COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel am 23.11. 2008 Der Tod spielt mit Lebensgefährliche Risiken beim Sport Von Claudia Fried Beitrag: Musik Rage against the Machine. CD: The Battle of Los Angeles. Titel: Born of a broken man O2 O-Ton Launer: Ich hatte dreimal ne Gehirnerschütterung und einmal war ich unbekannte Zeit ohnmächtig. In der Regel konnte ich mich nicht daran erinnern wie das überhaupt passiert ist. Musik laut Autorin: Sport dient der Gesundheit, steigert die Leistungsfähigkeit, und soll sogar das Leben verlängern. Das sind die Aussagen, die wir jeden Tag zu hören kriegen. Und Millionen von Menschen regelmäßig in ihre Joggingschuhe oder aufs Fahrrad treiben. Doch die "bittere Wahrheit" ist, auch Sportler sterben vor der Zeit. Ein besonderes Wagnis gehen dabei Risikosportler ein. Sie betreiben Sportarten, bei denen ein Unfall in einem von 1.000 Fällen tödlich endet. Klettern gehört dazu, und der Motorsport. Musik (1:18 oder 1:47) A1 Atmo Ankicken Motorrad O5 O-Ton Launer: Ich glaube ich war schon immer ein Geschwindigkeitsfreak. Das fing schon mit 3 oder 4 Jahren beim Fahrradfahren an. Hat mich immer fasziniert Geschwindigkeit. Und da ich mir nie ein schnelles Auto leisten konnte, hatte ich halt schnelle Motorräder. Autorin: Jörg Launer sitzt auf seinem silber-blauen Motorrad, und tritt mit voller Wucht den Kickstarter nach unten. A1 Atmo kurz hochkommen lassen vom Kicken Autorin: Der Mann ist Ende 30, schmal, eine jungenhafte Erscheinung. Seine Füße stecken in schweren schwarzen Stiefeln mit silbernen Schnallen daran. Der Brustpanzer rutscht ihm bei jedem Sprung am Hals hoch. Über Stirn und Schläfen läuft der Schweiß. A2 Atmo Launer: Ich glaub ich muss die gleich mal schrauben. A3 Atmo vom Schrauben und A6 Motorengeräusche mischen Autorin: Das Motocross-Training auf der Rennstrecke in Schenkenhorst bei Potsdam beginnt mit einer Reparatur. Typisch für Motocross, denn die Maschinen müssen auf dem Parcours einiges mitmachen. Volle Beschleunigung, Sprünge, Stürze, Dreck und Lehm. Vor dem letzten Rennen musste Jörg Launer 10 Bruchstellen am Rahmen seiner Maschine schweißen. Jetzt schraubt er nur eine neue Zündkerze ein, der Ärmel rutscht ihm dabei vom Handgelenk. Sichtbar wird eine 10 Zentimeter lange rote Narbe. O6 O-Ton Launer: Da bin ich mal hingefallen in Sachsen Anhalt. Ich weiß aber nicht mehr so genau wies passiert ist. (lacht) Da war ich mal an einem schönen Sommertag trainieren und bin dann neben dem Sprunghügel im Wald gelandet statt hinter dem Sprunghügel. Und dann lag ich da so unbekannte Zeit. Bis dann der Streckenwart mich mit meinem Wagen ins Krankenhaus fuhr und immer meinte, schau nicht auf deinen linken Arm. Autorin: Bei dem Sturz brachen beide Handgelenke, eine Gehirnerschütterung löschte Jörg Launers Kurzzeitgedächtnis aus. Er hat bis heute keine Erinnerung an den Tag. Die Knochen sind jetzt, nach 1 1/2 Jahren, verheilt. Doch obwohl die Ärzte ihm rieten, nicht mehr aufs Moped zu steigen, tut er genau das. A4 Atmo Motor springt an, jetzt geht's los. Fährt ne Kurve und kommt zurück. Es ballert fett O7 O-Ton Launer: Ich glaube mir hat das Adrenalin gefehlt. Das war auch nicht durch Skifahren zu kompensieren. Mit meinen 2 gebrochenen Handgelenken bin ich dann Skifahren gegangen, hat sehr viel Spaß gemacht, aber war nicht dasselbe. Beim Skifahren hängt ja die Geschwindigkeit nur vom Gefälle ab, hier kannste Gas geben, solange wie du dich traust. Und so spät bremsen wie du dich traust. Das ist kein Vergleich zum Skifahren. A5 Atmo vom Losfahren Autorin: Launer setzt Helm und Brille auf, und brettert los. Das Motorrad knattert über den matschigen Boden. Nach der Geraden bremst der Fahrer abrupt, pflügt mit gestrecktem Bein durch eine enge Kurve. Dann dreht er wieder am Gas. Wer vorn mitfahren will, muss an seine Grenzen gehen. An die körperlichen und geistigen. Rückschläge wegstecken können, sich nach einem Sturz wieder motivieren, die Angst überwinden. Gas geben bis zur Belastungsgrenze des Körpers. O8 O-Ton Launer: Du kannst hier ganz nah an die physikalischen Grenzen gehen. Weit springen, schnell fahren, das Motorrad hat immer Leistungsreserven. .. das ist das was Spaß macht. Und deswegen glaube ich, jeder Motocrosser, solange er nicht völlig kaputt ist, immer wieder anfängt zu fahren. Autorin: Es gibt keinen Profi-Crosser, der nicht eine Vielzahl von Knochenbrüchen, Gehirnerschütterungen und Bänderrissen ertragen hat. Pit Weyrer, der ehemalige deutsche WM Zweite sitzt im Rollstuhl. Nicht wenige sterben auf der Rennstrecke. Es ist das Adrenalin, das kickt, sagt Launer. Und dass man sich immer wieder überwinden muss. Das macht stark. O9 O-Ton Launer: Du kannst daraus schon sehr viel Selbstbewusstsein ziehen. Dass du, wenn du an dich glaubst, viel schaffen kannst. Musik stehen lassen als Trenner (bei 4:29 ankommen) Autorin: Auf 40.000 Sporttreibende kommt ein Todesfall, etwa 700 sind es im Jahr in Deutschland. Ein Drittel davon stirbt aufgrund von äußeren Ursachen. In der Sportmedizin nennt man solche Todesfälle "traumatisch". Dazu zählt ein Lawinenunglück ebenso wie der selbstverschuldete Sturz eines Motorsportlers. Die meisten Athleten jedoch erliegen "inneren Ursachen" wie es in der Fachliteratur heißt. Das kann ein Herzinfarkt auf dem Tennisplatz sein, oder der Kreislaufkollaps, der den Radfahrer aus dem Sattel holt. Antonio Puertas vom FC Sevilla brach im vergangenen Jahr auf dem Fußballplatz zusammen und starb wenig später im Krankenhaus. Wie kann das bei einem Profisportler passieren, der doch permanent unter medizinischer Kontrolle steht? Sportarzt Folker Boldt, Leiter des Sportmedizinischen Zentrums in Berlin betreut die Profis von Hertha BSC und den Berliner Eisbären. O10 O-Ton Boldt: Man muss das im Einzelnen untersuchen. Man muss auch unterscheiden zwischen Todesfällen bei jüngeren Sportlern, da sind es in der Regel angeborene Herzerkrankungen, die man eben durch Vorsorgeuntersuchungen durchaus erkennen kann. Aber auch da bleibt ein gewisser Rest übrig. Musik Recoil: CD: Bloodline Titel: Freeze Komponist: Alan Wilder Autorin In den meisten Fällen trifft der plötzliche Tod nicht kerngesunde Sportler. Sondern solche, die eine unerkannte Herz-Kreislauf- Erkrankung in sich tragen, die dann unter Belastung zum Tode führt. Gefäßanomalien, Erkrankungen des Herzmuskels, oder die heimtückische Herzmuskelentzündung, die schon eine verschleppte Erkältung oder ein Infekt hervorrufen kann. Wer krank ist, und keine Sportpause einhält, und Warnzeichen ignoriert, der riskiert nicht weniger als sein Leben. Todesfälle im Profisport sind präsent in den Medien, doch stärker gefährdet sind Freizeit- und Breitensportler. Die beispielsweise nach längerer sportlicher Abstinenz die Joggingschuhe schnüren und wieder anfangen zu laufen. Wer über 35 oder 40 Jahre alt ist, und wieder mit dem Sport beginnen will, dem rät Doktor Boldt, sich erst einmal ärztlich untersuchen zu lassen mit Belastungstest und EKG. Erst danach kann man ohne Bedenken mit dem Training beginnen, entsprechend seinem Leistungsvermögen. O11 O-Ton Boldt: Nicht gleich mit hohen Intensitäten sondern erst mal langsam anfangen und das langsam steigern. Und wenn er spürt, dass er keinen Konditionszuwachs erreicht, dass jetzt bspw. Eine Atemnot eintritt, die jetzt nicht erklärbar ist durch zu hohe Belastungsintensität, oder dass er Schmerzen im Brustbereich hat. Ein Druckgefühl ein Engegefühl im Brustbereich das sich bei Belastung einstellt, sind das Warnzeichen für eine evtl. bestehende Herzerkrankung. Autorin: Besonders riskant sind Fußball, Tennis und Radfahren, also Sportarten, die das Herz-Kreislaufsystem enorm beanspruchen. Meistens ist es nicht nur eine einzige Ursache, sondern es treffen mehrere innere und äußere Faktoren zusammen, die den Zusammenbruch letztlich auslösen. Der Senior auf dem Tennisplatz in der Mittagshitze, der keinen Ball laufen lassen kann. Oder der übergewichtige Radfahrer, der die Streckendistanz unterschätzt hat. Falscher Ehrgeiz, Überforderung. O12 O-Ton Boldt: Natürlich ist aber so ein Todesfall besonders dramatisch und erfährt auch ne große Öffentlichkeit, sodass man den Eindruck gewinnen könnte, Sport sei übermäßig gefährlich. Das ist es ganz sicher nicht. Die gesundheitlichen Vorteile beim Sport überwiegen bei weitem die Risiken. Autorin: Selten sind es große körperliche Anstrengungen, die einen gesunden Menschen das Leben kosten. Einer Studie aus den USA zufolge, (ver)sterben dort die meisten Sportler beim Golf-Spiel. In diesen Fällen liegt das Todesrisiko weniger in der Anstrengung als im fortgeschrittenen Alter. Der 80- jährige Golfer hätte nicht auf dem Grün, sondern ebensogut im Lehnstuhl sterben können. Selbst bei den "traumatischen" Todesfällen, die augenscheinlich äußere Ursachen haben, kann man davon ausgehen, dass innere Ursachen eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Der Unfall auf der Rennstrecke, dem ein Herzinfarkt vorausging. Das Kreislaufversagen in der Kletterwand, das zum Absturz führt. Musik: Christine Lauterburg CD: Echo der Zeit Titel: S Zyt O13 O-Ton Huber: Man muss sich prinzipiell bewusst sein, dass mit der Existenz des Lebens auch zwangsläufig die Existenz des Todes eingeschlossen ist. Ohne Tod würde es tatsächlich auch den Begriff Leben nicht geben. Das sind Dinge, die eine Einheit bilden. Wenn man geboren wird, wird man todsicher sterben. Die Frage ist letztendlich nur, was ich in dem Zeitraum von Beginn meines Lebens bis zum Ableben verbringe, wie ich sie verbringe, was ich daraus mache. Autorin: Alexander Hubers Leben ist aufregend. Das kann man von einem der besten Kletterer der Welt sicher sagen. Zahlreiche Erstbegehungen schmücken seine Vita, sowie etliche Free-Solo- Aktionen im Hochgebirge, also ohne Seil und Haken allein an der nackten Wand. Im vergangenen Jahr hat Huber gemeinsam mit seinem Bruder an der berühmtesten Kletterwand Amerikas einen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt. Die Seilschaft erklomm die 1.000 Meter Granitwand des "El Capitan" im Yosemite Valley in 2 Stunden und 45 Minuten. Der Regisseur Pepe Danquardt hat die Versuche auf Celluloid gebannt, und ein beeindruckendes Zeugnis über Chancen und Gefahren des Extremkletterns geschaffen. Während der Dreharbeiten wollte Alexander einem Kameramann helfen, der sich am Fels verstiegen hatte, und stürzte dabei ab. Musik: Stimmhorn & Kold Electronics CD: Igloo Titel: Minör C. Zehnder, B. Streiff, T. Kolczynski (bis 1:33) O14 O-Ton Huber: Ich hab nicht versucht mich festzuhalten, ich wusste, es geht da einiges runter, aber ich hatte die feste Überzeugung, wenn ich das kontrolliert hinbringe, dann geht das in Ordnung, mit einer schweren Verletzung vielleicht, aber es geht ja prinzipiell um das Überleben. Ich versuchte mich nicht krampfhaft festzuhalten, um dann doch irgendwann abzustürzen, sondern ich sah einfach dieser Sache direkt ins Auge. Und sprang hinunter, mit einer Zwischenlandung die ich eben aufgrund des kontrollierten Fluges wieder kontrolliert gestalten konnte, landete ich nach 17 vertikalen Metern unten am Boden. Autorin: Beide Sprunggelenke waren gebrochen, aber Alexander Huber hat überlebt. Der Bergsteiger ist davon überzeugt, dass er nur deshalb mit dem Leben davon gekommen ist, weil er seinen Sturz kontrolliert hat. Paradox. Die Situation war ja definitiv außer Kontrolle geraten. Gab es einen Gedanken an den Tod? O15 O-Ton Huber: Nein in diesem Moment gab es keinen Gedanken an den Tod, weil ich beschäftigt war ordentlich zu springen. Und mit dem dass das so gestaltet habe, dass ich aufrecht bleiben konnte, dass mein Kopf meine Wirbelsäule nirgendwo tatsächlich ungebremst in den Fels einschlug, hatte ich auch die Chance zu überleben. Der Ausgang war schon maximal. Autorin: Klettern ist die Sportart, die am häufigsten mit dem Unfalltod endet. Paraglider, Kajak-Fahrer und Motorsportler gehen ein ähnlich hohes Risiko ein. Sie setzen ihren Lebensabend im Lehnstuhl bewusst aufs Spiel. Auf 1.000 Verletzte kommt 1 Toter. Die Allgemeinheit, so Ludwig Prokop in seinem sportwissenschaftlichen Buch über Sport und Tod, toleriere solche Todesfälle heute schon weitgehend. Denn Risiko- und Extremsportarten verzeichnen in den letzten 10 Jahren einen stürmischen Zulauf. Fallschirmspringen, Paragliding, Basejumping. In unserer Zeit steigen sogar fast blutige Anfänger auf die höchsten Gipfel dieser Erde. Im schlimmsten Fall finden sie dort ihre letzte Ruhestätte. Alexander Huber macht für diesen Trend unsere Lebenswirklichkeit verantwortlich, die kaum noch existentielle Herausforderungen biete. O16 O-Ton Huber: Des ist eben das martialische am Bergsteigen, das doch sehr unmittelbare sich Auseinandersetzen mit den Gefahren, die die gewaltige Natur in den Bergen zu bieten hat. Das ist etwas, das der Mensch in der Urzeit im normalen Leben erlebt hat und in der Wildnis draußen. Das wir aber in der heutigen Zivilisation nicht kennen. Autorin: In unserer Gesellschaft sind Überlebensfragen geregelt. Vielleicht begeben sich Risikosportler deswegen in Extremsituationen. Alexander Huber ist derzeit in der Antarktis, um dort erneut mit seinem Bruder eine 1.000 Meter Wand zu erklimmen. Bei 30 Grad unter Null. Diesmal Free-Solo, also ohne Sicherungen, ohne Seile, ohne Haken. Vorher hat das dort noch keiner geschafft, eine neue Herausforderung, ein neuer Rekord. Die Triebfeder des Menschen, nennt er dieses Streben, etwas besser machen zu wollen. Letztlich habe das die Zivilisation vorangebracht, unsere Schrift, die Sprache, die Kultur. Darum gehe es letztlich auch dem Sportler, der den Weltrekord brechen will, oder nach der Goldmedaille greift. Der Beste sein. Anders als beim Bunjee-Jumpen, sagt Huber, wo man sich in fremde Hände begibt und fallen lässt, gehe es beim Klettern nicht um den Kick, um das Adrenalin, sondern um das langsam erarbeitete Glück am Ende einer langen Phase der Vorbereitung. O17 O-Ton Huber: Und dieses Gefühl, dass es auf einmal wieder so farbig wird, so frei so offen, dieses Gefühl hab ich dann auch auf einem Gipfel, wenn ich dann oben stehe, viel investiert hatte, und wusste, dass es mit dem Scheitern auch verbunden sein kann das Ganze. Dann fühlt man sich halt auch dementsprechend frei. Die gesamte Anspannung, die einem im Vorfeld und während einer solchen Begehung begleitet hat, die verschwindet dann in diesem Moment von einer Sekunde zur anderen wenn man es geschafft hat. Und deswegen fühlt man sich so leicht, deswegen ist er so irrsinnig intensiv dieser Moment, und deswegen schafft er eine so reiche Bebilderung im großen Erinnerungsbuch meines Lebens. Musik Stimmhorn: Minör (4:10 für 20 sec. Dann ausblenden als Trenner) Autorin: Das Glück des Augenblicks als Motiv für den Flirt mit dem Tod? Das ist kein Thema für die Sportwissenschaft sondern schon eher für die Philosophie. Sie setzt sich von jeher mit dem Leben und seiner Begrenztheit auseinander. Und stößt dabei an Denkmuster unserer Zeit, die den Tod aus dem Leben verbannt hat. Kranke sterben seltener in den Armen ihrer Liebsten, Tote werden nicht mehr zum letzten Abschied bei der Familie aufgebahrt. Die Distanz zu Sterbenden und Toten scheint größer geworden - wie die Angst vor dem eigenen Exitus. Vermutlich liegt es auch an den Fortschritten der Medizin, die im Stande ist den Tod immer weiter hinauszuzögern, dass es kaum eine Auseinandersetzung mit dem Ende des Lebens gibt. Arno Mueller bewegt sich im interdisziplinären Grenzland der Wissenschaften. In seiner Dissertation untersucht der Sportwissenschaftler mit existenzphilosophischem Zugriff "Sterben, Tod und Unsterblichkeit im Sport". O18 O-Ton Müller: Der Tod ist nicht etwas außerhalb des Lebens, sondern der Tod ist Teil des Lebens. Die Existenzphilosophie versucht den Einzelnen bewusst werden zu lassen, dass er mit dem Tod und mit dem sterblich sein alleine ist. Dass er das für sich selber klar kriegen muss, um das salopp zu formulieren. Autorin: Seriöse Risikosportler wie die "Huberbuam" oder andere Extremalpinisten hält Müller nicht für verrückte Selbstmörder, sondern für Suchende. Die außer dem Glücksgefühl am erreichten Ziel noch viel mehr finden können auf dem Weg dorthin, auf dem eigentlichen Grenzgang. Am Limit der eigenen körperlichen Möglichkeiten. So hoch, tief, weit oder schnell es auch immer gehen mag, ein Hindernis überwinden. Unsicherheiten meistern, Risiken bestehen. Wer das überlebt, hat ,quasi' den Tod besiegt. O19 O-Ton Müller: und insofern wäre der Risikosport als Vorbereitung auf den Tod eine Form der Lebenskunst. Weil das ist eben das Missverständnis, die Existenzphilosophie oder die Ars Moriendi hat zwar den Blick auf den Tod aber immer im Hinblick auf die Rückwirkung auf das Leben. Es geht nicht darum den Tod zu verherrlichen, das wäre das absolute Missverständnis. Sondern es geht darum den Tod bewusst zu machen, die Endlichkeit des Lebens bewusst zu machen und daraus dann das beste für das Leben zu gewinnen. Irene Papas, Vangelis CD: Odes Titel:Lamento Autorin: Die ersten sportlichen Wettkämpfe im modernen Sinne fanden im antiken Griechenland statt. Die Idee dahinter liegt in der frühen aristokratischen Standesethik der griechischen Adelsgesellschaft. In ihr war der Einzelne verpflichtet großartige Leistungen in Krieg und Wettkampf zu vollbringen. Es herrschte ein ständiger Konkurrenzkampf, um seinen Rang zu bewahren oder zu verbessern. Eine Honor and Shame Society, in der es immer um die Ehre ging, sagt der Sporthistoriker von der Sporthochschule Köln Professor Manfred Lämmer. Die Kehrseite der Medaille war die Schande, die schon beim zweiten Platz begann. O20 O-Ton Lämmer: Und oft sind Worte verräterisch oder vermitteln auch Einsichten. Das griech. Wort für Wettkampf Agon bezeichnet nämlich keinesfalls nur einen sportl. Wettkampf sondern es ist Bedeutungsambivalent. Agon bezeichnet den Kampf und kann genausogut Krieg und Schlacht wie Wettkampf im Stadion bedeuten. Und das bedeutet, dass der griech. aritstokrat. Wettkämpfer sowohl den Krieg als auch den sportl. Wettkampf als Bewährungsfeld verstand auf dem er seine Leistungen vollbrachte Autorin: Den antiken Griechen ging es nie um die Coubertinsche Devise, "Dabei sein ist alles". Sondern für den Sieg gab der Wettkämpfer alles, sogar sein Leben. Erstaunlicherweise sind die Athleten heute ebenso radikal wie ihre Vorfahren - zumindest in ihren Aussagen. Spitzensportler sind in den letzten 20 Jahren mehrmals befragt worden, ob sie bereit seien für eine Goldmedaille bei den olympischen Spielen einen früheren Tod in Kauf zu nehmen. Eine erschreckend hohe Anzahl von Athleten sagte "Ja". Dieser unbedingte Wille zum Sieg, der den griechischen Krieger und Sportler auszeichnete, hat sich offenbar bis in die heutige Zeit bewahrt. Alle Mittel sind den Athleten recht, selbst verbotene Substanzen, um zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Und damals wie heute geht es auch um den schnöden Mammon. Drachmen oder Scheck, die Siegerprämie ist für viele ein Anreiz "alles" zu geben. In der Antike endeten darum die Kampfsportarten meist fatal. O21 O-Ton Lämmer: Beim Boxen hatten die Boxer eine Handbewährung, die aus Lederriemen, später mit aufgesetzten Lederstücken inform eines festen Handschuhs bestand, und die nat. große Schädigungen hervorriefen, wenn der Boxer traf. Die antiken Boxkämpfe waren kein unablässiger Austausch von Schlägen wie man das heute oft haben. In der Antike brachten wenige Schlagpassagen gewöhnlich die Entscheidung. Autorin: Mit dem blutrünstigen Spiel um Leben und Tod hat der Kampfsport heute nicht mehr viel gemein. Ringrichter, Ärzte und Trainer sorgen heute dafür, dass Kämpfe abgebrochen werden, bevor es zu schweren Verletzungen kommt. O22 O-Ton Casper: Manuel hat mal ne dicke Nase gehabt, dem hat mal einer de Nase gebrochen, und ne Cutverletzung, Nasenbluten. Aber weder schwere K.o.s . Meine Sportler hatten glücklicherweise, toi toi toi weder ein k.o. noch schwere Verletzungen gehabt. Autorin: Michael Casper ist Trainer für Kickboxen. Er steht in der Turnhalle des BTSC, des Berliner Turn- und Sportvereins, eine ehemalige Medaillenschmiede der DDR. Die Wände sind mit Holz vertäfelt. Sprossenwand, Spiegel, Sandsäcke. An der schmalen Seite der Boxring, noch leer. Die Sportler springen Seil zum Aufwärmen, dann beginnt das Training. O22a O-Ton Depta: Grundlagen, Ausdauer, dass man ne gute Kondition bekommt. Viel Luft hat für die Kampfdistanz und jetzt kommen wir zu den explosiven Sachen wahrscheinlich.... A8 Klett dann A9 Feuer Autorin: Manuel Depta streift sich die Boxhandschuhe über, und legt die Schienbeinschoner an. Der kompakte Mann ist amtierender Deutscher Meister im Kickboxen. Supermittelgewicht. Im Moment hat er mehr als das Kampfgewicht von 78 Kilo auf der Wage. Etwa 1,80 groß, dunkles kurzes Haar, nicht das Gesicht eines Schlägers. Über der linken Augenbraue sitzt eine Narbe, die Nase ist ein bisschen schief. Das sind die einzigen sichtbaren Zeichen seiner Liebe zum Kampfsport. Bei der nächsten Übung sieht man warum. Depta dreht sich blitzschnell auf dem rechten Fuß, reißt das linke Bein hoch. Aus der Drehung trifft er das Kissen, das sein Trainingspartner in Schulterhöhe hält. Die Wucht wirft den anderen fast zu Boden. Der sammelt sich, schiebt das Kissen vor seinen Bauch. Depta tritt wieder zu, diesmal nach vorn. (Atmo vom Rumsen) Runter zum Liegestütz, alles von vorn. 3 Minuten lang. Sein Trainer stoppt die Zeit. O23 O-Ton Casper: Er ist nicht jemand, der blind in irgendwelche Schläge reinrennt, sondern dazu neigt selber weniger getroffen zu werden. O.K. Zeit, (piep) Atmo Trampeln im Ring von der Ferne Und kann variabel kicken, sieht man ja jetzt hier, dass er aus sämtlichen Positionen gut treten kann, das kann auch nicht jeder. A10/11 Atmo Boxen Autorin: Dem Kickboxer rinnt der Schweiß übers Gesicht. Auf den Haarborsten glitzern Tropfen. Depta trainiert dreimal pro Woche 2 Stunden, zusätzlich macht er Konditionstraining, Joggen, ein bisschen Kraft. Seit 18 Jahren. In denen hat er schon den ein oder andern Gegner K.O. geschlagen. O24 O-Ton Depta:. Ich möchte den Gegner nicht verletzten, ich will ihn schlagen, ich will gewinnen, ich will besser sein als er. Das bedeutet, ich finds viel schöner, wenn ich jemanden mit einer Finte mit einem Herauslocken (..) zu einem Fehler seinerseits veranlasse, und ihn dann treffe, dass es optisch schön aussieht. Klar ist es schön, wenn du jemanden vorzeitig besiegst. Aber ich wollte noch nie, dass jemand lange liegen bleibt. Musik Three 6 Mafia: It's a fight CD: Rocky Balboa Autorin: Befürworter des Kampfsports sprechen von Selbstvertrauen, Mutschulung, und dem persönlichkeitsbildenden Wert für junge Menschen. Doch beim ersten Gongschlag, sagt Ludwig Prokop in seinem Buch über Sport und Tod, breche das pseudopädagogische Alibi zusammen. Beim Profikampf fließt echtes Blut, Nasen werden zertrümmert, und Augen blau geschlagen. Schmerzen ertragen und zufügen, Boxen ist vorsätzliche schwere Körperverletzung. Und wenn sie zum Tode führt, ist sie durch die Regeln gedeckt und straffrei. Musik nochmal hochkommen lassen Autorin: Michael Casper, Deptas Trainer will von Killerinstinkten nichts wissen. Schwere Verletzungen gebe es nur aufgrund der korrupten Struktur der Profiverbände, die zulassen, dass unerfahrene Boxer gegen Meister antreten, oder als Fallobst benutzt werden, um andere Boxer aufzubauen. O25 O-Ton Casper: Deswegen bin ich auch kein Freund vom Profiboxen, weil's mir da einfach zu sehr um Geld geht. Alle schweren Verletzungen und Todesfälle sind letztendlich beim Profiboxen passiert, nicht alle aber die meisten. Weil auch über die Sicherheitsvorschriften nicht genug nachgedacht wird. Es gibt nach wie vor keinen Kopfschutz, ich bin Befürworter des Kopfschutzes, weil man das eben auch mal sehen will, wenn's Auge aufplatzt. Das blutet ja so wunderschön. Und das ist alles, was mich nicht so interessiert. Autorin: Im Jahr werden 5 Boxer tot aus dem Ring getragen. Spätfolgen allerdings müssen alle Faustkämpfer befürchten. Rund die Hälfte der älteren zeigt pathologische Veränderungen am Hirn, die die Lebensqualität enorm beeinflussen können. Entscheidend ist die Summe der Kämpfe, der Niederlagen, der Kopftreffer, die ein Boxer in seiner Laufbahn einstecken muss. Neben der körperlichen Fitness ist die mentale Stärke die entscheidende Fähigkeit, um Stresssituationen zu bestehen, und Höchstleistungen zum definierten Zeitpunkt zu bringen. Bei Risikosportlern gilt das in besonderem Maße, denn sie gehen nicht nur mit einer Niederlage nach Hause. Sie bringen sich mehr oder weniger bewusst in Todesnähe. Auch wenn der Kickboxer über den Kletterer und der wiederum über den Motorsportler den Kopf schüttelt. Alle sind sich letztlich einig, dass sie zwar ein hohes Risiko in Kauf nehmen, dabei aber sicher nicht den Tod suchen. Alexander Huber: O27/28 O-Ton Huber: Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass ich nicht das Schicksal habe, früh zu sterben, in einer Art und Weise, die nicht sehr schön ist, sondern hoffe ein gesegnetes Alter zu erreichen. Aber irgendwann ist es eben auch vorbei zwangsläufig, weil wir sind hier wie man so schön sagt nur Gast auf Erden und das nur für sehr sehr kurze Zeit. Musik: Mnör Autorin: Wieviel Aufregung einer braucht im Leben. Und ob das daran hängende Glück das Risiko eines frühen Todes aufwiegt? Das muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden. 13