COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 06.01.2011 Klimaschutz im Kochtopf Der Bremer Veggie-Day Autoren: Petra Marchewka und Hartwig Tegeler Red.: Claudia Perez Anmoderation Wer auf Eisbein mit Sauerkraut steht, täglich Salami auf dem Brötchen braucht und noch immer verzückt an die fette Weihnachtsgans zurückdenkt, für den ist es ein bitterer Nachgeschmack, was Klimaforschern längst zur Gewissheit geworden ist: Wer viel Fleisch konsumiert, der trägt erheblich zum Klimawandel bei, der unseren Planeten und die Menschheit bedroht. So veröffentlichte die Welternährungsorganisation FAO, dass die industrielle Tierwirtschaft zu 50 Prozent für den menschengemachten Klimawandel verantwortlich ist. Schon einen Tag lang kein Fleisch zu essen bringt viel fürs Klima. Für die USA hat das der Schriftsteller Jonathan Safran Foer in seinem Buch "Tiere essen" ausgerechnet: "Wenn alle Amerikaner nur jeweils eine Fleischmahlzeit pro Woche auslassen würden, würde das der Umwelt die Abgase von fünf Millionen Lastwagen ersparen, und ungefähr 200 Millionen Tiere weniger würden misshandelt und geschlachtet." Wenn das so ist, dann hören wir doch einfach auf mit dem ungezügelten Fleischverzehr: Das haben sich vor genau einem Jahr einige Bremer Bürger gedacht und riefen in der Hansestadt den Veggie-Day ins Leben, einen fleischlosen Wochentag. Jeden Donnerstag, so war der Plan der Initiative, sollten ab sofort nur noch pflanzliche Produkte auf den Teller kommen. Hartwig Tegeler und Petra Marchewka sind an einem Donnerstag nach Bremen gefahren um nachzusehen, ob sie einen Bremer bei Grünkohl mit Pinkel erwischen. Atmo 1: Atmo "Glocken Wochenmarkt", darauf: Tegeler: Vorab für alle Nicht-Bremer und Bremen-Unkundigen: Grünkohl mit Pinkel, das ist nichts Unanständiges. Jedenfalls nicht am Montag, Dienstag, Mittwoch, Freitag, Samstag und Sonntag. Donnerstags allerdings schon. Donnerstags isst der Bremer anders. Isst der Bremer donnerstags anders? 1. O-Ton: Collage Wochenmarkt Teil [Männer und Frauen im Wechsel:] "Donnerstag ist in Bremen was Besonderes? - Nein, weiß ich nicht. - Kinotag? - Keine Ahnung! - Verstehe ich nicht ganz. Aber ... - Nein! - Das weiß ich nicht. - Sacht mir nix! - Sacht mir gar nix! - Heute ist Donnerstag, ja! - Aber kenne ich nicht. Nee, weiß ich nicht! - Wochenmarkttag?" weiter Marktatmo, darauf: Tegeler: Donnerstags ist Wochenmarkt am Bremer Domshof mitten in der City. Die Rolandstatue, Bremens Wahrzeichen, steht nur ein paar Meter von hier, und während die berühmte mittelalterliche Plastik wohl jeder hier kennt, ist das Wissen in Sachen Veggie-Day bei den Marktbesuchern lückenhaft. 2. O-Ton: Mann, der davon weiß (Verkäufer) "Besonderer Tag? Ah, dieser Gemüsetag. Also, ohne Fleisch. Veggie-Day heisst das, glaube ich." Umfrage Wochenmarkt Teil "Ich habe auch schon mal von dem fleischlosen Donnerstag gehört. - Auch nicht schlecht! - Aber jeden Donnerstag?" Erbensuppenstand (zwei Frauen) "Ja, wegen der furzenden Kühe. Ja, die rülpsenden Kühe. [Kichern.]" Tegeler: Bremen donnerstags kein Fleisch? Über diese Idee können die Damen, die auf dem Markt Erbsensuppe, Bockwurst und Frikadellen verkaufen, nur lachen. 3. O-Ton: Erbsensuppenstand (zwei Frauen) "Ja, aber das lehne ich ab, so einen Quatsch. Da droben steht hausgemachte Kost. Regionale Speisen. Nennen Sie mir eine vegetarische Speise, die es hier in Norddeutschland gibt." Tegeler: Der vegetarische Donnerstag: Scheitert er - in der kalten Jahreszeit - am regionalen Grünkohl-mit-Pinkel-Diktat? Atmo 1 endet hier. Atmo 2: Restaurant-Atmo, darauf: 4. O-Ton: Schwalbe im Lichthaus, Bestellung: "Zucchini-Röllchen hatte ich letzten Donnerstag, ich würde heute gern den Brokkoli-Blumenkohl-Kartoffel-Gratin mit Käsesoße und gerösteten Mandelsplittern kriegen." - "Ja, gerne." - "Prima. Dankeschön." Marchewka: Christiane Schwalbe weiß, was sie will. Nicht nur im Restaurant angesichts der Speisekarte. Hier im Bremer "Lichthaus", einer schicken Location, die gern auch für Firmenfeste und Hochzeiten gemietet wird, findet sie immer auch vegetarische Gerichte, nicht nur donnerstags. 5. O-Ton: Schwalbe im Lichthaus, Essen kommt: "Jetzt kriege ich was zu essen, lecker. Jetzt kriege ich meinen Gratin. Klar kriege ich was!" Marchewka: Die kleine, dynamische Frau Anfang 60 findet, dass das Leben mit der Pensionierung erst los geht, und ein Projekt wie der Bremer Veggie-Day ist genau nach ihrem Geschmack. Als die ehemalige Journalistin ihn vor einem Jahr ins Leben gerufen hat, war sie nicht besonders erstaunt darüber, dass so mancher auf den fleischlosen Wochentag zunächst unwillig reagierte. 6. O-Ton: Schwalbe, nicht reinreden lassen: "Ein Mal in der Woche kein Fleisch essen heißt für Menschen, die sich in ihre privaten Ess- und Ernährungsgewohnheiten nicht reinreden lassen wollen: Da will mir jemand was verbieten. Das kommt ja überhaupt nicht in Frage, ich lass mir doch mein Fleisch nicht verbieten." Marchewka: Die ökologisch interessierte Frau mit dem Pagenkopf ist selber ganz zufällig auf den Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Klimawandel gestoßen, bei einem Besuch in der belgischen Stadt Gent. Hier ist ein vegetarischer Wochentag bereits im Mai 2009 eingeführt worden, und Schwalbe war von der Idee sofort begeistert. 7. O-Ton: Schwalbe im Lichthaus, Klimaschutz 1: "Und da war ich bass erstaunt, dass bei allen Klimaschutz- Debatten dieser Punkt immer irgendwo am Rande läuft und am Rande erwähnt wird, aber nie wirklich intensiv diskutiert wird. Weil er ist ein Hauptfaktor des weltweiten CO2-Ausstoßes und der weltweiten Klimaveränderung." Marchewka: Von der Brisanz des Themas angetrieben hat Christiane Schwalbe zahllose Telefonate geführt, Briefe geschrieben, Flyer verteilt, dann Pressekonferenzen abgehalten, gemeinsam mit der Bürgerstiftung Bremen, die sich für bürgerschaftliches Engagement einsetzt und die Schwalbes Idee gleich unterstützenswert fand. Nach kurzer Zeit hatte die gebürtige Berlinerin dann eine Reihe Verbündeter im Boot: Einige Bremer Krankenkassen wollten nun donnerstags kein Fleisch mehr anbieten, alle Bremer Kindertagesstätten schlossen sich an, ebenso die Alten- und Pflegeheime, der BUND, die Verbraucherzentrale, einige Restaurants. Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen übernahm die Schirmherrschaft und Reinhard Loske, der Umweltsenator der Stadt, stiftete 5000 Euro als Anschubfinanzierung. Gemeckert hat offiziell niemand über den Veggie- Day: Die Initiative sei wohl noch zu klein, als dass sich jemand über den Aufruf zum Fleischverzicht ernsthaft ärgern würde, mutmaßt Christiane Schwalbe. 8. O-Ton: Schwalbe im Lichthaus, Keine Vegetarier: "Wir sind, die wir das gemacht haben, keine Vegetarier. Wir sind auch keine extremen Tierrechtler oder Tierschützer. Darum ging es uns nicht. Das sind wunderbare Nebenprodukte, uns ging es einfach darum, Bewusstsein zu schaffen für das, was wir täglich auf unseren Teller laden, und was das mit dem Klimaschutz, mit der Klimaveränderung zu tun hat, denn dass der Klimawandel da ist, und zwar drastischer als für dieses Jahrzehnt vorausgesagt, das ist einfach klar." Marchewka: Der Fleischkonsum steigt weltweit stetig an, was Forschern auch deshalb Kopfschmerzen bereitet, weil die extrem ressourcenaufwendige Produktion pflanzliche Nahrungsmittel verbraucht, die an anderer Stelle fehlen: Millionen Menschen auf der Welt müssen deswegen hungern. Der errechnete Anteil, den die weltweite Fleischherstellung an der Klimaveränderung hat, schwankt zwischen 18 und 51 Prozent, je nach dem, welche der belastenden Faktoren in die Berechnungen einfließen: der Verbrauch von Wasser etwa, die Produktion von Lach- und Methangas, die Rodung der Wälder und deren Umwandlung in Weideflächen. Dazu kommt die gesundheitliche Gefährdung für jeden einzelnen Fleischesser - auch das letztlich ein gesamtgesellschaftliches Problem. 9. O-Ton: Schwalbe im Lichthaus, Fleischverbrauch: "Der empfohlene durchschnittliche Verbrauch, um vorzubeugen gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und allem, was sonst noch mit Fleischessen zu tun hat an möglichen Krankheiten, liegt zwischen 300 und 600 Gramm. Eindeutige Empfehlung der deutschen Gesellschaft für Ernährung. Und ein Kilo essen die Leute. Furchtbar." Marchewka: Während Christiane Schwalbe ihren - inzwischen nur noch lauwarmen - vegetarischen Auflauf isst, bringt der Betreiber des Restaurants ein paar biologische Limonaden an den Tisch. Stefan Baeßler, ein drahtiger Mann Anfang 50, ist chronisch unter Zeitdruck: Er bewirtschaftet einen Biohof bei Bremen, ist Inhaber dreier Kantinen und eines Catering-Services. Mit der Verpflegung, die er dort kochen lässt, beliefert Baeßler zum Beispiel Bremer Kitas, Schulen, Betriebskantinen. Als Biolandwirt produziere er zwar auch Fleisch, sagt er, aber tierische Produkte spielen bei seinen gastronomischen Unternehmungen eine untergeordnete Rolle. 10. O-Ton: Baeßler im Lichthaus, ein Mal Fleisch pro Woche: "Meine Kalkulation, die gibt das gar nicht her, dass ich jeden Tag Fleisch anbieten kann. Und in der Regel machen wir das an den Schulen so: Drei Mal vegetarisch, ein Mal Fisch, ein Mal Fleisch. Dann hat der Mensch, was er braucht." Marchewka: Längst herrsche auch in der Bioszene ein enormer Preiskampf, erzählt Stefan Baeßler. Die großen Handelskette, die den Biobauern die Produkte abkaufen, diktieren die Preise, auch ökologische Betriebe sind gezwungen, große Mengen zu produzieren. Der Verbraucher wolle immer alles möglichst billig haben, klagt Baeßler. 11. O-Ton: Baeßler im Lichthaus, Investition für Lebensmittel: "Vor 50 Jahren etwa, da haben wir 30 Prozent unseres Einkommens für Lebensmittel ausgegeben, ne. Jetzt geben wir zwischen acht und zwölf Prozent aus, Maximum. Je nachdem welcher Schicht ich angehöre, und wenn man diese Entwicklung sieht... ich glaube nicht, dass da von einem Bewusstsein die Rede sein kann." Marchewka: Der Bremer Veggie-Day - da sind sich Stefan Baeßler und Christiane Schwalbe einig - kann nur ein allererster Schritt sein, hin zu einem anderen, einem klimafreundlichen Verbraucher-Verhalten. Aber dieser erste Schritt kann schon viel bewirken. Restaurant-Atmo unter den folgenden O-Tönen und Texten wegblenden: 12. O-Ton: Baeßler im Lichthaus, Rechnung : "Also Bremen sind ungefähr 600.000 Mittagessen, kann man ja mal hochrechnen, ne. Atmo 3: Bremer Bahnhofsvorplatz, darauf: Tegeler: Am Donnerstag auf Fleisch verzichten.... 13. O-Ton: Baeßler im Lichthaus, Rechnung : "Und ne normale Portion Fleisch ist 200 Gramm." Tegeler: ....ist für viele Bremer noch nicht vorstellbar. 14. O-Ton: Baeßler im Lichthaus, Rechnung : Baeßler: "Wir haben bei 600.000 Mittagessen, ne, nur für Bremen gedacht, ne, sind das 120.000 Kilo Fleisch. 600.000 Mittagessen sind 120.000 Kilo Fleisch. Und nur an einem Tag. Und wenn man sich das mal vor Augen hält, also ich finde, da kann man sich vorstellen, dass man damit was machen kann. Das ist schon 'ne Menge, finde ich." weiter Atmo Bremer Bahnhofsvorplatz, darauf: Tegeler: Veggie-Day am Bremer Hauptbahnhof - Fehlanzeige. 15. O-Ton: "Habe ich schon von gehört, interessiert mich aber nicht, denn ich bin überzeugter Fleischesser." Tegeler: Bremer Fleischesser können es auch donnerstags nicht lassen. Also doch ein regionales Grünkohl-mit-Pinkel-Diktat? So ähnlich. 16. O-Ton: "Zu dieser Jahreszeit natürlich Grünkohl mit Knipp und Kasseler Fleisch, was dazu gehört. Ansonsten esse ich gerne Schinken, also auch rohen Schinken. Zudem bin ich auch noch Jäger, also jagdlich aktiv, und esse auch viel Wild." Tegeler: Waidmanns Heil. 17. O-Ton: "Wer´s mag, soll´s machen, aber ..." Tegeler: Der Veggie-Day... 18. O-Ton: "Was ist denn das? Der Gründonnerstag soll das sein." Tegeler: .....er ist in Bremen noch nicht in aller Munde. Wohl eher im Gegenteil. Atmo 3, Bahnhofsvorplatz, endet hier. Atmo 4: Atmo "Küche in der Kita, mit Gebläse", darauf: 19. O-Ton: Irene Löwenthal-Morgan in der Küche "Heute haben wir Grünkernfrikadellen mit Biokartoffeln und Mohrrüben, auch Bio, in einer karamellisierten Soße. Ja, und haben ja Quark-Dip dazu. Und als Nachtisch gibt es eine frische Birne." Marchewka: Irene Löwenthal-Morgan rückt ihre weiße Haube zurecht und kontrolliert die Töpfe auf dem Herd. Die Köchin mit der dunklen Hautfarbe und der modischen Brille hat alle Hände voll zu tun: Tag für Tag versorgt sie die 80 Kinder dieser Kita in der Bremer Neustadt mit Essen. Sie kocht mit frischen, möglichst biologischen Zutaten. Und donnerstags ist Veggie- Day. Für die Idee gab es aus sämtlichen Bremer Kitas großen Beifall. weiter Küchenatmo, darauf: 20. O-Ton: Heidegret Bosche "Wir wissen um die Risikofaktoren, die am Fleisch hängen bzw. den Einfluss auf die Gesundheit." Marchewka: Heidegret Bosche arbeitet als Ernährungsberaterin beim Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin, kurz Bips. Den Speiseplan für diese und für alle anderen Bremer Kindertagesstätten hat sie maßgeblich mit entwickelt. 21. O-Ton: weiter mit Heidegret Bosche "Und da ist es so, dass es nicht unbedingt einen Einfluss hat auf die aktuelle Gesundheit der Kinder, sondern im Hinblick auf eine spätere Gesundheit. Das heisst, wenn wir die Kinder heute schon daran gewöhnen - und das ist unser Ziel -, mehr Obst und Gemüse zu essen und auf Fleisch zu verzichten, hat das Einfluss auf spätere Erkrankungen insbesondere Herz-, Kreislauferkrankungen. Wir können zum Beispiel sehen - was man von außen nicht sehen kann, aber bei den Schuluntersuchungen -, dass viele Kinder bereits erhöhte Cholesterinspiegel haben. (...) Und wir haben eben hier für unsere KiTas Standards festgelegt, das heißt ein Standard ist, dass es eigentlich nur einmal in der Woche ein qualitativ hochwertiges Fleischgericht gibt." Marchewka: Bei den Eltern, sagt Heidegret Bosche, da fehle vielfach noch das Verständnis für den Nutzen des vegetarischen Donnerstags. Aber so manch ein fleischloses Rezept wird inzwischen auch zu Hause nachgekocht. 22. O-Ton: Heidegret Bosche "Viele schütteln den Kopf und schmunzeln dann, wenn sie hören, dass die Kühe ja erheblich dazu beitragen zur Klimaverschlechterung durch die Methan-Bildung. Ich glaube aber, dass der Gedanke bei vielen noch ganz fern ist." 23. O-Ton: Christina Heiland (KiTa-Leiterin) "Wir haben Schwierigkeiten zum Teil." Marchewka: Christina Heiland, die Leiterin der Kita in der Bremer Hardenbergstraße. 24. O-Ton: Christina Heiland (KiTa-Leiterin) "Also: Lasagne ist sehr beliebt. Pizza ist ein sehr beliebtes (Essen). Also Fertigessen ist mittlerweile ein sehr bekanntes und beliebtes Essen für die Kinder. Und von daher sind wir hier manchmal sehr penetrant und wiederholen bestimmte Speisen und versuchen auch, Kinder an etwas anderes heranzubringen." Atmo 5: Atmo "Kinder essen" 01, darauf: Marchewka: Inzwischen ist das Mittagessen an die Kinder verteilt. Bevor die Jungen und Mädchen anfangen, erklärt das so genannte Tageskind den anderen, was es heute gibt. Dieses kleine Ritual soll helfen, dem Essen wieder eine angemessene Bedeutung beizumessen. 25. O-Ton: Tageskind & Betreuerin - Speiseplan - Essraum "[Betreuerin:] So, was haben wir jetzt alles hier drinnen. Erklär doch mal. Sag mal, was ist das? - [Kleiner Junge:] Kartoffeln ... Möhren ... Quark ... Bratlinge ... Eins, zwei, drei! Tiger, Löwe, Katze. Reicht euch [Alle Kinder setzen ein:] mal die Tatze. Jeder isst soviel er kann, nur nicht seinen Nebenmann. Und wir nehmen´s ganz genau: Auch nicht seine Nebenfrau. Guten Appetit. Haut rein! [Essengeräusch. Geschirrklapper.]" Marchewka: Ein kleiner Junge trägt seinen leer gefutterten Teller zu Irene Löwenthal- Morgan in die Küche. Ob er noch mehr Fleisch bekommen könnte, fragt er. 26. O-Ton: Irene Löwenthal-Morgan in der Küche "Das ist kein Fleisch, das weisst du doch. Kartoffel habt ihr ja auch so viel gegessen. Reicht das? Reicht das? Ja! Die Kinder verwechseln auch manchmal, wenn wir Fisch haben, denken die, oh, das ist Fleisch. Wenn ich Frischfrikadellen selber mache, denken sie auch, dass das Fleisch ist." Atmo 6: Atmo "Vor dem Speisesaal", darauf: Marchewka: Anderen Bundesländern gilt der Bremer Veggie-Day und die hohen Verpflegungs- und Qualitätsstandards in den Kitas als Vorbild. Das zeigen die vielen telefonischen Anfragen, die Heidegret Bosche vom Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin täglich bekommt. 27. O-Ton: Heidegret Bosche "Wir sagen immer, wir sind ein Dorf mit Straßenbahn. Die Netzwerke sind sehr eng. Solche guten Ideen wie der Veggie-Day hat eben deshalb, glaube ich, so schnell Fuß gefasst und hat sich verankern können, weil die Botschaft sozusagen schnell auch in die Einrichtungen kam." Atmo 7: Straßenbahn vorm Bremer Hauptbahnhof, darauf: 28. O-Ton: Mann, der davon weiß (Verkäufer) "Also, die Idee, die finde ich gar nicht mal so schlecht. Also, ich finde es in Ordnung. Näh! Ich muss auch nicht jeden Tag Fleisch essen." Tegeler: In Bremen ist Veggie-Day, und es gibt sie also doch, die Hansestädter, die am Donnerstag auf Fleisch verzichten. Aus Überzeugung.. 29. O-Ton: Köchin (Fußgängerzone) "Der Veggie-Day ist heute, okay. Den Namen kenne ich. Ich war auch selber dreizehn Jahre lang Vegetarierin. Jetzt nicht mehr. Aber ich bin Hauswirtschafterin und habe donnerstags im Altenpflegeheim das Veggie-Day-Menü gekocht." 30. O-Ton: Vegetarier auf Wochenmarkt (Verkäufer) "Also, ich bin sowieso Vegetarier. Also, für mich jeden Tag ist Veggie-Tag. Ich finde das gut. Ich esse immer vegetarisch eigentlich." 31. O-Ton: Zwei Frauen auf dem Wochenmarkt 02 "Früher war ich Tierfreundin und auf der anderen Seite Fleischfresser. Nachdem ich im Fernsehen und in der Literatur gefunden habe, wie die Tierhaltung ist, habe ich also einen Widerstand ausgebaut, und habe auch gesehen in Veranstaltungen z. B., dass Tier Geschwüre am Körper haben und dass das alles in der Wurst und so weiter verschwindet, dass es unsauber ist. Daher ekel ich mich." Atmo Straßenbahn endet hier. Atmo 8: Atmo Bremer Universitätsmensa, darauf: 32. O-Ton: Dirk Wassermann (in der Mensa) "Es ist so das erste Epizentrum in der Mensa; hier kann man sich informieren. Und wenn Sie mal gucken, dann gibt es hier grün unterlegte Angebote. Gucken wir mal heute. Heute ist ja Donnerstag, Veggie-Day....." Marchewka: Für die Annahme, Vegetarier seien blasse, graue Gestalten, denen es an Lebensfreude mangele, ist Dirk Wassermann von der Hochschule Bremen der lebendige Gegenbeweis. Braungebrannt und in lila-farbenem Anzug steht der Sozialwissenschaftler grinsend in der Mensa und amüsiert sich über den unzeitgemäßen Speiseplan der Bremer Hochschul-Kantine. Mit dem Küchenchef hier streite er sich regelmäßig, sagt Wassermann. 33. O-Ton: Dirk Wassermann (in der Mensa) "Da gibt´s Grünkohl mit Kochwurst. Dann kommt wieder so ein Alibi: Grünkernbratlinge mit Tomatensoße und Hirsespirelli. Wenn man mal guckt, heute am Donnerstag, sind das ausnahmsweise mal zwei vegetarische Gerichte." Marchewka: Dirk Wassermann arbeitet im so genannten "Kompetenzzentrums Nachhaltigkeit im globalen Wandel" an der Hochschule und beschäftigt sich unter anderem mit dem Konsumverhalten in unserer Gesellschaft. Atmo Mensa langsam unter den folgenden O-Tönen wegblenden: 34. O-Ton: Dirk Wassermann "Wir haben ja immer noch dieses Paradigma des Sattwerdens in dieser Welt. Oder insbesondere in Westeuropa. Deshalb sind wir auf der einen Seite eine Gesellschaft, die alles Mögliche zumindest quantitativ im Überfluss hat, aber wo es immer noch darum geht ... ooooh! ... satt zu werden. Und wenn Sie jetzt hingehen und sagen, hier, denk mal über einen Veggie-Day nach, dann ist sofort, oh, Fasten! Und ich werde an dem Tag nicht richtig satt. Und da fehlt doch was auf dem Teller." Marchewka: Um nur ein einziges Kilo Rindfleisch zu produzieren, haben Wissenschaftler errechnet, werde exakt genauso viel Energie verbraucht wie bei einer 250 Kilometer langen Autofahrt, dem Brennen einer 100- Watt-Glühbirne über 20 Tage oder dem jährlichen Wasserbrauch beim täglichen Duschen. Noch ein Argument für einen fleischlosen Tag, mindestens einen. 35. O-Ton: Dirk Wassermann "Wir SozialwissenschaftlerInnen, mit großem "I", wir wären wahrscheinlich arbeitslos, wenn es keine Umsetzungsprobleme gäbe. Wir wissen so vieles: Wir sollen nicht rauchen! Wir sollen uns mäßigen mit dem Alkohol und und und und und." Dirk Wassermann "Das hat man in der Umweltpsychologie gelernt, das hat man in den Gesundheitswissenschaften gelernt: Solange Sie nur mit erhobenem Zeigefinger agieren, haben Menschen keine Lust, irgendwie ihr Verhalten zu ändern." Marchewka: Dazu komme, dass die Konsumenten den Bezug zu dem, was vor ihnen auf dem Teller liegt, komplett verloren haben. Das appetitliche Schnitzel aus der Kühltheke hat mit dem Schwein im Stall in der Wahrnehmung der Menschen nichts tun. 36. O-Ton: Dirk Wassermann "Der Begriff Fleisch ist schon verkehrt. Ich sage ja auch nicht, ich habe gerade Muskelkater vom Schwimmen in meinem T-Bone. Aber es wird von T-Bone-Steak gesprochen. Ich habe eine Zeit im Krankenhaus gearbeitet, um mein Studium zu finanzieren, und habe dann die Leute bei der Aufnahme gefragt: Essen Sie noch Tiere? Und da haben die mich alle angeguckt, als würden die mich im nächsten Moment an die Wand nageln wollen." Marchewka: Aber Dirk Wassermann macht sich und den Organisatoren des Bremer Veggie-Days Mut: Einige andere Städte der Bundesrepublik eifern den Bremern inzwischen nach, so engagieren sich die Grünen in Hannover und Freiburg für einen vegetarischen Tag in ihren Städten, Schwerin interessiert sich für das Bremer Konzept, ebenso private Initiativen in Köln, Osnabrück und Bad Hersfeld. 37. O-Ton: Dirk Wassermann "Für den Mainstream, für den gesellschaftlichen Mainstream ist das natürlich alles immer noch Verzicht. Und wir müssen unsere Blende so öffnen, dass wir merken, hey, wowwh, das ist keine Verzicht, sondern es ist ein Gewinn." Atmo 1: Bremer Wochenmarkt, wie oben, darauf: Tegeler: Also: Veggie-Day. 38. O-Ton: "Gibt´s bestimmt viele Gründe ..." Tegeler: Sicher, viele. Sogar viele gute. Aber was ist das schon im Vergleich zur lieben Gewohnheit. 39. O-Ton: "Natürlich esse ich Fleisch [Lachen.]!" Tegeler: Die gute Nachricht für alle Bremer, denen Veränderung schwer fällt und die sich noch nicht mal einmal pro Woche von Grünkohl und Pinkel trennen wollen: 40. O-Ton: "Döner? Ich weiß das nicht! - [Russischer Akzent:] Dönnerrh essen alläh!" "Definitiv!" Tegeler: Auch am Veggie-Tag muss niemand verhungern. 41. O-Ton: "Wir haben aber auch Pommes. Sie müssen nicht nur unbedingt Fleisch essen." Tegeler: Gut. Aber das mit dem Bremer Grünkohl-mit-Pinkel-Diktat: Was ist das denn nun eigentlich, Grünkohl mit Pinkel? 42. O-Ton: "Ja, das ist so eine Grützwurst. Aber wer es nicht gegessen hat, kann man nicht, kann man nicht beschreiben. Am besten von Mama [Lachen.]" Atmo Bremer Wochenmarkt langsam ausblenden ENDE 1