COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. KULTUR UND GESELLSCHAFT Organisationseinheit : 46 Reihe : Literatur Kostenträger : P 62 300 Titel der Sendung : "Brot und Dichtung" Wie Lyriker Geld verdienen Autor/in : Dana Ranga Redakteurin : Dorothea Westphal Sendetermin : 19.06.2011 Besetzung : Erzähler (Kommentar) Sprecher (Zitate) Regie : Produktion : O-Töne, Musik BROT UND DICHTUNG Wie Lyriker Geld verdienen Redaktion Dorothea Westphal Autorin Dana Ranga Sendung: 19. Juni 2011 Länge 55' Stimmen 1. Erzähler 2. Sprecher (Gedichte) Fassung: 30.05.2011 MUSIK / Jazz (instrumental) + Lieder von Weinert / Riedel für den Part von Jan Weinert MUSIK + ATMO / Schreibmaschine COLLAGE TAKE 1 / Weinert Ich empfinde das Dichten als 'ne sehr beseelende Sache. Deswegen kann ich gar nicht ohne leben - TAKE 2 / Liebert Am liebsten schreib ich Gedichte. Am liebsten schreibe ich immer für mich selbst. TAKE 3 / Weinert Ich jammere auch nicht, mir geht's gut. Bin mit meinem Leben recht froh. TAKE 4 / Bresemann Aber diese Selbstverständlichkeit des Bezahltwerdens ist mir sowohl als Schriftsteller als auch als Literaturbetriebler noch fremd. ERZÄHLER Das Höhere rühmen, wie es Friedrich Hölderlin für den Dichter als Bestimmung sah? Oder auch nebenbei unterrichten, organisieren, übersetzen, Bücher binden, rezensieren, herausgeben, verwalten, heilen oder erziehen? Viele Dichter haben mit solchen und anderen Berufen ihren Lebensunterhalt verdient, ob Schiller, Goethe, Novalis oder in späteren Zeiten beispielsweise Gottfried Benn oder Paul Celan. MUSIK + ATMO / Schreibmaschine COLLAGE TAKE 5 / Kuhligk Na ja, so ein richtig tolles Stipendium hab ich schon bekommen, das war das Berliner Senatsstipendium, und da kam schon richtig viel Geld rüber, und das hat auch sehr geholfen - TAKE 6 / Weinert Also ich habe zu Hause bestimmt zehntausend handgeschriebene Seiten, für die ich eigentlich eine Sekretärin bräuchte. TAKE 7 / Bresemann Ich würde sofort jedem anderen die Ehrung geben und mir das Geld, wenn das ginge, ganz klar. Das, was mich an Preisen interessiert, ist das Geld. TAKE 8 / Liebert Ich überleg mal kurz, vielleicht fällt mir noch was Gescheites ein. Lebenstraum... ATMO / Schreibmaschine ERZÄHLER Leben Dichter nicht kärglich? Und tun alles für die Kunst? Obwohl sie doch einen Beruf haben - sie schreiben. Und viele tun es täglich. Doch das Schreiben von Gedichten bringt in den meisten Fällen wenig Geld ein. Wer schafft es schon, sich früh einen Namen zu machen - und Preise zu gewinnen: Den Lyrikpreis München beispielsweise, der mit 1.000 Euro dotiert ist. Oder den Reinhard-Priessnitz-Preis, der an Nachwuchsliteraten vergeben wird und mit 4.000 Euro dotiert ist, während der Arno-Reinfrank-Literaturpreis für deutschsprachige Schriftsteller 5000 Euro einbringt. SPRECHER (Gedicht: Björn Kuhligk: aus "Spiekerooger Mitternacht") kommt einer, fragt, warum schreiben Sie Gedichte, können Sie davon leben, Antworten die wie Weltraumschrott, danke, es geht, das hat Füße, an denen weiter oben Finger, die hören das Blut durchs Herzeleid stampfen MUSIK ERZÄHLER Die wenigsten Schreibenden können sich auf das Vermögen ihrer Familie verlassen. Und wer hat schon einen Gönner, wie einst Klopstock, dem ein dänischer König eine Lebensrente zuwies? Oder Rilke, der von Mäzenen unterstützt wurde. Darum müssen viele Dichter ihren Lebensunterhalt verdienen. TAKE 9 / KUHLIGK Mein Name ist Björn Kuhligk, ich bin Schriftsteller, ich schreibe in erster Linie Lyrik, und ich arbeite halbtags als Buchhändler. Den Beruf habe ich erlernt vor zehn Jahren und arbeite seit ungefähr 4 Jahren halbtags, zuvor Vollzeit. Ich mag es schon gerne, einem Brotberuf nachzugehen, weil ich gar nicht so viel zu erzählen habe, dass ich da tagelang, wochenlang, jahrelang nur schreiben könnte. Ich mag es eigentlich ganz gerne, dass ich wenig Zeit zum Schreiben habe, was dann aber konzentriert abläuft. ATMO / Buchladen SPRECHER (Gedicht: Björn Kuhligk: aus "Er kann nichts machen dagegen") Er rennt in Gewitterstimmung aus einem Rapsfeld in einen blauen Samstag, in die Musik für Biergärten - TAKE 10 / KUHLIGK Es baut sich in mir sozusagen ein gewisser Druck auf. Wenn ich zwei Wochen nicht geschrieben hab, dann merk ich das einfach. ERZÄHLER Der Brotberuf nimmt Zeit in Anspruch. Kostbare Zeit, denn sie fehlt zum Schreiben. weiter TAKE 10 / KUHLIGK Ich werd launisch, sehr launisch, ich werd unruhig, und das ist dann eigentlich der Zeitpunkt, wo ich mir den Laptop schnappe, mich in eine Kneipe setze und eine Nacht durcharbeite. SPRECHER (Gedicht: Björn Kuhligk: aus "Er kann nichts machen dagegen") er ist ein Depp der Gedichte macht, er kann nichts machen dagegen, Arme und Beine bilden eine rotierende Scheibe er kann nichts machen dagegen MUSIK TAKE 11 / KUHLIGK Ich könnte auch Hosen, oder ich könnte Wurst verkaufen, das hätte ungefähr den gleichen Effekt. Also es ist zumindest ein Beruf, wo ich den Laden verlasse, und ich trage meine Arbeit nirgendwo hin, sondern die lasse ich dort. Ich geh da raus, und ich bin irgendwo woanders angekommen, im Familienleben oder in der Freizeit oder dann hin und wieder auch im Schreiben. MUSIK + ATMO / Café? ERZÄHLER Björn Kuhligk wurde 1975 in Berlin geboren. Zum Schreiben fand er erst nach einer langen Suche. Er malte, trieb Leistungssport, lief Marathon und spielte Basketball. Um irgendwann zur Lyrik zu gelangen. Eigentlich wollte er Lehrer werden, studierte Germanistik und Politik, konnte sich aber für das Studentenleben nicht begeistern. Er brauchte einen Beruf, in dem es Ärger gab, wenn er morgens nicht pünktlich zur Arbeit erschien. Er entschied sich für eine Buchhändlerlehre - so konnte er sein Interesse für Literatur mit dem Geldverdienen verbinden. Doch wer schreibt und seine Manuskripte veröffentlichen will, braucht den Literaturbetrieb. Und das ist eine Welt für sich. TAKE 12 / KUHLIGK Der Literaturbetrieb ist ein Konglomerat aus allen Kräften und allen Personen, Strukturen, die sich zusammenfinden, so dass am Ende ein Buch rauskommt, was sich bestenfalls verkauft. Also Verlage, Verleger, Lektoren, Kritiker, Leute, die Stipendien verteilen, Literaturhäuser und so weiter und natürlich auch Autoren. Und wenn man sich in diesem Literaturbetrieb so weit bewegen möchte, dass man viele Stipendien, Preise und so weiter bekommen möchte, dann ist es eben auch cleverer, wenn man die Nähe sucht zu Kritikern, zu Menschen, die in Jurys sitzen und so weiter, und das ist nicht unbedingt ne Sache, die ich möchte. Sondern ich sehe da schon eine Grenze, die ich nicht übertreten möchte. Ich habe nichts gegen Kritiker, nichts gegen Journalisten, nichts gegen Menschen, die in Jurys sitzen, aber ich muss nicht unbedingt Kontakt zu denen suchen, in der Hoffnung, dass ich da etwas abgreifen könnte. ATMO / Schreibmaschine gemischt mit Buchladen-Atmo SPRECHER (Gedicht: Björn Kuhligk: aus "Ohne Kragen und wenn wirs denken würden") wir kaufen Geld an Automaten wir mieten Zimmer für den Sommer wir lesen morgens Zeitung und erleben Déja-vus TAKE 13 / KUHLIGK Erfolg besteht für mich darin, dass ein Verlag sich findet, der meine Manuskripte zu Büchern macht. Dass ich Lesungen machen kann, die besucht werden, und dass vielleicht das eine oder andere Stipendium mich erreicht. Oder der eine oder andere Preis. Obwohl das mit den Preisen und Stipendien, das ist schon wieder so eine Literaturbetriebssache, ich mag den Literaturbetrieb nicht sonderlich. Aber das unterscheidet dann glaube ich auch diejenigen, die Brotberufe haben, von denen, die sie nicht haben. ERZÄHLER Der Mondseer Lyrikpreis wird alle zwei Jahre ausgeschrieben. Er ist mit 7.500 Euro dotiert. Der Leonce-und-Lena-Preis wird jedes zweite Jahr an einen Nachwuchslyriker oder eine Nachwuchslyrikerin vergeben. Der Preis ist mit 8.000 Euro dotiert. Die beiden dazugehörigen Wolfgang-Weyrauch-Förderpreise sind je 4.000 Euro wert. Der Lyrikpreis Meran ist mit 8.000 Euro dotiert, der Förderpreis mit 2.100 Euro. MUSIK TAKE 14 / KUHLIGK Den ganzen Tag von morgens bis abends nur zu schreiben, das kann ich mir nicht vorstellen. Also ich denke auch, wenn man zwei, drei Stunden konzentriert arbeitet - bei mir ist es zumindest so, hab ich mich leer geschrieben. Und ich kenne das von befreundeten Schriftstellern, Lyriker oder Prosaschriftsteller, die das hauptberuflich machen, die verbringen halt die größte Zeit des Tages damit, zu lesen, spazieren zu gehen, sich Ausstellungen anzugucken, Konzerte zu besuchen und so weiter. SPRECHER (Gedicht: Björn Kuhligk: aus "Ohne Kragen und wenn wirs denken würden") ja aber, wenn wirs denken würden wir stünden auf Aussichtstürmen "Es gibt Ansätze", würde jemand flüstern, "Eine Verbesserung" würde jemand hinzufügen und vielleicht sagt es dann einer: "Der Mensch als kleinste wirtschaftliche Einheit" TAKE 15 / KUHLIGK Ich habe zwei Kinder, ich steh morgens auf, bring den Großen zum Kindergarten, dann fahre ich zur Arbeit, bin da bis 14 Uhr, dann hole ich den Großen wieder vom Kindergarten ab, dann ist nachmittags eben Familienleben angesagt. Und das Schreiben kommt natürlich zu kurz, ja, das ist so. Wenn die Kinder größer sind, werde ich wieder mehr Zeit dafür haben. SPRECHER "Noch eins, bitte" Gestern spät, das Kissen der Nacht im Genick, ich sah den Mond den schmalen Streifen Schnee und hörte den schallgedämpften Lauf der Straße, der auf den Mann auf zwei Beinen am Tresen und seine Mundwinkel zielte aus denen Tropfen aus Wut hervorzitterten, ja, das sah ich gestern nacht als Kranich, als Adler MUSIK ERZÄHLER Es gibt ein Vorurteil, das sich in der nichtliterarischen Welt hartnäckig hält: Brotberuf und Kunst passen nicht zusammen. Es sei denn, die Kunst ist nur ein Hobby... TAKE 16 / KUHLIGK Ich denke, der Unterschied zwischen Hobby und einer Ernsthaftigkeit besteht darin, dass man irgendwann erkennt, dass es kein Hobby mehr ist, oder von vornherein das komplett ausgeschlossen hat. Es gibt viele Leute, die Gedichte schreiben und das als Hobby begreifen, und das ist ja auch gut, das sollen die machen, gar nichts dagegen, da habe ich eher was dafür, das ist gut. Und die Ernsthaftigkeit, denke ich, manifestiert sich auch in der Aufgabe, die man sich selbst stellt, sich weiterentwickeln zu wollen. Also indem ich nicht das zwanzigste gereimte Geburtstagsgedicht oder so verfasse, sondern dass ich versuche, mit der Sprache zu arbeiten, an mir zu arbeiten, in dem ich versuche, viel zu lesen, zu gucken, wie schreiben die anderen, wie funktioniert das handwerklich. ERZÄHLER Björn Kuhligk gewann im Alter von 22 Jahren den Open Mike Wettbewerb der Literaturwerkstatt Berlin. Es folgten mehrere Preise und Stipendien, darunter auch das begehrte Autorenstipendium des Berliner Senats, das mit 12.000 Euro dotiert ist. Björn Kuhligk veröffentlichte in Zeitschriften und Anthologien und schrieb bisher vier Gedichtbände, die in renommierten Verlagen erschienen sind. Die Literaturkritikerin Tanja Langer nannte ihn einen "Asphalt-Rimbaud", "dem das genaue Hinsehen eigen ist, und eine präzise Sinnlichkeit". MUSIK TAKE 17 / KUHLIGK Ansonsten finde ich es auch ganz angenehm, dass Lyrik nicht den Stellenwert hat, den sie haben sollte. Also man wird relativ in Ruhe gelassen. Man ist nicht darauf angewiesen, ein Buch nach dem anderen rauszuhauen, wie Romanschriftsteller, die dann sofort nach dem nächsten Buch gefragt werden: Wann kommt denn ihr nächstes? Da kann man antworten, ich schreib Gedichte, ich sammle so lang, bis ein nächstes Buch fertig ist. Also das mag ich ganz gern, dass man sich selbst Zeit lassen kann. ERZÄHLER Der Peter-Huchel-Preis ist ein Literaturpreis für Lyrik, der jährlich vom Südwestrundfunk und vom Land Baden-Württemberg verliehen wird. Die Auszeichnung ist mit 10.000 Euro dotiert. Der Friedrich-Hölderlin-Preis der Universität und der Universitätsstadt Tübingen wird alle zwei Jahre verliehen und ist 10.000 Euro wert. Der Mörike-Preis der Stadt Fellbach 12.000 Euro. ATMO / Cafe SPRECHER Björn Kuhligk: "Der Himmel macht die Flocken, wir nicht" Flexibel sei der Mensch, und dehnbare Kinder möge er mitbringen, zwischen funktionslos und 200-Stunden-Woche stellt man die Tresorräume scharf, es gibt Dinge, die kann man nicht kaufen, an der Wand die Karte Europas ein zerschlagenes Insekt in diesem von oben nach unten durchpürierten Freizeitareal sind die Tanzflächen Deutschlands ein halbstarkes Licht zwischen Ideal und Material beginnt das große Haareraufen als Ergänzungsband zur nächsten Jugendstudie wenn du mit Großvaters Brombeergesicht redest wie mit einem Gegenstand, der Enkel der freiwillig den Müll herunterbringt Aktenvernichter als Berufswunsch angibt der am Küchentisch besprochene Tag vorbeizieht wie eine verkorkste Landschaft weißt du nicht mehr als vorher, als genug stellen sich die Nackenhaare gegen alles Schweigsame, Gesprächige, alles Schondagewesene schwimmt nach drei Wochen Mittelgebirge auf dem Fahrrad ein Wildschweinkadaver im Swimmingpool, der ansonsten nichts als blau MUSIK ERZÄHLER Was brauchen Dichter, um ein Gedicht zu schreiben? Die meisten sagen: Zeit. Man entferne sich aus dem Trubel des Alltags, man ziehe sich zurück an einen stillen Ort. Man verstecke sich irgendwo, mit etwas zum Schreiben. Man sei offen und entrückt wie vor einem Spiegel, allein. Manche tun es bei Tee oder Kaffee, mit Musik oder in größter Stille. Um diese zu verteidigen, muss man ein Kämpfer sein, weil man nicht anders kann, als sich schreibend auszudrücken. Die größte Gefahr ist der Verlust des Gedankens, eines ersten Verses, die sich verändernde Stimmung. Oder jemand, wenn auch jemand Geliebtes, der an die Tür klopft und ruft: Abendessen. TAKE 18 / WEINERT Ich bin Jan Weinert und Dichter. Und hab' in vielen sozialen Berufen mein Geld verdient. Zum Beispiel Krankenpfleger, psychiatrischer Betreuer. Jetzt bin ich in der Schule und mache mit schwierigen Kindern Förderunterricht. Ich gehe mit denen in einen extra Raum, mit Kindern die Schwierigkeiten haben und dann bin ich eben begeistert, wenn die ein Wort lesen können, was sie sonst noch nicht lesen können. Und die kriegen meine Begeisterung mit und arbeiten dadurch auch intensiver mit. Und das ist also auch als Dichter insofern ganz interessant, weil man die ganzen Laute, grrr, krrr, brrr, die muss man erst mal im unterscheidbar machen und dann... wo ist das am Gaumen, an der Zunge, wo werden die Lippen geschlossen, und damit habe ich mich viel beschäftigt und das hilft mir ja auch. MUSIK / "Für mein Kind" - (Text: Jan Weinert) Ich wünsch dir Glück, mein Kind, und Weisheit für das Glück. oft geht ein rauher Wind, und nichts kehrt je zurück. Ich wünsch dir Liebe, Kind, wer liebt, wird auch geliebt. Und selbst die Wüste grünt, wenn man ihr Wasser gibt. ERZÄHLER Jan Weinert wurde 1963 in Jena geboren. Gemeinsam mit verschiedenen Malern schuf er bibliophile Bücher, in denen Gedichte neben Zeichnungen oder Aquarellen stehen. Er schrieb Kinderbücher und Texte, die der Musiker Philipp Riedel vertonte. Seine Übertragungen aus der aserbaidschanischen Lyrik erschienen im Matthes und Seitz Verlag. Er übersetzte Sonette aus dem Werk der amerikanischen Dichterin Edna St.Vincent Millay - und wartet immer noch auf einen Verleger dafür. All dies entstand in einsamer Arbeit. Freunde und Zufälle machten Literaturveranstalter und Verlage auf ihn aufmerksam, so dass es zu ersten Veröffentlichungen kam. ATMO TAKE 19 / WEINERT Ich hab Krimis geschrieben, um mal zu sehen, ob das funktioniert, um damit auch Geld zu machen, aber das war mehr ein Spaß. Hab's mit einem Freund zusammen gemacht, der Krimis mag, und da haben wir auch bei der "Die-Reihe", gab's damals im Osten, unter Pseudonym dann mal einen Band verlegt, und der hatte hunderttausend Auflage. Und da haben wir 26.000 Mark gekriegt, und davon konnten wir beide ein Jahr leben. Aber das wollte ich nicht machen. Mir geht es schon um reine erhabene Dichtung (lacht), wenn man das so sagen kann. Das ist meine Leidenschaft. Und nicht Ablenkungen für Leute zu schaffen, sondern so eine Art Meditation auch zu führen mit einem Gedicht. Also ich wollte nicht mein Schreiben so verkaufen - das hätte ich mir gegenüber als Verrat empfunden. ERZÄHLER Jan Weinert lebt spartanisch, in einer kleinen Wohnung in Berlin Weißensee. Er nennt sie seine Hippie- oder Indianerbude, mit weitem Blick aus dem Fenster über Bäume und in den Himmel. Jeden Abend sitzt er am Küchenfenster. Das Geld vom Arbeitsamt deckt die Miete und die Nebenkosten ab, es muss auch zum Leben reichen. Und für die Ausflüge mit seinem Sohn. Weinert wäscht seine Wäsche mit der Hand. ATMO TAKE 20 / WEINERT Wie gesagt, für mich gibt es zwei Ebenen, genau wie man Kunst nicht wirklich verkaufen kann. Genau wie van Gogh zu Lebzeiten keine Bilder verkauft hat und arm gelebt hat - jetzt werden 40 Millionen für so ein Bild geboten und das hat alles keine Relation, weil es zwei verschiedene Dinge sind. Der hat mit Besessenheit und Leidenschaft gemalt, wie ein Dichter seins tut, wenn er's muss. Und na ja, ob das die Welt würdigt und finanziert, ist die zweite Frage. Ich möchte unbedingt Freiheit haben. Wie auch das Schreiben für mich selbst ein offener Raum ist. Ich brauche Zeit, spazieren zu gehen, zu sitzen, stillzusitzen, bis die Worte kommen, bis die Bilder sich in Worte umsetzen. Man braucht einen geistigen Freiraum, das ist für mich ganz wichtig. Nicht um irgendetwas zu verkaufen, das kann ich gar nicht. Will ich auch nicht. SPRECHER "Schöne Wildnis" Gärten, verwildert, verlassen. Möbel vermodern im Nassen. Brusthoch wuchert das Kraut, Vogelgezwitscher ganz laut. Scheiben, geschlagen aus Rahmen, Bruch ist das Schild mit dem Namen. Türlos das offene Haus, Wind weht herein und heraus. Katzen auf schimmelnden Sesseln, lila blühn lieblich die Nesseln. ERZÄHLER Jan Weinerts Vorbilder in der Lyrik sind Heinrich Heine und Stefan George, er schreibt am liebsten in Reimen, was heute gar nicht gefragt sei, wie er meint. Er verwendet gern Worte, die es schon immer gegeben hat, statt neue zu kreieren, und er bleibt auch bei klassischen Themen wie der Natur. Kompromisse interessieren ihn nicht und auch nicht, was andere über ihn denken mögen. TAKE 21 / WEINERT Ich hatte Glück - die letzten zehn Jahre, also vor dieser Schultätigkeit war ich auf Hartz IV, und unser sozialer Kapitalismus hat mir das ermöglicht, zehn Jahre wirklich nur schreiben zu können. Und dadurch kam ich auch zu diesen ganzen Übersetzerarbeiten, weil sonst hat man keine Zeit, 154 Shakespeare Sonette zu übersetzen oder ein dreiviertel Jahr aserbaidschanische Gaselen zu übertragen. Das schafft man nicht, wenn man arbeitet und abends froh ist, wenn man noch zwei Gedichte vielleicht macht. MUSIK / "Für mein Kind" - (Text: Jan Weinert) Es ist ein Spiel, mein Kind, der Schatten folgt dem Licht. Der Sand der Zeit verrinnt, das Spiel doch endet nicht. Es küsst des Glückes Wind, der bald von dannen zieht. Du bist der Spiegel, Kind, der alles wandeln sieht. TAKE 22 / WEINERT Mit Liedern und mit Kindersachen wäre es theoretisch auch möglich, als Dichter Geld zu verdienen. Aber dazu muss es auch jemand kennen. Und die Verlagsgruppen sind auch ziemlich geschlossene Einheiten, da kommt man nicht so leicht dran. Ich bin kein Geschäftsmann und hab auch keinen Agenten und hab mich auch darum nie wirklich gekümmert, wie gesagt. / Es gibt da am Wannsee einen Kreis von Übersetzern, die immer zusammensitzen und gegenseitig auch die Stipendien vertauschen, hab ich gehört (lacht). Aber ich fühl mich da nicht so zugehörig, ich mach das mit Schreiben seit über dreißig Jahren, also Stipendien kriegen ja eigentlich Studenten und wenn man dreißig Jahre eine Kunst ausübt, dann sollte man eine gewisse Meisterschaft darin auch erworben haben. ATMO / Vögel, Wind ERZÄHLER Der Ernst-Meister-Preis für Lyrik wird alle zwei bis drei Jahre verliehen. Er besteht aus einem mit 13.000 Euro dotierten Hauptpreis und zwei mit je 2.250 Euro dotierten Förderpreisen. Der Hermann-Hesse-Preis - 15.000 Euro - und der Förderpreis - 5.000 Euro -, wird alle zwei Jahre vergeben. Der Thomas-Mann-Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste bringt 15.000 Euro. SPRECHER Jan Weinert: "Goldsucher" Goldsucher tauchen in den Fluss die Siebe Bergwasser macht die Hände rot und kalt das Drahtnetz hebt ein Schimmern aus der Trübe ein Glitzerstaub der nachts ein Weib bezahlt. Strapazen, Schmerzen, frost und Fieberschübe die Hoffnung, Gier, ich habe es bald, ja bald unsteter Blick, Verdacht, die Angst der Diebe die Totenhand, ein Goldstück noch umkrallt. Orange glüht durch die Haut der Augenlider dann stehst du wieder vor dem Wasserfall die Flutenmassen stürzen krachend nieder und überm Berggrat flammt der Feuerball. Du bist das Gold, Sonnabglanz, Widerhall des Stroms, der Wellentanz, im letzten Strahl. ATMO ERZÄHLER Passt das Schreiben von Gedichten mit dem Alltag eines Brotberufes zusammen? Oft entsteht daraus eine Spannung. Einige Dichter setzen sie als Motor ein, andere würden sie gern vermeiden. Der Brotberuf verlangt zweierlei: Zeit und Energie, und beides geht dem Schreiben verloren. COLLAGE TAKE 23 / KUHLIGK Ich bräuchte trotz dessen irgendeine Tätigkeit, die nicht mit dem Schreiben zu tun hat. Vielleicht auch als innere Balance, denn es wäre verheerend für mich, wenn ich mich von morgens bis abends nur mit mir selbst auseinandersetzen müsste. TAKE 24 / LIEBERT Als ich richtig da gearbeitet habe, das war jeden Tag von 10 bis irgendwann spät in die Nacht. Und dann hab ich irgendwann aufgehört, ich hab gekündigt. TAKE 25 / WEINERT Wenn man abends noch 30 Kinder im Kopf rumtollen hat, die hier drin toben, hat man manchmal keine Muße, keine Ruhe zur Betrachtung. Ich bin einfach erschöpft. TAKE 26 / BRESEMANN Das sind ja auch Dinge, die man zum Teil sogar auch lernt, in Instituten, wo man das studieren kann und so, dass man halt dieses Bewusstsein sehr schnell auch eingetrichtert bekommt, dass man auch für den Markt schreibt und dass man sich dessen auch bewusst bleibt. TAKE 27 / WEINERT Die materielle Seite und die poetische Seite sind zwei ganz verschiedene Ebenen. TAKE 28 / KUHLIGK Also der Lyriker ist niemand, der sich irgendwo verstecken braucht, der ist genauso wettbewerbsfähig wie eine Currywurstbude meinetwegen. ATMO ERZÄHLER Mit jedem Gedicht, das publiziert wird, in Zeitschriften oder Anthologien, mit jedem Buch, das unter dem Namen des Dichters erscheint, wächst der Erfolg. Und die Aufmerksamkeit derjenigen, die im Literaturbetrieb Einfluss besitzen. Es werden Preise und Stipendien zugesprochen, Einladungen gehen ein, um öffentlich zu lesen. Für fünf bis zehn Gedichte, die in Literaturzeitschriften erscheinen, kann ein Dichter zwischen fünfzig und zweihundert Euro bekommen, je nach Berühmtheitsgrad des Dichters oder der Auflagenhöhe der Zeitschrift. Freilich sind viele froh, überhaupt ein Gedicht gedruckt zu bekommen - dann geben sie es auch ohne Honorar frei. SPRECHER (Gedicht: Tom Bresemann: aus "stellt angestellte aus") stellt angestellte aus und aufsteller ein! karma kapitalismus: wieder so ein ohrwurm. reclaim the claims. MUSIK ERZÄHLER Für einen Gedichtband mit einer Auflage von tausend Exemplaren gibt es zwischen fünfhundert und tausend Euro - glücklich kann sich schätzen, wer zweitausend bekommt, oder sogar ein wenig mehr. Und da viele Dichter gern auf ihr Publikum treffen, lesen sie öffentlich Gedichte vor. Am Anfang mit großer Leidenschaft und umsonst, doch, mit wachsendem Erfolg, gegen ein Honorar. Dies kann bei hundert oder zweihundert Euro beginnen, für einen Abend. Gefragte Leser und gut dotierte Institutionen einigen sich im Schnitt bei fünfhundert. MUSIK TAKE 29 / BRESEMANN Ich bin Tom Bresemann, bin Schriftsteller, und ich selbst habe ein Buch bis dato veröffentlicht und jetzt im Herbst diesen Jahres erscheint das zweite, beides Gedichtbände. Und lebe aber unter anderem auch von ganz anderen Dingen. SPRECHER (Gedicht: Tom Bresemann: aus "auf der zunge") ich sage: das unverkäufliche verbieten, die konsumfreien zonen ausmerzen, ich sage: da wo man kauft, da lass dich ruhig nieder, nur böse menschen kennen keinen preis. TAKE 30 / BRESEMANN Möglichkeiten, Geld zu verdienen mit Lyrik, gibt es ja. Es gibt einen vitalen Stipendienmarkt, es gibt jede Menge Lesemöglichkeiten, Festivals, es gibt insgesamt Projekte, allgemeiner formuliert, oft dann gekoppelt an Events. / Das ist eigentlich ein riesiges Thema, dass wir halt einen Betrieb haben, der dir schon die Chance gewährt, eine Karriere aufzubauen, auf Lyrik, mit der du dich finanzieren kannst. Das ist aber natürlich eine sehr schwierige und fragwürdige Karriere, für mich schwierig und fragwürdig, die viel mehr mit sozialen Kategorien zu tun hat als mit Text. MUSIK ERZÄHLER Tom Bresemann, geboren 1978 in Berlin, gründete zusammen mit Freunden seinen eigenen Literaturbetrieb. Die Lettretage in Berlin Kreuzberg ist ein unabhängiges Literaturhaus. Es versteht sich nicht als Institution und auch nicht als Anti- Literaturhaus. Es soll vielmehr zur Kommunikation auf Augenhöhe beitragen - zwischen Literaten, Autoren und Publikum. Tom Bresemann und seine Mitstreiter machen das ehrenamtlich. Er selbst möchte mit dieser Tätigkeit kein Geld verdienen, um seinen inneren lyrischen Raum vor zu vielen Einflüssen zu schützen. Vom Wettbewerbsdenken im Kampf um Preise und Stipendien möchte er sich ebenfalls fernhalten. TAKE 31 / BRESEMANN Weil ich danach mehr daran denken würde - kann ich diesen Standard halten, kann ich dieses Stipendium mit dem oder jenem Buch kriegen? Oder schließe ich mich nicht kategorisch aus, wenn ich so was schreibe? Das sind Dinge, die für mich selbst ziemlich schnell eine Rolle spielen würden. Ich bin, glaube ich, leicht korrumpierbar. Ich versuche, das kategorisch zu trennen. Was natürlich nur als Idee funktioniert. Es geht darum, nicht zu viele Lesungen zu besuchen, im eigenen Literaturhaus, nicht zu oft zu arbeiten, nicht zu oft und zu genau zu gucken, wer welche Preise gewonnen hat, wer welche Stipendien wo gewonnen hat, weil ich nicht anders kann als es auch auf mich zu beziehen, als Schriftsteller. Ich kenne auch wenig Schriftsteller, bei den Berliner Institutionen zumindest, die Literaturbetrieb im institutionellen Sinn betreiben und ich glaube, das ist kein Zufall. Das steht sich im Weg. Genau wie Literaturwissenschaft studieren und Schreiben sich im Weg stehen kann. MUSIK SPRECHER (Gedicht: Tom Bresemann: aus "auf der zunge") und ich will nimmer davon hören, habe ein gehalt und irre immer noch durch diese servicewüste, die mein körper ist - ATMO / Kaufhaus TAKE 32 / BRESEMANN Ich rede so viel über Wettbewerb und Stipendien, weil es das ist, wovon Lyriker leben, wenn sie hauptberuflich als Lyriker leben. Sie leben nicht vom Buchverkauf. Sie leben auch nicht zwangsläufig nur von Lesungen. Sie leben von Stipendien, ganz klar, die leben davon, dass Jurys sich auf ihre Sachen einigen können, und die dann irgendwie umrechnen in Geld. Und das sind Vorgänge, die ich so schlecht einschätzen kann. Ich fühle mich ein bisschen ohnmächtig in der ganzen Maschinerie. SPRECHER (Gedicht: Tom Bresemann: aus "stellt angestellte aus") du auf der couch, mit deinen tele- prompteraugen, und ich nebenan, als host- age eines realityformats. ist das jetzt eine dieser win/ win situationen? TAKE 33 / BRESEMANN Zum Beispiel Schöpping - Schöpping ist ein Standardstipendium. Künstlerhaus Schöpping. Du kriegst sechshundert, siebenhundert Euro im Monat, musst in Schöpping anwesend sein, du darfst nicht länger als von 3 Monaten eine Woche weg sein, und das wird richtig auch geprüft. Und du sitzt da in Schöpping, und du musst ja auch hier weiter Miete zahlen, es ist ja auch nicht so, dass du dann da lebst in Saus und Braus. Sondern du kratzt genauso rum. Ich kenne jede Menge Leute, die auf ihren Stipendien auch Brotjobs machen, die trotzdem aber das Stipendium nicht ablehnen wollen oder können, weil es auch ein nächster Schritt ist wieder, weil es wichtig ist. So funktioniert das nun mal, Preise bringen Preise, Stipendien bringen Stipendien, Publikationen bringen Publikationen. ERZÄHLER Der Hölty-Preis für Lyrik der Landeshauptstadt und der Sparkasse Hannover wird jedes zweite Jahr vergeben und beträgt 20.000 Euro. Es sind keine Bewerbungen möglich. Der Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg ist mit 20.000 Euro dotiert und wird jedes Jahr am 6. Juni, dem Vorabend des Todestages von Friedrich Hölderlin, verliehen. TAKE 34 / BRESEMANN Der Betrieb, soweit wie ich das verstehe und erfahre, funktioniert nicht unbedingt nach geschriebenen Regeln. Oder die geschriebenen Regeln, die da sind, die sind in sich nochmals sehr modifizierbar. Es geht eher darum, das Gespür zu kriegen, was die richtige Situation ist, was die richtigen Gesprächspartner in der richtigen Situation sind, was die richtige Party ist, auf welche man gehen muss, bei der Buchmesse, und solche Dinge. Mit wem man wie redet, und so. MUSIK ERZÄHLER Tom Bresemann hat Neuere deutsche Philologie und Alte Geschichte studiert. Er arbeitet für Verlage, macht Grafik und Layout und lektoriert Sachbücher. Er versucht, die Energie der inhaltlichen Auseinandersetzung, so weit wie es geht, für das Schreiben zu reservieren. Auch aus diesem Grund zieht er seinen Brotberuf dem professionellen Literaturbetrieb vor. Und arbeitet als Dienstleister an Texten. ATMO TAKE 35 / BRESEMANN Und das ist eine ganz klare Tätigkeit, die irgendwie nachprüfbar ist. Während ich mal ernsthaft zu bezweifeln wage, ob jemand die Qualität eines Textes nachweisen kann, in irgendeiner Form, also jedenfalls in Bezug auf monetäre Vergütung. Da wüsste ich gern mal einen Schlüssel für, irgendwie. Natürlich kann man einen Preis gewinnen, weil man jetzt vielleicht besser gepasst hat oder so, oder weil man Null Komma sechs Sekunden poetischer war als die anderen, weiß ich nicht. Wie das gehen soll, was eigentlich ein Preis bedeutet, oder ein Wettbewerb. ATMO ERZÄHLER Der Berliner Literaturpreis würdigt das bisherige Gesamtwerk eines deutschsprachigen Schriftstellers. Mit dem Preis verbunden ist die Berufung auf eine Gastprofessur für deutschsprachige Poetik an der Freien Universität Berlin. Die Dotierung beträgt 30.000 Euro. Der Georg-Büchner-Preis ist der bedeutendste Literaturpreis in der Bundesrepublik Deutschland und im deutschen Sprachraum. 50.000 Euro erhält, wer damit ausgezeichnet wird. TAKE 36 / BRESEMANN Ich kann mir schwer vorstellen diesen Jet-Set, den ich bei Kollegen beobachte, der von außen auch toll aussieht - dann schläft man im Hotel hier oder im Hotel da oder hat zum Teil Hotelzimmer bei Lesungen, die größer sind als seine eigene Wohnung zu Hause und so, das ist schon toll. Und das habe ich hier und da auch, das gibt es schon auch mal, dass ich hier mal eingeladen werde, und mal im Hotel schlafen darf, aber das ist für mich dann einfach schön, dass es auch etwas Besonderes ist und bleibt, und dass es für mich auch eine schöne Möglichkeit ist, auf Null mit Reisekosten und kleinem Honorar mal München kennenzulernen, wo ich freiwillig sonst nie hinfahren würde. Das reizt mich an Lesungen außerhalb sehr. SPRECHER Tom Bresemann: "Wenn" Motto: Auf das Notwendige kann ich verzichten Wenn ich reich bin ziehe ich nur noch 100% rein zerstoßenes Geld durch die Nase Wenn ich reich bin bau ich kein Haus ich kauf mir eure Wenn ich reich bin gestatte ich nur noch apartesten Gleichnissen meiner Langeweile Ausdruck zu verleihen exquisite Buffetstrecken voll ausgestorbener Köstlichkeiten werde ich wenn ich reich bin veranstalten Wenn ich reich bin werd ich auch schwul alle werden mich lieb und teuer halten denn ich werde verstehen die Leere auszukosten ATMO TAKE 37 / BRESEMANN Ich mag halt diesen Satz von Wallace Stevens sehr gern, "money is a kind of poetry". Und das ist ein Satz, über den ich viel nachdenke, und ich versuche, ihn für mich zu verstehen. Und ich glaube schon, dass es eine Art von magischem Moment gibt, auch an Geld. Und in unserer Gesellschaft sowieso. Es gibt kein Problem, dass man mit diesem bunten Zettel nicht lösen kann. Es ist nur ein Zettel, mit einer Nummer drauf. Der Wert des Geldes ist eigentlich durch die Interpretation, durch den Leser im Endeffekt - es ist fast wie ein Gedicht selbst und das ist sehr, sehr spannend. Ich schreibe auch gern und viel Gedichte über Geld. Es ist etwas, was mich sehr interessiert. Ökonomie und Poesie. MUSIK TAKE 38 / LIEBERT Ich bin ganz schlecht darin, über mich selbst zu reden. Das Ehrlichste, was ich sagen könnte wäre ja im Moment, ich heiße Juliane Liebert, ich bin 23 Jahre alt, ich hab vor drei Jahren einen Literaturpreis gekriegt, arbeite ab und zu für ein Magazin und sitze sonst gern in der Sonne. Mein Lebenstraum ist, in einer Stadt zu leben, zum Beispiel Berlin, die ganze Zeit Unsinn zu machen, mich von Sachen zu ernähren, die ich gerne tue, mich mit Menschen zu umgeben, die ich mag und das ist alles ein bisschen albern. Ja - was ist mein Lebenstraum? SPRECHER (Gedicht: Juliane Liebert: aus "nikolai, mein partymädchen") du hattest visionen wir haben verstand wir rasen gerädert in kunststoffkisten die klappernden scheiben verspiegelt dass keiner uns sieht dass wir alleine und wehrlos, konserven sind wie du - ATMO / Konzert, Publikum TAKE 39 / LIEBERT Ich hab gekellnert, ich hab als Messehostess gearbeitet, also auf Messen immer gelächelt und anderen Leuten erklärt, wie toll das Auto ist, vor dem man steht, was ja wahrscheinlich das genaue Gegenteil von Lyrik ist. Ein guter Freund hat mir immer vorgeworfen, dass ich mich damit für den Kapitalismus prostituiere, was vermutlich stimmt. Wer weiß, ob ich mich mit meinen Gedichten nicht auch über Umwege für den Kapitalismus prostituiere, das kann man ja immer erst aus etwas Entfernung so richtig sagen. Ich hab auch auf Autorennen gearbeitet, so, in Oschersleben, da war ich noch blond, da ging das noch besser. Was hab ich noch gemacht? Ich habe auf der "Fusion", diesem Festival, als Bühnenwache gearbeitet, ich hab auch Musik gemacht, ich hab ja Geige gelernt zwölf Jahre lang, und ich hab auch mit Leuten Musik gespielt auf verschiedenen Sachen. ERZÄHLER Als Juliane Liebert noch in der Schule war, in den Sommerferien 2007, bewarb sie sich bei der Internet-Zeitschrift "Vice" als Praktikantin. Sie hatte eine Ausgabe des Magazins gelesen und war überzeugt, dass die Medienwelt sie interessieren würde. Sie begann noch während der Schulzeit, Musik-CDs zu rezensieren. Später wurde sie Redakteurin und hatte lange Arbeitstage bewältigen. Denn sie war auch für die Werbung zuständig. Für das Schreiben von Gedichten blieb keine Zeit. Nach mehreren Monaten kündigte sie. Jetzt schreibt Juliane Liebert für diese Zeitschrift nur noch als freie Mitarbeiterin. MUSIK TAKE 40 / LIEBERT Ich hab beides erlebt, also ich hab mit 16 schon mal allein gewohnt, wo ich mit sehr, sehr, sehr wenig Geld auskommen musste und wo ich auch gemacht habe, was man mit 16 halt macht, wo ich auch geklaut habe, wo ich wirklich kaum Geld hatte, die Miete aufzubringen. Und ich hab auch Zeiten gehabt, also meine Familie ist eigentlich obere Mittelschicht, wo ich wirklich alles hatte, wo ich nichts zu klagen hatte, und es auch nicht zu schätzen wusste. Ich hab dann irgendwann gemerkt, dass mich weder das Eine noch das Andere glücklicher oder unglücklicher gemacht hat. Und dann war die Zeit bei "Vice", die sehr, sehr schön war, aber sehr anstrengend war, und danach hab ich einfach keinen Bock mehr gehabt, irgendwas zu machen, was ich nicht machen muss. Also ich hab jetzt 'n Level, mit dem ich mich ernähren kann. ATMO / Meerrauschen SPRECHER Juliane Liebert: "die wale" die wale haben menschenaugen und du fische sitzt in deinem aquarium und sagst: fass mich an, fass mich an: es gibt keine sünde es gibt keinen himmel der teufel will unsere seelen nicht wir könnten uns draußen treffen wir könnten uns ausziehen schwach werden sagen: diesen tag hat es nie gegeben, dieses drama fand nie statt, wir könnten uns anders ausdrücken ich wäre ein essay du ein schlechter bukowski mein bonbonfarbenes tangerinrot gespritztes stromlinienbaby: schlüpfrig glitzrig elektrisch, ein zitat, wir könnten das weite suchen TAKE 41 / LIEBERT Ich gehe in Berlin selten zu irgendwas. Ich gehe manchmal zu irgendeiner Lesung. Also es gibt nur sehr, sehr wenige Sachen, die ich mag, was an meinem Geschmack liegt und nicht an der Qualität dessen, was die schreiben und beschäftige mich so nur damit, ich hab kein Bedürfnis, ich muss mich auch nicht ständig hinstellen und über Literatur reden. Ich muss nicht irgendwo hingehen, wo 17 Leute sind, die auch Gedichte schreiben, und denen dann erzählen, wer wem was, gerade welcher Preis und wie gut oder wie schlecht der neue Debutband ist. Dazu gibt es Facebook. SPRECHER "Für Liesas Kind, von einem Mehlwurm empfangen untergegangen in der Spree am 1.6.09" ich glaub wir glaubten eh nicht mehr an die Liebe, meine Liebe wir glaubten an Ecstasy die schwerelosen Drehungen unserer Augbälle unter den Lidern der anderen nur wir drehten uns nicht um die Sonne die Sterne die Seen die uns entgingen wir kreisten um 15 mg Ranticin, drei Schübe Fenoterol, 150 Gramm Cortison, nichts weiter ist Glück: einer der bei uns war wollte an einem Ballon erhängt werden scheißend sterben winkend über den Felsen der Loreley entrissen: Kraken haben drei Herzen neun Hirne wir leichtere Vergnügen MUSIK ERZÄHLER Mit siebzehn hatte Juliane Liebert ihre erste Lesung. Im Sommer 2007 bewarb sie sich nicht nur für ein Praktikum, sondern auch für den Open Mike Wettbewerb. Sie wurde eingeladen und bekam nach ihrem Auftritt Anfragen für Lesungen und Angebote, in renommierten Literaturzeitschriften zu veröffentlichen. Sie begann, Arabistik zu studieren und brach das Studium ab. Sie bewarb sich an der Universität Hildesheim für einen Platz im Studiengang Kreatives Schreiben und bekam ihn - nahm ihn aber letztendlich nicht an. Sie entschied sich gegen Strukturen und für eine radikale Freiheit, die sie immer wieder neu definieren muss. TAKE 42 / LIEBERT Ich hab diesen Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis gekriegt von Leonce und Lena, 2009 muss das gewesen sein, und ich war zwei Mal beim Open Mike, aber ich habe beide Male nicht gewonnen, so viel war's gar nicht. Es lag eher daran, dass ich ziemlich jung war und Leute, die jung sind, ja sowieso jetzt gerne gesehen werden und bevorzugt werden, was ich wiederum albern finde. Ich meine, Bukowski hat mit 56 angefangen zu schreiben, und dem hat auch keiner Stress gemacht, dass er jetzt bis 30 irgendwo was eingereicht haben muss, sonst ist er zu alt. MUSIK SPRECHER (Gedicht: Juliane Liebert: aus "tannhäuser gate") wir stolzen die straßen auf und ab als hätten wirs gepackt im sommer schliefen wir auf den dächern sahen dinge die ihr menschen niemals glauben würdet ERZÄHLER Der gesellschaftliche Kontext war nicht nur zu Hölderlins Zeiten dem Dichter feindlich, er war es auch davor, er ist es auch heute. Dichten gilt vielen Menschen immer noch als Zeitverschwendung. Es brächte kein Geld, keine Unterhaltung, sondern nur Mühe und Verwirrung. Das Dichten bleibt ein Luxus. Eine Arbeit, für die man teuer bezahlt, um sie ausüben zu können. MUSIK / "Paare" - Text: Jan Weinert, Musik: Philipp Riedel (ganz abspielen) TAKE 43 / LIEBERT Aber selbst wenn man Preise kriegt und so, ich glaube nicht, dass man vom Lyrikschreiben superreich wird, aber die meisten coolen Sachen sind brotlos. Ich meine, wenn man ne Rockband ist, außer man hat total Glück, ist es brotlos und stressig, wenn man malt, ist es brotlos und stressig, wenn man mit dem Fahrrad in Berlin herumfährt, ist es brotlos und stressig, es ist halt eine Sache, für die man sich entscheidet. Und das tut man nicht wegen des Geldes. ***************************** Quellenangaben für die Gedichte: 1. Björn Kuhligk: - "Der Himmel macht die Flocken, wir nicht" aus "Von der Oberfläche der Erde", Berlin Verlag, Berlin, 2009 - "Spiekerooger Mitternacht" - Rechte beim Autor - "Er kann nichts machen dagegen" - "Ohne Kragen und wenn wirs denken würden" aus "Großes Kino", Berlin Verlag, Berlin 2005 2. Jan Weinert: "Goldsucher" Rechte liegen beim Autor 3. Tom Bresemann: - "Wenn" - "stellt angestellte aus" - "auf der zunge" aus "Berliner Fenster", Berlin Verlag, Berlin, 2011 4. Juliane Liebert: - "tannhäuser gate" - "nikolai, mein partymädchen" - "Die Wale" erschienen in wespennest Nr. 152, Wien 2008 und BELLA triste Nr. 29, Hildesheim 2011 2