachbeobachtungsraum beurteilen. Das ist im Bereich der Medizinprodukte definitiv nicht der Fall. Autorin Natürlich brauche es Innovationen, also Neuheiten, denn sonst gäbe es keinen Fortschritt, keine Verbesserung der bestehenden Therapien. Und dabei sei man eben auf die Hersteller neuer Produkte angewiesen, meint Ali Aydin. O-Ton Aydin Wichtig ist nur, dass man bei der Entwicklung dieses Fortschritts am Ende daran denkt, wie ist der Patient maximal geschützt? Wie transparent werden die Ergebnisse dieser Untersuchung präsentiert, dargestellt? Autorin Erst im klinischen Alltag zeigt sich, ob das neue Produkt wirklich für alle Patientengruppen gut ist. Diese Ergebnisse müssten gesammelt und veröffentlicht werden, im Rahmen von Registern muss das neue Produkt überwacht werden. In der Kardiologie gibt es bereits so etwas: das Aortenklappen-Register. O-Ton Aydin Da wird jede implantierte Aortenklappe dokumentiert und zentral ausgewertet. Und das ist sicherlich der Schritt, der sinnvoll ist. Die skandinavischen Länder machen das schon seit Jahren. In Deutschland sind wir jetzt soweit, dass wir langsam anfangen, diese Daten zentral zu sammeln. O-Ton Morlock Ein verpflichtendes Implantat-Register ist die Grundlage für eine Verbesserung der Situation in Deutschland in der Zukunft, weil nur über ein verpflichtendes Implantat- Register kann frühzeitig erkannt werden, inwieweit das mit neuen Produkten Probleme in der klinischen Anwendung entstehen. Und nur mit einem Implantat- Register kann auch festgestellt werden, inwieweit die Häufung von Problemen auf gewisse Institutionen, sprich Krankenhäuser zurückzuführen ist. Oder auch auf bestimmte Einzelpersonen, sprich Anwender zurückzuführen ist. Autorin Experten fordern seit langem: Eine bessere Kontrolle der CE-Zertifizierer, einen durch Studien nachgewiesenen Nutzen für die Patienten und mehr Transparenz. Bereits 2012 hatte das EU-Parlament beschlossen, alles neu zu regeln. Nach monatelangen Verhandlungen hatte man dann im Oktober vergangenen Jahres endlich einen Kompromiss gefunden: Die Verordnung besagt, dass frühestens 2015 ein Produkt nach der Einführung kontrolliert werden und ein EU-Implantat-Pass eingeführt werden soll. Die ‚benannten Stellen', also die Prüfeinrichtungen sollen ebenfalls besser kontrolliert werden- durch unangemeldete Besuche etwa. Der Brustimplantat-Skandal hat deutlich gemacht, dass man bisherige Kontrollen umgehen konnte. Produkte, die ein hohes Risiko für die Gesundheit der Patienten bedeuten, wie Herzklappen und Hüftprothesen müssen dann ähnlich wie Medikamente klinische Tests durchlaufen. Für Katheter und Endoskope gilt das allerdings nicht. Sie müssen keiner zusätzlichen Prüfung unterzogen werden. Geplant war eine zentrale europäische Kontrollinstanz. Sie hätte - angesiedelt bei der Europäischen Arzneimittelkommission - die Zulassung von Medizinprodukten verantwortet. Dieser Vorschlag wurde abgeschmettert. Die Lobbyisten der Industrie behaupten, dass strengere Zulassungsverfahren mehr Zeit kosten würden, die die kranken Menschen nicht hätten. O-Ton Heynemann Wir brauchen auf jeden Fall strengere Gesetze. Diese Sicherheit der Medizinprodukte ist nicht ansatzweise gewährleistet durch das bestehende System. Aber es ist eben auch ein Systemwechsel erforderlich, so dass man die Zulassung staatlich kontrolliert und auch die Überwachung der Produkte staatlich kontrolliert und das man auch den Patienten Haftungserleichterung schafft, wenn jetzt so ein Produkt versagt, also das sie nicht jahrelang klagen müssen bis sie da zu ihrem Recht kommen. Und das ist auch unbedingt erforderlich. Musik Absage: Schrottplatz Mensch? Wenn Schrittmacher, Hüfte und Co. versagen... Ein Dossier von Dorothea Brummerloh Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2014 Es sprach: Marietta Bürger Ton und Technik: Hendrik Manook und Anna Dhein Regie und Redaktion: Karin Beindorff 2 2