Deutschlandrundfahrt Was bleibt Der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg Eine Sendung von Matthias Baxmann 25. Januar 2014, 15.05 Uhr Ton: Herrmann Leppich Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2014 Regie: Kennmelodie unter nächstem Take einfahren Atmo 1 unter Autor O-Ton 1: O-Ton Schmollinske: Hier haben wir das erste Registerbuch. Die allererste, hier Bestattete war eine Eva-Maria Stülken, geborene Lügerbauer, Tischlersfrau, verstorben mit neununddreißigeinhalb Jahren. Autor: Mit der Bestattung der Tischlersfrau wurde der größte Parkfriedhof der Welt in Hamburg Ohlsdorf eingeweiht. O-Ton Schmollinske: Das Geburtsdatum wurde in der Anfangszeit nicht eingetragen, nur das Sterbedatum. Also, sie ist am 27. Juni 1877 verstorben. Autor: Petra Schmollinske vom Ohlsdorfer Friedhofsförderkreis folgt mit dem Finger den Spalten des Registerbuchs. O-Ton Schmollinske: Das ist natürlich schwierig zu lesen, weil das in Sütterlin ist. Eine Spalte, hier taucht auf, wer hat denn die Friedhofsgebühr bezahlt? Das Werk- und Armenhaus, also, da recht deutlich, aus welcher Gesellschaftsklasse diese Menschen kamen. Auf der rechten Seite eingetragen: glatter, schwarz lackierter Holzsarg ohne Schild. Und daneben noch: Mit Gefolge. Denn der kleine feierliche Akt, da wurde schon ein bisschen Aufwand getrieben, aber das war es dann ansonsten für die erste Zeit. Regie: Ansage Sprecher: Was bleibt - Der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg Eine Deutschlandrundfahrt von Matthias Baxmann O-Ton 2: O-Ton Schmollinske: Wir sind hier in unserem kleinen Friedhofsmuseum auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Dort steht ein Herr in schwarzer Kleidung, der die Besucher quasi begrüßt. Er hat ein Ziersäbel in der Hand. Seine Bekleidung besteht aus einer recht weiten, schwarzen Kniehose, schwarze Strümpfe, schwarze Schuhe. Autor: Eine Art Schnabelschuhe mit Schnallen. O-Ton Schmollinske: Eine kurze schwarze Jacke mit großem weißem Kragen und natürlich ein schwarzer Hut auf dem Kopf. Autor: Ein Dreispitz. Die menschengroße Sargträgerpuppe sieht aus, wie ich mir den leibhaftigen Tod vorstelle. Der lange Beerdigungsstab in ihrer Hand erinnert an eine Sense. O-Ton Schmollinske: Heute kann es einem passieren, dass man Sargträger noch in ähnlicher Kleidung auf dem Friedhof sieht. Die 1. Klasse der Hamburger Friedhofsleichenträger wird heute noch in der Form angezogen. Die 2. Klasse hat dann einen langen Mantel und die 3. Klasse auch in der Form, aber mit einem roten Kragen. Es gibt feine Abstufungen, die entsprechend auch finanziell eine Rolle spielen. Autor: In den Vitrinen des Museums liegen Hüft- und Kniegelenke, Herzschrittmacher und andere Metallteile, die bei der Verbrennung von Toten übrig blieben. Hinter einer Pappurne aus dem Krieg steht eine fast lebensgroße Grabplastik aus Bronze. O-Ton Schmollinske: Eine junge Dame, leicht erotisch. Das ist ja bei vielen Plastiken der Fall, Frauenfiguren. Das Gewand rutscht dann halt von der einen Schulter und auch sonst ist es auch nur dezent verhüllend. Autor: In Schaukästen liegen Fotos und Biographien von Prominenten, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben sind: Die Schauspielerinnen Monica Bleibtreu und Inge Meysel zum Beispiel, der Maler Philipp Otto Runge oder der Schriftsteller Wolfgang Borchert. O-Ton Schmollinske: Und dass wir Heinz Erhardt hier haben wissen auch recht viele, aber beispielsweise Willi Fritsch, das wissen die Wenigsten, dass der hier mal bestattet worden ist. Regie: nächsten Autor mit Musik/M1 unterlegen Autor: Der Ohlsdorfer Friedhof ist als Landschaftspark angelegt. Sein Architekt und erster Leiter, Wilhelm Cordes, wollte eine Verbindung von Grabflächen und Erholungsraum für die Hamburger schaffen. Die Gräber scheinen ganz natürlich eingebettet in die Parklandschaft mit ihren Teichen, Bächen und waldartig bepflanzen Hügeln. Zwischen Hecken und langen Reihen von Rhododendronbüschen liegen idyllische Plätze zum Trauern. Es gibt aber auch neu angelegte, eher offene Begräbnisflächen. Mit ihrer spielerischen Gestaltung strahlen sie sogar etwas Heiteres aus und nehmen so dem Tod seine Schwere. Die meisten der knapp anderthalb Millionen Grabmäler sind Einzel- oder Familienruhestätten. In Ohlsdorf wird aber auch nach Berufen, Themen und Religionen bestattet. So gibt es Anlagen für See- und Feuerwehrmänner, Kinder- und Frauenbegräbnisstätten oder Soldaten und Kriegsopferhaine. Doch auch nach Armut und Reichtum wurde bestattet. Davon erzählen die anonymen Gräber der Mittelosen einerseits und die Mausoleen aus der Zeit der Jahrhundertwende andererseits. Regie: Musik ausblenden, A2 (Atmo Bus) einfahren Autor: Um sie mir anzusehen nehme ich den 170iger Bus. Der Ohlsdorfer Friedhof ist so groß, dass man auf ihm zwei Buslinien eingerichtet hat. O-Ton Ansage Bus: Nächste Haltestelle: Kapelle 3. Regie: weiter Atmo Bus unter nächstem Take mit Atmo 3 (Friedhof) überblenden, Autor: Die Haltestellen tragen die Namen der zwölf im Park verteilten Beerdigungskapellen. Hinter Kapelle sieben steht das größte Mausoleum: Sein Grundriss hat etwa die Fläche eines Tennisplatzes. Der achteckige Kuppelbau im neoromanischen Stil ist bestimmt 15 Meter hoch, ein wahres Monstrum. O-Ton 3: O-Ton Schmollinske: Kann man wohl sagen, und ein Riesenproblem! Autor: Warum? O-Ton Schmollinske: Die Familie, die das hat mal errichten lassen, die hat irgendwann kein Interesse mehr daran gehabt. Und seit kurzem gibt es jemand, der es als Pate im Prinzip übernommen hat. Und auch angefangen hat, etwas daran zu restaurieren, aber das ist auf halbem Wege stecken geblieben. Wahrscheinlich hat er dann auch gemerkt, dass das kostenmäßig nicht ganz einfach zu bewerkstelligen ist. Regie: unter Autor immer Atmo 4 (Friedhof leise) Autor: Ein Hamburger Unternehmer hatte das verwaiste Gebäude 2008 für eine sechsstellige Summe für die nächsten 100 Jahre vom Friedhof Ohlsdorf gepachtet. Nunmehr scheint es endgültig dem Verfall preisgegeben. Gleich hinter dem Millionengrab parkt ein Geländewagen neben einem weiteren Mausoleum. Werner Carstens steht auf der Leiter und kärchert das Moos von den Wänden des Bauwerks. Es ist das von seinem Kumpel, denn an Carstens eigener Gruft ist nichts mehr zu tun, alles von ihm bereits vollkommen saniert. Man hilft sich in der Mausoleums-Community. Verpachtet oder verkauft sind sie alle. Acht oder neun dieser Gruftgewölbe ragen zwischen Lärchen und Eiben gen Himmel. Regie: unter Autor weiter Atmo 4 O-Ton 4 Carstens: Das habe ich als Pate übernommen. Der Altbesitzer, da existieren keine Nachkommen mehr. Das war alles sehr kaputt. Autor: Werner Carstens Mausoleum misst etwa 6 mal 6 Meter im Grundriss. Ein Kuppelbau mit umlaufenden Fenstern unter dem Dach. Wie die Miniaturausgabe des Berliner Doms. Ein Schmuckstück für den, der solche Bauwerke mag. Carstens: Und ich habe das dann als Pate übernommen. Also, gekauft. Autor: Warum macht man das, wenn ich fragen darf? Hatten sie eine Beziehung zu den Menschen? Carstens: Nein, überhaupt nicht, aber dieses Gebäude hat mich interessiert. Das ist ja 100 Jahre alt. Das ist ein schönes Jugendstilgebäude, alles aus Granit. So was kann man ja nicht verkommen lassen. Und da muss man Hand anlegen und das dann wieder Instand setzen. Wenn man nichts macht, geht alles irgendwann mal kaputt. Auch das Leben geht irgendwann mal kaputt. Autor: Man kann reingehen? Carstens: Ja, ja, man kann rein. Macht man dann so auf. ? Das habe ich hier alles restauriert. Regie: unter Autor Atmo 5 (Mausoleum innen) Autor: Der Innenraum ist etwa so groß wie ein Wohnzimmer. Es ist unerwartet warm hier. Licht fällt durch die Fenster unter der Kuppel. In der Mitte: Ein Tisch mit Blumen und Weingläsern, darum vier Sessel, gedeckt wie für eine kleine Rotweinparty. In die Ecke ist ein Kamin eingebaut. Carstens: Es war alles kaputt, alles kaputt. Der ganze Putz war ab, ich musste hier Gerüst stellen, alles wieder neu machen, sehr viel Geld investiert. Das Ganze ist zwölf Meter hoch, war alles kaputt, neue Fenster rein: Da ist jetzt Panzerglas drin. Früher haben sie das kaputt geworfen. Das habe ich aber so gemacht, dass das nicht kaputt geht. Autor: 10 Jahre hat Werner Carstens an seinem Mausoleum gewerkelt. Carstens: Jetzt ist das fertig. Schöner alter Marmorfußboden mit Ornamenten drin. Autor: Rechts und links vom Eingang öffnen sich die Räume zu den Grüften. Carstens: Es ist so, dass hier keiner mehr drin liegt. Das ist raus genommen worden, die Überreste, die hier drin waren. Das waren alte Särge, das war alles kaputt, es war nichts mehr Ansehbares. Und ich habe dann diese Kammern aufgelassen hier unten die beiden und werde dann für Freunde oder wenn einer mal keine Bleibe hat, oder er will nicht in den Erdboden verscharrt werden, ja, dann kann er hier rein. Autor: Auch den Übertopf für seine eigene Urne hat Werner Carstens schon mal in die Gruft gestellt. Carstens: Ich will hier dann nicht in einen Sarg rein. So eine Urne nimmt kein Platz weg, deswegen habe ich diese Urnen-Übertöpfe bauen lassen, die ist aus Keramik. Die kann man in die Ecke stellen und dann stören die nicht. Autor: In Deutschland besteht Friedhofspflicht. Nicht nur Särge müssen auf Friedhöfen bestattet werden, auch die Aschegefäße darf man nicht mit nach Hause nehmen. Doch sein Zuhause neben einer Urne einzurichten, scheint kein Problem. Carstens: Ja, ja, wir sitzen hier! Es ist hier immer was los, weil die ganzen Leute hier immer zusammenkommen. Heiligabend, dann kommen wir her mit Freunden und setzen uns noch mal hin, trinken unsern Rotwein und ja, haben wir es warm hier, Heizung machen wir dann an, Kamin haben wir auch. Das wird dann schön warm und gemütlich hier drin. Regie: Atmo 4 unter Autor Autor: Carstens will sich mit seinem Kärcher wieder an die Arbeit machen. Am Gebäude seines Nachbarn gibt es immer noch ein paar Moosflecken. O-Ton 5 Carstens: Walter Strieaal, das ist mein toller Freund gewesen, der an Krebs verstorben ist. Autor: Aber das ist ursprünglich auch sein Familienmausoleum gewesen? Regie: Musik 3 (Mozart/Requiem/Introitus) ab ??Er wollte das gerne haben??einfahren Carstens: Nein, nein, das hat der auch ? das war auch alles kaputt. Er wollte das gerne haben. - Dann hat er gesagt, wenn ich ihm das fertig mache, das Gebäude, dann würde er das dann übernehmen. - So und er liegt jetzt da drin in der Kammer da. - Wunderschöne Kammer mit grünen Marmor ausgeschlagen, richtig toll! - Man kann das aber nicht begehen. Das sind ja nur so Gruften, nicht. - Er ist da im roten Sarg, ist er beerdigt, knallroter Klavierlack, beerdigt worden. Hat seine Taschenlampe mit und sein Rotwein, Bordeauxwein, hat alles dabei - bloß kein Handy, das wollte er nicht. Regie: Musik 3, ab hier Einsatz Chor, steht frei bis Ende oder Ausstieg suchen, mit Atmo 6 überblenden O-Ton Ansage Bus: Nächste Haltestelle: Kapelle 9. Regie: Atmo 6 unter Autor und O-Ton 6 Autor: Petra Schmollinske vom Friedhofsverein will mir zeigen, wie man in Ohlsdorf Urnen auch bestatten kann, wenn man kein Mausoleum hat und man dereinst auch nicht unter die Erde will. O-Ton 6 O-Ton Schmollinske: Man sagt: Kolumbarium. Ursprünglich bedeutet das Wort Taubenschlag, Kolumba ist die Taube. Und in einem Kolumbarium werden Urnen in einer Wand mit Fächern aufgestellt. Das ist ja auch etwas, das in ähnlicher Weise die alten Römer schon praktiziert haben. Schluss Atmo 6: O-Ton Ansage Bus: Nächste Haltestelle: Kapelle 10. Regie: nach dieser Ansage mit Atmo Kolumbarium überblenden und immer unter Autor legen Autor: Wir stehen in einer Halle, über die sich ein Glasdach wölbt. In drei der Wände sind neben und übereinander Nischen eingelassen, so groß wie Gepäckschließfächer. Doch diese Fächer sind hinter Glasscheiben. Es sieht hier aus wie in einer Ausstellung über Urnen, einer Art Performance zum Thema Tod. Das hier ist aber keine Kunstaktion, sondern ein Trauerort. O-Ton 7 O-Ton Schmollinske: Es gibt auch Fächer, wo eine Marmorplatte davor ist. Das ist eine Frage, die die Grabnutzer entscheiden, wie sie es wünschen. Wenn man eine Glasplatte davor hat, sieht man eben die Urne und hat dann die Möglichkeit, auch kleine Erinnerungstücke oder Bilder mit hinein zu stellen. Wie individuell das ist, merkt man hier. Da hat jemand eine wunderhübsche kleine Plattenkamera als Modell mit dazu gestellt. Autor: In einem Fach sitzt neben einer Kupferurne ein Plüschteddy mit einem kleinen Kopfkissen im Arm. Auf der Scheibe steht: Eva 1950 ? 2005. Im Nebenfach blickt eine Puppe durch die Scheibe nach draußen. Sie hat einen Koffer im Arm und scheint auf ihre Abfahrt zu warten. Oder ihre Ankunft? Ein Sterbedatum steht noch nicht geschrieben. O-Ton Schmollinske: Bei uns ist das etwas, das sich erst so langsam wieder auf Friedhöfen einbürgert. Also, Hamburg hatte so etwas bereits 1892 als das erste Krematorium eröffnet wurde. Jetzt hat man es wieder aufgegriffen und hier in Ohlsdorf mittlerweile schon vier Mal realisiert. Autor In einem Fach der 4. oberen Reihe liegt ein Feuerwehrhelm neben dem Bild von Siggi. Er ist 1941 geboren. Auch er lebt noch. Wieder andere Fächer sind leer oder nur mit Samt ausgelegt. O-Ton Schmollinske: Auch das ist etwas, das sich in den letzten Jahren sehr entwickelt hat, dass Vorsorge getroffen wird. Gerade wenn es sich um Paare handelt, ist es sehr oft zu beobachten, dass wenn der eine Partner verstorben ist, dass der Zweite auch schon für sich quasi die Vorsorge vollkommen abschließt und entsprechend auch schon dekoriert. Also, selbst das Bildchen ist schon da, nur das Sterbejahr fehlt noch, aber das letzte Wohnhaus, ist schon alles vorbereitet. Autor: Bestattung, Grabpflege, Liegeplatz ? für die zukünftigen Nutzer oder die Nachkommen, ist die Entscheidung darüber immer auch eine Frage der Finanzierung. O-Ton Schmollinske: Wer jetzt überlegt, ein Erdgrab zu nehmen auch für eine Urne und dann hochrechnet, wie viel die Pflege über die Jahre kostet, hier kann ich von vornherein abschätzen, was mich das kostet, nämlich das ist eine einmalige Zahlung und mehr kommt nicht. Die Ruhezeit ist genau wie bei einem Erdgrab, 25 Jahre mindestens. Und wer wünscht, kann so lange wie er möchte, das weiter verlängern. Regie: Musik 4 (Bach/?Komm süßer Tod?, 1. Strophe), 1´16 steht frei O-Ton 8, unter Autor immer Atmo 4 Flörke: Das ist ein Grab von 1899. Autor: Der Literaturwissenschaftler Lutz Flörke. Flörke: Interessant für uns ist es wegen dieser Figur. Das ist ja eine vollplastische, echte Bronze in Lebensgröße. Eine Frau, die sich auf etwas eigenartige Weise über das Grab wirft, über diesen Grabstein fläzt. Man merkt, das ist eine trauernde von der Form her, zum Beispiel, wie hier die Brust gestaltet ist, die dort auf dem Stein liegt oder auch das Hinterteil, wenn man von hier hinten schaut. Da merkt man auch dieses erotische Plus. Eine Trauernde muss nicht so dargestellt werden. Rosenbusch: Unserer Meinung nach ist es die wüsteste Statur, die wir hier haben auf diesem Gebiet. Autor: Vera Rosenbusch und Lutz Flörke machen mit mir einen literarischen Spaziergang auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Sie sind fasziniert von erotischen Grabsskulpturen und suchen nach Begegnungen zwischen Poesie und Tod. Flörke: Bei dieser Figur, also, Jahrhundertwende, weil sie so drauf fläzt, wirkt das auf mich ein bisschen unangenehm, ein bisschen aggressiv. Jedenfalls passt ein Gedicht sehr schön dazu, was so die Ängste der damaligen Männer gegenüber den Frauen beschreibt. Denn, das muss man ja auch sehen, im Laufe des 19. Jahrhunderts werden in der Literatur die Frauen immer zweifelhafter, sie werden immer bösartiger. Dass heißt offenbar, die Ängste der Männer nehmen immer mehr zu. - Du kannst noch was zum Dichter sagen! Rosenbusch: Ja, es stammt von Ludwig Jakubowski. Er hat geschrieben in einer Zeit als Konservativer, als die Moderne bereits in Gang kam, also, Rilke, Hauptmann, aber es gab auch so etwas: Lachen trägt sich im Sonnenglanze das letzte Weib auf meiner Gruft, die Brüste geschmückt mit dem Lorbeerkranze und Rosen im Haare voll Purpur und Duft. Die Lüfte schimmern vor Glanz und Wonne, die Rosen atmen so schwül und satt, Sie blinzelt schläfrig hinein in die Sonne und kaut mit den Zähnen ein Rosenblatt. Und wie sich dehnt auf dem frischen Grabe in Liebesbrünsten der leuchtende Leib, rauscht aus dem Walde ein riesiger Rabe und senkt sich herab auf das zitternde Weib. Fest um die Hüften die pressenden Krallen, treibt er das teuflischste Liebesspiel, Blutstropfen purpurn zur Erde fallen zum Lorbeer, der jäh von den Brüsten fiel. Und wie an die zuckenden weißen Lenden, die Federn peitscht das brünstige Tier, presst sie mit zitternden heißen Händen an sich die Flügel in wütender Gier. Da sinkt sie erschauernd zurück auf den Hügel, ihr Blut erstarrt in Grauen und Not, und rauschend erhebt sich mit mächtigem Flügel als krächzender Rabe der lachende Tod. Flörke: Das ist jetzt auch nicht gerade die Spitze der deutschen Lyrik, aber als Dokument der Angst der Männer um die Jahrhundertwende vor Frauen, finde ich das ganz faszinierend, weil, das ist doch eine irre Phantasie: Der liegt da unten im Grabe und stellt sich vor, seine Frau treibt?s oben mit dem Tod. Rosenbusch: Hier, sie liegt auf dem Grabstein. Flörke: Ja, ein bisschen sieht es so aus. Jetzt fehlt nur noch der Rabe. Autor: Immer wieder sind mir bei meinem Spaziergang über den Friedhof solche Plastiken aufgefallen. Frauen und Engel aus Stein oder Bronze, in aufreizenden Gewändern mit durchscheinenden Brüsten. Flörke: Was wir hier vor uns sehen ist ein Grabmal aus der Zeit des Jugendstil. Eine echte Bronze, man hört es auch wenn man drauf klopft. - Die meisten erotischen Figuren sind Trauernde. Autor: Diese Trauernde mit üppiger Figur ist nur leicht bekleidet. Ein Tuch rutscht ihr lasziv von der Schulter und gibt die Brüste fast frei. Flörke: Andererseits fragt man sich immer, muss das so eng anliegen, muss es zum Teil schon so weit gerutscht sein? Rosenbusch: Das ist ja auch nicht unbedingt das, was man mit dem Tod so landläufig verbindet. Flörke: Das Schöne sitzt also hier auf den Gräbern. Da kann man sagen, das ist gewissermaßen auch ein Einspruch gegen den unschönen Tod. Die repräsentieren angeblich auch immer etwas Unverdächtiges bezogen auf den Tod, und es gibt die Möglichkeit, etwas Erotisches darzustellen. Diese Verbindung vom Erotischen zum Leben sehe ich schon auch: Also, sie zeigen, das ist quasi das Leben, so wäre das Leben in besten Momenten, es wäre so schön, zum Sterben schön. Weibliche Wesen auf einem Grab demonstriert auch: Erfülltes männliches Verlangen als Inbegriff des Lebens. Autor: Etwa zweihundert solcher Engel? und Frauenplastiken soll es auf dem Ohlsdorfer Friedhof geben. Viele sehen nur aus als wären sie aus Bronze. Zumindest die Engel wurden um die Jahrhundertwende in Serie hergestellt. Eines dieser etwa kindgroßen Exemplare weist mit der Hand vom 2 Meter hohen Grabstein in die Tiefe. Flörke: Dieser Engel war damals, wenn es um das Repräsentationsbedürfnis ging, eher günstig in der Anschaffung. Es ist eine Galvanoplastik. Autor: Sie besteht aus Gips, überzogen mit einer dünnen Schicht Bronze. Flörke: Erheblich billiger als eine echte Bronze und man konnte die bei WMF per Katalog bestellen. Das ist so ein Nike-Typus, der so leicht schreitet, nach dieser antiken Siegesgöttin. Hier jetzt mit Flügeln, sie bekamen ihn aber auch ohne Flügel. Sie konnten auch bestimmen, was er rechts in der Hand haben sollte, Palmwedel, Rosenblatt, Siegeskranz. Und die Größe war variabel, mit verschiedenem Gesichtsausdruck. Autor: Sofern im frühen 18. Jahrhundert diese Engel schon in Mode gewesen wären, der Dichter Heinrich Heine hätte für das Grab seiner Liebsten bestimmt ein lächelndes Engelsgesicht gewählt. Rosenbusch: Mein süßes Lieb, wenn du im Grab, im dunklen Grab wirst liegen, dann will ich steigen zu dir hinab und will mich an dich schmiegen. Ich küsse umschlinge und presse dich wild, du Stille, du Kalte, du Bleiche, Ich jauchze, ich zittre, ich weine mild, ich werde selber zur Leiche. Die Toten stehen auf, die Mitternacht ruft, sie tanzen im luftigen Schwarme. Wir beide bleiben in der Gruft, ich liege in deinem Arme. Die Toten stehen auf, der Tag des Gerichts ruft sie zu Qual und Vergnügen. Wir beide bekümmern uns um nichts und bleiben umschlungen liegen. Regie: Musik 5 (Purcell/King Athur: ?What power?, Stfano Montana) setzt von vorn unter vorherigem Text ein, bei Ende Gedicht beginnt Gesang, steht bis Ende frei, ca. 2´00 Atmo 8 (Pferde) einfahren, steht kurz frei, darüber weiter O-Ton 9 Polizist: Wir reiten hier Streife, da es ja durchaus mal vorkommt, dass hier an den Gräbern oder an den Zapfstellen die Kupferhähne oder Bronzetafeln gestohlen werden. Autor: Zwei Beamte der Hamburger Polizei kommen mir auf dem Ohlsdorfer Friedhof auf ihren Pferden entgegen. Polizist: Darum zeigen wir hier Präsenz mit den Pferden, weil man uns ja doch deutlicher wahrnimmt. Wir können ein bisschen mehr in die kleinen Wege reinschauen. Darum sind wir hier. Da ist durchaus ein Markt für da in manchen Kreisen. Die schrauben oder sägen die Hähne ab, wo Kupfer drin ist, alles was kupferhaltig ist und gehen zum Schrotthändler damit und tauschen das gegen Bares. Regie: Atmo 8 mit Atmo 9 überblenden, darüber weiter Autor: Ob die Kupferdiebe die Galvanoplastiken von echten Bronzestatuen wohl unterscheiden können? Polizist: Es ist hier mal eine Statue weggekommen, eine Große, eine Marienstatue. Klar, aber das ist schwer zu tragen. Alles was in Taschen rein geht, das holen sie. Das kommt schon durchaus mal vor, dass man das ausnutzt die Ruhe. Autor: Die beiden Pferde werden abgesattelt. Vier Stunden waren die Beamten auf dem Friedhof unterwegs. Polizist: Wenn zum Beispiel Beerdigungen sind, dann lassen die Leute ihre Taschen im Auto und dann werden die Autos aufgebrochen, werden die Scheiben eingeschlagen und die Handtaschen entwendet. Es gibt wirklich Täter, die haben sich darauf spezialisiert, auf Friedhöfen die Autos aufzubrechen. Autor: Die Tiere werden in den Transporter verfrachtet. Seit vier Jahren gibt es in Hamburg nicht nur eine Fahrradstaffel, sondern auch zehn Polizeipferde. Polizistin: Wir sind ja die Reiterstaffel und wir machen alles mit dem Pferd gemeinsam. Polizist: Wir reiten im Innenstadtbereich ganz normal Streife. Polizistin: Sicherlich 1. Mai, Schanzenviertel, Chaostage oder Fußballspiele, Demonstrationen. Polizist: Die Mitbürger von Hamburg die finden das alle toll. Regie: Atmo 9 mit Atmo 4 blenden, unter Autor dann Atmo 10 Autor: Ich frage die beiden Beamten nach dem Weg zum Garten der Frauen. Der sei am anderen Ende des Parks. Da müsse ich schon eine dreiviertel Stunde Fußweg einplanen. Sie weisen mir in etwa die Richtung. Ich verirre mich und gelange an einen mit Schilf und Seerosen bewachsenen See. Hier ist nur noch Wald, kein Grab weit und breit. Am Ufer des Seezuflusses entdecke ich eine alte Frau beim Entenfüttern. Als ich näherkomme, dreht sie sich um und sagt, ich solle sie nicht verraten, denn das Entenfüttern sei hier verboten. O-Ton 10 Frau: Den Weg geradeaus durch und dann stoßen Sie direkt auf - bevor der so eine Kurve macht, da ist der Garten der Frauen. Atmo 10 mit Atmo 11 überblenden, steht unter Autor Autor: Doch bevor ich mich auf den Weg mache, will sie mir noch etwas zeigen. Am anderen Ufer des Sees befindet sich der Schmetterlingsgarten. Frau: Schmetterlingsgräber, auf dem Grabstein ist irgendein Schmetterling oder so Figuren, sind alle so mit Schmetterlingen geschmückt die Gräber. Autor: Die alte Frau ist oft hier und fotografiert. Im Sommer Schmetterlinge, im Herbst Pilze und im Winter den Schnee. Doch für wen hält sie das alles fest? Auch sie hat bereits Vorsorge getroffen. Sie hat ihren Grabplatz gewählt und bezahlt: Ein anonymes Ohlsdorfer Wiesengrab, denn es sei ja niemand da, der sich um ihre Ruhestätte kümmern würde. Diese Frau ist der einsamste Mensch, dem ich je begegnet bin. Frau: Ich habe elf verschiedene Schmetterlinge fotografiert. Die meisten sind Kohlweißling, Zitronenfalter, Admiral? Autor: Rund um die Grabanlage hat man Schmetterlingsflieder angepflanzt, um die Insekten anzulocken. Manchmal würden sie sich auf den Grabsteinen sonnen, meint die Alte. Frau: ..dann waren Perlmutterfalter, Distelfalter, Pfauenauge? Autor: In alle Grabsteine dieser Anlage sind Schmetterlinge und Blüten eingearbeitet. Meist sind es in den Stein gehauene Reliefs. Ein Stein hat selbst die Form solch eines Schmetterlings. Auf einem anderen sitzt ein schmiedeeisernes Pfauenauge, so groß wie eine Elster. Die Anlage folgt der Idee der Wiedergeburt. Die Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling wird zum Symbol für die Befreiung der Seele vom Körper. Regie: Musik 6 (Mozart/Requiem/Agnus Dei) letzte 35``darüber weiter mit Text, steht bis ?Autor: ?Grabefelder zum Garten der Frauen?? Frau: ?dann noch Achateule, das ist ein Nachtfalter und kleiner Fuchs. Gammaeule, ist auch ein Nachtfalter, aber die sind tagsaktiv. Autor: Die alte Frau erscheint mir mit ihren müden Augen selbst wie ein Falter der Nacht. Sie geht um die Grabsteine herum und fotografiert die steinernen Schmetterlinge. Sie hat mich schon vergessen, und ich verlasse die Schmetterlingsanlage und den See mit seinen Enten. Der Weg, den mir die Alte wies, führt mich durch die Grabfelder zum Garten der Frauen. Regie: Musik steht bis Ende, ausblenden darüber Atmo 12 (bei Frauengarten immer unter Autor) Autor: In der mit Hecken umsäumten Anlage hockt eine Besucherin vor einem Frauengrab. O-Ton 11 Frau Garten: Ich laufe gern über Friedhöfe. So ein Friedhof strahlt eine unheimliche Ruhe aus und dieser Ohlsdorfer sowieso. Hier kann man im Grunde eine ganze Woche durch die Gegend laufen, man findet immer noch was Neues. Ich denke nicht mehr daran, dass diese Menschen hier liegen, sondern einfach: Wie sind sie bestattet worden von ihren Angehörigen? Weil jemand, der gestorben ist, der kriegt das sowieso nicht mehr mit, aber man kann an Gräbern sehen, wie sehr trauern Angehörige, zum Beispiel, Domenica Niehoff, die liegt dahinten auf der linken Seite. Autor: Vor dem Stein von Domenica Niehoff liegt eine frische Rose, obwohl heute weder ihr Geburts- noch ihr Sterbetag ist. Frau Garten: Domenica hat auf dem Kiez gearbeitet als Prostituierte und dann ist sie nachher Streetworkerin gewesen in Sankt Georg und auch auf dem Kiez. Auf dem Kietz ist sie wahrscheinlich als Prostituierte bekannter gewesen und als Streetworkerin einer Allgemeinheit in ganz Deutschland überall. Es gibt ja viele Prostituierte, die sich überhaupt nicht outen und sie ist ganz offen damit umgegangen. Ganz offen mit ihrer Art, und ich denke deswegen konnte sie auch als Streetworkerin arbeiten, denn sie hat ja nicht nur um normale Prostituierte gekümmert sondern auch um Drogenabhängige. Autor: In den quadratisch emporragenden Stein ist ein Medaillon mit dem Portrait von Domenica Niehoff eingearbeitet. Ein Band aus kleinen roten Herzen verläuft um den oberen Rand. Für ihre Freunde war sie das Herz von St. Pauli. Der Grabstein wurde von einem Steinmetz gestiftet, der Platz vom Verein ?Garten der Frauen? finanziert. Denn bei ihrem Tode war die wohl bekannteste Hure Deutschlands und spätere Sozialarbeiterin fast mittellos. Sie wurde 2009 hier bestattet. Frau Garten: Die ist nicht alt geworden, Ende fünfzig, Anfang sechzig ist sie geworden. Ich kann mich noch daran erinnern, die haben damals noch ihren Sarg noch über den Kiez getragen. Autor: Auch ihre Beerdigung wurde durch Spenden finanziert. Angeführt von einer Blaskapelle bewegte sich der Trauerzug mit über 500 Menschen durch St. Pauli. Prostituierte verhängten ihre Fenster mit schwarzen Tüchern. Frau Garten: Weil ich auch in Hamburg hier gearbeitet habe, hat mich das einfach interessiert. Weil mich sowieso auch Frauen interessieren, die ein bisschen mehr Durchsetzungsvermögen haben wie manche Männer, die das Herz auf dem rechten Fleck haben, und das hatte auch diese Domenica. Die hat das wirklich am rechten Fleck gehabt. Autor: Gleich neben dem Herz von Sankt Pauli steht der Stein von Gerda Gmelin. Frau Garten: Zwei völlig konträre Persönlichkeiten. Das war eine Prinzipalin. Die hat hier das ?Theater im Zimmer? gehabt in der Alsterchaussee. Auch eine Frau, die, ja, die ihren Mund am rechten Fleck hatte. Die auch gerne Männerrollen gespielt hat. Autor: Das Theater im Zimmer war eine Hamburger Institution. Im Alter von 80 Jahren gab Gerda Gmelin ihre Intendanz auf. Damit stellte auch das Theater 1999 seinen Betrieb ein. Frau Garten: Ich habe immer gesagt, die ist klein und giftig wie ein Dackel. Eine ganz resolute Frau. Ansonsten hätte sie auch, glaube ich, dieses Theater nicht führen können. Autor: Der Garten der Frauen ist ein lichter, heller Ort. Statt klassischer Friedhofsbepflanzung mit Stiefmütterchen und Eisbegonien wachsen hier im Sommer Clematis, Sonnenhut und Cosmea. In der Mitte steht ein Brunnen, daneben eine runde Bank um den Stamm einer Linde. Hier ist nichts zu spüren von der Schwere traditioneller Grabmäler oder düsterer Todesatmosphäre. Es scheint, als wolle man durch die freundliche Ausstrahlung des Ortes Sterben und Tod ins Leben holen. In diesem Gedenkparadies sollen Frauen, welche die Hamburger Geschichte mitgeprägt haben, in bleibender Erinnerung gehalten werden. Mann: Also, es sind bekannte Hamburgerinnen. Ich habe es vorher nicht ganz genau gewusst, wer denn hier nun begraben worden ist oder wer hierher umgebettet worden ist. Ich habe vorne am Eingang gesehen, Gretchen Wohlwill, eine sehr bekannte Hamburger Malerin, die in der Hamburger Sezession tätig gewesen ist Ich habe natürlich hier in Hamburg, in der Kunsthalle oder im Barlach-Haus Bilder gesehen. Nun werde ich zu Hause mich noch mal dransetzen, zu gucken, sich mit dem Leben noch einwenig auseinanderzusetzen, nachzulesen über das hinaus, was man ja hier auch auf dem Friedhof lesen kann, was ja im Zusammenhang mit dem Garten der Frauen passiert ist, dass nämlich Tafeln aufgestellt worden sind, aber man kann ja durchaus auch noch mal weitere Hintergründe in Erfahrung bringen. Autor: Auslöser für die Einrichtung der Anlage war die Entdeckung des abgelaufenen und schon fast verfallenen Grabes der Lehrerin Yvonne Mewes. Sie hatte sich 1942 geweigert, nationalsozialistische Propaganda in ihren Unterricht einfließen zu lassen. An ihr sollte ein Exempel statuiert werden. Nach Folter und Dunkelhaft im Gefängnis starb sie mit 44 Jahren im Konzentrationslager Ravensbrück an Hungertyphus. Die Historikerin Rita Bake sicherte ihren Grabstein. Sie hatte die Idee, einen Gedenkgarten für bedeutende Hamburgerinnen einzurichten, deren Gräber abgelaufen waren. Denn wird die Nutzungsdauer für Grabstätten nicht verlängert, werden die Gräber geräumt und die Steine geschreddert. Um die Grabsteine zu retten lässt der Verein ?Garten der Frauen? sie hierher verlegen. Mit dem Stein von Nazigegnerin Yvonne Mewes wurde die Anlage 2001 eingeweiht. Oft ist Rita Bakes Suche nach alten Grabstellen von Hamburger Frauen jedoch vergeblich. Bake: Das ist eine Erinnerungsspirale, besteht aus einzelnen Sandsteinen, die in Form einer Spirale angeordnet sind. Und die sollen an diejenigen Frauen erinnern, die hier auch einstmals auf dem Ohlsdorfer Friedhof einen Grabstelle hatten, diese Grabstelle aber schon längst nicht mehr vorhanden ist, so dass auch keine Steine mehr vorhanden sind. Autor: Eine sich im Durchmesser von drei Metern windende Spirale. Ihre Form soll Symbol des immer wiederkehrenden Lebens sein. Die unterschiedliche Gestaltung der hellen Steine hat etwas Spielerisches. Bake: Teilweise sind einige Steine auch besonders bildhauerisch hergestellt. Das hat dann was mit der jeweiligen Person zu tun, an die man erinnern will. Dies ist ein Stein, der eine Bühne zeigt, Bühnenvorhang an den Seiten und in der Mitte sind zwei Frauenfiguren zu sehen. Das sind Marionetten. Dieser Stein erinnert nun an mehrere Personen, einmal an Martha Winternitz-Dorda. Sie war Sopranistin, also Opernsängerin an der Hamburgischen Staatsoper. Und Claire Pop war Puppenspielerin und hat dann so in den zwanziger Jahren mit Hans Laib zusammen, kamen die auf die Idee eine Puppenbühne mit großen Marionetten aufzubauen, Richtung Dadaismus. Es gab hier in den zwanziger Jahren so große Künstlerfeste, wie ja so viel in der Zeit der Boheme. Da haben die natürlich auch solch ein Puppenspiel aufgeführt und da heißt es dann bei Hans Laib, ja, wir mussten das dann abbrechen, weil wir zu betrunken waren. Autor: Auf dem nächsten Grabmal der Spirale stehen drei Spielzeughäuser aus Sandstein. Vor ihnen liegen Steinbauklötze mit denen man sogar spielen kann. Sie sollen an die Gründerin der ersten Hamburger Kinderpflegerinnenschule, Margarethe Münch, erinnern, die der Pädagogik Friedrichs Fröbels folgte. Bake: Ich sehe hier einen Stein, der in der Mitte ausgehöhlt ist und wo dann in der Mitte Glasstäbe angeordnet sind und davor wie in einem Gefängnis ein Gitter. Das soll an Erna Hoffmann erinnern, das ist ein Opfer der Euthanasie gewesen, Und da haben wir dann ihr solch einen Stein gewidmet. Sie ist verhungert worden wie so häufig die Euthanasieopfer und deswegen diese Aushöhlung des Sandsteins. Diese Stäbe sollen im Grunde genommen zeigen, wie nachher auch die Haut durchscheinend war, wenn man verhungert. Autor: Auf einem der letzten Steine der Spirale steckt eine drehbare Kugel von der Größe eines Globus. Sie soll an die Prinzessin von Oman und Sansibar erinnern. Die Prinzessin wurde 1924 auf dem Ohlsdorfer Friedhof beerdigt. Bake: Sie steht symbolisch, also die Prinzessin von Oman und Sansibar für die vielen Emigrantinnen und Emigranten hier in Deutschland oder hier in Hamburg, dass die eben nicht diskriminiert werden sollen. Sie selber war eben eine Prinzessin auf Sansibar und hat einen Hamburger Kaufmann, nämlich Herrn Ruete geheiratet. Die haben sich dort kennen gelernt und sie ist ihm dann nach Hamburg gefolgt und ist dann Christin hier geworden. Sie war ja vorher Muslimin und hat den Christlichen Glauben angenommen. Und hat ihre Memoiren aufgeschrieben damals: Ich verließ meine Heimat als vollkommene Araberin und als gute Mohammedanerin, und was bin ich heute? Eine schlechte Christin und etwas mehr als eine halbe Deutsche. Also, sie zeigt so ihre Zerrissenheit, ihre kulturelle. Und deswegen ist da oben diese Weltkugel als Kugel auf dem Stein, und man kann auch die Kugel drehen. Autor: Der Garten der Frauen dient aber nicht nur zur Erinnerung längst verstorbene Hamburgerinnen. Etwa fünf Meter lange Steinwellen sind flach in den Rasen eingelassen. Sie sehen aus wie kleine versteinerte Bäche. An einigen Stellen sind die Lebensdaten von Frauen eingraviert, die vor kurzem verstorben sind. In dieser Gemeinschaftsgrabstätte können Mitglieder des Frauengarten-Vereins einen Grabplatz für sich reservieren, nebeneinander, den Wellen folgend. Bake: Wir haben natürlich auch so ein paar, die wussten, dass sie sterben, weil sie Krebs hatten. Die waren eben relativ jung, Mitte Dreißig. Das war für sie, glaube ich, sehr beruhigend zu wissen wohin sie kamen. Das bewundere ich sehr, ich habe mit denen auch gesprochen, bevor sie starben. Sie wussten, dass sie nicht mehr lange hatten und wie sie das alles organisiert haben und auch für sich gesorgt haben, dass sie sagten, da will ich hin, da fühle ich mich wohl. Das finde ich schon sehr eindrucksvoll, wenn man das kann noch so kurz vor dem Tod. Regie: Musik 7 (Albinoni/Adagio als Samba) unter ??vor dem Tod einfahren, darüber weiter mit Text Autor: Auch Rita Bake wird einst hier neben ihren Freundinnen liegen. Das Wissen darum macht sie angesichts der eigenen Endlichkeit ein wenig gelassener. Bake: Weil wir jetzt schon zu Lebzeiten uns miteinander befreundet haben oder Skat gespielt haben oder wie auch immer, dann können wir das danach auch noch tun. Also, (lacht) solche Äußerungen gibt es dann auch. Regie: Musik 7 steht bis Ende Titel ca. 3´00 frei oder Ausstieg suchen O-Ton 12 Herbst: Das ist hier die aktuelle Kindergrabstätte und hier gibt es ungefähr 108 Gräber, wovon die Hälfte jetzt schon belegt ist. Atmo 13 immer unter Autor/Kindergräber Autor: Torsten Herbst ist als Landschaftsplaner für die Gestaltung des Friedhofs verantwortlich. Herbst: Kindergräber ? ist immer ein sehr sensibles Thema. Ohnehin ist ja schon Beisetzung - hat schon viel natürlich mit Trauer zu tun. Das potenziert sich hier bei den Kindergräbern noch mal deutlicher. Autor: Von weitem sieht es auf dieser Anlage aus wie auf einem verlassenen Spielplatz, auf dem die Kinder ihr Lieblingsspielzeug liegen ließen. Überall drehen sich bunte Windmühlen. Grabsteine gibt es kaum. Häufiger sind kleine Holzkreuze oder Herzen aus Stein. Auf dem Grab von Klaus sind die Lebensdaten mit Plastikbuchstaben auf einer Kindertafel zusammengesetzt. Dahinter steht sein Fahrradkindersitz samt Kissen mit einem lachenden Gesicht darauf. Neben dem Sitz streckt ein Elefant seinen Rüssel aus dem Fahrerhaus eines Holzkippers. Das Grab von Leoni ist mit Kieselsteinen eingefasst. Ein verwittertes Foto zeigt das lachende Mädchen im Alter von zwei Jahren. Davor steht ihr Puppenhaus samt Einrichtung und Bewohnern. Vor dem Haus lässt ein Hase seine durchweichten Plüschohren hängen. Manche dieser Kinder-Ruhestätten scheinen täglich gepflegt, einige sind verwildert. Als wären diese Gräber nach der Bestattung niemals wieder aufgesucht worden, weil die Eltern einen Besuch nicht aushalten würden. Übersät mit Spielzeug und Engeln liegen die kleinen Gräber dicht an dicht. Herbst: Das gehört alles zum Trauerprozess dazu, dass die Eltern hier ihrer Kinder gedenken oder sich mit der Trauer auseinandersetzen können. Autor: Lara, Geboren am 18.11.2012, gestorben am 4.11.2013 Herbst: Das haben wir versucht auch zu übertragen in der Gestaltung. Man sieht, da im Pflaster sind glasierte Tonsteine. Da sind Motive drauf wie Sonne, eine Schnecke und Sterne. Autor: Max, geboren am 15.5.2006, gestorben am 23.12.2012. Herbst: Oder auch der Brunnen, außen rum ist eine wellenförmige Mosaikbänderung aus bunten Mosaiksteinchen. Also, soll das, was man hier auf den Gräbern findet, noch mal wieder aufnehmen und den Eltern, soweit es geht, bei der Trauer helfen. Autor: Sina, geboren am 11.3.2013, gestorben am 10.3.2013. Eine Verwechslung der Daten? Nein, das Baby muss tot gewesen sein, bevor es auf die Welt kam. Herbst: Das kann auch noch mal ein Ort der Begegnung sein mit Eltern, die das gleiche Schicksal ereilt hat. Das ist, denke ich, auch noch mal ein sozialer Gesichtspunkt, den man nicht unterschätzen darf. Regie: Musik 8 (Leopold Mozart/Kindersinfonie), darüber weiter mit Text läuft entweder ca. 56´´ oder bis Ende Autor: Vielleicht können die Eltern hier auch das Gefühl haben, dass ihre Kinder in diesem verlassenen Spielzeugparadies mit anderen zusammen sind. Ein Kindergarten der Seelen, die mit den auf die Gräber gesteckten Schmetterlingen und Vögeln durch den Park flattern. Regie: Musik frei Autor: Mein Weg über den Ohlsdorfer Friedhof führt mich weiter über eine Wiese mit Apfelbäumen. Um die Stämme ist Platz für Urnen. Die kleinen Grabsteine sehen aus wie Pilze, die aus dem Rasen wachsen. Pflanzenbeete sind hier nicht angelegt und eine Grabpflege daher nicht nötig. Regie: Textende von vorigem Take an Musikende vom Musik 8 setzen, trocken weiter Wenn folgender Take gestrichen, dann Musik 8 durchlaufen lassen bis ??Darauf eingraviert: die Lebensdaten der hier Bestatteten.? Vor mir liegt eine ungemähte Waldwiese mit Eichen, Buchen und Schwarzfichten. Ich habe das Gefühl in der freien Natur zu sein und nicht auf einem Friedhof. Zwischen den alten Bäumen sind irgendwo unter dem Rasen Urnen bestattet, ohne Grabzeichen und dennoch nicht ganz anonym, denn am Rande des Weges liegen immer wieder flache Granitplatten mit Messingschildern. Darauf eingraviert: die Lebensdaten der hier Bestatteten. Regie: bei o.c. Musik 8 hier enden lassen O-Ton 13 Mann Baumgräber: Aber es wird dadurch eben immer unpersönlicher. Wir wissen zwar, wo unserer Grabstätte sein wird, aber nicht mehr so, wie es früher üblich war. Da wusste man genau, hier ist der Grabstein und davor ist ein kleines Beet mit Blumen oder was auch immer. Atmo 14 immer unter Autor/Baumgräber Autor: Ein Ehepaar besucht seine zukünftige Grabstelle. Die beiden zeigen mir, wo sie in etwa einmal liegen werden: Ein Stück Rasen unter einer knorrigen Eiche. Das sei genau der richtige Platz für sie. Mann Baumgräber: Wir möchten auch unsere Finanzen klären. Wir wollen das bezahlen. Dieses kostet für zwei Personen 3800.- Euro. Das andere ist bestimmt teurer, eben allein den großen Stein zu haben und dann die Pflege. Frau Baumgräber: Wenn die nicht gewährleistet ist ? und das alles im Voraus alles regeln, das sind Probleme, die hier wegfallen Mann Baumgräber: Wir haben zwei kranke Kinder, die nicht in der Lage sein werden zu pflegen ein Grab. Und da haben wir uns gesagt, das ist eigentlich das, was uns gefällt und Einfachste, ja. Autor: Die Kenntnis seines letzten Ruheplatzes scheint die Furcht vor dem Tod zu nehmen. Auch wenn diese Gewissheit nur eine Illusion ist, hat der Gedanke daran etwas Versöhnliches. Besonders dann, wenn man das Gefühl hat, später nicht allein unter dem Rasen zu liegen. Frau Baumgräber: Genau das wollte ich auch sagen, es ist eine Gemeinschaft. Mann Baumgräber: Meine Frau hat gesehen, Hilde Six, das war eine Schauspielerin vom Ohnsorg Theater, plattdeutsch. Die liegt hier, und das war eine Nudel. Und wie meine Frau das sah, sagt sie, hier bin ich richtig, das wird gemütlich (lachen)! Regie: Atmo 15 unter letzte Worte einfahren, immer unter Autor Autor: Im Winter schließt der Friedhof um 18.00 Uhr seine Tore. Vor dem Ausgang steht ein kleines Informationshäuschen. An seine Giebelseite ist ein überdachter Durchgang mit einer Bank. Hier sitzt Wilhelm mit seinen Freunden Ludwig und Elisabeth. O-Ton 14 Wilhelm: Ich sitze ja schon zwei Stunden hier. Elisabeth: Du hast schon kalte Füße, nicht? Sag mal eine Zeit, wenn Du gehen möchtest, dann komme ich mit. Wilhelm: Ich kann immer noch gut sitzen. Elisabeth: Ich bin so spät gekommen heut. Wilhelm: Macht doch nichts. Autor: Wilhelm ist Mitte Siebzig. Er mag an die 120 Kilo wiegen. Elisabeth hat die Achtzig bereits überschritten und Ludwig hinter seinem Rollator wird auch schon 10 Jahre in Rente sein. Wilhem: Du weißt doch, bis geschlossen ist, bin ich immer hier. Elisabeth: Hätte ja mal sein können, dass Du was einkaufen willst. Ludwig: Dass er was vorhat. Autor: Die Drei treffen sich hier jeden Tag, auch im Winter. Jeder, der hier vorbeikommt, grüßt sie. Wilhelm, Elisabeth und Ludwig scheinen zum Friedhof dazuzugehören. Seit einigen Jahren machen sie hier auf der Bank unter dem Vordach ihr Picknick. Wilhelm: Ja, schon seit Jahren, seit 6 Jahren. Elisabeth: Ja, jetzt schon eine ganze Zeit. Wilhelm: Wir kennen uns schon 5 Jahre. Elisabeth: Ist es schon so lange? Oh Gott, die Zeit geht! Wilhelm: Wenn nicht, 5 ½ Jahre. Du weißt, Inge ist 2007 verstorben. Elisabeth: Die Zeit geht so schnell, oh Gott. Autor: Ich setze mich zu den Dreien und werde zum Picknick eingeladen. Wilhelm: Es gibt was zu Trinken und was zu Essen, wenn Sie was möchten. Elisabeth: Wir bleiben noch einen Augenblick sitzen, nicht? Wilhelm: Ja. Milch habe ich da, Spekulatius habe ich da. Stullen habe ich da, Schokolade. Wenn Du was haben möchtest. Gestern war hier Einiges los, da sind sechs Damen hier und ich als einziger Herr ? hier ist der Treffpunkt. Die Meisten sind Witwen. Das hat sich so eingebürgert am Sonntag. Ich sitze hier als Erster und dann kommen sie alle an. Autor: Aber da ist doch gar nicht so viel Platz hier! Wilhelm: Doch, die stehen dann alle. Drei können ja hier sitzen, der Rest steht, die dürfen gar nicht mehr sitzen, weil sie dann nicht mehr hochkommen (lachen). Autor: Ich nehme mir einen Schokoriegel. Wilhelm gibt Ludwig eine Käsestulle, und Elisabeth trinkt eine Tasse warmer Milch aus der Thermoskanne. Elisabeth: Hamburg ist die schönste Stadt! Ludwig: Das ist richtig! Elisabeth: Ja und? Ludwig: Deswegen bin ich ja nach Hamburg gekommen! Elisabeth: Ja, ja! Ludwig: Ja. Elisabeth: Ich bin in Hamburg geboren und immer in Hamburg gewesen, weil Hamburg die schönste Stadt ist. Ludwig: Also. Echt ein Hamburger Dirn? Elisabeth: Ja, genau! Merkst Du das nicht? Kannst Du nicht plattdeutsch snacken? Das musst du noch lernen. Sonst bist du kein Hamburger. Ludwig: Da bin ich zu alt dazu. Elisabeth: Platt musst du snacken können. Du auch nicht? Wilhelm: Nein, besser verstehen als sprechen. Elisabeth: Aber er kann, aber er sagt nichts. Ludwig: We snack platt. Regie: Letzte Sätze unter Kennmelodie langsam wegblenden, Absage Sprecher: Was bleibt Der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Matthias Baxmann Ton:  Herrmann Leppich Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan  Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2014. Manuskript und das audio der Sendung finden Sie im Internet unter www.deutschlandradiokultur.de 24 1