COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Reportage: Der Bürgermeistermacher Von Tina Hüttl Regie: Atmo 1 Autofahrt (2:30) Regie: O-Ton 1 am Autotelefon (15s) Heckmann: Ja, Richtung Calw. Dann müssen Sie sich Richtung Calw halten. Lorek: Ok, dann gucken wir, wie wir das hinkriegen. Heckmann: Ich fahre jetzt die B27 über Tübingen, hoffe, dass ich dann irgendwie auf die Autobahn komme. L: Alles klar. H: Ja, Ciao Regie: Atmo 1 hoch Autorin: Der Mann lebt im Auto. Die Packung Zigaretten und Kaugummis liegen griffbereit, der Kaffeepappbecher und das Handy klemmen in passenden Haltern. Und das Navi leitet ihn. Uli Heckmann ist unterwegs zu einem seiner Kandidaten. 50 bis 60 000 Kilometer legt er im silberblauen Ford im Jahr zurück, fast alle davon in Baden-Württemberg. Regie: O-Ton 2: (14s) Die größte Kosteneinsparung war die Einführung der Flatrate im Handy. Das war super (lacht). Das wurde leider nur aufgebraucht durch die erhöhten Benzinpreise (lacht). Regie: Atmo 1 wieder hoch Autorin: Der Pfeil im Navi zeigt noch zwei Kilometer bis zum Ziel. Heckmanns Ziel heute heißt Villingen-Schwenningen. Eine 80 000 Einwohner-Kreisstadt im Schwarzwald. Dort trifft er Siegfried Lorek. Heckmanns Ziel in drei Monaten heißt, dass Villingen Schwenningen diesen Siegfried Lorek zum Bürgermeister wählt. Regie: O-Ton 3: (20s) Die Besonderheit ist eigentlich die, dass wir völlig verschiedene Wahltermine haben. In vielen Bundesländern ist es ja so, also meinetwegen in NRW, dass die einheitliche Wahltermine für die Bürgermeister haben. Ich könnte mein Geschäftsmodell in Bayern oder in Westfahlen nicht machen, (weil einmal in 5 Jahren ist zu wenig. Geht halt nicht.) Autorin: Sein Laptop liegt auf dem Rücksitz. Über 100 unterschiedliche Bürgermeister-Wahltermine hat Heckmann darauf gespeichert, dazu eine Kartei von Bewerbern zusammengetragen. Die Parteien finden kaum noch Mitglieder und nicht mehr genug Kandidaten für Kommunalwahlen. Doch Uli Heckmann findet meist einen der antritt. Regie: O-Ton 4: (19s) Es gibt Leute, die zu mir sagen, sie möchten Bürgermeister werden, das ist ihr Berufsziel, hast du mir einen Tipp, wo ich hinpasse? Und da ist es so, dass ich sicherlich ein gutes Gefühl dafür habe, weil die Gemeinde muss zum Kandidaten passen und der Kandidat zur Gemeinde. Das ist korrespondierend. Autorin: Der 40jährige ist im Landkreis Karlsruhe aufgewachsen. Er hat eine Banklehre gemacht, dann in Kehl öffentliche Verwaltung studiert und lange im Pforzheimer Rathaus gearbeitet. Er kennt das Ländle, das draußen vorbeifliegt. Die renovierten Fachwerkhäuser, die adretten Marktplätze, den Wunsch der Bürger nach sauberen Schwimmbädern, nach Sicherheit und nach Genuss. Über 60 Wahlkämpfe hat Heckmann mitgemacht, in vielen Orten Baden- Württembergs sitzen heute von ihm gecoachte Bürgermeister. Denn in acht von zehn Fällen gewinnt sein Mann. Regie: O-Ton 5 (15s) (lacht) Es gibt so zwei, drei Beispiele von Kommunen, wo ich so im Nachhinein denke, dass hätte ich lieber bleiben lassen sollen. Wobei ich auch glaube, dass die Leute das in den nächsten zwei bis drei Jahren auch merken. Autorin: Heckmann fährt schnell, er ist gut drauf, fast schon aufgekratzt. Acht Kandidaten betreut er momentan, heute ist Siegfried Loreks Wahlkampfauftakt. Kickoff, wie er es nennt. Für ihn gibt es keinen schöneren Tag. Jetzt darf er loslegen, denn die erste Heckmann-Regel lautet: Halte den Wahlkampf kurz. Sonst nervt der Kandidat am Ende die Bürger und sie wählen ihn nicht. Zwischen acht und 12 000 Euro müssen die potentiellen Bürgermeister für seine Beratung hinlegen. Außerdem Erfahrung im öffentlichen Dienst und sechs bis acht Wochen Urlaub für den Wahlkampf mitbringen. Politische Überzeugungen, Motive, Ideen sind Heckmann egal. Im Wahlkampf sind Inhalte ohnehin Gift: Regie: O-Ton 6 (39s) Da halte ich mich gerne an die alte Kohlsche Maxime: Erzähl den Leuten nichts über Politik, das interessiert die nicht. Erzähl den Leuten was von dir, dann hören sie dir zu. Und ich glaube auch, dass es in der Politik weniger um Inhalte geht, sondern immer nur darum, wem möchte ich mein Land anvertrauen. Autorin: Auch die Parteizugehörigkeit spielt traditionell kaum eine Rolle. Bei der Bürgermeisterwahl in Baden-Württemberg wird die Partei auf den Wahlplakaten sogar weggelassen. Die Menschen stimmen nur für die Person. Und die muss am Ende oben auf der Welle schwimmen - sowie Schröder 1998, sowie Obama 2009, sagt Heckmann ernsthaft. Regie: O-Ton 7 (20) Das ist ein bisschen wie beim Pferderennen: Man glaubt, dass der Eine gewinnt, dann wählt man den auch, weil man beim Sieger sein will. Ich glaube, dass das ganz einfache Prinzipien sind. Da bin ich mir ziemlich sicher inzwischen. Regie: Atmo 2 Einparken: Autorin: Vor einem modernen Flachbau sucht er nach einem Parkplatz. Regie Atmo 2 hoch: Sag mal, können auch normale Leute noch irgendwo parken? (dann Piepen wegen Rückwärtsgang) Regie: Darüber O-Ton 8 (20s) So wir kommen jetzt zur Südpol. Das ist eine sehr große Agentur, sind sehr designorientiert, machen viel für Vitra, viel für Audi. Für mich sind diese Großagenturen immer schwierig zu arbeiten. Aber das sage ich jetzt auch nicht. Ich habe eigentlich am liebsten freie Grafiker. Regie: Atmo 3 Tür, Kofferraum, Cornflakes rascheln, Tür zu, Straßengeräusch, Schritte, Treppen reingehen (40s) Autorin darüber: Aus dem Kofferraum greift Heckmann noch schnell eine Minipackung Cornflakes. Bevor er reingeht, zieht er ein Jackett über, das wohl die senfgrüne Jeans aufwerten soll. Die kurzen Haare trägt er gern verwuschelt, das Aussehen seiner Kandidaten ist ihm wichtig. Regie Atmo 4 Leute am Tisch - Gemurmel (1:15) Darüber Autorin: Drinnen am langen schwarzen Tisch beugen sich zwei Werbeagenturmenschen und ein Fotograf über Wahlprospekte. Ihnen gegenüber sitzt der Kandidat Siegfried Lorek mit seiner Freundin. Heckmann, obwohl zu spät, übernimmt sofort, stellt die Cornflakes mitten auf die Broschüren. Regie: O-Ton 9 (18s) Lorek: Ok, sie haben noch die Give Aways dabei? Heckmann: Ja, so sehen die aus. Da müssen wir halt eine Banderole machen, um die Cornflakes rum. Ich selber finde den Slogan super: Loslegen für V.S (andere Reden ...) Autorin darüber: Auch die Werber haben Vorschläge vorbereitet, Heckmann guckt kurz rüber, redet unbeirrt weiter. Die beiden verstummen. Regie: O-Ton 9 weiter (15s) Ich finde zum Beispiel Power für V.S finde ich einfach nur überheblich. Das hat der Wellerreiter gemacht in Mannheim und gleichzeitig ist er bei Rot über die Ampel gefahren und hat einen angefahren. Da haben sie gesagt: Power für Mannheim, was will denn der Quatschkopf. (Lachen) Regie: Atmo 5 Raum Stille, ab und an Blätter rascheln (50s) Autorin: Mit den Cornflakes und dem Spruch will Heckmann seinen Kandidaten in den Wochen vor der Wahl von Haus zu Haus schicken. 15 000 Packungen hat er bestellt, das heißt 15 000 mal Klinkenputzen. Einen anderen hat er einmal 13 000 Kochlöffel verteilen lassen. Am Ende verdoppelte der Kandidat sein Ergebnis, dafür hat er heute auf acht Jahre einen krisenfesten Job. Und 5000-6000 Euro brutto plus Zulagen. Lorek schaut zuversichtlich auf die Cornflakes. Er ist 33 Jahre, schlank, hat ein jungenhaftes Lächeln, sympathische Augen und eine eckige Brille, die ihn älter macht. Dazu ist er ehrgeizig. Er hat eine Musterkarriere bei der Polizei gemacht, ist stellvertretender Landesvorsitzender der JU und derzeit Referent im Innenministerium. Auch sein Hobby ist dynamisch: Eishockeyspielen. Nur der anthrazitfarbene Anzug gefällt Heckmann jetzt nicht. Regie: O-Ton 10 (20s) H: so können wir keine Fotos machen, so können sie nicht gehen. L: Wir ziehen uns hier um. H: Das erste Foto ist jetzt nochmal was? L: Jetzt fahren wir zum Markt. H: Dann müssen sie sich umziehen. So geht man nicht einkaufen. Aber entspannt. Fotograf: Jeans oder Hemd. L: rotes Sakko. Regie: Atmo 6 Umziehen (1min) Autorin: Lorek zieht ein hellblau kariertes Hemd und Jeans an, Heckmann nickt. Er hat ihm eine Liste in die Hand gedrückt, was er beachten soll: Schuhe putzen, eventuell neue kaufen, keine Rolex, möglichst Naturfasern tragen, aber keine Birkenstock. Die Fotosession ist entscheidend. Heckmann muss heute seinen Mann aufbauen: Lorek auf dem Markt, Lorek im Gespräch mit Bürgern, im Einhockeystadion, bei der Feuerwehr. Die Bilder für die Wahlplakate und Prospekte müssen Gefühle erzeugen, einen Siegertypen aus Lorek machen, für die Welle sorgen - all das ist jetzt Heckmanns Job. Regie: Atmowechsel zu 1: Autofahrt Autorin: Auf der Fahrt zum Schwenninger Marktplatz erzählt Heckmann, was sonst noch dazu gehört: Er wird in den kommenden Wochen Reden schreiben, sie mit Lorek einüben und ihm erklären, wie die Hausbesuche funktionieren. Für ihn sind sie die Königsdisziplin, eine weitere Heckmann-Regel lautet: Komm nie mit leeren Händen, und bleib nie länger als zwei bis drei Minuten. Die Cornflakes sind der Eisbrecher. Regie: O-Ton 11 (24s) Ich habe mir natürlich angeguckt, was der Obama gemacht hat. Aber was mich total beeindruckt hat, das war bei den amerikanischen Primaries, dass Bill Clinton gemeinsam mit seiner Frau vor den Einfahrten der Leute standen und Schnee geschippt haben. Das fand ich so eine Klasse Geschichte, die mir wieder gezeigt hat, es geht immer und immer wieder nur um die einfachen Dinge. Autorin: Schneeschippen muss Lorek nicht, aber Heckmann will ihn ab jetzt auch zweimal die Woche zum Joggen schicken. Alles nur inszeniert? Heckmann verzieht enttäuscht die vollen Lippen nach unten. Er redet lieber von Respekt vor dem Wähler, der ein Gespür hat, was echt ist. Das hindert ihn natürlich nicht, die Wirklichkeit hier und da ein wenig zu manipulieren. Weil seine Erfahrung gezeigt hat, dass keine Frau haben etwa 15 Prozent weniger Stimmen bringt, besorgt er einem Bewerber auch schon mal eine für den Wahlkampf. Regie: O-Ton 12 (19s) Das war halt so, dass wir gesagt haben: Sag mal, du bist Anfang 40, du bist nicht verheiratet, wir müssen aufpassen, die Leute sagen: Du bist schwul. Da hat er gesagt: Ne das bin ich nicht. Da habe ich gesagt: Das weiß ich, sag ich zu dem: Wenn du keine Partnerin hast, dann sagen die Leute, pass auf, dass ist ein Dauerbesucher im Bordell. Autorin: Lange musste er den Mann nicht bearbeiten, am Ende wurde er Bürgermeister, und die Frau hat er wenig darauf geheiratet. Heckmann hat einen Blick für so etwas. Nur er selbst lebt allein. Regie: O-Ton 13: (40s) Ich träume, ich denke, ich lebe ja diese Wahlen - ich glaube, dass ich für meine Mitmenschen ein relativ uninteressanter Gesprächspartner bin, weil ich vielleicht zu einseitig bin. Das habe ich mir schon oft überlegt. (Ich meine, ich gehe gern ins Theater, ich koche gerne, ich lese mal ein Buch, aber ich habe immer das Gefühl, dass ich so für die normalen Themen, für die andere Menschen leben, irgendwie nicht so den - ja - weiß ich nicht. Vielleicht bin ich einfach ein Langweiler, ich weiß es wirklich nicht.) Regie: Blende in Atmo 7: Marktgemurmel (1:30min) Autorin: Siegfried Lorek muss er nicht aushelfen, der kennt seine Freundin noch vom gemeinsamen Polizeidienst. Sie ist dunkelgelockt, trägt - wie er - für die Aufnahmen am Markt jetzt Jeans. An einem Stand kauft sie rote Paprika, Gurken und einen Salatkopf - alles fürs Foto. Regie: O-Ton 14 (10s) Lorek: Ich weiß nicht was wir essen heute Abend. Heckmann: Saisonales Gemüse, Bio ist immer gut. (Lacht) Autorin: Die Marktfrau guckt neugierig auf die Gruppe: auf Lorek und seine Freundin, den Fotografen und Heckmann, der das Gemüse in einem Weidenkorb arrangiert. Denn Plastiktüte geht gar nicht. Regie: O-Ton 15 (5s) (mit Atmo 35s) Fotograf: Sie machen so, wie wenn ich nicht da wäre. Dann: Fotoklicken, Menschen unterhalten sich... Autorin darüber: Zuerst müssen der Kandidat und seine Freundin Hand in Hand über den Markt spazieren. Der Fotograf drückt auf den Auslöser. Es ist ein hübscher Platz, muschelförmig, zwischen den Reihen mit Ständen herrscht kein zu großes Gedränge. Im Hintergrund steht ein Fachwerkhaus, der Schriftzug Heimatmuseum ist gerade noch lesbar. Heckmann beobachtet die Szene zufrieden und raucht. Dann holt er noch zwei ältere Damen mit auf das Foto. Er braucht kommunikative Bilder, alles ist aber vorher arrangiert und abgesprochen. Regie: O-Ton 16 (11s) Heckmann: Also Leute aufs Foto zu bringen, hängt dann immer davon ab, ob die Leute gut im Rennen liegen oder nicht. Wenn sie schlecht im Rennen liegen, findest auch niemanden, der mit drauf geht. Ist doch gut vom Hintergrund. Autorin: Eine der Damen tastet nach dem Sitz ihrer Locken, die der Friseur kurz zuvor gelegt hat. Auch ihre Freundin hat Kostüm und Halstuch heute sorgfältig ausgewählt. Sie stellen sich neben Lorek, wissen nicht so recht, was sie reden sollen. Regie: O-Ton 17 (10s) (mit Atmo 35s) Fotograf: So was wäre schön. Sie müssen aber heiter sein, ein tolles Gesprächsthema ist zum Beispiel Urlaub, aber so von der Situation passt es. Dann: Unterhaltung, Fotoklicken... Autorin darüber: Also unterhalten sie sich über spanisches Essen und die Sonne in Teneriffa. Dann sind die Bilder im Kasten. Der Kandidat Lorek macht sich gut, für Heckmann ein leichter Fall: Regie: O-Ton 18 (20s) Der Lorek, es gibt so Typen, die sind zum Fotografieren einfacher. Der hat jetzt auch die Angst nicht vor der Kamera. Ich habe aber auch so Spezialisten, die kommen dann an und zeigen mir die Fotos von vor acht Jahren. Und sagen, die können wir doch wieder verwenden. Und ich sage: Ne können wir nicht. Und sie: Aber die sind gut. Und ich sage: Aber du bist älter geworden. Autorin: Am Ende beugen sich alle gespannt über das Display der Digitalkamera. Vor allem die beiden Damen wollen sich sehen. Regie: O-Ton 19 (16s) Fotograf: Ok, gucken wir geschwind durch. Heckmann: Wir lassen uns das von ihnen genehmigen, dass wir das veröffentlichen dürfen. Frau: Mensch Frau Müller, einen schönen Menschen kann nichts entstellen. Müller: Ja danke, das habe ich heute schon zweite mal gehört... Autorin: Heckmann nickt. Lorek wirkt echt, darum geht es ihm. Also Abfahrt zur nächsten Location: zur örtlichen Feuerwehr. Regie: Blende in Atmo 1 Autofahrt Regie: O-Ton 20 (45s/30s) Ich selber bin völlig ungeeignet für das Amt des Bürgermeisters. Und ich muss auch sagen: Mich interessiert der Job nicht. Ich finde den Wahlkampf super, ich bin daran interessiert, dass dort gute Leute im Amt sind. Aber ich für mich, bin für das Amt völlig ungeeignet. Obwohl ich sicherlich die fachlichen Voraussetzungen dafür erfüllen würde. Aber ich habe auch keine Lust, Sonntag Nachmittag auf dem Fußballplatz oder beim örtlichen Handballverein zu verbringen. (Und ich finde einfach, wer Bürgermeister sein will, der muss Spaß daran haben beim Musikverein zum 800 Mal "Glück auf der Steiger kommt" zu hören.) Autorin: Vereins- und Gemeindefeste kennt Heckmann auch aus seiner Kindheit gut. Regie: O-Ton 21 (6s) Letztlich glaube ich, dass ich mit meinem Job so meinen Vaterkomplex bearbeite. Andere gehen zum Psychotherapeuten, ich mache halt das. Autorin: Bis 1987 ist sein Vater der Bürgermeister im Walzbachtal, einem 9000- Einwohner Dorf im Landkreis Karlsruhe. Heckmann fährt sich durch die Haare: ein unbestechlicher Mensch sei der Vater, sagt er. Ein Beamter durch und durch, der das Amt auch zu Hause nie ablegte. Regie: O-Ton 22 (43s) (Hintergrund: Einparkgeräusche) Mein Vater ist ein klassischer sozialer Aufsteiger, der als ganz junger Mann - er ist ja mit 25 ins Amt gekommen - einfach seinen persönlichen sozialen Aufstieg bewältigt hat. Und ich glaube, wenn man zu früh in so ein Amt kommt, ist es einfach schwierig sich aus der Rolle des Bürgermeisters, der immer vorne am Tisch sitzt, wieder rauszuholen. (Das ist Sucht. Politik ist Sucht für viele. Sucht der permanenten Anerkennung. Und da unterscheidet sich ein Bundeskanzler nicht von einem Bürgermeister.) Regie: Atmo 8 Aussteigen, Straße, Gemurmel Autorin: Vor der Garage der Feuerwehr parkt schon Loreks Audi, der heute ein mobiler Kleiderschrank ist. Lorek beugt sich über den Kofferraum, wählt aus mehreren Anzügen ein blaues Sakkos. Heckmann kommt dazu. Der Fotograf dirigiert die zwei Feuerwehrmänner, die Heckmann für die Bilder in Schutzkleidung bestellt hat. Regie: O-Ton 23 (12s) (plus Atmo 1:15) Fotograf: Vielleicht können wir es auch so machen, dass wir sie in die Mitte nehmen. Dann ist nicht so links, rechts. Lorek, wenn Sie sich noch so ein bisschen auf die Seite stellen, dass man Feuerwehr lesen kann? Dann: Gemurmel, knipsen Autorin darüber : Als Lorek einen Feuerwehrhelm aufsetzt, winkt Heckmann unwirsch ab: Regie: O-Ton 24 (10s) (plus Atmo 1:15) Herr Lorek, nehmen sie den Hut runter, das bringt nichts. Das ist anbiedernd. Nein, das machen wir nicht. Dann: Straßengeräusch... Autorin: Die Bürgermeisterwahl in Villingen-Schwenningen zu gewinnen, wird nicht einfach. Eigentlich ist die Stadt für Heckmann eine Nummer zu groß. Er mag es gern überschaubar. In Orten mit drei bis 6000 Einwohnern geht es bei der Wahl rein um die Persönlichkeit - dafür ist Heckmann Spezialist. In Villingen-Schwenningen jedoch zählen auch die Parteizugehörigkeit, die Landespolitik, die Stimmung in Berlin. Hinzu kommt: der amtierende SPD- Bürgermeister Rubert Kubon, der wieder antritt, macht seinen Job ganz gut. Ein Passant bleibt neugierig vor der Feuerwehr stehen. Die Gelegenheit für Heckmann, etwas über die Lage in der Stadt zu erfahren. Regie: O-Ton 25 (30s) H: Und was ist ihr Ansatz, dass sie sagen, der Kubon muss weg? Bürger: Gründe gibt es viele. Kubon ist mit einem Satz nicht der richtige Mann am richtigen Ort. H: Was ich oft höre ist dieses Wort "Kasper". Bürger: ich wollte es so nicht sagen, aber das ist, was ich gemeint habe. Er ist auf jedem Sommerfest zu sehen, und wenn es irgendwo einen Wasserkübel gibt auf dem Sommerfest, macht er Hose hoch und springt rein. (Das ist nett und gut, aber ob das zum Hauptaufgabefeld gehört, mag man bezweifeln.) Regie: Atmo 9 Straße vor Feuerwehr, Gemurmel (45s) Autorin: Ohne Unzufriedenheit bei den Bürgern, weiß Heckmann, hat er keine Chance. Er muss die Fehler beim Gegner suchen, und wo keine sind notfalls welche schaffen. Bei einem Wahlkampf in einem kleinen Weinort lässt Heckmann einmal das Gerücht streuen, etwas stimme mit den Gemeindefinanzen nicht. Der recht beliebte Amtsinhaber wird nervös, macht Fehler - und Heckmanns Kandidat, ein bis dahin unbekannter Winzer, zieht ins Rathaus ein. Seine Strategie für Lorek ist etwas vertrauenswürdiger, aber nicht weniger raffiniert. Er will ihn im Gegensatz zum jetzigen Bürgermeister als weltoffenen, modernen Beamten zeigen, für den sich niemand schämen muss. Er soll keine Mätzchen machen, auch keine Leuchtturmprojekte versprechen, sondern die ganz einfachen Dinge betonen: Regie: Atmo 10 Schritte Park (35s) Autorin: Die Gruppe ist jetzt zum benachbarten Stadtpark unterwegs. Regie: O-Ton 26 Ich fahre die Devise, kein Schnickschnack, keine zündenden Ideen. Gab es schon zu oft, hat nicht funktioniert. (HG Spielplatz: Kindergeschrei) Das ist so ein Thema: Wenn im Kindergarten die Sandgruppe verschissen ist, hast du ein Problem. Ist doch so.. Regie: Atmo 11 Park Kinder, Wasserfontäne, Gemurmel (1:30) Autorin: Während der Fotograf den Kandidaten mit ein paar dazugeholten Statisten über die Wiese schickt, sitzt Heckmann etwas abseits auf einer Bank. Zigarettenpause. In den letzten Wochen vor der Wahl arbeitet er oft 15 bis 16 Stunden täglich. Regie: O-Ton 27 (insg. 35s) Ja klar, man hat ein Eigenleben, aber teilweise kann es einen auch auffressen. Ich hatte schon Wahlen, wo überhaupt keine Distanz da war. Aber das ist mein Problem, ist klar. Das ist klar. Aber man hat schon ein Eigenleben, man kann ja auch Handy ausmachen. (Brunnen rauschen) Autorin darüber: Macht er das manchmal? Regie: O-Ton 27 weiter: Nö (lachen). Aber wenn ich das nicht mit soviel Energie machen würde, dann wäre ich auch nicht so gut. Also ich glaube schon, dass ich gut bin, in dem Job. Also ich liebe das, was ich tue über alles. Kann mir nichts Schöneres vorstellen. Autorin: Heckmann ist seit sechs Uhr morgens auf, die Überdrehtheit lässt langsam nach. Auch der Kandidat wirkt jetzt nach dem hundersten Foto etwas schlapp. Regie: O-Ton 28 (23s) H: Können sie noch lächeln? L: Es wird langsam schwer, aber es geht noch. (H lacht) H: Mir gefällt das gut, dass die Leute neugierig sind. Wer ist das? Sie reden darüber. (Ich höre ja immer mit, wenn ich da bin, und da hat eine Frau gesagt. Sympathisch ist er schon. Autorin: Heckmann verabschiedet sich für heute. Regie: Atmo 1 Autofahrt Autorin: Die hundertneunzig Kilometer wird er in der nächsten Zeit zwei-dreimal wöchentlich zurücklegen. Auf der Autobahn ist es bereits dunkel, Heckmann fährt heim nach Bruchsaal, wo er lebt. Im vorigen Jahr hat er in seinem Heimatort für einen Kandidaten den Wahlkampf gemacht. Sein Trauma, wie er sagt. Regie: O-Ton 29 (24s) Da habe ich die Wahl mit 198 Stimmen verloren, und da war es natürlich schon so, dass das so nah kam, dass ich zwei bis drei Wochen in ein ganz ganz tiefes Loch gefallen bin. Da biste erst mal sprachlos, das musste verarbeiten. Vor allem, weil ich glaube, dass der Kandidat nicht wegen sich, sondern wegen meinen Beratungsfehlern verloren hat. Autorin: "Du geht's den Leuten noch auf den Wecker, zieh Dich zurück", riet er seinem Kandidaten in Bruchsaal in der letzten Woche vor der Wahl. Die Mitbewerberin dagegen rennt von Haus zu Haus - bis zum Schluss. Mit Lorek wird er diesen Fehler nicht wiederholen. Doch was die Wahl in Villingen-Schwenningen angeht, ist er nur vorsichtig optimistisch. 50/50 stünden die Chancen, schätzt er. Regie: O-Ton 30 (20s) Wenn er´s wird? Freue ich mich, freue mich über den Boni, das ist auch so. Ich bin auch vor Ort. Aber ich bin dann auch ganz schnell zu Hause, (also keiner der meint, ich muss feiern. Ich genieße das sehr, dann setze ich mich ins Auto und höre Radio, das genieße ich). Autorin: Das Handy läutet. Heckmann nimmt an, meldet sich durch die Freisprechanlage. Regie: O-Ton 31 (Vorspann Telefon läuten) (20s) Uli Heckmann. L: Lorek, Hallo Herr Heckmann. H: Herr Lorek, was ist passiert? L: Kubon himself hat die Verwendung der Feuerwehrfotos untersagt. H: Ja gut, das ist doch super. Dann streuen sie das bitte. L: Ja, das ist perfekt, das werden wir schön der Presse geben. H: Ja, mein Gott, wie doof. Autorin: Heckmann grinst, die Nachricht geht wie ein Schuss Energie durch seinen müden Körper. Regie: O-Ton 32 (20s) H: Das ist super, das ist super, wenn der verbietet, wie kann einer so gnadenlos dumm sein. Wegen einem Scheiß Foto. Das ist doch super. Da musste schon beinahe gar nichts mehr machen. Da musste einfach nur noch lächeln. Das ist klasse. Autorin: Heckmann, noch in Gedanken, beschleunigt. Er fährt jetzt nicht mehr vorsichtig, ist wieder voll optimistisch. Ein paar Wochen später meldet die Badische Zeitung: "Amtsinhaber Kubon gewinnt OB-Wahl in Villingen-Schwenningen. Herausforderer Lorek unterliegt." (Regie: Atmo 12 Telefonläuten im Studio aufnehmen) Autorin: Heute hebt Heckmann nicht ab. Doch das Loch hat einen Boden, denn irgendwo ist immer die nächste Wahl. 1