DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Tina Klopp Feature "Wir fordern die Erweiterung und Eroberung aller unserer Sinne" Der Universalgelehrte und geniale Dilettant Raoul Hausmann Von Joachim Büthe Produktion: DLF 2014 (Wiederholung vom 06. Juni 2014) Regie: Axel Pleuser Sprecher 1 : Hanns-Jörg Krumpholz Sprecher 2 : Robert Dölle Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 12. Februar 2016, 20.10 - 21.00 Uhr CD: Wolf Vostell: Le Cri (Fluxus-Concert) nach ca. 6 Min., darüber Spr.1: ich war nicht durch Zufall an der DADA-Bewegung beteiligt, sondern durch die Macht der Umstände, die mit meinen Ansichten eines Umsturzes veralteter Zustände intellektueller und sozialer Beobachtungen übereinstimmten. DADA ist immer DA. DADA war stets sein morgiger Tag. DADA wurde morgen. DADA übertraf sich selbst. Im Anfang war DADA nur die Wirkung des Donners, und erst später entdeckte man den Blitz, der seine Ursache war. O-Ton (Burmeister): Raoul Hausmann ist tatsächlich erst durch Dada in die Welt gekommen, keine Frage. Spr.2: In August Sanders berühmtem Bildatlas Menschen des 20. Jahrhunderts wird Raoul Hausmann nicht den Künstlern zugeordnet, sondern den Technikern und Erfindern. CD: Radian: Rec. Extern, Nahfeld, darüber O-Ton (Niebisch): Die Frage nach dem genialen Erfinder ist eine äußerst interessante, weil Hausmann konzeptualisierte sich selber als großen Erfinder. Ihm selber kann es aber nicht entgangen sein, dass er in seinen Erfindungen die Dada-Prozesse der Montage, der Collage quasi wieder einbringt, um Erfindungen zu machen. Was natürlich dazu führt, dass alles, was er macht, nicht wirklich vor einen Patentamt, und das müsste ja sein Maßstab sein, wenn er seine Ziele erreichen wollte, durchbringen konnte. Spr.2: Wir fordern die Erweiterung und Eroberung aller unserer Sinne. Der Universalgelehrte und geniale Dilettant Raoul Hausmann. Ein Feature von Joachim Büthe O-Ton (Burmeister): Hausmann ist jemand, ich weiß nicht genau wie das zusammenhängt, zwischen Autodidakt und Vielinteressierter. Jemand, der ein breitestes Interessenfeld hat, überall in die Sachen hineingeht, sich vielleicht auch nur momenthaft damit beschäftigt, wieder herausgeht, akkumuliert wie so ein Wiki ganz viel Wissen, das manchmal strukturiert, manchmal unstrukturiert zum Vorschein kommt. Aber es ist durchaus eine moderne Position. Spr.2: Diese moderne Position wird inzwischen durchaus erkannt. Es mehren sich die Promotionen zu Hausmann und die Aufsätze über ihn. Seine wissenschaftlichen und technischen Schriften sind soeben erschienen, eine Ausgabe seiner Schriften zur Fotografie, ergänzt mit seinen Fotografien, ist in Vorbereitung. Der Dadaist, der Erfinder und der Fotograf Hausmann, wie hängen sie miteinander zusammen? Am Anfang war Dada, wenn auch mit ein paar Vorstufen. Ralf Burmeister hütet Hausmanns Nachlass. Radian unter Spr.2 wegziehen, danach, beginnend mit der Erwähnung Herwarth Waldens, CD: Hommage à August Stramm, Herwarth Walden: Heeresmarsch für August Stramm O-Ton (Burmeister): . Wenn man seine Biographie sieht, er ist mit 14 nach Berlin gekommen. Sein Vater war akademischer Maler und hat Raoul Hausmann unterrichtet oder eher in Stilübungen ausgebildet. Hausmann hat expressionistische Arbeiten gemacht, er hat sich ein Atelier mit Erich Heckel geteilt, war in Kontakt mit den Brücke-Künstlern geraten und hat sich eben auch die Formsprache angeeignet, um nicht zu sagen abgeschaut. Sein erster Angang als Künstler war, sich eine Ausstellungsplattform zu suchen bei Herwarth Walden in der Galerie "Der Sturm", ihres Zeichens die wichtigste Galerie für damals zeitgenössische Kunst in Berlin. Das Programm war Kubismus, Expressionismus, Futurismus bei Herbert Walden. Und Walden war durchaus gewillt Hausmann auszustellen wie wohl er ihm nicht gleich eine Einzelausstellung zudachte. Und das etwas kapriziöse Wesen von Hausmann fühlte sich dadurch attackiert, nicht sofort eine Einzelausstellung zu bekommen, und deshalb hat er dort auch nicht ausgestellt. Fort an war Walden und der Expressionismus eine der Hassfiguren für Hausmann. Das kann auch ganz gut mit der Weltkriegssituation erklären, aber es gibt so einen Satz, der nicht dokumentiert ist, aber im Kern dürfte er wohl stimmen: Ein Expressionist, der nicht verspießern wollte, wurde Dadaist. Spr.1: Der Maler malt wie der Ochs brüllt - diese feierliche Unverfrorenheit festgefahrener Markeure mit Tiefsinn vermengt, ergab wichtige Jagdreviere besonders deutscher Kunsthistoriker. Die weggeworfene Puppe des Kindes oder ein bunter Lappen sind notwendigere Expressionen als die irgendeines Esels, der sich in Ölfarben ewig in endlich gute Stuben verpflanzen will. Spr.2: Es war selbstverständlich nicht nur gekränkte Eitelkeit, die Hausmann mit seinen expressionistischen Anfängen hat brechen lassen. Dada Berlin war in der Konsequenz eines verlorenen Weltkriegs politischer und radikaler als Dada Zürich. Karl Riha hat 1972 Hausmanns Erinnerungen, die auch ein Versuch sind, sich seine Rolle in dieser Geschichte zurückzuerobern, ediert. CD: Raoul Hausmann: Poemes phonetiques, Interview avec les lettristes, beginnend unter O- Ton Riha O-Ton (Riha): Das ist das Entscheidende bei Raoul Hausmann, dass er sich der Negativität eines verlorenen Krieges gestellt hat. Dass er nicht von dort aus in Parolen gegangen ist, die positiv sind, sondern dass er einfach die Negativität der Situation genommen hat, um aus ihr heraus zu agieren. Das hat Konsequenzen gehabt für das, was er als Dadaist gemacht hat. Ich glaube, dass viele seiner Aktivitäten, auch das, was er als dadaistischer Künstler produziert hat, mit dieser Negativität zu tun haben. Es sind Destruktionen. Auch in seinen abstrakten Sachen, Lautpoesie, abstrakte Zeichnungen und dergleichen, das ist ein Zurückgehen hinter die Gegenständlichkeit, um von dort her zu neuen Energien zu kommen. Das ist es, was ihn kennzeichnet, und das haben ganz wenige getan, dass er sich wirklich der Negativität der Situation in aller Radikalität gestellt hat. Spr.2: Wer sie nun erfunden hat, die sinnzersetzende Destruktion der Lautpoesie, die zugleich einen radikal neuen Weg eröffnete, um diese Frage hat es viele, mitunter absurde Diskussionen gegeben. Der späte Hausmann weiß, dass er nicht der erste war, dass es Ansätze schon bei Paul Scheerbarth und Christian Morgenstern sowie in der Sa-um Dichtung der russischen Futuristen gab. Aber eines kann man ihm nicht nehmen. CD: wie zuvor, wechseln zu fmsbw Spr.1: Buchstabengedichte sind wohl auch zum Sehen da, aber auch zum ANsehen - warum also nicht Plakate aus ihnen machen? Auf verschiedenfarbigem Papier und in großen Druckbuchstaben. Das wäre, Dunnerschlag, noch nicht da gewesen! Also in die Druckerei von Robert Barthe in der Dennewitzstraße und gleich, gleich die neue Dichtform in Angriff genommen. Dank dem Verständnis des Setzers war die Verwirklichung leicht, aus dem Kasten der großen hölzernen Buchstaben für Plakate nach Laune und Zufall hingesetzt, was da so kam, und das war sichtbar gut. Ein kleines f zuerst, dann ein m, dann ein s, ein b, eh, was nun? Na, ein w und ein t und so weiter und so weiter, eine große écriture automatique mit Fragezeichen, Ausrufezeichen und selbst einer Anzeigehand dazwischen! Wirklich, der Setzer war sehr intelligent, ohne ihn wäre das nie zustande gekommen! Das war wirklich eine Sache, die die Herren Dichter, auch die vom Sturm etwa, erstaunen musste! Große sichtbare Lettern, also lettristische Gedichte, ja noch mehr, ich sagte mir gleich optophonetisch! Verschiedene Größen zu verschiedener Betonung! Konsonanten und Vokale, das krächzt und jodelt sehr gut! Natürlich, diese Buchstabenplakatgedichte mussten gesungen werden! DA! DADA! O-Ton (Burmeister): Das ist sicher ein wichtiger Schritt wie er Sprache und Bild zusammenbringt, eben mit seinen optophonetischen Gedichten, mit seinen Plakatgedichten. Wie er einerseits die Sprache zerstört oder zerstören lässt, wie er den Zufall integriert als Gestaltungsmittel. Er lässt sich ja von einem Drucker durch Zufall die Lettern herausgeben und setzt sie aufs Blatt. Daraus wird Offeah daraus wird fmsbw , diese wichtigen Plakatgedichte, die am Ende Schwitters anregen zu seiner Ursonate. Das ist eine weitreichende, bedeutende Form, die er da gefunden hat. Spr.1: Ich sagte mir gleich optophonetisch! CD: Radian, wie zuvor: Bioadapter, das folgende darüber Spr.2: Die Optophonetik, also die Übersetzung von Bild in Klang und umgekehrt, die Synästhesie, wird nach dem Ende von Dada zentral für Hausmanns Denken. Er recherchiert und exzerpiert, arbeitet sich ein in Welterklärungsmodelle und technische Patente und beginnt zu experimentieren, dieses Mal auf einem anderen Gebiet. Und er wäre nicht der Dadasoph, zu dem ihn seine Mitstreiter und er sich selbst ernannten, wenn dabei nicht eine Weltanschauung herauskäme. Weniger ging nicht. Arndt Niebisch hat Hausmanns wissenschaftliche und technische Schriften herausgegeben. O-Ton (Niebisch): Die optophonetische Weltanschauung unterscheidet sich von anderen technischen Experimenten und Experimentatoren dadurch, dass sie wirklich explizit eine Weltanschauung ist, die nicht nur für die Technik auf die Technik fokussiert. Die Optophonetik sieht Technik als etwas, dass auch eine organische Funktion hat. Das Optophon hat sich dann manifestiert in bestimmten Medien, medientechnischen Erfindungen wie halt das Endoskop oder die Schallzelle, die Hausmann entworfen hat oder die Rechenmaschine oder Versuche zu einem Farbenklavier. Und Hausmann hat einen medienhermeneutischen Entwurf bei dem es um die Vorstellung geht, dass das, was der Mensch medientechnisch herstellen kann, er auch selber physiologisch fähig ist zu tun. Hausmann macht das einmal sehr explizit indem er sagt, dass der Mensch ohne Flugzeug irgendwann wird fliegen können, weil er hat ja auch die Technologie des Flugzeugs gebaut. In dieser starken Physiologisierung der Technologie als Philosophie des Menschen, also quasi Anthropologie, darin sehe ich doch eine große Spezifität von Hausmanns Projekt. Spr.1: Das Ziel, das wir uns gesetzt haben, besteht in der Erreichung eines neuen Urzustandes, einer neuen Gegenwart. Die Elemente der Sprache und der Sicht tauchen neuartig vor uns auf. Unsere Weltlage verlangt neue Ursignale von uns: geben wir ihr Genugtuung! Obzwar wir diese Elemente der Sprache jetzt nur stottern können, erklären wir, dass die Abstraktion, das Übergangszeitalter der l'art pour l'art vorbei ist. Mit energischen Schritten rückt die Synthese heran, wir werden es erreichen, den Vibrationen von Licht und Ton eine verbindende Form zu geben. Die jämmerlichen Lehren der wissenschaftlichen Optik werden beiseite geworfen und die Übereinstimmung von Licht und Ton vor aller Welt erschlossen. Das Lichtbild unserer Ellipsoid-Augen besitzt für uns keine Schöpferkraft mehr, aber aus den bereits erkannten Vibrationen wird eine neue solare Optik hervortreten, die nicht mehr mechanisch, sondern das Wesen der Lichtbewegung ist. Spr.2: Hausmanns Misstrauen gegenüber der etablierten Wissenschaft hat ihn nicht daran gehindert sich auf eben dieses Feld zu begeben. Er war wissenschaftlicher und technischer Autodidakt ohne einschlägige Ausbildung, aber mit dem ihm eigenen unschlagbaren Selbstbewusstsein. CD: Hausmann, wie zuvor das Interview, letzter Teil, darüber O-Ton (Burmeister): Diese Hemmungslosigkeit, die da auch drinsteckt. Keine Hemmungen zu haben, sich in ein neues Feld zu begeben, das ist unterfüttert mit seiner Egozentrik. Die hat natürlich auch eine hohe Triebkraft. Sich auf ein Feld zu begeben, das man eigentlich gar nicht bestücken kann, weil man nicht die Ausbildung dazu hat. Sich aber dann hineinzubegeben, um von heute aus hybriden, überzogenen Ansprüchen zu genügen, das ist schlicht und einfach auch mutig. Das ist eine mutige Haltung. Es ist latent auch das Scheitern programmiert. Spr.2: Die optophonetischen Experimente von Hausmann, also die Versuche die strukturelle Gleichheit von Licht und Ton zu beweisen und zu nutzen, haben ihr Ziel nicht erreicht. Folgenlos blieben sie dennoch nicht. Jan Thoben hat die Geschichte des Optophons erforscht. CD: Radian, wie zuvor: Kilvo O-Ton (Thoben): Wenn ich mich richtig erinnere, dann existieren von Hausmann zwei angenommene Patente. Das eine ist dieses, ich glaube 1927, auf jeden Fall in den zwanziger Jahren angemeldete Endoskop, eine Erfindung zur Beobachtung von Körperöffnungen, wie es im O-Ton heißt. Und dann diese Erfindung zusammen mit Broido, was eine Modifikation des Optophons zu einer Rechenmaschine ist. Darüber hinaus gibt es Selbstzeugnisse von Hausmann, dass er 1927 schon fünf Patente zum Optophon angemeldet hatte, die aber alle abgelehnt wurden aus diesen ästhetischen Gründen. Interessanterweise wird dann so ein Patentverfahren zu einem ästhetischen Diskurs, weil das Patentamt angeblich damit argumentierte, es würde nichts Angenehmes dabei herauskommen für die Rezipienten. Und Hausmann ist der Meinung, das legt er auch in seinen Texten nahe, dass man dieses Urteil dem Erfinder selbst überlassen sollte. Da gibt es einen Clash zwischen den zwei Rollen, die Hausmann da einnimmt. Auf der einen Seite als Ingenieur, auf der anderen Seite als Künstler. Spr.1: Ich kann meine Gedanken, meine Überzeugungen, meine Erkenntnisse nicht beweisen, es ist keine exakte Wissenschaft darin, aber: ist das eine Schande? Ein Manko? Die Materie, diese geistige Form der Materie, die ich erkennen will, ist rein, unmenschlich, befreit von menschlichen Organhinderungen nur zu erkennen. Ob man dies Intuition oder Vernunft oder gar exakten logischen Beweis nennen will oder nicht - bleibt gleichgültig. Nicht Künstler und nicht Wissenschaftler, Pionier und Ingenieur der Weltemanation will ich sein. O-Ton (Thoben): Interessant ist, dass das Optophon ja kein Apparat ist, den man so ohne weiteres hätte bauen können. Das Optophon ist eher eine Art Forschungsprojekt, das sich über mehrere Jahre erstreckt und immer wieder modifiziert wird. Und links und rechts von dieser Forschungsstrecke fallen dann andere Patente ab. Das Endoskop z.B. hat exakt die gleiche Strahlenführung wie das im Optophon sein sollte. Wenn man die Zeichnungen miteinander vergleicht. Ich denke, dass auch sein Erfindungsvorhaben oder sein Patentierungsvorhaben der transversalen Schalldose, dass das ganz stark mit den optophonischen Experimentierphase zusammenhängt. CD: wie zuvor, übergehen zu Unje Spr.1: Die bisher gebräuchlichen Grammophonschalldosen mit angeschlossenem Schalltrichter ergeben keinen reinen Klang. Dies rührt daher, dass die Glimmermembran longitudinal angerissen wird und infolge der hierbei sich ergebenden Molekülstauungen nach dem Befestigungsrande nicht genügend ausschwingen kann. Hierdurch wird die Tonreinheit ungünstig beeinflusst. Durch die Art, wie die akustischen Berge und Täler... (Das folgende in Gemurmel übergehen oder übertönen lassen, dann wieder hoch bei:) Das Endresultat der transversal schwingenden Schall ist demnach: bessere und stärkere Schwingungsfähigkeit der Membran, Verringerung der störenden Schleifgeräusche und durch die zwei Trichterfelder von 14 und 52 Trichtern herbeigeführte Erhöhung der Resonanz sowie dadurch erzielte Verstärkung des Tones. O-Ton (Thoben): Das eine entsteht aus dem anderen. Hausmann hat ungeheuer viele Patentkenntnisse gehabt von zeitgenössischer Ingenieurstechnik. Er verweist in seinen Texten auf neueste Tonfilmtechniken, die heute so in Vergessenheit geraten sind, dass sie praktisch nie rezipiert worden sind. Das sind so ganz exotische Erfindung wie z.B. ein Kapazitätssprechfilm, wo es darum geht dass ein Relief haptisch abgetastet wird, um dann in Klang übersetzt zu werden. Hausmann wollte da einen Spiegel dranmontieren, um die Vibrationen dieses Fühlers gleichzeitig noch in Licht zu übersetzen. Diese Passage vom Taktilen zum Auditiven zum Visuellen, was für Hausmann ja konzeptionell sehr wichtig war, ist hier sozusagen in Hardware gegossen. Das hat ihn natürlich fasziniert. CD: Hommage ... Steffen Schleiermacher: Frage! An August Stramm, beginnend unter Spr.2 Spr.2: Die Fundamente seiner Theorien holte sich Hausmann bei Außenseitern, die nicht mit dem Wissenschaftsbetrieb verbunden waren. Häufig waren es Techniker, die Erkenntnisse aus ihrer Tätigkeit in kosmologische Modelle einfließen ließen. Hanns Hörbiger z.B., der Begründer der Welteislehre, einer Kosmologie aus Eis und Feuer, war Konstrukteur von Kühlmaschinen. Der ehemalige Leutnant Karl Koelsch baute seine Theorie der kosmischen Wellen auch auf seinen Kenntnissen der Ballistik auf. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Ihnen allen gemeinsam war das Festhalten an der seit der Antike bekannten Theorie eines kosmischen Äthers als Übertragungsmedium. Erst durch Einsteins Relativitätstheorie ist sie aus den Weltbildern verschwunden. O-Ton (Niebisch): Der Äther war für Hausmann das Schlüsselmedium der Synästesie und Synästhesie war für ihn Optophonetik. Äther war das Medium, von dem im 19.Jahrhundert annahm, dass sich in ihm Radio- und elektromagnetischen Wellen ausbreiteten. Einstein zeigt in seiner Relativitätstheorie, dass dieser Äther eine unnötige Hypothese war, aber Hausmann brauchte diese Hypothese, weil er glaubte, dass man Schall- und elektromagnetische Wellen quasi ineinander modulieren könne und zwar nicht digital durch Rückmodulisierung durch Computer, sondern wirklich in einer analogen Weise. Und der Äther ist dieses Analogiebildungsmedium. Spr.2: Es ist leicht, sich von heute aus über diese teils obskuren Theorien zu mokieren und darüber zu vergessen, wie modern und vorausblickend Hausmanns Ansatz gewesen ist. O-Ton (Burmeister): Ich finde es aus heutiger Sicht ziemlich schwierig, sich in diese Zeit hineinzuversetzen. Das ist eigentlich mein tagtäglich Brot und trotzdem ist es immer wieder ein neuer Angang. Sich in eine Zeit hinein zu versetzten, die noch nicht unbedingt wusste, was die Welt im Innersten zusammenhält. Da standen Hörbigers Welteisthesen gegen Einsteins Relativitätstheorie. Für uns unvorstellbar, dass so ein relativ krudes Gedankengespinst wie Hörbiger ernsthaft diskutiert wurde oder sogar, tatsächlich von den Nationalsozialisten, in Front gebracht wurde gegen Einstein. D.h. dass das, was wir heute alle wissen, noch nicht da war. Der Boden war noch nicht bereitet oder das Feld war noch nicht abgeerntet. Man kann überlegen, was man säen kann. Man hat die Möglichkeit weit zu denken und auch bestimmte Gedanken zu verfolgen. Wir wissen, dass vieles in Sackgassen gelaufen ist, aber diese Sackgassen waren noch nicht bekannt damals. CD: Radian, Wiederaufnahme Bioadapter O-Ton (Niebisch): Was ihn zum Vorläufer heutiger Medienkunst macht ist nicht so sehr der Fokus auf den Menschen als sozusagen fleischgewordenes Medium. Heutige Medienkunst interessiert sich, soweit ich das sehen kann, mehr dafür Interfaces zu gestalten oder Technologien in sich zirkulieren zu lassen. Was ihn zum Vorläufer moderner Medienkunst macht, und da ist er nicht der einzige, wenn auch einer der prominentesten, ist, dass er sich nicht an disziplinäre und ästhetische Grenzen gehalten hat. Und auch durch diese enge Verbindung von Mensch und Technologie gesehen hat, dass er als Dada-Künstler auch als Wissenschaftler und Techniker sein Projekt weiterführen muss. Das, was er in der Kunst als synästhetische Wahrnehmung auch aus anderen expressionistischen Kontexten gesehen hat, dass das nicht in der Kunst seine weiteren Resonanzen findet, sondern in der Medientechnologie. Diese Grenzüberschreitung nicht nur hin zur Intermedialität, sondern zur Medientechnik, zum Ingenieurtum, das ist es, was Hausmann zum Vorläufer heutiger Medienkunst macht. Spr.1: Die übliche Vorstellung von der Tonalität und vom Sehen muss nicht durch das menschliche Ohr, sondern durch das Medium, das Material des Lichtes kontrolliert und umgewandelt werden. Das Farbklavier gestattet es, die strukturelle und Spannungskontrolle zwischen optischen und akustischen und sogenannten "unhörbaren" Werten derart auszunutzen, dass man optisch-phonetische Kompositionen auf ihm spielen kann von einer absoluten Neuartigkeit. O-Ton (Niebisch): Hausmann war in gewisser Weise der Idee des romantischen Genies auch verpflichtet. Also diese Gleichsetzung mit Goethe als Dilettanten sollte man nicht nur mit der Betonung auf den Dilettanten, sondern auch mit der Betonung auf Goethe lesen, denke ich. Goethe mit der Farbenlehre bietet ja auch einfach viele Korrelationspunkte. Das ist bestimmt eine Figur, die er als Figur, die Wissenschaft und Ästhetik in sich vereinte, doch als Vorbild sah. Ich denke, der Briefwechsel mit Broido funktioniert so. Vielleicht könnte man Broido als seinen Eckermann sehen. CD: Ketil Bjornstad: Water Stories, Glacial Reconstruction Spr.2: Hausmann hat Theorien zusammengefügt wie man eine Collage zusammenfügt und von Widersprüchen ist sein Denken ohnehin durchzogen. Noch 1931 bringt er die Welteislehre gegen Einstein in Stellung, auf den er sich in seinen Erinnerungen positiv bezieht. Zu diesem Zeitpunkt waren ihm die Schwächen der Welteislehre längst bekannt. O-Ton (Niebisch): Hausmann war durchaus kritisch gegenüber der nationalsozialistischen oder auch völkischen Aneignung der Welteislehre. Hausmann versuchte sein optophonetisches Weltbild an die Welteislehre anzudocken, auch weil er hoffte, in der Welteisbibliothek, die von Hans Fischer herausgegeben wurde, einem weiteren Welteistheoretiker, dieses Buch zu veröffentlichen. Da gibt es einen Briefwechsel, bzw. wir haben nur noch die Briefe Hausmanns an Fischer, in dem er ziemlich klar auslegt was er in diesem Buch schreiben will bzw. was er nicht schreiben will und, noch viel wichtiger, er sehr klare Worte findet, was er von der Welteislehre hält. Dort schreibt er explizit die Welteislehre ist ein Dreck, und das sagt er aus zwei Gründen. Erstens weil er zu recht denkt, dass es zu wenig experimentelle Daten gibt, um es wissenschaftlich zu beweisen, gerade vor Fachwissenschaftlern. Und zweitens weil er sieht, dass eine kosmologische Theorie unmöglich eine deutsche Weltlehre sein kann. Und sich ganz klar von diesen antisemitischen und nationalsozialistischen Strömungen innerhalb der Welteislehre distanziert, was natürlich auch dazu geführt hat, dass er dieses Buch in der Welteisbibliothek nie publizierte. Spr.2: Die bereits erwähnte Rechenmaschine markiert das Ende der optophonen technischen Experimente. Der Ingenieur Daniel Broido, mit dem er sie zusammen ersann, nahm sie mit ins englische Exil, wo er sie zu einer Fotosatzmaschine weiterentwickelte. Hausmann ging nach Ibiza und wandte sich anderen Dingen zu. O-Ton (Niebisch): Das Optophon hat m.E. zwei Aufgaben: Einmal zu zeigen, das Licht, also elektromagnetische Wellen und akustisch-mechanische Wellen strukturell identisch sind, also das man Licht analog, also nicht digital in Schall übersetzen kann. Und zweitens um zu zeigen, dass das Optophon etwas ist, das der menschliche Körper innehat, das die menschliche Wahrnehmung optophonetisch funktioniert. Die Rechenmaschine versucht das gar nicht mehr. Die Rechenmaschine nimmt jetzt vor allem die Fotozelle um konkret etwas zu machen, das man dann in Maschinen, Registrierkassen einbauen kann. Das Interesse in der Rechenmaschine ist nicht mehr die Datentransformation von Licht zu Schall, sondern die Strahlenleitung. Was dann auch für die Fotografie so entscheidend wird, für die verschiedenen Linsen und Optiken, die man benutzen kann. Ich sehe das als an Anzeichen, dass sich Hausmann dann doch von dieser Äthertheorie systematisch verabschiedet hat. CD: Hausmann: Kurzes lautpoetisches Einsprengsel des Abschieds und der Kapiteltrennung Spr.2: Hausmanns Interesse an der Fotografie war umfassend genug, dass jetzt eine zweibändige Ausgabe mit Fotografien, besonders aber mit seinen Schriften zur Fotografie geplant ist, herausgegeben von Bernd Stiegler. CD: Kreidler: Weekend, Polaroid, das folgende darüber Spr.1: Malerei und Plastik haben die geistige Wirklichkeit, die Spur der Unendlichkeit in der Identität, in räumlichen, körperlichen Formen zu kristallisieren, sie haben ein Ausfluss der unaufhörlich bewegten, beweglichen Welt zu sein, kein kaltes Denkmal erstarrter Hilfskonstruktionen des Erinnerns an das kleine tägliche Ich, an den kümmerlichen Zustand, dessen Zufälligkeit die Photographie vollständig ausdrückt; wir haben nicht Augen, um sehen zu können, wo unser Besitz liegt, sondern Sehen heißt im Geiste erkennen, wahrnehmen von allen Richtungen aus. Nein, wir sind nicht und wir wollen nicht sein: die Photographen! O-Ton Stiegler: Im ersten Band, der die Texte bis 1933 und die Zeit auf Ibiza umfasst geht es in einem ersten Teil um die Texte der zwanziger und dreißiger Jahre, d.h. die im Kontext des Dadaismus entstanden sind und auch die ersten wichtigen Texte, als Hausmann dann begann zu fotografieren und seinerzeit versuchte, der Fotografie eine neue, eigentümliche, besondere und eigenständige Wendung zu geben. Wir finden da eine Reihe von Aufsätzen, die in sich eigentümlich widersprüchlich sind, weil er teilweise der Fotografie absprach zu einer neuen Form von Wahrnehmung vordringen oder durchdringen zu können. Wir finden aber auch Texte zur Fotografie wo er außerordentlich emphatisch mit diesem Medium umgeht. Diese besondere Form von Widersprüchlichkeit gehört zu diesem ersten Komplex. Spr.1: Man kann sagen, dass Fotografie, Fotomontage und Film die Sinne der im Aufstreben befindlichen Massen schärfen und entwickeln. Sehen, und Wissen was man sieht und Wozu, ist gerade heute eine der wichtigsten Sachen, und die Entwicklung der Fotografie als Kunst beginnt gerade darum auch eben jetzt. Und doch muss man sagen: Kunst kommt von Können: also es gehört Technik dazu. Und es macht für die Gestaltung nichts aus, ob wir die Mittel der Malerei benutzen oder die im Bruchteil einer Sekunde arbeitenden fotografischen Mittel. In beiden Fällen kommt es nur darauf an, Wer da Was sieht. O-Ton (Stiegler): . Der zweite Komplex sind Bildberichte, die Hausmann seinerzeit einer ganzen Reihe von Zeitungen oder Zeitschriften angeboten hat. Es sind keine Texte zur Fotografie, sondern Texte bei denen er vorgesehen hatte, sie mit eigenen Fotografien zu publizieren. Es sind vor allen Dingen Aufnahmen aus der Zeit in Jershöft, Aufnahmen am Strand, in den Dünen. Einer der Texte heißt z.B. Die Wanderdüne frisst den Wald, andere sind Texte eher ethnographischen Inhalts. Es gibt eine Reihe von Bildberichten, die er Zeitschriften angeboten hat wie z.B. der Zeitschrift Atlantis, um dann ein wenig desillusioniert feststellen zu müssen, dass diese Zeitschriften eher an Aufnahmen aus Tibet interessiert waren. Er meinte dann bitterböse ironisch, dass die wirkliche Aktualität der Fotografie eben in Tibet-Aufnahmen bestünde und nicht in Aufnahmen, die er angefertigt hätte. Eine Reihe dieser Fotografien sind gleichwohl ausgestellt worden, er hat sich auch an Wettbewerben beteiligt und verschiedene andere Dinge unternommen. Die Bildberichte blieben aber sämtlich ungedruckt. Spr.2: Die Zahl der nicht realisierten Projekte von Hausmann übertrifft die Zahl der realisierten bei weitem. Das liegt auch an den Konstanten seines Denkens seit seinen dadaistischen Anfängen, die sich auch in seinen Fotografien niederschlagen. Widerspruch und Konflikt sind seine treibenden Kräfte. Wir blenden noch einmal zurück. CD: Zwischen den Zeilen Nr. 13/14, Manos Tsangaris: Zwölfer für Trommeln, die Rückblende darüber O-Ton (Burmeister): Da komme ich noch mal auf Höch zurück. Sie hat eine Arbeit geschaffen, eine Collage und zugleich persönliches Gedenkblatt, da hat sie bestimmte wichtige Aussagen ihrer Freunde eingearbeitet. Von Hausmann steht ein wichtiger Satz dort: Gefährlich ist nur eine unentschiedene Mischung. D.h. man muss eine entschiedene Mischung schaffen. Das wiederum bedeutet, man muss die Widerstände aufeinanderprallen lassen. Das war, glaube ich, eine Grundhaltung, diese dauerhafte Reibung. Das hängt sicherlich mit der Philosophie von Salomo Friedländer zusammen, mit der schöpferischen Indifferenz, die mehr oder minder als philosophisch-gedankliche Disziplin sagt, denke immer auch das Gegenteil mit. Und wenn du das kannst, dann kommst du zu einem gedanklichen Nullpunkt. Das Plus und das Minus wird zu einer Form, die unendlich heißt. Aus dieser Situation heraus kannst du dich wirklich befreien und neu denken. O-Ton (Riha): Er ist jemand, der sich stark anregen ließ durch Erfahrungen, die er gemacht und eben deshalb auch in einer gewissen Lebendigkeit geblieben ist, die ihm nicht einfach zukam, sondern die ihm im Prozess dann einfach zugewachsen ist. Dass er sich auseinandergesetzt hat mit Bewegungen zu denen er ursprünglich oppositionell war, das zeigt ja, dass er sich selber verarbeiten konnte in seinen Positionen, dass er nicht starr geblieben ist: Er ist auch irritierend gewesen für die Leute, die ihm begegnet sind, weil er unterschiedliche Positionen, die sich nicht vertragen haben mit dem was er vor kurzem gesagt hat, gemischt hat. Die ihn in ein schiefes Licht, ins Zwielicht gebracht haben. Das ist aber gerade das Interessante an ihm. O-Ton (Stiegler): Bei der Optophonetik ist es genauso. Bei der Optophonetik haben wir es zu tun mit einer Art Wahrnehmungstheorie, die für sich beansprucht, eine neue Form von überzeitlicher Gültigkeit zu haben, bei der es aber auch darum geht, eine neue Form von Beziehung zu den Gegenständen überhaupt erst wieder zu erreichen. Diese Konstruktion, die wir da haben, diese eigentümliche Faszination für eine Form von Theorie funktioniert bei Hausmann so, dass er nie Theorien in toto übernimmt, sondern sich bestimmte Bausteine herausbricht, um daraus ein neues Weltbild zu bauen. Es geht ihn um immer neue Formen von konstruierter Weltanschauung, die dann kurz darauf, einig Monate später, manchmal nur Tage später, wieder in die Luft gejagt werden, um wieder etwas Neues zu machen. Bei Hausmann kann man sehr schön beobachten, dass es ein Denker ist, ein Künstler ist, der nie irgendwie stehen bleibt, weil er das, was er tut, permanent wieder einreißt. Spr.2: Vor diesem Hintergrund ist Die Wanderdüne frisst den Wald keine naturkundliche Betrachtung, sondern ein weiteres Konfliktfeld, dass es zu beobachten und zu dokumentieren gilt. Konflikte sind der Motor von Hausmanns Denken und Sehen. Besonders deutlich wird dies, wenn man seine Pflanzenfotografien mit den pflanzlichen Urformen kontrastiert, die Karl Bloßfeldt in etwa zur gleichen Zeit aufgenommen hat. CD: Kreidler wie zuvor: Sand Colour Classic, darüber O-Ton (Stiegler): Mit der Abstraktion stand er auf Kriegsfuß. Das kann man deutlich machen wenn man ihn vergleicht mit Karl Bloßfeldt, der großen Ikone der neusachlichen Fotografie. Beide haben sich mit Pflanzenaufnahmen beschäftigt. Hausmann hat hunderte von Aufnahmen von Pflanzen, von Unkraut und Gräsern gemacht, Bloßfeldt auch. Während auf der einen Seite Bloßfeldt die Pflanze aus ihrem Lebenszusammenhang herauslöst, präpariert, um eine Urform zu finden, die dann eine ornamentale Gestalt hat und dann in vielfältiger Weise weiter nutzbar war für ästhetische Zwecke, ging es Hausmann darum gerade nicht. Ihm kam es darauf an, die Pflanze an ihrem Ort zu belassen. Er hatte auch ein Buchprojekt Die Pflanze und ihre Lebenswelt, weil dieser Ort, an dem die Pflanze war, war der Ort eines Lebenskonflikts, und das sah man dem Ort auch an. Die Pflanze, das Unkraut musste um ihr Überleben kämpfen. Das war es was ihn in eigentümlicher Weise faszinierte und deshalb nahm er es auch nie als Isoliertes auf, sondern in einem eigentümlichen Gewirr. Das ist es, was die Aufnahmen heute so faszinierend macht. Es sind so informelle Aufnahmen avant la lettre. Wir haben es zu tun mit Fotografien des Beiläufigen, nicht Ungegenständlichen, weil sie sind ja immer gegenständlich, aber eines Gegenständlichen, das den einzelnen Gegenstand immer in seiner Umwelt zeigt und zwar immer in einer Umwelt zeigt, in der er als Gegenstand zu verschwinden droht bzw. seine Konturen nur durch den Konflikt mit seiner Umgebung gewinnt. CD: Vostell: Le Cri ca. ab Min. 22.30, darüber Spr.2: Aufnahmetechnisch sind die Pflanzenbilder und auch andere Werkgruppen in Hausmanns Nachlass konventionelle Fotografien. Es gibt sogar eine Reihe von Texten, erschienen in der Schweizer Zeitschrift Camera, die man Lehrbuch für den interessierten Laien lesen könnte. Andererseits experimentiert er mit Doppelbelichtungen als Mittel des Widerstreits innerhalb des Bildes, beschäftigt sich intensiv mit Infrarotfotografie und auch die Fotomontage, zu deren Erfindern er gehört, ist nicht verschwunden. O-Ton (Stiegler): Das ist eine Konstante seines Werks, auch in den späten Jahren in Limoges entdeckte er die Fotomontage wieder neu als Verfahren. In den frühen Jahren sind es extrem kalkulierte, komponierte Bilder. Er spricht zwar immer wieder von der Explosion von Blickpunkten und ähnlichen Dingen mehr, von dadaistischen Prinzipien im Prinzip, aber gleichzeitig sind es Bilder, die außerordentlich kalkuliert sind, wo bestimmte Bildelemente so angebracht sind, dass sie zur gleichen Zeit eine bestimmte Form von Weltanschauung im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen führen sollen. D.h. wir haben auf der einen Seite eine bestimmte Form von Dynamisierung, auf der anderen Seite aber auch eine Art von visueller Inszenierung einer neuen Form von Weltanschauung, die jetzt auch performativ mit Hilfe des Bildes einen bestimmten Effekt erzielen soll. D.h. es geht um eine Schulung des Sehens im wahrsten Sinne des Wortes, wobei die Montage auch die Sinne montieren sollte. Es ging ihm darum, den Betrachter neu einzustellen, die Sinne des Betrachters ganz neu zu montieren. Daher auch die eigentümliche Faszination von Hausmann für wahrnehmungsphysiologische Fragen, die immer wieder auftauchen. Spr.2: Es versteht sich von selbst, dass jemand wie Hausmann schon früh wusste, wie wegweisend seine fotografischen Arbeiten sind. CD: Radian wie zuvor: Jet O-Ton (Stiegler): Hausmann war keine bescheidene Person. Das kann man in aller Deutlichkeit sagen. Als er anfing zu fotografieren, um 1930, dauerte es eigentlich nur wenige Monate bis er zu der Überzeugung kam, dass er einer der wichtigsten Fotografen der Avantgarde sei. Und er hat auch mit diesem Gestus eine ganze Reihe von Redaktionen angeschrieben, da gehören sehr prominente dazu. Er hat auch Kontakte zu Agenten aufgenommen, in der Hoffnung seine Aufnahmen verkaufen zu können, vergeblich. Alles mit dem Gestus, dass er einer der wichtigsten Avantgardefotografen der ganzen Welt, nicht nur in Europa, auf der ganzen Welt sei und dementsprechend entsprechende Anerkennung verdienen würde. Gleiches gilt auch für seine fotografischen Arbeiten. Spr.2: Und wenn ihm einmal Aufnahmen nicht so gelangen, wie er es wollte, weil er das technische Handwerk noch nicht vollständig beherrschte, dann konnte das unmöglich an ihm liegen. O-Ton (Stiegler): Immer dann wenn sie technisch imperfekt waren, wenn etwas nicht so funktionierte wie er sich das vorstellte oder vorgestellt hatte und die Technik gewissermaßen sperrig und widerständig war, suchte er den Fehler nicht bei sich selbst, sondern ganz im Gegenteil. Er war immer der Auffassung das müsse am Objektiv oder an der Kamera liegen. Er hat dementsprechend eine ganze Reihe von Briefen an Objektiv- und Kamerahersteller geschrieben, um ihnen vor Augen zu führen und deutlich zu machen, dass man mit Hilfe dieses lausigen Objektivs, für das er sehr viel zu viel Geld bezahlt habe, nicht die Aufnahmen anfertigen konnte, für die das Objektiv bestimmt war. Teilweise war es interessanterweise sogar so, dass die Kamera- oder Objektivhersteller, Carl Zeiss Jena hat das mal gemacht, Testreihen durchgeführt haben um herauszufinden, ob es an den Objektiven lag. Hausmann hatte diese Wirkung. O-Ton (Burmeister): Der Umgang mit Raoul Hausmann war durchaus schwierig, denke ich mir. Er war von aufbrausendem Temperament, und es gibt eine kleine Notiz von Else Lasker- Schüler, handschriftlich, die liegt bei uns im Archiv, und ihr Kommentar zu Hausmann war: Kleines Gift, muss auch sein. Was Hausmann ihr nie verziehen hat. Wenn schon dann muss es das große Gift sein, dass er versprüht. Hausmann muss ein sehr sperriger Charakter gewesen sein, ein in jeder Hinsicht widerständiger Mensch. CD: Hausmann wie zuvor: Soundreel, kurz stehen lassen, dann leise im Hintergrund Spr.1: Scheuklappe. Weil man nur mit ihr Professor am Bauhaus in Dessau werden kann (Moholy) Weil man nur mit ihr andere plagiieren kann ohne dafür zu können (Moholy) Weil man nur mit ihr Ullsteinmitarbeiter und Spießbürger werden kann (Huelsenbeck) Weil man nur mit ihr zu einer Wichtigkeit sich aufblasen kann, die man nicht hat (Wedderkop) Weil man nur mit ihr reaktionäre Malerei für proletarische Revolution ausgeben kann (Grosz) Weil man nur mit ihr vom Anarchisten zum Liebling schöner Frauen werden kann (Felixmüller) Weil man nur mit ihr vom Metallarbeitersohn zum Akademieprofessor werden kann (Dix) Weil man nur mit ihr so eingebildet sein kann, dass man sich für einen Menschen hält (Segal) Weil man nur mit ihr den anständigen Menschen und den Parteibonzen spielen kann (Heartfield). Scheuklappe ist das wichtigste Möbelstück der Neuzeit und nur für Flachköpfe geeignet, die nicht gegen das absolut vollgiltig Normal verstoßen wollen. Spr.2: Wer so auszuteilen versteht, von dem kann man erwarten, dass er auch den Neodadaismus der sechziger Jahre einer scharfen Kritik unterzieht. Spr.1: Anders steht die Sache, wenn die Maler Piene, Mack oder Yves Klein ‚schöne Aussichten' entweder am Nordpol oder in Paris zu hohen Preisen verkaufen, Aussichten, die jeder umsonst sehen könnte. Das ist ungefähr wie das Konzert der Stille, das John Cage gab - er saß vor dem Flügel ohne eine Taste zu berühren, und das Publikum ‚hörte' die Melodie des Schweigens. In diesen Fällen ist das Publikum DADAistischer als die ‚Künstler'. Ebenso ist es das Publikum, das dada wird, wenn beispielsweise Carl Laszlo ihm eine Ausstellung von ‚Nichts' anbietet - die ihr direktes Vorbild in dem Spiegel haben, den Soupault 1923 als Portrait einer Unbekannten in Paris ausstellte. Das sind faule Witze, aber ohne Geist und ohne Zukunft. O-Ton (Riha): Er hat schon wahrgenommen was sich verändert. Es ist nicht so, dass er daran vorbeigegangen ist. Aber er öfter Kontakt gehabt mit Leuten, die sich selber in die Tradition von Dada gestellt haben und hat dabei festgestellt, dass sie eigentlich wenig Ahnung von Dada hatten. Das hat ihn dann schon verblüfft, dass man so an dem vorbeigeht was man als Anregung aufnehmen müsste. Damit zielt er auch auf das Verhältnis, das sich von neueren Autoren zu älteren Dadaisten hätte ergeben müssen. Diese Kritik, die er im einzelnen übt, wird aber immer wieder zurückgenommen. Sie ist nicht stabil, kein festes Fundament. Er hat sich auch immer wieder mit Autoren auseinandergesetzt, die er zunächst heftig attackiert hat. Das ist ähnlich der Erfahrung, die ich mit ihm gemacht habe, dass auf das erste Buch Am Anfang war Dada eine sehr heftige Kritik kam, weil ich, als junger Student der ich war, einfach normale Grammatik, normale Typographie angewandt habe und ich keine Ahnung hatte, dass im Dadaismus auch diese Kategorien aufgekündigt waren. Und er mir einen sehr heftigen Schmähbrief geschickt hat, der mich stark bestürzt hat, bis ich dann kapiert habe, ich muss mich stärker mit ihm auseinandersetzen, um zu kapieren, wie es zu einer solchen Reaktion kommt. Und insofern ist es schon so, dass diese Reaktionen, heftige Reaktionen mit zu seiner Art des Kontakts gehören, den er gesucht hat. Eben nicht ich suche jetzt Leute, die mich verehren, sondern diese etwas kämpferische Art aus der sich dann eine gewisse Nähe ergibt durch die man in Zusammenhang, durch die man in Kontakt kommen kann. Das gehört mit zum Dadaismus dazu wie er ihn geprägt hat. CD: Tarwater: The Needle was travelling, Yeah!, beginnend unter O-Ton Riha, am Schluss endend mit dem chorisch gesungenen Yeah! Spr.2: Die Vielfalt der Aktivitäten von Raoul Hausmann konnte hier nur angedeutet werden. Seine Neigung zum Selbstwiderspruch hat ihn in den sechziger Jahren sogar wieder Ölbilder malen lassen. Nicht das Medium ist entscheidend, sondern die entschiedene Mischung. Hausmann ist immer Dadaist geblieben, denn am Anfang war Dada. Spr.1: Bevor das Sonnen-Auge den schwarzen Abgrund der mütterlichen Nacht durchbrach, in diesem ungewissen Dämmern, hat sich der Mensch zwischen seiner Angst und seinen Minderwertigkeiten Götter und Helden nach seinem Ebenbild geschaffen. An der Grenze des eklen Raums hielt die Sphinx Wache, und Ödipus, der Vatermörder, wurde gesandt, um das Rätsel zu lösen und mit seiner Mutter zu schlafen. Aber auch der Bruder der Sphinx, Typhon, stieg aus dem Sumpf, um zu lernen, sich nicht zu fürchten, selbst wenn man ihm einen Eimer kalten Wassers voll kleiner Fische über den Rücken gießt. Damit ist DADA und der Typhonismus geboren und die Ablehnung, Furcht zu haben. Diese Selbstentgiftung wird uns nie mehr verlassen. 2