COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Bürger, es brennt - Die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen vor 20 Jahren. Eine Dokumentation. - Autor Claus Stephan Rehfeld mit Tondokumenten von : Clemens Paulsen 2'41" Dietmar Schumann 7'32" Gode Japs 7'13" Red. CS Rehfeld Sdg. 21.08.2012 - 13.07 Uhr Länge 20'17" Quelle (alle Tondokumente aus dem DLR-Hausbestand) Paulsen DS Kultur 24.08.1992 06.30 Uhr 3:27 DZ 275272 Schumann ZDF-Übern. 24.08.1992 Nachts 16:13 DZ 103491 Japs DLF 26.08.1992 18.40 Uhr 19:37 DZ 150244 Moderation Es brennt, Brüder, es brennt. Die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen vor 20 Jahren. Eine Dokumentation aus notwendigem Anlaß. Am Mikrofon begrüßt Sie Claus Stephan Rehfeld. Deutschland im zweiten Jahr der deutschen Einheit. Die Asyldebatte tobt, gewaltsame Übergriffe auf Asylbewerber und Einwanderer gehören zum Alltag, erreichen ein nie zuvor gekanntes Ausmaß. Den Angriffen in Hoyerswerda 1991 folgen 1992 die Ausschreitungen in Rostock- Lichtenhagen. Eine Dokumentation mit Berichten jener Tage. -folgt Script Sendung- Script Sendung SPR Bereits im Juli 1991 informierte Rostocks Oberbürgermeister Kilimann den CDU- Innenminister Diederich darüber, dass in Lichtenhagen "schwerste Übergriffe bis hin zu Tötungen ... nicht mehr auszuschließen" (1) sind. Im Juli 1992 warnt der Rostocker Innensenator Magdanz davor, "dass es kracht." (2) In den Rostocker Tageszeitungen werden Aktionen in Lichtenhagen angedroht. Am 19. August kündigt ein anonymer Anrufer in den Norddeutschen Neuesten Nachrichten an : "In der Nacht vom Samstag zum Sonntag räumen wir in Lichtenhagen auf. Das wird eine heiße Nacht." (3) Gemeint ist die Nacht vom 22. zum 23. August. Ihr werden weitere "heiße Nächte" folgen. Das Zielobjekt in Rostock-Lichtenhagen : Die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern. 1992. Was ist da los in Deutschland? In Rostock-Lichtenhagen? Berichte jener Tage dokumentieren die Stimmungen und die Fakten. Über die Nacht vom 23. auf den 24. August 1992 berichtet der Deutschlandsender: DS 24.08.1992, 6.30 Uhr/ Paulsen, Clemens - gekürzt auf 2'41" (3'27)" Paulsen: (...) Nachdem bereits in der Nacht zum Sonntag jugendliche Randalierer versuchten, gewaltsam in die Aufnahmestelle für Asylbewerber im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen einzudringen, eskalierte die Gewalt in der vergangenen Nacht. Einige tausend Sympathisanten und Schaulustige beobachteten die Angriffe der Randalierer. Den Höhepunkt einer regelrechten Schlacht zwischen den zumeist Jugendlichen und der Polizei erlebte Rostock kurz vor Mitternacht. Mann: "Ich bin hier umringt von Jugendlichen. Uns gegenüber sind Polizeibeamte in Hockstellung gegangen, versuchen sich abzukesseln gegen Steinwürfe. Und warum es jetzt - jetzt müssen wir gerade Platz machen, weil hier ein Krankenwagen vorbei kommt. Es gibt ständig wieder Verletzte. Es ist eine Situation, wie man sie ja ... es ist im Grunde genommen Krieg. (Rufe)" Paulsen: Der für die innere Sicherheit zuständige Minister Lothar Kupfer nahm von seinem ursprünglichen Vorhaben, zu den Randalierern vor dem Heim zu sprechen, aus Sicherheitsgründen Abstand. Der Innenminister versprach jedoch, eine neu eingerichtete Aufnahmestelle für Asylbewerber außerhalb der Stadt planmäßig zum 1. September zu eröffnen. Einer der wenigen Politiker, der sich gestern vor Ort blicken ließ, war Rostocks Bürgermeister Wolfgang Zöllick. Zöllick: "Was mir eigentlich sehr stark zu denken gegeben hat, ist tatsächlich die Tatsache, dass nicht nur organisiert dort gestern Abend vorgegangen war, sondern dass hier ein sehr großes Gewaltpotenzial an braunen Kräften, will ich mal so sagen, ganz deutlich vorhanden war, die es verstanden haben, hier doch enorme Kräfte zu konzentrieren und die eigentlich nur - das ist erschütternd - eigentlich sehr wenig gestört wurden." Paulsen: Wenig gestört von Rostocker Bürgern, die sich von den politisch Verantwortlichen in Stich gelassen fühlen. Seit Monaten klagen sie über unzumutbare Zustände, die sich allein schon aus der Überbelegung der Aufnahmestelle ergeben. Über 80 Ausländer versuchen täglich, einen Platz in diesem Heim zu finden. Dadurch kam es vor, dass die Asylbewerber tagelang unter freiem Himmel mitten im Wohngebiet campierten. (...) älterer Mann: "Politiker müssten hier her. Die sitzen zu Hause, ja, Tausende von Gehalt kriegen sie, ja, und lassen sich überhaupt nicht sehen. Und die armen Leute müssen drunter leiden, die arme Polizei, ja. Sind Verletzte, heute haben wir schon wieder - gestern Schwerverletzte, heute auch schon wieder Verletzte." jüngerer Mann: "Ich bin bestimmt kein Ausländerfeind, überhaupt nicht, aber so geht es nicht, dass beispielsweise deutsche Obdachlose unter der Brücke schlafen müssen, keinerlei Unterstützung bekommen, und dass die Ausländer hier herkommen und denken, sie können alles umsonst kriegen." (..) Paulsen: Die Auseinandersetzungen dauerten zunächst bis in die frühen Morgenstunden. Randalierer griffen die Polizei, die zwischenzeitlich Wasserwerfer und Tränengas einsetzte, von mehreren Seiten an. (...) Die wichtigsten Zufahrtsstraßen zum Neubaugebiet Lichtenhagen wurden gesperrt. (...) -ENDE Beitrag Deutschlandsender- SPR Am 24. August wird die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber, ZAst, geräumt. Das daneben liegende Wohnheim für ausländische Vertragsarbeiter nicht. Dort halten sich noch über 100 Menschen auf, darunter ein Fernsehteam des ZDF sowie der Ausländerbeauftragte für Rostock. Der Ruf des Mobs richtet sich nun gegen sie : "Wir kriegen euch alle". (4) Um 21.45 Uhr brennt das "Sonnenblumenhaus". Über 100 Menschen sind darin eingeschlossen. Die Nacht vom 24. auf den 25. August 1992, dokumentiert in einer Reportage des ZDF. ZDF 24./25.08.92/ Schumann, Dietmar - gekürzt auf 7'32" (16'13") (...) Athmo: Feuerwehr, Geschrei, Pfiffe, Beifall, klirrendes Glas, Gejohle, Beifall Mann im Haus: Die Chaoten sind unten durch die Tür eingedrungen. Ich habe schon telefoniert. Die Polizeiinspekktion Lütten-Klein hat es nicht begriffen. Die haben es nicht begriffen, was hier vorgeht. Mann im Haus: Es ist keine Polizei da, ich habe zum Fenster rausgeguckt. Bevor ich hoch bin, hab ich die Polizeiinspektion Lütten-Klein angerufen. Die haben mich 10 mal gefragt, ob wir ne Feuerwehr brauchen. (unverständliches Durcheinander) Es bleibt unten. Wenn hier nicht die Polizei oder die Feuerwehr... (...?) brennt schon, die sind (...?) Die Polizei in Rostock 110 ist besetzt. 20 mal haben wir es jetzt probiert, besetzt! Es ist ein Skandal. Schumann: Das ist eine Situation, von der man uns vor einer Viertelstunde nur erzählt hat. Und plötzlich sind wir mittendrin. Und die Angst, die wir im Moment spüren, weil Leute offen Feuer legen, weil sie diese Menschen bedrohen, weil Menschen weglaufen, das ist die Angst, die diese Ausländer hier zwei Nächte lang gespürt haben. Und wir bekommen sie jetzt hautnah zu spüren. Und das ist die nackte Angst. (bis hier von starken Brummgeräuschen - Generator o.ä. - überlagert) Sprecher Polizei: "Wenn es denn so sein sollte, dann wird sicherlich zu fragen sein: Woran hat es gelegen? Aber zum derzeitigen Zeitpunkt sehe ich also im Moment keine Veranlassung mich da weiterhin zu dieser Frage auch zu äußern. Ich werde es prüfen." (wieder Brummgeräusche) Athmo im Treppenhaus: Schritte, Sprachfetzen: ... Hier hoch! Kommt hier durch! ... Alles durch hier! ... Halt mal jetzt deine Klappe. - Hier geht's hoch oder was? - Hier ist die Gittertür zugemacht! ... Hier geht's auch nicht hoch. Hier geht's zur ... Polizeidurchsage : "Wir Bitten darum, dass die Löscharbeiten der Feuerwehr nicht behindern. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und Unterstützung." Athmo: Pfiffe, Gejohle, Beifall Schumann : Als diese Chaoten noch eine Etage unter uns waren, haben wir gesagt, wir müssen nach oben raus. Das Haus war schon voller Qualm von unten, der hoch zog in den Entlüftungsschächten. Wir haben die Frauen zuerst raus gebracht, die Vietnamesen haben noch gesichert. Wir sind dann alle raus. Ein Stück weiterhin, dort, wo Deutsche wohnen, hatten wir schon eine Dachluke provisorisch geöffnet. Ich bin runter, hab in der ersten Wohnung unheimlich nette Leute getroffen. Ich hab telefoniert. Der Notruf der Polizei 110 war immer noch besetzt. Wir hatten vorhin im Haus schon mal mit dem Funktelefon probiert. Der war immer noch besetzt. Ich habe dann die Feuerwehr erreicht. Der hat gesagt, ja, wir wissen es jetzt. Ich hab ihm gesagt, vor einer Dreiviertelstunde hab ich schon mal Lütten-Klein angerufen, die Polizeiinspektion. Er sagt: Ja, wir wissen, die Hamburger Polizei ist schon wieder weg. Die Rostocker haben wir jetzt aktiviert. Ich habe gesagt, dass wir im Aufgang runter kommen. In der 19 können Sie sowieso nichts machen, aber dass Sie uns hier unten wenigstens schützen können und abholen können. Es ist ein einziger Skandal. (...) Sprecher Polizei: "Wir können für den heutigen Einsatz sicherlich nicht abschließend sagen, ob alles okay war. Ich kann mit Sicherheit jedoch sagen, dass insbesondere die Einsätze in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag und von Sonntag auf Montag soweit das polizeiliche Ziel erreicht haben, wie wir es uns gesteckt haben. Nicht immer ist uns der Weg zum polizeilichen Ziel, so wie er sich dann darstellt, angenehm und willkommen, aber die Ziele haben wir möglicherweise auch heute erreicht. Wobei wir das abschließend analysieren werden." (...) Junge Frau: "Die ganze, die ganze Sache, die jetzt hier abgelaufen ist, das ist ne Sauerei. Es ist doch Wahnsinn, dass da 14- bis 17-Jährige stehen, das ist unsere Zukunft, unsere Zukunft, die da draußen steht. Warum machen sie denn so was? Da sind vielleicht maximal 50 Skinheads oder Faschos, richtige, aber der Rest sind doch Mitläufer. Die rufen doch direkt nach Hilfe. Wenn man sie fragt ... Ich hab mich mit den Jugendlichen unterhalten. Was haben die gesagt? Die wollen ne Wohnung. Was ist hier in Lichtenhagen los? Hier wurde doch alles platt gemacht, keine Diskotheken, nichts mehr. Was dürfen die denn? Nichts mehr." Schumann : Soziale Ursachen.? Frau: "Ja, natürlich, soziale Ursachen." (...) Schumann: Es ist 23.35 Uhr. Die 200 eingeschlossenen Vietnamesen und ihre deutschen Helfer sind befreit, sitzen im Autobus. Ein Rostocker Einwohner aus der Mecklenburger Allee sagte eben hier auf der Straße zu mir: Man sollte sie gleich alle ins Wasser fahren - weg damit. (...) Schumann: Wie viel Zeit verging zwischen dem Alarm und dem Polizeischutz? Mann: Eine gute Stunde. Schumann: Und wie erklären Sie sich diese unheimliche Zeitdifferenz? Mann: Ja, dazu kann ich keine Aussage machen. Da müssen Sie die Polizei selbst fragen. Schumann: Gab es eine direkte Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem Einsatzleiter der Polizei, Herrn Denkert? Mann: Nein. Mann: Also die Polizei hatte nicht wegen Molotow-Cocktails, die runter fliegen könnten, arrangiert, dass die Feuerwehr in Bereitschaft ist? Mann: Nein. Notruf: Frau: Anrufer Melzer : und in der 19, ehemals, Asylantenheim, brennt es. - In der Mecklenburger 19, da brennt es? - Ja. - Welche Etage? - Weiß ich nicht... Mann: Notruf Feuerwehr. - Schumann : Passen Sie auf, ich erkläre es Ihnen ganz in Ruhe. Mecklenburger Allee 19 - Mann: Ja. - Das Wohnheim der Vietnamesen. - Mann: Ja. - Schumann: Dort sind 150 Menschen drin, 150 Vietnamesen, die Polizei hat sich zurückgezogen. - Mann: Ja. - Schumann: Die Chaoten haben unten das Haus angesteckt. - Mann: Ja. - Schumann: Die Gase kommen schon hoch und sie kämpfen sich Stockwerk für Stockwerk hoch. - Mann: Ja. - Schumann: Ich habe vor einer Dreiviertelstunde die Polizeiinspektion Lütten-Klein informiert. - Mann: Ja. - Schumann: Es tut sich nichts. - Mann: Ja. - Schumann: Hier muss sofort, sofort! Feuerwehr und ganz viel Polizei. - Mann: Ja, wir haben .. - Schumann: Die Menschen sterben hier. - Mann: Ja, wir haben eben das ... wir sind unterwegs. Wir versuchen alle Maßnahmen einzuleiten, die wir hier können. Glauben Sie es. Wir tun alles. -ENDE Beitrag ZDF- SPR Lichtenhagen im August 1992, Deutschland im August 1992. Applaus, Wortlosigkeit, Widerstand. Die Öffentlichkeit ist Augenzeuge, die Politik ist gefordert. Sie war es vorher schon, ist es nun aber erst recht. Eine Bestandsaufnahme am 26. August 1992. Der Deutschlandfunk konstatiert. DLF 26.08.1092, 18.40 Uhr / Japs,Gode - gekürzt auf 7'13" (19'37") (..) Rufe: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!" Sprecher: Rostock hat mittlerweile die vierte Nacht der nackten Gewalt erlebt - Gewalt gegen Ausländer. Der Mob beherrscht die Straße. Und die Polizei ist, wie es zumindest zum Teil aussieht, nicht Herr der Lage. In Rostock wird von Krieg gesprochen. Polizeidirektor Siegfried Kordus gestern früh im Deutschlandfunk: Kordus: "Wenn wir und andere Leute in der Nacht vorgestern von Krieg gesprochen haben, dann war es hier eine Steigerung. Es war ein Guerilla-Krieg." Sprecherin: Kleinkrieg in einer deutschen Großstadt im Spätsommer 1992. Ausländerfeindlicher Terror, der den Krieg in Jugoslawien aus den Schlagzeilen der Weltpresse verdrängt. In Rostock hat sich eine Sprengkraft entladen, von der das Mundwerk der Ossis, wie sich der stellvertretende SPD- Vorsitzende Wolfgang Thierse selbst nennt, meint: Thierse: "Das ist beängstigend. Das muss man nun wirklich auf eine Weise ernst nehmen, die weit über das hinausgeht, was Politiker bisher dazu gesagt haben und wie sie es ernst genommen haben. Denn dies ist ein eruptiver Ausdruck einer verzweifelten Stimmungslage. Angst, tiefste Verunsicherung, Überforderung, die sich nun in Aggression gegen die noch Schwächeren Bahn bricht." Sprecherin: Die Politik ist wach gerüttelt. Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien melden sich jetzt zu Wort. Bundeskanzler Helmut Kohl, aus dem Urlaub am Wolfgangsee zurück in Bonn, sagte gestern Abend im Fernsehen: Kohl: "Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir gemeinsam zunächst einmal, und zwar über alle demokratischen Parteien hinweg, vor aller Welt deutlich machen, dass Fremdenhass völlig inakzeptabel ist, dass der Hass auf Fremde eine Schande für unser Land ist, es gibt keinen anderen Begriff dafür, und dass wir, wo immer Fremdenhass, mit Gewalt noch verbunden, sich offenbart, dass wir mit der äußersten Härte und Strenge auch des Gesetzes dagegen vorgehen." (...) Sprecherin: Und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Wolfgang Bötsch, sagt: Bötsch: "Ich finde, das ist natürlich eine schlimme Sache, was sich da tut, und zwar sowohl die Ausschreitungen als auch der Beifall, den hier das Publikum zum Teil spendet. (...) Wenn wir die Auswüchse der Asylproblematik nicht in den Griff bekommen, das heißt, durch eine Verfassungsänderung wirklich den Missbrauch bekämpfen, dass dies die Ausländerfeindlichkeit fördert." Sprecher: Hier zumindest sollte ein Fragezeichen erlaubt sein, ob die Bundesrepublik nach einer Grundgesetzänderung keine Asylantenprobleme und dann auch keine Ausländerfeindlichkeit mehr kennt. Gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen der Bonner Asylantendiskussion und den Ausschreitungen in Rostock, dem Fremdenhass, der Xenophobie? Der UNO-Flüchtlingskommissar Walter Koisser hat da seine Zweifel. Koisser: "Sicherlich ist da irgendwo ein Zusammenhang, aber ich denke nicht, dass man das allein auf die Asylbewerber jetzt hier aufhängen kann. Ich denke, das geht doch tiefer. Ich glaube, man muss ganz sicherlich mehr Ursachenforschung betreiben. Die Hohe Flüchtlingskommissarin hat im Oktober schon die Mitgliedsstaaten unseres Aufsichtsrates eindringlich darauf hingewiesen, dass eine Xenophobie in Europa besteht, zumal ja nur knapp 10 % sämtlicher Flüchtlinge in den Ländern, in den industrialisierten Ländern sind und 90 % sich ja in der Dritten Welt aufhalten." (...) Sprecher: Der Berliner Journalist und Mitautor des Buches "Krieg in den Städten", Klaus Farin, nennt einen DDR-spezifischen Grund für die zunehmende Ausländerfeindlichkeit. Farin: "Der große Frust nach der Maueröffnung. Es sollte ja nun das Paradies vor der Tür stehen, Freiheit und Geld und wie auch immer. Und nun sehen die Jugendlichen gerade jeden Tag, wie schön die Freiheit ist, aber stehen halt davor und können es sich nicht leisten. Das heißt, diese Rieseneuphorie, die mit der Maueröffnung da war, ist völlig in sich zusammengebrochen. Es geht denen im Grunde genommen noch schlechter als vorher. Denn sie haben ja nicht nur ihre Feindbilder verloren, die SED, der Staat, sondern auch die wenigen Jugendzentren, die wenigen Freizeitangebote etc., die Sicherheiten, die es früher noch gab. Also die Jugendlichen Ost sind die eigentlichen Looser der Wiedervereinigung und kämpfen nun natürlich mit den Einwanderern aus anderen Staaten, aus anderen Regionen um den zweiten Platz in der Gesellschaft nach den immer noch privilegierten Westdeutschen." (...) Sprecherin: Ausländer als Sündenböcke. Aber Rostock darf nicht davon ablenken, dass es gewalttätige Ausschreitungen gegen Ausländer nicht nur in Ost-, sondern auch in Westdeutschland gibt. Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass sind gesamtdeutsche Probleme. Darauf hat zum Beispiel Bundespräsident Richard von Weizsäcker immer wieder hingewiesen: Weizsäcker: "Das Verhalten gegenüber Ausländern ist nicht ein auf die neuen Bundesländer beschränktes, sondern uns allen aufgegebenes Problem. Es ist also mit anderen Worten keine auf die Deutschen in den neuen Bundesländern allein zu beobachtende Verhaltensweise. In Westdeutschland hat es zahlenmäßig mehr Anschläge gegeben, die um nichts anders zu bewerten sind." (...) Sprecherin: Wenn die Ausländer erst einmal weg sind, so der Irrglaube vieler Rechtsradikaler, dann gibt es keine Probleme mehr mit den Arbeitsplätzen, mit Wohnungen, mit Klein- und Wirtschaftskriminalität und mit Beziehungskisten.Das ist natürlich irrational. Und es ist äußerst autoritär gedacht. Die Wissenschaft spricht vom klassischen Rückgriff auf den Sündenbock. Sprecher: Die Suche nach dem Sündenbock könnte auch eine Erklärung dafür sein, dass der Mob, der letzten Nächte in Rostock tobte, sich des Beifalls eines Teils der Anwohner in Lichtenhagen sicher sein konnte. Die Claqueure, die sind für Maaz (Psychoanalytiker - die Red.) ein fast noch größeres Problem. Maaz: "Der große Kreis von Sympathisanten, der sich da dran hängt, der ja sogar die Polizei beschimpft und behindert, die für Ordnung sorgen wollten, bescheiden genug, aber das halte ich für gefährlicher, weil das natürlich auch eine sehr hinterhältige Situation ist. Man lässt da noch andere machen, man heizt sie an, man schickt sie vor. Sie sollen dann auch noch mal die eigene innere Spannung mit übernehmen und austragen." Sprecherin: Es gibt viele Gründe - soziale, politische Gründe, die vielleicht eine Erklärung bieten können für Ängste vor Ausländern; aber sie bieten keine Rechtfertigung für ausländerfeindliches Verhalten. Darauf hatte auch Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor einem Jahr in einem Interview mit dem Deutschlandfunk hingewiesen. Weizsäcker: "Es gibt überhaupt keine Entschuldigung für unmenschliche Behandlung von Schwächeren, und das heißt vor allem, für unmenschliche Behandlung von Ausländern. Behandlung von Ausländern in der Weise, wie wir sie in den letzten Wochen erlebt haben, ist erschreckend und beschämend. Sie ist die Folge von politischen Unterlassungen, sowohl in dem, was man zu machen hat politisch, als auch in dem, was man politisch klarzumachen hat in der eigenen Bevölkerung." (...) -ENDE Beitrag DLF- SPR Im November 1992 folgt der Brandanschlag von Mölln. Er fordert 3 Menschenleben. Einen Monat später ändert der Bundestag das Grundgesetz ... und schafft das individuelle Grundrecht auf Asyl ab. Nur 5 Monate darauf der Mordanschlag von Solingen. 5 Tote. MOD Die Ausschreitungen im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Eine Dokumentation. Stimmungen und Fakten in Berichten, Reportagen und Bestandsaufnahmen jener Tage vom Deutschlandsender, vom ZDF sowie vom Deutschlandfunk. Morgen ab 13.07 Uhr aus gegebenem Anlaß : Bürger, was nun? Rostock- Lichtenhagen dieser Tage über das, was war und was heute ist. Am Mikrofon verabschiedet sich von Ihnen Claus Stephan Rehfeld. -ENDE Sendung- Zitate 1 Schmidt : Politische Brandstiftung, Berlin 2002, S. S. 56 2 Lausberg : Die extreme Rechte in Ostdeutschland 1990-1998, Marburg 2012, S. 61 3 Schmidt : Politische Brandstiftung, Berlin, 2002, S. 23, 53 4 Schmidt : Politische Brandstiftung, Berlin 2002, S. 89 1