Sendung: Die Reportage Länge: 27'10 Redaktion: Eberhard Schade Sendedatum: 3.3.2013 Che Guevara im Supermarkt Perestroika auf Kubanisch von Adriana Marcos ATMO/MUSIK: Beginnt mit Wort: "Cha-Cha-Cha", dann Musik Sprecherin Es ist zwei Uhr nachmittags, keine schlechte Zeit um zu tanzen. In einem begrünten Innenhof bewegen sich drei Paare geschmeidig im Cha-Cha Rhythmus. Fünf Musiker singen, spielen und lachen, zwischendurch legt einer sein Instrument weg und tanzt mit. Die Gäste im Restaurant sitzen beglückt vor ihrem Mittagessen, die meisten sind Touristen. Die Tänzer sind Kubaner. ATMO/MUSIK Salsa mit Flöte Sprecherin In der Altstadt von Havanna ist alles wie im Film: Musik an jeder Straßenecke, Kolonialbauten, hübsch herausgeputzt, vor dunkelblauem Himmel. Gut gelaunte, freundliche Menschen, die T-Shirts mit Che Guevaras Konterfei und dunkelgrüne Guerillamützen mit rotem Stern verkaufen. Das Mittagsmenü in der Altstadt kostet rund 10 Euro. Unbezahlbar für die Kubaner, aber das wissen die meisten Touristen nicht. ATMO/MUSIK: Guantanamera Sprecherin Sie freuen sich an dem typischen Ambiente, und die Kubaner freuen sich mit. Touristen lassen viel Geld in Kuba - im Restaurant, im Hotel, im Souvenirshop. Nicht nur der Staat, auch die Kubaner verdienen mit - seit zwei Jahren können sie sich selbstständig machen. Und sie erweisen sich als geschäftstüchtig. Dass man Gäste ins Restaurant mit guter Musik locken kann, auch wenn es mit dem Essen nicht weit her ist, das weiß in der schmucken Altstadt von Havanna jeder. Atmo/Musik: (im Almendrón) Sprecherin Wenige Straßenzüge weiter fällt der Putz von den Häusern, Balkone hängen windschief an bröckelnden Fassaden. Ein giftgrüner, amerikanischer Straßenkreuzer hält, es ist ein Sammeltaxi, das die Außenbezirke anfährt. Der Fahrer arbeitet auf "cuenta propia", auf eigene Rechnung. Einer von rund 400.000 Kubanern, die es gewagt haben, sich selbständig zu machen. Das Fahrzeug muss mit Vorsicht behandelt werden, die Türen könnten herausfallen. Der Fahrer geht auf Nummer sicher, er öffnet und schließt lieber selber. Und lacht. Auf seine Karre ist er stolz. 1. O-Ton Taxifahrer "Das Auto hat natürlich viele russischen Teile, das ganze Innenleben ist russisch. Aber der Motor ist original, die ganze Karosserie ist original. Der Almendrón, das ist ein wirklich gutes Auto, der hier ist Baujahr 1957. 1957! (Hupen) Atmo Sprecherin Almendrón, das ist der Kosename für die bonbonfarbenen Straßenkreuzer aus den 50-ger Jahren. Damals ist Kuba zwar längst keine spanische Kolonie mehr, aber die USA beherrschen praktisch alle Wirtschaftszweige. Bis die Guerillabewegung um Fidel Castro und Che Guevara die Weltmacht verjagen, den Sozialismus ausrufen und die US-Amerikaner enteignen. Das war 1959. Seither leben die beiden Nationen in abgrundtiefer Feindschaft. Das Hotel Hilton heißt fortan "Habana Libre". Die USA verhängen ein Handelsembargo wegen Diebstahls. Es besteht bis heute und ist das längste der Geschichte. Das Embargo hat u.a. dazu geführt, dass auf Kuba viele Dinge des täglichen Bedarfs wie Seifen, Creme oder Shampoo Luxusartikel sind. Den eigentlichen Zweck, das Regime zu stürzen, hat es aber nicht erfüllt. Atmo: Mariano Sprecherin In Marianao, einem Vorort von Havanna wachsen Blumen und Palmen am Straßenrand. Auf der Veranda vor den Häusern sitzen alte Kubaner im Schaukelstuhl und rauchen Zigarren. Die Sonne scheint, wie immer. Familie García wohnt seit über 50 Jahren in einem Sozialbau. Steinerne Treppen führen in den erster Stock. Entlang eines schmalen Laubenganges blickt der Besucher in eins, zwei, drei, vier, fünf Wohnzimmer. Alle Türen stehen offen. Atmo/Musik: TV und Musik Sprecherin Bei Familie Garcia laufen der Fernseher, der CD-Player und der Ventilator gleichzeitig. Francisco, 42 Jahre alt, guckt eine Sportsendung. Sein Sohn Ramón, 17 Jahre alt, hört das Live-Konzert seiner mexikanischen Lieblingsband. Oma Lucía, Mitte 80, döst auf dem Sessel und hält ihren Kurzhaarschopf in den Wind des Ventilators. Insgesamt fünf Personen arrangieren sich auf minimalstem Raum. Nicht mehr als 10 qm haben Wohn- und Essbereich, Küche inklusive. Familie García würde liebend gerne umziehen, womöglich in ein eigenes Haus, aber daran ist nicht zu denken. Francisco schüttelt den Kopf. Kein Geld. 2. O-Ton Francisco " Ich verdiene 420 Pesos im Monat. Dieses Geld reicht ausschließlich für Lebensmittel, nur dafür. Ich spreche nicht vom Strom, vom Gas und all den anderen Sachen. Ich rede nur vom Essen. Wir helfen uns gegenseitig, wir schmeißen alles in einen Topf. So kommen wir über die Runden. Aber es gibt ja auch Haushalte, in denen nur einer ein Einkommen hat. Einer allein, der die ganzen monatlichen Ausgaben bezahlen soll, der hat es sehr schwer." Sprecherin Francisco ist Klimatechniker, er hat studiert und arbeitet im Krankenhaus. Würde er auf eigene Rechnung Papayas und Mangos verkaufen, würde er deutlich mehr verdienen. Aber er arbeitet für den Staat. Der zahlt ihm sein Gehalt in kubanischen Pesos, umgerechnet ungefähr 17 Dollar oder CUC, so heißt in Kuba die konvertible Währung. Die Grundnahrungsmittel und einiges mehr bekommen alle Kubaner billig und in nationaler Währung. Wer aber zusätzlich Fleisch oder Käse haben will, wer eine Rasiercreme oder Tampons braucht, der muss in CUC bezahlen. 25 Pesos sind 1 CUC. Oma Lucía rechnet lieber gleich gar nicht um. 3. O-Ton Lucía "Ich kriege 200 Pesos Rente. Ich habe 18 Jahre in einer Schule für behinderte Kinder gearbeitet. Es wurde gesagt, dass die Renten erhöht werden, aber daraus wurde nichts. 200 Pesos - das ist nichts!" Sprecherin "Die Rechnung geht hinten und vorne nicht auf" ruft Carmen hinter einem Vorhang, der den Wohnbereich der Familie von Schlafbereich trennt. Carmen, 37Jahre alt, Mutter von Ramón, ist für die Versorgung der Familie zuständig. Sie kocht gerne und gut, ist zupackend und würde sich sehr gerne selbstständig machen. 4. O-Ton Carmen "Für mich sind die Möglichkeiten beschränkt. Was ich machen könnte, kann ich hier nicht umsetzen. Es gibt keinen Platz dafür. Die Wohnung ist so winzig, da kann ich nicht anfangen zu kochen. Kleine Gerichte, das wäre meine Geschäftsidee. Aber wir haben ja keinen Platz. Es ist unmöglich." Sprecherin Carmen kennt die Preise, sie steht Schlange beim Einkaufen, sie muss rechnen. Dass es in Kuba bald Internet für alle geben könnte, dass die Kubaner seit Januar reisen dürfen, wohin sie wollen, das interessiert sie nur am Rande. 5. O-Ton Carmen "Wenn ich über die wirtschaftliche Situation spreche, dann meine ich in erster Linie die Ernährung, die Lebensmittel. Aber ich kann genauso gut über Kleidung sprechen. Es ist ein Luxus, sich einigermaßen gut zu kleiden. Das ist sehr schwierig, weil die Preise viel zu hoch sind für unsere Gehälter. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die wichtigste Unterstützung für uns Kubaner kommt aus dem Ausland, dank der vielen Familienmitglieder, die uns Geld schicken, kommen wir durch. Anders wäre das nicht möglich, wirklich nicht." Sprecherin Familie García bekommt monatlich rund 50 Euro aus den Niederlanden. Franciscos Schwester lebt mit ihren Kindern in Den Haag. Und es gibt noch einen, der auf seine Art zum Familieneinkommen beiträgt. Großvater Lucho. Atmo: Finca Sprecherin Mit einer Krücke humpelt Lucho in einem Garten nur eine Straßenecke weiter hinter seinen Hühnern her und wirft ihnen Futter zu. Auf dem Kopf ein Strohhut, darunter ein dunkelbraunes Gesicht, fast faltenlos, obwohl Opa Lucho bereits Ende achtzig ist. Der alte Mann züchtet Hühner und Karnickel, die den Speiseplan der Familie García bereichern. Bananenstauden, Kokospalmen und Avocadobäume tragen riesige Früchte. Hinter dem Eingangstor streckt sich ein langes Gemüsebeet entlang einer Mauer. Das ist Opa Luchos "Finca" - ein Garten, der zu einer alten Villa gehört. Vor der Revolution mögen hier reiche Geschäftsleute mit ihrem Dienstpersonal gewohnt haben. Seit 30 Jahren aber bewirtschaften Lucho und sein Freund Miguel den Garten. Atmo: Finca "Miguel!! Miguel!! - - Sí, voy" Sprecherin Miguel kommt langsam die Treppe herunter, sein schlohweißes Igelhaar glänzt in der Sonne. Die beiden Alten sind ein Herz und eine Seele. 6. O-Ton Lucho "Ich komme morgens um 8.00 Uhr hierher und bleibe bis zum Mittagessen. Dann komme ich wieder gegen fünf und bleibe bis zum Abendbrot. Ich gehöre hierher, ich will nicht weit weg, dafür bin ich zu alt." (lacht) Sprecherin Luchos Tochter, die in Den Haag lebt, möchte, dass er zu Besuch kommt. Vergeblich. Atmo: Finca Sprecherin Trotzdem finden Lucho und Miguel die neue Reisefreiheit großartig. Sie denken an ihre Kinder und an die Enkel. Sie wünschen sich, dass sie die jungen Kubaner reisen, die Welt kennenlernen und wieder zurückkommen. 1 Million Menschen hat Kuba seit 1959 verloren. Bei einer Einwohnerzahl von 11 Millionen ist das fast ein Zehntel. Viel zu viel. Seit Januar gilt die neue Reiseregelung, aber der Andrang hält sich bisher in Grenzen. Lange Schlangen bilden sich nicht, allerdings verzeichnen die Botschaften einen leichten Anstieg der Visaanträge. Auch Francisco hat einen gestellt. Atmo: Mariano Sprecherin Er will raus hier, unbedingt - allerdings nur in den Ferien. Seine Schwester aus Den Haag hat ihn eingeladen, er freut sich schon auf den Sommer. 8. O-Ton Francisco "Vorher brauchten wir eine Einladung, und damit ist es jetzt endgültig vorbei. Jetzt geht alles schnell: man muss sich den Pass besorgen, dann bei der jeweiligen Botschaft ein Visum beantragen. Wenn das Visum erteilt wird, dann kannst du buchen ohne auf die Einladung zu warten und die ganzen Formalitäten zu bezahlen. Das ist das Beste, was uns passieren konnte." Sprecherin Jetzt ist Francisco auf dem Weg zur Nachbarin. Sie will ihre Wohnung verkaufen. Er träumt davon, sie zu kaufen. Das war früher nicht möglich, aber inzwischen wechseln Häuser, Autos und anderes Privateigentum die Besitzer. María, 62, brünett und mollig, sitzt im Schaukelstuhl auf ihrer Veranda. Zwei Stockwerke hat ihre Wohnung, ideal für Familie García: unten die Alten, oben die Jungen. María würde liebend gerne an die Nachbarn verkaufen, aber sie braucht Devisen, denn sie will ausreisen. Für immer. Nach Miami. 9. Ton María "Meine Tochter und meine Enkel leben dort, ich will jetzt einfach bei ihnen sein und auch bei ihnen bleiben. Vielleicht ist das heute meine Meinung und in fünf Jahren denke ich anders. Ich kenne ja dieses Land gar nicht. Ich muss es jetzt erst einmal kennenlernen." Sprecherin Obwohl María schon dreimal erfolglos versucht hat, für die USA ein Visum zu bekommen, rechnet sie dieses Mal fest mit ihrer Ausreise. Deshalb der Verkauf der Wohnung. 30.000 $ soll sie kosten. Francisco guckt ratlos. Wie soll er das bezahlen? María liebt ihr Land, die Nachbarschaft, die Sonne und die kubanische Seele. Aber es muss Verbesserungen geben, findet sie. Und viel mehr Kubaner müssen davon profitieren. 10. O-Ton María stehen lassen Sprecherin Die Selbstständigen, erzählt sie, haben die Möglichkeit etwas zu verdienen. Aber das ist eine Minderheit. Die meisten Kubaner sind auf die "libreta" angewiesen, auf die Lebensmittelmarken. 11. O-Ton María: steht frei Usted no ha visto la libreta? Selo voy a ensenar. Eliari, cógeme la libreta allí de la comida! Sprecherin Die "libreta" sieht aus wie ein blauer Quittungsblock und enthält detaillierte Informationen über die Familie und die Lebensmittel, die ihr zustehen. 12. O-Ton María: stehen lassen, darüber: Sprecherin Marías Familie bekommt: Reis, Bohnen, Öl. Es kommen noch Eier, Kaffee und etwas Fleisch dazu. María ist Diabetikerin und bekommt Huhn statt Schwein. Kinder bis 7 Jahre haben das Recht auf Rindergehacktes. Schwangere bekommen sogar Rindfleisch. 13. 0-Ton María "Das ist garantiert, was hier steht, und zwar für alle. Alle Kubaner bekommen das gleiche. Ich kriege 10 Pfund, mein Nachbar auch. Aber er kann sich vielleicht weitere 10 Pfund auf dem freien Markt kaufen und ich nicht, verstehst du?" Sprecherin Die Öffnung des Marktes, der Tourismus, die Überweisungen aus dem Ausland - dies alles führt dazu, dass es Gleichere unter den Gleichen gibt. "Kein Kubaner geht hungrig zu Bett" - das war die Parole der Revolution und die Geburtsstunde der libreta. Dass es heute noch Lebensmittelmarken gibt, ist eher ein Armutszeugnis. Einerseits. Andererseits wären viele lateinamerikanische Nachbarn durchaus froh, wenn sie solche Marken hätten. María bekommt kostenlos ihre Medizin, das Insulin, die Spritzen. Sie ist genügsam. Aber sie glaubt, dass die Mehrheit der Jugendlichen von einem Leben träumen, das ihnen Handys, ein Auto oder auch nur neue Turnschuhe verspricht. Andere Gründe, die schöne Insel zu verlassen, fallen ihr nicht ein. 14 O-Ton María " Der Kubaner verlässt doch seine Heimat nicht aus politischen Gründen. Also diese Leute kann man wirklich an einer Hand abzählen. Nein, die Kubaner wollen andere Lebensumstände, sie wollen es einfach endlich besser haben." Sprecherin Bei der Frage, was sich auf Kuba ändern sollte, muss María nicht lange nachdenken: 15 O-Ton María steht frei Quitar el bloqueo.. Sprecherin El bloqueo - das Handelsembargo muss weg. Francisco nickt heftig. "El bloqueo", ist das Synonym für die Ursache allen Übels. Schuldig sind: die USA. Francisco kann die Wohnung auf 25.000 Dollar herunterhandeln. Aber das macht keinen Unterschied. Es bleibt ein Traum. Enttäuscht geht er nach Hause. Atmo/Musik - Im Auto mit Radio Sprecherin Die Straße von Havanna nach Trinidad ist gut ausgebaut und wenig befahren. Benzin ist teuer und muss in CUC bezahlt werden. Sattgrüne Zuckerrohrfelder, klare Flüsse, weißer Sand, türkisblaues Wasser, Palmen. Vorbei an der legendäre Schweinebucht, die in der Mittagssonne glänzt. Atmo - Trinidad mit Pferden Sprecherin In Trinidad scheint die Zeit still zu stehen: pastellfarbene Kolonialhäuser zäumen Straßen mit Kopfsteinpflaster, über die Pferdekarren, Lastenfahrräder, Rikschas, Esel, Mopeds und alte Straßenkreuzer holpern. Morgens werden Schweinehälften transportiert, mittags Touristen. Mitten im Zentrum wohnen Mauricio und seine Frau. Sie vermieten zwei Zimmer an Gäste, ihr kleines Haus hat eine hübsche Terrasse, auf der eine weiß blühende Rankepflanze Schatten spendet. Mauricio, 50 Jahre, mit Glatzkopf und strahlend schwarzen Augen, sitzt vor einem Glas Guavensaft. Das Geschäft läuft gut. Er ist rundum optimistisch: 16 O-Ton Mauricio " Der nächste Schritt ist jetzt das Internet. Wenn ich Internet habe, dann kann ich meine eigene Website machen und meine Gäste können dann im Internet Zimmer reservieren. Das ist der nächste Schritt und ich glaube, das geht jetzt ganz schnell. Es hat sich in letzter Zeit so viel entwickelt und ich finde, das geht alles in die richtige Richtung." Sprecherin Mauricio ist ein Vorzeigeunternehmer. Seine ersten Devisen hat er mit Holzskulpturen verdient - dabei ist er von Beruf gelernter Chemiker. Das Kunsthandwerk war sein Hobby. Dann kam der Tourismus nach Trinidad. 17 O-Ton Mauricio "Ich habe den richtigen Moment von Angebot und Nachfrage ausgenutzt. Es gab kaum Angebote, weil es nur wenige Kunsthandwerker in Trinidad gab. Aber die Nachfrage war groß. Es war wie eine Explosion, alle wollten kaufen und wir haben alles, was wir hatten, verkauft. Und mit diesem Geld aus dem Kunsthandwerk konnte ich weitermachen und das Haus herrichten." Sprecherin Mit den Einnahmen aus dem ersten Zimmer hat Mauricio das zweite Zimmer gebaut. Weil er gut und gerne kocht, bietet er Frühstück und Abendessen an. Inzwischen sind im Erdgeschoss die Handwerker mit dem Ausbau von weiteren drei Zimmern beschäftigt. Hilfe aus dem Ausland von Familienangehörigen? Fehlanzeige. Mauricios ganze Familie lebt in Kuba. Die Reformen findet er alle gut, auch wenn er selbst erst einmal nicht reisen wird. Er beobachtet seine Landsleute genau und stellt fest: Nicht jeder kann mit den neuen Freiheiten umgehen. 18 O-Ton Mauricio "Alle können sich selbständig machen, manche sind mutig und machen das. Andere haben Angst. Es ist ein ganz anderes Arbeiten, das sind sie nicht gewohnt. Sie sind gewohnt, für den Staat zu arbeiten, ein Gehalt zu bekommen, keine Steuern zu bezahlen, einen 8-Std. Tag zu haben. Das geht hier natürlich nicht. Hier kannst du 12 oder 16 Stunden arbeiten, ja nachdem wie die Nachfrage ist." Sprecherin Und Mauricio arbeitet viel. Die Nachfrage ist auch deshalb so gut, weil das Umfeld stimmt. Atmo/Musik: 10a Salsa Sprecherin Abends spielen in Trinidad exzellente Bands, die im Auftrag der Kulturbehörde Touristen und Einheimische beglücken. Die Touristen zahlen in CUC, die Einheimischen in Peso. So tanzt eine bunte Mischung abends unter sternklarem Himmel Salsa, Bolero und Mambo bis in die frühen Morgenstunden. Musik ist Kubas Exportschlager, die kostenlose Ausbildung an den verschiedenen Konservatorien ist hervorragend. Die Musiker würden auf jeder europäischen Bühne bestehen. Atmo/Musik - Trommelsolo Sprecherin Der Weg nach Hause ist sicher. Kriminalität gibt es kaum auf Kuba. Das schätzen nicht nur Touristen, sondern auch Kubaner. Sie wissen, dass das Leben in Freiheit keineswegs überall frei ist. Ihre Nachbarn in Mittelamerika trauen sich abends gar nicht mehr aus dem Haus. Atmo / Musik 12 Aufmarsch Sprecherin Am nächsten Morgen erfüllen andere Klänge die Stadt. Mauricio brät gerade Eier zum Frühstück, als draußen ein Aufmarsch von Kindern in dunkelroter Schuluniform mit Halstuch vorbeizieht. Ein Aufmarsch zu Ehren von José Martí, dem kubanischen Nationalhelden. Mauricio kommt mit den Eiern auf die Terrasse. Aufmärsche findet er nicht zeitgemäß, aber auf das kubanische Bildungssystem lässt er nichts kommen. Jeder kann lernen, wenn er will, alle haben die gleichen Chancen. Eine gute Voraussetzung in dieser Umbruchsituation. Atmo 5 Mariano Sprecherin In Havanna, im Vorort Mariano bei Familie García, könnte Carmen einiges von Mauricio lernen. Ihr Sohn Ramón steht kurz vor dem Abitur. Sie ist froh darüber, dass er nicht über Plasmafernseher, sondern über die Zulassung zum Psychologiestudium redet. Aber natürlich will er ein Handy. Sie fürchtet, dass er Kuba verlassen könnte, wenn es mit den Reformen nicht schneller geht. 21 O-Ton Carmen "Ich habe eine sehr schöne Zeit hier verbracht, die achtziger Jahre waren wunderbar, es gab alles im Überfluss. Ich war ein Kind, aber ich erinnere mich daran, dass mir nichts fehlte. Mein Sohn hat so etwas nie erlebt. Ich möchte, so gerne, dass sich wirklich etwas ändert und er das Leben so genießen kann, so wie ich damals." Sprecherin Die Sehnsucht nach Veränderung relativiert sich dann, wenn die sogenannten "Errungenschaften der Revolution" in Frage gestellt werden. In anderen Ländern Zentralamerikas, mit denen sich Kuba vergleicht, gibt es zwar Handys und Plasmafernseher, aber auch jede Menge Analphabeten. 22 O-Ton Carmen "Alle Kinder und Jugendlichen haben hier das Recht auf kostenlose Bildung. Ein Lehrer unterrichtet jeweils 15 Kinder, egal welche Religion, welchen sozialen Hintergrund sie haben, alle sind gleich. Das Bildungssystem ist wirklich gut hier. Dasselbe gilt für das Gesundheitssystem. Für alle gibt es medizinische Hilfe, gleichberechtigt. Das sind doch wirklich Errungenschaften! Ich bin stolz darauf!" Sprecherin Darüber, dass all diese Errungenschaften bleiben sollen, sind sich die Kubaner scheinbar einig. Und dann zeigt sich Kuba doch noch von einer anderen Seite. Zufällig. Eine Einladung zu einem Abend mit prominenten TV-Stars, gleich in der Nähe der winzigen Sozialwohnung von Familie García. Carmen und ihr Mann Francisco machen sich fein, sie gehen normalerweise nicht aus. Dass in einer Entfernung von 20 Minuten Fußweg eine Villa steht, deren Tor nicht offen steht, sondern bewacht ist, wundert die beiden. Atmo/Musik - Musik in Villa Sprecherin Dass sich im Innenhof eine schicke Bar versteckt und sie wie selbstverständlich eine pina colada serviert bekommen, lässt sie staunen. Dass mit zwei Macs und einem Beamer Filme an die Leinwand geworfen werden, macht sie fassungslos. Mit großen Augen verfolgen die beiden die Prominenten, die nach und nach hereinkommen. Ein Sportler, ein Schauspieler, ein Sänger, ein Comedian. Der steht bald auf der Bühne und liefert eine ziemlich gute Show. Atmo - Comedian Sprecherin Das Publikum lacht schallend, auch Carmen und Francisco. "Ihr wisst doch: Kein Kubaner geht hungrig ins Bett", so greift er die Parole der Revolution auf. "Das ist der Grund, weshalb so viele Kubaner die Nächte durchmachen und erst zum Frühstuck nach Hause kommen." Atmo - Comedian, Lachen hochziehen Sprecherin Carmen und Francisco weinen vor Lachen. Wie alles an diesem Abend, so könnte auch die Schlussszene inszeniert sein. Ist sie aber nicht. Atmo/Musik - Wind of Change Sprecherin Dass ausgerechnet die deutsche "Hymne der Wende" aus kubanischen Laut sprechern schallt, ist einfach nur Zufall. Atmo/Musik - Wind of Change ... Absage (auf Musik) --- ENDE --- 1