Ewig hoffend - ewig liebend Eine Lange Nacht über den Musiktheaterregisseur Götz Friedrich Autor: Barbara Giese Regie: Clarisse Cossais Redaktion: Dr. Monika Künzel SprecherInnen: Frauke Poolman Axel Wandtke Martin Seifert Leslie Malton Robert Frank Sendetermine: 2017 Deutschlandfunk Kultur 2017 Deutschlandfunk __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. 1. Stunde Musik: HFDB 6911163 NDR Hannover 12:30 In the mood Glenn Miller bei 13:05 darüber HFDB 6911163 NDR Hannover, 11.65- 12:30 O-Ton GF (Götz Friedrich) : Aber nach 1945 kam zu uns Jungen damals auch und vor allem der Jazz. Schon in BBC, das wir vor Kriegsende heimlich abhörten und wo wir unter einer Decke immer "Bumm, bumm, bumm- bumm, bumm, bumm" lauschten, um die neuesten und die wirklichen Nachrichten zu hören, schon BBC brachte uns Musik von Glenn Miller und nach 1945 wurde für mich, für viele in meinem Alter, einer der größten Schlager, den ich noch heute hingerissen zuhöre, 12:30 Musik: HFDB 6911163 NDR Hannover 12:30 In the mood Glenn Miller hoch dann darüber HFDB 6911163 NDR Hannover, 16.00 O-Ton GF : In the mood", wenn das im Radio damals kam rasten wir aus dem Garten oder wo immer wir waren, hin in das Zimmer, an das Radio und konnten uns nicht satthören an diesen neuen Klängen, irgendwie auch ein Neuanfang, eine neue Lebenssicht, ein neues Lebensgefühl signalisierten und so war es fast natürlich, dass mein Wunsch damals war, noch als Schüler, Jazzpianist zu werden, ich spielte in einer Tanzkapelle mit, immer mittwochs, freitags, sonnabends und sonntags, neben der Schule, und mein großes Vorbild wurde Duke Ellington. Musik: HFDB 6911163 NDR Hannover In the mood Glenn Miller hoch HFDB DC032481 4,30 DRadio Berlin O-TON GF: The Duke war damals mein ganz großes Vorbild, was ich also nicht zu einem Prozent erreicht habe und weil ich es nicht erreicht habe, bin ich dann etwas anderes geworden Musik: HFDB 6911163 NDR Hannover In the mood Glenn Miller hoch bis Schluss 16:05 Erzählerin: Dieses Understatement war typisch für den 1930 geborenen Götz Friedrich. "Etwas anderes" ist die Untertreibung für ein spannendes und vielseitiges Künstlerleben zwischen West- und Ost. In erster Ehe war er mit der durch Film und Fernsehen bekannten Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek verheiratet. Ruth Maria Kubitschek verließ mit dem gemeinsamen Sohn noch vor Götz Friedrich die DDR. Die erste Stunde der Langen Nacht erzählt von Erlebnissen in der Schulzeit in Naumburg, den Studienjahren in Weimar und der Zeit an der Komischen Oper bei Walter Felsenstein in Ost-Berlin. Damals überzeugte er den Schauspieler und Jazzsänger Manfred Krug, in einer Opernaufführung mitzuwirken. In der zweiten Stunde geht es um seine Tannhäuserinszenierung in Bayreuth. Sie löst einen solchen Skandal aus, dass Franz Josef Strauß persönlich einen empörten Leserbrief schreibt. Dennoch wählt Götz Friedrich gegen alle Hindernisse den Weg in den Westen. In der dritten Stunde erleben wir Götz Friedrich als Intendant der Deutschen Oper Berlin. Einfallsreich und leidenschaftlich kämpft er für den Humanismus in der Kunst. Er war einer der wichtigsten Regisseure für das Musiktheater. Unbeirrbar entwickelte er seine eigene Sichtweise. Kay Kuntze, Intendant des Theaters und der Philharmonie Thüringen, Altenburg Gera, hat bei Götz Friedrich an der Deutschen Oper als Statist angefangen, dann wurde er Student der "Musiktheaterregie", einem Studiengang, den Götz Friedrich in Hamburg gegründet hatte. Nach Abschluss des Studiums wurde Kay Kuntze Assistent an der Deutschen Oper Berlin. Er beschreibt die Arbeitsweise Götz Friedrichs: Interview Kay Kuntze 1: GF hat immer ungeheuren Respekt gehabt vor den Werken und ihren Autoren, aber hat sich natürlich in der Literatur über das Werk hinaus immer sehr gut informiert, mit Sekundärliteratur, und usw., und hat aber versucht getreu dem Motto immer von Verdi "Die Wahrheit abzubilden ist gut, sie zu erfinden ist besser", hat GF auch immer versucht, aus all diesen Informationen heraus einen neuen Ansatz zu finden, eine Geschichte zu erzählen, die in dem Hier und Jetzt, wie er sie gerade erzählt hat, eben eine ungeheure Wahrhaftigkeit entwickelt. Er hat auch Fragen, wann und wo spielt das Stück im 16. Jahrhundert, im 19. Jahrhundert, in Florenz, oder so, wie es denn vorne in den Klavierauszügen drin steht, so hat er die nie beantwortet, er hat immer gesagt, es spielt hier, heute, auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin und das zeugt eigentlich von diesem Verständnis von Wahrhaftigkeit, er hat immer versucht, einen Ansatz zu finden, der sich in dem Moment der Aufführung als wahrhaftig erfüllt. Erzählerin: Götz Friedrich galt bei seiner Suche nach der Wahrhaftigkeit als ein wirklich besessener Theatermensch. Sein spezieller Humor und seine Phantasie bringen ihn schon als Schüler in Schwierigkeiten . HFDB D064387 Audioarchiv Digital (Berlin Brandenburg)2:00-3:00 O-TON GF: Das passierte am ersten Schultag in meinem Heimatort, Freiburg an der Unstrut, dieser Wein- und Rotkäppchenstadt, wo ich aufgewachsen bin, später bin ich in Naumburg an der Saale auf das Domgymnasium gegangen und bevor ich noch lesen konnte, lesen und schreiben, habe ich im Bücherschrank meines Vaters dieses ja noch heute berühmte Buch von Kugler- Menzel- "Friedrich der Große" aufgestöbert und konnte es nicht lesen, aber habe da die Stiche immer wieder angestarrt und habe gefragt, so ein bissel, was ist das und nur kurze Antworten gekriegt. Ich war von den Stichen von Adolf von Menzel fasziniert, zum Beispiel von dem einen, wo ein junger Mann mit Händen gefaltet, eine Bibel in der Hand, und rechts und links, also zwei Geistliche dahinter , Soldaten mit aufgepflanzten Gewehr gingen, und er nach oben schaute und hinter einem vergitterten Fenster wie in einer Festung einen anderen jungen Mann sah, der die Hand nach ihm ausstreckte und offenbar weinte, und aus diesem Bild ist dann eben auch das Thema der Matthus-Oper, die wir gemacht haben zur Eröffnung, ja Wiedereröffnung des Schlosses, des Schlosstheaters Rheinsberg entstanden, aber die damalige Folge war, dass ich in der Schule, als ich dann gefragt wurde, von wem stammst Du ab, da habe ich mit brustvoller Überzeugung gesagt "Von Friedrich dem Großen", das ist mein Ur-Ur-Großonkel, und der Lehrer fragte "Sag noch mal" und beim dritten Mal dachte ich, irgend Etwas ist falsch an der Sache, und dann wurde ich vorne auf den Tisch gelegt, habe drei Rohrstockhiebe auf den Hintern gekriegt, aber dem Lehrer ist es, wie vielen anderen später offenbar doch nicht gelungen, mir dieses gewisse Fredericianische, was ich so mit Pflichtgefühl und hin und wieder auch Dienen an einer Aufgabe, die man sich selbst stellt und die einem gestellt wird, verstanden habe. Erzählerin: Nach diesen ersten Erfahrungen in der Grundschule, wechselt Götz Friedrich auf das humanistische Gymnasium in Naumburg. Als Schüler des Naumburger Domgymnasiums beschäftigt er sich mit griechischen Texten. Peter Fischer- Appelt, der erste Präsident der Universität Hamburg, Mitstreiter bei der Gründung des Studienganges "Musiktheaterregie", betrachtet die Prägung der frühen humanistischen Bildung bei Götz Friedrich. Sprecher 1. Vielleicht ist es ein attischer Praxisbegriff, von dem er bei seiner Bühnenarbeit geleitet ist, ein Praxisverständnis, das der Schüler des Naumburger Domgymnasiums bei der Lektüre griechischer Texte erlernte und später im Widerstreit zu seiner marxistisch gestimmten Umgebung bewahrte und bereicherte. Es handelt sich hier um die gemeinsame Wurzel von Praxis und Poesie. Dass es zweierlei ist, an sich selbst zu arbeiten (prattein) oder etwas anderes herzustellen (poiein), ist eine weitreichende Unterscheidung der reifen griechischen Philosophie. HFDB 6014404,Duke Ellington Sophisticated lady 3:12 ODER Duke Ellington Melancholia 3:20 darüber HFDB DC032481 DRadio Berlin, 18.00-20.00, O-Ton GF : In dem Naumburger Domgymnasium habe ich dann auch mein Abitur gemacht, und, wie es so üblich war, musste man ein Stück da aufführen, ich dachte, ich schreibe das Stück gleich, ich spiele auch die Hauptrolle, ich inspiziere, ich inszeniere, es war alles ein kindischer Größenwahn, und der größte Größenwahn bestand darin, dass ich ausgerechnet aus der Ilias ein pazifistisches Stück herausfiltrieren wollte, und das hieß Achilleus, und ich war aber nicht Achilleus, sondern ich war Agamemnon, und als ich als Agamemnon die Bühne betrat, war ein schallendes Gelächter im Zuschauerraum, weil ich nämlich vergessen hatte, als griechischer Agamemnon meine Brille abzutun im Eifer des Gefechtes, trotzdem dachte ich, es sei ein Erfolg gewesen, aber der Deutschlehrer kam dann, gab mir ein Ohrfeige und sagt, solchen einen Quatsch hätte er noch nicht einmal mir zugetraut. Immerhin war es doch der Beginn der Karriere, wie man so sagt, denn ich wollte damals wie mein Vater, der Anwalt war, Jura studieren, aber das war für einen bürgerlich Geborenen, einen Sohn eines Juristen in der damaligen DDR nicht möglich und da kamen meine Lehrer, nicht der Deutschlehrer (lacht), sondern der Mathematiklehrer, auf die Idee, er hätte gelesen, in Weimar würde ein neues Theaterinstitut gegründet und ich würde doch den wunderbaren Achilleus (lacht),verbrochen haben , und ich bin dahin, ich bin da aufgenommen worden Erzählerin: Im ideologisch geprägten Deutsch-Unterricht in der DDR hatten die meisten Prüflinge die "Kammerdienerszene" aus Schillers "Kabale und Liebe" gelernt. In der Prüfung hoben sie anhand dieser Szene den Klassenkampf in dem Drama hervor. Nur einer der Abiturienten spricht über Antigone und die Musikalität der Sprache von Sophokles. Aufgrund dieser eigenständigen Auswahl und Betrachtungsweise wird Götz Friedrich aufgenommen, obwohl er aus einem bürgerlichen Elternhaus kommt. Während des Studiums am Theaterinstitut Weimar lernt Götz Friedrich die Schauspielstudentin Ruth Maria Kubitschek kennen. Sie wird später seine erste Ehefrau. Die beiden Künstler haben einen gemeinsamen Sohn. Musik HFDB 9063349 Duke Ellington Solitude 5:33 bei 1:01 darüber Sprecherin 1: Als ich Götz kennenlernte, war er zwanzig und ich neunzehn Jahre alt. Er saß am Klavier in der Kantine des Stanislawsky-Instituts in Weimar mit einem Mitschüler und jazzte. Er sah wunderschön aus, völlig anders als die anderen durch seine dunklen, dichten Locken, das schmale, lange, aristokratische Gesicht und die feinnervigen Hände. Er trug einen endlos langen roten Schal um den Hals, den ihm bestimmt eine Freundin gestrickt hatte. Um mich war es sofort geschehen. Wir waren fortan in dieser Schule ein interessantes Paar. Der Sohn kapitalistischer Eltern (sein Vater war Rechtsanwalt), der sein Studium selbst bezahlen musste, und die Neubauerntochter, die vom Staat gefördert wurde. Götz hatte in allem, was er tat, eine unglaubliche Sicherheit, und für mich wurde er zum Lehrmeister. Nun wurde ich in die griechische Geschichte eingewiesen. Auf Bierdeckeln zeichnete er mir die Geographie des Peloponnesischen Krieges, erzählte vom Trojanischen Krieg, als ob er dabei gewesen wäre. Musik HFDB 9063349 Duke Ellington Solitude hoch bis 5:33 Schluss Erzählerin: Am Theaterinstitut in Weimar gehört zum theoretischen Studium auch ein praktischer Teil. Das Praktikum dürfen und müssen sich die Studenten an einem Theater selbst suchen. HFDB DC032481 DRadio Berlin, 20.00-20.50 O-Ton GF : Es gab damals diese schöne Einrichtung, die es bis heute gibt, von Berufspraktika, Berufspraktiken während des Studiums, das war damals eine neue Idee. Ich dachte, ich gehe zu Brecht, bei Brecht lerne ich am meisten, also höher ging es damals nicht für so einen 19jährigen Spinner, da hieß es aber, Brecht ist voll, da sitzen sowieso schon 25 Hospitanten und Praktikanten herum, sein ganzer Schwarm, da dacht ich mir, da gibt es noch diesen berühmten Felsenstein, von dem kann ich sicher auch, auch wenn ich nichts von Oper wissen will, aber über Theater doch sehr viel lernen, ich bin dahingekommen, bin gekommen, konnte dabei sein, in den Proben, und da sind alle Knöpfe geplatzt, und seit diesem Moment hat mich die Oper gefangen gehalten. Erzählerin: Der Österreicher Walter Felsenstein war vor seiner Regietätigkeit Schauspieler am Burgtheater gewesen. Als Regisseur in der Oper entwickelte er dann mit den Sängern Handlungen, die für das Schauspiel üblich, für die Oper damals aber ungewöhnlich waren. Götz Friedrich, der sich im Studium intensiv mit Stanislawskis Theatertheorie beschäftigt hatte, sieht bei Felsenstein, wie sich die Schauspieltheorie in musiktheatralische Praxis verwandelt, denn da: HFDB Archivnummer 2003089 Audiofiles DRA, Anfang O-Ton GF: erlebte ich etwas ganz Erstaunliches und Aufregendes, es war mir, als hörte ich praktisch auf den Proben Dinge, die zuvor, also in Buchstaben, gestanden hatten, man nur zur Hälfte begriffen hatte, und die ja doch irgendwie tot waren, ohne lebendiges Anschauungsmaterial und ohne dass das genau dasselbe gewesen sei, was ich da gesehen und beobachtet habe, fiel mir auf, grundsätzliche Dinge mit Stanislawski im überraschenden Maße übereinstimmten. Es war vor allem das, die absolute Ehrlichkeit des Darstellers, in jedem Moment seines Bühnendaseins, sich selbst und der Rolle gegenüber, der absolute Hass auf alles, was Manier ist, was originell ist, was auch Masche ist, und alles, was bei Stanislawski beispielsweise steht, wenn er sagt, man muss vorher wissen als Schauspieler, was man redet und nicht das Reden ist das Interessante, sondern das, was man tut, die Handlung, also die Worthandlung, all das habe ich bei Felsenstein im übertragenen Sinne wiederentdeckt, wenn er also sagt, dass der Sänger voraus sein muss, seinem Einsatz, bevor er die Gusche auftut, um zu singen, wissen muss, warum er singt und was er singt, dass er, dass es keinen Moment gestattet ist, irgendeinen selbstgefälligen oder von der Handlung, von der Rolle losgelösten Ton zu produzieren und von Stanislawski stammt das Wort, das er mal zu Sängern sagte, "Lernen Sie mit dem Ton zu handeln". Erzählerin: Götz Friedrich hospitiert und erlebt die einzigartige Kraft der dramatischen Musik als erstes bei den Proben zu Mozarts "Zauberflöte" HFDB 2003089, Audiofiles DRA, 6:00- 7:00, O-Ton GF: Ja, das Theater als Ganzes, das Theater als Tatsache, als Ereignis, das wollte ich an der Stelle lernen, wo es nach meiner Ansicht nach, vorbildlich gemacht wurde, und da erlebte ich in den Proben etwas wiederum Seltsames, dass ich also feststellte, es wurde dann auch die Zauberflöte von Mozart probiert, dass ich also feststellte, dass die Musik, dass der Gesang Dinge sagen , mitteilen kann, die sonst unaussprechlich sind, die sonst durch Worte nicht zu sagen sind, und da ich, vielleicht in einem naiven Zustand damals noch der Meinung war, dass es in der Kunst darauf ankommt, Dinge, die sonst nicht auszusprechen sind, durch die Kunst auszusprechen, fassbar, erlebbar, begreifbar zu machen, war das der Moment, wo ich mich dann der Oper, sagen wir dem Musiktheater verschrieb. Erzählerin: Im Sommer 1953 besteht Götz Friedrich seine Diplomprüfung am Theaterinstitut Weimar. Geprägt von seinem altruistischen Elternhaus und inspiriert von der Arbeit an den Mozart-Opern lautet der Titel seiner Diplomarbeit "Die humanistische Idee der Zauberflöte". In der Einleitung schreibt der gerade 23 Jahre junge Götz Friedrich: Musik HFDB 5012915: Zauberflöte Ouvertüre 7:00 bei 0:41 darüber Sprecher 2: Die Zauberflöte ist eines der kostbarsten Vermächtnisse deutscher humanistischer Kultur. Ein Fünfunddreißigjähriger schreibt gleichzeitig an seinem Requiem und dem Werk, das von der unaufhaltsamen Regeneration des Lebens kündet und Jungsein besingt, das Angst und Schrecken befreit zu Glauben und Heiterkeit. Als Mozart die Aufführungen selbst nicht mehr besuchen konnte, verfolgte er sie abends von seinem Krankenlager aus mit der Uhr in der Hand. MUSIK HFDB 5012915: Zauberflöte Ouvertüre hoch bei 1:30 darüber HFDB F846374, NDR Hamburg, 0:00-01:00 O-Ton GF 0:00 : Als am 30. September 1791 die große Oper in 2 Akten Die Zauberflöte von Emanuel Schikaneder, Musik von Mozart, aufgeführt wurde, ahnte im Zuschauerraum dieses Freihaustheaters auf der Wieden wohl keiner, dass hier eine Sternstunde der Oper geschlagen hatte. Viel bewundert, es wurde ja im Unterschied zu vorangehenden Opern ein Riesenerfolg, diese Zauberflöte, aber auch gleichzeitig viel missdeutet, konnte sie wohl nie in der ganzen Fülle und Vielfalt gespielt werden, in der sie von ihren Schöpfern gedacht und programmiert worden ist. Es blieb das letzte Werk Mozarts für die Musikbühne. Nur etwas mehr als zwei Monate nach dieser Uraufführung starb er. 36 Jahre alt. Erzählerin: Götz Friedrich versucht schon als junger Mann das Geheimnis in den Werken zu entdecken. Er will dem Gegensatz von Schrecken und Heiterkeit auf den Grund kommen, so auch und gerade bei Mozart. HFDB F846374, NDR Hamburg, 1:23:00 O-Ton GF : Wir haben ihn verstanden, wir haben ihn definiert als einen Mann, Vertreter im Bereich des Sturm und Drang, wir haben ihn begriffen als den großen Aufklärer, denn was er stets und immer gemacht hat, war ein helles Theater, ein durchsichtiges, ein übersichtliches Theater, aber gerade, je heller sein Theater ist, desto mehr macht er auch bewusst, dass es Geheimnisse gibt, dass es Dunkelheiten gibt, Geheimnisse, Rätsel bleiben dabei. Und ich denke immer, dass es bei Mozart so ist, dass wir so weit gehen müssen mit dem Bedürfnis unserer eigenen Erhellung, so weit, bis wir an diese Grenze stoßen, die uns das Geheimnis Mozarts erst recht bewusst macht. Musik HFDB 5012915: Zauberflöte Ouvertüre hoch bis Schluss Erzählerin: Der Meann, der aufgrund der politischen Vorgaben der DDR nicht Strafverteidiger werden durfte, wird nun als Diplom-Dramaturg ein leidenschaftlicher Verteidiger des Humanen auf der Opernbühne. Dazu Kay Kuntze: Interview Kay Kuntze 2: Dieser Begriff des realistischen Musiktheaters, den dann ja Walter Felsenstein geprägt hat, das war was, wo er herkommt, den er aber auch weiterentwickelt hat, er hat dann, glaube ich schon auch, sich in eine größere Bildersprache entwickelt als es Walter Felsenstein gemacht hat, der sehr, sehr kleinteilig gearbeitet hat, das hatte bei GF einen etwas größeren auch nen mytherischeren Rahmen, bei ihm war das eigentlich so, dass er immer auch versucht hat, über die konkrete Geschichte, dieses einen Menschen hinaus eine Geschichte über die ganze Menschheit zu erzählen, die also durchlässig war von dem konkreten Problem, der konkreten Situation der einzelnen Person durchlässig in so eine allgemeine, fast mythischen Charakter. Erzählerin: Götz Friedrich lernt viel bei Walter Felsenstein, aber die Bewunderung für den künstlerischen Vater führt nicht dazu, dass er seine eigenen künstlerischen Ansichten verliert. Dieser wortwörtliche Eigensinn wurde von seinem leiblichen Vater geprägt, der sich zu Zeiten des Nationalsozialismus mutig und widerspenstig gezeigt hatte. HFDB D064387 Audioarchiv Digital (Berlin Brandenburg), 04:00-05:25 O-Ton GF: Ich habe im Grunde zwei Väter gehabt, also meinen Vater, der auch deshalb ein Vorbild war, weil er, der wurde 38 bereits eingezogen als Reserveoffizier für diese verschiedenen Feldzüge, die Herr Hitler und seiner Generalität veranstalteten, und kam dann am Schluss in die unmittelbare Nähe von General Olbricht, war also involviert in diesen 20. Juli und wurde am 18. Juli mit besonderen Befehlen von Olbricht nach Hause geschickt, das ist eine lange Geschichte, und war dann aber danach Rechtsanwalt in dieser kleinen 5000-Einwohner Stadt Freyburg, ja, ich habe ihn sehr verehrt und sehr geschätzt, das war der eine Vater, und der andere Nebenvater wurde dann Walter Felsenstein. Erzählerin: Bei allem Respekt behält Götz Friedrich seinen vom Elternhaus geprägten Widerspruchsgeist auch als engagierter Assistent bei Walter Felsenstein. Der "Nebenvater" Felsenstein beschwert sich einmal über ihn: Sprecher 2 Marianne Reißinger Götz Friedrich Künstler wider Willen Quadriga Verlag 2000 ISBN 3 88679 345 1: Zu unserem persönlichen Verhältnis sagte ich ihm, dass es ihm offenbar sehr schwer fiele, sich unterzuordnen und Arbeiten auszuführen, mit denen er nicht selbständig in Erscheinung treten könne. Seine entrüstete Gegenfrage, ob ich ihn vielleicht für faul hielte, verneinte ich, indem ich hinzufügte, ich hielte ihn für einen besseren Arbeiter als Mitarbeiter. Erzählerin: Schon früh zeigt Götz Friedrich Ambitionen, selbst zu inszenieren. Ruth Maria Kubitschek vermittelt ihm die Fernsehaufzeichnung der "Schönen Galathee". Nachdem er in Weimar mit einer spektakulären "Così"-Inszenierung gute Kritiken bekommen hatte, erhält er endlich an der Komischen Oper eine eigene Inszenierung. HFDB 2003089 Audiofiles DRA, 13:80- 16:50 O-Ton GF: Ja Felsenstein und das Führungs-/Leitungskollektiv hat das Werk ausgewählt und hat mich, der ich damals noch Assistent war, mit dieser Produktion beauftragt, und ich habe das als Assistent gemacht, und hinterher bekam ich quasi als Gesellenbrief einen Vertrag als Regisseur an diesem Hause. Ich war selten für einen Stückauftrag dankbarer als für den von "La Boheme" , weil (Schluck-/Rauchgeräusch) ich fand, dass in Boheme nichts süßlich und sentimental ist, sondern da davon Puccini ein Hineinstoßen in die Probleme des Alltags, in die Probleme des Sozialen vorgenommen worden ist, die so krass und hart sind, wie sie in der Opernumgebung seinerzeit und eigentlich auch in der Opernumgebung der späteren Zeit ganz selten sind. Es gibt eine Szene in Boheme, die sowohl für den Zuhörer als auch für jeden, der Oper studieren oder Oper schreiben will, eines der Musterbeispiele ist, es ist die erste Begegnung zwischen Mimi und Rudolf abends in einem Zimmer am Flur; die Tür geht auf, und zwei Menschen stehen sich gegenüber, die sich nicht kennen, es ist Weihnachtsabend, und etwas klingt auf zwischen ihnen, etwas fängt an zu schwingen, was unaussprechlich ist, wofür es keine Worte gibt, sie finden ja noch keine Worte, beide, sie finden, oder wenn sie Worte finden das ganz Bagatellige, Nebensächliche, aber das Orchester spielt, das Orchester spielt bereits eine Melodie, die ankündigt das Unaussprechliche , das Große, was zwischen diesen beiden passiert, die Liebe. Und dass diese Liebe zerbricht, dass diese Liebe kaputtgeht, dass diese Liebe scheitert , wie Rudolf sagt am den Bedingungen dieses Alltagslebens. Er sagt wörtlich im 3. Akt, um Mimi am Leben zu erhalten, genügt nicht Liebe allein, in diesem Kontrast zwischen Liebesseligkeit und Liebesbereitschaft und Liebeswunsch und der Zerstörung dieser Liebessehnsucht durch die Armut, durch die Bitternis, durch das Hungerleiden, dass diese Leute nichts hatten, darin liegt die große Tragödie dieser Alltagsmenschen. Und ich habe selten ein Werk gesehen und durfte vor allen Dingen nie ein Werk machen, das so realistisch und zugleich so poetisch ist. Und ich glaube, dass gerade dieses Werk es mir ermöglichte, das, was ich von Stanislawski und durch Stanislawski gelernt hatte, mit dem zu verbinden, was ich bei Felsenstein zu lernen versucht hatte."16:50 Musik HFDB 5016071: Giaccomo Puccini La Bohème, 1. Akt Begegnung Mimi-Rodolfo ca. 01:16 Erzählerin: "La Bohème" ist keine heroisch-pathetische Oper. Puccinis Oper nach dem Roman von Henri Murger gibt dem Regisseur Götz Friedrich die Möglichkeit, die Aktualität des belastenden, armseligen Alltags der jungen Künstler anhand des feinen Beziehungsgeflecht der Figuren für die heutige Zeit darzustellen. Musik 5016071: Puccini La Bohème, Beginn 3. Akt 01:03 Erzählerin: Aber die künstlerische Arbeit findet nicht im geschichtsfreien Raum statt. Die beiden deutschen Staaten sind noch jung, als die DDR die Mauer bauen lässt. Der Regie-Kollege an der Komischen Oper Horst Bonnet erinnert sich an das einschneidende Ereignis: Sprecher 1 (Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2): Ich weckte Friedrich telefonisch, als ich in der Frühe des 13. August 1961 von der Schließung der Grenze erfuhr, und ich erinnere mich an unsere hilflose Betroffenheit. Der Widerspruch zwischen dem politisch-moralischen Anspruch unserer Staatsführung und der Wirklichkeit trat offen zutage. Erzählerin: Die präzise Arbeit an dem Notentext im sogenannten "Musiktheater" wird trotz der politischen Belastungen weiter vorangetrieben. Sie wird ein Markenzeichen der Komischen Oper. Trotz der Spannungen zwischen den beiden deutschen Staaten werden wegweisende Inszenierungen in den Westen Deutschlands eingeladen. HFDB 2003175 Audiofiles DRA , 18:00 + 25:00 O-Ton GF: 18:00 Man stellt fest, dass Oper die Sublimierung verschiedener Kunstarten darstellt, der Musik, des Theaters, der bildenden Künste, auch des Tanzes usw. Und man ist sich ziemlich einig darüber, dass Oper dann gültig interpretiert ist, wenn eine Synthese, wenn eine Harmonie aller, der in der Oper wirkenden Teile, erzielt ist. Aber das mit der Harmonie ist so ein ähnliches, verdammtes Ding wie das mit der Seele. Wie ist sie definierbar? Woran ist sie zu messen? Wie ist sie herzustellen? Doch wohl nicht durch einen ästhetischen Balanceakt zwischen den verschiedenen Mitteln, als Seiltänzertrick, mit dem dann die Harmonie erreicht wird. 25:00 Die Erneuerung der Opernaufführungen muss von der Musik des Werkes ausgehen. Aufgabe des Opernregisseurs ist es, in einem Tonbild die in der Musik enthaltene Handlung herauszuhören und dieses Tonbild in ein dramatisches, d.h. sichtbares Szenisches umzuwandeln. Mit anderen Worten, die Handlung darf nicht nur vom Text her, sondern muss in weit größerem Maß auch von der Partitur bestimmt werden. Aufgabe des Regisseurs ist es zu klären, was der Komponist durch jede musikalische Figur seiner Partitur eben sagen wollte, welche dramatische Handlung er im Sinn hatte, selbst wenn ihm das selbst nicht bewusst war. Es kommt darauf an, das kostümierte Konzert, woraus jetzt zum Großteil eine Opernvorstellung besteht, in echtes, dramatisches Schauspiel zu verwandeln. 26:00 Erzählerin: Diese besondere Arbeitsweise, bei der Götz Friedrich aus der Musik die Handlung heraushört und auf der Bühne in etwas Sichtbares umwandelt, spricht sich auch zum Intendanten des Bremer Theaters, zu Kurt Hübner herum. Er lädt Götz Friedrich zu Gastinszenierungen ein. Sprecher 1 Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2: Unsere erste Begegnung bei einer damals noch geradezu verschwörerisch erscheinenden Zusammenkunft in Ost- Berlin hatte mich überzeugt, den richtigen Mann gefunden zu haben. Zudem: Mir scheint mein unterschwelliger Eindruck damals, dass Sie sich im Osten eingeengt fühlten, ein zutreffender gewesen sein. Es war ein Gespräch, das sich vorsichtig tastend bewegen musste, lag doch das Problem darin, Ihr Kommen auf unproblematische Weise zu erreichen. Möglicherweise hat der Stolz, vielleicht auch die Eitelkeit, eine erweiterte Resonanz des fortschrittlichen Schaffens der Komischen Oper jenseits der Ostgrenze zu erreichen, bei den politischen Machern der damaligen DDR den Ausschlag für das Gelingen des Plans gegeben. Erzählerin: Götz Friedrich bewertet die Arbeit der Bremer Theaterschaffenden und wirbt gleichzeitig bei den Verantwortlichen in der DDR für seine Gastspiele im Westen. HFDB 2003089 Audiofiles DRA, 45:40-46:50 O-Ton GF: Ja, das ist natürlich in dem geringen Maße nur möglich gewesen, weil ich auch in Bremen im Ensemble der Sänger auf einzelne Persönlichkeiten gestoßen bin, die in ihrer Bereitschaft, sinnvoll zu singen, wirklich bewundernswert sind. Und darauf kommt es, glaube ich, in diesem besonderen Fall und auch generell an, das Bedürfnis Einzelner, zu einem wirklichen Ensemblebedürfnis zu machen. Und die Ausstrahlung, die die Arbeit der Komischen Oper auf solche Weise erfährt und erfahren kann, diese Ausstrahlung ist ja das, was schließlich über die Fruchtbarkeit der Bemühungen, die Walter Felsenstein und alle seine Mitarbeiter an der Komischen Oper unternehmen, entscheidet. Erzählerin: Nach dem sogenannten "Prager Frühling" wird der Kollege Horst Bonnet, der sich schon über den Mauerbau empört hatte, verstärkt politisch aktiv: Sprecher 1 (Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2:: Eine Flugblatt-Aktion, mit der ich gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die CSSR protestiert hatte, führte mich zu einer Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft. Ich verdanke es dem mutigen Einsatz vieler Künstler in der DDR und im Ausland, dass ich das Gefängnis nach dreizehn Monaten vorzeitig verlassen konnte. Felsenstein hatte daran großen Anteil. Erzählerin: Das politische Klima ändert sich schnell und für Götz Friedrich dramatisch. Ihm wird die Annahme der angebotenen Gastspiele in der Bundesrepublik von Seiten des Ministeriums für Kultur untersagt, da die DDR den politischen Nutzen nicht mehr erkennen kann oder will, ihre Künstler in Westdeutschland tätig sein zu lassen. Als Ersatz für die entgangene Gastspieltätigkeit wird er an der Komischen Oper zum Oberspielleiter befördert. Er darf 6 Wochen im Jahr außerhalb Berlins, allerdings ausschließlich in der DDR, arbeiten, um, wie das Ministerium schreibt, "seine ganze Kraft dem Institut vorbehaltslos zur Verfügung zu stellen und die Kulturpolitik der Deutschen Demokratischen Republik zur Grundlage seiner Arbeit zu machen." Trotz der neuen Hindernisse setzt Götz Friedrich seinen Wunsch durch, die amerikanische Oper "Porgy und Bess" von George Gershwin in der DDR an der Komischen Oper zu inszenieren. HFDB 2003232 Audiofiles DRA, 47.00 O-Ton GF: Damit näherte sich ein lang gehegter Traum der Erfüllung. Dass wir das Werk in der Komischen Oper zur Aufführung bringen wollten und sollten, darüber bestand Einigkeit. Musik HFDB 2003232, 54:50 Chor ( Halleluja) bei 54:95 darüber Erzählerin: Götz Friedrich entscheidet sich bei der Besetzung der Figur des Sheriffs für den gerade aus der politischen Haft entlassenen Kollegen Horst Bonnet. Sprecher 1 Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag ,herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2 Als ich nach der Haft an die Oper zurückkehrte, besetzte mich Friedrich mit der Rolle des Sheriffs in "Porgy und Bess". Im Verlauf der Handlung hatte ich eine Verhaftung vorzunehmen. Da meine Vorgeschichte vielen Leuten bekannt war, löste der Umstand, gerade mich in dieser Rolle zu sehen, bei einigen Funktionären des Parteiapparats verärgerte Reaktionen aus. Musik HFDB 2003232, 56:00 hoch dann abblenden "Schon wieder eine Bettelei Du kommst gleich mit"- "Ich bin doch kein Mörder" Erzählerin: Für die Rolle des Sportin' Life überredet Götz Friedrich den als Jazzsänger bekannten Schauspieler Manfred Krug in der Oper mitzuwirken. Manfred Krug erinnert sich an seinen ersten Kontakt mit der ihm fremden Gattung. Sprecher 1 Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag ,herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2 : Das größte Abenteuer in meinem Schauspielerdasein war das sechsjährige Gastspiel an der Komischen Oper in Berlin. Zwar ging ich selbst weit genug über das Trällern im Badezimmer hinaus, indem ich Schlagerlieder und Jazzsongs auf Schallplatten sang. Der waghalsige Mensch aber, der mich auf die Opernbühne lockte, das war kein geringerer als Götz Friedrich. Der wollte an der Komischen Oper Berlin "Porgy and Bess" inszenieren und suchte einen Sänger für den Sporting Life, der von Gershwin besonders deutlich mit jenem Jazzfeeling ausgestattet ist, das die ganze Oper so reizvoll macht. So stolz mich Friedrichs Wahnsinnsidee auch machte,- ich forderte sicherheitshalber eine für einen Laien viel zu hohe Gage. Nachdem Felsenstein die Sache daran jedoch nicht scheitern ließ, rückte ich allmählich mit meiner Angst raus, mich denn doch übernommen zu haben. Friedrich musste mir versprechen, dass ich nach vier Probenwochen noch die Freiheit hatte, die Flucht zu ergreifen. Darauf ging er ein und repetierte im übrigen die Worte: "Das schaffen Sie." Als dann die Arbeit im Gange war und ich mir- umtost - von dem Orkan der gewaltigen Opernstimmen - immer mäuschenmäßiger vorkam, war dieses "Das schaffen Sie!" mein einziger innerer Halt. Mir wurde immer mehr bewusst, dass ich hier nichts zu suchen hatte, und um innerhalb der ausgehandelten vier Wochen doch noch ausbüchsen zu können, ging ich freudig auf alle Probenkräche ein, die anzuzetteln, Götz Friedrich allerdings schon immer gewisses Talent hatte. Meine Töne indes wurden leiser und ängstlicher , während die Opernhirsche um mich herum immer schöner röhrten. Das alles brachte den Meister nicht von seiner Überzeugung ab, und je verzagter ich wurde, desto beherzter klang sein: "Das schaffen Sie!" Musik HFDB 2003232, Audiofiles DRA 1:16:50- 1:19:50: "Wer's glaubt ist selber dran schuld" Erzählerin: Manfred Krug schafft es und brilliert in seiner Rolle als Sportin' Life. Und er behält den Regisseur Götz Friedrich als tollkühn in Erinnerung. Auch bei "Porgy and Bess" betont Götz Friedrich die Bedeutsamkeit für das Hier und Jetzt. Er will die Ausgestoßenen und Verfolgten auf der Bühne zeigen. Er äußert sich zum Aufbruch des unterdrückten Porgy: HFDB 2003232 Audiofiles DRA , 1:23:50 -1:24:90 O-Ton GF: Als er programmatisch das Lied anstimmt "I am on my way", ein Programm, mit dem schon seit mehr als hundert Jahren schwarze Sklaven aus den Südstaaten in die Freiheit flohen oder aufbrachen, da begreifen alle, dass in dem scheinbar so absurden Entschluss eine Haltung verborgen ist, die ihrer aller Sehnsucht entspricht. Der Respekt vor der Entscheidung des Einzelnen, auch wenn es im Moment noch so unbegreiflich erscheint, ist das besondere Kennzeichen für den Wert dieses Kollektivs der Solidarität dieser Menschen. Und wir zeigen und begreifen, dass die Tatsache, dass sich einer auf den Weg macht, freilich auf einen Weg, der zunächst unvernünftig erscheint, nur als Aufforderung an alle begriffen und verstanden werden kann, sich selbst endlich auf den Weg zu machen, gemeinsam und auf einen vernünftigen Weg zu dem Ziel hin, das diese Menschen in Porgy und Bess als "promised land" umschreiben, als gelobtes Land. Es ist aber der Weg zur Befreiung und zu sozialer Gerechtigkeit. Erzählerin: Der Schriftsteller Paul Barz, der sich schon in vielen Gesprächen mit Götz Friedrich und mit dessen Konzepten beschäftigt hat, kennt den persönlichen Bezug zu dieser Inszenierung: Sprecher 1 Paul Barz "Götz Friedrich Abenteuer Musiktheater Konzepte, Versuche, Erfahrungen" mit einem Vorwort von Wolf Eberhard von Lewinski Keil Verlag1978 ISBN 3-921 591-04-x) : Wenigstens eine Arbeit lang ist dann dieses Werk auch zu seinem Werk geworden, Transmissionsband auch seiner Wünsche, Ängste, Hoffnungen und Aversionen, und so kenne ich keine Friedrich-Inszenierung ohne deutlich autobiographisches Moment, wobei sich nur fragt, wie weit dies Absicht ist oder eben auch Ergebnis jener absoluten Identifikation,als ich ihn einmal auf die schon beklemmende Übereinstimmung seiner "Porgy und Bess"-Konzeption von 1970 mit seiner eigenen damaligen "On my way"-Situation ansprach, antwortete er nur mit einem ärgerlichen Auflachen. Erzählerin: On h i s way ist auch Götz Friedrich und zwar Richtung Westen. Davon mehr in der 2. Stunde nach den Nachrichten Musik HFDB 2003232 Audiofiles DRA 1:26:25-1:28:10 "O Herr, bin auf dem Weg" danach, wenn Zeit das Gleiche in Englisch Musik HFDB 6112373, 01-B-016: Gershwin "O Lawd, I'm on my way 1:40 2. Stunde Westen Musik HFDB 5022880: Wagner Tannhäuser Vorspiel 14:30 bei 01:55 darüber Erzählerin: Der bekannte Regisseur Götz Friedrich der Komischen Oper in Ost-Berlin ist als Aushängeschild der DDR an vielen westeuropäischen Ländern unterwegs. Besonders am progressiven Bremer Theater ist er so lange ein gefragter Regisseur, bis ihm die Gastspiele im Westen von der DDR-Regierung untersagt werden. Als Wolfgang Wagner ihn für eine "Tannhäuser"-Inszenierung 1972 in Bayreuth einlädt, unterstützt Walter Felsenstein den Wunsch eines Gastspiels seines Oberspielleiters und schreibt deshalb an den DDR-Kulturminister Klaus Gysi, den Vater von Gregor Gysi. Sprecher 2 Marianne Reißinger Götz Friedrich Künstler wider Willen Quadriga Verlag 2000 ISBN 3 88679 345 1: Hinsichtlich unserer politischen Betrachtung Bayreuths gibt es zwischen uns keine Meinungsverschiedenheiten. Dennoch möchte ich den Antrag von Professor Friedrich unterstützen, weil das Eindringen von Konzeptionen unseres realistischen Musiktheaters in die Bayreuther Festspiele von noch weitaus größerer Bedeutung ist als das Auftreten eines unserer Sänger dort. Was sich Wolfgang Wagner bei dieser Einladung gedacht hat und ob er sich der daraus entstehenden kulturpolitischen Konsequenzen bewusst ist, interessiert mich nicht. Erzählerin: Nach einer ersten Ablehnung und einem erneuten Insistieren Felsensteins ist vielleicht die Ostannäherung der sozial-liberalen Koalition-für die Entscheidung ausschlaggebend: Götz Friedrich darf in Bayreuth, also wieder in Westdeutschland, gastieren. Der Musikredakteur Fritz Schleicher, der die Bayreuther Festspiele über viele Jahre begleitet, weiß um die historische Dimension dieses Gastspiels des jungen Regisseurs aus der DDR in der Bundesrepublik. Musik HFDB 5022880: bei 03:00 hoch bei 04:40 darüber Sprecher 1 O1pern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-InszenierungEine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2: Als Götz Friedrich 1972 zum ersten Mal in Bayreuth inszenierte, hatte er vielfältige Regie-Erfahrungen an internationalen Bühnen gesammelt. Er war 42 Jahre alt und kam zu seiner er6sen Auseinandersetzung mit Wagner aus der damaligen DDR in die Bayreuther Werkstatt. Er hatte Wagner nicht absichtlich gemieden, aber auch nicht zu früh danach gestrebt. Die spektakuläre Begegnung, die man damals deutsch-deutsch nennen musste, antizipierte eine geistige "Wiedervereinigung" auf künstlerischer Ebene; ein Phänomen, das 1972 in seiner historischen Bedeutung kaum erkannt wurde. In dieser Oper des jungen Wagner aus rebellischer Vormärz-Ideologie erkannte Friedrich den existentiellen Konflikt eines Künstlers, der sich in seiner Zeit, in seiner Umwelt verwirklichen muss. Tannhäusers Ringen um innere Freiheit, sein vehementes Auflehnen, sein tragisches Scheitern musste und konnte damals nur dieser Regisseur so zeit- und hautnah als permanent relevante Parabel interpretieren. Erzählerin: Götz Friedrich denkt in der Vorbereitung nicht vorrangig an die politische Dimension. Er konzentriert sich auf die im Stück immanente Aussage. HFDB 6911163, 26:50-28:00 NDR Hannover O-Ton GF: Gerade das Ende des Tannhäusers, das machte mir in der Vorbereitung auf die Bayreuther Inszenierung viel, viel Kopfzerbrechen. Ich meine es gab eine Schallplatte, die ich in der Vorbereitungsphase wirklich, ich glaube, hundert, mehr als hundertmal, immer, immer wieder gehört habe. Es waren die letzten fünf Minuten dieser Schallplatte, weil ich herausfinden wollte, wie inszeniert man diesen Schluss des "Tannhäuser," wie setzt man die drei Chöre im "Tannhäuser" ab.Sind sie die jungen Pilger, die Stimmen Tannhäusers, die er im Tode, an der Todesschwelle hört, oder sind es reale Stimmen; gerade für diesen Schluss habe ich im ersten Jahr dieser Premiere in Bayreuth ja viel Prügel erhalten oder viele "Buhs" erhalten Erzählerin: Dietrich Steinbeck, Musikjournalist des SFB, war bei der umstrittenen Premiere dabei und schildert sie so: Sprecher 1 Opern Zeit Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag , herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2: Würdige Herren in Schwarz drohten mit der Faust zur Bühne herauf, das schlimme Vokabular des Kalten Krieges auf der Zunge; da war von "Rache", ja von "Schande" die Rede, hieß es nicht nur "Buh", sondern "Pfui". In den Logen der geladenen Gäste trugen CSU- und SPD-Vertreter den Sängerkrieg gleich noch einmal aus! Franz Josef Strauß verließ demonstrativ seinen Platz; Alfons Goppel, der freistaatliche Ministerpräsident, glaubte sich beteiligen zu müssen an dieser bösen , chauvinistisch getrübten Demonstration gegen einen "DDR-Regisseur", hinter der die bayerische Ablehnung der Ost-Verträge als eigentliches Motiv stand. Strauß' und Goppels Verachtung für die nicht minder demonstrativ applaudierenden Bundesminister Genscher und Dohnányi stand des Landgrafen Hermann für den Rebellen Tannhäuser in nichts nach. Musik HFDB 5022880: bei 06:21 hoch bei 06:40 darüber Erzählerin: Der bayerische Minister Franz Josef Strauß und spätere Ministerpräsident von Bayern, verweigert dem Künstler den Handschlag und schreibt einen empörten Leserbrief für die "Welt am Sonntag": Sprecher 3 (bayerische Färbung) Marianne Reißinger Götz Friedrich Künstler wider Willen Quadriga Verlag 2000 ISBN 3 88679 345 1(Franz-Josef Strauß, Leserbrief in der WaS 30.7.1972): Wenn man die Augen schließt (nicht um zu schlafen), dann hatte man das großartige Erlebnis der Wagnerschen Tannhäuser-Musik und den durch nichts geminderten Eindruck der hohen gesanglichen Leistung. Wenn man aber die Bühnenbilder ohne Voreingenommenheit zu deuten versuchte, dann musste man sich fragen: Quo vadis? Denn es erschienen Figuren auf der Bühne, von denen man nicht wusste, ob es sich um Mitglieder des SSD in "Ausgehuniform" handelte oder eine infolge des "Endsieges" damals dem Publikum nicht mehr gezeigte Variante der SS-Uniform. Das Ganze wurde schließlich peinlich und auch für die Veranstalter unerfreulich, als sich die "gesellschaftspolitische" Deutung dieser Wagner-Aufführung in der Schlussszene in penetranter Form aufdrängte. Tannhäuser war nicht mehr der Held eines Weihespieles, der zwischen irdischer und himmlischer Liebe hin-und hergerissen wurde, sondern ein Gesellschaftsrevolutionär, der, von seiner Gesellschaft ausgestoßen und bestraft, das neue Zeitalter einer besseren Gesellschaft heraufsingen sollte. Denn der Schlusschor rief zwangsläufig die Vorstellung hervor, dass er trotz seiner hervorragenden gesanglichen Leistung den Betriebskampfgruppen-Chor des volkseigenen Betriebes ""Rote Lokomotive" in Leipzig darstellen sollte. Soviel ich weiß, haben es nicht einmal die Nazis unternommen, den Schlusschor als eine Art SA-Gesangsverein darzustellen und damit den Tannhäuser zu einer Art höherem SA-Führer zu machen. Ich warte jetzt auf eine Aufführung der Oper "Hänsel und Gretel", wo die beiden als unterdrücktes und ausgebeutetes Arbeiterpaar vor der kapitalistischen Gesellschaft in den Wald fliehen und dort von der kapitalistischen Hexe dem Moloch einer nur auf Profit bedachten Gesellschaft zum Fraße vorgeworfen werden, bis zum Schluss Karl Marx als rettender Deus ex Machina vor diesem bösen Schicksal bewahrt. Dr. Franz-Josef Strauß, MdB/CSU, München Musik HFDB 5022880: bei 12:39 (Blech) hoch bei 13:16 darüber HFDB D064387 Audioarchiv Digital, 11:20 O-Ton GF: Im Bayreuther "Tannhäuser" habe ich es mitnichten geahnt, hinterher haben Sie alle gesagt, ja wir haben das gewusst. (lachen) Ich sagte, warum habt Ihr es mir nicht gesagt? Mir hat kein Mensch das gesagt, und ich komm mir oft in meinem Leben war ich ja so etwas wie ein Reiter über den Bodensee, ich habe eine viel größere Naivität und Unschuld, als dass man mir es gemeinhin glaubt oder abkaufen will. Und tatsächlich haben mich manche Dinge überrascht. Ich habe nie absichtlich provozieren wollen. Ich habe nie absichtlich irgendwelche Kontroversen herbei inszenieren wollen. Ich habe aber auch den "Tannhäuser" oder andere Stücke so inszeniert, wie ich sie gelesen, wie ich sie verstanden hatte und wie ich sie umsetzen konnte, jeweils. Und dass es da sehr oft kontroverse Aufnahmen gibt, das muss man als Regisseur in Kauf nehmen. Erzählerin: Götz Friedrichs Tannhäuser-Inszenierung handelt von der tiefen Verletzung der Kunst beziehungsweise der tiefen Verletzlichkeit des rebellischen Künstlers Tannhäuser, der ständig vor die Frage gestellt ist: Wer ist dein Freund, wer dein Feind. Heinz Josef Herbort, Musikkritiker bei der Wochenzeitung "Die Zeit" beschreibt es so: Sprecher 1 : Als er 1972 den "Tannhäuser" in Bayreuth inszenierte, zeigte Götz Friedrich uns einen Künstler, der leben und arbeiten und etwas über diese Welt erfahren will, der aber immer wieder und immer heftiger an die Tabus dieser Welt stößt; der für einen wie lange auch immer dauernden Moment in eine zweite Seins-Schicht abtaucht, in ein Unterbewusstes, dort seine latenten Möglichkeiten, aber auch seine Grenzen erfährt; der schließlich die normenprägenden Instanzen, den Papst wie die säkularisierte Gesellschaft, zu einer klaren Entscheidung zwingt - und der uns am Ende fragt, was wir von diesen Entscheidungen halten. Erzählerin: Während der Westen den DDR-Bürger Götz Friedrich ausbuht, fühlt sich dieser schon nicht mehr als solcher. Als die Zusammenarbeit mit seinem künstlerischen Vater Walter Felsenstein zunehmend angespannter wird, schreibt ihm dieser einen Brief: Sprecher 2 Marianne Reißinger Götz Friedrich Künstler wider Willen Quadriga Verlag 2000 ISBN 3 88679 345 1: Es freut mich, dass Sie so gefragt sind, und ich wünsche Ihnen aufrichtig für alle diese Unternehmungen trotz meiner Ansicht nach zu großen Gedrängtheit vollen Erfolg. Aber ich glaube nicht, dass Sie einen Theaterleiter in Europa finden werden, der unter diesen Umständen einen solchen Mitarbeiter als Oberspielleiter zu betrachten bereit ist. Ich möchte Ihnen heute nur in aller Ruhe und Freundschaft sagen, dass ich für Ihre Betrachtungsweise des zwischen Ihnen und der Komischen Oper abgeschlossenen Vertrages kein Verständnis mehr habe. HFDB 6911163 NDR Hannover, 22:00 O-Ton GF: Dieser "Tannhäuser" wurde auch in vieler Hinsicht eine Schicksalswende, eine Wende in meinem Leben, ich verließ 1972 die Komische Oper, ich verließ Felsenstein und wurde ansässig in Hamburg.Dieser "Tannhäuser" ist ein Schicksalswerk geworden, Tannhäuser, der Künstler, der kommunizieren möchte, aber irgendwie die Welt nicht findet, die Gemeinschaft nicht findet, die ihn versteht, Tannhäuser, der Mann, der Rebell, der doch am Ende nur Gnade sucht, und Gnade schließlich auch findet. Erzählerin: Der Künstler Götz Friedrich 1972 nutzt ein Gastspiel in Schweden, um die DDR zu verlassen. - Zuerst melden sich seine zweite Ehefrau, die Tänzerin Sighilt Pahl, und er selbst sich krank, um nicht an die Komische Oper zurückkehren zu müssen. Und schon in dieser ungeklärten Situation, in der die Auswanderung noch nicht zur Sprache kommt,, macht Felsenstein seinem Ärger Luft: Sprecher 2Marianne Reißinger Götz Friedrich Künstler wider Willen Quadriga Verlag 2000 ISBN 3 88679 345 1: Professor Friedrich weiß genau, dass sowohl sein wie Frau Pahls Fernbleiben von Berlin bis 4. Dezember nicht diskutiert werden kann. Die immer wiederkehrenden Mahnungen, "ungebührliches Aufsehen, Spekulationen, persönliche Verunglimpfung und politische Unterstellungen zu vermeiden" machen erkennbar, dass er sich über die Tatsache einer Republikflucht klar ist. Erzählerin: Götz Friedrich versucht in einem seitenlangen Brief an Felsenstein, seine Gründe darzulegen und bittet um Auflösung des Vertrages. Die Antwort des enttäuschten Felsensteins klingt verärgert: Sprecher 2 Marianne Reißinger Götz Friedrich Künstler wider Willen Quadriga Verlag 2000 ISBN 3 88679 345 1 In Ihrem Telegramm vom 4. Oktober möchten Sie Ihr Verhältnis zur Komischen Oper durch einen Aufhebungsvertrag regeln. Das ist nicht möglich, weil das gegenseitige Einvernehmen als Voraussetzung dafür nicht gegeben ist. Und zwar deshalb nicht, weil Sie der wiederholten Aufforderung, Ihren Dienst anzutreten, auch nach Wiederherstellung Ihrer Arbeits- und Reisefähigkeit nicht Folge geleistet haben. Damit haben Sie sich des Vertragsbruches schuldig gemacht. Ich bedauere zutiefst dieses Ende Ihrer Entwicklungs- und Arbeitsperiode an der Komischen Oper. Alles, was sich sonst aus diesem Schritt ergibt, ist Angelegenheit des Ministeriums für Kultur. Erzählerin: Götz Friedrich begründet diesen Schritt mit seinem Bedürfnis nach künstlerischer Freiheit. HFDB 2003667 Tonträger DRA (Babelsberg) 1:10 -2:05, O-Ton GF: Es war der Grund, dass ich nach 20 Jahren Arbeit an der Komischen Oper nun einfach der eigenen, schöpferischen Neugier, dem eigenen Bedürfnis folgen musste, anderswo das zu erproben und das durchzusetzen, was ich glaubte, das für mich richtig sei. Ich musste mich auch diesem weitaus kälteren und vielfältigeren, manchmal auch unerhört reizvollen Klima der sogenannten Weltoper mal ausliefern und musste mich dem stellen, um innerlich weiterzukommen. Man kann es auch ganz simpel und ganz hochgestochen sagen, ich habe einen Teil eines Menschenrechts für mich in Anspruch genommen. Erzählerin: Der Preis der "Republikflucht" ist für Götz Friedrich hoch. Als ein Jahr später der geliebte Vater überraschend verstirbt, darf er zur Beisetzung nicht nach Naumburg reisen. Aber er ist im Westen gefragt und knüpft viele internationale Kontakte. HFDB DC032481 DRadio Berlin, 31:00-32:00 O-Ton GF: Dann kam ich 1973 als Oberspielleiter an die Hamburgische Staatsoper, wurde dann dort Chefregisseur, 1977 dann auch Principal Producer am Covent Garden in London; habe in dieser Zeit inszeniert wie ein Wahnsinniger, was ich früher nicht konnte, weil Felsenstein immer aufgepasst hatte, dass ich nicht zu viel außerhalb mache und das damalige Kulturministerium mir auch nicht so viele Genehmigungen gab für Arbeit im westlichen Ausland, aber nun tobte ich mich aus, und das ging von Wiener Staatsoper über Mailänder Scala über London und Stockholm... Erzählerin: In der neuen Freiheit lernt er viele neue künstlerische Partner kennen, er betont die fruchtbare Zusammenarbeit mit renommierten Dirigenten. HFDB 2003667 Tonträger DRA (Babelsberg), 2:40 O-Ton GF: Die Erfahrung mit vielerlei Publikum, unterschiedlichem Publikum, es gehören dazu die Erfahrungen mit einer Reihe großer, wunderbarer Dirigenten, Moses und Aron in Wien Dohnanyi, London eine Menge mit Colin Davis und einem Menschen, wie den wunderbar alten Ferdinand Leitner, wie Silvio Varviso, mit Gielen zum Beispiel in Holland, aber vor allem doch mit Karl Böhm, mit dem ich in München meinen ersten "Fidelio" machen konnte und der auch die Toneinspielungen zu meinen Fernsehfilmen Salome und Elektra gemacht hat, Elektra eigentlich seine letzte Arbeit als Dirigent überhaupt. Erzählerin: Für das Medium Film hatte Götz Friedrich sich schon in jungen Jahren interessiert. Mit der Fernsehproduktion "Die schöne Galathee" hatte er angefangen. Der poetische Märchenfilm "Rotkäppchen" folgte. Nun kommen die klassischen Opernfilme hinzu, mit der für ihn üblichen Genauigkeit. Der Produzent der UNITEL, der den "Salome"-Film für das ZDF produzierte, Horant H. Hohlfeld, erinnert sich an die Baubesprechung . Sprecher 1Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2: Wien 1974, "Salome" stand zur Verfilmung an. Vier Wochen Studio- Spielfilmbedingungen. Hier stand keine hörige Theatercrew von Beleuchtern, Requisiteuren etc. hinter ihm. Schieres Filmvolk stand ihm gegenüber, routiniert und erprobt in Spielfilmen, Schnulzen, Krimis und Werbespots. Erste Baubesprechung am Modell. Herodes Palast schimmert silbrig bleiern. Götz Friedrich nachdenklich: "Was ist das für ein Material?" Der Bühnenbildner irritiert: "Holz, Stuck und Farbe." Götz Friedrichs Gesicht versteinert sich, wechselt die Farbe, aber sanft und gütig, aber mit unhörbar grollendem Unterton, was diese Holz-Stuck-Farbenkonstruktion denn nun wohl darstellen soll. Achselzucken, weitschweifige extemporierte und vage Deutungen werden angeboten. Das Gewitter explodiert, der Vorfall hatte Götz Friedrichs Vorurteil über die Mentalität und mangelnde intellektuelle Präzision der Filmleute bestätigt. Ab jetzt musste nachgedacht werden. Vier Wochen Tanz auf dem Drahtseil ohne Netz und doppelten Boden, vier Wochen Dressur, bis auch der letzte Widerstand Götz Friedrichs mentaler und intellektueller Power erlegen war. Erzählerin: Frederik Hanssen von der "Welt" stellt das innere Feuer des Regisseurs Götz Friedrich neben den Eindruck vom nikotinabhängigen Menschen. Sprecher 1: Das Bild, das sich beim Gedanken an Götz Friedrich zuerst vor dem inneren Auge einstellt, ist das vom manischen Raucher. Ein wuchtiger Mann, leicht nach vorne gebeugt in seinem Sessel sitzend, die Zigarette in der Hand. Oft unterbrach er seine Sätze, um einen Zug zu nehmen - als empfange er seine Gedanken aus dem verglühenden Tabak, so intensiv, geradezu gierig sog er das Nikotin ein; wie ein Durstiger, nicht wie ein Genießer. Nur wo Glut war, mochte Götz Friedrich sein, der unaufhörliche Drang nach der sichtbaren Hitze an der Zigarettenspitze war Ausdruck seiner Lebens- und Arbeitshaltung. Die Vorstellung, das Feuer könne verlöschen, war ihm unerträglich. Erzählerin: Götz Friedrichs Wutausbrüche waren legendär. Die Produktionen waren stets geprägt von äußerster Spannung und auf die Spitze getriebener Emotionalität. Der Dirigent Kurt Masur brachte 1963 an der Komischen Oper mit Götz Friedrich die Salome heraus. Sprecher 1: Mit Götz Friedrich konnte man sich wunderbar streiten. Die "Salome" dagegen war eine der einheitlichsten Produktionen, die ich an der Komischen Oper machen konnte. Das hing auch an seiner Identifikation mit dem Stoff, der ohne die Musik von Richard Strauss keine Lebensfähigkeit haben würde, zusammen. Götz Friedrich war eben ein besessener Regisseur. Erzählerin: Diese Besessenheit kennt auch die damalige Salome, die tschechische Sopranistin Jarmila Rudolfovà: SPRECHERIN 1Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2 Er suchte und verlangte konsequent und bedingungslos die Wahrhaftigkeit des Ausdrucks, das "Sein" in der Partie. Alle Schattierungen menschlichen Empfindens, alle psychologischen Zusammenhänge waren von ihm bereits vor Beginn der Proben auf der Basis der literarischen Vorlage und der Musik konzeptionell ausgearbeitet. Manchmal konnte er in der Bedingungslosigkeit seiner Arbeit sogar fast unangenehm werden. So ließ er mich meinen ersten Auftritt der Salome, der mich angewidert vom Fest des Herodes wegrennen lässt, so oft wiederholen, bis es mir endlich mehr als genug erschien und ich herausplatzte: "Ich glaube, ich bin inzwischen schon nach Prag gelaufen." Es gab allseits ein herzliches Gelächter, und die Probenatmosphäre war wieder entspannt. Erzählerin: Salomes Lauf nach Prag war aber keine Schikane des Regisseurs. Götz Friedrich wollte mit dem Gang eine Lebensentscheidung der Figur darstellen. HFDB 2003089 Audiofiles DRA, 35:50 O-Ton GF: Der erste Auftritt Salome, das Herausstürzen Salomes aus dem Bankettsaal, wo sie vor Herodes und der Gesellschaft flieht. Das war die erste Probe mit der Salome, und dieses Herausstürzen war zunächst gar nicht so leicht, wie man das also denkt, so dass wir arbeiteten, "wie läufst Du beispielsweise aus einer Party heute bei Freunden heraus, wo es Dir etwas zu wild zu geht, wie läufst Du schließlich aus einer größeren Gesellschaft raus, wo dich der Ekel wirklich ankriecht?". Und so allmählich kamen wir in eine Situation, wie sie der Salome entspricht, nämlich die, dass sie ja nicht nur aus einem Bankettsaal an einem x-beliebigen Abend ausbricht, sondern dass dieser Ausbruch für sie an diesem Tage definitiv ist, dass es eine Trennung ist von ihrem bisherigen Leben, von ihrer Welt, die eine Lebensentscheidung für sie bedeutet. Musik HFDB 2003089 Audiofiles DRA ,1. Akt : Richard Strauss "Salome" 6.33 - 7:00 Salomes Herausstürzen Erzählerin: Der Salome-Film in der Bundesrepublik führte zu einer für Götz Friedrich schicksalshaften Begegnung. HFDB DC032481 DRadio Berlin, 25:50-26:50 O-Ton GF : Ich hatte den Salome-Film mit Teresa Stratas gedreht, Karl Böhm hatte das dirigiert, das wird heute noch oft gezeigt, diese Produktion von Unitel. Und ich sollte in Stuttgart Salome inszenieren, es gab aber, Teresa Stratas hat das nie auf der Bühne gesungen, so weit ich weiß und hatte das eben extra für die Schallplatte präpariert, und wir hatten keine Salome, die ganze Besetzung stand fest, Bühnenbild war schon da, aber wo ist die Salome? Und da zeigte mir der Operndirektor Schwinger in Stuttgart solche amerikanischen Photos, die die Agenturen verschicken und die also wunderschön aussehen und die Frauen, die Sängerinnen, wunderschön machen, auf jeden Fall das, was ich da gesehen hatte, war also so bestechend, dass ich gesagt haben soll, ich weiß es nicht, wenn sie auch so singt, wie sie aussieht, dann nichts wie her damit, nicht? Erzählerin: Die amerikanische Sängerin Karan Armstrong bestach nicht nur mit ihrem Gesang und sah dazu wunderbar aus, sie war darüber hinaus äußerst tough. Sie schildert ihre erste Begegnung mit Götz Friedrich: Sprecherin 1Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-InszenierungEine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2 Von Los Angeles 26 Stunden unterwegs. Die Vormittagsprobe verpasst, verloren gegangenes Gepäck und zehn deutsche Worte zu meiner Verfügung. Es begann also nicht gut! Als ich auf der Probebühne eintraf, sah ich zunächst nur eine dicke Qualmwolke, so dass ich ihm sofort erklärte, ich könne es nicht leiden, wenn geraucht wird, während ich singe oder arbeite. Meine Bemerkungen öffneten einem verbalen Vulkanausbruch Tür und Tor... Erzählerin: Götz Friedrich hat ausgesprochen dezidierte Vorstellungen zu der Salome und versucht sie der Sängerin zu vermitteln. HFDB 2003089 Audiofiles DRA, 39:00 39:80 O-Ton GF: Die Dekadenz, die in Salome zur Debatte steht, ist der realistische, historisch zutreffende Ausdruck der Lebenshaltung einer zum Untergang verurteilten Gesellschaftsordnung, verkörpert in Herodes und vor allen Dingen in Herodias, und man kann, wenn man historisch und kritisch vorgehen will, wirklich diese Dekadenz nicht deutlich genug zeigen und darstellen. Aber jede Inszenierung, die aus der Darstellung der Dekadenz einen Selbstzweck macht, versteht dieses Werk grundsätzlich falsch, denn es geht gerade darum, dass Salome aus dieser ihrer Welt, wie wir vorhin sagten, ausbrechen will, dass sie dem Neuen, verkörpert in Jochanaan, begegnet, das Neue will sie begreifen, sie kann es nur begreifen als Frau, sie kann es nur erotisch begreifen, das Neue; Jochanaan, weist sie, weist Salome ab, und so vollzieht Salome die Katastrophe und wird selber das Opfer dieser Katastrophe. Und sie, die ausbrechen wollte aus ihrer Welt, vollzieht den Untergang ihrer Welt, und die Dekadenz ist die für diese Zeit, realistisch zutreffende Vollzugsebene dieses welthistorischen Konfliktes, der in Salome ausgetragen wird. Erzählerin: Aber die Amerikanerin Karan Armstrong versteht ihn anfangs nicht. Sprecherin 1Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2 Er sprach kein Englisch - ich hatte nur (die zehn )Worte. Eine Dolmetscherin versuchte ihr Bestes. Aber die Missverständnisse nahmen überhand. Immerhin verstand ich so viel, dass er meine Salome-Auffassung, die ich zwei Jahre zuvor in Strasbourg, im Französischen Fernsehen und dann auch bei den Münchner Festspielen gezeigt hatte, für kaum diskutierbar hielt. Er redete unausgesetzt auf mich ein. Es war nun an mir, seinen Regieanweisungen auf der Stelle in die Tat umzusetzen. Nun bin ich schon immer dickköpfig gewesen, und nach langatmigen Diskussionen mit Götz Friedrich über Salomes Agieren auf der Bühne (mir schien es damals ein Über-Agieren!) sagte ich, ich würde doch lieber einige Dinge anders machen. Das war mein zweiter Fehler. Zum echten Desaster kam es beim Tanz. MUSIK HFDB 2003089 Audiofiles DRA: Strauss Salomes Tanz 9:55 darüber Sprecherin 1Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag ,herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2: Die Proben waren lang und hart und wurden täglich von Friedrich damit unterbrochen, dass er meinen Tanz sehen wollte....Mit Bill Forsythe arbeitete ich an der (zweiten) Version. Drei Wochen später verlangte Götz Friedrich, diese zu sehen. Bill spielte den Herodes. Ich tanzte das, was wir meinten verstanden zu haben, was Friedrich wollte: eine moderne Version Martha Grahams. Ich tanzte und tanzte. Ich warf mich zu Bills Füßen. Bill zeigte mit dem Daumen nach oben, dass ich es großartig gemacht hätte. Und beide warteten wir atemlos auf Götz Friedrichs Kommentar. Stille...eine Qualmwolke....dann nur ein Wort..."Peinlich". Musik HFDB 2003089 Audiofiles DRA: Strauss Salomes Tanz hoch 9:55 Erzählerin: Die Sängerin der Stuttgarter Salome, Karan Armstrong, wird schließlich Götz Friedrichs Ehefrau. Die turbulente Künstlerehe hält bis zum Lebensende des Regisseurs. Götz Friedrich leitet erfolgreich 20 Jahre die Deutsche Oper Berlin zu Zeiten vor und nach dem Fall der Mauer. Mehr dazu in der dritten Stunde der Langen Nacht. Musik HFDB 2003089 Audiofiles DRA: Strauss Salomes Tanz hoch 9:55 3. Stunde Musik HFDB 6015521, 02-A-012 Massenet La mort de Don Quichotte3:16 Sprecher 1Zeit für Oper Götz Friedrichs Musiktheater Propyläen Verlag 1991 ISBN 3 549066902: - Don Quichotte muss erfahren, dass sein Kämpfen für Recht und Menschlichkeit nur Teil eines Amüsements ist, das feinere Herren sich und ihren Gespielinnen inszenierten. Aber wieder in all dem hektischen Realitäts-Trubel die Brechungen: Hinter den kurzweiligen Intermezzi wird die ganze Frustration einer Gesellschaft sichtbar. - Indem er Massenets "heroische Komödie" zur "traurigen Operette" umdeklarierte, führte Friedrich die zwei Seiten einer Medaille vor. In ihrer fatal illusionären Einschätzung der Welt sind sich der traurige Gott von Walhall und der Ritter von der traurigen Gestalt so nahe, das es zum Lachen und zum Weinen ist. Erzählerin: So beschreibt der "Zeit"-Kritiker Heinz Josef Herbort Götz Friedrichs Idee von Don Quichotte. Jules Massenets "Don Quichotte" gilt als wichtige Identifikationsfigur für den ewig hoffenden und liebenden Regisseur, der nur sieht, was er glaubt. Bei Walter Felsenstein an der Komischen Oper in Ost-Berlin assistierte und inszenierte Götz Friedrich seine ersten Opern, zuletzt mit Manfred Krug "Porgy and Bess" von George Gershwin. Nun ringt Götz Friedrich in der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern um das zutiefst Menschliche im Musiktheater und kämpft gegen das bloße Amüsement in der Oper. HFDB 2003667 Tonträger DRA (Babelsberg), 3:00 - 6:00 O-Ton GF: Das alles hat den Horizont, so glaube ich, unerhört erweitert, hat mich gelehrt, dass man gewisse Ziele, die man hat, nicht weniger haben kann, wenn man nun manchmal wie ein Boxer in den Seilen, sich auch mal wieder zurückfallen lässt, um dann wieder einen neuen Angriff gegen die Konvention und gegen die Gedankenlosigkeit zu starten. Aber diese Flexibilität, dieses Akzeptieren von bestimmten Umständen, ohne dass man auch die schlechten akzeptiert, das ist doch eine große Erfahrung gewesen und vor allen Dingen eben auch die Erfahrung mit Stücken und Werken, die an der Komischen Oper zumindest damals nie aufgeführt wurden oder auch nie aufgeführt werden konnten. Das alles habe ich gebraucht. Und ich habe das durchkämpft und durchlitten, in einer Weise, die mich nicht immer nur glücklich gemacht hat, denn der Ärger, auch manchmal die Verzweiflung über bestimmte Umstände, die man anscheinend nicht verändern konnte, die haben mich auch manchmal sehr bitter gemacht, dass am Ende der 70er Jahre, bei mir manchmal die Idee kam, Nein, Nein, nun habe ich von der Oper doch genug. Man kann es nicht von Grund auf ändern, im weiteren Umfeld, wenn man nicht auf die konzentrierte, sagen wir, insulare Situation Felsensteins zurückgehen will. Musik HFDB6015521, 02-A-012 Massenet La mort de Don Quichotte 3:16- 5.15 HFDB 2003667 Tonträger DRA (Babelsberg) 6:00 -6:20 O-Ton GF: In dieser Situation kam das Angebot des damaligen Kultursenators Dieter Sauberzweig, die Deutsche Oper Berlin zu übernehmen, es war wie ein merkwürdiger Rettungsanker, doch bei der Stange zu bleiben, doch bei der Oper, beim Musiktheater zu bleiben, wenn auch unter anderen Umständen, und für mich war das natürlich ein ganz besonderer Schritt6:00, dass dieses Angebot nicht in München oder Stuttgart oder irgendwo kam, sondern in Berlin kam, so dass ich nach Berlin zurückkehren konnte, damals in den anderen Teil der Stadt, in der ich vorher gearbeitet habe, heute nun in dem einen Berlin." Erzählerin: Dieter Sauberzweig weiß noch, warum gerade Götz Friedrich als Generalintendant an die Deutsche Oper in Berlin berufen wurde. Sprecher 1Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2: Unter den personellen Möglichkeiten, die es in der damaligen Situation gab, rückte die Überlegung für eine Berufung von Götz Friedrich sehr rasch an die erste Stelle. Warum? Das Haus an der Bismarckstraße sollte von einem Mann der Oper geleitet werden, und Götz Friedrich hatte das Handwerk der Opernkunst von der Pike auf gelernt. Die Jahre bei Walter Felsenstein an der Komischen Oper in Ost- Berlin hatten ihn geprägt, die Lösung von seinem Lehrer und wohl auch die politische Befreiung durch den 1972 vollzogenen Wechsel nach dem Westen waren erfolgt, und nach mehr als 25 Jahren Opernpraxis gehörte Götz Friedrich zu den renommiertesten Opernregisseuren der Welt. Seine Inszenierungen an den großen Opernhäusern umfassten das gesamte Opernrepertoire, fanden Zustimmung, durch ihre unbequeme Aktualität manchmal auch Widerspruch, waren aber immer von gründlicher Dramaturgie und künstlerischem Profil geprägt. Sollte und könnte es einen solchen Mann nicht reizen, nach Jahren der Wanderschaft und nur bedingter Sesshaftigkeit (in Hamburg) nun in einem eigenen Haus die gewonnenen Erfahrungen zu bündeln und "seine" Synthese von Musiktheater zu verwirklichen? Götz Friedrich stand an einem wichtigen Punkt seiner künstlerischen Entwicklung und ergriff die Chance mit großem sachlichen Engagement. Die erste Premiere des neuen Intendanten sollte mit Janáceks Oper "Aus einem Totenhaus" den entsprechenden Akzent setzen. Erzählerin: Die Wahl der Janácek-Oper ist kein Zufall. Götz Friedrich weiß, welche Schwerpunkte er in seiner Arbeit an der Deutschen Oper setzen möchte. HFDB D046027 Audioarchiv Digital (Berlin Brandenburg), 0:00 - 1:45 O-Ton GF: Wenn die Deutsche Oper gerade in momentan Diskussionen auch immer abgedriftet werden soll dorthin, wo sie nur noch bourgeoise Repräsentativkultur zu bieten hätte, dann bin ich eben ganz dagegen, gegen eine solche Einschätzung, eine solche Fehleinschätzung. Repräsentieren sollten wir unsern Anspruch, das , was auf uns gekommen ist, wirklich zu pflegen, das heißt, nicht zu musealisieren, sondern mit neuen Fragestellungen vorzustellen, einfach neue Erfahrungen durch die Musikbühne zu vermitteln, neue Erlebnisse zu vermitteln. Das verstehe ich unter pflegen, entwickeln müssen wir neue Formen, auch müssen wir neue Werke entwickeln, müssen wir aber auch vor allen Dingen aber auch unser Miteinander, das Miteinander der Deutschen Oper mit dem Publikum in Berlin, das was man Dialog nennt, der Dialog kann natürlich nicht am Abend auf rüde Weise stattfinden, dass sich das Publikum (lacht) sich irgendwie an Unzulänglichkeiten lauthals betätigt, Dialog ist ein schöpferischer Konsens, dass das, was in der Deutschen Oper passiert mit Berlin und mit unserer Situation, was zu tun hat, und ich glaube, wir können uns nur, ich glaube, dass wir nur dann auch für die Welt interessant sind, dass wir also die internationale Gültigkeit, den Rang der Deutschen Oper unterstreichen, betonen können, wenn wir uns in Berlin füreinander interessieren, unter dem Begriff, pflegen, entwickeln. 1:45 Musik Janácek "Aus einem Totenhaus", Ouvertüre Erzählerin: Claus Helmut Drese, Direktor des Opernhauses Zürich und der Wiener Staatsoper engagiert Götz Friedrich mehrere Male an seinen Häusern. Sprecher 1: Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2 Die condition humaine ist der künstlerische Pulsschlag des Regisseurs Götz Friedrich; also nicht ästhetischer Goldglanz, Belcantoflitter oder Théâtre à la mode- , sondern die verlässliche soziologische, psychologische und historische Analyse der menschlichen Befindlichkeit. Ohne jede ideologische Indikation, aber auch ohne politische Hemmungen sucht er nach der theatralischen Wahrheit, nach der richtigen Geste, nach dem stimmigen Ambiente. Ob es sich um den Archipel Gulag des "Totenhauses" handelt oder den Kasernenhof des Soldaten Wozzeck. Götz Friedrich schreibt den Satz von Janácek "In jeder Kreatur ein Funke Gottes" auf seinen Vorhang. Er glaubt an das Prinzip Hoffnung, ohne das auch das Theater sein Kunstrecht verspielt. Erzählerin: Götz Friedrich bleibt vorrangig humanistischer Künstler mit Idealen trotz seiner erfolgreichen Intendantentätigkeit mit verwaltungstechnischen Aufgaben. Heinz Josef Herbort philosophiert über den Kontrast Künstler und Verkauf der Kunst, den Götz Friedrich als Intendant und Regisseur auch aushalten muss. SPRECHER 1: Der Künstler in dieser Gesellschaft: objektiv einerseits der Prometheus, der dieser Gesellschaft im Finstern erst das Licht der Kunst bringt; andererseits der Erzengel, der die Kunst vor der Gesellschaft zu bewahren, sie heil und integer, von allen außerkünstlerischen Anfechtungen frei zu halten hat. Subjektiv dagegen einerseits der "Handwerker", der durch sein Tun der Idee zur Wirklichkeit verhilft, woraus sich ein Schöpfer-Geschöpf-Verhältnis ableitet mit dem durchaus zentralen Problem, wie eng diese Beziehung ist (und bleibt); andererseits der "Kaufmann", der als erster die Kunst zur Ware macht, weil er von dem Erlös seiner Arbeit lebt, wobei er des Auftraggebers oder Kunden bedarf, woraus das wiederum zentrale Problem der ästhetischen Kongruenz entsteht: Wer passt sich wem an? Erzählerin: Götz Friedrich passt sich nicht an. Er bewahrt auch seinen Humor, wie sich der Senator für Kultur Dieter Sauberzweig in Berlin erinnert. Sprecher 1 Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2: Von einer Episode am Rande der Verhandlungen sei noch berichtet. Götz Friedrich erzählte mir schmunzelnd, dass er sich schon immer gewünscht habe, auf das Dach seines Autos nach Bedarf und Verkehrslage ein Blaulicht setzen zu können, so wie es "Kojak" in der bekannten Krimiserie tut. So etwas ließe sich doch vielleicht in Berlin bewerkstelligen. Dieser Wunsch ließ sich zwar nicht erfüllen, aber der "Kojak" blieb zwischen uns immer eine spaßige Reminiszenz. Erzählerin: Die Kojak-Episode zeigt Götz Friedrichs Spott über die Wichtigkeit des hohen Amtes, der Intendanz. Er kennt seinen Wert und verlangt viel für die Sache, ob in den Verhandlungen über Subventionen oder in der Arbeit mit den Darstellern. Kay Kuntze, heute Theaterintendant, hat ihn als Assistent an der Deutschen Oper erlebt: Interview Kay Kuntze 3: Also, das geht dann so weit in seiner Suche nach dem bestmöglichen Ausdruck auf der Bühne, dass er in den Requisiten, im Kostüm, in der Beleuchtung, ungeheuer genau gefeilt hat, Das gab zum Beispiel eine Szene in "Lulu", das war noch vor meiner Assistentenzeit, ich hab noch vorher als Statist an der Deutschen Oper angefangen, und da musste ich in dem Paris-Bild was servieren. Und das war nicht irgendein Bühnengeschirr, nein, das war natürlich Meißner Porzellan, echtes Meißner Porzellan, und darin war, das war damals noch politisch korrekt oder noch möglich, war Schildkrötensuppe, wurde von der Requisite, und auch schon bei den Proben, zu den Aufführungen wurde Schildkrötensuppe zubereitet. Und die hab ich dann auf den Proben serviert, kein Mensch hat die gegessen oder gerochen oder gar gesehen, aber, das hat er uns auch immer gesagt, allein das Wissen darum, dass so eine Kostbarkeit darin ist, in kostbarem Geschirr serviert wird, lässt Dich verwandeln, darum ging es ja eigentlich immer, dass man auf der Bühne sich verwandelt, raus aus dem Alltag kommt, in einen neuen Prozess einsteigt. Und das sind Dinge, die ihn eigentlich geprägt haben, dass er immer auf der, also wie gesagt im Detail unerbittlich war, auf der Suche nach größtmöglicher Indentizität im Ausdruck. Ich hatte den Eindruck, Geld spielte da so überhaupt keine Rolle,ehrlich gesagt. Man muss das auch historisch ein bisschen einordnen, das ist ja schon noch die Zeit des kalten Kriegs gewesen, über die wir da sprechen, die Deutsche Oper war so das Flagschiff des westdeutschen Opernkultur, und gerade in West-Berlin das Pendant zur Oper unter den Linden, die natürlich traditionell das königliche Opernhaus in Berlin waren, und ich glaube, da gab es auch, nicht hier nur beim Wettstreit auf dem Mond usw., bei der Reise zum Mond, sondern auch bei der Kultur gab es hier eine ganz starke Ost-West-Konkurrenz, da wurde sehr, sehr viel Geld in das Haus an der Bismarckstraße gesteckt, um die besseren Sänger zu haben, die aufwendigeren Ausstattungen zu haben, die tolleren Regisseure usw., und ich glaube, da konnte man so richtig aus dem Vollen schöpfen . Erzählerin: Trotz des Ost-West-Wettstreits und der damit verbundenen Repräsentation der westdeutschen Opernkultur geht es Götz Friedrich um etwas anderes in der Oper. Er ist vom "Zauberflöten"-Dialog geleitet. Vor der bekannten Sarastro-Arie "O Isis und Osiris" fragt der Sprecher Sarastro: HFDB Musik 5012915: Zauberflöte Track 2, 1:12 +3maliger Akkord + Anschlussdialog bis 3maligem Akkord (2:29) Sprecher : Großer Sarastro, wird Tamino auch die harten Prüfungen, die seiner warten, bestehen? - Verzeih, dass ich so frei bin, dir meinen Zweifel zu eröffnen! Mich bangt es um den Jüngling - Er ist Prinz! Sarastro: Noch mehr! Er ist Mensch! Erzählerin: Götz Friedrich sind Menschen wichtiger als Politik und Prinzen. Tadatsugu Sasaki, Präsident der Japan Performing Arts Foundation erzählt vom Gastspiel der Berliner Oper Sprecher 1Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2: Meine Beziehung zur Deutschen Oper Berlin reicht zurück bis zu der Aufführung des gesamten Zyklus von Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" 1987 in Japan. Am letzten Tag des Berliner Gastspiels geschah etwas Unvorhergesehenes. Ein japanischer Prinz, der den "Ring" vom Anfang bis zum Ende gesehen hatte, wollte die Bühnentricks kennenlernen und kam nach der Vorstellung hinter die Bühne. Zur selben Zeit wollte Götz Friedrich dem Publikum ausdrücken, dass der Erfolg des ganzen Unternehmens nur durch die gemeinsame Anstrengung aller Mitarbeiter, einschließlich des Orchesters, der Bühnenmitarbeiter, der Ankleiderinnen, ermöglicht worden war. Er war also beschäftigt, das gesamte Ensemble auf der Bühne zu versammeln, der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Natürlich musste ihn das Auftauchen des Prinzen inmitten des Durcheinanders überrascht haben. Und doch fuhr er fort, seine Mitarbeiter um sich zu sammeln. Das Gefühl, ihnen den aufbrausenden Applaus des Publikums zuerst zukommen zu lassen, war ihm am wichtigsten. Darin zeigte sich seine warme Zuneigung für all jene, die mit ihm arbeiten. Erst danach wandte er sich dem Prinzen zu, der in seinen Wagen am Bühnenausgang steigen wollte, und begrüßte ihn sehr höflich. Erzählerin: Dem Humanisten Götz Friedrich geht es in der Oper nicht um für das Publikum so offenkundige Irritationen, wenn Sterbende minutenlange Arien singen können. Er sucht den tieferen Sinn dahinter. HFDB 0930913 SR (Saarländischer Rundfunk) O-Ton GF: 52:50 Ich finde das auch ein eine ganz moderne Haltung der Oper, Dinge, die für viele Menschen ein Tabu sind, zu benennen, zu besingen und singend uns vielleicht die Angst davor zu nehmen. Nein, der Gegenstand ist der Unerhörte, das Nichtgenehmigte, das Unerhörte, und dieses Unerhörte wird, glaub ich, spannend bleiben, so lange wir diesem Unerhörten auf der Spur bleiben. 53:00 52:00 Und sterbend, das scheint alles sehr komisch zu sein, aber in Wirklichkeit, wissen Sie, wenn wir bei dem Thema beharren könnten (lacht), wäre das aufregend, weil die Oper in diesem Fall, beispielsweise Tabus beseitigt, die Angst vor dem Tod, also die Grenzüberschreitung.52:45 Erzählerin: Eine wortwörtliche Grenzüberschreitung, der Fall der Mauer, die Grenzöffnung zwischen Ost- und West-Deutschland, ist für Götz Friedrich ein Geschenk. HFDB 2009761 Tonträger DRA (Babelsberg) 0:55 - 2:20 O-Ton GF: Es gab ja diese drei Opernhäuser immer schon, zumindest nach dem 2. Weltkrieg, und die Dinge, wie wir sie in Berlin kennen, wie sie sich entwickelt haben, haben eben doch fast 30 Jahre verhindert, dass alle Berliner alle Opernhäuser besuchen konnten, auch die Berliner aus den Randgebieten der großen Stadt, Schnitt und ich hoffe sehr, und ich denke, das wird sich 1990 hoffentlich anlassen, dass die gegenseitigen Besuche intensiver werden, ich meine künstlerische Begegnungen sind gut und die werden sicher auch intensiviert werden. Das Wichtigste aber, finde ich, dass das Publikum, dass die Besucher das sehen können, was sie sehen wollen, und Schnittende nur auf dieser Basis eines Urteils des Publikums ist ein echter Wettstreit zwischen den drei Berliner Opernhäuser möglich. Und dieser Wettstreit hat beispielsweise nach dem 2. Weltkrieg, und wenn wir zurückdenken in die 20er Jahre, wo es auch diese 3, 4 Opernhäuser gab, zum Teil unter anderem Namen, zu dieser großen Blüte der Opernstadt Berlin geführt, und ich finde, wir haben heute allen Anlass, trotz aller Schwierigkeiten, die sich auftun, doch sehr optimistisch zu sein. 2:20 Erzählerin: Es bleibt für Götz Friedrich die philosophische Frage des Taminos aus Mozart "Zauberflöte" relevant: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? HFDB F846374 NDR Hamburg 19:15 (?)- 20:15 O-Ton GF: Hier liegt ja die Nahtstelle, hier kommt ein junger Mann, der glaubt, alles, was er bisher gelernt hat, sei richtig, hier kommt ein Mann in eine Welt, gegen die er kämpfen will, er will diesen Tyrannen vernichten, und er will die geraubte Pamina retten. Und er stößt an diese Pforten dieses Tempels, er stößt an einen Mann. Und in diesem Gespräch, in diesem philosophischen Gespräch, das gleichzeitig ein existenzielles für Tamino ist, begreift dieser junge Stürmer und Dränger (lacht) durch die Fragestellung, denn was der Sprecher tut, sind nur Gegenfragen, es ist fast ein sokrateisches Gespräch, was hier geführt wird, in diesem Moment kommt dieser junge Mann an die Grenze seiner bisherigen Erkenntnis, seiner bisherigen Existenz, und das Stück zeigt im weiteren Verlauf, was geschieht nun mit diesem Mann, diesem jungen Mann, in seiner tiefen Erkenntnisnot. 20:15 MUSIK: HFDB 5012915, Finale, 1. Akt, 20:15-25:50 Frage Wo willst Du kühner Fremdling hin? "O ew'ge Nacht, wann wirst Du schwinden?" Erzählerin: Auch wenn Götz Friedrich sich in diesen Jahren verstärkt mit Werken des 20. und 21. Jahrhundert beschäftigt, bleiben seit seiner Anfängerzeit die Fragen nach angemessenen Interpretationen der Mozart-Opern. HFDB 0930913 SR (Saarländischer Rundfunk) ,31:50 -33:00 O-Ton GF: Die Zauberflöte, ich hab sie zweimal inszeniert, ich finde sie, abgesehen vom Ring, von den Einzelwerken ,die es gibt, das Schönste und gleichzeitig das Schwerste für einen Regisseur. Es ist ja oft so, dass das Einfachste immer das Komplizierteste ist. Ich kann mich vor der Zauberflöte nur permanent verneigen und habe als Regisseur Angst, dieses Werk zu inszenieren, weil es kaum gelingen kann, die vielen Schichten, die in diesem Werke sind, annähernd richtig zu realisieren, wobei ein Gedanke der letzten Inszenierungen immer interessant wird, dass man langsam aufhört, wissen Sie, diese alte Schablone "Gut und Böse" so unkritisch hinzunehmen, dass man einfach sagt, Sarastro ist der a priori Gute, und die Königin der Nacht ist das Schlechte, dass man diese Gewebe von Gut und Böse, also neu hinterfragt, und da kommen ganz aufregende Dinge zustande, dass nämlich auch der Sarastro mit seinen Eingeweihten nicht so eine ganz weiße Weste in jeder Beziehung hat, man muss ja nur das Stück mal lesen, was der über die Frauen sagt, mein Gott, (lacht), muss man sich ja heute mal doch fragen, ist das noch so richtig, dass wir das ganz positiv finden. Musik Mozart Zauberflöte, Finale 1. Akt, 18. Auftritt;Sarastro "ein Mann muss Eure Herzen leiten, denn ohne ihn pflegt jedes Weib aus ihrem Wirkungskreis zu schreiten" Erzählerin: So singt der vermeintlich gütige Sarastro zu der verzweifelten Pamina. Seine Priester habe ähnliche Sprüche über Frauen parat. Götz Friedrich inszeniert Mozarts Oper "Così fan tutte", die Oper, an die sich Felsenstein nicht herangewagt hatte. Musik: HFDB 5022414 Così fan tutte Ouvertüre 4:42 bei 0:38 darüberHFDB Archivnummer 2003089 Audiofiles DRA, 28:00-28:50 O-Ton GF: Mozart gibt eine Schule für Liebende, wie dieser Untertitel heißt, und darin wurzelt die Tiefe, Philosophie, die wir am Schluss in die Worte gefasst haben, dass Liebe mehr ist als Treue, die Moral mit der Alfonso dieses Stück, diesen Tag der Schule beschließt und vor allem, und das ist die Frage des ganzen Stückes, wird ja, indem die Treue dieser Mädchen in Frage gestellt wird, in Frage gestellt die Gesellschaft, die aus dem Begriff Treue den Frauen Sklavenketten anlegen will, aber die Männer können machen, was sie wollen." Musik: HFDB 5022414 Così fan tutte Ouvertüre 4:42 hoch Erzählerin: Für Götz Friedrich ist die Treue der Frau, so lange sie nicht die gleichen Rechte wie der Mann hat, nur eine Sklavenkette, die ihr die Zeitmoral, die die Moral von Männern ist, anlegt. Sechs Mal hatte Götz Friedrich diese Oper mit Sängerdarstellern inszeniert. Nun fragt das Salzburger Marionettentheater an, ob er als Regisseur Così fan tutte mit Puppenspielern erarbeiten mag. Gretl Aicher, die Leiterin des Marionettentheaters und Spielerin der Puppen, weiß von der Produktion noch: Sprecherin 1 pern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-InszenierungE ine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag, herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2 : Mit Spannung, Konzentration und einem unheimlichen Tempo wurde sein Konzept aufgebaut. Die Figuren entwickelten sich weiter unter den Händen ihres "Gebieters" zu hochsensiblen Charakteren, zu Instrumenten mit feinsten Nuancen. Ein Wunder zu beobachten, wie Friedrich diese Arbeit zu lieben begann. In kürzester Zeit sprach er nicht mehr mit uns, den Spielern auf der Brücke, sondern allein mit den Geschöpfen auf der Bühne. Er wurde von der menschlichen Rührung hingerissen, vor allem im Duett Dorabella-Guglielmo. ? Musik: HFDB 5022414 Mozart, Cosi, Duett Dorabella-Guglielmo 04:33 Erzählerin: Für Götz Friedrich erzählen Opern Geschichten von Menschen, die durch die Musik eine besondere Dimension erhalten, die dann unsere Phantasie voll erfaßt. In seiner Arbeit am Menschlichen geht er noch weiter zurück zu den Anfängen. In der Kindheit spielte er von Bach die Matthäus-Passion: HFDB 6911163 NDR Hannover 1:00 -1:80 O-Ton GF: Der erste Klavierauszug aber, den ich bekam, das war ein Geschenk von einem Onkel von mir, der in Leipzig Musikkritiker war, Bachs Matthäus-Passion. Diese Matthäus-Passion von Bach hat mich mein Leben lang begleitet, und ich sollte auch, eine seltsame Fügung verhinderte das, die Zeitläufte gestatteten das nicht, ich sollte auch Thomaner damals werden, in Naumburg an der Saale geboren, in Freiburg an der Unstrut aufgewachsen, lebten wir ja nur 50 Kilometer von Leipzig entfernt. Bach aber war der große Geist, das große Vorbild in meiner Jugend. Erzählerin: Götz Friedrich inszeniert die Matthäus-Passion in seinen letzten Lebensjahren. Was waren seine Gründe? Sprecher 2 Marianne Reißinger Götz Friedrich Künstler wider Willen Quadriga Verlag 2000 ISBN 3 88679 345 1: Am Karfreitag 1999 war es dann endlich so weit: In der Deutschen Oper Berlin wurde das Bach-Oratorium in einer theatralischen Version aufgeführt: "Warum? Weil ich diese Passion nun sehr oft konzertant gehört habe und immer wieder sehr berührt davon war. Aber irgendwie liegt in der "Matthäus-Passion" - das ist mir jetzt erst klar geworden, das war früher eher unbewusst und emotionell vorhanden - beschlossen, was eigentlich Theater ist: Nehmet hin, das ist mein Blut, nehmet hin, das ist mein Leib, oder der große Streit mit Zwingli - das bedeutet. Zwischen ist und bedeutet liegt das ganze Geheimnis von Theater, von Opern-Spielen überhaupt.- Ist dies das Leben oder ist das die Wahrheit in der Kunst-Parabel - oder bedeutet es das Leben. Es ist unbegreiflich, dieses "das ist mein Leib " oder "das bedeutet mein Leib ". Darüber könnte man meines Erachtens eine ganze Theatergeschichte schreiben. Und man ist eigentlich als Regisseur sein ganzes Leben lang auf der Suche, von dem einfacheren und rational "Bedeuten" zu den seltenen Sternstunden von "das ist die Wahrheit " zu finden. Erzählerin: Sein einstiger Assistent Kay Kuntze erinnert sich an die von Götz Friedrich bekannte Genauigkeit im Detail bei der "Matthäuspassion" Interview Kay Kuntze 4: Ich erinnere mich eben an diese eine Geschichte, wo er vor der Premiere "Die Matthäuspassion" von Bach da war natürlich Karfreitag Premiere, und am Tag vorher, wie das so üblich ist am Theater bei großen Stücken, war dann frei, ich war zuhause, hatte seit Wochen den ersten freien Tag, da klingelte das Telefon, ich hab das schon am Klingeln gehört, dass er da dran ist, hab dann meiner Frau gesagt: "Nicht rangehen, nicht rangehen (lacht), ich hab heute frei, war dann aber schon zu spät, also jedenfalls rief er an und sagte, "Wir müssen unbedingt noch daran arbeiten an dem Blut, komm bitte in zwei Stunden in die Maskenabteilung in die Deutsche Ü. Äh Oper 04:03 mit dem Originalkostüm.- Das Originalkostüm des Darstellers war ein schwarzer Slip, der hatte nichts an außer einer schwarzen Unterhose. Also ich bin meine Unterwäsche durchgegangen, hab dann ein passendes Teil gefunden, bin dann in äh in die Deutsche Oper gekommen. Und nun gab es da zwei Dinge, die für ihn zur Premiere noch geklärt werden mussten, und zwar wie das Blut farblich aussieht und in den Fließeigenschaften sich verhält. Es gab da so eine Szene, wo ein römischer Soldat mit einer Eisenkralle dem Jesus über die Brust schrammt, und dann sollte aus diesen Schrammen heraus eben Blut langsam heraus fließen und dann natürlich die Dornenkrone. So, nun wurde das also aufwendig präpariert von dem Maskenbildner, Dornenkrone und Eisenkralle, da war dann in den Fingern so Blutkissen, und das ließ er sich dann natürlich nicht nehmen, mir dann selbst die Brust dann immer zu zerkratzen, also rüber Krg, und dann kam es dann irgendwie raus, und dann hieß es: "Blut ist doch viel zu hell, macht das das noch einmal neu. Und Kay wasch Dich mal" und dann hab ich das alles wieder abgewaschen, wurde neu präpariert, und das hat so ne Stunde gedauert, bis die Kissen wieder fertig, perforiert usw. hatten, und dann wieder rüber, und die Dornenkrone immer schön über die Stirn geratscht, und dann war es eben zu dunkel, oder immer wieder war etwas, wir haben wirklich den ganzen Tag, bis dann die Kostümchefin ein bisschen Erbarmen hatte, und sagte: "Kann er sich nicht mal so ne Plastiktüte anmachen, dass das nicht alles an seinem Körper immer herunterläuft?". Da haben die mir so ‚nen , so ‚nen Plastikbeutel irgendwie um die Lenden geschwungen, aber die haben aber wirklich stundenlang immer wieder ähäh dieses Blut an mir runtertropfen lassen. Aber das Ergebnis war dann schließlich doch zufriedenstellend und für die Premiere umsetzbar. 05:46 Erzählerin: Diese Inszenierung wird nach Tel Aviv zum Gastspiel eingeladen. Kay Kuntze, der sich mit der richtigen Konsistenz des Blutes nun persönlich so viel beschäftigt hat, übernimmt nach Götz Friedrichs Tod die Einstudierung in Israel. Für den ehemaligen Präsident der Hamburger Universität Fischer-Appelt steht fest, warum Götz Friedrich so vehement für die aussterbende Kunst kämpft: Sprecher 1 Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-Inszenierung Eine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2: Es mag vordergründig klingen, wenn er oft davon spricht, es sei notwendig, "die Oper zu retten", als ginge es nur oder zuerst um die Bewahrung der Institution Oper in all ihren Nöten künstlerischer , gesellschaftlicher und finanzieller Anerkennung. Hinter derartigen Appellen verbirgt sich jedoch die tiefe Sorge, dass es eine künstlerische und politische Aufgabe zugleich ist, für den Fortbestand der Institution einzutreten, weil die Oper eine exemplarische Spielstätte und das Musiktheater ein paradigmatisches Spielmodell der gefährdeten Kultur sind, in dem doppelten Sinne, dass sie das Gefährdende darstellen und darum das Gefährdete selbst sind. HFDB 0930913 SR (Saarländischer Rundfunk) - 38:50 O- Ton GF: Was die Oper kostet, ja, da muss ich immer wieder uns alle und alle gemeinsam fragen, wir zahlen ja alle unsere Steuern, damit Dinge gemacht werden, die nicht jeder von uns permanent braucht, ich hoffe, dass nicht alle Bürger die Kliniken, die Spezialkliniken brauchen, für die das Gemeinwesen unendlich viel Geld bezahlt, und nicht jeder fährt immer wieder Auto auf den Autobahnen ,und über die Ausgaben der Verteidigung gibt es auch viele, die geteilter Meinung sind. Das Geld, was für die Oper ausgegeben wird, ist, finden wir, so etwas wie Sicherung von Zukunftsperspektive für die, die Oper brauchen und die Oper wollen. Und so wie wir Kindergärten subventionieren oder finanzieren richtigerweise gesagt, warum wollen und sollen wir nicht ein kostbares Geschenk, was wir von der Geschichte haben, nämlich die Oper, unterhalten, weil es fast so etwas ist wie ein Spielplatz, ein Tummelplatz unserer Phantasie, wo wir eigentlich die Dinge, die Gefühle und die Ideen, die wir haben, die in der Kindheit noch zusammen passten und gehörten, uns auf eine andere Stufe zurückholen wollen. Das ist so ein bisschen so mein Credo zu dieser Frage. Autorentext BG Aber die Politik in Berlin und in Deutschland sucht nicht nach anderen Dimensionen der "Wahrheit", sondern fragt mittlerweile knallhart nach Kosten. In Berlin wird darüber verhandelt, ob eines der Opernhäuser geschlossen werden soll. Als die Idee vom Tisch ist, wird darüber verhandelt, in welcher Höhe der Etat für jedes der Opernhäuser sein soll. D064387, 8:50 Audioarchiv Digital O-Ton GF Nun (hab ich ja,) bin ich meinen Eltern dankbar, dass sie mir den Vornamen Götz gegeben haben, und es gibt verschiedene Mitteilungen, die ich am liebsten mit Götz von Berlichingen unterschreiben würde. Erzählerin: Der Vertrag des Intendanten Götz Friedrich wird über die Spielzeit 2000 hinaus nicht verlängert. HFDB D064387 Audioarchiv Digital (Berlin Brandenburg) 17:00-17:25O-Ton GF: Meine letzte Inszenierung wird gelten einem Stück "Amahl und die nächtlichen Besucher" von Menotti, ein Stück für Kinder, aber auch für Kinder, die groß und alt geworden sind. Einfach eine kleine Fingerübung, ein Understatement, aber mir lag ja eigentlich mein ganzes Berufsleben mehr an dem, was man Understatement nennt als an den lauten, lauten und vorlauten Events, vielleicht hat man das manchmal auch gar nicht verstanden. Erzählerin: Kay Kuntze kennt die Inszenierung, in der Götz Friedrich sich selbst zitiert. Er war von Götz Friedrich dafür als Assistent eingesetzt, bat aber um Beurlaubung von der Produktion. Interview Kay Kuntze 5: Er hat ja angefangen seine Intendanz in Berlin mit "Aus einem Totenhaus" von Janacek. Und da war das Bühnenbild eigentlich nur so eine Schiene, die berühmte Auschwitz-Schiene. So die Reise in diesen Gulag da, in dieses Totenhauses, von Dostojewski, und er hat im Prinzip das gleiche Bühnenbild für Amahl noch mal verwandt, weil beim "Totenhaus" führt die Schiene rein in ähm tja in diese Endstation, und bei "Amahl" eigentlich wieder raus, und damit schloss sich so ein unglaublich sinnlicher Kreis seines Schaffens an der Deutschen Oper Berlin, so dass ich mir eigentlich gar nicht vorstellen könnte, konnte, was danach noch hätte kommen können. Götz Friedrich war schon sehr krank, als er das plante, und hat auch einmal gesagt, er möchte für seine letzte Produktion lauter Menschen um sich haben, die ihm angenehm sind. Und es war da auch eine Ehre für mich, da eingeteilt worden zu sein, ich hatte aber damals auch gerade so angefangen, erste eigene Inszenierungen zu machen und hatte dann ein Angebot aus Bremerhaven, den Fliegenden Holländer zu inszenieren und kam dann, naja in so einen gewissen Konflikt natürlich, bin dann zu ihm ins Büro gegangen, also wollte zu ihm ins Büro gehen, Ich sah, dass noch Licht war bei ihm. Nun war es aber schon 1.00 oder 1.30 Uhr morgens, äh, und ich hab einfach mal angeklopft, und dachte, das ist vielleicht gerade ein günstiger Moment für ein (lacht) Urlaubsgesuch, jedenfalls saß er da mit seiner Frau und einem Dirigenten zusammen, und die waren in einem Gespräch, und ich, als ich die Stimmung sah, dachte ich, es ist vielleicht doch nicht so gut und hab gesagt:" Nee, ich komm mal lieber morgen wieder, es ist vielleicht gerade ein unpassender Augenblick" und da sagt er: "Komm jetzt, Kay sag mal, was ist denn los, wenn Du jetzt schon hier bist", naja, und dann hab ich ihm gesagt, "Sie wissen ja, das wäre mir wichtig auch dabei zu sein, bei "Amahl" und ein tolles Stück und es ehrt mich ja auch, dabei sein zu können, aber nun gibt es halt die Möglichkeit, diese Inszenierung zu machen und gibt es da nicht doch einen Weg?...", naja, und da hat er gesagt: "Kay, jetzt hör mal auf mit dem Quatsch, so wie Du da stehst, das erinnert mich so daran, wie ich damals mit dem Felsenstein gesprochen hab, ich hab dem auch immer, hab dem auch immer Honig um den Bart geschmiert, aber im Grunde genommen, war ich vor allem daran interessiert an den Dingen, wie ich mich dann entwickeln konnte, natürlich aus der Schule oder so kommend, aber ich war immer eigentlich daran interessiert, meine eigenen Sachen zu machen, und das sehe ich jetzt auch bei Dir, na klar, kriegst Du das. Und am nächsten Tag hatte ich dann den Urlaubsschein. Erzählerin: Auch ohne die Assistenz bei der letzten Produktion Götz Friedrichs versteht Kay Kuntze die Botschaft, die dieser besessene Regisseur an das Publikum sendet. Interview Kay Kuntze 6: in "Amahl" ist ja so eine Botschaft drin, dass alles, was materiell ist, im Prinzip einen für einen Moment zwar berauschen kann, aber eigentlich keinerlei Substanz, keinerlei perspektivische Substanz hat, die Mutter bestiehlt ja diese Heiligen Drei Könige, die ähm Geschenke halt für das Christuskind bringen, und wird dann dabei ertappt, und der Junge gibt das Einzige, was er hat, der ist gehbehindert, und der hat nur ne Krücke, mehr hat er einfach nicht, und gibt das denen als Geschenk mit, und dadurch geschieht halt das Wunder, dass er wieder gehen kann. Und das ist, glaube ich, was, was auf eine sehr naive Art erzählt wird, es ist ja eine Weihnachtsoper von Menotti, aber das ist schon etwas, was sehr viel zu tun hat, wie auch Kunst wirken kann. Für Götz Friedrich war Kunst hatte fast sakralen Charakter. Und die Oper war etwas, was er fast religiös, die er fast religiös betrachtet hat, und durch diese Beschäftigung mit Stücken und Themen in Verbindung mit Musik geschieht eben was, und deswegen ist dieses Stück so wunderbar gewählt, dass über das Materielle, das Über das, wie soll ich sagen, nachprüfbar Analytische hinausgeht und auf so einer unstofflich sinnlich geistig-emotionalen Ebene ganz viel erreichen kann. Das ist vielleicht sowieso etwas, was seine Arbeit ungeheuer ausgezeichnet hat. Der Götz Friedrich hat es geschafft, in Probenprozessen eine Atmosphäre zu erzeugen, dass wir, alle, die wir an einem Probenprozess beteiligt waren, immer das Gefühl hatten, hier geht es um Alles. Was wir jetz gerade machen, ist für den Fortbestand dieser Erde von so elementarer Bedeutung, dass wir, die wir jetzt dabei sein können, von dieser Ehrfurcht eigentlich jeden Moment dieses Probenprozesses mit äh so ganz bewusst miterlebt haben Erzählerin: So wie Mozart vom Krankenbett innerlich seine Zauberflöte mitmusizierte, so erlebt Götz Friedrich seine letzte Inszenierung auch nur aus der Ferne. Versöhnlich beschreibt das Heinz Josef Herbort in der "Zeit": Sprecher 1: Das Wunder, durch das der kleine Amahl in Menottis Oper Amahl und die nächtlichen Besucher geheilt wird, hat Götz Friedrich nur noch über eine Videoleitung verfolgen können - am eigenen Körper erleben aber durfte er das auch für sich Erhoffte nicht mehr. Drei Tage nach der Premiere seiner letzten Inszenierung musste er die Schlussworte der drei Könige auf sich selber anwenden: "Hell wird es nach langer Nacht. O du schöner Tag des Friedens!" Musik HFDB 1047585 Gian-Carlo Menotti Amahl und die nächtlichen Besucher 46:15- Schluss (50:15) Erzählerin: Götz Friedrich meinte einmal in Erinnerung an seinen künstlerischen Vater: Herrschaft über das Theater und Demut vor dem Theater das gilt auch vor dem Publikum. Er beschreibt Walter PFelsenstein, wie er sich wohl auch selbst hätte beschreiben können: HFDB D085424 Audioarchiv Digital (Berlin Brandenburg) 1:01:30 O-Ton GF: Ja, er steht vor meinem Auge als Theatermann, als ein Besessener, als ein Mann, der das Probieren, die Bühne brauchte, der ,dem das Leben, außer dem Leben auf der Bühne nichts war, und alles, was wir, alles andere theoretisch herausfinden müssen, sollen und werden, hat aber seinen Ursprung und sollte wieder sein Ziel haben in der eigentlich umfassend naiven Liebe zu dem Spielen, zu dem Musizieren auf dem Theater, man muss (Felsenstein) gesehen haben, wenn er (in Operetten ) etwas vorspielt, man muss gehört haben, wie er lacht und wie er die Leute, wie er seine Sänger-Darsteller zu den albernsten, absurdesten Haltungen stimuliert, um all das, was wir nun so klug, so richtig möglicherweise sagen können und müssen, in seiner menschlichen, vitalen, komödiantischen Ursache erfassen zu können." MUSIK Mozart Cosi Soave sia il vento Terzett Ende 1. Akt 3:00 Literaturliste 1) Götz Friedrich Die humanistische Idee der Zauberflöte-Ein Beitrag zur Dramaturgie der Oper VEB Verlag der Kunst Dresden 1954 2) Paul Barz "Götz Friedrich Abenteuer Musiktheater Konzepte, Versuche, Erfahrungen" mit einem Vorwort von WolfEberhard von Lewinski Keil Verlag1978 ISBN 3-921 591-04-x 3) Norbert Ely/Stefan Jaeger (Hrsg.) Regie heute Musiktheater in unserer Zeit Quadriga Verlag1984 ISBN 3-88679-102-5 4) Zeit für Oper Götz Friedrichs Musiktheater Propyläen Verlag 1991 ISBN 3 549066902 5) Opern Zeiten Entwürfe Erfahrungen Begegnungen mit Götz Friedrich-InszenierungEine Künstlerbiographie in 107 Beiträgen zum 65. Geburtstag herausgegeben von F. Wilhelm Christians Propyläen Verlag 1995 ISBN 3 549 05491 2 6) Marianne Reißinger Götz Friedrich Künstler wider Willen Quadriga Verlag 2000 ISBN 3 88679 345 1 Aufnahmen Götz Friedrich 1) Zu Gast 1964 Archivnummer 2003089 Audiofiles DRA 2) Stanislawski 1967 2003175 Audiofiles DRA 3) Porgy Ost 1970 2003232 Audiofiles DRA 4) Mozart auf dem Theater 1978 F846374 NDR Hamburg 5) Über Opernpläne 1981 D046027 Audioarchiv Digital (Berlin Brandenburg) 6) Deutsch-Deutscher Kulturaustausch 1989 2009761 Tonträger DRA (Babelsberg) 7) Friedrich 60 1990 2003667 Tonträger DRA (Babelsberg) 8) Porgy West 1990 2009812 Tonträger DRA (Babelsberg) 9) Gästebuch 1990 DC032481 DRadio Berlin 10) Friedrich 70 2000 D064387 Audioarchiv Digital (Berlin Brandenburg) 11)Felsenstein 100 2001 D085424 Audioarchiv Digital (Berlin Brandenburg) 12) Musiktheater Ansichten 1987 0930913 SR (Saarländischer Rundfunk) 13) Meine Schallplatten 1988 6911163 NDR Hannover Musikeinspielungen 1) HFDB 6911163 NDR Hannover 12:30 In the mood Glenn Miller 2) HFDB 9063349 Duke Ellington Solitude 5:33 3) HFDB 5012915: Mozart Zauberflöte oder eigene CD Ferenc Fricsay 1955 4) HFDB 5016071: Giaccomo Puccini La Bohème, Ausschnitte aus 1. und 3. Akt 5) eventuell HFDB 6112373, 01-B-016: Gershwin "O Lawd, I'm on my way 1:40 6) HFDB 5022880: Wagner Tannhäuser Vorspiel 14:30 oder eigene CD Bayreuth 1962 7) HFDB 2003089 Audiofiles DRA ,1. Akt : Richard Strauss "Salome" oder eigene CD Karl Böhm 1970 8) HFDB 6015521, 02-A-012 Massenet La mort de Don Quichotte3:16 9) Janácek "Aus einem Totenhaus", Ouvertüre, HFDB fehlt noch 10) HFDB 5022414 Mozart Cosi oder eigen CD Karl Böhm 1974 11) HFDB 1047585 Menotti Amahl und die nächtlichen Besucher Kritiken/Nachrufe 1) AZ 13. November 2000, Bernd Juds, Rüdiger Heinze 2) WELT 13. November 2000, Frederik Hanssen 3) Süddeutsche Zeitung 13. November 2000, Hermann Schreiber 4) Süddeutsche Zeitung 13. November 2000, Siegfried Matthus, Albert Kost, Christoph Stölzl, Klaus Zehelein, Udo Zimmermann Ewig hoffend - ewig liebend Eine Lange Nacht über den Musiktheaterregisseur Götz Friedrich Seite 41