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Seit neuestem betreibt Frankfurt am Main sogar ein eigenes Büro in London, verrät Oliver Schwebel, Geschäftsführer der kommunalen Wirtschaftsförderung: Als quasi ständige Vertretung. Wir sind aber auch sukzessive alle drei, vier Wochen vor Ort. Wir waren im August mit der Landesregierung, mit dem Wirtschaftsminister da. Wir sind mit dem Oberbürgermeister dort gewesen und haben viele Gespräche geführt und werben natürlich für den Standort. Aber hören auch insbesondere auf die Fragestellungen der Menschen in London, die vom Brexit betroffen sind, was sie einschätzen. Es stimmt nicht alles optimistisch, was man in London zu hören bekommt. Beim letzten London-Trip der Frankfurter fuhr ein Fernsehteam des Hessischen Rundfunks mit: Wir schauen uns im Londoner Finanzdistrikt um. Zeit ist hier viel Geld. Immerhin nimmt sich Finanzprofi Ian zwei Minuten. Würde er nach Frankfurt umziehen? Ian: Nein, das schaffen die nicht. London vermittelt doch ein ganz anderes Lebensgefühl als Frankfurt. Und auch Berlin vermittelt ein ganz anderes Lebensgefühl als Frankfurt, das ist ein weiteres Problem der Marketing-Strategen vom Main. Bei den sogenannten "Fintechs" , das sind Finanzdienstleistungen im Internet, die von jungen Digital-Teams in Hinterhof-Manufakturen gestaltet werden können, liegt Berlin längst vor dem Finanzplatz Frankfurt am Main. Wenn junge Finanz-Experten also tatsächlich wegen des Brexits nach Deutschland wechseln müssen, könnte Berlin Frankfurt am Main in die Quere kommen, das weiß auch der CDU- Wirtschaftsdezernent Markus Frank: Na gut, arm aber sexy. Frankfurt ist sexy und nicht arm! Und wenn wir die Konnektivität sehen, also wie kommt man nach Frankfurt, da sind wir klar im Vorteil. Jetzt noch. Aber irgendwann wird er ja wohl doch in Betrieb gehen, der neue Hauptstadtflughafen. Und dann? Markus Frank will dann Berlin die jungen Kreativen der Finanzbranche einfach wieder abjagen -auch mit Geld: Wir haben ordentlich aufgerüstet, um Menschen aus der Fintech-Szene Flächen zur Verfügung zu stellen. Auch mit Krediten zu helfen. Also ich glaube, da sind wir gut aufgestellt und jetzt gilt es einfach, zu überzeugen. Ein Problem haben Frankfurt am Main und Berlin gemeinsam- das deutsche Kündigungsschutzrecht. Das schmeckt den Finanzmanagern von der Themse nämlich nicht, weiß der Frankfurter Wirtschaftsdezernent Markus Frank: Arbeitsschutzgesetze sind ja gemacht worden für den normalen Werktätigen, will ich mal sagen. Wenn jetzt jemand ein Geschäftsführergehalt verdient und das ist in der Finanzbranche ja schnell erreicht, da versteht es niemand, dass er dann Kündigungsfristen hat von einem ganzen Jahr. Oder das man dann viele hunderttausend Euro bezahlen muss. Ich glaube schon, dass jedem einleuchtet, dass wir auf diesem Sektor Bewegung brauchen. Für diese Bewegung soll nun die Bundesregierung sorgen. Der grüne hessische Wirtschaftsminister Tarek Al Wazir bewegt sich unterdessen auch - Richtung London. Auch er wirbt für den Finanzplatz Frankfurt am Main: Ich bin jetzt eher auf der klassischen Tour des Klinkenputzens. Ich gehe zu den Banken und den Finanzdienstleistern und sage denen einfach, wir sind da. Seine grünen Parteifreunde im Römer, dem Frankfurter Rathaus, weisen unterdessen darauf hin, dass ein Zuzug aus London die Strukturprobleme, die am Main herrschen, noch verschärfen könnte. Fehlender Wohnraum zum Beispiel. Manuel Stock, Fraktionsvorsitzender der Grünen: Wir haben in den letzten Jahren immer 15.000 Einwohnerinnen und Einwohner hinzugewonnen. Das ist ein massiver Zuzug, dem müssen wir uns jetzt schon stellen, ob jetzt noch Leute aus London hinzukommen oder nicht. Das heißt einerseits dann auch wirklich in den sozialen Wohnungsbau investieren, Bauland ausweisen aber auch dafür sorgen, dass im Bestand und das ist ja die größte Herausforderung, im Bestand die Bevölkerung so zusammengesetzt bleibt, dass wir nicht zu einer reichen Enklave werden. Denn Banker aus London könnten viel Geld mitbringen und damit die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt noch verschärfen. Sieghard Pawlik, wohnungsbaupolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Rathaus von Frankfurt am Main: Der zentrale Punkt ist, dass mehr bezahlbarer Wohnraum in der Stadt gebaut werden muss. Ich habe viel Verzweiflung auch bei Menschen erlebt, die merken, sie können ihre angestammten Wohnungen nicht mehr halten. Die merken, sie müssen aus rein finanziellen Gründen aus ihrem Wohnquartieren raus. Dem muss entgegengetreten werden. Oliver Schwebel, der Geschäftsführer der kommunalen Wirtschaftsförderung, stellt fest, dass die Briten, die sich nach dem Immobilienmarkt in Frankfurt am Main erkundigen, insbesondere Interesse an den innenstadt-nahen Standorten zeigen. Doch gerade dort verdrängen Büros immer mehr den Wohnraum: Da ist unsere Erfahrung, insbesondere von Finanzinstituten, wenn sie von der Insel kommen, dann Richtung Innenstadt geht und dort Richtung hochwertiger Büronutzung. Es ist aktuell so, dass Institute aber noch nicht aus London wegziehen, sondern die warten natürlich auch ab, wie die Verhandlungen laufen mit der Europäischen Union. Welche Gesetzesgrundlagen zu beachten sind, wir sind dort Partner des Finanzstandortes London. Wir sind Teil der Lösung der daraus resultierenden Fragestellung. Doch neben Berlin bieten sich auch andere europäischen Metropolen als "Lösung" für die Brexit-Probleme an: Paris, Luxemburg, Mailand oder das englischsprachige Dublin. Deshalb muss die Werbetrommel weiter gerührt werden. Oliver Schwebel: Die Menschen die hier her kommen, fragen: Was ist denn mit meiner Familie, was ist mit meinen Kindern, wo können die zur Schule gehen? Und da bieten wir in der Region 30 internationale Schulen an. Wir haben internationale Kindergärten, ob das ein russischer Kindergarten ist, ein chinesischer Kindergarten. Bilinguale Erziehung ist überhaupt kein Thema in den Schulen, wird praktiziert. Und wir haben natürlich auch viele Studiengänge teilweise an der Goethe-Universität, die in zwei oder drei Sprachen nachher den Bachelor- Abschluss machen. Markus Frank: Der allergrößte Vorteil ist natürlich die Internationalität von Frankfurt am Main. Wir haben hier 200 Nationen, die absolut friedlich zusammenleben. In Frankfurt ist es nicht ungewöhnlich, wenn Menschen aus anderen Kontinenten kommen. Niemand schaut einem hinterher, weil er aus Afrika kommt oder aus China, das ist hier ganz normal und selbstverständlich. Frankfurt am Main ist tatsächlich eine Stadt, in der man relativ wenig Klagen über Rassismus hört. Aber reicht diese Beobachtung, wenn man mit einem etwas provinziellen Image kämpft und gegen Metropolen mit internationaler Strahlkraft wie Paris oder Berlin konkurriert? Oliver Schwebel argumentiert mit der sogenannten "Metropol-Region" Rhein- Main, die auf einer Stadtfläche von der Größe Berlins auch mehrere Millionen Einwohner habe und deshalb nicht provinziell sei: Dann stelle ich halt fest, dass ich innerhalb einer Region, die wie beispielsweise Berlin als Stadt definiert hier auch 2,5 Millionen Menschen finde, die intensiv miteinander arbeiten. Ob das der Wissenschaftsstandort in Darmstadt ist oder ein Consulting-Standort wie Wiesbaden, unter anderem auch der Standort der Landesregierung oder auch in Bad Homburg, die einen Schwerpunkt im Gesundheitsindustrieberiech haben, die arbeiten alle intensiv zusammen. Wir sind auch im Übrigen alle gemeinsam international miteinander unterwegs und werben für den Standort Frankfurt Rhein -Main. Nochmal Werbefilm: Europes largest Airport meets the world most sucessful trade-shoes, huge demands of data are on the way here through Europes fastest internet-exchange-hup. 150 world-market- leaders operate here... Ob trommeln für den Flughafen, das Messegelände, den gigantischen Internet-Knoten oder die wirtschaftliche Kraft der hier ansässigen Konzerne- trotz dieses Marketing-Getöses will Frankfurt am Main sich nicht nur als Stadt des großen Kapitals sehen. Die Stadtforscherin Sybille Münch hat für eine sozialwissenschaftliche Studie mit dem Titel "Städte unterscheiden lernen" an der TU Darmstadt Protokolle von Ratsdebatten und Zeitungsartikel aus Stadt Frankfurt am Main ausgewertet. Sie hat festgestellt: die Stadtöffentlichkeit der Mainmetropole schätzt es nicht, wenn ihr Gemeinwesen nur als Kulisse für kapitalistische Spitzenleistungen verkauft wird. Die Frankfurter wollen in ihrer Stadt auch Raum für wirtschaftlich schwächere Einwohner bieten und sie integrieren. Nur wohlhabende Banker will man nicht die Stadt locken. Auch beim Wohnungsangebot für die auch ohne die möglichen Brexit-Zuzügler aus London stark wachsende Mainmetropole, so Stadtforscherin Sybille Münch: Aber da ist die Stadt ja in einer Zwickmühle. Einerseits möchte man sich als soziale Stadt verstehen, die auch Wohnraum für ganz unterschiedliche Schichten bereitstellt, anderseits hat man sich auch ans Revers geheftet, die Passivhaushauptstadt Deutschlands zu sein. Das heißt man setzt ganz stark auf energetische Sanierung und so weiter und alleine dadurch gibt es ja auch ein Spannungsverhältnis weil zum Beispiel durch Sanierungen ebenso Mietpreiserhöhungen einhergehen.