DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hhörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Feature "Niemand kann es weiter bringen als zu sich selbst." Literatur hinter Gittern Von Sophie Gruber Produktion: DLF 2015 Sprecher: Daniel Berger Regie: Anna Panknin Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Sendung/DLF: Freitag, 14. August 2015, 20.10 - 21.00 Uhr (Musik) 03 O-TON Olaf Mein Name ist Olaf und des weiteren möchte ich mich zu meiner Person nicht äußern. Acht Jahre bin ich schon hier. 01 Szene aus einer Sitzung der Literaturgruppe der JVA Tegel: O-TON Olaf / Ende von "Lebensbeschreibung" Keiner wird ihm irgendwann ironisch sagen, "Sie werden es noch weit bringen", da er es so tief im Innern weiß, dass es ihm gar nicht mehr zum Bewusstsein kommt: Niemand kann es weiter bringen, als zu sich selbst. Ich jedochr muss, wenn es mir zu fad wird, ich zu sein, notgedrungen ein andrer werden.... Meine Gedanken sind wie ein Gesang, ein leiser Gesang der Resignation, denn mein jetziger Zustand ist mein Fatum. Klopfen der Häftlinge auf die Tische. Olaf: Unveränderliches Schicksal, damit ihr über das Fatum Bescheid wisst... Frau Käch: Wer möchte was dazu sagen? O-TON Benni Nachvollziehbar, halbwegs klar geschrieben, aber ein bisschen zäh. O-TON Ingrid Kaech Inwiefern zäh? O-TON Benni Hat sich gezogen, es gab keinen richtigen Bogen, es war eigentlich so eine Runtererzählung, also ich hab da nirgendwo so ein großes Highlight gesehen, wo man hingearbeitet hat. O-TON Andreas ...Ich find die ganze Geschichte gelungen. Und es kommt zum Ausdruck, was du rüberbringen willst. Die Idee, seine Biografie ändern zu wollen, von vorn nochmal anfangen zu wollen, wissen, was einem alles so passiert ist, ist eigentlich an sich schon eine tolle Idee, das so auszuarbeiten. Ansage "Niemand kann es weiter bringen als zu sich selbst": Einblicke in Literatur hinter Gittern Ein Feature von Sophie Gruber. 07 O-TON Andreas Ich bin Andreas, ich bin seit über 14 Jahren hier in der JVA Tegel in Haft und verbüße eine lebenslange Freiheitsstrafe. Ich bin 58 Jahre alt. Mein Beruf war draußen Architekt und Bauingenieur. Als ich hier in der JVA Tegel eingeliefert wurde in Haus eins, war das dort alles sehr trist, man war sehr lange weggeschlossen und es gab hier eine Gruppe, die Literaturgruppe, die ich dann genutzt habe, um einfach aus der Zelle rauszukommen. Und habe dann in der Gruppe gemerkt, dass mir das sehr gut tut, in der Gruppe zu schreiben, was hier alltäglich passiert, was mit mir passiert, das den anderen vorlesen zu können, das war ein sehr angenehmes Gefühl. 08/09 O-TON Benni Hallo, mein Name ist Benjamin, ich bin 37 Jahre alt, recht kräftig, 1,80 groß, nee, 1,85 groß sogar geworden. Bin hier in der JVA Tegel seit drei Jahren, seit sechs Jahren in Haft. War früher selbstständig in der Baubranche und arbeite jetzt hier als Zahnarzthelfer.Ich helfe gern, hab hier dann gelernt mich weniger ausnutzen zu lassen, bin sehr loyal, tierlieb, kinderlieb, hab selbst ein Kind und der hat noch einen Bruder, den ich wie meinen eigenen großziehe. Also ich bin verurteilt zu eine lebenslangen Haftstrafe, es geht um den Auftragsmord an einen Immobilienmakler an der Fischerinsel. Und ich kämpfe die ganze Zeit um eine Wiederaufnahme, ich habe die Tat bis heute bestritten und ich werde sie weiter bestreiten Zu schreiben hab ich hier angefangen im Gefängnis, vor allem durch Briefe und durch die Kommunikation, die mir nur noch geblieben ist, weil wir die ersten drei Jahre kaum telefonieren konnten und auch zu lesen, weil ich sozusagen so viel Freizeit hatte, die ich früher gar nicht hatte und wo ich mich auch jetzt nicht anderweitig beschäftigen konnte. 07a O-TON Andreas Warum schreibe ich? Ich schreibe, um die Situation hier in Haft besser überstehen zu können. 10 O-TON Benni Ich schreibe vor allem wegen der Einsamkeit, wenn ich Langeweile hab, um die Zeit totzuschlagen, um mir Wörter wieder ins Gedächtnis zu holen, bevor ich sie vergesse. Um mich abzulenken, um Sachen zu verarbeiten, Erlebnisse, Geschehnisse, die den Alltag betreffen, die die Vergangenheit betreffen, oder auch, um einfach auch meine Fantasie sozusagen anzuregen. 04 O-TON Olaf Ich schreibe deshalb, weil ich Spaß daran habe und zum anderen auch deshalb, weil wir hier in einer Situation sind, wo wir leicht unsere Sprache verlieren. Das heißt wir, ja, wir unterhalten uns hier nur über Haftsituation und Dinge, die hier in der Haft geschehen und es findet kein Austausch von, oder kein kein Input von draußen statt. Und somit sind die Worte, die wir hier haben sehr begrenzt (...) Das ist einfach für mich, um meinen Geist weiter...nicht austrocknen zu lassen. Also um ihn zu beschäftigen (...) Ich schreibe auch deshalb. 05a O-TON Olaf und Sprecher Olaf Keine Autobiographie Mein Name ist Josch. Ich erwähne ihn nur deswegen, weil ich außer meinem Namen, mein Wort und eine Waffe nichts weiter besitze. Warum ich ausgerechnet eine Waffe besitze? Warum nicht ein Schuhlöffel, Korkenzieher oder ein Teddy? Zum einen, weil ich die aufgeführten Gegenstände nicht mein Eigen nenne, und zum anderen, weil die Waffe mich am Leben erhält. Durch sie habe ich jederzeit die Möglichkeit, mein tristes Dasein zu beenden. Sie schenkt mir die Freiheit der Entscheidung. Töricht könnte man dies nennen, wie alles Fahnden nach einer Ursache auf dieser chaotischen Welt, ich sehe nur die Wirkung und die Folge; dass meine Seele das Gleichgewicht verloren hat, etwas in ihr aus der Balance geraten ist, ein Versiegen des inneren Antriebs kann ich konstatieren. Der Grund dafür, der Grund meiner Lustlosigkeit, liegt tief in mir, in der Erkenntnis des Nicht-Veränderbaren. Das Schlimmste ist: Ich sehe nichts, wodurch ich meiner trostlosen Lage auch nur eine kleine Änderung geben könnte. Die Waffe ist die einzige Konstante in meinem Sein, sie hat die Funktion eines Hüters, eines guten Freundes, sie ist immer da. Keine Dominanz, keine Unterdrückung, keine Beurteilung meiner Fähigkeiten. Sie ist eine Pistole mit dem Namen Ber-reta. Jeden Abend vor dem Einschlafen öffne ich die Schublade meines Nachttisches, in der sie liegt, behütet in einer flachen Holzschachtel, eingebettet in Schaumgummi und eingewickelt in ein Tuch. Wir führen dann ein stummes Zwiegespräch, einen Dialog der besonderen Art, und danach schlafe ich beruhigt ein. Der Wunsch nach dem Endgültigen entsteht in mir dadurch, weil die Leere in mir eine vollständige, sozusagen planmäßige ist, bei dem beklagenswerten Fehlen irgendwelcher aufwühlenden Elemente. Meine Tage sind geprägt vom Nichts und durch das Nichts, sie reihen sich aneinander wie (falsche) Perlen an einer Kette. 12a O-TON Olaf Diese Themen, die ich so schreibe, handeln natürlich häufig von Phasen, die wir hier haben, Depres.. auch depressive Phasen. Wir fallen alle irgendwann in ein Loch und da, um da nicht ganz reinzusinken, schreibe ich (...) 05b O-TON Olaf und Sprecher Olaf Die Vorstellungen in meiner Jugend von meiner Zukunft hoben sich nicht von anderen ab, ich hatte Träume und Pläne, wie mein Leben sich einmal gestalten wird. Jedoch lebte ich, während und nach meiner Lehre als Bankkaufmann, einfach dahin, ich hatte Freundinnen und Freunde, eine unbeschwerte Zeit. Die Pläne für meine Zukunft verblassten, nahmen andere Konturen an, und die Erinnerungen an sie gingen im glücklichen Nichtnachdenken unter. Die Grille aus der Fabelwelt, die den ganzen Tag lieber musizierte, sich den Freuden des Lebens hingab und keine Vorräte für den Winter anlegte, wurde mein Vorbild, man könnte auch sagen: ein naher Verwandter. Ein Leben ohne jede Verantwortung, ohne Kontinuität. Eine plötzliche Veränderung, mein Fatum, trat in der Gestalt einer wunderschön aussehenden Frau auf mich zu. Sie war, was zu bedauern war, aber mich nicht weiter störte, verheiratet. Meine Liebe zu ihr machte so enorme Kräfte frei, dass ich mein Grillenleben aufgab und mich an meine Träume erinnerte und sie mit ihr verwirklichen wollte. Wie so oft kam es anders, als ich mir in meinen kühnsten Träumen erdenken konnte. Meine Vernarrtheit ging so weit, dass ich, als ihr Mann sie eines Tages schlug, ich zu ihm fuhr und ihn schlug. Er fiel dabei sehr unglücklich mit dem Kopf auf das Pflaster und war tot. Die Entscheidung des Gerichts war kurz und klar, ich kam ins Gefängnis für dreieinhalb Jahre. Die geliebte Frau kam nach "kurzem, intensivem inneren Kampf" zu der Erkenntnis, dass sie die gewonnene Freiheit nicht mit einer Grille verplempern wolle, auch die Bank, bei der ich gearbeitet habe, befand, dass die Arbeit nun ohne mich zu bewältigen sei und kündigte mir, mit allgemein bekundetem Bedauern. Das Schicksal machte mir deutlich klar, dass ich für jede Lust zu zahlen habe. In jenen Tagen wurde das unnütze Sein in mir so real, dass ich gehen wollte, mich auflösen und nicht einmal einen Fleck hinterlassen, einfach verschwinden. Die pure Sinnlosigkeit meines Daseins bekam eine solche Intensität, dass ich beschloss, die Zeit, die ich noch auf Erden hatte, schlagartig zu verkürzen. Und hier begegnete mir Ber-reta. Von diesem Augenblick an bin ich ihr Besitz geworden, sie ist nicht mehr mein Eigentum, ich bin der ihre! Sie führt mich, verführt mich zu immer stärkeren Liebesbezeugungen. Ich drücke sie an meine Stirn, an mein Herz, ich werde mehr und mehr zu einem Besessenen, ich finde sie immer betörender in ihrer filigranen Art und mit ihrer bläulichen Patina. Durch meine Besessenheit starre ich mit immer größerer Bitterkeit in mein Leben zurück und verleugne alles, was mir lieb war. Nun hasse ich meine Sucht nach dem Nichts, so sehr, dass ich beginne, mein Leben zu hassen, weil es mich an diesen Punkt geführt hat. 06 O-TON Olaf Die Vergangenheit ist so, ich seh in allem eine Ursache und Wirkung. Und mein Leben oder die Ursache war irgendwann, dass ich geboren bin, wurde, und die Wirkung, dass ich gelandet bin, im Gefängnis. Und... natürlich befasse ich mich auch damit und teilweise spiegelt dann der Text so bestimmte Phasen meiner Biografie wieder. 05c O-TON Olaf und Sprecher Olaf Ich bin wie ein unkörperlicher Schatten, schwanke hin und her, nicht fähig zu empfinden, voller Ängste vor dem Jetzt, ohne Halt und ohne Liebe, Jahr aus Jahr ein gebunden im täglichen Trott, gefangen in mir selbst. Warum soll mir also ein für mich beschlossener, strahlender Tod entgehen? Gevatter Hein zu einem Popanz zusammenschrumpfen, zu einem labbrigen Spottbild. Wäre das Ber-reta gegenüber gerecht? Mag sein, wie es will, mir bleibt nichts anderes übrige, ich kann es drehen, wie ich will, ich werde von dannen gehen, die Welt, dieses Tollhaus mit all den beschrifteten Ausgängen mit einem blendenden Knall verlassen, verlassen. ... Was ist eigentlich Bewegendes dabei? Der Vorhang fällt ... ich stehe dahinter, niemand sieht mich ... Welch eine tiefe Freude! Die Zeit der Furcht ist vorbei. Ohne Anlauf werde ich ins Nichts springen. Ein Gedanke keimt in mir auf und nimmt mich gefangen: Sollte ich vielleicht doch bleiben? Mir ging es doch einst gut, wie den meisten Menschen auch. Mit einem Schlag, wie ein Brennen in meinem Kopf, erkenne ich den Wandel der Zeiten, die in den letzten Jahren an mir vorbeigegangen sind, den Verlust an Freunden, von Leben, Familie und Glück. Dieses Erwachen und die Erkenntnis tun unheimlich weh, es zerreißt mich und spült all die glücklichen Erinnerungen in mir hoch. Ich erkenne auch den Wandel meiner selbst, ich muss sofort eine Veränderung vornehmen, aufstehen und ebenso zufällig, oder besser gesagt schicksalhaft weggehen, auswandern und das Leben neu angehen. Ich stehe auf und gehe in den Tag hinaus, ohne mich noch einmal umzusehen, nunmehr frei von jeglicher Angst. Ich besitze nichts mehr als - wie gesagt, mein Name ist Josch. 27 O-TON Olaf Ich schreibe häufig auch längere Geschichten, aber nicht mehr als fünf, sieben, bis sieben Seiten. Und das sind, meist auch abgeschlossene Geschichten, meist. Ich schreibe Briefe, aber die sind halt nur an die Familie und Freunde (...) Tagebuch habe ich bis Anfang dieses Jahres geführt, zumindest habe ich mein, Dinge aufgeschrieben, die wichtig für mich waren. Gespräche mit der Gruppenleiterin, also sozusagen Gedächtnisprotokolle, wo ich hinterher nachvollziehen konnte, was da so im Einzelnen besprochen wurde. Aber mein Schreiben handelt nicht von meiner Tat oder von meinem Handeln oder von meinem Weg zur Tat, also das hat damit nichts zu tun. (Musikzäsur) 11 O-TON Andreas Worüber schreibe ich? Ich schreibe überwiegend über die Haftsituation. Und umso länger ich hier inhaftiert bin und umso weiter das Leben von damals zurückliegt, beschäftige ich mich mit den Sachen, die hier drin passieren. Und wenn ich drüber nachdenke, gibt es nicht einen einzigen Text, glaube ich, der sich mit der Vergangenheit draußen in Freiheit beschäftigt. 12 O-TON Olaf Also `ne Vergangenheit, die ich habe, die verblasst immer mehr, das ist ein Fluch an diesem Gefangensein. Das ist auch ein Irrglaube zu denken, dass wir, die wir hier eine Tat begangen haben, immer darüber nachdenken (...) Es wär sonst nicht auszuhalten und man verdrängt's sehr leicht und nach einer gewissen Zeit, nach einigen Jahren, ist das auch nicht mehr relevant. Es ist auch ein Grund, die Vergangenheit nicht verblassen zu lassen, dass ich schreibe, das ist auch ein Grund mit. 13 O-TON Andreas Mit der Zeit vor der Haft beschäftige ich mich bewusst nicht, weil es gibt dort viele Sachen, die, wenn man sich daran erinnert, wehtun. Wenn ich hier draußen im Freistundenhof spazieren gehe und sehe irgendwo Farne wachsen, dann tut mir das in der Seele weh, weil ich hatte eine Vorliebe für Farne und hatte in meinem Garten viele Farne gepflanzt, unterschiedlichste Sorten. Und sie dann zu sehen, wie sie hier, hinter den Mauern, irgendwo in der Ecke rumgammeln, es tut einfach weh. (Musikzäsur Benni?) 17 O-TON Benni Das Gedicht ist eins zu eins quasi zu meiner Geschichte. Ich bin aus dem Urlaub gekommen und dort verhaftet worden, vom SEK sozusagen zu Boden gehauen worden. Ich stand schon tagelang in der Zeitung, ich bin bei jedem Besuch überwacht worden, meine Briefe haben vier bis sechs Wochen gedauert bis sie die, meine Angehörigen überhaupt erreicht haben. Meine Wohnung ist durchsucht worden, ich war emotional völlig überfordert. (Blättern) 15 O-TON Benni (und Sprecherin?) Er An Dich zu glauben Zurück aus dem Urlaub zu Boden geworfen, oft denk' ich zurück, um an etwas zu glauben. Durchsuchung, Verhöre - mit Spott und Hohn folgte zur Belohnung - die Isolation. In der JVA wußten alle, wer ich war, denn in der gestrigen Zeitung war ich der Star. Tagelang sah ich ins flimmernde Licht und schloss die Augen, so schwer lastete der Zweifel - um ans Gute zu glauben. Die Tage vergingen, ich schlief keine Nacht - und wurde bei jedem Besuch überwacht. Aufgewühlt und zermürbt , wir sahn uns nicht ganz, der Kontakt blieb verboten, wir war'n wie in Trance. Emotional überfordert, die Schuld wirkt so schwer, Ich tat was ich kann, wurd' dem Gedanken nicht Herr. Die Wohnung verloren, zerbrach alles um mich herum konnte Dich nicht mehr sehen, wurde als Abschaum beschrieben, im Gericht bloßgestellt - fand ich keinen Frieden. Hatte Angst so zu leben, sah nur noch Gefahr, wollte kein Ballast mehr sein - war dem Suizid schon so nah. Das Stigma des Täters ertrug ich nicht, war so allein und fragte Dich nicht. Vom Gericht deklassiert - die Blicke vermieden d'rum schließ' ich die Augen, verlier' meinen Glauben Hab keinen Wert mehr am Leben und gehe in Frieden. 15a O-TON Benni Also das Erste geht um die Gedanken, die er hat ... (Blättern) und parallel geht es jetzt um die Gedanken die sie hat. Also: Sie... 16 O-TON (Benni und) Sprecherin Also: Sie Dir meinen Glauben zu zeigen Zurück aus dem Urlaub, Du wurdest verhaftet, zuvor war alles noch so gut, getrieben von Verzweiflung bleibt mein Mut. In Verhören belogen, die Wohnung durchsucht, hätten wir den Urlaub doch länger gebucht. Der Anwalt war bei Dir - Du schriebst mir sogleich, noch herrscht das Chaos, ich räumte es auf, der Brief wurde kontrolliert, ich wartete drauf. Die Besuchserlaubnis beantragte ich gleich , las im Internet alles über den neuen Bereich. Die Tage vergingen, Ich brachte Dir Wäsche, Du sollst an mich denken, ich schlaf keine Nacht - ich werde bei jedem Besuch überwacht. Aufgewühlt und zermürbt, wir sah'n uns nicht ganz, der Kontakt blieb verboten, ich war wie in Trance. Egal was passiert ; ich glaub' keinen Lügen mach was ich kann, Ich liebe Dich ... Du bist doch mein Mann. Die Wohnung verloren, alles zerbrach um mich rum doch steh' ich zu Dir , was immer auch kommt. Ich versuchte es zu zeigen - war auch vor Gericht Ich sah, Du schämst Dich - verbargst Dein Gesicht. Hab keine Angst, so zu leben, solltest nicht seh'n die Gefahr, ich hatte auch Angst, doch blieb ich da. Du fandst Deine Lösung und ließt mich zurück, jetzt war ich allein und fand kein Glück. Es wurde nicht leichter - ich war so allein, ich konnt´s Dir nicht zeigen - es bleibt so gemein. Die Tage vergehen, ich pflege Dein Grab, Du soll an mich denken, ich schlafe keine Nacht - ich werde nie mehr beim Besuch überwacht. Aus der Gesellschaft verbannt, mein Leben in Trümmern, stehe einsam wie immer an deinem Grab. Geächtet, gebrochen, kein Glauben ans Leben bin ich so verzweifelt, weil ich Dich nicht hab'. 17a O-TON Benni Ich war emotional total überfordert und meiner Freundin ging es damals denk ich genauso, oder.. es ist ihr genauso gegangen (...) In Moabit waren die ersten Besuche nur durch die Glasscheibe, es war absolutes Kontaktverbot. Ich durfte auch, ich glaube, neun Monate nicht telefonieren und war völlig abgeschnitten. Hab dann damals eigentlich schon gesagt, sie braucht nicht mehr zu kommen und soll ihr Leben leben und wie das Urteil feststand und die Revision dann auch abgelehnt worden ist, hatten wir dann beschlossen, uns zu trennen. (Musikzäsur) 18 O-TON Andreas Für wen schreib ich? Ich schreibe für mich, ganz alleine, ich will die Zeit überstehen. 19 O-TON Olaf Im Moment schreibe ich hauptsächlich für mich, um nicht in solche Löcher zu fallen,(...) um keine Depression zu haben, um mich zu artikulieren, um Freude am Schreiben zu haben und am Text. 18f O-Ton Andreas Und ich hab mitbekommen, dass wenn ich meine Texte in der Literaturgruppe vorlese, die anderen Mitglieder Spaß an meinen Texten haben, sie hören zu. Und wenn dann einer sagt, ja, genauso ist es Andreas, das hab ich auch so empfunden, dann hab ich eigentlich meine Aufgabe, die ich haben wollte, erfüllt. 19f O-TON Olaf Es geht mir schon darum, dass die Texte... die werden gelesen von mein, von meinen Verwandten und von meiner Frau (...) Es ist nicht wichtig, ich schick die nur raus. Ich schreib zwar für mich, aber ich schick die auch raus. Die haben aber für mich nicht diese große Bedeutung, ich möchte nicht irgendein großer Schriftsteller werden. 20 O-TON Andreas Für wen schreibe ich nicht? Ich schreibe sicherlich nicht für die Anstalt, sicherlich auch nicht, um ein Buch rauszugeben, es ist wirklich nur für mich ganz alleine (...) also ich experimentiere mit den Empfindungen, mit den Emotionen, was hier insbesondere in Haft passiert und versuche, mich da auch sehr nahe heranzutasten. Zum Beispiel haben hier viele Inhaftierte früher oder später einen Gedanken zum Suizid, insbesondere, wenn sie sehr lange da sind und das zu Papier zu bringen, was in einem Menschen vorgeht, wenn er hier jahrelang eingesperrt ist, wenn er keine Hoffnungen mehr hat, wenn alles schief läuft, so was reizt mich. Das sind aber alles Themen, die ich nicht vor einem Psychologen ausbreiten möchte, weil die auf mich als Autor reflektieren und irgendwas reininterpretieren, was so überhaupt nicht gedacht ist. 22 O-TON Olaf Natürlich wollen wir nicht, dass unsere Texte von Psychologen interpretiert werden sollen Hier, äh, sind die Therapeuten Opportunisten. Das heißt, sie machen all die Dinge, oder versuchen all die Dinge so zu, hinzustellen, dass wir - dass ist auch ein bisschen banal - schlecht sind. Dass wir irgendwelchen Makel haben, Fehler, die, auf die man hinweisen kann, auf die man deuten kann. Das wird hier häufig so gehandhabt, dass man seine Worte abwägen muss. Wir sind hier oft nicht wir selbst, wir zensieren unser, (...) unsere Worte, wir wägen ab, was wir sagen können und was wir nicht sagen können. Und damit, um damit den - sagen wir ruhig Gegner - keine Möglichkeit zu geben, uns... in ein schlechtes Licht zu rücken. 21 O-TON Benni Ja, da hab ich keine Hemmschwellen. Also ich hab einen Therapeuten, da geh ich jeden Dienstag sozusagen hin, zwar erst seit drei Monaten und der soll mir einfach helfen, meine Kindheit oder das Erlebte sozusagen zu verarbeiten. Und ich hab mit ihm auch besprochen, dass das Geschriebene, oder diese Arbeit, die für mich nicht sichtbar ist, dass das unheimlich schwer ist für mich, das wertzuschätzen. Wenn ich zum Beispiel früher Häuser gebaut hab, Wohnungen renoviert hab, hab ich das Ergebnis gesehen. Wenn ich einen Text schreibe, weiß ich nicht, ob ich damit was verändere, was bewirke, ob sich meine Denkstruktur ändert und damit was anzufangen, fällt mir noch wesentlich schwerer als wenn ich etwas sinnbildlich vor mir sehe. (Musikzäsur) 30 O-TON Olaf Wenn ich nachts aufwache und anfange zu schreiben, ist es nur ein Gedanke und den bringe ich zu Papier und danach beginnt eigentlich für mich die Schwierigkeit. Ich muss, oder ich arbeite dann sehr intensiv und verwerfe und schmeiße weg und schreibe neu. Aus zehn Seiten werden fünf, aus fünf Seiten vielleicht nur zweieinhalb. Und so entsteht das alles. Ich schlafe nicht viel hier. Ich kann hier nicht schlafen, das ist kein... mich stört alles: das kleine Bett, es stört mich der kleine Raum, es stört mich jedes Geräusch. 29 O-TON Benni Also ich schreibe in der Regel entweder auf Arbeit, nachmittags, wenn ich keine Sportveranstaltung habe, oder eher abends nach 21:30 Uhr, wenn ich für mich alleine bin... Wenn ich Lust habe oder mich motivieren kann oder wenn ich weiß die Literaturgruppe rückt näher oder ich hab jetzt ne Idee gehabt, worüber ich schreiben möchte. Ich bin der Einzige, der einen Computer hat (...) glücklicherweise durch mein Jura-Studium und das BWL-Studium, aber die meisten Texte schreibe ich eher per Hand. Ich schreibe meistens eher leicht, und tendiere dann dazu, die Sachen noch einmal zu bearbeiten und versuche, dann doch etwas Lethargie oder Dramatik oder ne lustige Wendung da noch mit einzubauen 24 O-TON Andreas Das kommt spontan, ich nehm `s mir nicht vor und wie man das, was ich schreibe, bezeichnet, weiß ich nicht ganz genau, es sind literarische Texte, ich glaub Lyrik ist es nicht. Es sind ganz normale, einfache Texte. Wann schreibe ich? Ich schreibe überwiegend abends und in der Nacht. (Musikzäsur Andreas?) 32a O-Ton Andreas und Sprecher Das Skelett im Zug 23:44 Uhr. Durchs weit geöffnete Fenster tönt das Auspuffröhren einer schweren Maschine. Der frisierte Auspuff ist laut wie ein startender Düsen-Jet, und das mitten in der Nacht. Ich dreh mich zur anderen Seite, dreh mich zurück, und verharre auf dem Rücken liegend - den Blick zur Decke, dann zur Uhr gerichtet. Die digitalen Leuchtziffern des Radioweckers zeigen nun 23:45 an. Mein Geist ist hellwach und er will - wiedermal zu nachtschlafender Zeit - etwas zu Papier bringen, will mich zum Aufschreiben einer Geschichte animieren. Ich kenn' das Prozedere und sollte mich jetzt besser aus dem Bett heraus bewegen, bevor ich die ganze Nacht von meinem Geist wach gehalten werde und mich morgen früh an die Details, oder gar die ganze Geschichte nicht mehr erinnern kann, und mich dann maßlos ärgere, nicht aufgestanden zu sein. Ich tu's. Verschlafen und noch etwas aufsässig und unwillig steh ich auf und geh' zum Schreibtisch, knipse das Licht der Tischlampe an, greife mir meinen Schreibblock und meinen Füller, und setze mich zurück auf die Bettkante. Ich mag nicht, bin müde, aber die Hand schreibt wie von selbst. Wie ferngesteuert - denke ich. Ich hab' Lust die schöpferische Nötigung meines Geistes zu boykottieren. Der Strom der heraussprudelnden Gedanken lässt sich nicht so einfach abstellen, aber ich könnte versuchen, sie in die Irre zu leiten. Ein halbe Seite habe ich schon zu Papier gebracht. Mal sehen, ob ich es schaffe, meinen Geist auf der langen Bank verhungern zu lassen? 31 O-TON Andreas Also meine Texte, die ich hier mithabe, habe ich ausgesucht, weil ich mitbekommen habe, dass es viele Inhaftierte gibt, die den Bezug zur Realität verlieren. Die in ihrer eigenen Welt leben, viel rumphantasieren, und ich mich dann gefragt habe, woran liegt sowas, wie kommt es, dass jemand so einen Realitätsverlust hat. 32 b O-Ton Andreas und Sprecher (Erzählung Andreas, Forts.) Es geht mit dem Aufzug abwärts. Gerade ist er am 10. Stock vorbeigerauscht, da zeigt die Anzeigetafel auch schon den 20. Stock an. Es fühlt sich an, als ob es im freien Fall nach unten geht. Das Minus-Vorzeichen bei der Stockwerksanzeige muss man sich wohl denken. 10 Meter in der Sekunde ist er schnell, so steht es auf dem Schild des Herstellers. Für 10 Stockwerke braucht er 3 Sekunden. Ich vernehme nur ein leichtes Rauschen. Ein kühler Luftzug streicht über meine Haut. 30-igster Stock: Damenunterwäsche, BHs, Trikotagen, erinnere ich mich an frühere Zeiten, an die Ansagen im Kaufhaus des Westens. Aber eine Ansage wie in einem Kaufhaus gibt es in diesem Aufzug keine. 31-igster, 32-igster: Kinderspielzeug, Porzellan und Nippes. Meine Erinnerungen an die Kaufhausansagen können mit der Fahrgeschwindigkeit dieses Aufzuges nicht mithalten. Ich sollte nicht ganz so weit in die Vergangenheit ausschweifen, wenn ich gedanklich mit seiner rasanten Abwärtsbewegung mithalten möchte. 39-igster Stock: Strafe und Vergeltung. 40-igster: Psychotherapeutische Beratung. Auf einer Werbetafel neben der Tür lese ich das Webebanner: "Reden Sie mit uns - um Kopf und Kragen." 50-igster Stock, mir wird schlecht. Falsche Richtung denke ich. Immer nur nach unten, das kann nicht gut sein, und so schnell sowieso nicht. Mir ist koddrig. Ich drücke den Not-Knopf und spreche in das Mikrofon im Schaltpaneel, gleich über dem Schild des Herstellers: "Will raus - mir reicht's!" Eine Stimme antwortet und das ziemlich laut: "Bitte den Müll entsorgen - jetzt gleich, Zack, Zack." Neben mir sehe ich einen Handkarren mit blauen Säcken voller Müll. Manche prall gefüllt, andere ganz schlaff und mitleidig aussehend. Für eine Abteilung "Spaß und Lebensfreude" ist das hier schon viel zu tief unten. Es stinkt. Milch läuft aus einem Sack auf den Fußboden. 54 - ich sollte aussteigen, sollte die Richtung wechseln. Ich bin schon viel zu tief geraten. Weiter unten, vermute ich, kommt nur noch die Müllentsorgung, dass Sammeln von Unrat, und die Trennung in Ab und Schaum. Ich fühle mich ausgebremst. Drücke mehrmals die Taste zum Halten. 55 - er hält. Die Zeit reicht zum Aussteigen. Ich bin in der Parketage. Parkplatz der Träume - hat jemand übergroß an die Parkhauswand gesprayt, Illusionen hinter gelben Linien. Ich muss überlegen, auf welcher Seite stehe ich? Spinnweben in allen Ecken. Von der Decke hängt ein Schild mit einem Pfeil drauf und der Aufschrift "Ausgang". Auch davor eine durchgezogene gelbe Linie, selbstredend, überschreiten verboten. Aus einem Lautsprecher ertönt immer wieder die gleiche Durchsage, eine endlose Wiederholung zweier Sätze: "Ihr Zeit ist abgelaufen. Bitte gegeben Sie sich ..." Aber der zweite Satz ist von Rauschen und Knacksen völlig verzerrt. Ich kann nicht mal erahnen, wie ich mich an dieser Stelle richtig verhalten sollte. Und überall gelbe Linien. Besser hier ausgestiegen, als auf der Etage der Realitäten. Welcher Irrsinn hätte mich wohl dort erwartet, denke ich mir. "Das wahre Leben", "Zum Leben danach", die Worte las ich ganz unten, neben dem letzten Knopf zur untersten Etage. Und dann stand da noch das Wort: "Müll". Meine Blicke durchfliegen das Parkhausdeck. Ich bin zu lange nicht mehr Auto gefahren. Vom Sportwagen mit Kupplung und Fünfgang-Schaltgetriebe sollte ich die Finger lassen. Eine Illusion. Ich seh' nur leere Parkhäfen und überall gelbe Linien. Ich bin zu tief. Ich sollte hier nicht sein. 31 O-Ton Andreas Wobei mir dann auch die Frage aufgekommen ist, wo ist der Bezug, wo sollen sich die Inhaftierten denn drauf beziehen, hier in der Anstalt, wo viele Sachen 40,50 Jahre in der Zeit zurückliegen, wo man eigentlich nur weggesperrt ist, wo man mit uns nicht vernünftig umgeht - wo soll man da einen Bezug herstellen 32c O-Ton Andreas und Sprecher Das Parkdeck hat Zugang zur Schnellbahn. Weiße ICEs rauschen hinter Glaswänden durch den Bahnhof, so schnell, dass ich die Waggons der Züge nicht zählen kann. Ab und an bleibt einer stehen und ich schaffe, in einen von ihnen einzusteigen. Es zerreißt mich förmlich, als er wieder anfährt. Der Zug rast überschnell aus dem Bahnhof mit unglaublicher Beschleunigung, und schließt sich sogleich an den vor ihm fahrenden lückenlos an. Unendlich viele Züge reihen sich aneinander. Die Waggons verwischen zu einem weißen Band. Ein kühler Luftzug streicht über meine Haut. Im Zug sehe ich die digitale Anzeige und die rot leuchtenden Zahlen 23:48. Geschwindigkeit oder Zeit? Mit zunehmender Beschleunigung müsste meine Masse abnehmen. Meine Masse nimmt aber nicht ab. Mein Radiowecker zeigt die gleichen roten Ziffern wie die Anzeige im Zug: 23:48 Plötzlich hält der ICE auf offener Strecke. Wieder höre ich diese mir schon bekannte Ansage: "Ihr Zeit ist abgelaufen. Bitte gegeben Sie sich ..." - und wieder ist die Ansage unterbrochen von Rauschen und Knacksen. Ohne lange zu überlegen, steige ich aus, hab ja auch keinen Fahrschein für diese Reise, und auch kein Geld um nachzulösen. Hab' mich also wahrhaft weggestohlen, stelle ich ironisch fest. Aber beim Aussteigen drückt mir ein Mann in dunkelblauer Uniform doch noch schnell eine Rechnung zu. Ich muss grinsen - über diese moralische Komponente. Ich sollte im Leben nichts schuldig bleiben, erst recht nicht, wenn ich vorzeitig aussteige. Nun stehe ich im Freien, steh' neben der Strecke. Sekundenbruchteile später ist der Zug weg, jagt das weiße Band in Richtung Horizont. Ich schau auf die Rechnung. Lese: Inkasso "bis-zu", zahlen Sie bitte 2.8 Millionen Euro bis, oder stimmen Sie einer Ratenzahlung zu. Mein Grinsen ist einer schon erschreckenden Blässe gewichen, und die Faust, sie bleibt in der Magengrube stecken, bohrt sich tiefer und tiefer. 31a O-Ton Andreas Da habe ich mitbekommen, dass einige, die entlassen worden sind, wo man dann auch in den Fernsehberichten gesehen hat, wenn die von ihrer Haft erzählen, dass einige an der Haftsituation echt irregeworden sind. Die haben den Verstand verloren. 32d O-Ton Andreas und Sprecher Zwei Gleise weiter steht ein anderer Zug auf freier Strecke. Es ist kein ICE. Von weitem sieht der Zug wie eine alte S-Bahn der 40er Jahren aus. Mich trennen von dem Zug vielleicht vier oder fünf parallel verlaufenden Gleise. Ich gehe in die Richtung, will zu dem Zug und muss mich dabei durch hohes, sehr hohes Gras bewegen. Ab und an stehen Brennnesseln - brusthoch. Die Gleise, die ich überwinde, sind alt, verrostet und von Unkräutern überwuchert. Grasgrillen zirpen, Vögel zwitschern versteckt im Gestrüpp. Ich erreiche die alte Stadtbahn und erklimme das Trittbrett eines Waggons. Zwischen dem Gras leuchten die Blüten des roten Mohns, und während ich in den alten Waggon eintrete, streicht wieder ein kühler Luftzug über meine Haut. Ich bin allein im Zug, ganz allein. Nur die Grasgrillen und die Vögel sind zu hören. Alle Waggons sind zweite Klasse, haben Holzbänke und die Haltegriffe sind noch aus Messing. Unter manchen Sitzen sehe ich noch die alten Lamellen-Heizkörper aus lang vergangener Zeit, und unter jedem Fenster die massiven Aschenbecher und neben der Tür ein Schild vom Hersteller mit dem Schriftzug: " Typ 165, Baujahr 1942". Mit so was will heute keiner mehr an sein Ziel gelangen. Schreib ich - wie ferngesteuert Das Abteil ist sauber und gepflegt, als wäre gerade eine Putzkolonne durch den Zug gegangen. Ich setze mich auf eine der Holzbänke - schaue aus der weit geöffneten Zug-Tür ins Freie. Das Unkraut steht höher als der Waggonboden. Knöterich und Efeu wachsen durch das herabgelassene Fenster neben der Tür. Der Waggon ist Sonnendurchflutet. Der Geruch von kaltem Zigarettenrauch, von Nikotin steigt mir in die Nase. Draußen streiten sich zwei Raben auf einem alten noch nicht vollständig zugewucherten Stationsschild mit der Aufschrift "Endstation". Die Zeiger der Waggon-Uhr stehen übereinander, zeigen 12 Uhr an. High Noon - denke ich - wie im gleichlautenden Western. Zeit zum ..., ich spreche es nicht aus, schreib es nicht nieder. Die beiden Zeiger stehen, die Uhr steht. Vielleicht schon seit über 12 Jahren. 12 Jahre fortdauerndes High Noon. Mein Radiowecker zeigt mit roten Ziffern 24:00. In Moabit, da haben sie einem das Licht ausgeknipst. Ich kann nicht mal erahnen, wie ich mich an dieser Stelle richtig verhalten sollte. Soll ich einfach nur sitzen bleiben und warten, warten, dass die Zeit der Lebendkontrollen vorbei geht - warten, bis sich die Zeiger weiter bewegen, bis sie den Fortgang der Zeit anzeigen. Ich denk: Die Hoffnung, - und Sehnsucht nach Liebe, der Durst nach Zärtlichkeit, der Hunger nach Leben, das alles habe ich über die Jahre gerettet. Das alles war zeitlos. Ich kann aufspringen oder ich kann sitzen bleiben. Denke ich. Kann aufspringen und kann die Hoffnung noch vor der Lebendkontrolle in meine Träume einbauen. Kann meine Sehnsucht nach Liebe, wie einen überaus wertvollen Schatz im Geiste pflegen und hegen. Kann den Durst nach Zärtlichkeit ertragen üben, täglich aufs Neue. Kann den Hunger nach Leben stillen, genau mit diesem Aufspringen und dem Warten, und immer wieder Ausspringen und Warten, aufspringen und warten, und das täglich. Kann aufspringen und ein Grinsen, so ein Smiley, an die Gläubiger, die Geldeintreiber schicken. Oder ich kann sitzen bleiben und kann mich ganz deutlich da auf der Holzbank sitzen sehen, in einem stehenden Zug, und auf halber Strecke, 2. Klasse und ohne Anbindung, den Blick aufs leere Abstellgleis gerichtet und in der Hand ein One-Way-Ticket haltend, das Gepäckgewicht begrenzt auf 20 Kg - gestiftet von dem Unternehmen "Carpe Diem". Ich fand es vor der Bank auf dem Fußboden liegend - vergilbt, und verschmutz von einem Fußabdruck. Vier Seiten habe ich nun schon zu Papier gebracht. Von Anfang an wollte ich die schöpferische Nötigung meines Geistes boykottieren, den Strom der heraussprudelnden Gedanken zu so später Stunde unterbrechen. Wollte nicht zu nachtschlafender Zeit wie ferngesteuert Texte schreiben müssen. Mir gefällt nicht, was mein Geist da zu Papier bringt, gefällt nicht, was sich wie ferngesteuert hier zu manifestieren sucht. Ich werde es jetzt zum Ende bringen, denk ich. Will endlich Ruhe, und schreib die letzten Zeilen. Ich bin müde. Nach drei Tagen ist der Durst erlöschen, nach einer Woche der Hunger vergangen, schlussendlich sind Hoffnung und Sehnsucht in alle Richtungen zerstreut, und ich sehe mich noch immer da auf der Bank sitzend. Da sitz ich nun. Das Skelett im Zug. (Musikzäsur) 33 O-TON Andreas Werde ich draußen weiterschreiben? Ich vermute mal nicht, ich habe, bevor ich inhaftiert wurde, auch keine literarischen Texte geschrieben, ich hab Exposés geschrieben, Gutachten, Rechnungen, Mahnungen. Und ehrlich gesagt hoffe ich, wenn ich draußen bin, dass ich dann wieder Expertisen, Rechnungen und Mahnungen schreiben kann und weniger die Zeit habe, literarische Texte zu schreiben. Mein Beruf war draußen Architekt und Bauingenieur (...) Das wär auch mein Ziel, dort, in diesem Beruf wieder einzusteigen, obwohl die Chancen, nach so langer Haft und in meinem Alter wohl sehr begrenzt sind. 34 O-TON Benni Ob ich draußen weiterschreiben werde, weiß ich noch nicht. Vermutlich ja,weil ich daran ein bisschen Freude gefunden hab. Ich hab auch mal angefangen, so eine Art Buch zu schreiben über den Fall, der mir so passiert ist, aber ich weiß noch nicht, ob ich das nur für mich mache, oder ob ich das der Öffentlichkeit preisgeben möchte... Und dementsprechend muss ich draußen meine Existenz erstmal wieder aufbauen. Und ich glaube, ich werde mehr Energie damit verbringen, wieder eine Beziehung zu führen, die Beziehung zu meinen Kindern zu führen, ein normales Leben wieder zu führen und auch meine Altersvorsorge abzusichern. 35 O-TON Olaf: Also draußen weiterschreiben, weiß ich nicht. Und ich weiß nicht, wie meine Zukunft aussieht, aber ich weiß, dass ich wieder arbeiten muss, das heißt also, und ich bin in einem Alter, (...) wo mich kein Betrieb mehr nimmt, zumal da einige Jahre in meiner Biografie fehlen. (...) Und somit muss ich etwas tun, das heißt also ich muss eine Art von Selbstständigkeit wieder beginnen und dann wird die Zeit nicht mehr da sein, um so zu schreiben. Wenn ich vielleicht die Möglichkeit habe, werde ich lesen, aber so schreiben werde ich vielleicht nicht mehr. (Musikzäsur) 36a O-TON Andreas Umso länger man hier drin ist im Gefängnis, umso mehr erkennt man selber die Facetten des Inhaftiert-Sein. Man kriegt die Gefühlslage der anderen Inhaftierten mit, die gesamte Bandbreite von Euphorie, wenn sie raus dürfen, wenn ein Gutachten gut gelaufen ist, aber auch wie sie emotional niedergeschmettert sind, wenn der Gutachter bescheinigt hat, sie dürfen noch nicht raus, sind noch gefährlich. Wenn der Besuch ausbleibt, wenn Freunde nicht mehr kommen, wenn manche glauben, sie kommen raus und sich dann eine Entlassung noch jahrelang hinzieht. 37a O-TON Olaf Also dies ist hier einfach nur darauf ausgelegt, zu bestrafen. Permanent. 36 O-TON Andreas Wir sind hier inhaftiert, wir sind hier hergebracht worden mit einem Urteil in der Hand und werden mit diesem Urteil in der Hand über Jahre weggesperrt. Und man erwartet von uns, dass, durch dieses Wegsperren wir anschließend als bessere Menschen wieder rauskommen. Hier drin sind wir völlig ausgegrenzt, tatsächlich über viele Stunden weggesperrt, haben kaum Zugang zu aktuellen Medien, kennen kaum Computer, wissen eigentlich auch nicht mehr, wie ein Fahrscheinautomat draußen passiert. Und man erwartet von uns, dass durch das Wegsperren wir bessere Menschen werden. Wir hier drin, als Weggesperrte, wir wissen, dass das ein absolut sinnloses Unterfangen ist. und wir wissen, dass wir als nicht bessere Menschen rauskommen, im Gegenteil. Dass wir fast alle irgendwo mit ner Haftmacke rausgehen, das bleibt über die Jahre nicht aus. (...) dass wir hier drin tatsächlich körperlich und emotional verrohen, das ist schon das Geringste, was uns hier passieren kann. 37 O-TON OlafVon den meisten die hier sind, ist dieses Ganze, was hier geschieht, sinnlos, total sinnlos. (...)Das ist deshalb so sinnlos, weil wir zur Unselbstständigkeit erzogen werden. Wir werden dazu gebracht, oder besser gesagt, wir verlassen unsere Familien, können nicht mehr arbeiten und können nicht mehr für die Familie sorgen, wir können im Grunde genommen nicht mal unseren Schaden gut machen, den wir angerichtet haben, wir werden einfach nur weggesperrt. 36b O-TON Andreas Viele können nicht mal mehr vernünftig sprechen, haben dann nur noch einen Wortschatz von - ich sag mal übertrieben - von 500 Wörtern und tun sich draußen extrem schwer. Und mit diesem Wissen, wie sinnlos dieses Zeitabsitzen hier drin ist und, dass eigentlich eine Erwartung an uns gestellt wird, dass wir besser rauskommen und draußen in der Lage sind, keine Straftaten mehr zu machen, dass macht irgendwo einmal wütend, hilflos 37b O-TON Olaf Es wäre einfacher zu sagen, ok, Junge, oder Frau, du musst jetzt für eine bestimmte Zeit ins Gefängnis, danach machst du eine Arbeit, die für die Menschen ist, oder du engagierst dich sozial und arbeitest auch in einem sozialen Bereich und gibst etwas zurück, machst etwas gut. Aber was hier geschieht, ist keine Gutmachung, es ist einfach nur Rache. Da gibt's von Camus glaub ich ein Sprichwort, das da besagt, das besagt: Strafe, die züchtigt, ohne zu verhindern, nennt man Rache. (Musikzäsur) 38 O-TON Andreas Welche Musik mag ich? Das ist eine eigenartige Frage, für mich eigenartig, weil ich höre hier in der Anstalt persönlich überhaupt gar keine Musik, 23 O-TON Benni (...) ich höre deutsche Musik ganz gerne wie Tim Bendsko, Xavier Naidoo, Philip Poisel. Lieder, wo ich den Text sehr genau, sehr gut verstehen kann, Lieder, die ich nachempfinden kann (...) 30a Olaf: Ich höre gerne Musik, von, von Schumann, Schubert über Beethoven, Chopin, über, bis hin zu Eric Clapton... 38f (Andreas) ich habe draußen sehr gerne Musik gehört, klassische Musik, Klaviermusik, Kammermusik, Konzerte. Wenn ich mir hier drin eine DVD einlege, oder eine CD, um solche Musik zu hören, kann ich es nicht, weil das gibt dann die Erinnerungen, an frühere Zeiten und damit würde ich mich selber quälen, also höre ich solche Musik hier nicht... Musik Absage "Niemand kann es weiter bringen als zu sich selbst": Einblicke in Literatur hinter Gittern Sie hörten ein Feature von Sophie Gruber Mit Olaf, Andreas und Benjamin aus der JVA Berlin-Tegel. Ihre Texte las auch: Daniel Berger Ton und Technik: Ernst Hartmann und Katrin Fidorra Regie: Anna Panknin Redaktion: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. 21