Manuskript Kultur und Gesellschaft Kostenträger : P 62100 Organisationseinheit: 46 Reihe : Forschung und Gesellschaft Titel : Meditation und Bewusstsein Spirituelle Praktiken unter der Lupe der Neurowissenschaften Sprecher/in : Heinz-Jörg Graf Redakteur/in : Jana Wuttke Sendung : 14.07.2011 /19.30 Uhr Regie : Stefanie Lazai Besetzung : Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Musik O-Ton-Collage (bereits gebaut) In der Meditationsliteratur, in der östlichen, wird oft ein Bild benutzt, um den Geist zu veranschaulichen. Das ist wie eine Horde von Affen, die ? im Baum wild herumklettern, die Gedanken ? rastlos und ruhelos ständig in Bewegung ? Manchmal kommt noch hinzu, dass man sagt: ? Jetzt stell´ dir vor, die sind betrunken und sind noch fahriger und unkontrollierter in ihren Bewegungen. Dann sind sie noch von einem Skorpion gestochen, der alle möglichen Aggressionen in ihnen weckt ? Das ist das Bild, was da gegeben wird vom Geist ? Meditation ist das Zähmen dieser unsteten Natur des Geistes. Das passt deshalb gut zusammen, weil die modernen Neurowissenschaften nun eine wesentliche Frage ? beantwortet haben, nämlich die, das es keine zentrale Instanz im Gehirn gibt, die die einzelnen ? Verarbeitungen von Signalen ? steuert. Das, was Descartes noch gesucht hatte, irgendein so ein Ich oder eine Zentrale ? ein Schaltsystem, was alle einkommenden Informationen annimmt und dann zentral verarbeitet, das gibt es nicht. Der Unterschied zwischen der Meditation und der Situation in der Analyse ist ? also man könnte sagen, die Meditation besteht im Wesentlichen ? in einem Akt des Zulassens und Loslassens ? der Meditierende bemüht sich, möglichst offen zu sein, nicht reaktiv und nicht wertend gegenüber allem, was ? aufkommt. ? In der Psychoanalyse ? da gibt es irgendwann ein Akt des Auswählens ? wo sich dann eine bestimmte assoziative Kette oder ein Inhalt oder ein Thema fokussieren lässt. Musik noch etwas freistehend, dann abblenden Sprecher Wer sich früher in die Stille zurückzog und nach innen schaute, galt schnell als weltflüchtiger Geist. Heute gehört Meditation fast zum guten Ton und wird ? in unterschiedlicher Qualität ? an vielen Orten angeboten: In Fitnessstudios, an Volkshochschulen oder in christlichen Einkehrhäusern. Seit einiger Zeit beschäftigen sich auch die Neurowissenschaften mit der Meditation, um herauszufinden, was dabei genau im Gehirn passiert. Wissenschaftlich waren diese Versenkungszustände lange Zeit kaum zu fassen. Das änderte sich, als man in Amerika vor ungefähr zehn Jahren Meditation als Forschungsgegenstand neu konzipierte und sie vor allem als mentales Training definierte. Ulrich Ott, Psychologe und Meditationsforscher am ?Bender Institute of Neuroimaging? der ?Justus-Liebig-Universität? Giessen und Yogalehrer. O-Ton Take 1 Das war ? das neue Paradigma, was der Meditationsforschung ? viele Türen geöffnet hat. ? Auf einmal konnte man sagen: Aha, der Meditierende macht nicht irgendwas Mystisches, Esoterisches, Geheimnisvolles, sondern der trainiert seinen Geist. Er trainiert seine Aufmerksamkeit, er reguliert seine Emotionen, er reguliert sein vegetatives Nervensystem. Das sind alles Begriffe, wo man sehr gut mit den kognitiven Neurowissenschaften heute hantieren kann. ? Das läuft sehr amerikanisch ? unter der Überschrift ? Meditierende, das sind die Olympioniken des Geistes. ? So wie Sportler trainiert sind in ihrer Disziplin, haben die verschiedene geistige Disziplinen, wo sie trainiert sind und haben dort ? eine deutlich stärkere Leistung. Sprecher Durch bildgebende Verfahren konnten Neurowissenschaftler zum Beispiel feststellen, dass Menschen, die meditieren, ihren Stress reduzieren. Was sich daran zeigt, dass sich im Hippocampus die graue Substanz vermehrt, das heißt, dass dort neue Nerven und Gewebe gebildet werden. Der Hippocampus ist die Region im Gehirn, in der Stress nachgewiesen werden kann. Ist er groß, wird graue Substanz abgebaut. Bei Meditierenden, die sich in Achtsamkeit und Gelassenheit üben, baut sich dagegen Substanz auf. O-Ton Take 2 Ein anderer Befund ? ist ? der Inselkortex. Das ist eine Region, wo Sie ? das innere Gefühl Ihres Körpers abbilden im Gehirn ? die Meditierenden, die regelmäßig den Bodyscan machen, das heißt, mit Ihrer Aufmerksamkeit systematisch durch den Körper wandern, die haben dort eine verdichtete oder verdickte graue Substanz ? , in diesem Inselkortex aufgewiesen ? Da scheint man bei Meditierenden zu sehen, dass ... sich die Wahrnehmung des Körpergefühls ausdifferenziert. Das ist ... ein ... wichtiger Punkt, weil das ein Teil unserer Identität ist, wir identifizieren uns ja mit unserem Körper und fühlen da hinein. Man könnte vielleicht vermuten, aufgrund dieser Befunde, dass die Meditierenden mehr in ihrem Körper zuhause sind, weil der präsenter ist im Alltag. Die kriegen mehr mit, was da passiert oder was etwas mit ihnen macht. Musikakzent Sprecher In der Medizin kommen diese Erkenntnisse aus der Meditationsforschung bereits zum Einsatz. So hat man inzwischen für depressive oder alkoholabhängige Patienten Therapieprogramme entwickelt, in denen Achtsamkeitsübungen eine Rolle spielen. Doch Meditation ist mehr als Stressreduzierung oder Achtsamkeitstraining. Menschen, die intensiv meditieren, erzählen, dass ihnen eine tiefe Seinserfahrung zuteil wird. Und zwar von einem Moment auf den anderen. Auf einmal verändert sich vollkommen die Wahrnehmung der Welt und ihrer selbst. Der Meditationsforscher Ulrich Ott O-Ton Take 3 In der Form, dass sie sagen, es verschwimmen die Grenzen ? da ist nicht mehr das Ich, das hier abgegrenzt ist und die Welt draußen wahrnimmt, sondern auf einmal kommt ein Gefühl ? das alles eins ist, kommt als Wahrnehmung ? als Wahrnehmungsqualität erlebe ich das und es tut sie vollkommen erschüttern in den Grundfesten ihrer Weltsicht ? ein plötzlicher Übergang von einem normalen Bewusstseinszustand ? zu einer umfassenden Seinserfahrung, wo ich das Gefühl hatte, ich habe wirklich den Grund des Daseins hinter allem auf einmal erkennen können. Sprecher Die Milliarden Sinnesreize, die tagtäglich auf uns einstürmen, werden, bevor sie in unser Bewusstsein rücken, gefiltert und zum größten Teil aussortiert. Ansonsten würde unser Gehirn von unseren Wahrnehmungen überflutet werden. Von den vielen Sinnesreizen nehmen wir nur einen kleinen Bruchteil wahr. Unser Gehirn wird sozusagen nur ausschnittsweise beleuchtet. Bei Meditierenden scheint das anders zu sein. O-Ton Take 4 Meine Hypothese ist, dass diese Regulationsmechanismen ? durch ? intensive Meditationspraxis an einen Rand geführt werden, wo sie nicht mehr eingreifen, wo sie nicht mehr selektieren, wo sie das Gehirn ? freigeben. Nicht konditionieren auf einen bestimmten Weltausschnitt, sondern offen werden für alles, was da ist. Und aus so einem Zustand heraus ? kann das Gehirn in einen Art Resonanzzustand geraten, wo es zu einer globalen Synchronisierung über weite Teile des Gehirns kommt, wo sie normalerweise nur einen kleinen Ausschnitt der Welt wahrnehmen ? Bei den Meditierenden ? wo dieses Übergreifen passiert, löst sich das, was sie sehen, in Licht auf, sie sind einen Moment lang wie weg ? Die Welt, wie sie vorher war, ist nicht mehr da, aber sie sind voll bewusst,sie verlieren nicht ihr Bewusstsein und auf einmal konstituiert sich wieder ihr ? Ich. Manchmal sind das nur ein paar Minuten, manchmal ?. sind das ein paar Stunden, das sie auf einmal wieder in ihrem alten Ich stecken. Das heißt, das Gehirn findet von selbst wieder zurück in seine ausgetretenen Pfade, aber was sie mitnehmen ist ? die Erkenntnis: dieses Ich, was ich so als solide empfinde, das ist eigentlich ein Konstrukt ? dieses Ich kann sich völlig auflösen, da ist nicht mehr dieses Ich, was ... filtert und beurteilt und ordnet und trotzdem bin ich voll da. Sprecher Wenn Meditierende berichten, dass sich ihr Ich auflöst, dann bestätigen sie Erkenntnisse aus der Bewusstseinsforschung. Das, was wir als unser Bewusstsein wahrnehmen, ist eine Abfolge von wechselnden neuronalen Zuständen - etwas Dynamisches, nichts Statisches. Neurowissenschaften und Meditation finden hier kompatibel zusammen. Auf den Alltag ist das nur bedingt übertragbar. Dort nehmen wir unser Ich als mehr oder weniger stabile Größe wahr. O-Ton Take 5 Wir sind ja aktive Lebewesen, das heißt, wir haben Ziele, wir haben Bedürfniszustände, wir müssen uns bewegen durch die Welt. ? Das Ich oder ? die übergeordnete Instanz, die unser Leben organisiert ? dieses Ich ist dabei, ständig Informationen zu verarbeiten, um Ziele zu erreichen. Und so lange Sie sich in diesem Muster sich bewegen, in diesem Hamsterrad, kommen Sie gar nicht drauf, sich zu überlegen, wie das Ich sich zusammensetzt ...dass es ? nicht nur ein Ich gibt, das so als isolierte Funktion im Gehirn existiert, sondern das sind viele verschiedene Ich-Identitäten, die ineinandergreifen: Ein soziales Ich, ein sprachliches Ich, ein Ich, das sich aufgrund meines autobiographischen Gedächtnisses sich bildet, wo ich mich mit identifiziere und auch eben dieser Körper. Nur ist es so, wenn wir uns diesen Prozess genauer anschauen am Ende nur noch Prozesse haben. ? Wenn Sie jetzt in der Meditation, diesen ständigen geschäftigen Geist anhalten, der jetzt keine Aufgabe hat, ? wenn wir diese Aufgabenliste, die wir intern haben, mit unseren ?. Pflichten, die wir abarbeiten jeden Tag, wenn wir die einmal zurückstellen und wirklich auf unsere nackte Existenz, so wie sie in jedem Moment ist und sich entwickelt, schauen, dann sehen wir, wir brauchen eigentlich dieses Konzept von diesem Ich gar nicht. Am Anfang denken wir vielleicht noch, jetzt sitze ich hier und ich meditiere, nur mit der Zeit, wenn Sie diesen Prozess einfach nur wahrnehmen wie er ist, dann braucht es kein Ich zu sein, was sich definiert, was es jetzt tut. ? mit der Zeit merken Sie, dass Meditation ? aus ihnen heraus von selbst geschieht, also ein bestimmter Zustand sich herstellt, wo nicht mehr dieses planende, denkende, handelnde Ich im Mittelpunkt ist, sondern mehr so ein Gefühl von Sein, sich selbst Sein, in den Vordergrund rückt. Musikakzent Sprecher Die Neurowissenschaften, aber auch die Praxis der Meditation stellen das Konzept von Bewusstsein, wie es in der abendländischen Philosophie entwickelt wurde in Frage. Vor allem die Rolle des Ichs wird nach heutigen Erkenntnissen überbewertet. Für das Ich als Instanz, die unabhängig und autonom das geistige Geschehen lenkt und steuert, konnte die Neurowissenschaft im Gehirn keine Belege finden. In der fernöstlichen Philosophie besteht dieser Widerspruch nicht. Michael von Brück, Professor für Religionswissenschaft an der ?Ludwig-Maximillians-Universität? München. O-Ton Take 6 Der buddhistische Bewusstseinsbegriff ist deshalb ? für die Neurowissenschaften interessant ? oder bietet ? eine Folie, auf der moderne neurowissenschaftliche Beobachtungen interpretiert werden können, deshalb, weil es kein Bewusstsein als irgendein Sein gibt, sondern es gibt Prozesse, die ineinander übergehen, ein Bewusstseinsprozess ist das Resultat eines vorhergehenden, und dieser ist wiederum für einen nachfolgenden Bewusstseinsprozess, es gibt nicht eine Instanz oder eine Substanz oder etwas Feststehendes, sondern diesen Fluss von Prozessen. Nun ist es aber ? so, dass diese Prozesse nicht zufällig sind, sondern sie laufen so ab, dass das vorhergehende Bewusstseinsmoment ? das nachfolgende prägt, dies wiederum das nachfolgende, so dass wir eine Art Evolution von bewussten Zuständen haben, die aufeinander aufbauen ? Die Gesetze, Strukturen, nach denen dieses Aufeinanderaufbauen geschieht, das nennt man in der gesamten indischen Philosophie ? Karma. Das heißt, jeder Zustand hat ? mehrere Ursachen, die in diese Dinge hineinspielen und das nächste erzeugen. Sprecher Im buddhistischen Verständnis hilft Meditation, sich vom Leiden in dieser Welt zu befreien. Mit Leiden sind Vorstellungen, Konzepte oder Theorien gemeint, mit denen wir uns identifizieren und über die wir unser Selbst definieren. Nach buddhistischer Auffassung jagen wir jedoch damit nur Phantomen und Illusionen hinterher, da der Mensch im Grunde kein Selbst besitzt. Michael von Brück: O-Ton Take 7 Ich empfinde dies ? als ein Freiwerden, ein Prozess der Freiheit. Das heißt, ich trete ? mir nicht nur denkerisch, denkend, selbstreflexiv gegenüber, das ist ja das Projekt der europäischen Philosophie, um dadurch als Person Freiheit zu gewinnen, Freiheit von den eigenen Trieben, aber auch von Umweltmustern, das tue ich nicht nur denkerisch, sondern das Bewusstsein selbst durchschaut seine eigenen Muster, nach denen es sich selbst konstruiert, schauen Sie, die Sprache, die ich hier benutze, ist eine, die in der modernen Neurobiologie sehr viel verwendet wird, also diese Selbstreferentialität, dieses sich Selbst-Konstruieren, ? die Architektur des Bewusstsein baut sich selbst durch die eigenen Erfahrungen auf, also nicht nur die Inhalte, sondern die Architektur, die Form des Bewusstseins wird durch die Inhalte weitgehend geprägt ? durch die eigene Bewusstseinsbiographie und dem kann ich in der Meditation gegenübertreten. Ich bin immer noch ich, ich weiß, dass ich weiß, ich weiß, dass ich wahrnehme, dass ist dieser Beobachter und gleichzeitig sind alle Formen, alle Begriffe, alle Identifikationen, die ich mit mir vorgenommen haben, das bin ich, das denke ich, das glaube ich, das will ich, das weiß ich ? ich bin dies alles, ich bin es aber auch nicht. Das ist also dieser Prozess der Freiheit ? geradezu einer kreativen, spielenden Freiheit, mit der mir selbst gegenüber treten kann, ohne doch selbst zu verschwinden. Sprecher In der westlichen Philosophie legt man den Schwerpunkt auf die Entwicklung des Bewusstseins, auf Begründung, Rationalität und Logik. Emotionen spielen nur eine untergeordnete Rolle. In der buddhistischen Philosophie, vor allem in der Meditationspraxis, sind Gedanken und Gefühle nie getrennt gewesen. Sie gehören zusammen. Bei der Meditation verlieren sie jedoch ihren beherrschenden Charakter. O-Ton Take 8 Man möchte ein konzentriertes, freies, klares Bewusstsein, ein Bewusstsein, wo nicht ständig die Gedanken, Gefühle, Gefühlsbewertungen hin und her springen und durcheinanderlaufen, sondern konzentriert auf einen Punkt mit einer Stabilität, ohne dass es von ständigen Gefühlsregungen durcheinandergebracht wird. ...Ein solcher Bewusstseinszustand kann nur erreicht werden durch eine Koordination des Atems. Man konzentriert sich auf das Atemgeschehen. ...Das heißt, wir können die Prozesse ? über den Atem sehr gut beeinflussen und steuern. Das aber gelingt nur ... wenn der Körper völlig in Balance ist, völlig ruhig und ohne das geringste Zittern und das sind ? die Übungen, die man in der Meditation macht ? die dazu dienen, dass Bewusstsein völlig frei von ? der ständigen Verarbeitung von neuen Sinneseindrücken zu gestalten, dass es sich selbst wahrnehmen kann. .. Es ist die Distanz, die Beobachterrolle zu den Gefühlen, zu den Gedanken, die aufkommen ? Dieser Beobachter ist es, der dann im Laufe der Zeit, eine gewisse Stabilität bekommt, der völlig klar ist, völlig frei, wir könnten ? sagen, nicht fluktuiert. Sprecher In der Meditation verschwindet das ?Ich? nicht oder löst sich auf, wie irrtümlicherweise immer noch behauptet wird. Aber seine Dominanz lässt nach. Meditation gilt deshalb in der buddhistischen Philosophie als ein Therapeutikum. Der Mensch erkennt, dass die Vorstellung eines Ichs nur ein Konstrukt ist. Auch im abendländischen Denken gibt es derartige Methoden, die sich aber auf konkrete Gedankeninhalte beziehen, nicht auf das Bewusstsein selbst. Prominentes Beispiel ist die Psychoanalyse, die versucht, über Reden, nicht über Schweigen - wie in der Meditation üblich -, Einengungen des Bewusstseins aufzudecken. Ralf Zwiebel, Psychoanalytiker und Zen-Meditierender: O-Ton Take 9 Die Zen-Praxis ist ? eine Kultur der Präsenz ? Man entwickelt ein Stück Präsenz ? Dass man gegenwärtiger ist ? Das Kennzeichen der Neurose ist ? das der Einengung, dass man nur noch einen röhrenförmigen Blick hat ? dass man alles nur noch aus einer Perspektive sieht: Du hast mir das angetan oder du behandelst mich immer so und der eigene Anteil daran völlig heraus geixt ist und die Übung der Präsenz bedeutet ? diesen röhrenförmigen Blick zu erweitern ? dass man auch seine eigene Beteiligung sehen kann. Die Psychoanalyse haben wir ? bezeichnet als eine Kultur der Reflexivität. Man übt weniger ? diese Übung der Präsenz, also immer wieder in den gegenwärtigen Moment zurückzukommen, sondern, was man übt, ist ? die konflikthaften Einengungen in einem erweiterten Kontext zu reflektieren. ? Der Analytiker versucht, dem Patienten zu zeigen, was er in seiner Wahrnehmung alles ? unterbringt: an früheren Beziehungsmustern, an Ängsten, an Projektionen ? Was er versucht, ist den Blick auch zu weiten, aber mehr in diesem Beziehungsfeld, ? also überhaupt ihn dazu zu bringen, das sind meine Wahrnehmungen ? dann ist das eine Öffnung ? 475 im Sinne der größeren Freiheit, im Sinne ? der Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, auch im Sinne ein Stück der Emanzipation ? also ein Stück Befreiung von diesen unbewussten Injektionen, die alle Menschen in gewisser Weise haben Sprecher Bis heute stehen sich Psychoanalyse und Meditation eher skeptisch gegenüber. Noch immer gehen einige Psychoanalytiker davon aus, dass die Erfahrung, die man in der Meditation sammelt, in die Regression führt. Also in einen realitätsabgewandten, isolierten Zustand. Doch auch die Psychoanalyse öffnet sich. Ralf Zwiebel erzählt von einem Kongress, auf dem zwei Analytiker auftraten, die zugleich Yogalehrer sind. O-Ton Take 10 Das die überhaupt da auftreten dürfen ist ? schon ein Politikum. Das jemand sagt: Ich bin Psychoanalytiker und ? Yogalehrer. Was sie gemacht haben, sie haben eine Patientin vorgestellt, die sie gemeinsam behandelt haben, eine schwerkranke Frau mit einer ? schweren psychosomatischen Krankheit, die schon eine ? erfolglose Psychotherapie hinter sich hatte und die dann folgendes Setting gewählt haben: der eine hat sie analytisch behandelt, nur analytisch, aber mit seinem Yogabackground und zu dem anderen Psychoanalytiker ist sie zu Yogastunden gegangen und hat Yogapraxis gemacht. Sie haben sozusagen eine kombinierte Therapie gemacht ?, die sehr wirkungsvoll und erfolgreich war und die Kollegen haben das in einem sehr offenen, interessierten ? auch reflektierten Sinne besprochen... Erfolgreich war vor allem natürlich, dass die Patientin gesund geworden ist ... Das war natürlich Inhalt dieser fachlichen Diskussion ? dass es darum ging, wie haben sich ? das Yoga und die psychoanalytische Behandlung beeinflusst. Inwieweit hat das eine das andere überhaupt ermöglicht. Man könnte sagen, die Patientin war so krank, dass sie weder das eine noch das andere hätte machen können ? die Psychoanalyse hätte sie nicht ausgehalten wegen der Beziehungsprobleme, das Yoga wahrscheinlich nicht wegen ihrer körperlichen Einschränkungen, und beides zusammen hat ihr ermöglicht, in beiden gleichsam zu verbleiben. Das wäre so ein Beispiel für eine Integration Sprecher Meditation und Psychoanalyse könnten sich ergänzen. Meditation ist nicht hilfreich, wenn es darum geht, Neurosen aufzudecken und zu heilen. Man kann oft über Jahre meditieren und wenig passiert, da die eigene leidvolle Vergangenheit nicht aufgearbeitet ist. Andererseits kann sich die Psychoanalyse nicht aus ihrem aus ihrem Rahmen lösen. O-Ton Take 11 Die Psychoanalyse verbleibt ? in diesem personalen Bereich ? man lernt sich besser kennen, man durchforstet seine Biographie, man entwickelt ein anderes Narrativ über sein Leben ? und ? hat ein bisschen mehr diese Selbstreflexion und diese selbstanalytische Kapazität ? man geht dann zum Beispiel in Beziehungen vielleicht konfliktfähiger oder bewusster um, aber ? die sogenannten spirituellen Fragen, vielleicht ? diese ? existentiellen oder ? elementaren Fragen: Wozu bin ich überhaupt hier? ? oder wie lebe ich in der Welt?, ? was man so als transpersonal bezeichnet, das wird ja oft nicht richtig berührt. Das hängt aber auch damit zusammen, dass der Patient in der Analyse oft mit diesen konkreten Lebensproblemen beschäftigt ist und wenn das gut geh, dann öffnet sich für manche ? ein Tor ?, um weiterzugehen ? das war ? bei mir auch so ? dass ich dachte ? bestimmte Konfliktmuster, die kenne ich und manches ist nicht lösbar, damit muss ich leben, aber es gibt bestimmte Fragen ?, die löse ich nicht in der Psychoanalyse ...da ? wird so ein Suchprozess angestoßen, und dann geht man woanders hin Musikakzent Sprecher Dass die Neurowissenschaften sich heute dafür interessieren, was beim Meditierenden im Gehirn passiert, hat unterschiedliche Auswirkungen. Zum einen wird Meditation, dieses etwas unfassbare und geheimnisvolle Geschehen, entmystifiziert. Und damit auch zugänglicher für Menschen, die sich bisher noch auf sie nicht eingelassen haben. Meditation ist eine Methode, über sich und seinen Geist mehr herauszufinden. Was auch ganz pragmatischen Zielen dienen kann. Der Psychologe und Meditationsforscher Ulrich Ott: O-Ton Take 12 Das ist ? der Begriff ?Neuro Enhancement?, ich benutze entweder Pillen, um meine Leistungsfähigkeit zu steigern oder ich benutze ? auch Meditation, um bestimmte Funktionen selektive zu trainieren und dann überlegen zu sein gegenüber anderen und sogar noch mit Konkurrenzdenken verbunden, das ist der ursprünglichen Idee der Meditation ? sehr stark zuwiderlaufend und damit stärke ich ? auch erst mal wieder nur das Ich, was ich in der Meditation ? eigentlich, in der spirituell ausgerichteten Meditation, versuche zu überwinden. Das hat ja eine ? starke ethische Komponente, die Meditation, ? sie ist ja darauf gerichtet, den Menschen so zu entwickeln, dass er weniger egoistisch ist und mehr auch für andere ? ihnen gibt und mit ihnen zusammenarbeitet... Wenn man sich umschaut in Meditationszentren ? da gibt?s eine ganze Menge Leute, wo das Yogamachen auch so eine Art Life-Style-Attribut ist. Das sieht man ja auch in den entsprechenden Glanzzeitschriften, Frauenzeitschriften vor allem, dass das ? in ist und dazugehört. Aber ich glaube, dass die Leute, die sich ernsthaft auf so eine Praxis einlassen, vielleicht ist es auch erst mal was ? Anziehendes, was sie hinbewegt und dann merken sie ? wenn sie wirklich dort sitzen und sich mit sich selbst auseinandersetzen ? dass dann diese Ichbezogenheit trotzdem nachlässt. Sprecher Das Nachlassen der Ich-Bezogenheit macht für Michael von Brück den Kern der Meditationspraxis aus. Denn sie führt zu der Erfahrung, dass der Mensch nicht isoliert von anderen Menschen lebt, sondern mit ihnen verbunden ist. Und nicht nur mit ihnen. O-Ton Take 13 Dass, was wir normalerweise, in unserem Sprachgebrauch, die Umwelt nennen, ist nicht einfach Umwelt, sondern ist Mitwelt, das heißt, alle anderen Lebewesen sind selber in diesem evolutiven Prozess und im Buddhismus hat man ja die Vorstellung von der Wiedergeburt, also über viele Leben hinweg, über Generationen, Jahrtausende ? Millionen miteinander in Verbindung. Die einzelnen Bewusstseine, will ich einmal im Plural sagen, die einzelnen Lebewesen, sind auf´s Engste in einem Netz wechselseitiger Spiegelungen mit einander verbunden. Und es sind nicht nur die Menschen, ? nicht nur die menschlichen Individuen in Gesellschaften, sondern selbstverständlich auch die Tiere auf den verschiedenen Ebenen ihrer Bewusstheit, die miteinander im fundamentalen, das heißt, ursprünglichen Verbindung leben ...Das Entscheidende ist, nicht nur der einzelne Mensch ist nur, was er ist im Spiegel der jeweils anderen Menschen, Bewusstsein entsteht als Selbstbewusstsein nur durch die Reflexion im jeweils anderen, sondern dazu gehören auch alle Lebewesen. ? Und das ist für das buddhistische Lebensbild fundamental und das ist prägend für die ganze Sicht der Wirklichkeit als eines komplexen Netzes von Erscheinungen und wechselseitigen Spiegelungen. Das hat natürlich ? Folgen für das Verhalten des Menschen innerhalb der Mitwelt aller Lebewesen und Erscheinungen.