Vereint im Leiden und Aufbegehren Eine Lange Nacht über revolutionäre Umbrüche in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts Autor: Winfried Roth Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Dr. Monika Künzel Sprecher: Erzähler: Friedhelm Ptok Zitator 1: Joachim Schönfeld Zitator 2: Helmut Gauss Zitatorin: Julia Brabandt Sendetermine: 4. November 2017 Deutschlandfunk Kultur 4./5. November 2017 Deutschlandfunk __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. 1. Stunde Musik: Dmitrij Schostakowitsch, 11. Sinfonie op. 103 Zitator 2: Der Bürger muss diesem Staat nicht mehr Respekt entgegenbringen als einer Bande von Straßenräubern. OT 1 [III] Meyer 1: (IX / 1:55) Das Dorf wurde zunehmend rebellisch gegen die großen Grundbesitzer. Zitator 2: Wir, die Arbeiter von Sankt Petersburg, unsere Frauen, unsere Kinder, sind zu Dir, Zar, gekommen, um Gerechtigkeit zu suchen. Man sieht in uns keine Menschen, man verhält sich zu uns wie zu Feinden. Zar, unsere Geduld ist zu Ende. OT 2 [XI] Meyer 2: (XXIII / 1:40) Nun hatten sich in der Mittagszeit des 9. Januar weit über hunderttausend Demonstranten auf dem Platz vor dem Winterpalast versammelt, als plötzlich Offiziere der Armee ein mörderisches Feuer befahlen. Zitator 2: Zerreißt alle Bilder des Zaren und ruft ihm zu: "Sei verflucht mit deiner ganzen Brut!" OT 3 [XIV]: Meyer 3: (II / 9:15) Dieser Petersburger Blutsonntag am 9. Januar 1905 war die Initialzündung der Revolution. Zitator 1: Eines Abends stand eine Gruppe von Bauern im Dunkeln zusammen. Hustscha sagte: "Nehmen wir ihnen das Land weg, dann hat jeder genug Brot für sich und seine Kinder." Diesen Worten folgte eine solche Stille, dass man hören konnte, wie die Vögel in ihren Nestern raschelten. Musikakzent Erzähler: Die drei Revolutionen in Russland zwischen 1905 und 1917 sind Wendepunkte in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das Reich von Zar Nikolaj II. war einer der despotischsten Staaten des damaligen Europa. Der Volksaufstand von 1905 scheiterte nach zwei Jahren bürgerkriegsähnlicher Auseinandersetzungen, setzte aber in Russland radikale Veränderungen auf die Tagesordnung. Im Februar 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, stürzten dann Massendemonstrationen und Meutereien den letzten Zaren, Russland wurde zur - wenn auch unvollkommenen - Demokratie. Aber die Übergangsregierung aus Liberalen und gemäßigten Linken erfüllte viele Erwartungen der Bevölkerung nicht. Nach acht Monaten, im "Roten Oktober" 1917, übernahmen die Bolschewiki - die äußerste Linke - fast mühelos die Macht. Ihr Sieg im anschließenden dreijährigen Bürgerkrieg brachte eine bürokratische Diktatur, die sich bis zur Terrorherrschaft steigerte. Der Sowjetstaat stieg zur Weltmacht auf, bestimmte für ein Dreivierteljahrhundert entscheidend die internationale Politik - und zerbrach erst um 1990 an den eigenen Widersprüchen. Musikakzent Zitator 2: Wir, die Arbeiter von Sankt Petersburg, unsere Frauen, unsere Kinder, sind zu Dir, Zar, gekommen, um Gerechtigkeit zu suchen. Wir sind verelendet, wir werden unterdrückt und über unsere Kraft mit unsagbar schwerer Arbeit belastet. Man sieht in uns keine Menschen, man verhält sich zu uns wie zu Feinden. Verweigere Deinem Volk nicht die Hilfe! Gib ihm die Möglichkeit, selbst über sein Schicksal zu entscheiden! Zar, unsere Geduld ist zu Ende. Wir sind in dem furchtbaren Augenblick angelangt, wo der Tod willkommener ist als die Fortdauer der unerträglichen Qual. Erzähler: Die erste demokratische Revolution in Russland von 1905 bis 1907 gehört zu den dramatischsten Ereignissen der Zeit um den Ersten Weltkrieg. In den Jahren zuvor waren - gewöhnlich im Untergrund - eine kritische Presse, Gewerkschaften, liberale und sozialistische Oppositionsparteien entstanden. Um von den zunehmenden sozialen und politischen Konflikten im Innern abzulenken, begann das Regime 1904 einen Krieg gegen Japan. Er endete überraschend mit einer russischen Niederlage. Der Krieg verstärkte noch die Unruhe in der Bevölkerung. Das Gewitter entlud sich 1905. Am 9. Januar, dem "blutigen Sonntag", schossen Soldaten auf unbewaffnete Arbeiter, hunderte starben. Die Proteste weiteten sich zu einer Revolution aus. Auf die Welle von Massenkundgebungen, Streiks, Landbesetzungen und Meutereien reagierte der Staat schließlich mit der Zusicherung freier Wahlen. Die demokratischen Parteien gewannen sie im März 1906 mit großer Mehrheit. Das Regime nahm aber die Zugeständnisse bald zurück und entmachtete das Parlament. Die militärische Überlegenheit der Regierung und die Uneinigkeit der liberalen und linken Opposition führten bis Mitte 1907 zum Zusammenbruch der demokratischen Bewegung. Es folgten Jahre blutiger Unterdrückung. Musikakzent Erzähler: Russland am Anfang des 20. Jahrhunderts: OT 5 [I]: Meyer 4: (I / 3:40): Russland kannte keine Verfassung, keine unabhängige Justiz, keine Gewaltenteilung, keine Wahlen. Erzähler: Der Marburger Historiker Dr. Gert Meyer ist Experte für die Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert. Zar Nikolaj II. aus der Dynastie Romanow regierte von 1894 bis 1917 mit unumschränkter Macht. Der Herrscher war eine Persönlichkeit ohne Ausstrahlung, träge und überfordert. Starken Einfluss auf ihn hatten reaktionär gestimmte Berater wie der Großfürst Sergej Aleksandrowitsch oder der General Dmitrij Trepow. In der zaristischen Elite gab es vor 1905 auch einzelne "Modernisierer", die von vorsichtigen Reformen eine Stabilisierung des Regimes erhofften. Der bekannteste: der langjährige Finanzminister Sergej Witte. Ihr Einfluss aber blieb gering. Die Zaren stützten sich auf die adligen Großgrundbesitzer, auf die orthodoxe Staatskirche und auf eine Elite aus Bürokratie und Militär. Der Landadel verlor zwar langsam seine wirtschaftliche Macht, hielt aber verbissen an seiner politischen Vorrangstellung fest. Mit beträchtlicher Verspätung gegenüber den anderen Großmächten hatte nach 1870 auch zwischen Weichsel und Ural die Industrialisierung begonnen. In rascher Folge entstanden Kohlegruben, Webereien, Werften und Maschinenfabriken. Das städtische Bürgertum erlebte im Lauf weniger Jahrzehnte einen imposanten wirtschaftlichen Aufstieg. Dieses Bürgertum verlangte immer energischer politische Mitspracherechte. Die große Mehrheit der russischen Bevölkerung - Bauern und Arbeiter - lebte am Anfang des 20. Jahrhunderts in elenden Verhältnissen. Die Lebenserwartung lag niedrig. Die meisten waren Analphabeten. Besondere Rechtlosigkeit traf die Frauen. Wenigen zehntausend Großgrundbesitzern standen achtzig Millionen Bauern und Landarbeiter gegenüber, die überwiegend in Armut und demütigender Abhängigkeit von den Gutsbesitzern lebten. Erst 1861 war die Leibeigenschaft beseitigt worden, hatten die Bauern die persönliche Freiheit erhalten. Die Erinnerung an die Zeit der Leibeigenschaft steckte noch tief - damals konnten die Adligen "ihre" Bauern verkaufen wie Vieh. Gert Meyer über die Situation um 1900: OT 7 [III]: Meyer 6: (IX / 1:55) Das Dorf wurde zunehmend rebellisch gegen die großen Grundbesitzer. (IX / 0:10) Es gab eine kleine Schicht von wohlhabenderen Bauern, die gut ausgestattet waren mit Vieh, mit Inventar, mit Land, mit Arbeitskräften. Die Masse war ärmer, das waren Mittelbauern, die gerade über die Runden kamen. Unter diesen war angesiedelt die große Schicht von verarmten Bauern. Das waren die Verlierer dieser Reform von 1861. Denn die Aufhebung der Leibeigenschaft hatte keineswegs zu einer Beseitigung der Armut im russischen Dorf geführt. Die Masse der Bauern musste hohe Ablösungszahlungen leisten. Die Landstücke der Bauern waren sehr gering. Sie reichten kaum mehr aus, um die rasch wachsende Bevölkerung zu ernähren. Erzähler: In den rasch wachsenden Industriezentren sahen sich die Stahlwerker, Weberinnen oder Bergleute erbärmlichen Löhnen, miserablen Wohnverhältnissen, gefährlichen Arbeitsbedingungen und diktatorischer Disziplin ausgeliefert. Der 12-Stunden-Tag war ebenso selbstverständlich wie Kinderarbeit. Das Zarenreich war auch ein weitläufiges "Völkergefängnis". Bei seinem Aufstieg zur Großmacht hatte es immer mehr Gebiete mit nichtrussischer Bevölkerung unterworfen - vom östlichen Polen bis Kamtschatka am Pazifik, von Finnland bis Aserbaidshan. Der Historiker Prof. Andreas Kappeler von der Universität Wien hebt hervor ... OT 8 Kappeler 2: (0:30) ... dass das russische Reich vor 1905 ein Vielvölkerreich war, in dem die ethnischen Russen nur eine Minderheit von etwa 44 Prozent stellten. Erzähler: Rechtlosigkeit und Unterdrückung trafen die Ukrainer, Litauer, Kasachen, Georgier usw. gewöhnlich noch härter als die russischen Untertanen der Dynastie Romanow. OT 9 Kappeler 3: (3:25) Hier kommt die sprachliche Russifizierung einzelner Nationalitäten ins Spiel. Hier sind es Ukrainer und Weißrussen, die am meisten diskriminiert werden. Ihre Sprache wurde verboten. Auch bei anderen Ethnien wie den Polen, Litauern, Georgiern. (18:10) Es gab keine einzige ukrainischsprachige Schule oder Zeitschrift, Zeitung. Erzähler: In keinem Land Europas war die jüdische Bevölkerung einer vergleichbar krassen Diskriminierung ausgesetzt, immer wieder kam es zu Pogromen. Eine massive Wirtschaftskrise nach 1895 ließ diese lange schwelenden sozialen und politischen Konflikte aufbrechen. Musikakzent Zitator 2: Der Bürger muss diesem Staat nicht mehr Respekt entgegenbringen als einer Bande von Straßenräubern. Erzähler: - das schrieb der Oppositionelle Sergej Stepnjak-Krawtschinskij schon 1877. Erst spät entstand im Zarenreich eine demokratische Opposition. In Westeuropa waren das städtische Bürgertum und die Industriearbeiterschaft Vorkämpfer der liberalen Revolutionen für Menschenrechte, Volkssouveränität und demokratische Regierungsform gewesen. In Sankt Petersburg oder Moskau erschienen sie viel später in der politischen Arena als in Paris oder Berlin. Im Lauf des 19. Jahrhunderts waren in Russland wiederholt kleine liberale oder sozialistische Oppositionsgruppen entstanden - vor allem unter der Intelligenz. Aber dem Regime gelang es, alle demokratischen Bestrebungen zu ersticken. 1881 wurde Zar Aleksandr II. bei einem Attentat getötet. Auch eine Reihe weiterer Anschläge gegen Verantwortliche des Regimes schwächten dieses kaum und änderten an der politischen Apathie der Bevölkerung nichts. Die bäuerliche Mehrheit lebte in geradezu archaischen Traditionen. In dieser ausweglosen Welt flackerten zwar immer wieder lokale Revolten auf, die das Militär in Blut erstickte. Aber die Bauern sahen ihre Gegner nur in den Großgrundbesitzern oder Gouverneuren. Der Zar in Sankt Petersburg dagegen war für sie eine fast mythische Gestalt - Gerechtigkeit erwarteten sie, wenn überhaupt, dann von ihm. Diese Haltung war sogar noch unter Teilen der Industriearbeiter verbreitet. Als durch den wirtschaftlichen Einbruch und die Massenarbeitslosigkeit nach 1895 sich die ohnehin erbärmlichen Lebensbedingungen weiter verschlechterten, kam es zu Streiks in den Industriezentren und zur Besetzung von Großgrundbesitz durch Kleinbauern und Landarbeiter. Auch die Unzufriedenheit des Bürgertums und der Intelligenz wuchs - nicht nur wegen der Unterdrückungspolitik der Regierung, sondern auch wegen ihrer Wirtschaftspolitik, die die Interessen der adligen Gutsbesitzer bevorzugte. Von der angespannten Stimmung unter der ärmeren Bevölkerung in diesen Jahren handeln viele von Maksim Gorkijs Werken, so seine autobiografischen Bücher und vor allem sein Roman "Die Mutter" von 1907. Die russische Literatur des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts ist weithin bestimmt von schroffer Gesellschaftskritik - bei Lew Tolstoj, Anton Tschechow, Iwan Turgenjew oder Nikolaj Ostrowskij. In "Die Mutter" scheint die Revolution schon nahe. Gorkij - der dieses Milieu gut kannte - erzählt von der Petersburger Arbeiterfrau Pelageja und ihrem Sohn Pawel, die zögernd zur sozialistischen Bewegung finden. Der Roman wirkt mit seinem manchmal gesuchten Pathos schwächer als etwa Gorkijs autobiografische Texte, dennoch schildert er eindrucksvoll die Verzweiflung und Unruhe in den Arbeitervierteln. Zitator 1: "Abends, wenn die Sonne unterging und ihre roten Strahlen müde auf den Fensterscheiben der Häuser glänzte, stieß die Fabrik die Menschen gleich übriggebliebenen Schlacken aus. Sie schritten die Straßen entlang, mit rußgeschwärzten Gesichtern, in der Luft den klebrigen Geruch von Maschinenöl verbreitend. Wieder war ein Tag von der Fabrik aufgezehrt. Der Tag war spurlos aus dem Leben ausgelöscht, der Mensch war dem Grab wieder einen Schritt näher gekommen. Im Verhalten der Arbeiter untereinander kam immer wieder lauernde Bosheit zum Vorschein, die ebenso unausrottbar in ihnen saß wie die Müdigkeit. Nach Hause zurückgekehrt fingen sie Streit mit den Frauen an und schlugen sie oft unbarmherzig. Das Leben floss wie ein trüber Strom langsam und gleichmäßig dahin. Und niemand hatte die Zeit oder den Willen, eine Änderung zu versuchen. Manchmal aber kamen fremde Leute in die Vorstadt, erzählten Ungewohntes. Man hörte ihnen ungläubig zu. Manche Arbeiter spürten die Hoffnung auf etwas Unklares - und sie tranken noch mehr, um diese lästige Unruhe zu unterdrücken." Musikakzent Erzähler: Im Untergrund formierten sich im Zarenreich um 1900 neue oppositionelle Strömungen von halb konservativ bis weit links. Das industrielle Bürgertum und der überwiegende Teil der Intelligenz unterstützten liberale Ideen - liberale Parteien entstanden jedoch erst im Lauf der Revolution von 1905. Einflussreichste Organisation unter den Industriearbeitern wurde nach und nach die 1898 gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei. Sie spaltete sich bald in die Fraktionen der Menschewiki und der radikaleren Bolschewiki. Beide waren vom westeuropäischen Marxismus beeinflusst. Auch manche Intellektuelle schlossen sich den Sozialdemokraten an. Der Historiker Gert Meyer: OT 10 [V]: Meyer 7: (XVIII / 0:20) "Bolschewiki" bedeutet "Mehrheitsfraktion", weil bei bestimmten Abstimmungen auf dem 2. Parteitag Mehrheitsentscheidungen zugunsten der Bolschewiki getroffen wurden. (XVIII / 0:40) Führer der Bolschewiki war Lenin, der seit den neunziger Jahren im Revolutionsprozess aktiv war. (XVIII / 1:55) Die Partei war zahlenmäßig noch sehr schwach. In der Hauptstadt Sankt Petersburg waren vielleicht tausend Industriearbeiter bei den Bolschewiki organisiert. Erzähler: Bauern und Landarbeiter unterstützten überwiegend die gemäßigte Linke, vor allem die "Partei der Sozialrevolutionäre". Sie vertrat die jahrhundertealte Forderung "Das Land dem, der es bearbeitet". Mit den Liberalen war die Linke sich einig in der Forderung nach politischer Demokratie. Ihren Vorstellungen nach sollte aber auf längere Sicht eine sozialistische Umwälzung folgen - mit der Vergesellschaftung der Banken und der Großindustrie. Außer den illegalen, mehr oder weniger linksorientierten gab es auch christlich orientierte legale Gewerkschaften. Sie verlangten bescheidene Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen, sie versicherten gleichzeitig ihre Loyalität zum Regime - das sie förderte. Diese christlichen Gewerkschaften sollten den sozialen Protest auffangen - allerdings gerieten sie selbst unter den Einfluss der Radikalen. In vielen nichtrussischen Regionen waren Nationalbewegungen aktiv, besonders in Polen, Finnland, der Ukraine und im Kaukasus. Andreas Kappeler: OT 13 Kappeler 4: (5:50) Die Unabhängigkeit war als Ziel nur bei den Polen vor 1905 ganz klar - die Wiederherstellung der Staatlichkeit, die man Ende des 18. Jahrhunderts verloren hatte. Die anderen Nationalitäten hatten nicht das Ziel, einen eigenen Staat zu gründen - bis in das Jahr 1917 nicht. (5:20) Diese Bewegungen hatten zum Teil nur kulturelle Ziele. Musikakzent Erzähler: 1903 sagte der Innenminister Wjatscheslaw von Plehwe, einer der vielen Russlanddeutschen in der zaristischen Elite: Zitator 2: "Um die Revolution aufzuhalten, brauchen wir einen kleinen siegreichen Krieg." Erzähler: Im Jahr darauf ließ sich Nikolaj II. auf einen Konflikt mit dem Kaiserreich Japan ein, dem aufstrebenden Rivalen um die Vorherrschaft in Ostasien. OT 14 [VII] Meyer 9: (II / 5:00) Dem russisch-japanischen Krieg von 1904/05 lag ein imperialer Interessengegensatz zugrunde - in der Mandschurei, in China, in Korea. (II / 7:45) In China standen Kohlegruben, Arbeitskräfte, Absatzmärkte im Visier. China war "Objekt der Begierde". Erzähler: Obwohl Japan angriff, hatte Russland die Auseinandersetzung geradezu provoziert. Die politische Mitte in Sankt Petersburg, Moskau oder Kiew war gegen und zugleich für den Krieg. Wie der Zar behaupteten auch die Liberalen "lebenswichtige wirtschaftliche und strategische Interessen" in der Pazifikregion. Andererseits kritisierten sie die offensichtliche Unfähigkeit des Oberkommandos und die technische Rückständigkeit von Armee und Flotte. Eine überlebte Staatsform, so hieß es, gefährde Russlands Zukunft als Großmacht. Die Linke lehnte den Krieg aus anderen Gründen ab. Er sei eine Auseinandersetzung zwischen den Großgrundbesitzern und Industriellen beider Länder zu Lasten der breiten Bevölkerung. Nikolaj II. und seine Regierung hatten auf einen leichten Sieg und auf ein Vergessen der innenpolitischen Konflikte in einem "nationalen Rausch" gehofft. Stattdessen erschütterte der Krieg die Fundamente des Zarenstaates. Eine russische Niederlage folgte der anderen. Seit Mitte 1904 kam es zu zahlreichen Meutereien und Streiks, ein halbes Jahr später brach die Revolution los. Im August 1905 musste der Zar einen demütigenden Frieden mit Japan schließen. Musikakzent Erzähler: Der Widerstand gegen den Krieg und die Forderung nach Demokratie und sozialen Reformen führten Anfang 1905 zur Revolution. Am 9. Januar - nach westlichem Kalender dem 22. Januar - schossen Soldaten Demonstranten in Sankt Petersburg nieder. Eine so große Protestaktion hatte es in der Geschichte des Zarenreiches noch nicht gegeben. Ähnlich wie in Paris 1789 oder in Berlin, Mailand und Wien 1848 betrat in der russischen Hauptstadt "das Volk" die historische Bühne. Der Marburger Historiker Gert Meyer über den 9. Januar 1905: OT 15 [X] Meyer 10: (II / 9:25) Es handelte sich um eine friedliche Demonstration. Eine große Menschenmenge - gezählt wurden über einhunderttausend Einwohner der Hauptstadt - war vor den Winterpalast gezogen. (XXIII / 0:55) Man erhoffte von dem Zaren, von Nikolaj II., eine Erleichterung des unerträglichen Loses. Erzähler: Gekommen waren an diesem Sonntag vor allem die Arbeiter Sankt Petersburgs. Viele hatten ihre Frauen und Kinder mitgebracht. Manche trugen Heiligenbilder in den Händen. Die Initiative zu der Aktion war von den christlichen Gewerkschaften ausgegangen. Nikolaj II. sollte ein Manifest mit der Bitte um Reformen übergeben werden. Noch immer war der Mythos vom "guten Zaren" lebendig. Unter dem seltsam widersprüchlichen Text standen 135 000 Unterschriften. An der Spitze der Demonstration ging der orthodoxe Priester Georgij Gapon. Dieser Petersburger "Arbeiterpriester" spielte eine zentrale Rolle in der christlichen Gewerkschaftsbewegung. Er war eine impulsive, etwas undurchschaubare Persönlichkeit, ein charismatischer Redner. OT 16 [XI] Meyer 11: (XXIII / 1:40) Nun hatten sich in der Mittagszeit des 9. Januar weit über hunderttausend Demonstranten auf dem Platz vor dem Winterpalast versammelt, als plötzlich Offiziere der Armee ein mörderisches Feuer befahlen. Erzähler: Die Soldaten schossen zuerst in die Luft, dann zielten sie auf die unbewaffnete Menge. Hunderte, auch Frauen und Kinder, stürzten getroffen in den Schnee. Am Abend des 9. Januar sagte Gapon auf einer Versammlung: Zitator 2: Friedliche Mittel haben versagt, jetzt müssen wir zu anderen Mitteln greifen! Zerreißt alle Bilder des Zaren und ruft ihm zu: "Sei verflucht mit deiner ganzen Brut!" Musikakzent Erzähler: An diese Ereignisse erinnerte ein halbes Jahrhundert später der sowjetische Komponist Dmitrij Schostakowitsch mit seiner schwermütigen 11. Sinfonie "Das Jahr 1905". Musikakzent OT 18 [XIV] Meyer 13: (II / 9:15) Dieser Petersburger Blutsonntag am 9. Januar 1905 war die Initialzündung der Revolution. Erzähler: Dem Schock über die Tötung friedlicher Demonstranten folgte in ganz Russland eine Welle von Demonstrationen und Streiks. Es kam immer wieder zu Zusammenstößen mit Polizei und Militär, manchmal zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen - mit Tausenden von Opfern. Die liberalen und sozialistischen Parteien gewannen rasch an Einfluss. Ihren Höhepunkt erreichte die demokratische Revolution mit einem politischen Generalstreik im September und Oktober 1905. Der Regierung Nikolajs II. schien die Kontrolle über das Land zu entgleiten. Aufstände brachen auch in den von ethnischen Minderheiten bewohnten Randgebieten des Reiches los. Dort vermischten sich nicht selten Forderungen nach Demokratie und sozialen Reformen mit einem "Nationalismus der Unterdrückten". Der Historiker Andreas Kappeler: OT 19 Kappeler 5: (12.30) Wie in Russland erhoben sich Arbeiter, Bauern, Teile der Intelligenz. Das begann mit großen Streiks in Polen, bewaffneten Zusammenstößen. Der ganze Westen des Imperiums war in Aufruhr. Ein Beispiel: bei Demonstrationen der Arbeiter in Lodz kam es zu etwa 500 Toten. Die Polen traten in Schulstreiks gegen die russischen Schulen - die polnischen Schulen waren verboten. Ähnlich in den Ostseeprovinzen, wo sich in einer Agrarrevolution lettische und estnische Bauern gegen den Adel wehrten, dessen Güter besetzten, viele Adlige töteten. Erzähler: Aufsehen erregte auch eine von der Sozialrevolutionären Partei organisierte Terrorkampagne. Ihr fielen Dutzende Vertreter des Zarenregimes zum Opfer. Unter ihnen waren Polizeioffiziere und Gouverneure, Minister und Generäle - außer dem Innenminister von Plehwe auch der Großfürst Sergej Aleksandrowitsch, der als der "starke Mann" hinter seinem Neffen Nikolaj II. galt. Die Terroristen trafen in der Öffentlichkeit weithin auf Sympathie, selbst in Teilen des liberalen Bürgertums. Man sah in ihrem Vorgehen eine legitime Antwort auf den Terror des Staates. Es kam vereinzelt zu Meutereien. Die Revolte der Matrosen auf dem Panzerkreuzer "Fürst Potjomkin" im Schwarzen Meer im Juni 1905 wurde zwanzig Jahre später in Sergej Ejsenschtejns Spielfilm zum monumentalen Epos. Das Publikum fasste den Film oft als Dokumentation auf. Aber selbst die bestürzende Szene, in der Soldaten auf der großen Treppe zum Hafen von Odessa Demonstranten niederschießen, ist Fiktion - ähnliche Massaker gab es in anderen Teilen Odessas. Unter den Matrosen waren keine Bolschewiki, aber der Film mit seinen überwältigenden Bildsprache löste weltweit Sympathien für die Sowjetunion aus. Gert Meyer: OT 20 [XV] Meyer 14: (Der Regisseur teilte den Standpunkt der Revolution, er wollte kein objektives Abbild dieser Revolution schaffen. (XXI / 2:10) Das Problem für uns heute ist, dass die Bilder dieses Films die wenigen bekannt gewordenen Originalbilder der Revolution überdecken. Wir betrachten die russische Revolution von 1905 oft durch die Bilder Eisensteins. Erzähler: Erst mit Verzögerung erfasste die Revolution die Dörfer, wo die Mehrheit der Bevölkerung lebte. Der Sommer 1905 brachte massenhafte Besetzungen von Großgrundbesitz durch Kleinbauern und Landarbeiter. Zitator 1: "Die Gutsbesitzer flohen, um ihr Leben zu retten, sie verschwanden aus den Augen des Volkes wie Stroh im Feuer". Erzähler: so sagte es der ukrainische Schriftsteller Mychajlo Kozjubynskyj. Während die revolutionäre Bewegung in den Großstädten überwiegend diszipliniert verlief, entwickelte sie sich auf dem Land oft chaotisch. Hier existierten kaum oppositionelle Organisationen, das politische Bewusstsein der Bauern war gering. Die Revolution hatte auch eine schmutzige Seite. Die Bauern besetzten nicht nur das Land und teilten es auf. Die Grausamkeit, mit der die "Herrschaften" jahrhundertelang die Bauern unterdrückt hatten, schlug nun auf sie zurück. Nicht alle konnten fliehen, es kam zu Morden, zu bestialischen Misshandlungen. Auch in der Ukraine sahen sich wenige Großgrundbesitzer unzähligen landhungrigen Bauern gegenüber. Davon handelt die Erzählung "Fata Morgana" von Mychajlo Kozjubynskyj, erschienen 1910. "Fata Morgana", eindringlich und farbig geschrieben, hält dem Vergleich mit wesentlich bekannteren Texten über diese unruhige Zeit durchaus stand - wie Maksim Gorkijs "Mutter", Leonid Andrejews Erzählung "Die sieben Gehenkten" oder Andrej Belyjs Roman "Petersburg". Kozjubynskyj hatte als Lehrer auf einem Dorf gearbeitet, als Zeitschriftenredakteur, als Statistiker. Dadurch war er mit dem Alltag der Dorfbevölkerung vertraut. Im Mittelpunkt seiner Erzählung steht eine Gruppe von Bauern und Landarbeitern, die wenig oder kein eigenes Land besitzen und von den Gutsbesitzern abhängig sind. Zitator 1: "Malanka dachte: 'Unsere Hände werden es noch erleben, sie werden die eigenen Äcker, die eigenen Gärten bestellen. Man wird dich aufteilen, Erde, man wird dich aufteilen. Ach, mein Gott, dürfte ich dieses Glück noch erleben ...' Manchmal hielt sie mitten in der Arbeit inne. Vor ihren Blicken dehnten sich die Felder in der Talebene - üppig, frisch, doch alle gehörten sie dem Gutsherrn. Wozu brauchte er das alles? Land - ein Geschenk Gottes wie die Luft, wie die Sonne. Eines Abends stand eine Gruppe von Bauern im Dunkeln zusammen. Dumpfe Stimmen waren zu hören. Hustscha sagte: "Nehmen wir ihnen das Land weg, dann hat jeder genug Brot für sich und seine Kinder.' Diesen Worten folgte eine solche Stille, dass man hören konnte, wie die Vögel in ihren Nestern raschelten." Erzähler: Am Morgen darauf versammeln sich Bauern vor dem Gutshof. Zitator 1: Der Kutscher erschien in der Tür. Hustscha forderte ihn auf, den Gutsbesitzer zu rufen. 'Er ist nicht da. Er ist in der Nacht geflohen.' Eine Welle der Erregung ging durch die Menge. 'Dann soll der Verwalter herauskommen.' Jan trat bleich, ohne Mütze aus dem Büro. Seine kalten Augen blickten unruhig auf die Menge. Unwillkürlich wich er zurück. Hustscha befahl ihm stehenzubleiben, zog ein Schriftstück aus der Tasche und faltete es auseinander. In der Stille hörte man nur das Knistern der Papierbögen. Es war, als beschäftige sich Hustscha viel zu lange damit. Schließlich richtete er sich auf und begann mit hoher, fremd klingender Stimme das Schriftstück zu verlesen. Der Beschluss der Dorfversammlung war allen schon bekannt und doch erschien er ihnen jetzt neu und feierlich. So stand die Sache - vom heutigen Tag an gehörte das Land nicht mehr dem Gutsherrn, sondern ihnen, den Bauern, das Volk nahm das Land nach Jahrhunderten wieder in seinen Besitz. Alle hörten schweigend, mit angehaltenem Atem zu. Als Hustscha geendet hatte, wandte er sich an den Verwalter. 'Wir brauchen dich nicht. Pack deine Sachen und verschwinde!' Jan wollte etwas sagen, es gelang ihm nicht. Seine blass gewordenen Lippen bewegten sich, ohne einen Laut hervorzubringen und seine zitternden Hände schienen etwas zu suchen. Er ging taumelnd wie ein Betrunkener durch die Menge. Seine Augen blickten erschrocken in jedes Gesicht, die Arme hielt er abwehrbereit, doch niemand rührte ihn an. Erzähler: Tage später dringen einige der Aufständischen in das verlassene Wohnhaus des Gutsbesitzers ein - und sehen fassungslos den Luxus der "Herrschaften". Zitator 1: Andri schüttelte drohend seinen verletzten Arm und schrie 'Alles niederbrennen!' Und die Menschen stürzten sich auf alles, was ihnen in die Hände fiel. Sie mühten sich, die Polsterstühle auseinanderzureißen, schweigend, mit zusammengebissenen Zähnen. Die Frau des Schmieds rief: 'Zerreißt nicht alles, lasst mir doch etwas!' Unter Chomas Axthieben heulte der Konzertflügel auf wie ein verblutendes Tier. Andri schrie noch einmal: 'Verbrennen!' Mehrere Männer schichteten Möbelteile auf - und zündeten sie an. Das Feuer kroch rasch und übermütig an den Vorhängen in die Höhe. Choma stieß immer wieder die Worte hervor 'Zerschlagen, niederbrennen!'. Seine zerschundenen Hände waren längst von Blut überströmt, aber er bemerkte es nicht. Musikakzent Erzähler: Die russische Gesellschaft veränderte ihr Gesicht. Im Lauf des Jahres 1905 erfasste die revolutionäre Stimmung auch Kellner, Bankangestellte oder Schauspieler. Viele Künstler unterstützten die Opposition - so die Schriftsteller Maksim Gorkij, Dmitri Mereshkowskij und Leonid Andrejew, der Maler Ilja Repin, die Komponisten Aleksandr Skrjabin und Nikolaj Rimskij-Korsakow, der Sänger Fjodor Schaljapin. An den Zeitungsständen tauchten mehr und mehr oppositionelle Blätter auf. Hunderttausende Russen - und auch Russinnen - wurden in Gewerkschaften und Parteien aktiv, die neu entstanden oder erstmals offen auftreten konnten. OT 21 [XVIII] Meyer 15: (II /1:30) In der Revolution von 1905 sehen wir ein breites Spektrum von Parteien: auf der Linken die Sozialdemokraten, gespalten in zwei Fraktionen, die Menschewiki und die Bolschewiki. Dann die Sozialrevolutionäre. In der Mitte die Konstitutionellen Demokraten, die liberale Freiheitsbewegung. Und auf der rechten Seite gegenrevolutionäre Parteien, bis hin zu ganz finsteren, reaktionären Strömungen wie den "Schwarzhundertern". Erzähler: Besonders einflussreich waren die linksliberalen "Konstitutionellen Demokraten" - nach der Abkürzung "KD" auch "kadety"/"Kadetten" genannt. Bei ihnen engagierten sich oft Lehrer, Ingenieure oder Rechtsanwälte. Zu den Wortführern der "Kadetten" gehörten Pawel Miljukow und Iwan Petrunkewitsch. Die gesamte Opposition forderte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung und eine Amnestie für die politischen Gefangenen. Linke und Liberale waren zerstritten über die Zukunft des Großgrundbesitzes und die Einführung des Achtstundentags, erst recht mit Blick auf die Entscheidung zwischen einem kapitalistischen und einem sozialistischen Wirtschaftssystem. Musikakzent Erzähler: Unabhängig von den Parteien entwickelte sich 1905 in Russland eine neue politische Organisationsform - die Räte, russisch "Sowjets". Zwölf Jahre später, im Revolutionsjahr 1917, gewannen die "Räte der Arbeiter, Bauern und Soldaten" zentrale Bedeutung. Gert Meyer über den ersten Sowjet: OT 22 [IXX] Meyer 16: (III / 0:15) Im Textilrayon der Stadt Iwanowo-Wosnessensk im Nordosten von Moskau bildete sich im Mai 1905 ein Streikkomitee. Verschiedene Betriebe streikten. Die Streikkomitees dieser Betriebe bildeten einen Arbeiterrat, eben jenen ersten Sowjet. Es war ein gemeinsames Streikkomitee verschiedener Betriebe, das einen einheitlichen Auftritt vor den Unternehmern sichern sollte, das für Disziplin sorgte während der Streikaktionen, das gegen Plünderungen Maßnahmen traf. Erzähler: Im Lauf des Jahres 1905 entstanden in etwa fünfzig Städten aus Streikkomitees solche Räte. Sie wurden manchmal zu lokalen Gegenregierungen, sie stellten bewaffnete Einheiten auf, kontrollierten Lebensmittelpreise und Mieten, führten den Achtstundentag in den Fabriken ein. Am einflussreichsten war der Petersburger Sowjet. Dabei existierte er nicht einmal drei Monate lang. An den Wahlen im Oktober 1905 beteiligte sich etwa die Hälfte der Arbeiter und Arbeiterinnen der Hauptstadt. Unter den 562 Delegierten waren gerade sechs Frauen. Von den fünfzig Mitgliedern des Exekutivkomitees gehörten je sieben zu Menschewiki, Bolschewiki und Sozialrevolutionären - die Mehrheit war parteilos. Einflussreichste Persönlichkeit dieses Sowjets war ein Intellektueller, der erst 26jährige Sozialdemokrat Lew Trozkij - ein dynamischer, etwas arroganter Journalist, ein mitreißender Redner. Die Sowjets stützten sich in erster Linie auf Industriearbeiter und Eisenbahner, sie waren nicht repräsentativ. Dennoch waren sie ein wichtiger Teil der Demokratiebewegung, solange es keine gewählten Vertretungen der gesamten Bevölkerung gab. Musikakzent Erzähler: Nach dem Massaker vom 9. Januar, dem "Blutigen Sonntag", blieb das Regime zunächst erstaunlich unbeeindruckt, es setzte lange nur auf Gewalt - erfolglos. Ihren Höhepunkt erreichte die Revolution im September/Oktober 1905 mit einem politischen Generalstreik. Erst während dieses wochenlangen Streiks ging Nikolaj II. zu einer flexibleren Politik über. Am 9. Oktober suchte Graf Sergej Witte, der langjährige Finanzminister, den Zaren auf und warnte ihn vor einer möglichen Katastrophe für das Regime. In seinen Erinnerungen schreibt Witte: Zitator 2: Die Unruhe wuchs von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde und riss alle Klassen der Bevölkerung mit sich. Die Arbeiter gerieten völlig in die Hände der Revolutionäre. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass ganz Russland in Aufruhr geraten war, dass die allgemeine Parole hieß "Mit dem bestehenden Regime muss ein Ende gemacht werden!". Erzähler: Witte hatte ein Manifest entworfen: es versprach eine annähernd demokratische Verfassung und freie Wahlen. Er überzeugte den Zaren nur mit Mühe. Am 17. Oktober 1905 wurde das Manifest veröffentlicht. Am 20. Oktober ernannte Nikolaj II. Sergej Witte zum Ministerpräsidenten. Gert Meyer: OT 23 [XX] Meyer 17: (XV / 0:30) Sein Vater war Balte niederländischer Herkunft. Witte hat seinen sozialen Aufstieg aus eigener Kraft geschafft - er begann seine Karriere als Fachmann im Eisenbahnwesen. Er wird 1892 Verkehrsminister, kurz darauf Finanzminister. (XV / 0:15) Witte war kein Liberaler, kein Demokrat. Er war ein Staatsmann, der staats- und zarentreu bis zu seinem Ende blieb - Witte ist gestorben 1915. Aber er war weitblickend und klug. Erzähler: Die neue Regierung lockerte die Zensur. Auf andere Veränderungen verweist Andreas Kappeler: OT 24 Kappeler 6: (3:35) Freiheiten und Rechte auch für die Nationalitäten wurden verkündet. (14:40) Ein Parlament, in dem auch die Nichtrussen vertreten waren. Gleichzeitig wurden nationale Diskriminierungen, Sprachverbote zurückgefahren. Die Ukrainer konnten erstmals wieder ukrainische Publikationen drucken. Die Russifizierung in Polen wurde vermindert. In Finnland wurde die Autonomie wiederhergestellt. Die Juden allerdings wurden nicht gleichgestellt. Erzähler: Weite Teile der Öffentlichkeit nahmen das Manifest mit Begeisterung auf, der Generalstreik wurde abgebrochen. Der Weg zur Demokratie schien frei. Diese Stimmung spiegelt sich in einem monumentalen Gemälde des angesehensten russischen Malers jener Zeit, Ilja Repin. Sein großformatiges Bild "Oktobermanifest" zeigt eher bürgerliche Demonstranten, die in geradezu überschwenglichen Jubel ausbrechen. Es wirkt fast kitschig - und schwächer als viele frühere Arbeiten Repins, die in alltäglichen Szenen die Brutalität der Verhältnisse im Zarenreich festhielten. Für Nikolaj II. oder General Trepow war das Manifest nur ein Manöver, um Zeit zu gewinnen und die Opposition zu spalten. Sie wollten die Zugeständnisse möglichst rasch wieder rückgängig machen. Die radikale Opposition warnte vor Illusionen. Eine populäre Karikatur zeigte einen ausgemergelten angeketteten Hund, vor und nach den "Nikolajs freien Wahlen" - danach war seine Kette ein Stück länger. Musikakzent Erzähler: Nach dem Oktober-Manifest kam es zu einer Entfremdung zwischen Liberalen und Sozialisten. Die linksliberalen Konstitutionellen Demokraten blieben zwar in der Opposition, gingen aber auf Distanz zur Linken. Ihr Wortführer Iwan Petrunkewitsch erklärte: Zitator 2: Wir müssen dem Volk klar machen, dass mit Gewalt nichts erreicht werden kann. Wir können den Sturm nicht aufhalten - aber wir müssen versuchen, eine allzu große Erschütterung zu vermeiden. Erzähler: Im "Herbst der Reformen" kam es außerdem zu einem Ausbruch rechter Gewalt "von unten". Erstmals formierte sich sich in Russland eine nationalistische Massenbewegung - der "Bund des russischen Volkes", populär "die Schwarzhunderter" genannt, da ihre Aktivisten schwarze Kleidung bevorzugten. Ihre Anführer waren gewöhnlich Intellektuelle, Beamte oder Offiziere. Die Mehrzahl der Mitglieder kam aus dem städtischen Kleinbürgertum - Händler, Gastwirte, Hausmeister. Die Rechtsradikalen organisierten unzählige Übergriffe auf Oppositionelle, vor allem waren sie verantwortlich für antijüdische Pogrome. Gert Meyer: OT 27 [XXIV] Meyer 19: (XXVI / 1:05) Es liegen Angaben für eine Woche vor im Oktober 1905, wo 3500 jüdische Opfer zu beklagen sind, Opfer der Schwarzhunderter. Der Pogrom in Odessa ebenfalls vom Oktober forderte 700 Opfer. Erzähler: Keine zwei Monate nach dem "Freiheitsmanifest" ging das Zarenregime zur Gegenoffensive über. Am 3. Dezember gelang es, die führenden Vertreter der Linken Sankt Petersburgs zu verhaften. In der Hauptstadt gab es überraschend wenig Protest. In Moskau dagegen brachen Unruhen aus, Arbeiter brachten Gewehre und Revolver aus Waffengeschäften, Polizeirevieren und einzelnen Kasernen an sich. Am 12. Dezember kontrollierten die Aufständischen den größten Teil der Metropole. Der Aufstand scheiterte. Die Liberalen lehnten ihn ab, es gab kaum Unterstützung außerhalb der Stadt, mehrere Meutereien im Militär brachen zusammen. Die Linksparteien hatten ihre Stärke folgenschwer überschätzt. Die Armee setzte Artillerie gegen die Barrikaden ein. Schon am 18. Dezember war die Revolte niedergeschlagen. Es gab über tausend Tote, darunter viele unbeteiligte Zivilisten. Hunderte Aufständische wurden unmittelbar nach ihrer Gefangennahme erschossen. Diese Niederlage war der Wendepunkt der ersten russischen Revolution. Es folgten - zunächst nur gegen die Linke gerichtet - das Verbot von Zeitungen und Organisationen, Massenverhaftungen, Hinrichtungen ohne Prozess. Witte versuchte die "Hardliner" zu mäßigen, war aber für den Staatsterror mitverantwortlich. Eine absurde Situation: all das geschah, während der Wahlkampf für das erste russische Parlament anlief, das im April 1906 zusammentreten sollte. Noch vor dem ersten Jahrestag des "Blutigen Sonntags" war die demokratische Revolution in Russland gescheitert - auch wenn die Auseinandersetzungen sich noch anderthalb Jahre, bis zum Sommer 1907, hinzogen. Gert Meyer nennt Gründe für die Niederlage: OT 28 [XXVI/XVII] Meyer 20: (VIII / 0:20) Insgesamt konnte sich das zaristische Reich auf seine Truppen verlassen. Mit diesen Truppen wurde die Revolution dann niedergeworfen. (VI / 1:30) Die Aktionen in den Städten und auf dem flachen Land waren nicht miteinander koordiniert. Hier sehen wir ein zusätzliches Problem der Revolution. Erzähler: Es dauerte nach dem Moskauer Aufstand noch anderthalb Jahre, bis die Revolution endgültig niedergeworfen war. Die Regierung nahm die demokratischen Zugeständnisse vom Herbst 1905 nach und nach zurück. Die Liberalen wurden an den Rand der Illegalität gedrängt, die linken Parteien, die Gewerkschaften und die Bauernbewegung brutal unterdrückt. Es kam zu zahlreichen Massakern "von Staats wegen" und zu einer neuen Welle von Judenpogromen. In der Zeit der beginnenden Gegenrevolution versammelte sich im Frühjahr 1906 das erste russische Parlament. Das war nicht so sehr ein Erfolg der Demokratiebewegung, eher ein Versuch des Regimes, die Opposition für eine Weile abzulenken. In allen wesentlichen Fragen behielt der Zar sich das "letzte Wort" vor, er ernannte und entließ die Regierung. Dennoch war dieses Parlament, die "Duma" - deutsch "Ratsversammlung" - in den ersten anderthalb Jahren eine Tribüne der Opposition. Bis 1914 folgten noch drei Parlamentswahlen. Zunächst gewannen demokratische Parteien eine breite Mehrheit. Aber allein schon das - immer weiter verschärfte - ungleiche Wahlrecht machte die Duma zum Zerrbild einer Volksvertretung und garantierte ab Mitte 1907 loyale Mehrheiten. So zählte die Stimme eines Gutsbesitzers so viel wie die Stimmen von 45 Arbeitern. Frauen durften nicht wählen. Ministerpräsident Sergej Witte befürchtete schon nach wenigen Monaten, vom Zaren als Strohmann benutzt zu werden. Im April 1906 drängte Nikolaj II. ihn zum Rücktritt. Die Gegenrevolution verlief mühsam. Protestkundgebungen, Meutereien, Streiks und Landbesetzungen gingen noch bis Anfang 1907 weiter. Dieser Widerstand war zuletzt völlig zersplittert. Nicht nur Organisations- und Pressefreiheit, auch die meisten sozialen Errungenschaften wurden rückgängig gemacht - wie der Achtstundentag in der Industrie. Überall nahmen die Gutsbesitzer das Land wieder in Besitz. OT 29 Kappeler 8: (17:45) Die Nichtrussen kamen wieder verstärkt unter Beschuss. Ihre Rechte wurden eingeschränkt. Erzähler: Andreas Kappeler. Willkürurteile gegen Oppositionelle und außergesetzliche Hinrichtungen waren an der Tagesordnung. Mit besonderer Grausamkeit ging der Staat gegen die rebellischen Bauern vor. Der Terror von Polizei, Militär und Schwarzhundertern forderte seit 1906 wahrscheinlich an die sechzigtausend Tote - genaue Zahlen fehlen. Auch die Anführer der Meuterei auf dem Panzerkreuzer "Potjomkin" wurden erschossen. Die meisten Führer der Revolution allerdings entkamen ins Ausland. Eine erfolgreiche Strategie war auch die Unterwanderung der oppositionellen Parteien durch den Geheimdienst. Das trug erheblich zur Demoralisierung der Revolutionäre bei. Besonderes Aufsehen erregte die "Affäre Gapon". Der Arbeiterpriester Georgij Gapon, zu Anfang der populärste Führer der Revolution, hatte sich der Sozialrevolutionären Partei angeschlossen. Es stellte sich heraus, dass er informeller Mitarbeiter des Geheimdienstes war und viele seiner "Mitkämpfer" verraten hatte. Eine Gruppe aufgebrachter Arbeiter lynchte ihn. 1908 war "alles vorbei" - vorerst. In der russischen Gesellschaft breitete sich eine Stimmung der Resignation aus. Musikakzent Erzähler: In den letzten zwei Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wieder deutlicher spürbar. Im Frühsommer 1914 kam es in Sankt Petersburg zu einem Generalstreik und zu Straßenkämpfen. Der Erste Weltkrieg, der kurz danach begann, ließ die Regierung und große Teile der Opposition unerwartet zusammenrücken. Nach zwei Jahren nahmen in der Bevölkerung die Forderungen nach einem Ende des Krieges unüberhörbar zu. In der demokratischen Februarrevolution von 1917 wurde dann Wirklichkeit, was 1905 trotz aller Opfer nicht gelang - der Sturz des Zaren und der Übergang zur Demokratie. Musik 2. Stunde Musik: Dmitrij Schostakowitsch, 2. Sinfonie op. 14 Zitator 1: Auf der menschenleeren Straße kam uns ein Mann entgegengelaufen. "Liebe Leute!" rief er und packte mich an der Hand. "Habt ihr es schon gehört? Wir haben keinen Zaren mehr!" Er tauscht mit uns allen Küsse, schluchzte auf und lief weiter. OT 1 Hildermeier 1: (II / 25:05) Erst die Februarrevolution hat eine liberale parlamentarische Demokratie auf den Weg gebracht. OT 2 Penter 1: (IL / 0:45) Die Bolschewiki haben im Februar keine Rolle gespielt. OT 3 Kappeler 1: (I / 8:45) Im Lauf des Jahres 1917 machte sich unter Russen und Nichtrussen Kriegsmüdigkeit breit. Zitator 1: Die Kosaken gingen nahe an den Gefallenen vorbei. Ein schwerer, süßlicher Leichengeruch strömte ihnen entgegen. Sie blieben stehen, nahmen die Mützen vom Kopf und betrachteten die Toten mit zitternder Angst und tierhafter Neugierde. Sie zählten sie - es waren 47, die meisten sehr jung. OT 4 Penter 2: (XLVI / 0:10) Es entsteht so etwas wie ein Machtvakuum. Zitator 2: Vergeblich suchte die Provisorische Regierung Unterstützung. Die Straße gehört uns. Überall bewegen sich bewaffnete Abteilungen durch die Straßen. Alle wichtigen Punkte der Hauptstadt gehen in unsere Hände über, fast ohne Widerstand, ohne Opfer. Musikakzent Erzähler: Im Februar 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, setzten Massendemonstrationen und Streiks dem verhassten Regime von Zar Nikolaj II. ein Ende. Das wichtigste Ziel der gescheiterten demokratischen Revolution von 1905 bis 1907 war erreicht. Liberale und gemäßigte Sozialisten organisierten eine "Provisorische Regierung". Aber die Februarrevolution führte ins Chaos. Die politische Mitte geriet in Widerspruch zu weiten Teilen der Bevölkerung, die ein rasches Ende des Krieges forderten. Noch dazu schob die Regierung Wahlen und damit auch die erwarteten Sozialreformen auf. Im Oktober 1917 übernahmen die Bolschewiki - die äußerste Linke - mit wenig Anstrengung die Macht. Sie riefen einen "Staat der Arbeiter und Bauern" aus, der sich jedoch als bürokratische Diktatur erwies. Hätten die Revolutionäre des Februar sich nicht selbst diskreditiert, würde Russland heute vielleicht auf hundert Jahre Demokratie zurückblicken. Musikakzent Erzähler: Entscheidend für die revolutionäre Stimmung 1917 war die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Die imperialen Ansprüche des Zarenregimes hatten zu seinem Ausbruch 1914 beigetragen. Der Krieg gegen Deutschland, Österreich-Ungarn und die Türkei sollte außerdem von den tiefen Rissen in der russischen Gesellschaft ablenken. Das gelang eine Zeitlang tatsächlich. Das liberale Bürgertum teilte die Großmachtziele, unerwartet arbeiteten auch viele linke Politiker "zur Verteidigung des Vaterlandes" mit der Regierung zusammen. Mit Blick auf die ethnischen Minderheiten stellt der Wiener Historiker Andreas Kappeler fest: OT 5 Kappeler 2: (II / 19:25) Grundsätzlich kam es zu einem Schulterschluss 1914, man verteidigte gemeinsam das Vaterland: Loyalität zu Beginn. Die Regierung hatte aber Misstrauen gegenüber den Nichtrussen, zweifelte an ihrer Loyalität. (II / 21:10) Die Muslime wurden auch verdächtigt, nämlich der Kollaboration mit dem Osmanischen Reich, das ja zu den Gegnern Russland gehörte. (II / 22:15) 1916 erhoben sich die Nomaden Zentralasiens gegen die Einberufung in die Armee. Zitator 2: Dieser Krieg ist ein Eroberungskrieg. Die Kapitalisten aller Länder führen ihn zur Steigerung ihrer Profite. Dem werktätigen Volk wird dieser Krieg nichts als Vernichtung und Grauen bringen. Erzähler: So kompromisslos lehnte nur eine Partei den Krieg ab - die Bolschewiki um die "Berufsrevolutionäre" Wladimir Iljitsch Lenin, Lew Kamenew und Grigorij Sinowjew. Sie forderten, von Sankt Petersburg bis Paris, von Berlin bis London sollten Soldaten, Bauern und Arbeiter einen Bürgerkrieg gegen die Regierung und gegen die Gutsbesitzer, Industriellen und Bankiers des eigenen Landes beginnen. In Deutschland vertrat nur eine kleine Gruppe um Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Franz Mehring eine ähnliche Position. Die Aufrufe der Bolschewiki aus dem Untergrund zu Befehlsverweigerung und Aufstand verhallten lange ungehört. Aber der Krieg brachte dem Regime Nikolajs II. den Untergang. Die russische Armee erlitt katastrophale Niederlagen. Zudem hatte 1915 der militärisch fast ahnungslose Herrscher den Oberbefehl übernommen. OT 6 [10] Hildermeier 2 [5]: (2:15) Das war eine höchst unglückliche Entscheidung, die er da getroffen hat, denn damit hat er die Verantwortung übernommen für mögliche Niederlagen. Erzähler: Der Göttinger Historiker Manfred Hildermeier. Ende1915 schrieb Maksim Gorki aus der Hauptstadt an seine Frau: Zitator 1: Wir bekommen bald eine Hungersnot. Ich rate Dir, Brot zu kaufen und es zu verstecken. Es ist sehr kalt und die Menschen haben kein Brennmaterial. Die Anzahl von Kinderprostituierten ist erschreckend. Nachts sieht man sie die Gehwege entlangschlurfen, blau vor Kälte und Hunger. Zur Hölle mit allem, wie schwer ist das Leben doch geworden. Erzähler: Auch die massive Korruption in der Zarenregierung trug zum Zerwürfnis mit Linken, Liberalen und gemäßigten Konservativen bei. Für Empörung sorgte schließlich die Affäre um den okkultistischen "Heiler" Grigorij Rasputin, der Einfluss auf Nikolaj II. gewonnen hatte. Adlige Verschwörer ermordeten Rasputin. 1916 schrieb der angesehene liberale Politiker Georgij Lwow an den Zaren: Zitator 2: Für den Sieg im Krieg vergaß das Volk seine Unterdrückung. Aber die Entfremdung zwischen der Regierung und dem Volk ist gefährlich, verhängnisvoll. Erzähler: In einem Brief Lwows an den Parlamentspräsidenten hieß es: Zitator 2: Die Unterlassung einer ganzen Reihe von Maßnahmen, die der Krieg erfordert, führen zu der Folgerung, dass die Regierung nicht nur ziellos, sondern verbrecherisch Menschen und Material des Landes aufs Spiel setzt. Die Volksvertreter halten es für notwendig, den Krieg bis zum siegreichen Ende fortzusetzen. Die Regierung dagegen führt das Land auf den Weg des Untergangs. Erzähler: Es kam zu Unruhen unter den Frontsoldaten, angesichts von Hunger und Inflation auch unter der städtischen Bevölkerung. Soldaten weigerten sich, auf Streikende zu schießen. Wachsende Vorbehalte gegen Nikolaj II. - aus ganz anderen Gründen - gab es auch unter der Militärführung: OT 7 [11] Hildermeier 3 [6]: (1:45) Die hat seit 1916 erkannt, dass mit diesem Zaren das Land nicht zu mobilisieren war - und dass das Voraussetzung war, um den Krieg noch zu gewinnen. Erzähler: Anfang 1917 hatte der Zar jeden Rückhalt verloren. Musikakzent Zitator: In allen Fabriken der Hauptstadt haben die Anhänger des Streiks die Oberhand gewonnen. Um zwei Uhr mittags begannen an vielen Stellen Unruhen, die von Soldaten angezettelt wurden. Haufen von Menschen zogen durch die Straßen und schrien "Nieder mit dem Krieg, nieder mit der Polizei!". Vor allem die massenhafte Beteiligung von Offizieren an den Demonstrationen zog Aufmerksamkeit auf sich. Erzähler: Aus einem Bericht der Geheimpolizei von Petrograd vom 13. Februar 1917. Warum Petrograd? Die Regierung hatte Sankt Petersburg während des Krieges umbenannt - der Name klang "zu deutsch". Unter den Protestierenden waren auffallend viele Fabrikarbeiterinnen. Frauen hatten seit der Einberufung der meisten Männer in die Armee einen großen Teil der Arbeitsplätze übernommen. Am 23. Februar 1917, dem Internationalen Frauentag, beteiligten sich in Petrograd und Moskau Zehntausende an Streiks und Demonstrationen. Ende Februar, Anfang März ging die Protestbewegung in eine demokratische Revolution über. In Petrograd und in anderen Großstädten kam es zu Straßenkämpfen. Noch am 26. Februar notierte der Zar unbeeindruckt in sein Tagebuch: Zitator 2: Um zehn Uhr ging ich zum Gottesdienst. Zum Frühstück waren viele Menschen und alle ausländischen Vertreter da. Ich fuhr zur Bobruiskij-Kapelle, wo ich spazieren ging. Es war klares Frostwetter. Nach dem Tee las ich. Spielte abends Domino. Erzähler: Am nächsten Tag schickte der Kommandant der Hauptstadt ein Telegramm an das Hauptquartier: Zitator 2: Die Mehrheit der Truppen hat den Gehorsam verweigert und will nicht gegen die Aufständischen kämpfen. Erzähler: Die Führung der Protestbewegung übernahmen - zögernd, von den Ereignissen überrascht - die liberale Partei der "Konstitutionellen Demokraten" und die "Sozialrevolutionäre". Die Bolschewiki spielten zunächst kaum eine Rolle. Manfred Hildermeier über das Schicksal Nikolajs II.: OT 8 [12] Hildermeier 4 [7]: (3:20) Als die Streiks zum Sturz des Regimes führten, da hat ihn die Eisenbahnergewerkschaft, als er versuchte, mit einem Sonderzug zurück nach Petrograd zu kommen, auf einem Gleis abgestellt. Erzähler: Demokratische Politiker und hohe Militärs drängten den Zaren zur Aufgabe. Er versuchte noch, einen seiner Brüder als Nachfolger durchzusetzen - dieser lehnte jedoch ab. Am 3. März unterzeichnete Nikolaj II. die Abdankungsurkunde. Die genaue Zahl der Toten in der Februarrevolution ist nicht bekannt. Wahrscheinlich waren es mehrere tausend - auf jeden Fall wesentlich weniger als in der gescheiterten Revolution von 1905. Der Schriftsteller Konstantin Paustowskij hielt sich als junger Reporter in der Kleinstadt Jefremow südlich von Moskau auf, als die Nachricht vom Sturz des Zaren sich verbreitete: Zitator 1: Es war ein stiller, verschneiter Abend. Ich war nach dem Essen noch bei dem Journalisten Ratschinskij geblieben. Seine Frau strickte. Da klopfte es plötzlich laut an das Fenster, rasch und aufgeregt. Alle fuhren zusammen. Ratschinskij öffnete die Tür, der junge Lehrer Ossipenko stürzte in Hut und Mantel ins Zimmer. "In Petersburg ist Revolution" rief er uns zu, "die Regierung ist gestürzt". Die Stimme versagte ihm, er sank auf einen Stuhl und begann heftig zu weinen. Bei den anderen herrschte einen Augenblick lang vollkommene Stille. Dann packte Ratschinskij Ossipenko an der Schulter und rief "Wann? Wie? Sprechen Sie doch!" "Hier ... hier!", stieß Ossipenko hervor und zog aus der Tasche seines Mantels ein langes schmales Telegrafenband. Ich nahm es ihm aus der Hand und begann laut, den Aufruf der Provisorischen Regierung vorzulesen. Meine Hände zitterten. "Was soll man tun?" fragte Ossipenko aufgeregt, als ich fertig war. Da sagte Ratschinskij Worte, für die man ihm alle seine Fehler verzeihen konnte: "Man muss diesen Aufruf sofort drucken. Und ihn in der ganzen Stadt anschlagen. Und Verbindung mit Moskau aufnehmen. Gehen wir!" Auf der menschenleeren Straße kam uns ein Mann entgegengelaufen, nur halb angezogen. "Liebe Leute!" rief er und packte mich an der Hand. "Habt ihr es schon gehört? Wir haben keinen Zaren mehr!" Er tauscht mit uns allen Küsse, schluchzte auf und lief weiter. "Na, und wir?" sagte Ossipenko. "Wollen wir einander nicht auch gratulieren?" Wir umarmten und küssten uns. Ratschinskij ging aufs Telegrafenamt, um die weiteren Nachrichten aus Petrograd und Moskau zu verfolgen. Ossipenko und ich suchten eine kleine abgelegene Druckerei auf. Sie war geschlossen. Während wir noch versuchten, das Schloss aufzuschlagen, erschien ein geschäftiger Mann mit einem Bund Schlüssel, sperrte auf und machte Licht. Es erwies sich, dass er der einzige Setzer und Drucker in Jefremow war. Ich diktierte ihm den Text des Aufrufs. Bald brachte man uns ein neues Telegramm - es war der Befehl der Provisorischen Regierung, den Zug des Zaren an der Weiterfahrt zu hindern, wo immer er auftauchen sollte. Bald stand die Druckerei voller Menschen. Sie griffen die Packen mit dem Aufruf, liefen hinaus und klebten die Bogen an Mauern und Zäune. Inzwischen war es ein Uhr nachts geworden. Auf einmal erklang ein weithin hallender Schlag der Kirchenglocke. Dann ein zweiter, dritter, schon dröhnte starkes Geläut. Bald schlossen sich die Glocken der Kirchen in der Umgebung der Stadt dem Läuten an. Hinter den Fenstern flammten Lampen auf. Die Straßen füllten sich mit Menschen. Viele Haustüren standen weit offen. Unbekannte fielen einander weinend in die Arme. In den nächsten Tagen kam im Saal der Stadtverwaltung ununterbrochen die Einwohnerschaft zusammen. Die Luft war verbraucht vom Atmen der vielen Menschen. Draußen flatterten im Februarwind rote Fahnen. Bauern strömten in die Stadt, um Neues zu erfahren. Überall debattierten laute Stimmen über Landaufteilung und Entschädigungszahlungen an die Gutsbesitzer. An den Straßenkreuzungen standen alte Männer mit roten Armbinden und Revolvern in den Gürteln, die Volksmiliz. In den Kirchen fanden Gottesdienste für die neue Regierung in Petrograd satt. In Jefremow tauchten auf einmal begeisterte Redner auf - meist Arbeiter aus den Eisenbahnwerkstätten. Und wie bestellt kamen nun sonnige Tage mit funkelnden Tropfen tauenden Schnees und mit warmem Wind, der die Fahnen rauschen ließ und fröhliche Wolken über die Stadt trug. Erzähler: Das war ein Ausschnitt aus der Autobiografie von Konstantin Paustowskij. Wie erlebte die Metropole Odessa am Schwarzen Meer die Revolution? Die Heidelberger Historikerin Tanja Penter hat ein eindrucksvolles Buch "Odessa 1917" geschrieben: OT 9 Penter 3: (XLII / 0:05) Odessa war die viertgrößte Stadt des damaligen russischen Imperiums - nach Sankt Petersburg, Moskau und Warschau. Mit einer sehr heterogenen Bevölkerung. Etwa ein Drittel waren Juden. Darüber hinaus hatte Odessa auch eine wirtschaftliche Bedeutung - zunächst war es im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Getreidehafen aufgestiegen, zu einer Boomtown, die Arbeitsmigranten von überall aus dem Reich angezogen hat. (XLIII / 0:05) Das ändert sich mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der Odessaer Hafen musste seine Arbeit nahezu ganz einstellen. Gleichzeitig orientierte sich die Wirtschaft um auf Rüstungsproduktion. (1:15) Die Nachricht vom Sturz der Zarenregierung in Petrograd erreichte Odessa mit Verzögerung und die Bevölkerung nahm diese Nachricht freudig auf. (XLIV / 1:35) Es gab keine Opfer in Odessa. Musikakzent Erzähler: Wie ging es in Petrograd weiter? OT 10 [13] Hildermeier 5 [8]: (12:20) In der Februarrevolution hat sich ein Komitee des Parlaments gebildet und hat, als der Zar abtrat, die Macht übernommen. Es gab ja noch die Duma, das Parlament - es ist eine Vertretung der bürgerlich-städtischen und adligen Elite gewesen. Erzähler: Auch wenn man die Duma - 1912 gewählt - wegen des ungleichen Wahlrechts nicht als demokratisches Parlament ansehen konnte, so waren in ihr doch oppositionelle Abgeordnete vertreten. Am 1. März 1917 telegrafierte der Dumapräsident an den Generalstabschef: Zitator 2: Das Komitee von Mitgliedern der Duma teilt Euer Exzellenz mit, dass der gesamte Ministerrat abgesetzt und die Regierungsgewalt auf das Komitee übergegangen ist. Erzähler: Georgij Lwow von den Konstitutionellen Demokraten, ein nachdenklicher und zugleich energischer Politiker, führte die neue Provisorische Regierung aus Liberalen und gemäßigt Konservativen. Einziger Vertreter der Linken - zuerst Justizminister, dann Kriegsminister - war der Sozialrevolutionär Aleksandr Kerenskij, ein populärer Rechtsanwalt. Musikakzent Erzähler: Die Provisorische Regierung versprach freie Wahlen, sie garantierte grundlegende demokratische Rechte - so die Freiheit der politischen und gewerkschaftlichen Organisation und der Presse, die Unabhängigkeit der Justiz, das Wahlrecht für Frauen, die Gleichberechtigung der ethnischen und religiösen Minderheiten. Das war mehr als die meisten europäischen Demokratien und die USA damals erreicht hatten. Einflussreichste Partei in den Monaten nach der Februarrevolution wurden die Sozialrevolutionäre, die vor allem die Landbevölkerung vertraten und auf eine Art bäuerlichen Sozialismus setzten. Eine wichtige Rolle spielten zunächst auch die "Konstitutionellen Demokraten". In Opposition zur Provisorischen Regierung standen - außer den geschwächten Rechtsaußen-Parteien - die marxistischen Bolschewiki. Die demokratischen Parteien waren sich einig über weitreichende soziale Reformen nach den Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung. Dann sollte das Land der Großgrundbesitzer an die vielen Millionen Kleinbauern und Landarbeiter verteilt werden - umstritten zwischen Liberalen und Linken war die Höhe der Entschädigungen. Die Industriearbeiter erwarteten Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen. Das war nicht alles. Der Historiker Andreas Kappeler: OT 11 [14] Kappeler 3 [6]: (0:40) Obwohl die Russen weniger als die Hälfte der Bevölkerung des Imperiums stellten, war die Februarrevolution eine russische Revolution. Die nichtrussischen Nationalitäten reagierten aber auf die Revolution, sie nutzten den neuen Spielraum, den ihnen die demokratische Republik bot. (18:40) Es entstanden nach der Februarrevolution sehr schnell eine nationale, muttersprachliche Presse und nationale Parteien, ein Aufschwung der nationalen Kulturen. (1:30) Schon eine Woche nach der Revolution trat in Kiew eine Art Vorparlament zusammen, die Zentral-Rada. Sie forderte für die Ukraine eine Autonomie im Rahmen eines föderativ gegliederten russischen Staates. Erzähler: Diese Forderungen lehnte die Provisorische Regierung ab. Auf allen Seiten war auch Nationalismus im Spiel. Das sollte in den folgenden Jahren noch zu erbitterten Auseinandersetzungen führen. Musikakzent Zitator 2: Die Regierung wird ihr Möglichstes tun, damit die Armee den Krieg zu einem siegreichen Ende führen kann. Erzähler: So hieß es schon im ersten "Manifest der Provisorischen Regierung". Für die Mehrheit der Bevölkerung war die Beendigung des Kriegs - nicht der Sieg - die entscheidende Frage. In Worten unterstützten alle demokratischen Parteien einen raschen Frieden. Tatsächlich aber setzten die Politiker um Lwow und Kerenskij nach der Revolution den Krieg fort. Musikakzent Erzähler: Das öffentliche Leben in Russland veränderte sich im unruhigen Frühjahr 1917 völlig. Tanja Penter über die Aufbruchstimmung in Odessa: OT 12 Penter 4: (XLVII / 1:30) Man konnte nun jenseits der früheren Bedingungen von Zensur und Geheimpolizei sich auf den Straßen versammeln, in den Fabriken - und über aktuelle politische Themen diskutieren. Wir sehen auch, dass eine Welle von Selbstorganisation die Stadtbevölkerung ergreift. (II - XXXI / 1:15) Soldatenfrauen in Odessa - nach der Februarrevolution sind sie eine Gruppe, die sich organisiert - und besonders radikale Formen des Protests zum Ausdruck bringt. Das sind Frauen, die ganz besonders von den wirtschaftlichen Problemen getroffen sind - ihre Männer sind bei der Armee, sie müssen ihre Kinder weiter versorgen, sie leiden in besonderem Maß unter der Versorgungskrise. Erzähler: In vielen Städten ergriffen Frauen in der Öffentlichkeit das Wort, am 19. März 1917 demonstrierten in Petrograd zehntausemde für mehr Rechte in Politik, Arbeitswelt und Familie. Vor allem in den linken Parteien hatten schon zuvor einzelne Frauen Führungspositionen übernommen - etwa Katarina Breschko-Breschkowskaja und Marija Spiridonowa bei den Sozialrevolutionären, Aleksandra Kollontaj und Nadeshda Krupskaja bei den Bolschewiki. Eine besonders einflussreiche Form von Selbstorganisation waren die "Räte". Die Provisorische Regierung besaß - wie auch das Duma-Komitee - kein eindeutiges demokratisches Mandat. Gleichzeitig wählten Soldaten, Arbeiter, manchmal auch Bauern - wie in der Revolution von 1905 - "Sowjets", "Räte". Schließlich formierte sich ein "Gesamtrussischer Rätekongress". Räte gab es längst nicht überall, die Abstimmungen verliefen oft chaotisch. Die bürgerlichen Schichten beteiligten sich gewöhnlich nicht. Die Linke war fast überall in der Mehrheit. Der Historiker Manfred Hildermeier: OT 13 [15] Hildermeier 6 [9]: (12:15) Es haben sich im Februar zwei Repräsentativorgane herausgebildet - deshalb spricht man für die ganze Zeit bis zum Oktoberumsturz von der Doppelherrschaft. (10:55) Die Räte haben sich als basisdemokratisch verstanden. (13:35) Alle Entscheidungen der Provisorischen Regierung sind zwischen der Duma und dem Arbeiter- und Soldatenrat abgesprochen worden. Erzähler: Ein Blick nach Odessa: OT 14 Penter 5: (XLVIII / 2:15) Da sehen wir, dass sich nach der Februarrevolution in Odessa wie in vielen anderen Städten solche Arbeiterräte bildeten. (L / 0:20) Man sieht, dass auch die verschiedenen ethnischen Gruppen der Stadtbevölkerung in den Räten repräsentiert werden. Der Anteil der Frauen ist noch sehr klein, mit nur sechs Prozent. Ein großer Teil kam auch aus dem Kreis der Angestellten - kleine Angestellte aus Geschäften, auch Handwerker aus Werkstätten. Musikakzent Erzähler: Auf die Mitte-Rechts-Regierung in Petrograd folgte im Mai angesichts zunehmender Proteste in der Bevölkerung eine Mitte-Links-Koalition, wieder unter Leitung Georgij Lwows. Jetzt stellten zwei linke Parteien die Mehrzahl der Minister - die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki, die wie die Bolschewiki aus der Sozialdemokratischen Partei hervorgegangen waren. Als Spannungen zwischen Liberalen und Linken wegen der Gestaltung der Agrarreform zunahmen, trat Lwow im Juli zurück. Der Sozialrevolutionär Aleksandr Kerenskij wurde Ministerpräsident. Der Soziologe Fedor Stepun war 1917 Mitarbeiter im russischen Kriegsministerium. Er berichtet in seinen Erinnerungen vom Auftreten Kerenskijs auf einer Tagung: Zitator 1: Er trat hastig in den Raum. Er drückte einem die Hand mit überaus liebenswürdigem Lächeln. Seine Rede war zielbewusst und schwungvoll. Er sprach laut, riss die Silben der Wörter auseinander und betonte sie. Seine Gebärden waren gebieterisch und leidenschaftlich. Er sprach wie ein Bevollmächtigter des Schicksals. Im mächtigen Gewoge seiner Stimme hörte man aber auch hysterische Noten aufklingen. Die rechten Politiker auf der Tagung fühlten sich von ihm keinesfalls abgestoßen, die linken waren begeistert. Musikakzent Erzähler: Die Revolutionäre des "ruhmreichen Februar" verspielten verblüffend rasch die Chancen der liberalen Demokratie. Auch nach dem Sturz des Zaren herrschten Krieg, Hunger und Verzweiflung, die Kriminalität nahm stark zu. OT 19 Hildermeier 7: ([II] - VI / 0:30) Das hatte vor allem mit einer dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen, materiellen Lebenssituation der Massen zu tun. Wenn man sich vorstellt, dass die Inflation tausende Prozent im Monat erreichte ... Erzähler: Vor allem: die Mitte-Links-Regierung führte den Krieg mit noch gesteigerter Intensität fort. Tanja Penter über den Alltag in Odessa: OT 20 Penter 10: (LI / 0:45) Es kommt, was die Versorgungssituation angeht, zu Verschlechterungen. (XLV / 2:45) Das Hauptproblem, das in den folgenden Monaten sichtbar wird: dass es sehr schwer ist, Ordnung in der Stadt aufrecht zu erhalten - und man zunehmend sieht, dass die Dinge im Chaos versinken ... (LV / 2:30) ... dass Menschenmassen in Alkohollager eindrangen und Orgien in der Stadt veranstalteten. (LV / 2:35) Die Massen waren auch nur begrenzt kontrollierbar. Erzähler: Die seit dem Februar angekündigten Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung Russlands wurden mit Verweis auf die dramatischen Ereignisse an der Front wiederholt aufgeschoben - damit rückten auch die erwarteten Sozialreformen in die Ferne. Manfred Hildermeier über die Provisorische Regierung: OT 21 [16] Hildermeier 8 [10]: (4:00) Sie hat Erwartungen nicht erfüllt. Sie hat nicht begriffen, dass ihr die Zeit davonlief. Erzähler: In der Bevölkerung verloren im Sommer 1917 vor allem Liberale und Menschewiki an Unterstützung. Stattdessen gewann die äußerste Linke an Einfluss, die einen Waffenstillstand und die rasche Aufteilung des Großgrundbesitzes an die Bauern auf die Tagesordnung setzte. Noch ein anderer Punkt ihres Programms sicherte den Bolschewiki Zustimmung, so Andreas Kappeler: OT 22 [17] Kappeler 4 [7]: (12:25) Die Bolschewiki haben früh die Bedeutung der Nationalitätenfrage erkannt. Schon 1903 stand im Parteiprogramm das Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten bis hin zur Lostrennung von Russland. Das erwies sich nach dem Februar 1917 als zugkräftige Parole, um die Unterstützung eines Teils der Nationalitäten zu gewinnen. Musikakzent Erzähler: Die Bolschewiki hofften von ihrer Gründung an auf eine "Weltrevolution". Kaum glaublich: sie erhielten über Jahre hohe Geldsummen von der deutschen Reichsregierung. Obwohl Lenin Bürger eines "Feindstaates" war, durfte er nach der Februarrevolution aus dem Exil in der Schweiz mit dem Zug quer durch Deutschland nach Schweden - und von dort nach Russland - reisen. Die Regierung Kaiser Wilhelms II., - die die deutsche äußerste Linke um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg konsequent unterdrückte - hoffte auf einen Kriegsaustritt Russlands. Dass dort dann eine radikalsozialistische Partei an die Macht kommen könnte, erschien zweitrangig. Schon die Kerenskij-Regierung verfügte über entsprechende Informationen und beschuldigte in einer erregten Kampagne die Bolschewiki als deutsche Agenten. Tatsächlich ließ sich die Partei Lenins nicht "kaufen", sie setzte im Gegenteil auf den Sturz auch der deutschen Regierung. Zwei Akteure fanden zusammen, die aus unterschiedlichen Gründen in einem Punkt - Waffenstillstand - übereinstimmten. OT 23/24 Hildermeier 9: ([II] - IV / 2:20) Darüber wird viel spekuliert. Das Deutsche Reich hatte ein brennendes Interesse daran, Russland nach der Revolution aus der Koalition mit Frankreich und England herauszuholen und hat bekanntlich dafür gesorgt, dass Lenin und andere führende Bolschewiki in dem berühmten "plombierten Zug" aus der Schweiz über Finnland nach Petrograd reisen konnten. Man kann auch davon ausgehen, dass Subventionen geflossen sind. Nur eines ist bestimmt falsch - und so wird das in Deutschland sehr oft verkauft: "Das wilhelminische Reich finanzierte die russische Revolution". Das halte ich für Unsinn. Die russische Revolution hat interne Gründe. Da mögen deutsche Finanzmittel eine Rolle gespielt haben - aber keine entscheidende. Erzähler: Die Mitgliederzahl der Bolschewiki stieg in wenigen Monaten von zehntausend auf mehr als zweihunderttausend - meist Arbeiter. Über die autoritären Politikvorstellungen der Partei und ihres entschlossenen Wortführers Wladimir Iljitsch Lenin sahen viele hinweg - oder sie fanden sie gut. Allmählich gewann die äußerste Linke die Mehrheit in vielen Sowjets in den Großstädten und an der Front - und auch im "Gesamtrussischen Rätekongress". Dort kritisierte man die Provisorische Regierung immer schroffer, vor allem wegen der Fortsetzung des Krieges. Musikakzent Zitator 1: Ein samtweicher Geruch von Sumpf, schimmelnden Fichtennadeln und Regen stand in der Luft. Die Kosaken hockten im Schützengraben dicht nebeneinander und rauchten. Plötzlich kommandierte der Zugführer "An die Gewehre!". Die Männer sprangen auf und rauchten gierig und in raschen Zügen die Zigaretten zu Ende. Die Abteilung zog in den allmählich dunkelnden Fichtenwald. Mit Scherzen munterten sie einander auf. Jemand pfiff leise vor sich hin. Auf einer Lichtung stießen sie auf einen Haufen Leichen. Die Toten lagen in den verschiedensten Stellungen. Auf dem Gras waren tiefe Furchen von Rädern zu sehen. Die Kosaken gingen nahe an den Gefallenen vorbei. Ein schwerer, süßlicher Leichengeruch strömte ihnen entgegen. Sie blieben stehen, nahmen die Mützen vom Kopf und betrachteten die Toten mit zitternder Angst und tierhafter Neugierde. Sie zählten sie - es waren 47, die meisten sehr jung. Die Kosaken sahen das noch im Tode schöne Gesicht eines Leutnants. Er lag auf dem Rücken, die linke Hand war an die Brust gepresst, die weit ausgestreckte rechte umspannte krampfhaft einen Revolver. Offenbar hatte jemand versucht, ihm diesen aus der Hand zu reißen, das Handgelenk war voller Kratzer. Die bläulich angehauchten Lippen verzerrte ein trauriges, erstauntes Lächeln. Hinter ihm lag ein großer dicker Mann, der Uniformrock zerfetzt, das Gesicht war weggerissen. Iwan Aleksejewitschs Zähne klapperten, er wandte sich schroff ab. Die Kosaken gingen hastig weiter, sie bekreuzigten sich. Lange noch verharrten sie in tiefem Schweigen. Der Wald lag schon im Dunkel. Walet hörte eine flüsternde, unbekannte Stimme an seinem Ohr: "Gehen wir nebeneinander, dann ist's nicht so schrecklich." Immer wieder stießen die Kosaken auf Leichen. Zuletzt trafen sie auf einen deutschen Vorposten. Eine Leuchtkugel stieg auf, Stimmen erklangen. Kaum waren die purpurroten Funken der Leuchtkugel erloschen, begann die deutsche Artillerie zu schießen. Die Kosaken warfen sich zu Boden, sie krochen zwischen den Bäumen und Sträuchern herum wie Ameisen. Sie ekelten sich nicht vor der schmutzigen Erde, nein, sie pressten sich an sie, sie suchten Schutz bei ihr. Schließlich hielten sie es nicht mehr aus. Sie krochen zurück, manche sprangen auf und liefen ohne Deckung zurück. Über dem Wald barsten Geschosse, zerfetzten die Fichten, gruben sich, wie Schlangen zischend, in die Erde. Aber aus dem Regimentsstab kam der Befehl "Die Abteilung hat die ersten feindlichen Linien anzugreifen." Immer mehr Kosaken wurden getötet, auch der Kommandeur. Die Abteilung kroch ohne Kommando zurück. Außerhalb des Feuerzone sammelten sie sich - die Hälfte fehlte. Und dennoch kam vom Regimentsstab der Befehl "Angriff sofort wieder aufnehmen. Davon hängt der endgültige Erfolg der Operation auf der ganzen Linie ab." Die Kosaken gingen wieder in loser Kette vor. Unter dem Feuer der Deutschen warfen sie sich wieder auf die Erde, wieder schmolzen die Reihen zusammen. Die Männer lagen, ohne den Kopf zu heben, bewegungslos, wie gelähmt. Schließlich standen sie auf und fluteten zurück, sie fielen dabei hin, verloren ihre Waffen. Iwan Aleksejewitsch sackte schließlich unter einem Baum zusammen. Er kam langsam zu Atem und bemerkte Gawril Lichowidow, der auf ihn zukam. Er ging wie betrunken, seine Augen schienen die eines toll gewordenen Tieres. Mit der einen Hand griff er in die Luft. Er setzte sich zu Iwan und begann zu singen, ein heiteres Soldatenlied. Plötzlich kippte seine Stimme - kein Lied war es, das seinem verzerrten Mund entströmte, wie das Heulen eines Wolfs klang es. Auf seinen kräftigen Zähnen glänzte der Speichel. Iwan Aleksejewitsch sah mit Grauen in die Augen seines Gefährten. Er wollte ihn festhalten, aber der Wahnsinnige sprang auf, hörte nicht auf zu singen, presste die Schläfen mit beiden Händen, knirschte mit den Zähnen. Erzähler: Michail Scholochows Roman "Der Stille Don" erzählt auf faszinierende Weise vom Untergang des Zarenreiches, vom Scheitern der liberalen Demokratie nach der Februarrevolution und vom blutbefleckten Sieg der Sowjetmacht. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe junger Don-Kosaken. Die Kosaken waren Angehörige militärischer Eliteeinheiten - die meisten stellten sich gegen die Bolschewiki. Der Roman handelt vor allem von denen, die zwischen dem alten Regime und den "Roten" hin- und hergerissen waren. Scholochow kam 1905 in einem Dorf im Don-Gebiet zur Welt. Er erlebte als Jugendlicher den Bürgerkrieg, der auf die Oktoberrevolution folgte. Seinen monumentalen Roman, für den er den Nobelpreis erhielt, schrieb er zwischen 1928 und 1940. Umstritten sind Beschuldigungen - unter anderem von Aleksandr Solschenizyn -, das Buch gehe auf Texte im Bürgerkrieg umgekommener Kosaken zurück. Unabhängig davon, wer der Verfasser ist - "Der Stille Don" ist eines der bedeutendsten Werke der russischen Literatur im 20. Jahrhundert. Musikakzent Erzähler: Eine neue "Durchbruchsoffensive" Kerenskijs gegen die deutschen und österreichischen Armeen im Sommer 1917 scheiterte. An der Front flammten immer neue Meutereien auf. Hunderttausende andere Soldaten verließen einfach ihre Einheiten. Empörung lösten Massenhinrichtungen von Meuterern aus. In einem Telegramm des Kommandos der Südwestfront an die Regierung hieß es: Zitator 2: Der deutsche Gegenangriff wächst sich zu einer unermesslichen Niederlage aus. In der Stimmung der Truppen macht sich ein gefährlicher Umschwung bemerkbar. Die Mehrzahl der Regimenter befindet sich in Auflösung. Von Disziplin ist keine Rede mehr. Befehle werden mit Drohungen beantwortet, manchmal mit sofortigem Niederschießen der Offiziere. Erzähler: Gleichzeitig nahmen Streiks und gewaltsame Land- und Fabrikbesetzungen zu. Eine Boykottstrategie der Industriellen gegen die Räte verschärfte die Konflikte noch. In einigen Regionen flackerten ethnische Konflikte auf - vor allem in der Ukraine und in Finnland, das seit 1809 zum Zarenreich gehörte. Andreas Kappeler: OT 25 Kappeler 5/6: (I / 10:15) Die Provisorische Regierung hat erwartet, dass mit der Aufhebung der Diskriminierung, der Gleichstellung aller Bürger die Nationalitätenfrage gelöst sei. Sie hielt fest an der Dominanz der russischen Sprache und Kultur. Erzähler: Anfang Juli kam es in Petrograd zu einem seltsam planlosen Aufstand der radikalen Linken gegen die Provisorische Regierung, der rasch zusammenbrach. Die bolschewistische Politikerin Aleksandra Kollontaj schrieb: Zitatorin: Der Aufstand war spontan, gegen den Willen der Partei, ausgebrochen. Dennoch stand er, von Arbeitern, Matrosen und Soldaten organisiert, ganz unter bolschewistischen Parolen. Erzähler: Einige führende Bolschewiki wurden verhaftet, andere - wie Lenin - gingen in den Untergrund. Die Provisorische Regierung erlebte im Sommer 1917 einen gewaltigen Vertrauensverlust. Die folgende Passage aus Boris Pasternaks Roman "Doktor Shiwago" schildert diese Stimmung. In seinem um 1950 entstandenen Roman erzählt Pasternak nicht nur die Geschichte des Arztes Jurij Shiwago und seiner Familie, er entwirft auch ein Panorama der russischen und sowjetischen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1958 erhielt Pasternak den Literaturnobelpreis, den er auf Geheiß der Regierung nicht annehmen durfte. In seiner Heimat wurde das Buch nicht veröffentlicht - und zugleich öffentlich heftig kritisiert. Zitator 1: Truppen, die der Provisorischen Regierung ergeben waren, besetzten den Bezirk, Haufen von Deserteuren flohen in die Wälder. An der ganzen Front wurden Vorbereitungen für die neue große Offensive getroffen. Man bemühte sich, einen Stimmungsumschwung bei den Soldaten zu erreichen, man verschärfte wegen der vielen Deserteure die Disziplin. Die Todesstrafe, erst vor kurzem abgeschafft, wurde wieder eingeführt. "Hier in der Nähe ist ein Kosakenregiment stationiert, es ist zuverlässig", sagte der örtliche Kommandeur zu dem jungen Kommissar Ginz, den die Regierung geschickt hatte. "Man braucht die Kosaken nur zu rufen, um die Meuterer einzukreisen, und damit ist die Sache erledigt." "Kosaken? Auf gar keinen Fall!" fuhr der Kommissar auf. "Das würde an 1905 erinnern". Tage später wurden die Meuterer dennoch auf einer Lichtung eingekreist. Die berittenen Kosaken wirkten einschüchternd, sie zogen ihre Säbel. Ginz stieg auf einen Stapel Holz, um die Meuterer zu überreden. Wie schon so oft sprach er von der Pflicht des Soldaten, von Vaterlandsliebe und anderen erhabenen Dingen. Doch diese Ideen fanden hier kein Echo. Die Soldaten kannten den Krieg mit seinem Leid bis zum Überdruss, sie waren verroht und verwildert. Der Kommissar fühlte schließlich, dass er schon zu lange gesprochen hatte und ärgerte sich über sich selber. Die Meuterer brachten ihm Gleichgültigkeit und unverhohlene Langeweile entgegen. Allmählich wurde Ginz gereizter und beschloss, gegenüber diesem Publikum eine deutlichere Sprache zu reden. Ohne auf das Murren zu achten, das bedrohlich zunahm, erinnerte er daran, dass Kriegsgerichte ihre Arbeit begonnen hatten. Er drohte den Meuterern mit der Todesstrafe und forderte sie auf, ihre Anführer auszuliefern. An diesen Tonfall waren die Soldaten nicht mehr gewöhnt. Gebrüll erhob sich "Schluss mit dem Gerede!" Sogar den Kosaken, die mit dem Kommissar gekommen waren, gefiel die Rede nicht. Sie sprangen von ihren Pferden ab und mischten sich unter die Meuterer. "Sie müssen jetzt verschwinden!" sagten die beunruhigten Kosakenoffiziere zu Ginz. "Ihr Wagen steht an der Kreuzung, fahren Sie möglichst gleich weg!" Doch es erschien dem Kommissar unwürdig, sich heimlich davonzumachen. Er nahm nicht den Wagen, sondern ging zum Bahnhof zurück. Er war in furchtbarer Erregung, sein Stolz zwang ihn jedoch, ruhig und ohne Eile zu gehen. Bewaffnete Meuterer folgten ihm, kurz vor dem Bahnhof hatten sie ihn eingeholt. Er hätte noch in den Bahnhof flüchten können, wo er in Sicherheit gewesen wäre. Aber er drehte sich um, wandte sich an die Verfolger mit ein paar jener unsinnigen Worte, die von Herzen kommen. Da glitt er aus. Diese Ungeschicklichkeit beantworteten die Soldaten mit einem höhnischen Gelächter. Einer erledigte den Unglücklichen mit einem Schuss durch den Hals, die anderen stürzten sich mit den Bajonetten auf ihn, um ihm den Rest zu geben. Er war jedoch schon tot. Musikakzent Erzähler: Die Lage wurde bis zum Spätsommer immer unübersichtlicher. Kerenskij geriet auch unter Druck "von rechts". Der von ihm ernannte Oberbefehlshaber, General Lawr Kornilow, organisierte Ende August eine Militärrevolte - schon zuvor hatte er ein Verbot der Räte gefordert. Unklar blieb, ob er selbst eine Diktatur errichten oder nur den Ministerpräsidenten zu einer noch "härteren" Politik drängen wollte. Den Vormarsch Kornilows auf die Hauptstadt hielten nicht so sehr Regierungstruppen auf, sondern Regimenter, die Befehlen der Soldatenräte folgten und neu entstandene "Rote Garden" aus Fabrikarbeitern. Dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - löste Kerenskij sich endgültig von den Räten. Und das war nicht alles. Manfred Hildermeier: OT 26 [18] Hildermeier 10 [11]: (18:40) Es gab bei den Liberalen, die ja nach wie vor in der Koalition vertreten waren, durchaus Tendenzen zur vorübergehenden Errichtung einer Art Militärdiktatur. Erzähler: Die "Mitte" rückte nach rechts. Kerenskij verlor allmählich die Unterstützung der Menschewiki und selbst der Sozialrevolutionäre - seiner eigenen Partei. Für Lenin war Kerenskij "der Zar von heute". Die Historikerin Tanja Penter: OT 27 Penter 11: (LVI / 1:20) Diese politischen Auflösungserscheinungen lassen sich gleichermaßen in Odessa beobachten. Man sieht auch, dass es nach dem Kornilow-Putsch in Petrograd in Odessa eine sehr starke Reaktion darauf gibt, wo man sagt: das wollen wir auf keinen Fall, es sollen hier nicht die reaktionären Kräfte wieder die Macht erlangen. (XLVI / 0:10) Es entsteht so etwas wie ein Machtvakuum. Erzähler: Lenin erkannte die Schwäche der Regierungskoalition und verurteilte nicht allein Kerenskij: Zitator 2: Nieder mit den Rechten Sozialrevolutionären und den Menschewiki! Keine Gemeinschaft mit diesen Freunden der Gutsbesitzer und Kapitalisten! Erzähler: Die breite linke Strömung innerhalb der Sozialrevolutionäre um Boris Kamkow und Marija Spiridonowa näherte sich immer mehr den Bolschewiki. Der Petrograder Sowjet griff am 25. September die Provisorische Regierung offen an: Zitator 2: Dieser Regierung der bürgerlicher Herrschaft und der konterrevolutionären Gewalt werden wir, die Arbeiter und die Garnison von Petrograd, die Unterstützung verweigern. Erzähler: Im Frühherbst 1917 war klar, dass die Regierung gleichsam in der Luft hing. Die Liberalen und die gemäßigte Linke waren weithin diskreditiert - durch die Fortsetzung des Krieges, den Aufschub der Wahlen und schließlich das Spiel mit der Diktatur. Lenin versicherte im September 1917: Zitator 2: Wenn die Bolschewiki sofort einen demokratischen Frieden vorschlagen, das Land sofort den Bauern geben, die von Kerenskij bedrohten oder zerschlagenen demokratischen Einrichtungen und Freiheiten wiederherstellen, dann werden die Bolschewiki eine Regierung bilden, die niemand stürzen kann. Die Mehrheit des Volkes ist für uns. Die Geschichte wird uns nicht verzeihen, wenn wir die Macht jetzt nicht ergreifen. Musikakzent Erzähler: Die acht Monate unvollkommener Demokratie in Russland endeten mit der bolschewistischen Oktoberrevolution - die "Roten" stürzten am 25. Oktober und den Tagen darauf die Provisorische Regierung. Zitator 1: In den Straßen waren gewaltige Mengen von Matrosen und Soldaten aufmarschiert. Sämtliche Zugänge zum Winterpalast waren von Posten besetzt, die niemanden passieren ließen. Es war uns nicht möglich herauszubekommen, ob die Posten zur Provisorischen Regierung gehörten oder zu den Sowjets. Wir wiesen unsere amerikanischen Pässe vor - und schlüpften durch. Im Palast gingen wir nach oben. Vor Kerenskijs Tür schritt ein junger Offizier auf und ab. Wir fragten, ob wir den Ministerpräsidenten sprechen könnten. Sich höflich verbeugend, sagte er: "Bedaure. Aleksandr Fjodorowitsch ist sehr beschäftigt." Und er fügte hinzu "Er ist gar nicht hier. Er ist zur Front gefahren." Erzähler: John Reeds Buch "Zehn Tage, die die Welt erschütterten", packend geschrieben, verklärt den Oktoberumsturz. Der junge US-amerikanische Reporter, Sympathisant der Bolschewiki, war an den unterschiedlichsten Schauplätzen unterwegs, er sprach mit Politikern und Generälen, Fabrikarbeitern, Schauspielern und Kellnern. Diese Passage berichtet von der verworrenen Situation am 7. November 1917 - nach dem damaligen russischen Kalender am 25. Oktober -, unmittelbar vor der Eroberung des Winterpalasts in Petrograd. Das Zarenschloss, vor dem Soldaten 1905 hunderte Demonstranten erschossen hatten, war Sitz der "Provisorischen Regierung". Zitator 1: Wir verließen den Palast wieder. Sämtliche Laternen auf dem weiten Platz davor waren inzwischen gelöscht. Nicht weit entfernt ging das Leben jedoch seinen gewohnten Gang - überfüllte Straßenbahnen, erleuchtete Schaufenster, die Theater waren geöffnet. Erzähler: Wenig später stürmten die Roten den Winterpalast. Musikakzent Erzähler: Atemberaubende Klänge widmete Dmitrij Schostakowitsch der Oktoberrevolution. Er hatte sie als Zwölfjähriger erlebt. Seine 2. Sinfonie schuf er zu ihrem zehnten Jahrestag. Die "Morgenröte der Menschheit" - so die sowjetische Überhöhung der Ereignisse - brachte nicht Befreiung, sondern neue Gewalt und Unterdrückung. Iin den späten zwanziger Jahren, nach zehn Jahren Gewaltherrschaft und am Beginn der Stalin-Ära, glaubten aber wie Schostakowitsch noch viele Menschen in Leningrad, Charkow oder Irkutsk - verblendet oder naiv - an eine Zukunft der Sowjetunion als sozialistische Demokratie. Die 2. Sinfonie ist einsätzig, viel kürzer als die 11. Sinfonie, die der Revolution von 1905 gewidmet war. Die 2. Sinfonie zählt zu Schostakowitschs experimentellen Schaffensphase. Nach der konservativen Wende der sowjetischen Kulturpolitik Mitte der dreißiger Jahre durften diese Arbeiten jahrzehntelang nicht mehr aufgeführt werden. Den Text des Chorfinales der 2. Sinfonie - eine leidenschaftliche Überhöhung der Revolution - verfasste der Avantgarde-Dichter Aleksandr Besymenskij. Charakteristisch für die Musik sind Marsch- und Signalklänge, rezitativische Melodieformen, fast geräuschhafte Dissonanzen. Musik 3. Stunde Musik: Sergej Prokofjew, "Kantate zum zwanzigsten Jahrestag der Oktoberrevolution" op. 74 (Originalfassung) Zitator 2: Alle wichtigen Punkte der Hauptstadt gehen in unsere Hände über, fast ohne Widerstand, ohne Opfer. OT 1 Hildermeier 1: ([II] - VII / 1:45) Sie haben nicht gewagt, ihr eigenes Wort zu brechen und haben die Wahlen noch stattfinden lassen. Zitatorin: Die Abgeordneten verließen das Gebäude. Stunden später beschloss der Gesamtrussische Rätekongress: "Die Verfassunggebende Versammlung wird aufgelöst". Zitator 1: An den Mauern hingen vom Schnee aufgeweichte Plakate mit Befehlen des Roten Militärkomitees, die die gesamte Bevölkerung erbarmungslos und ausnahmslos in Leute, die etwas taugten und in menschlichen Kehricht einteilten. OT 2 Kappeler 1: (II / 32:10) Man kann sagen, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Randgebiete der Oktoberrevolution skeptisch gegenüberstand. OT 3 Hildermeier 2: ([II] - XXXIII / 2:45) Das war eine Zeit von Massengewalt, unkalkulierbarerer Gewalt, brutalster Gewalt. Zitator 1: Morgens Hunger und heißes Wasser. Abends Hunger. Es war schwer, jemandem beim Essen zuzusehen. Wir aßen gefrorene Kartoffeln und verfaulte Rüben. Aber die Stadt lebte weiter - wie ein Haufen Kohlen, der im Regen weiterbrennt. Erzähler: Nach der liberalen Revolution vom Februar 1917 versank Russland in Enttäuschung und Chaos. Der Sturz Zar Nikolajs II. hatte Demokratie und Rechtsstaat gebracht - aber die Übergangsregierung schob die angekündigten Wahlen auf, die erwartete Aufteilung des Großgrundbesitzes blieb aus, an den Weltkriegsfronten starben weiter unzählige russische Soldaten. Im Herbst 1917 war die "Provisorische Regierung" um Aleksandr Kerenskij gleichsam gelähmt, kaum jemand wollte sie noch verteidigen. Historischer OT [russisch]: W. I. Lenin, "Was heißt Sowjetmacht?", 1919 Erzähler: Der Sieg im "Roten Oktober" fiel den Bolschewiki um Wladimir Iljitsch Lenin und Lew Trozkij leicht. Sie errichteten hastig ein System unkontrollierter Macht. Die nach der Oktoberrevolution noch frei gewählte Verfassunggebende Versammlung konnte nur einmal im Januar 1918 tagen. Es folgte ein Bürgerkrieg, der mehr und mehr einem Delirium der Gewalt glich. 1920 feierten die "Roten" erschöpft den Sieg. "Demokratie! Nie wieder unkontrollierte Macht!", "Die Wirtschaft in die Hände der Arbeitenden!", "Gleiche Rechte für alle Nationalitäten!", "Keine Kriege mehr!" - das hatte die internationale sozialistische Bewegung ein halbes Jahrhundert lang vergeblich gefordert. Diese Ziele proklamierten auch die Bolschewiki - vielleicht meinten sie es bis zum Oktober 1917 ehrlich. Aber die Visionen von Freiheit und Gleichheit gingen verblüffend rasch zu Bruch. Die Räteherrschaft wurde zur Karikatur von Demokratie. Eine bürokratische Elite nahm den Bauern das an sie verteilte Land der Gutsbesitzer wieder weg, sie degradierte die Fabrikarbeiter, die häufig die Revolution durchgesetzt hatten, zu Befehlsempfängern wie im niedergerungenen Kapitalismus, sie unterdrückte erneut ethnische Minderheiten. Es folgte der Massenterror der Stalin-Ära. Die vermeintliche "Morgenröte der Menschheit" 1917 brachte für Millionen Menschen Tod, Verzweiflung und enttäuschte Hoffnungen. Musikakzent Zitator 2: In den Stadtbezirken Petrograds wachen Abteilungen von Arbeitern, Matrosen, Soldaten. In den Händen tragen die jungen Arbeiter Gewehre und über die Schultern Patronengurte für die Maschinengewehre. An Feuern wärmen sich die Straßenpatrouillen. An zwei Dutzend Telefonen konzentriert sich das politische Leben der Hauptstadt. Ich erteile den Befehl, auf den Zufahrten nach Petrograd zuverlässige Sperrposten aufzustellen und den von der Provisorischen Regierung angeforderten Truppen Agitatoren entgegenzuschicken. Die Gespräche über Telefon sind den Agenten der Regierung vollständig zugänglich. Die Revolution hofft noch immer, man könne alles mit Worten erreichen. Vorläufig gelingt es ihr. Ansammlungen feindlicher Elemente verflüchtigen sich allein vor ihrem heißen Atem. Die Straße gehört uns. Erzähler: Lew Trozkij, der den bolschewistischen Umsturz mit organisierte, schildert in seinem Buch "Mein Leben" das Geschehen gleichsam atemlos. Zitator 2: Vergeblich suchte die Provisorische Regierung Unterstützung. Der Boden schwand unter ihren Füßen. Alle wichtigen Punkte der Hauptstadt gehen in unsere Hände über, fast ohne Widerstand, ohne Opfer. Das Telefon läutet: "Wir sind da!". Die Provisorische Regierung tagte noch im Winterpalast, sie verwandelte sich in ihren eigenen Schatten. Politisch existierte sie bereits nicht mehr. Im Lauf des 25. Oktober wurde der Palast von unseren Truppen umstellt. Erzähler: Revolutionäre Soldaten und bewaffnete Arbeiter - die "Roten Garden" - besetzten das riesige Gebäude, auch hier stießen sie kaum auf Gegenwehr. OT 4 Hildermeier 3: ([II] - I / 1:40) Im Kern ist das Geschehen ein klassischer Militärputsch gewesen. Erzähler: Zusammen mit den Linken Sozialrevolutionären organisierten die Bolschewiki eine neue Regierung, den sogenannten Rat der Volkskommissare unter Führung von Lenin und Trozkij. Der Georgier Iosif Stalin erhielt das Ressort "Nationalitätenfragen". Der Gesamtrussische Rätekongress bestätigte die Volkskommissare. Auch in anderen Großstädten griff die äußerste Linke nach der Macht. Der Göttinger Historiker Manfred Hildermeier über diesen Beginn einer Epoche: OT 5 [19]: Hildermeier 4 [12]: (22:10) Nur einige scharfsichtige Beobachter und Journalisten haben vielleicht gesehen, worauf das hinauslief. Erzähler: Im "Roten Oktober" löste eine Übergangsregierung eine andere ab. Beide waren von niemandem gewählt. Die Bolschewikin Aleksandra Kollontaj hatte das Volkskommissariat für Soziales übernommen - als erste Ministerin der Geschichte. An einen der Tage nach der Revolution erinnerte sie sich so: Zitatorin: Nach einer schlaflosen Nacht gehe ich nach Hause. Ich hatte gedacht, ganz Petrograd würde feiern. Die Regierung Kerenskij gab es nicht mehr, dafür gab es jetzt die Macht der Werktätigen. Doch die Menschen kümmern sich an diesem trüben nassen Herbstmorgen gleichgültig um die kleinen Dinge des Alltags. Der eine hastet zur Arbeit, der andere stellt sich nach Lebensmitteln an. An manchen Häuserwänden hängt ein kleines unauffälliges Blatt Papier mit dem ersten Beschluss der Sowjetregierung. Die Passanten eilen vorüber, nehmen das Papier nicht wahr. Erzähler: Ministerpräsident Kerenskij konnte fliehen. Der Umsturz traf auf wenig Widerstand, etwa einen von den Menschewiki organisierten Streik der Eisenbahner. Kerenskijs Versuche, Truppen gegen die neue Regierung zu mobilisieren, schlugen fehl - die Soldaten gehorchten nicht mehr seinen Befehlen. Musikakzent Erzähler: Die Oktoberrevolution brachte großen Teilen der Bevölkerung zuerst Vorteile. Der Rat der Volkskommissare beendete nach kurzer Zeit den Krieg mit Deutschland und Österreich-Ungarn, erklärte die Bauern zu Eigentümern des Bodens und die Arbeiter zu Herren der Fabriken, akzeptierte die Unabhängigkeitserklärungen Finnlands und Polens. Außerdem verbot die Regierung die liberale Partei der Konstitutionellen Demokraten und einige Zeitungen, ließ führende Rechte Sozialrevolutionäre und Menschewiki verhaften. Der Gesamtrussische Rätekongress - sicher keine "repräsentative" Volksvertretung - billigte mit seiner Mehrheit aus Bolschewiki und Linken Sozialrevolutionären diese Entscheidungen. Immerhin: OT 6 Hildermeier 5: ([II] - VII / 1:45) Sie haben nicht gewagt, ihr eigenes Wort zu brechen und haben die Wahlen noch stattfinden lassen. Erzähler: Manfred Hildermeier. Auch nach dem mühelosen Triumph der Bolschewiki im "Roten Oktober" blieben die Machtverhältnisse im Land unübersichtlich. Bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung vier Wochen später siegten die Sozialrevolutionäre, sie erhielten fast die Hälfte der Stimmen. Sie waren aber untereinander heftig zerstritten. Die linke Minderheit der Sozialrevolutionäre - die schon länger mit den Bolschewiki zusammenarbeitete - organisierte sich kurz nach den Wahlen als eigene Partei. OT 7 Hildermeier 6: ([II] - VII / 0:00) Wahrscheinlich sind viele Stimmen, die für die Sozialrevolutionäre abgegeben wurden, Stimmen für die Linken Sozialrevolutionäre gewesen. Da weiß man aber nicht, wie sich das verteilt. Erzähler: So kam es, dass sich ein größerer Teil der sozialrevolutionären Abgeordneten auf die Seite der Bolschewiki stellte. Für diese hatte sich fast ein Viertel der Wähler und Wählerinnen entschieden. Die Konstitutionellen Demokraten fanden sich - mit nicht mehr als fünf Prozent der Stimmen - am Rand des Geschehens wieder, die Menschewiki erhielten noch weniger. Die erste und einzige Tagung der Verfassunggebenden Versammlung fand am am 5. und 6. Januar 1918 in Petrograd statt. Die bolschewistische Politikerin Nadeshda Krupskaja - Lenins Ehefrau - schilderte die Ereignisse so: Zitatorin: Die Mehrheit in der Versammlung hatten die Rechten Sozialrevolutionäre. Sie schlugen als Vorsitzenden Wiktor Tschernow vor, die Bolschewiki dagegen die Linke Sozialrevolutionärin Marija Spiridonowa. Gewählt wurde Tschernow. Zu Beginn der Tagung trug Jakow Swerdlow für die bolschewistische Fraktion mit lauter, tiefer Stimme die "Deklaration der Rechte des werktätigen und ausgebeuteten Volkes" vor. Für eine Beratung der Deklaration stimmten 146 Abgeordnete, 247 lehnten ab. Daraufhin beantragten die Bolschewiki und die Linken Sozialrevolutionäre eine Unterbrechung der Tagung. Die bolschewistische Fraktion beschloss, nicht mehr in den Saal zurückzukehren. Die Fraktion war aber der Meinung, dass man die Versammlung nicht auflösen sollte. Erst in den frühen Morgenstunden wurde die Tagung von Tschernow geschlossen, die Abgeordneten verließen das Gebäude. Stunden später beschloss der Gesamtrussische Rätekongress: "Die Verfassunggebende Versammlung wird aufgelöst". Erzähler: Schon während der Debatte waren bolschewistische Matrosen unter Drohungen in den Saal eingedrungen. Als die Abgeordneten der Mehrheit zur zweiten Tagung eintrafen, war der Zugang zum Taurischen Palais blockiert. Nach gerade zwei Monaten ging die rote Regierung zu einer offen antidemokratischen Herrschaft über. Erstaunlicherweise kam es kaum zu größeren Protesten gegen die Auflösung dieses ersten frei gewählten Parlaments in der Geschichte Russlands. Musikakzent Erzähler: Wie erlebte Odessa, die Metropole am Schwarzen Meer, die bolschewistische Revolution? Die Heidelberger Historikerin Tanja Penter: OT 8 Penter 1: ([II] - XXVIII / 1:20) Die Oktoberrevolution in Odessa fand erst im Januar 1918 statt. Es waren ganz andere Akteure, die hier kämpften. ([II] - XXVIII / 1:25) Zum einen waren es Vertreter der ukrainischen Zentral-Rada, also der Regierung in Kiew, die im Januar 1918 die Ukraine zum eigenständigen Staat erklärt hatte und die ihre Soldaten in die Stadt geschickt hatte. Auf der anderen Seite kämpften Vertreter der Roten Garden. Im Ergebnis dieser Kämpfe kommt es dann in Odessa zur Einrichtung eines Sowjets der Volkskommissare, der sich vor allem aus Vertretern der bolschewistischen Partei zusammensetzt und Vertretern der Linken Sozialrevolutionäre. Musikakzent Erzähler: Der Übergang zur Alleinherrschaft der Bolschewiki in Russland folgte schon im März 1918. Ihre Koalitionspartner, die Linken Sozialrevolutionäre, überwarfen sich mit ihnen. Sie organisierten sogar einen Aufstand, der rasch scheiterte. Der Konflikt hatte sich nicht so sehr an der diktatorischen Innenpolitik der Bolschewiki entzündet. Die Partei von Marija Spiridonowa und Boris Kamkow lehnte vielmehr den Friedensvertrag mit Deutschland ab, der sehr ungünstige Bedingungen für Russland enthielt. Lenin und Trozkij sprachen auch von einem "Raubfrieden", sie hielten ihn aber für unausweichlich, weil die Rote Armee noch kaum kampffähig war und weil die Bolschewiki auf eine siegreiche Revolution auch in Berlin, München und Hamburg hofften. Nachdem die Linken Sozialrevolutionäre in den Untergrund gedrängt waren, blieben in den Räten - den Sowjets - nur noch Bolschewiki und Parteilose übrig. Historischer OT [russisch]: W. I. Lenin, "Die Werktätigen befreien", 1919 Erzähler: Lenin 1919. Russland war nach der Oktoberrevolution als erstes Land aus dem Weltkrieg ausgeschieden. Aber das bedeutete noch keinen Frieden. Im Frühjahr 1918 begann ein dreijähriger Bürgerkrieg zwischen den Bolschewiki und ihren Gegnern - von denen viele ebenfalls mit Demokratie nichts im Sinn hatten. Die "Rote Arbeiter- und Bauernarmee" unter Führung von Lew Trozkij stand den politisch und militärisch zersplitterten "Weißen Armeen" gegenüber. Der Bürgerkrieg verlief weithin ohne feste Fronten, eher als Partisanenkrieg. Auf beiden Seiten besaß das Oberkommando nur eine lose Kontrolle über die Truppen, plötzliche Seitenwechsel waren nicht selten. Alle Akteure handelten mit äußerster Brutalität, auch gegenüber der Zivilbevölkerung. Schon 1918 herrschte von der Ostsee bis zum Pazifik Chaos - nicht allein wegen des Bürgerkrieg zwischen Links und Rechts. In der Ukraine, Lettland und Estland, Georgien oder Usbekistan kämpften Unabhängigkeitsbewegungen teilweise gegen Rote und Weiße. Kiew erlebte von 1917 bis 1920 fünfzehn Machtwechsel. Außerdem waren sogenannte Schwarze und Grüne aktiv, die sich für dörfliche Autonomie oder für anarchistische Ideen engagierten. Der bekannteste Vertreter der "schwarzen" Bewegung war der ukrainische Anarchist Nestor Machno, dessen Partisanenarmee zeitweise weite Gebiete kontrollierte. Und das waren noch nicht alle. Durch das Chaos streiften unzählige Gruppen von Deserteuren, denen es um "Überleben um jeden Preis" ging - im Grunde Banden von Kriminellen. 1918 begann noch dazu ein Krieg zwischen dem Sowjetstaat und der neuentstandenen Republik Polen, die sich bis 1921 die Kontrolle über weite Teile von Belarus und der Ukraine sicherte. Schließlich unterstützten zehntausende Soldaten aus Großbritannien, Frankreich, den USA, Japan und anderen Staaten die Weißen. Fatalerweise gerieten die Demokraten der Februarrevolution rasch in Abhängigkeit von mehr oder weniger reaktionären Militärs. Manfred Hildermeier: OT 11 Hildermeier 7: ([II] - IX / 0:15) Sie sind zerrieben worden zwischen den Fronten - den Weißen, die von zarischen Generälen und zarentreuen Truppen dominiert wurden, und den Bolschewiki. Erzähler: Die weißen Generäle wie Anton Denikin, Aleksandr Koltschak oder Pjotr Krasnow wollten das alte Regime - vielleicht mit einer neuen, "unverbrauchten" Dynastie - wiederherstellen. OT 12 Hildermeier 8: [II] - X / 1:40) Die Bauern haben zu Recht gefürchtet, dass ihnen das Land wieder genommen würde. Zurück in den zarischen Staat unter die Knute der Grundbesitzer, in die Landarmut wollten sie bestimmt nicht. Ähnlich unklug haben sich die Weißen gegenüber den Arbeitern verhalten . Erzähler: Anfangs wurde die "Sowjetmacht" weit zurückgedrängt. Am Ende siegte sie - nicht nur wegen der militärischen Überlegenheit der Roten Armee. Viele russische Bauern und Arbeiter, die die Oktoberrevolution abgelehnt hatten, entschieden sich im Bürgerkrieg - vor die Wahl gestellt zwischen Roten und Weißen - für die Roten. Musikakzent Erzähler: Schon nach zwei Monaten eroberten "Konterrevolutionäre" Odessa, die Roten mussten fliehen. Die Historikerin Tanja Penter: OT 13 Penter 3: (II - IXXX / 2:45) Die Sowjetrepublik Odessa scheitert auch daran, dass die neuen Akteure nicht in der Lage sind, die enormen Versorgungsprobleme zu lösen. Sie sind vollkommen überfordert, sie haben ja überhaupt keine Erfahrung. Das Chaos, das sich schon nach der Februarrevolution entwickelte - kriminelle Akteure, Banden, die die Bevölkerung nachts überfielen, die in Läden einbrachen - all diese Momente verschärfen sich unter der Herrschaft der ersten Sowjetmacht in Odessa noch weiter. Erzähler: Erst 1920 besetzte die Rote Armee Odessa endgültig. Musikakzent Erzähler: Ein besonders düsterer Aspekt des Bürgerkriegs: OT 14 Kappeler 2: (II / 43:15) Die Weißen haben sich beteiligt an den schrecklichen Judenpogromen in der Ukraine 1919, die zehntausende von Opfern forderten. Erzähler: Der Wiener Historiker Andreas Kappeler. Die weißen Generäle ordneten die Verbrechen nicht an, duldeten sie aber. Auch in Odessa kam es mehrfach zu Pogromen. Die weiße Presse verbreitete Ideen von einer jüdisch-bolschewistischen Verschwörung, die später der Faschismus aufgriff und die noch heute in der rechtsextremen Szene lebendig sind. Der Hintergrund: viele rote Politiker und Militärs der Bürgerkriegsjahre waren jüdischer Herkunft - etwa der erste Staatspräsident Sowjetrusslands, Jakow Swerdlow, der Kriegsminister Lew Trozkij und die einflussreichen Politbüromitglieder Grigorij Sinowjew und Lew Kamenew. OT 15 Kappeler 3: (II / 27:55) Dabei ist es problematisch, von Juden zu sprechen - hatten sich doch diese Revolutionäre vom Judentum losgesagt. Sie sprachen und schrieben Russisch, waren Atheisten. Musikakzent Erzähler: Eine der verschiedenen Gegenregierungen, die nach der Oktoberrevolution entstanden, war die sogenannte Don-Regierung unter Führung des Generals Aleksej Kaledin. Sie hatte in Südrussland eine Kosakenrepublik ausgerufen. In dem Konflikt zwischen Bolschewiki und Anhängern der Zarenherrschaft geriet sie gleichsam zwischen die Fronten und zerfiel bald. Michail Scholochows Roman "Der Stille Don" über die Jahrzehnte der Revolution in Russland erzählt eindringlich und differenziert auch von den vielen Kosaken, denen eine Entscheidung zwischen Roten und Weißen schwerfiel. Scholochow schildert die Atmosphäre von Erschöpfung und Resignation beim letzten Treffen der Don-Regierung: Zitator 1: Kaledin kam als letzter. Er setzte sich schwerfällig an den Tisch und zog die Akten an sich. Seine Wangen waren gelb vor Schlaflosigkeit, unter den erloschenen finsteren Augen lagen blaue Schatten. Er sagte dumpf "Unsere Truppen ziehen sich zurück. Wir haben keine Kräfte mehr und der Widerstand ist nutzlos. Ich will keine überflüssigen Opfer, kein überflüssiges Blutvergießen. Mein Mandat als Oberbefehlshaber der Armee lege ich hiermit nieder". Der Minister Bogajewskij setzte sich den Kneifer zurecht und sagte, ohne den Kopf zu wenden "Auch ich lege mein Mandat nieder". "Die Regierung legt selbstverständlich geschlossen die Mandate nieder", antwortete Kaledin trocken. Einen Augenblick herrschte schweres, verlegenes Schweigen. Vor den Fenstern kreischten schrill und laut die vorbeifliegenden Krähen. Sie kreisten über der weißen Kirche wie über einem Kadaver. Auf dem Kirchplatz lag frischer, lila schimmernder Schnee. Schlitten, dunkle Streifen hinterlassend, glitten vorüber. Nach der Sitzung standen die Regierungsmitglieder in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten sich leise. Der Minister Janow trat ein wenig verlegen zu Kaledin. "Die Regierungsmitglieder bitten, ihnen Geld für die Flucht zu geben". Kaledin verzog das Gesicht und sagte rau "Ich habe kein Geld ... wie mich alles anekelt ..." Schließlich begann man auseinanderzugehen. Bogajewskij holte ein Paket Geld und gab es Janow. "Hier sind vierzehntausend Rubel, gib sie ihnen!" Plötzlich kam in großen Sprüngen der Adjutant Kaledins, Moldawskij, die Treppe herunter" "Ärzte! Rasch ...!" "Was ist geschehen?" schrie Janow totenblass. "Aleksej Maksimowitsch hat sich erschossen!" Moldawskij fiel mit der Brust gegen das Geländer und schluchzte laut auf. Bogajewskij kam schnell heran. Seine Lippen zitterten, als friere er. Er stotterte. "Was? Was?" Einander überholend, stürzten sie alle die Treppe hinauf. Laut und gellend tönten die Schritte der Laufenden. Bogajewskij atmete schnaufend, er öffnete als erster dröhnend die Tür und lief durchs Vorzimmer nach dem Herrenzimmer. Grauer Rauch und der Geruch verbrannten Pulvers strömten ihnen entgegen. "O-o-o-o-o! Aljo-o-o-scha! Lieber!" tönte die bis zur Unkenntlichkeit entstellte Stimme von Kaledins Frau. Bogajewskij riss, als fürchte er zu ersticken, den Hemdkragen auf und stürzte ins Herrenzimmer. Vor dem Fenster, die Hand um die Klinke geklammert, stand gebückt General Karjew. Unter seinem Rock sah man seine Schultern sich bewegen. Dieses dumpfe, tierähnliche Schluchzen eines Erwachsenen nahm Bogajewskij den letzten Halt. Kaledin lag auf dem Feldbett. Sein Kopf war zur Wand gerichtet. Vor dem weißen Kissen hoben sich Stirn und Wange, bläulich schimmernd, scharf ab. Die müden Augen waren halb offen, die Winkel des strengen Mundes schmerzverzerrt. Zu seinen Füssen wand sich in Krämpfen seine Frau. Ihre Stimme war schneidend und schrill. Auf dem Bett lag ein Revolver. An ihm vorbei sickerte ein schmaler schwarzroter Blutstrahl. Erzähler: Ein Ausschnitt aus Michail Scholochows Roman "Der stille Don". 1920 hatten die Roten gesiegt. Zugleich waren gewaltige Gebiete im Westen des früheren Zarenreiches unabhängig geworden - Finnland, das Baltikum, Polen. Im Innern gab es keine nennenswerte Opposition mehr. Und Russland war am Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs angelangt. Musikakzent OT 16 Kappeler 4: (II / 32:10) Man kann sagen, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Randgebiete der Oktoberrevolution skeptisch gegenüberstand. Erzähler: In diesen Regionen, von der Ukraine bis Armenien, von Lettland bis Tadschikistan war die Situation besonders verworren. 1917 gehörte weit über die Hälfte der Bevölkerung Russlands zu ethnischen Minderheiten. Der Wiener Historiker Andreas Kappeler: OT 17 Kappeler 5: (II / 23:35) Die Bolschewiki haben schon 1903 das Selbstbestimmungsrecht der Nationalitäten in ihr Parteiprogramm aufgenommen. Das wurde erweitert zum Recht der Loslösung vom russischen Staat. Dieses Versprechen wurde bestätigt nach der Machtergreifung im Oktober. Es ging um die Mobilisierung der nichtrussischen Bevölkerung für die Revolution. Die Parole des Selbstbestimmungsrechts war im Jahr 1917 durchaus zugkräftig, weil die Provisorische Regierung zentralistisch an dem "einen und unteilbaren" Russland festhielt. Erzähler: In den Randregionen folgte seit 1918 eine ganze Reihe von Staatsgründungen. Einige der neuen Regierungen waren dominiert von Sozialrevolutionären und Menschewiki, andere von konservativen und nationalistischen Parteien. Die Unabhängigkeitsbewegungen - im Kampf gegen Diskriminierung durch das Zarenregime entstanden - diskriminierten jetzt zum Teil die "eigenen" Minderheiten - etwa Russen und Juden. Oder: OT 18 Kappeler 6: (II / 45:30) Die Armenier wurden in Aserbaidschan und die Aserbaidschaner in Armenien diskriminiert. Auch die Konflikte Georgiens mit seinen Minderheiten waren schon akut, etwa zwischen Georgiern und Südosseten. Erzähler: Ein oft gespanntes Verhältnis herrschte zwischen Unabhängigkeitsbewegungen und Weißen. Beide kämpften gegen die Rote Armee. Andererseits waren die Weißen meist "großrussisch"-nationalistisch orientiert. Es kam auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen: OT 20 Kappeler 8: (II / 41:35) Die Weißen waren rigorose Gegner der ukrainischen Unabhängigkeit. Für sie waren die Ukrainer Russen, wie das in der Zarenzeit offizielle Doktrin war. Hier hatten sie überhaupt keine Bereitschaft, irgendeine Form von Autonomie anzuerkennen. Erzähler: Gegen die Unabhängigkeitsbewegungen stellten sich außerdem einheimische Bolschewiki: OT 21 Kappeler 9: (II / 34:50) Ein großer Teil der Arbeiter etwa in der Ukraine, im Baltikum waren durchaus für die Oktoberrevolution. Deswegen kam es ja in diesen Ländern auch zu Bürgerkriegen. Erzähler: Die meisten Unabhängigkeitsbewegungen scheiterten: OT 23 Kappeler 11: (II / 25:20) Als die nationalen Randgebiete von Russland abfielen, akzeptierten das die Bolschewiki aber nicht, sondern sie versuchten, die Regionen mit Waffengewalt zurückzugewinnen. Erzähler: Die staatliche Selbständigkeit hatten 1920 nur Polen, Finnland und die drei baltischen Länder erreicht. Die anderen Regionen am Rand Russlands wurden zu Sowjetrepubliken. Immerhin erhielten sie weitgehende kulturelle Autonomie. OT 25 Kappeler 13: (II / 49:50) Die Zahl der Nichtrussen in den Führungsgremien nahm zu. Etwa in der Ukraine wurden die Schulen, die Behörden ukrainisiert. Es waren wesentliche Konzessionen. In den dreißiger Jahren war es dann mit dieser Politik auch schon wieder vorbei. Musikakzent Erzähler: In der eindrucksvollen, manchmal ziemlich plakativen "Kantate zum zwanzigsten Jahrestag der Oktoberrevolution" von Sergej Prokofjew aus dem Jahr 1937 sind seine Erfahrungen als Komponist von Filmmusik zu spüren. Maschinengewehr- und Artilleriefeuer dröhnen, Sirenen, die Stimme Lenins. Blechbläser und Schlagzeug - wie oft bei Prokofjew - sowie ein Akkordeonensemble garantieren farbige Kontraste. Chöre und Solisten singen Marx, Lenin und Stalin. Das Jahr 1937 bedeutete nicht nur den Höhepunkt des Großen Terrors in der Sowjetunion. Schriftsteller, Komponisten oder Regisseure sollten damals auf Experimente verzichten und die Diktatur auf - wie es hieß - volkstümliche Weise feiern. In dieser unberechenbaren Zeit konnte auch Prokofjews formal unkonventionelle Kantate als Provokation verstanden werden. Sie wurde jahrzehntelang nicht aufgeführt. Musikakzent OT 26 Hildermeier 9: ([II] - XXXIII / 2:45) Das war eine Zeit von Massengewalt, unkalkulierbarerer Gewalt, brutalster Gewalt. Erzähler: Der Göttinger Historiker Manfred Hildermeier. Der Bürgerkrieg von 1918 bis 1920 bedeutete den Ausnahmezustand im ganzen Land. Die Bolschewiki proklamierten offen den "Roten Terror" mit Geiselnahmen und Massenhinrichtungen. Im Zentrum des Zyklons: die Geheimpolizei Tscheka unter Führung von Feliks Dzierzynski. Der Terror traf gefangengenommene weiße Soldaten, aber auch "Feinde" in der Zivilbevölkerung. Streiks in Fabriken und Unruhen auf den Dörfern wurden unerbittlich niedergeschlagen. Wahrscheinlich gab es allein unter der Zivilbevölkerung mehrere hunderttausend Opfer. 1918 ermordeten "Tschekisten" den letzten Zaren Nikolaj II., seine Frau und ihre fünf Kinder zwischen 13 und 22 Jahren. Gerechtfertigt wurde der Rote mit dem ebenso brutalen Weißen Terror, in dessen Massengräbern hunderttausende "Rotarmisten" und politisch Verdächtige endeten. Nach dem Bürgerkrieg ließ der Terror für etliche Jahre nach - er konnte aber jederzeit reaktiviert werden. Musikakzent Erzähler: Der sogenannte Kriegskommunismus der Jahre 1918 bis 20 setzte in vielen Bereichen der sowjetrussischen Gesellschaft ein Kommandosystem und strikte Kontrolle von oben nach unten durch. Wichtigstes Ziel der "revolutionären Avantgarde" zwischen Minsk und Wladiwostok war der Machterhalt geworden - um jeden Preis. Der allmähliche Übergang zur Alleinherrschaft der bolschewistischen Partei bedeutete die Ausschaltung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Bürokratisierung auch der Wirtschaft. Das nahm in vielem schon die unbeschränkte Diktatur des "Stalinschen Politbüros" in den dreißiger Jahren vorweg. Die Räte - die Parlamente des neuen Staates - verloren rasch ihren Einfluss. Sie sanken zu machtlosen Schattenorganisationen herab, die der Politik der Parteiführung zuzustimmen und sie auszuführen hatten. OT 27 Hildermeier 10: ([II] - XXIII / 2:15) Vieles hat sich verschlechtert, weil Krieg und Revolution zu einer Zerstörung des Landes geführt haben wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Erzähler: Durch die Wirren des Weltkriegs stand die russische Wirtschaft schon vor der Februarrevolution am Rand des Zusammenbruchs. Im Lauf des Jahres 1917, erst recht nach der Oktoberrevolution verschlimmerte sich die Lage noch. Die Sowjetregierung versuchte, "Schaltstellen" unter ihre Kontrolle zu bringen: OT 28 Hildermeier 11: ([II] - XI / 2:35) Für Marxisten war das Bankkapital ein Hauptgegner. Also haben die Bolschewiki als eine der ersten Maßnahmen die Banken nationalisiert. Erzähler: In der Industrie führten sie die sogenannte Arbeiterkontrolle ein: die Beschäftigten sollten das letzte Wort haben - man brauchte aber "Kapitalisten" noch als Manager. Erstmals galt die 48-Stunden-Woche, Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung und der Kündigungsschutz wurden ausgebaut: OT 29 Hildermeier 12: ([II] - XXIII / 1:20) Es hat für die Arbeiter eine wesentliche Verbesserung ihrer materiellen Absicherung gegeben - nicht des Lebensniveaus, dafür war die wirtschaftliche Lage zu schlecht. Erzähler: Der "Arbeiterkontrolle" folgte schon bald die Verstaatlichung der Großindustrie. Während des Bürgerkriegs produzierten die Fabriken in erster Linie für den Bedarf der Fronten und wurden auf Verschleiß gefahren. In den Dörfern ließ die Sowjetregierung in großem Maßstab Korn, Kartoffeln oder Vieh zur Versorgung der Armee und der Großstädte beschlagnahmen. Dadurch geriet sie in Gegensatz zu den Bauern, an die sie gerade erst das Land der Großgrundbesitzer verteilt hatte. Zum Alltag in diesem "Kriegskommunismus" gehörten die Rationierung selbst von Brot, Milch und Kohlen und die Entstehung umfangreicher Schwarzmärkte. OT 30 Hildermeier 13: ([II] - XIV / 2:20) Faktisch kam die Geldwirtschaft zum Erliegen, der Austausch über Geld. Erzähler: Der Schriftsteller Wiktor Schklowskij blickte 1920 auf den Hunger der Bürgerkriegsjahre zurück: Zitator 1: Petersburg stirbt schlicht und undramatisch. Ich will von Petersburg schreiben, damit man erfährt, wie wir hungerten, wie viele Opfer die Revolution forderte. Papier, kleine Abfälle, alles wurde in eisernen Öfchen verheizt. Es gab kein Holz mehr und das Wasser fror ein. Man musste sich die Hände mit Asche scheuern, wenn man sie reinigen wollte. Dann fielen die Läuse über die Stadt her - aus Schwermut. Morgens Hunger und heißes Wasser. Abends Hunger. Es war schwer, jemandem beim Essen zuzusehen. Wir aßen sonderbare Dinge: gefrorene Kartoffeln und verfaulte Rüben, Brot gab es wenig, es erinnerte an eine Art Briketts aus Strohhalmen. Die umgekehrten Hamsterer - ernste kräftige Leute, Bauern - transportierten in ihren Säcken alles aus der Stadt ab: Gold, Grammophone, Heiligenbilder, Kleider - alles außer Büchern. Wir wuschen uns selten, auch dann taten es nur die Kräftigsten. Aber die Stadt, die große Stadt, lebte weiter - wie ein Haufen Kohlen, der im Regen weiterbrennt. Aus unseren dunklen Wohnungen gingen wir ins Theater. Hungrige Schauspieler standen auf der Bühne. Die Newa floss unter dem dicken Eis weiter und wir arbeiteten. Die Stadt ist leer. Die Straßen scheinen so breit, als seien sie über die Ufer getreten. Das rote Feuer der Revolution ist das letzte, was von der russischen Stadt übriggeblieben ist. Erzähler: Der letzte Satz klingt bitter und ironisch - Schklowskij, Anhänger der Sozialrevolutionäre, lehnte den "Roten Oktober" ab. Es kam noch schlimmer. Im Bürgerkrieg hungerte vor allem die Stadtbevölkerung. Nach seinem Ende, 1921, erfasste der Hunger auch die Dörfer. Diese Katastrophe hing zum Teil mit einer Dürre zusammen, sie war aber auch Folge der Beschlagnahmungspolitik des Staates, auf die die Bauern mit einer Art Boykott antworteten, der dann auf sie selbst zurückschlug. Erst Ende der zwanziger Jahre hatte das Land die Wirtschaftsleistung zu Beginn des Ersten Weltkriegs wieder erreicht. Historischer OT [russisch]: Lew Trozkij, "Lage in der Sowjetunion", 1920 Erzähler: Lew Trozkij 1920. OT 31 Hildermeier 14: ([II] - XXXIII / 1.50) Der Elitenaustausch nach der Oktoberrevolution ist tatsächlich radikal gewesen. Erzähler: Das neue Machtzentrum bestand aus dem Politbüro der Kommunistischen Partei, dem Oberkommando der "Roten Arbeiter- und Bauernarmee" und der Führung der Geheimpolizei "Tscheka". Noch während des Bürgerkriegs formierte sich eine breite "sowjetische"Elite. Zehntausende "alte Bolschewiki", die in der Zarenzeit in der Illegalität, im Exil oder im Gefängnis gewesen waren - vor allem Fabrikarbeiter -, stiegen zu Kreisparteisekretären, Bürgermeistern, Fabrikdirektoren oder Bataillonskommandeuren auf. Zur gleichen Zeit fielen oft die engagiertesten Revolutionäre an den Bürgerkriegsfronten oder vor den Erschießungskommandos der Weißen. OT 32 Hildermeier 15: ([II] - XXIII / 0:20) Einfache Leute konnten in relativ hohe Positionen aufsteigen - durch Parteizugehörigkeit. Ganz neu waren Bildungschancen, Qualifikationschancen. ([II] - XXII / 2:30) Das galt sicher eher für Stadtbewohner, Arbeiter. Es galt aber auch zunehmend für Bauern, die die Chance hatten, in die Stadt zu kommen. Erzähler: Mit dem Sieg der Roten drängten dann Millionen unpolitischer Karrieristen in die unteren Ränge der "Diktatur des Proletariats". Die "revolutionäre Avantgarde" - von einigen asketisch lebenden Spitzenpolitikern wie Lenin und Trozkij abgesehen - genehmigte sich überdurchschnittliche Einkommen, komfortable Wohnungen und Landhäuser, exklusive Clubs und Geschäfte, Autos, Hauspersonal usw. Das geschah anfangs zögernd und von der Öffentlichkeit kaum bemerkt. Verglichen mit der Zarenzeit fiel die soziale Ungleichheit allerdings geringfügig aus. Musikakzent Erzähler: Auch die Alltagskultur veränderte sich. Manches verlief ähnlich wie in Westeuropa, zum Beispiel die Verstädterung. Die Sowjetregierung organisierte eine großangelegte Kampagne zur Alphabetisierung der Bevölkerung. Dutzende Millionen Erwachsene lernten lesen und schreiben. Schulen und Universitäten wurden ausgebaut. Ziel war Aufschluss zum Westen, mehr wirtschaftliche und gerade auch militärische Konkurrenzfähigkeit. Manfred Hildermeier hebt noch etwas anderes hervor: OT 34 Hildermeier 17: ([II] - XXIV / 0:20) Das Verschwinden der Religion aus dem Leben der einfachen Leute. In den Städten hatte es wahrscheinlich ohnehin schon etwas gegeben wie einen Rückzug der Religion. Auf dem Land bestimmt nicht. Zur Kulturpolitik der Bolschewiki gehörte ein entschiedener Atheismus. Kirchliche Feiertage wurden zum Teil verboten. Erzähler: Die russisch-orthodoxe Kirche, jahrhundertelang eine Stütze des Zarenregimes, ließ 1917 Gebete für die Kerenskij-Regierung sprechen - vielleicht aus Einsicht in die Überlebtheit der alten Ordnung, vielleicht aus Berechnung. Unter der Sowjetmacht kam es sofort zu massiven Konflikten, die Kirche verlor ihr gewaltiges Landeigentum, Religionsunterricht durfte nicht mehr in Schulen stattfinden, Gläubige blieben von manchen Karrieren ausgeschlossen. Auch Judentum oder Islam wurden diskriminiert. Musikakzent OT 35 Hildermeier 18: ([II] - XXVI / 0:10) Formale Gleichberechtigung in einem Maß, wie das in westlichen Gesellschaften nicht der Fall war, tatsächliche Integration in das Arbeitsleben - aber gleichzeitig Fortführung der alten Rollenverteilung in Familie und öffentlichem Leben. Erzähler: Für die Frauen in Russland brachte der Oktoberumsturz - wie schon die Februarrevolution - zahlreiche Verbesserungen, das Gesetz sicherte ihnen völlige Gleichberechtigung zu. Die Kommunistische Partei verurteilte patriarchalische Familienverhältnisse - Frauen in den muslimischen Regionen, vor allem in Zentralasien, sollten den Schleier ablegen. Für manche bedeutete das Befreiung, für manche Zwang. Sexualität konnte nach der Revolution freier gelebt werden, auch Homosexualität. An die Stelle der Ehe traten häufig lose Partnerschaften. Schon in den dreißiger Jahren setzten sich wieder traditionelle "Familienwerte" durch. In der frühen Sowjetunion sollten Frauen in allen Berufen arbeiten, studieren, sich politisch engagieren. Manfred Hildermeier hebt aber hervor ... OT 36 Hildermeier 19: ([II] - XXVI / 0:00) ... dass die Frauen Doppelarbeit verrichtet haben, weil ihnen die Hausarbeit und Kindererziehung nach wie vor zugewiesen wurde. ([II] - XXIV / 1:50) All diese Theorien, die sich mit der Revolution verbanden, von der sexuellen Revolution, der Revolution der Geschlechterrollen, die von einer bekannten Bolschewistin, Aleksandra Kollontaj, vertreten wurden, sind sicher nur für einige wenige spürbar gewesen. Historischer OT [russisch]: A. Kollontaj "Über die Rechte der Frau", 1920 Erzähler: Aleksandra Kollontaj war als Ministerin 1917/18 bezeichnenderweise "nur" für Soziales zuständig. Später vertrat sie ihre Heimat als Botschafterin. In Führungspositionen von Partei, Staat und Wirtschaft blieben Frauen bis zum Untergang der Sowjetunion seltene Ausnahmen. Historischer OT [russisch]: W. Majakowskij, unbekanntes Gedicht, 1920 Erzähler: Wladimir Majakowskij 1920. OT 37 Hildermeier 20: ([II] - IXXX / 0:10) Die Oktoberrevolution hat den radikalen Ideen zum Durchbruch verholfen. Erzähler: Das galt gerade für die Kultur. Viele Künstler unterstützten das neue Regime, manche aus Opportunismus, andere aus - vielleicht naiver - Überzeugung. Ein Teil der früheren Bohème fühlte sich von der neuen Ordnung angezogen. Viele Künstler gingen aber auch ins Exil. Das Chaos der Revolution bedeutete eine Blüte experimenteller - auch völlig unpolitischer - Kultur. Agitationsgedichte von Wladimir Majakowskij, Dramen von Sergej Tretjakow, Romane von Nikolaj Ostrowskij oder Sergej Gladkow, Erzählungen von Isaak Babel idealisierten die Revolution. Eine kritische Darstellung der neuen Zeit war aber möglich - wie in den Romanen "Die weiße Garde" von Michail Bulgakow oder "Neid" von Jurij Olescha. Gleichzeitig erschien radikal Unpolitisches, etwa lautmalerische "futuristische" Gedichte von Welemir Chlebnikow oder skurrile Kurzgeschichten von Daniil Charms. Im Theater wollte das Publikum Avantgardistisches sehen: OT 38 Hildermeier 21: ([II] - XXXI / 0:20) Beispiel: das Agitationstheater von Meyerhold - der Kontrapunkt zum naturalistischen Theater, das vorher die Bühnen beherrscht hat. ([II] - XXXI / 1:00) Sie taten das inhaltlich, indem sie sich mit der Revolution identifizierten - dieses Agitationstheater ist proletarisches, sozialistisches Theater gewesen. Sie taten das formal - das epische Theater, das antinaturalistische Theater. Erzähler: Viele Komponisten schrieben politische Lieder, auch Opern, Sinfonien oder Ballettmusiken mit revolutionären Themen - etwa Sergej Prokofjew, Dmitrij Schostakowitsch und Aleksandr Mosolow. Die Musik war offen für Einflüsse der internationalen Moderne und auch des Jazz. In der Malerei standen revolutionäre Themen neben formalen Experimenten etwa von Kasimir Malewitsch und El Lissitzky. Zur neuen Ikone, auf Plakaten vervielfältigt, wurde das Gemälde "Der Bolschewik" von Boris Kustodijew: ein älterer Mann, bedrohlich groß wie ein Riese der Vorzeit, eher Bauer als Arbeiter, steht - verschlossen, fast abwesend wirkend - mit einer riesigen roten Fahne zwischen einer Menge winzig kleiner Demonstranten. Sie achten kaum auf ihn, obwohl er sie mit einem unvorsichtigen Schritt zertreten könnte. Ein vieldeutiges Bild wie aus einem russischen Märchen ... Die größte "Breitenwirkung" erzielten wahrscheinlich Filme - bis Ende der zwanziger Jahre waren es Stummfilme. Zentrale Themen: Revolution, Bürgerkrieg, "sozialistischer Aufbau". Die Spielfilme von Sergej Ejsenschtejn oder Wsewolod Pudowkin, die Dokumentarfilme von Dziga Wertow faszinieren mit ihrer überraschenden Bildsprache immer noch. Musikakzent Erzähler: Die kulturelle Aufbruchstimmung in Sowjetrussland verlor sich rasch. Mitte der zwanziger Jahre setzte eine rückwärtsgewandte Kulturpolitik ein. Ziel: die kompromisslose Mythisierung der Revolution, vor allem im Film. Helden waren Lenin und seine "engsten Weggefährten", auch Bürgerkriegskommandeure. Über Ejsenschtejns bekannten Film "Oktober" sagt Manfred Hildermeier: OT 39 Hildermeier 22: ([II] - XXXI / 2:05) Der Film aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums der Oktoberrevolution inszeniert ja diesen Sturm auf den Winterpalast. Den hat es so nie gegeben. Der ist ein bolschewistischer Mythos. Es war leicht für die Belagerer, da einzudringen. Das wird aufgebauscht mit dramatischen Bildern. Das ist inhaltlich falsch, in den Bildern natürlich ungeheuer suggestiv umgesetzt. Musikakzent Erzähler: Eine Bilanz der russischen Revolution fällt bedrückend aus. Gemessen an den heutigen Standards demokratischer Politik erscheinen alle Akteure des Februar und des Oktober 1917 und erst recht des Bürgerkriegs fragwürdig - nicht nur die Bolschewiki und die weißen Generäle. Auf die liberale Mitte und die gemäßigte Linke fällt die Verantwortung für die Fortsetzung des Weltkriegs, den Aufschub der ersten freien Wahlen, die diktatorischen Tendenzen der Kerenskij-Regierung und schließlich für den Pakt mit der äußersten Rechten seit 1918. Weltkrieg, Bürgerkrieg und Hunger kosteten Russland über zehn Millionen Tote. Weithin herrschten Chaos und Kriminalität. Die Macht der neuen Elite war jedoch vorerst gesichert - auch wenn viele der führenden Revolutionäre ein bitteres Schicksal traf: OT 40 Hildermeier 23: ([II] - IXX / 2:30) Die allermeisten sind Opfer des Stalinschen Terrors geworden. Erzähler: Gemessen an den eigenen Ansprüchen der Bolschewiki vor der Oktoberrevolution war das neue Leben in Russland allenfalls eine Karikatur von Sozialismus. Eine befremdliche Kontinuität zur Zarenzeit fällt auf. Das politische, wirtschaftliche und militärische Führungspersonal, die Slogans und Symbole wurden ausgetauscht - an der autoritären Herrschaft, den vielfachen Vorrechten der Elite und der Rechtlosigkeit der Mehrheit der Bevölkerung änderte sich wenig. Musikakzent Erzähler: Der Lyriker der russischen Revolution ist Wladimir Majakowskij. Er hatte sich schon als Schüler den Bolschewiki angeschlossen. Zu seinem "Linken Marsch - Für die Matrosen", entstanden 1918, schrieb später Hanns Eisler mitreißende Musik, Ernst Busch sang das Lied wie auf einer Tribüne des "Roten Oktober". Das Gedicht des jungen auftrumpfenden und unglücklichen Propagandisten Majakowskij klingt heute wie eine Grabschrift für die revolutionären Ideale, die sich rasch als Illusion erwiesen. Musik: H. Eisler / W. Majakowskij, "Linker Marsch" (Aufnahme mit Ernst Busch von 1967) Entrollt euren Marsch, Burschen von Bord! Schluß mit dem Zank und Gezauder. Still da, ihr Redner! Du hast das Wort, rede, Genosse Mauser! Brecht das Gesetz aus Adams Zeiten. Gaul Geschichte, du hinkst ... Woll'n den Schinder zu Schanden reiten. Links! Links! Links! Blaujacken, he! Wann greift ihr an? Fürchtet ihr Ozeanstürme?! Wurden im Hafen euch eurem Kahn rostig die Panzertürme? Laßt den britischen Löwen brüllen - zahnlosfletschende Sphinx. Keiner zwingt die Kommune zu Willen. Links! Links! Links! Dort hinter finsterschwerem Gebirg liegt das Land der Sonne brach. Quer durch die Not und Elendsbezirk stampft euren Schritt millionenfach! Droht die gemietete Bande Mit stählerner Brandung rings, - Russland trotzt der Entente Links! Links! Links! Seeadleraug' sollte verfehlen?! Altes sollte uns blenden? Kräftig der Welt ran an die Kehle, mit proletarischen Händen. Wie ihr kühn ins Gefecht saust! Himmel, sei flaggenbeschwingt! He, wer schreitet dort rechts raus? Links! Links! Links! ABSAGE (SvD): Sie hörten: Vereint im Leiden und Aufbegehren - Eine Lange Nacht über revolutionäre Umbrüche in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Winfried Roth. Es sprachen: Friedhelm Ptok, Joachim Schönfeld, Helmut Gauss und Julia Brabandt Ton: Bernd Friebel und Alexander Brennecke Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Monika Künzel Musik Musikliste 1. Stunde Titel: aus: Sinfonie Nr. 11 g-Moll, op. 103, 4. Satz: Sturmgeläut. Allegro non troppo Länge: 01:38 Ensemble: Orchester: Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR Dirigent: Konstantin Iwanow Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/7 Titel: Sonata for cello & piano in D minor, Op. 40: Largo Länge: 00:47 Interpret: Kalichstein Laredo Robinson Trio Komponist: Dmitri Shostakovich Label: Arabesque Recordings Best.-Nr: Z 6698 Plattentitel: Shostakovich The Complete Trios & Sonatas Titel: aus: Sinfonie Nr. 11 g-Moll, op. 103, 4. Satz: Sturmgeläut. Allegro non troppo Länge: 00:56 Orchester: Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR Dirigent: Konstantin Iwanow Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/7 Titel: Ouvertüre über russische und kirgisische Volksthemen für Orchester, op 115 Länge: 01:10 Orchester: Sinfonieorchester Göteborg Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Deutsche Grammophon Best.-Nr: 427616-2 Titel: Sonata for cello & piano in D minor, Op. 40: Largo Länge: 01:34 Interpret: Kalichstein Laredo Robinson Trio Komponist: Dmitri Shostakovich Label: Arabesque Recordings Best.-Nr: Z 6698 Plattentitel: Shostakovich The Complete Trios & Sonatas Titel: Symphonie Nr. 15 Länge: 00:41 Interpret: Staatl. Sinfonie-Orchester des Kultusministeriums der UdSSR Komponist: Dmitri Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 258493-218 Plattentitel: Symphonie Nr. 15 Titel: aus: Sinfonie Nr. 11 g-Moll, op. 103, 1. Satz: Der Platz vor dem Palast. Adagio Länge: 03:21 Orchester: National Symphony Orchestra Dirigent: Mstislaw Rostropowitsch Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: TELDEC CLASSICS Best.-Nr: 9031-76262-2 Titel: aus: Sinfonie Nr. 11 g-Moll, op. 103, 4. Satz: Sturmgeläut. Allegro non troppo Länge: 01:06 Orchester: Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR Dirigent: Konstantin Iwanow Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/7 Titel: aus: Sinfonie Nr. 11 g-Moll, op. 103, 2. Satz: Der 9. Januar. Allegro Länge: 02:33 Orchester: Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR Dirigent: Konstantin Iwanow Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/7 Titel: aus: Sinfonie Nr. 11 g-Moll, op. 103, 3. Satz: In memoriam. Adagio Länge: 00:37 Orchester: National Symphony Orchestra Dirigent: Mstislaw Rostropowitsch Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: TELDEC CLASSICS Best.-Nr: 9031-76262-2 Titel: aus: Sinfonie Nr. 11 g-Moll, op. 103, 4. Satz: Sturmgeläut. Allegro non troppo Länge: 06:29 Orchester: Staatliches Sinfonieorchester der UdSSR Dirigent: Konstantin Iwanow Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/7 2. Stunde Titel: Sinfonie Nr. 2 H-Dur, op. 14. Für gemischten Chor und Orchester Länge: 01:04 Chor: Russian State Academy Chorus Orchester: Moscow Philharmonic Orchestra Dirigent: Kirill Kondraschin Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/1 Titel: Piano Trio No. 2 in E minor, Op. 67: Largo Länge: 00:32 Interpret: Kalichstein Laredo Robinson Trio Komponist: Dmitri Shostakovich Label: Arabesque Recordings Best.-Nr: Z 6698 Plattentitel: Shostakovich The Complete Trios & Sonatas Titel: Oktober. Sinfonische Dichtung, op 131 Länge: 01:54 Orchester: Sinfonieorchester Göteborg Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Deutsche Grammophon Best.-Nr: 427616-2 Titel: Symphonie Nr. 15 Länge: 00:47 Interpret: Staatl. Sinfonie-Orchester des Kultusministeriums der UdSSR Komponist: Dmitri Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 258493-218 Plattentitel: Symphonie Nr. 15 Titel: Sinfonie Nr. 2 H-Dur, op. 14. Für gemischten Chor und Orchester Länge: 04:17 Chor: Russian State Academy Chorus Orchester: Moscow Philharmonic Orchestra Dirigent: Kirill Kondraschin Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/1 Titel: Symphonie Nr. 15 Länge: 00:12 Interpret: Staatl. Sinfonie-Orchester des Kultusministeriums der UdSSR Komponist: Dmitri Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 258493-218 Plattentitel: Symphonie Nr. 15 Titel: Sinfonie Nr. 2 H-Dur, op. 14. Für gemischten Chor und Orchester Länge: 00:19 Chor: Russian State Academy Chorus Orchester: Moscow Philharmonic Orchestra Dirigent: Kirill Kondraschin Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/1 Titel: Sinfonie Nr. 2 H-Dur, op. 14. Für gemischten Chor und Orchester Länge: 01:48 Chor: Russian State Academy Chorus Orchester: Moscow Philharmonic Orchestra Dirigent: Kirill Kondraschin Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/1 Titel: aus: Sonate für Klavier Nr. 23 f-Moll, op. 57, 3. Satz: Allegro ma non troppo - Presto Länge: 01:25 Solist: Fazil Say (Klavier) Komponist: Ludwig van Beethoven Label: Auvidis Best.-Nr: V 5016 Titel: Piano Trio No. 2 in E minor, Op. 67: Largo Länge: 04:53 Interpret: Kalichstein Laredo Robinson Trio Komponist: Dmitri Shostakovich Label: Arabesque Recordings Best.-Nr: Z 6698 Plattentitel: Shostakovich The Complete Trios & Sonatas Titel: Iridescence Länge: 04:55 Interpret: Hildur Ingveldardóttir Guðnadóttir, Jóhann Jóhannsson, Skúli Sverrisson Komponist: Hildur Ingveldardóttir Guðnadóttir Label: TOUCH Best.-Nr: TO:70DS Plattentitel: Iridescence Titel: Symphonie Nr. 15 Länge: 00:09 Interpret: Staatl. Sinfonie-Orchester des Kultusministeriums der UdSSR Komponist: Dmitri Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 258493-218 Plattentitel: Symphonie Nr. 15 Titel: Sinfonie Nr. 2 H-Dur, op. 14. Für gemischten Chor und Orchester Länge: 00:31 Chor: Russian State Academy Chorus Orchester: Moscow Philharmonic Orchestra Dirigent: Kirill Kondraschin Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/1 Titel: # 320 Länge: 04:03 Interpret: Hauschka & Hildur Gudnadotti Komponist: Volker Bertelmann, Hildur Gudnadotti Label: Sonic Pieces Best.-Nr: SONICPIECES012 Plattentitel: Pan Tone Titel: Iridescence Länge: 04:03 Interpret: Hildur Ingveldardóttir Guðnadóttir, Jóhann Jóhannsson, Skúli Sverrisson Komponist: Hildur Ingveldardóttir Guðnadóttir Label: TOUCH Best.-Nr: TO:70DS Plattentitel: Iridescence Titel: Sinfonie Nr. 2 H-Dur, op. 14. Für gemischten Chor und Orchester Länge: 08:45 Chor: Russian State Academy Chorus Orchester: Moscow Philharmonic Orchestra Dirigent: Kirill Kondraschin Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Melodia Best.-Nr: 1002431/1 3. Stunde Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Für Sprecher, gemischten Chor und Orchester, op. 74, 1. Satz: Einleitung: Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus Länge: 01:47 Solist: Gennadi Nikolajewitsch Roschdestwenski (1931-)(Sprechstimme) Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 3. Satz: Zwischenspiel Länge: 02:05 Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 5. Satz: Zwischenspiel Länge: 00:55 Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 6. Satz: Revolution Länge: 01:00 Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 7. Satz: Sieg Länge: 01:15 Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 1. Satz: Einleitung: Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus Länge: 00:47 Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: Ouvertüre über russische und kirgisische Volksthemen für Orchester, op 115 Länge: 00:44 Orchester: Sinfonieorchester Göteborg Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Deutsche Grammophon Best.-Nr: 427616-2 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 9. Satz: Sinfonie Länge: 00:33 Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 6. Satz: Revolution Länge: 00:33 Solist: Gennadi Nikolajewitsch Roschdestwenski (1931-)(Sprechstimme) Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 8. Satz: Der Schwur Länge: 00:57 Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 10. Satz: Die Verfassung Länge: 00:07 Solist: Gennadi Nikolajewitsch Roschdestwenski (1931-)(Sprechstimme) Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: Seven Preludews (prayers), III. Länge: 02:51 Solist: Jenny Lin piano Komponist: Nikolai Obouhov Label: hänssler-classic/Laudate Best.-Nr: CD 98.480 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 9. Satz: Sinfonie Länge: 02:02 Solist: Gennadi Nikolajewitsch Roschdestwenski (1931-)(Sprechstimme) Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 10. Satz: Die Verfassung Länge: 00:33 Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: aus: Kantate zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. 1. Satz: Einleitung: Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus Länge: 00:14 Solist: Gennadi Nikolajewitsch Roschdestwenski (1931-)(Sprechstimme) Chor: Philharmonia Chorus Orchester: Philharmonia Orchestra Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Sergej Prokofjew Label: CHANDOS Best.-Nr: I1815821 Titel: Linker Marsch Länge: 02:40 Interpret: Ernst Busch Komponist: Hanns Eisler Label: 'pläne' Best.-Nr: 88642 Plattentitel: Lieder der Arbeiterklasse, Lieder aus dem spanischen Bürgerk Titel: Ouvertüre über russische und kirgisische Volksthemen für Orchester, op 115 Länge: 03:41 Orchester: Sinfonieorchester Göteborg Dirigent: Neeme Järvi Komponist: Dmitrij Schostakowitsch Label: Deutsche Grammophon Best.-Nr: 427616-2 Vereint im Leiden und Aufbegehren Eine Lange Nacht über revolutionäre Umbrüche in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts Seite 2