HINTERGRUND KULTUR UND POLITIK Reihe : Zeitfragen/Literatur Ko Titel der Sendung : Zukunft denken. 500 Jahre "Utopia" " "Altern 2.0" Von der schönen neuen Genwelt Ein utopisches Hörstück Autor/in : Ulrich Woelk Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 23.12.2016 Besetzung : diverse Regie : Beate Ziegs Produktion : Musik Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Altern 2.0 Hörspiel von Ulrich Woelk Personen: Joost, feiert seinen 100sten Geburtstag. Toni, 98, sein Bruder Klara, 65, seine Tochter. Chimalma, 23, seine Enkeltochter. Ronni, ein Nachbar Caterer Radiosprecher PDA-Stimme (Personal Digital Assistant) Stimmen einer Radiowerbung Geräusch in einem Bad, jemand putzt sich die Zähne. Dazu spielt ein Radio, typischer Dudelsender, in dem die Moderatoren fröhlich drauflosplappern. Radiomoderator ... wünsche allen Hörern einen fantastischen Guten Morgen, ihr hört Hundert- Komma-Null-Forever-Young-Radio, und was kann man von einem Dezembertag kurz vor Weihnachten mehr verlangen als 22 Grad und Sonne satt, also echtes Gute-Laune-Wetter, und jetzt kommt wie immer um diese Zeit unser täglicher Hit mit Hundert, heute für die, die wissen, dass der Rock'n Roll ewig leben wird! Unvergessen und immer noch genial, The King! ... Hier ist Elvis ... Musik, Elvis Presley, Are you lonesome tonight. 1. SZENE Joost beendet das Zähneputzen. Joost (seine innere Stimme) Ist das wahr? Hundert Jahre ... hätte ich jetzt nicht gedacht ... Na dann ... Er lässt einen Becher voll Wasser laufen. ... auf unsere Hundert, Elvis, also meine und die deines Songs ... Er nimmt Wasser in den Mund, gurgelt, spült aus ... Wann bist du eigentlich abgetreten? ... Irgendwann habe ich dich mal live im Fernsehen gesehen, meine ich ... rein rechnerisch muss das so 72, 73 gewesen sein ... Er schaltet einen Rasierapparat an und fängt an sich zu rasieren. ... unfassbar, 72, 73 ist als Jahrgang bald nicht mehr eindeutig ... genau wie mein Geburtsdatum ... das ist schon jetzt nicht mehr eindeutig ... schauerlich, wenn ich sage, ich bin Jahrgang 60, könnte ich auch ein schreiender Säugling sein ... Kurzer Signalton eines Handys/PDA. PDA-Stimme Klara ruft an. Möchtest du das Gespräch entgegen nehmen? Joost schaltet den Rasierapparat ab. Joost Ja, gerne. 2. SZENE Tonsignal. Joost geht in einen anderen Raum. Das Radio wird entsprechend leiser. Joost Hallo Klara. Klara Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Papa. Joost Danke, das ist lieb, dass du anrufst. Du bist sicher im Stress. Klara Ich habe es schon mal vor einer Stunde probiert. Joost Da war ich joggen. Klara Und vor einer Viertelstunde. Joost Da habe ich geduscht. Klara Warum lässt du dir nicht mal einen Kom-Chip ins Innenohr implantieren? Joost Das ist nichts mehr für mich. Klara Papa, es ist ein harmloser Eingriff. Und mir wäre wirklich wohler, weil ich dich dann immer erreichen könnte. Joost Man hört da so Sachen ... Seit Onkel Toni den Chip hat, hört er ständig Werbung ... Klara Das ist doch nur eine Einstellungssache, dafür gibt es Filter. Joost Sie kriegen es nicht hin, sagt er. Klara Wahrscheinlich hat er so einen Billigchip aus Subsahara Afrika genommen. Joost Wieso sollte er? Er hat genug Geld. Klara Im Prinzip ja, aber ich vermute mal, das geht seit neuestem alles für sein 35- jähriges Model drauf. Joost Für Pamela? Sei nicht so gehässig. Sie lieben sich. Klara Dass ich nicht lache. Er ist fast 70 Jahre älter. Dass er in sie vernarrt ist, glaube ich gern, aber umgekehrt ... Joost Ich bin kaum jünger. Findest du, ich soll die Hoffnung sausen lassen, noch jemals eine Partnerin zu finden? Klara Entschuldige, so habe ich das nicht gemeint. Aber es gibt doch jede Menge attraktive 80- und 90-Jährige. Joost Ja, aber die sind alle gebunden, weil ihre Männer dank dieser ganzen Genpillen heutzutage nicht mehr die Freundlichkeit haben, vor ihnen zu sterben. Die Zeiten, wo unsere männlichen Zellen früher ausgelutscht waren als eure, sind nun mal vorbei. Klara Apropos Genpillen - hast du deine Genopan genommen? Joost Na klar. Hör mal, auch wenn ich heute hundert werde, bin ich noch lange nicht so vertrottelt, wie du denkst. Klara Nun sei nicht beleidigt, Papa. Ich hab doch nur nachgefragt. Joost Schon gut, mein Liebes. Ich freu mich ja über deinen Anruf. Wie sieht es denn aus? Kommst du heute Abend? Klara Ich hoffe es ... ja ... ja ... Ich habe noch drei wichtige Meetings, bei denen geht's wirklich um ne Menge. Also wenn alles glatt läuft, sollte es eigentlich klappen. Aber eine Garantie dafür gibt's natürlich nicht. Joost Ich würde mich riesig freuen. Klara Ich ja auch. Ich versuch's wirklich ... Ich muss los. Joost Viel Erfolg. Klara Danke. Ich melde mich nochmal. Joost Okay ... Kuss Klara Kuss zurück ... Telefonsignal für beendete Verbindung. Joost geht zurück ins Bad. Das Radio wird wieder lauter. 3. SZENE Joost (innere Stimme) So was, hab ich doch wirklich nicht an die Genopan gedacht ... Dabei wäre ich ohne diese tägliche Gen-Wunderpille wahrscheinlich schon längst tot oder in geistiger Umnachtung versunken. Vielleicht sollte ich mal eine dieser umstrittenen Hirnspülungen machen ... Er rasiert sich zu Ende. Radiomoderator (bei den vorangegangenen Gedanken Joosts allmählich lauter werdend) ... so okay, Leute, jetzt werfen wir mal einen Blick auf das aktuelle Verkehrsgeschehen da draußen. Dicke Luft, kann ich nur sagen ... Die Flyways 210 und 322 sind komplett gesperrt, da hat's ein paar ziemlich heftige Drohnen-Crashs gegeben, und auch sonst läuft über der Stadt nicht viel, also wenn ihr eure Geschenke noch rechtzeitig zu Weihnachten zugestellt haben wollt, müsst ihr euch ranhalten. Und terrestrisch sieht es auch nicht viel besser aus, die Geschäftsmeilen sind dicht, Parkplätze Fehlanzeige, wenn ihr ausgestiegen seid, müssen sich eure kleinen Flitzer noch mindestens fünf bis sechs Kilometer durch den Stau quälen, bis sie die Chance auf eine Parklücke haben, plant also etwas Zeit ein, wenn ihr sie wieder braucht und zurückruft. Und um euch die Wartezeit etwas zu verkürzen hier der aktuelle Mega-Christmas-Burner ... Jingle Hells... Glöckchenklingeln und Jingle Bells-Melodie über infernalischen Techno-Beat ... Während all dessen öffnet Joost die Hausapotheke, nimmt die Schachtel Genopan heraus, drückt sich eine Tablette in die Hand, füllt ein Glas Wasser und schluckt die Tablette. 4. SZENE Es läutet an der Haustür. Joost verlässt das Bad, geht in den Hausflur, öffnet. Caterer (mit frischer Stimme) Guten Morgen, Buffetservice! Joost Morgen ... am besten bringen Sie die Sachen über die Einfahrt in den Garten. Caterer Ich sag den Jungs Bescheid. Wenn Sie wollen, können wir ein Zelt aufbauen, aber so wie es aussieht, reicht es, wenn wir heute Abend ein paar Thermolaser zwischen den Tischen platzieren. Joost Ja, sehe ich auch so. Caterer (ruft zur Straße) Mahmoud, alles durch die Einfahrt in den Garten, kein Zelt und sieben oder acht TLs ... (wieder zu Joost:) ... Sehr schön ... und jetzt würde ich gerne noch ein paar letzte Details des Buffets besprechen ... Haben Sie einen Moment? Joost Kommen Sie rein. Kaffee? Espresso? Cappuccino? Sie setzen sich an einen Tisch. Caterer (als Witz) Das ist ja die reinste Zeitreise, die Sie mir da anbieten ... Aber nein, danke ... Also die Sache ist, dass Sie sich - eine hervorragende Wahl übrigens - für Spingold-Salat als Beilage entschieden haben, aber leider hat die EFSA die Zulassung für Spingold, die sie ja erst vergangenes Jahr erteilt hat, gerade wieder zurückgezogen. Haben Sie vielleicht gehört, ging letzte Woche durch die Nachrichten. Also ich sage Ihnen, diese eurokratischen Food-Diktatoren! Joost Was ist denn passiert? Caterer Ach, lächerlich! Irgendwo in Moldawien oder Albanien, oder weiß der Henker, wie diese EU-Zwergstaaten alle heißen, hat es offenbar ein paar unerwartete Fälle von Spinat-Mangold-Kreuzallergie mit Atemstillstand und Hautablösung gegeben. Nicht zu fassen - vierhundert Millionen EU-Bürger freuen sich über ein aufregendes neues Geschmackserlebnis, und nur weil eine Handvoll Zigeuner kein Designergemüse verträgt, wird die gesamte Produktion gestoppt. Hat das noch irgend was mit Demokratie zu tun? Joost Nun ja ... hm ... ich meine ... Caterer Sag ich ja. Und Sie müssen nun drunter leiden - ein Skandal! Aber Gott sei Dank bin ich ja da. Also ich schlage stattdessen - darauf würden Sie wahrscheinlich selber nie kommen - ein Sushi aus Ahorn-Algen vor. Das ist der letzte Schrei und passt vor allem ganz hervorragend zu den von Ihnen ausgesuchten Donau-Thunfisch-Loins! Was meinen Sie? Joost Ahorn-Algen? Caterer Die importieren wir direkt aus Kanada. Unglaublich zart und trotzdem mit diesem leichten Ahorn-Barriquearoma. Die werden in der Hudsonbay gezogen, die ja mittlerweile ganzjährig eisfrei ist und eine unglaublich gute Meerwasserqualität hat. Joost Na gut, wenn Sie meinen ... Caterer Hervorragend, Sie werden es nicht bereuen. Man hört ein schnelles Tastaturfeedback. Caterer Und nun zum Geflügel. Da herrscht gerade ein höchst bedauerlicher Engpass bei den Lagarde-Riesenwachteln, die Sie sich ausgesucht haben ... Joost Und was heißt das nun wieder? Caterer Also die Riesenwachteln, die zur Zeit auf dem Markt sind, können Sie vergessen! Alles nur schlampig geklonte Ware aus Vietnam - Hanoi-Hühner, wie wir in der Branche immer sagen. Die haben mit den von René Lagarde komponierten Riesenwachtel wirklich nicht das Geringste zu tun. Aber einen Originalklon mit einem authentischen Lagarde-Chromosomensatz zu erwischen, ist derzeit nahezu unmöglich und nebenbei auch unbezahlbar ... Joost Na gut ... Ich schätze, Sie haben auch da einen Plan B. Caterer Allerdings! Ich schlage Ihnen stattdessen Stroulardenbrust vor, da gibt es zur Zeit ... Joost Also nein, Stroularde, ich weiß nicht. Mir ist, ehrlich gesagt, der Straußenanteil in der Stroularde immer etwas zu dominant. Caterer Dann haben Sie unsere Stroularden noch nicht gegessen. Wir beziehen sie direkt aus Somalia, wo sie aus dem Genom des Somalistrauß gewonnen werden, und nicht aus dem des gewöhnlichen afrikanischen Strauß. Glauben Sie mir, ein Gedicht. Joost Ich weiß nicht ... Es ist ja allgemein bekannt, dass rotes Fleisch krebserregend ist. Caterer Ich bitte Sie! Als ob das heutzutage noch ein Argument wäre. Das mag vor hundert Jahren - verzeihen Sie die Anspielung - anders gewesen sein, aber wer redet noch über Krebs? Joost Also ... na gut, wenn Sie meinen ... Sie sind der Fachmann. Caterer Großartig. Ich wiederhole mich ungern, aber ich sage es nochmal: Sie werden es nicht bereuen! Wieder das Tastaturfeedback seines PDA ... Caterer Wir sind dann heute Nachmittag so gegen fünf wieder hier und fangen mit den Vorbereitungen an. Unser Outdoor-live-cooking ist ein Erlebnis - Sie werden sehen! ... Danke, Sie brauchen mich nicht zu begleiten, ich finde allein heraus ... Geht. 5. SZENE Joost (innere Stimme) Denkt er etwa, ich schaffe es nicht mehr bis zur Tür? Mache ich so einen klapprigen Eindruck? Ich finde, ich sehe besser aus als mit sechzig. Seit der Reparatur meiner Haarfolikel kann ich mir wieder meinen Robert-Redford- Schnitt leisten, und dank dieser unermüdlichen chinesischen Gentüftler ist mein Rheuma Geschichte ... Aber wieso habe ich diese Spingold-Sache nicht mitbekommen? Klingt nach einem ordentlichen Skandal, und ich höre jeden Tag Nachrichten ... Signalton des Telefons. PDA-Stimme Toni ruft an. Möchtest du das Gespräch entgegen nehmen? Joost Ja. 6. SZENE Tonsignal. Dann starkes Windrauschen. Joost Hallo Toni. Toni spricht im Folgenden so als brülle er gegen einen Sturm an. Toni Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Bruderherz. Gehörste jetzt also auch zum Klub, gratuliere, du weißt doch: Hundert ist die neue Fünfzig! Joost Danke dir. Wo steckst du? Das klingt ja nach einem regelrechten Orkan im Hintergrund. Toni Du wirst es nicht glauben, aber ich schwebe gerade in einem Kilometer Höhe durch den Himalaya!! Joost Den Himalaya? Toni Ist das nicht irre!? Ich hatte doch immer diese Werbung meines neuen Kom- Chips im Ohr. Jost Ja, hast du erzählt, dass sie das nicht in den Griff gekriegt haben. Toni Zum Glück! Dadurch habe ich von diesem absoluten Low-budget-Vorsaison- Paragliding-Kurs in Nepal erfahren. Ein Angebot, das du echt nicht ablehnen kannst: Luxushotel, Spa, Human-Touch-Massage und nicht diese Roboterknetheinis etcetera ... Alles nur vom Feinsten! Joost (eher zurückhaltend) Wow! Toni Und das Ganze praktisch geschenkt, sage ich dir. Als ich Pamela davon erzählt habe, konnte sie es gar nicht fassen ... Joost Verstehe ... das heißt, du bist heute Abend gar nicht da. Toni Sorry, Bruderherz, ich hätte dir früher Bescheid gesagt, aber es ging alles so schnell. Pamela wäre echt angefressen gewesen, wenn wir wegen deines 100sten die Sache hier hätten sausen lassen. Das war eine einmalige Gelegenheit, und 100ste Geburtstage gibt's im Moment ja an allen Ecken und Enden. Wenn man da jedesmal einen Staatsakt draus machen würde, dann ... oh warte mal, mein Paragliding-Coach will was ... yes ... okay ... yes ... I understand ... yes, I will try ... Joost, bist du noch dran? Joost Ja, bin ich. Toni Wir üben gerade Linkskurven ... ziemliches Gerödel das mit diesen ganzen Schnüren, aber es macht einen Höllenspaß ... Pam ist ein Naturtalent ... Gestern ist sie von einer Flanke des Annapurna abgesegelt, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht ... Ich sage dir, diese Gipfel jetzt im Abendlicht ... der Hammer ... hello? ... yes ... great ... yes ... I understand ... Joost? ... Wir gehen runter, da muss ich mich konzentrieren ... Also noch mal: Alles Gute zum Geburtstag, natürlich auch von Pam, von der ich dich ganz herzlich grüßen soll. Joost Danke, dann noch viel Spaß. Toni Werden wir haben, da kannst du sicher sein, also dann, altes Haus, mach's gut. Joost Du auch, bis dann ... Telefongeräusch für beendete Verbindung. 7. SZENE Joost (innere Stimme) ... ich gönn's ihm ja ... vielleicht hat er recht, das Leben mit seiner Pam zu genießen ... aber wenn das so weitergeht, sehe ich für heute Abend schwarz ... Micki und Susi tauchen auf dem sündhaft teuren Maledivenbisschen, das noch übrig ist, und Charlie wächst die Arbeit über den Kopf, weil er es nicht lassen kann, als Steueranwalt zu praktizieren, und unrentabel gewordene Altersheime abwickelt ... Und ob Chimalma Lust hat, mit ihrem alten Großvater zu feiern, bin ich mir auch nicht sicher ... Am Ende stehe ich hier mit den Langeweilern vom Rentnerstreching und den ehemaligen Arbeitskollegen, die darüber schimpfen, dass früher alles besser war, als unsere Jobs noch von Menschen gemacht wurden ... Kurzer Signalton des PDA. PDA-Stimme Klara ruft an. Möchtest du das Gespräch entgegen nehmen? Joost Ja, natürlich. 8. SZENE Tonsignal. Joost Schon durch mit den Meetings? Klara Nein, wir machen gerade ne Pause. Ich wollte dich nur daran erinnern, dass Chimalma Genanerin ist. Hast du daran gedacht, oder hast du wieder so ein totales Genfood-Buffet bestellt? Joost (kleinlaut) ... also eigentlich nicht ... oder ... Ich meine, es gibt Donau-Thunfisch-Loins und gegrillte Stroulardenbrust ... aber der Rest ist absolut ... Klara Das ist mal wieder soo typisch ... Hast du noch nie davon gehört, dass Stroularden nur mit Flügelfesseln gehalten werden können, weil sie ansonsten ihre Flugfähigkeiten überschätzen und ständig abstürzen würden? Das ist doch ein Skandal! Joost (kleinlaut) ... nun ja, hm ... irgendwann schaffen Sie's vielleicht welche ohne Flügel hinzukriegen. Klara Na toll. Und Süßwasserthunfische fressen sämtliche Krebse und Schalentiere in den Flüssen weg und ruinieren deren Ökosysteme. Du weißt ganz genau, wie empfindlich Chimalma in dieser Hinsicht ist. Joost Das kommt davon, dass sie immer mit diesen Genounymus-Typen rumhängt. Klara Ich habe keinen Einfluss darauf, welche Freunde sie sich aussucht. Und im Übrigen hat Genounymus mit vielem durchaus recht. Gut, sie übertreiben hier und da vielleicht ein bisschen mit ihren Aktionen, aber dass sie alte Streuobstwiesen besetzen, um sie vor der Genmafia zu retten, finde ich gut. Joost Und dabei vermummt Reagenzgläser in die Kameras halten und demonstrativ zertrümmern!? Na klar, wenn ich zwanzig wäre, würde ich auch auf Genopan pfeifen. Klara Ich vertraue Chimalma da. Sie weiß sehr gut, was sie tut. Joost Offensichtlich nicht. Alle Welt weiß, dass genane Ernährung für Schwangere absolut nicht zu empfehlen ist. Embryonen brauchen tierische Proteine. Klara Ich bin mir nicht sicher, ob man eine Stroularde als Tier bezeichnen sollte. Joost Soll Chi meinetwegen in einen Wildformladen gehen - da gibt's ja auch Milch und Eier. Sag mal, hat sie eigentlich vor, den Embryo einem Genom- Screening unterziehen zu lassen? Klara Kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen. Und ich werde ihr auch nicht dazu raten. Ich habe nichts gegen Genopan und diese ganzen Medikamente, mit denen man Genschäden repariert und Krebszellen in harmlose Gesellen umprogrammiert. Aber vor der Geburt an den Genen herumzuschnipseln, halte ich für falsch. Joost Wieso das denn? Man hat schließlich eine Verantwortung für das ungeborene Leben. Die Zeugung ist eine ziemlich herzlose Lotterie, dabei gibt es Gewinner und Verlierer. Klara Es ist trotzdem falsch, alles planen zu wollen! Joost Und was ist daran falsch? Klara Weil ein vollständig durchgeplantes Leben die Hölle wäre! Joost Ich möchte ja auch nicht das ganze Leben meines zukünftigen Urenkels durchplanen, sondern nur seine Gesundheit und vielleicht noch ein paar kleinere unbedeutende Details wie ... nun ja ... zum Beispiel die Körpergröße, du weißt auch, dass es in unserer Familie eine gewisse Tendenz zu Um-die-1,60m-Körpergrößen gibt, was ja wirklich nicht mehr sein muss, und außerdem enthält unser familiäres Erbgut ein sehr musikalisches Gen, das sich aber bedauerlicherweise nicht immer ausprägt, da könnte man ein wenig nachhelfen ... Klara Nein, Papa, hier geht es ums Prinzip. Was ist mit so entscheidenden Eigenschaften wie Intelligenz, Kreativität oder sexueller Orientierung? Daran fummeln diese Genklempner doch heutzutage in Wahrheit rum! Joost Was spricht denn gegen intelligente, kreative, heterosexuelle Nachkommen? Klara Papa, das ist ein Spiel mit dem Feuer! Die allermeisten genetischen Zusammenhänge sind viel zu kompliziert, um sie wirklich kontrolliert beeinflussen zu können. So viel wissen wir ja inzwischen. Oder hast du die CRISPR-Krise schon vergessen? Joost (spürbare Pause) Hm ... die CRISPR-Krise ... natürlich, wie kommst du darauf, ich könnte ... Klara ... naja wie auch immer ... ich werde Chi jedenfalls nicht zu einem Genom- Screening überreden. Punkt. Und ich will auch nicht, dass du heute Abend ihr gegenüber davon anfängst! Joost Schon gut, schon gut ... Ich freue mich einfach darauf, euch zu sehen. Klara Hoffentlich klappt's. Ich werde es wirklich versuchen. Joost Na gut. Bis dahin, Liebes. Signal für Verbindungstrennung. Joost atmet vernehmlich aus. 9. SZENE Joost (innere Stimme) ... das war knapp ... ob Sie gemerkt hat, dass ich nicht den blassen Schimmer habe, was Sie mit CRISPR-Krise gemeint hat ... ich weiß schon, irgendwas war da ... Aber wie soll man auch 100 Jahre Leben abspeichern? ... Irgendwie haben sie das mit dem Gedächtnis noch nicht richtig im Griff ... Meine Genopan, das Spingold-Verbot, die CRISPR-Krise ... Svenja, erkläre CRISPR-Krise. Kurze Schaltsekunde. PDA-Assistent Crispr-Krise: fünfjähriges gentechnisches Moratorium von 2035 bis 2040, ausgelöst durch die präembryonale gentechnische Behandlung von Laktose- Intoleranz mittels der CRISPR-Genom-Editing-Technologie. Die Reparatur des Laktose-Intoleranz-Gens auf dem Chromosom Zwei hatte durch eine unerwartete Wechselwirkung mit dem auf demselben Chromosom gelegenen Gen für das Ehlers-Danlos-Syndrom eine krankhafte Überdehnbarkeit der Gelenke zur Folge. Die pränatal behandelten Kinder vertrugen nach ihrer Geburt erwartungsgemäß Milchprodukte problemlos, doch fehlte ihren Finger- und Zehengelenken die übliche Stabilität, so dass sich ihre Finger und Zehen gleichsam nach hinten klappen ließen. Nach teilweise heftigen Debatten verhängte die UNO danach ein fünfjähriges weltweites CRISPR- Moratorium. Joost (innere Stimme) Ja jetzt erinnere ich mich wieder. Und an das Moratorium hat sich niemand gehalten außer Deutschland. Nun gut, das war wirklich keine schöne Geschichte ... Jede Technik hat ihre Titanik ... 10. SZENE Es klingelt an der Tür. Joost geht hin, öffnet. Joost (weiß nicht genau wer vor ihm steht) Guten Tag ... Ronni Hi, hallo, ich bin Ronni ... Ronni Burger, der neue Nachbar von drei Häuser weiter ... Joost (erkennt ihn) Oh ja, entschuldige ... ja ... Ronni ... Ronni Wir hatten uns vor ein paar Wochen mal über die Neonrosen bei mir im Vorgarten unterhalten ... Joost Ja ... richtig ... jetzt hab ich's wieder ... Wie geht's denn so? Ronni (druckst etwas herum) Hm ... nun ja ... Die Sache ist mir etwas unangenehm, aber könnten wir vielleicht mal in deinem Garten nachsehen, ob sich da eventuell Frau Mahlzahn rumtreibt? Joost Frau Mahlzahn? Ronni Mein Knirpskrokodil ... Es büchst seit ein paar Tagen immer aus ... Ich finde die undichte Stelle in meinem Gartenzaun einfach nicht ... Joost Das solltest du aber, Ronni ... Ich meine, ein Krokodil ... Ronni Na klar, ist mir auch super peinlich ... Aber keine Sorge, Frau Mahlzahn ist total harmlos! Sie ist von Pettygenics, die machen die besten ... Der Haustierchromosomensatz von denen ist absolut safe ... Joost Also sehr häuslich scheint dein Krokodil aber nicht zu sein. Ronni Na ja, Frau Mahlzahn ist noch ziemlich jung und übermütig ... hm ... könnten wir dann vielleicht mal in deinen Garten ... ich meine ...? Joost Ja sicher, komm rein, wir gehen durchs Haus ... Sie durchqueren zwei Räume. Joost (dabei) Wie groß ist dein Knirpskrokodil denn? Ronni (dabei) Knapp vierzig Zentimeter. Und viel größer wird es auch nicht mehr. Es ist unglaublich süß und possierlich ... ich glaube, die haben da beim Charakter ein bisschen Hamster reingemischt ... goldig, aber eben noch unerfahren ... Joost Vierzig Zentimeter ... da kann es sich im Garten gut verstecken ... Ronni (sieht die Tische im Garten) Oh, ich hoffe, ich störe doch nicht ... Joost Du meinst, wegen der Tische und der Thermolaser? Mach dir keine Gedanken, ich habe heute Abend eine kleine Feier. Nichts Wildes, mein Hunderster ... Ronni Oh, entschuldige, das wusste ich doch gar nicht ... Herzlichen Glückwunsch ... Joost Danke ... danke ... Ronni Du siehst fantastisch aus ... Wow hundert ... Gratuliere ... Joost Schon gut ... übertreib nicht ... Wie sieht's aus? Hast du nicht Lust dazuzukommen? Ronni Heute Abend? Ich weiß nicht, ich platz hier so rein ... Joost Nein wirklich, ich würde mich freuen. Ganz casual, nur kein Stress! Lediglich Frau Mahlzahn solltest du vielleicht an einem sicheren Ort unterbringen ... Ronni Kein Problem. Ich lass sie im Haus! Sie ist stubenrein. Joost Na, dann ist doch alles klar. Jetzt müssen wir sie nur noch finden ... Hast du denn bei den anderen Nachbarn schon gefragt? Ronni Ja, leider Fehlanzeige ... Du bist meine letzte Hoffnung ... Man macht sich bei so einem Jungtier ja enorme Sorgen ... (trällernd:) Mallzi ... Mallzi ... wo steckst du? ... Mallzi ... Joost Ist ja schon ein knappes Jahrhundert her, dass ich Jim Knopf gelesen habe, aber sag mal, ist Frau Mahlzahn nicht so ein finsterer Drache, der Kinder schikaniert und eine Prinzessin gefangen hält ... Ronni Ja, stimmt, aber nachdem sie besiegt ist, verwandelt sie sich in den goldenen Drachen der Weisheit ... Ich meine, das passt doch ganz gut: Wir haben die Natur gezähmt ... Joost Sehr weise ist das mit dem Abhauen aber nicht ... Ronni (schon ein paar Schritte weiter) Mallzi ... Mallzi ... schau mal, was ich hier habe ... Eine Tüte raschelt. Ronni (erklärend zu Joost) Sie liebt Jumboerdnüsse und ernährt sich vegan, ist das nicht großartig! Joost (etwas zynisch) Dann stellt sie ja wenigstens für die Stroulardenbrüstchen heute Abend keine Gefahr dar ... Ronni (begeistert) Was habe ich gesagt, da ist sie ja! Komm her du kleine Ausreißerin ... Zuerst ein Rascheln im Unterholz und Gras, dann ein Gemisch aus rülpsen und zischeln, das lauter wird, als Ronni das Krokodil auf den Arm nimmt. Ronni Ist sie nicht niedlich! So klein und verschmust ... Man kann ihr gar nicht böse sein ... Guck mal, Mallzi, dass ist Joost, unser Nachbar, der mag dich auch, (gespielt streng:) aber in seinem Garten hast du nichts verloren! Sie gehen zurück zur Haustür. Joost Also dann, Ronni ... ich müsste mal weitermachen ... Ronni Na klar, ich will dich nicht aufhalten ... Entschuldige nochmal die Störung. Und du meinst, ich soll wirklich heute Abend dazukommen? Joost Aber ja doch, ganz zwanglose Sache, wie gesagt. Ich hau erst bei Hundertelf so richtig auf die Pauke ... Ronni Geht wahrscheinlich schneller, als man denkt ... Bis heute Abend dann! Joost Ja, bis dann. Er schließt die Tür. 11. SZENE Joost (innere Stimme) Ich weiß nicht ... Für mich ist diese Mode mit diesen ganzen Zwergtigern, Schoßwölfen und Haushaien nichts ... Aber vielleicht bin ich einfach nur alt. Irgendwann kommt man mit diesen ganzen Entwicklungen nicht mehr mit: Schöpfung 2.0, Industrie 6.0, Demokratie 3.0 ... oder sind wir da seit der Einführung des automatisierten Meinungsmanagements schon bei 4.0 angekommen? ... Man kann sich nicht alles merken. Kurzer Benachrichtigungston des PDA. PDA-Stimme Chimalma ruft an. Möchtest du das Gespräch entgegen nehmen? Joost Oh ja ... wie schön ... 12. SZENE Tonsignal. Joost Hallo Chi! Chimalma Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Opa! Im Hintergrund hört man die Geräusche einer Demonstration mit Straßenschlachtcharakter, die im Laufe des Telefonats eskaliert. Sprüche werden skandiert wie: "Trotz Wasserwerfer und Sirenen, Hände weg von unsren Genen" oder "Keine Schonung für Klonung!" Joost Danke, Chi, das ist wirklich lieb von dir ... aber ... sag mal, wo steckst du denn gerade, (Sirenen) ist da ein Unfall passiert, geht's dir auch gut ...? Chimalma Alles in Ordnung, Opa. Ich bin hier mit ein paar Freunden zusammen. Ist so ne Art ... Party. Joost Party? Das klingt aber nicht so sehr nach Party. Chimalma Doch doch. Unsere Partys laufen ein bisschen anders als eure damals, also nicht so mit Tschatschatscha und Abklatschen und so ... Joost Hör, mal ... da bringst du jetzt die Zeiten aber doch durcheinander ... Unsere Generation hat die existentialistische Komponente beim Tanzen entdeckt ... Chimalma Echt jetzt? Wusste ich nicht ... dann könnt ihr heute Abend bei dir ja voll abgrooven, was ... Also deswegen rufe ich übrigens an ... So wie's im Moment aussieht, werde ich wahrscheinlich nicht kommen können ... Ist saublöd, ich weiß ... Joost Du bist doch hier in der Stadt, dachte ich ... Chimalma Ja, schon, aber ich weiß nicht, ob ich hier so ohne weiteres wegkomme ... Joost Von der Party? Chimalma Ist mehr so ne politische Party ... Joost Chi, ich bin nicht blöd, ich höre sehr gut, dass du auf einer Demo bist. Chimalma Na ja, dann weiß du ja, was los ist. Joost Eben. Und deswegen mache ich mir Sorgen. Es klingt jedenfalls nicht so, als ginge es da sehr friedlich zu. Chimalma Das liegt nicht an uns. Wir haben hier ganz gechillt die Zufahrt zu Human Design besetzt, und schon schlägt die Gen-Lobby gnadenlos zurück. Joost Gen-Lobby? Für mich klingt das eher nach der Polizei. Chimalma Wo ist denn da der Unterschied? Joost Ich mach mir ja nur Sorgen, Liebes. Im Moment solltest du dich vielleicht etwas mehr um dich kümmern als um die große Politik. Nicht dass es zu Komplikationen kommt ... ich meine, man sollte den Embryo vielleicht auch ... Aufschreien, Wasserwerfer etc ... Joost Chi? Chi, bist du nach dran? ... Chimalma (etwas außer Atem) Alles in Ordnung, Opa. Aber ich glaube, ich muss mal Schluss machen. Mach dir mal keine Sorgen. Weißt du, wenn ich mich hier engagiere, dann richtet sich das ja gerade nicht gegen die Interessen meines Kindes ... Stell dir mal vor, in welche Welt es hineingeboren würde, wenn man diese Genklempner einfach machen ließe! Joost Eine ohne Krankheiten, Leid und Altersweitsicht ... ? Chimalma Dein Humor ist wirklich unschlagbar, Opa ... Also ich gratuliere dir echt von Herzen ... Aber das mit heute Abend wird wohl nichts. So wie es aussieht, haben die den Kessel gerade geschlossen ... ich ... oh, Scheiße ... Wieder Lärmeskalation, dann bricht der Ton ab. Joost Chi? Chi!! PDA-Stimme Die Verbindung wurde beendet. 13. SZENE Joost (innere Stimme) Verflucht, was mach ich denn jetzt? ... Clara geht in ihrem Meeting sowieso nicht ans Telefon, und die Polizei brauche ich nicht anzurufen, die ist schon da ... Er geht in einen anderen Raum, schaltet das Radio ein. Es läuft ein Werbespot mit Musik im Hintergrund: Grieg, "Morgenstimmung" aus der Peer-Gynt-Suite, dazu: Männerstimme 1 Dass ich noch einmal auf diesem Gipfel stehen würde, hätte ich nicht gedacht! Frauenstimme Genopan - und die Jugend kehrt zurück. Männerstimme 2 Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Informationen der Europäischen Arzneimittelagentur und rufen Sie Ihr persönliches Gesundheitsprofil auf. Kurzer Signalton oder Sound für Senderwechsel. Dann: Jingle Hells wie schon zu Beginn einmal. Langsam geht Jingle Hells in ein allgemeines Partygeräusch über, Stimmen, Gelächter, dann spätere Partyphase, weniger Stimmen, leise Musik im Hintergrund: Santana: Samba pa ti, dann Überblendung zu Hausflur, die Haustür wird geöffnet. 14. SZENE Ronni (angetrunken) Echt, Joost, echt, super Fest ... Der Donauthunfisch und dieser Grönland- Chardonnay: der reine Wahnsinn ... Joost Ja, ein tolles Tröpfchen ... freut mich, dass es dir gefallen hat, Ronni ... Ronni Jetzt muss ich mich aber echt um Frau Mahlzahn kümmern. Hoffentlich hat sie sich noch keine Sorgen gemacht. Wusstest du, dass Pettygenics Knirpskrokodile mit Tränendrüsen ausgestattet hat ... Und was weinen sie? (kichert:) Krokodilstränen natürlich ... Joost Na, das wollen wir doch nicht! Ronni Auf keinen Fall, also dann, super Party, echt Mann, echt ... Joost Bis dann, Ronni ... Ronni entfernt sich, Joost schließt die Haustür. Atmet vernehmlich und erleichtert aus. 15. SZENE Joost Wenn das mit den Partys nochmal hundert Jahre so weitergeht, muss ich mir irgendwann mal was Neues einfallen lassen ... Er tippt mit Feedback auf seinem PDA herum, und Samba pa ti im Hintergrund wird allmählich leiser und blendet aus. Dann wieder ein paar PDA-Töne. Joost Rufe Karla an. Freizeichen. Klara Hallo Papa ... Joost Hallo Liebes, wie geht's ... Klara Tut mir so Leid, dass ich's nicht geschafft habe. Joost Macht nichts. Wäre natürlich schön gewesen, es war eine ... super Party. Klara Ja, gut, sehr gut ... Joost Die ganzen alten Freunde, weißt du, und die Arbeitskollegen. Wir haben uns prächtig amüsiert. Wie war's bei dir? Klara Auch gut. Anstrengend, aber gut. Die Meetings, meine ich, erfolgreich. Ich konnte mich nur nicht so richtig darüber freuen, denn danach musste ich Chi bei der Polizei abholen. Joost Doch nichts Schlimmes ... Klara Sie hat demonstriert! Ich versteh das ja ... im Prinzip ... aber die Sache ist wohl aus dem Ruder gelaufen. Joost Ich habe mich gewundert, dass sie nicht gekommen ist, aber ich dachte, was soll sie auch mit uns Greisen und Zombies hier im Garten rumhängen ... Klara Ach komm Papa, ihr seid doch alle gut drauf. Wie geht's Onkel Toni? Joost Der war leider auch nicht da. Klara Oh, tut mir Leid ... Joost Er und Pam sind im Himalaya. Klara Was habe ich dir gesagt! Er schmeißt sein ganzes Geld für sie raus. Himalaya ist zur Zeit echt angesagt ... Joost (etwas erschöpft) Offenbar ... muss ich vielleicht auch mal hin ... Klara Okay, Papa, sei nicht böse, ich bin echt erschlagen. Was für ein Tag! Sollen wir am Wochenende deinen Geburtstag nachholen und was Essen gehen? Joost Gerne, jederzeit ... Und arbeite nicht zu viel, lass dich nicht stressen ... Klara Papa ... du tust so, als würde ich mit meinen 65 schon in Rente gehen wie du damals ... Aber zum Glück hab ich noch zwanzig Jahre bis es soweit ist ... Joost Ich mein ja nur ... Man muss auch mal an sich selbst denken, und nicht immer nur an den Job ... Klara Mir geht's gut. Also ich melde mich am Wochenende bei dir. Versprochen. Joost Schön ... ich freu mich drauf ... bis dahin ... Kurzer Signalton für Gesprächsende 16. SZENE Er steht auf, geht in die Küche, entkorkt eine Flasche Wein und gießt sich ein. Joost (innere Stimme) Auf dein Wohl, alter Junge ... und die nächsten Jahre ... das nächste Jahr ... Du wirst Urgroßvater ... und vielleicht erlebst du ja irgendwann auch noch deinen Urur- oder Urururenkel ... Fragt sich nur, was die davon halten ... Was, wenn es irgendwann eng wird auf der Erde, weil die Natur nicht mehr Platz schafft? ... Aber was soll ich mir darüber mit meinen hundert Jahren noch den Kopf zerbrechen ... Hier bei mir wäre im Übrigen ja noch Platz für jemanden ... Er steht auf und schaltet das Radio an. Radiosprecher Hallo Freunde da draußen, es ist kurz vor Mitternacht und ihr hört Hundert- Komma-Null-Forever-Young-Radio. Die Nacht ist klar und mild und das soll laut Wetterticker auch über die Weihnachtstage so bleiben. Beste Voraussetzungen also für eine besinnliche Bescherung im Garten oder im Park, oder wo immer es euch morgen Abend hinzieht, um eure Liebsten mit Geschenken zu beglücken ... Und für alle Elvis-Fans unter euch habe ich hier schon mal ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk, unser heutiger Hit mit Hundert, hier ist noch einmal ... The King ... Elvis Presley, Are you lonesome tonight. Allmählich leiser, ausblenden. - 1 -