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Sein Mann Kai ist 42, an den Geheimratsecken schon leicht ergraut, angehender Hausarzt und der ruhigere von beiden. Er geht neben Micha Richtung Kita, erzählt dabei bedächtig von ihrer Regenbogenfamilie und der Hochzeit vor fünf Jahren. O-Ton 1 0’22 Kai Außer bei der Steuererklärung fühlt es sich immer gleich an und auch die Idee, die für uns dahinter steckt, ist auch die gleiche wie beim Heiraten. Mit Feier und Anzug und Essen und Liebe und so der ganze Kladderadatsch und Flitterwochen. Das Komplette Paket. – Kicher - Und fühlt sich genauso an. Ja. Autorin 2 Nach zehn Minuten Fußweg durch ein ruhiges Wohnviertel im Berliner Stadtteil Köpenick erreichen Kai und Micha die Kita ihrer Kinder. Atmo 2 hoch 1’25 Begrüßung in Kita Hallihallo – geht ihr demonstrieren? – ja vorne in Block zwei, Kinderstimmen, Türe 0`7 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 3 Die Sonne scheint, alle Kinder sind im großen Garten. Kai und Micha brauchen eine Weile bis sie die fünfjährige Jana im Sandkasten und den zwei Jahre alten Jérome in einer hinteren Ecke entdecken. Jana springt ihren Papis zur Begrüßung in den Arm. Atmo 3 2’40 Jana kommt angerannt, Aaa, Quietsch, Stimmen… guck mal Laura, die ist meine Freundin… Stimmen 0`10 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 4 Während Kai und Michael Korok darauf warten, dass ihr Kinder zu Ende gespielt haben, plaudern beide noch ein wenig mit den Erzieherinnen. Keine der Frauen behandelt das Paar in irgendeiner Weise anders als andere Eltern. Die Gespräche an diesem Nachmittag gehen ums Übliche: hat Jana gegessen, Jérome geschlafen, war irgendetwas Besonderes? Nein - dann geht’s mit den Kindern nach Hause. Jérome darf in den Kinderwagen, bekommt ein Würstchen, Jana auch eins und hüpft fröhlich nebenher. O-Ton 2 0’30 Michael, Kai Uns fällt immer wieder auf, wenn wir irgendwohin kommen oder weg fahren oder weiß der Geier wat, wir werden ja nicht als Paar wahrgenommen. Wir sind zwei Männer mit zwei Kinder und dann: ja dann kennen die sich halt. Wenn die den gleichen Namen tragen, dann werden es wohl Brüder sein - die Brüder mit den Kindern und die Ehefrauen machen ihre Kreuzfahrt. - Wird ausgeblendet. Das ist eine Kombination, die gibt es nicht und dann ist das vorbei. Autorin 5 Kai und Micha steuern den Garten an, (Atmo 4 darunter) den sie neben ihrer Wohnung gepachtet haben. „Unser Leben ist ganz schön spießig“, sagt Micha, und lässt sich in die Hollywoodschaukel plumpsen, während Kai den Deckel vom Sandkasten öffnet und der Nachbar hinter ihnen den Rasenmäher aus dem Schuppen holt. Spießig und stinknormal. Jana backt Sandkuchen, Papa Michael wischt Jérome die Rotznase sauber, Papi Kai tröstet, als der Kleine sich weh tut. Atmo 5 hoch Kai und Micha trösten Jérome Quääk, - Oh Mäuschen, hast du einen Schlauch gegen den Kopf bekommen? – Mama!! Mama– Ist nicht so schlimm – - Ohhh na, steh auf. Küsst ihn - Brabbel – komm steh auf, ist nichts passiert, ist alles gut. 0’19 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 5 Jérome beruhigt sich, spielt weiter mit dem Gartenschlauch, Jana buddelt immer noch. Zeit für Kai und Michael ein bisschen von früher zu erzählen und davon, wie alles anfing. Denn auch wenn ihr Leben heute sich kaum von dem anderer Paare mit Kindern unterscheidet, der Weg dahin war wesentlich komplizierter. O-Ton 3 0’29 Micha Wir haben auch ein befreundetes Frauenpaar, die inzwischen kein Paar mehr sind, mit denen hatten wir ernsthaft überlegt, ob man sich nicht zusammen tut. Es ist allerdings irgendwie dann aufgegeben, weil im Grunde war unser Ziel jetzt nicht, ein Kind in die Welt zu setzen und dann aufwachsen sehen irgendwo anders, sondern wir wollten ein Kind bei uns aufwachsen sehen. Insofern kam das dann tatsächlich gar nicht in Frage. Autorin 6 Als nächstes, so erzählen Kai und Micha, haben sie lange über Adoption nachgedacht. Doch dieser Weg ist noch schwieriger. In Deutschland dürfen homosexuelle Paare bis heute kein Kind gemeinsam adoptieren, sondern nur einer allein. Immerhin erlaubt das Bundesverfassungsgericht im Februar 2013 die so genannte Sukzessivadoption, bei der zuerst ein Elternteil alleine adoptiert, anschließend das andere. Doch in Wirklichkeit kommen auf ein Kind in Deutschland zehn Bewerber. D.h. die Wahrscheinlichkeit, dass ein Homosexueller alleine ein Kind bekommt, ist ausgesprochen gering. Bleiben Auslandsadoptionen oder die Suche nach einer Leihmutter im Ausland – beide Varianten waren für Kai und Micha unbezahlbar. O-Ton 4 0’30 Michael 1.4. Kai kam immer mal wieder mit dem Thema Pflegekind um die Ecke, was bei mir so ein bisschen Unsicherheiten ausgelöst hatte und eher Ablehnung zu Beginn. Und je mehr ich mich mit beschäftigt habe, desto offener haben wir dem gegenüber gestanden, zumal wir auch gesehen haben, dass Adoption nahezu unmöglich ist, also sehr, sehr, sehr schwer. Zum einen vom Zeitablauf, dann noch Erfolgsaussicht und dann noch der finanzielle Aspekt. Autorin 7 (Atmo 4 darunter) Irgendwann gewöhnt Michael sich dann an den Gedanken. Die beiden gehen zu ihrem zuständigen Jugendamt, bewerben sich als Pflegeeltern. Sie möchten dauerhaft fremde Kinder bei sich aufnehmen, deren Eltern selbst dazu nicht mehr in der Lage sind, weil sie zum Beispiel Drogen nehmen oder trinken. Es wird ein lustiges Bewerbungsgespräch, an das sich beide auch an diesem Nachmittag auf der Hollywoodschaukel gern erinnern. O-Ton 5 0’22 Michael, Kai 3.4. Es gab immer mal Kollegen, die mussten ganz dringend was rein bringen, um mal zu gucken in den Raum – die Tür ist dann nie wieder so oft aufgegangen, wenn man da gesessen hat. Man ist da eigentlich bei den Gesprächen ganz ungestört. Aber bei diesem Abprüfungsverfahren ist ständig die Tür aufgegangen und jemand hat rein geguckt, mal einen Zettel abgelegt oder so oder wollte mal ne Frage stellen. Autorin 8 Die Neugierde der Mitarbeiter können beide verstehen. Viele Jahre durften Homosexuelle überhaupt keine Kinder in Pflege nehmen. Im Bezirk Köpenick waren Kai und Micha die ersten. Doch nach der anfänglichen Aufregung läuft alles wie gewohnt: die Koroks machen an zwei Abenden einen Kurs, den alle Pflegeeltern absolvieren müssen. Es folgen weitere Gespräche, danach geht es rasend schnell. An einem Mittwoch erhalten sie den Anruf, dass ein neugeborenes Mädchen in einer Berliner Klinik liegt und dauerhaft zu Pflegeeltern kommen soll. Die eigene Mutter kann das Baby nicht versorgen. Donnerstag sitzen Kai und Micha wieder beim Jugendamt, erledigen den Papierkram. Freitag fahren beide in die Klinik, lernen Jana kennen. Anschließend verabschieden sie sich von ihren Arbeitgebern, nehmen Urlaub und Elternzeit. Am Wochenende kommen Freunde, bringen Möbel und Babysachen vorbei, Dienstag zieht Jana ein. Der ganz normale Wahnsinn mit Kind beginnt. O-Ton 6 1’06 Michael, Kai Die Schmerzen waren die gleichen, vielleicht jetzt nicht beim Stillen als solches, aber zumindest der Arm hat mir weh getan – der Schlafentzug war definitiv auch der gleiche – die Stilldemenz hat bei mir dann tatsächlich irgendwann auch eingesetzt. Dieses eingeschränkte Weltbild, was man dann hat, wenn man nur noch in Windel, in Konsistenz in der Windel denkt. Man sitzt Zuhause und wartet, dass der Gatte nach Hause kommt und die Tür betritt und ist stinksauer, wenn der noch mal bummeln gegangen ist oder sich auf Arbeit noch fest gequatscht hat - dann kommt man nach Hause, hat den ganzen Tag geredet auf Arbeit. Dann sitzt der werte Gatte da und möchte unbedingt noch was vom Kind erzählen und sich irgendwie noch unterhalten – kicher – hat aber noch nicht mal ein interessantes Thema parat, - kicher kicher - sondern erzählt einfach nur so, was er den ganzen Tag schönes in der Küche gemacht hat!! Autorin 9 Irgendwann, so erzählt Michael, hat er sogar ‚wir’ gesagt, wenn er eigentlich seine Tochter meinte. Das fand er vorher bei anderen immer total doof. (Atmo 6 dazu und 0’2 hoch) Der Nachbar schmeißt den Rasenmäher an. Schluss mit Erzählen und Erinnern. Es ist Zeit rein zu gehen und für die Kinder Abendbrot zu machen. Atmo 7 hoch 1’14 Reingehen husch rein mit Dir – quääk – Türgeräusch – Kai seufzt: ach ja, so isses halt. 0’14 frei stehen lassen, dann darüber Autorin 10 Jérome, der seit über einem Jahr bei Kai und Micha lebt, setzt sich sofort in der Küche auf seinen Hochstuhl, schaut Micha beim Abendbrotmachen zu. Jana geht Händewaschen und anschließend in ihr Zimmer spielen. Die Wände sind grün, der Teppich bunt, der Drehstuhl in der Mitte knallrot. (Atmo 8 darunter) Die rosa Mädchen-Hölle versuchen Kai und Micha so lange es geht hinaus zu zögern. Beide können Rosa einfach nicht ausstehen. Aber wenn Jana irgendwann danach fragt, wird sie auch diese Farbe bekommen. Auf ihren kleinen Fuß- und Fingernägeln hat sie sie schon. Natürlich machen sich beide immer wieder darüber Gedanken, ob vor allem für Jana die Mutter fehlt. O-Ton 7 0’42 Kai Also die Idee ist natürlich schon manchmal da, wir machen uns ja auch nicht frei von gesellschaftlichen Vorstellungen. Die Kinder brauchen einfach Menschen, die sie lieben und zu denen sie aufschauen können und deren Liebe bedingungslos ist, das ist wichtig. Alles andere – das kommt dann echt so irgendwann unter ferner liefen. Es ist nicht von Bedeutung. Autorin 11 Michael, der Hausmann in Elternzeit, hat schon damals gleich praktisch gedacht. O-Ton 8 0’40 Michael Auch so diese Nummer irgendwie das erste Mal irgendwie Binden kaufen irgendwann, was auf einen zukommt oder den ersten BH kaufen. Also es sind schon so Sachen gewesen über die wir uns, als die Maus damals eingezogen ist, ernsthaft Gedanken gemacht hatten und dachten: und so wird das gehen? Inzwischen denken wir: es wird irgendwie gehen. Ich mach mir da keine Sorgen drüber. Wir malen ihr die Fußnägel an, wir malen ihr die Fingernägel an. Sie will die Haare so haben oder so haben, sie will Kleider anziehen, also, die ist ein Mädchen durch und durch. Autorin 12 Auch wenn Jana ihre leibliche Mutter und Blutsverwandten noch nie gesehen hat, erlebt sie genug weibliche Rollenvorbilder: Erzieherinnen in der Kita, zwei ‚Pflege’-Großmütter, die Nachbarin und Mütter von Freundinnen. Vielleicht kann sie später sogar einmal leichter als andere Mädchen ihre eigene Rolle finden. Immerhin steht bei ihr Zuhause nicht immer eine Frau in der Küche wie in vielen Familien hierzulande. Bei Jana macht heute Papa Michael das Abendbrot. Anschließend wickelt er den kleinen Bruder Jérome und bringt ihn ins Bett, während Papi Kai die Küche aufräumt. Atmo 9 hoch Michael Reißverschlussgeräusch. Zu. Schnuller, noch mal hoch kommen, noch mal knuddeln. Küsst ihn. Schlaf gut Bärchen, wir gucken nachher noch mal nach Dir. –küsst ihn noch mal - Jana im Hintergrund: eins zwei drei… 0’24 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 13 Mit einem Lächeln auf den Lippen schließt Micha die Tür hinter sich, geht mit Jana ins Wohnzimmer – liest der Kleinen etwas vor. Damit auch andere homosexuelle Männer und Frauen ein solches Leben mit Kindern haben können, engagieren sich Michael und Kai auch politisch. Einmal haben sie sich für eine Plakataktion, bei der Pflegefamilien gesucht wurden, gemeinsam mit Jana fotografieren lassen. Beide gehen regelmäßig demonstrieren, geben Interviews und treffen sich mit anderen Paaren im Regenbogenfamilienzentrum. Auch zwei Tage später, am Sonntag, sind sie nachmittags zum Familiencafé dort. Atmo 10 hoch 5’30 Regenbogenfamilienzentrum 0’5 frei stehen lassen, dann darüber Autorin 14 Michael stellt ein Blech dampfender, selbstgebackener Rohrnudeln und Vanillesauce auf den Tisch, die die beiden zum Familiencafé mitgebracht haben. Sofort stürzen sich die anderen Besucher und Kinder auf die duftenden, noch warmen Kuchenstücke. Die Stimmung in dem großen Raum des Regenbogenfamilienzentrums ist fröhlich und entspannt. Durch die hohen Fenster fällt viel Licht, ab und zu blicken Passanten neugierig auf die 20 Menschen in dem Raum. (Atmo kurz hoch) Alle haben ihre Kinder dabei, die am großen Esstisch sitzen und malen, auf der Krabbeldecke neben dem orangefarbenen Sofa vor sich hin brabbeln oder einfach miteinander spielen. Constanze Körner schnappt sich ebenfalls ein Stück Kuchen. Sie ist Leiterin des Regenbogenfamilienzentrums, das die neuen Räume erst im März bezogen hat und in dieser Form einmalig ist in Deutschland. Das Zentrum gehört dem Schwulen- und Lesbenverband und wird aus Lottomitteln finanziert. Constanze Körner bietet zum Beispiel Kinderwunsch-Beratungen, Hilfe beim Coming-out, bei Diskriminierung und Erziehungsfragen. Besonders wichtig ist ihr, dass Männer und Frauen mit Kinderwunsch sich im Regenbogenzentrum so wie an diesem Nachmittag unkompliziert treffen können. O-Ton 9 0’30 Körner Irgendwann waren das so viele Anfragen, dass ich gesagt habe, ich muss das bündeln. Und die Leute sollen sich auch kennen lernen, also viele Fragen gehen auch dahin: wo lerne ich einen schwulen Mann kennen, der mit mir eine Familie gründen würde oder anders rum. Und die Internetportale und Anzeigenmöglichkeiten in schwul-lesbischen Magazinen, sind nicht jedermanns Sache und jederfraus Sache. Und dieses Treffen dient halt als Forum, um sich sowohl kennen zu lernen, aber auch zum Informationsaustausch. Autorin 15 Informationsaustausch ist vielleicht das falsche Wort. Es geht um sehr viel mehr bei den Gesprächen. Um Nähe und Intimität. O-Ton 10 0’34 Körner Und es geht auch darum, eine Freundschaft zu entwickeln, Vertrauen aufzubauen, auch über Schatten zu springen, was so intime Welten betrifft. Ich meine, Lesben und Schwule kriegen ja nicht durch Geschlechtsverkehr ihre Kinder. Die machen das meistens über die so genannte Bechermethode oder suchen sich eine Arztpraxis, wo die Insemination durchgeführt wird. Das bedeutet aber auch, dass man über Themen spricht, die man sonst als schwuler Mann oder als lesbische Frau nicht unbedingt hat. Autorin 16 Constanze Körner kann die Hilfesuchenden gut verstehen, sie lebt selbst in einer Regenbogenfamilie. Die 39 jährige schmale Frau mit den halblangen, braunen Locken, offenem Lächeln und Ringel-T-Shirt sitzt mal hier, mal da, plaudert mit allen, begrüßt Hereinkommende, spielt mit den Kinder. (Atmo 10 kurz hoch) Vor vielen Jahren war Constanze Körner mit einem Mann verheiratet und hat aus dieser Beziehung drei Kinder – eine 17jährige Tochter, die beim Vater lebt und Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen. Die beiden wohnen bei ihr, zusammen mit der lesbischen Partnerin und zwei weiteren Kindern, die Constanze und ihre Frau gemeinsam mit einem schwulen Freund bekommen haben. Keine einfache Familienkonstellation, aber in einer Großstadt wie Berlin auch nicht ganz ungewöhnlich. Trotzdem: die beiden Frauen und Mütter müssen sich immer und immer wieder erklären. Deshalb sucht Constanze auch selbst den Austausch im Regenbogenzentrum, das Gespräch mit den anderen. O-Ton 11 0’21 Körner Wir haben als Regenbogenfamilien keine Vorbilder, wir können das nirgendwo nachlesen, wir sind als Regenbogenfamilien die erste Generation, die das erlebt und irgendwie neue Modelle schafft und ja das ist was ganz spannendes, aber wo man eben wahnsinnig viel reflektieren muss. Autorin 17 Constanze Körner gehört zu dieser ersten Generation und erlebt den rasanten gesellschaftlichen Wandel in Berlin hautnah mit. „Die Zahl der Beratungsgespräche hier“, so erzählt sie „verdoppeln sich jedes Jahr“. Der Grund liegt für sie auf der Hand: Seit 2001 sind in Deutschland eingetragene Lebenspartnerschaften für Homosexuelle möglich. Seit 2005 ist die Stiefkindadoption erlaubt, bei der ein Partner das leibliche Kind des anderen adoptieren darf. Seit kurzem kommen die Stiefkindadoption zuvor adoptierter Kinder hinzu, sowie das Ehegattensplitting. Vieles gleicht sich für homosexuelle Eltern an. Vieles, aber nicht alles. O-Ton 12 0’37 Körner Man durchlebt als lesbisches oder schwules Paar mit Kindern einen ständigen Coming-Out-Prozess. Man muss sich ständig rechtfertigen, erklären, Fragen beantworten, die in der heterosexuellen Welt halt nicht vorkommen. Man fällt halt immer auf als homosexuelles Paar mit Kindern. Das zieht sich halt vom Geburtsvorbereitungskurs weiter in die Institutionen, wo man mit dem Kind hin geht. Kita, Schule, Sportverein und so weiter und so weiter, wo man halt immer anders ist. Autorin 18 Micha und Kai erzählen ihrer Bekannten Caro gerade von ihrer neuen Diät, während Jasmin und Jérome zwischen den vielen Kindern wuseln, die alle zwei Papas oder zwei Mamas haben. Atmo 11 hoch 3’00 Unterhaltung Das ist halt so eine Disziplingeschichte… 0’5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 19 Während Caro mit Kai und Micha die besten Abnehmtipps austauscht, sitzt ihre Frau Andrea mit den beiden Kindern - der achtjährigen Lena, und dem dreijährigen Paul - am Tisch. Lena malt, Paul futtert Kuchen. Weil Andrea berufliche Probleme fürchtet, will sie ihren richtigen Namen lieber nicht im Radio hören. Caro und Andrea also kennen sich wie Kai und Micha ebenfalls schon viele Jahre. Sie sind verheiratet, haben gemeinsam ein Haus gebaut und Kinder bekommen. Auch die beiden Frauen haben zuerst nach einem anderen homosexuellen Paar gesucht. O-Ton 13 0’23 Andrea Wir haben dann überlegt so im Bekanntenkreis – wir waren schon so um die 30! – dann haben wir uns überlegt, jetzt möchten wir doch auch Kinder haben. So um uns herum Freunde bekamen dann schon Kinder und dann haben wir gedacht, ach doch, das wäre jetzt schön. Und sind dann so mit dem Thema auf Suche gegangen, wie wir jetzt zum Kind kommen können. Autorin 20 Irgendwann haben sich Caro und Andrea dann aber doch gegen die Familienkonstellation mit einem schwulen Paar entschieden. Sie bekamen ihre Kinder per Samenspende. O-Ton 14 0’29 Andrea Caro Weil sich jetzt auch nicht irgendwie ein Mann oder zwei Männer gefunden haben, wo wir sagen, das passt total als Freundschaft und könnten jetzt Väter werden oder so. - Da haben wir einige getroffen – das hat auch wieder ein, zwei Jahre gedauert. Man verabredet sich, trifft sich dann mehrmals, dann verabredet man sich auch über ein paar Wochen hinweg. Joo, letztendlich hat es doch nicht so gepasst. Autorin 21 An diesem Nachmittag müssen Caro und Andrea aufbrechen. Lena fährt am nächsten Morgen auf Klassenfahrt und muss noch Koffer packen. Atmo 12 hoch Aufbruch am nächsten Morgen Gequängel, was ist denn mein Schatz – warte ich zieh Dir auch Deine Jacke an– warum –wir gehen jetzt in die Schule – Mama, ich krieg den da nicht rein… 0’15 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 22 Am nächsten Morgen ist Lena total aufgeregt. Ihre Mama Caro arbeitet viel im Ausland, ist schon weg auf Dienstreise. Dafür ist die Oma da, hilft Andrea mit den beiden Kindern. Den schweren Rollkoffer in der Hand, den Rucksack auf dem Rücken, zieht Lena gemeinsam mit ihrer Mama los. Der kleine Paul fährt auf seinem Laufrad nebenher. Atmo 13 hoch Losgehen 0’3 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 23 Es ist eine ruhige, fast schon dörfliche Wohngegend in Berlin Friedrichshain, in der die Familie ihr Haus hat. Die meisten hier haben Kinder, oft zwei und mehr. Aus allen Häusern strömen an diesem Morgen Mädchen und Jungen auf die Straße. Sie tragen Schulranzen oder auch schwere Koffer wie Lena. Einige sind Lenas Freundinnen. Dass sie zwei Mamas hat, wissen die alle. O-Ton 15 0’15 Leni Das ist schon normal, also die wissen das schon. Manche fragen dann noch mal, ob ich wirklich keinen Papa habe und wie das dann geht, dass ich zwei Mamas habe und so. Autorin 24 Nur ein Mal ist es mit den Freundinnen schief gegangen, erzählt Lena, während sie den schweren Rollkoffer Richtung Schule zieht. O-Ton 16 0’20 Leni Einmal hat mir Eini gesagt und auch Uta, dass Pauline gesagt hat, ich hab nur eine richtige Mutter und das ärgert mich, weil ich zwei richtige Mamas habe und nicht nur eine. Autorin 25 An diesem Morgen ist der dumme Spruch schnell wieder vergessen. Die Achtjährige hüpft trotz des schweren Koffers mehr als dass sie geht, grüßt strahlend und lacht alle, die sie kennt, an. Und das sind eine Menge. An der Schule angekommen, müssen alle erst mal auf den Bus warten – Zeit für ein kurzes Gespräch mit der Lehrerin. Für die junge Pädagogin sind Lenas zwei Mütter kein Problem. Atmo 14 darunter O-Ton 17 0’27 Lehrerin Ich hatte überlegt, ob ich das thematisiere, bin dann aber davon abgekommen, weil dieses Thematisieren, für mich, so im Sinne von, das ist etwas Besonderes, das muss man jetzt irgendwie erklären. Deswegen habe ich das jetzt nicht gesondert erklärt. Es wissen die meisten, Lena spricht auch von ihren Eltern. und ich habe mich jetzt einfach dafür entschieden, so isses. So isses normal und da brauchen wir jetzt nicht drüber zu reden. Autorin 26 Für einen kurzen Moment sucht Andrea Lena im Gewimmel, entdeckt das Mädchen im Kreis ihrer Freundinnen. Es freut sie, dass ihre Tochter von Lehrerin und Klassenkameradinnen so gut akzeptiert wird. Eigentlich hätte auch Sohn Paul in die nahe gelegene Kita gehen sollen, doch leider sind nicht alle Pädagogen so aufgeschlossen wie Lenas Lehrerin. Nur ungern erinnert sich Andrea an das Vorstellungsgespräch dort. O-Ton 18 0’32 Andrea Na wir haben gesagt wir sind zwei Mammas und wie sie das findet? Und wie sie damit umgeht? Und daraufhin hat sie dann sehr eingeschüchtert und erschrocken reagiert und konnte dieses Thema nicht so gut händeln. Und sagte dann, dass ich jetzt erst mal eine fremde Person für das Kind bin und sie das so sehen würde. Und dann haben wir gesagt, okay, hmm. dann wird es schwierig hier. Autorin 27 Für einen Augenblick kränken solche Sprüche Andrea, doch dann versucht sie den anderen, den „Normalen“ mit seinen Ängsten und Unsicherheiten zu verstehen. „Viel häufiger als über andere Menschen ärgere ich mich über die Politik“, erzählt Andrea, während sie im Gewimmel mal wieder nach ihren Kindern Ausschau hält. Viele tausend Euro haben sie und ihre Frau zum Beispiel verloren, weil trotz Heirat das Ehegattensplitting bislang nicht für sie galt. Sie freut sich, dass damit in Zukunft – dank des Bundesverfassungsgerichts – Schluss ist. Irgendwann, da ist sich Andrea sicher, werden sie, ihre Frau und ihre Kinder allen anderen Familien gleichgestellt sein. O-Ton 20 0’23 Andrea Nur weil wir die falsche Liebe für diesen Staat haben, ist es so, dass da eine große Diskriminierung ist. Und andere Volksgruppen, Religionen, andere Hautfarben und so weiter werden nicht mehr diskriminiert, aber genau dieses Thema wird gut diskriminiert noch. Atmo 14 hoch Bus kommt 0’3 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 28 Der Bus kommt. Lena steigt ein. Andrea steht mit Bruder Paul im Pulk der anderen Eltern und winkt nervös zum Abschied. Alles stinknormal eben. 4 1