Die Muslimschwestern / Reportage von Karin Gothe Atmo 1: (Koranunterricht in der Moschee, die Mädchen lesen abwechselnd stockend Suren aus dem Koran vor, die Leiterin verbessert sie.) Autorin: Ein Samstagnachmittag im April. Koranunterricht in der Darassalam-Moschee in Berlin-Neukölln. Dreißig junge Mädchen sitzen in einem kleinen kargen Raum, immer zu zweit, an alten Schultischen. Die Füße baumeln in Strümpfen über dem weichen roten Teppich, mit den Fingern fahren sie die Verse im Koran entlang, Qur-an, wie sie in korrektem Arabisch sagen. Alle tragen Kopftuch, blau, rot, braun, geblümt. Bei manchen schauen noch ein paar Haare hervor… O-Ton 1 Alina: Man hat immer noch Probleme beim Kopftuchbinden manchmal. O-Ton 2 Lejla: Ja, also die ersten Male, als wir in die Moschee gegangen sind, das sah schon katastrophal aus, dann haben wir auf Youtube so Tutorials uns angeguckt, da gibt‘s ja ganz viel, und dann probier mal du aus, das war schon witzig. Mittlerweile kann man‘s halt. Autorin: Die Schwestern Lejla und Alina sind erst seit drei Mädchengruppe. Sie sind Berlinerinnen, die Mutter stammt aus Serbien, der Vater aus Bosnien. Lejla, die Ältere, macht bald Abitur. Sie ist zierlich und zurückhaltend. Alina, die jüngere und lebhaftere, ist sechzehn. Es ging los mit dem Koran-Unterricht im bosnischen Zentrum, dann haben sie ihre engen Hosen und T-Shirts verschenkt und sich weite Oberteile gekauft. Dann kam das Kopftuch bei Alina. Und seit drei Monaten die Mädchengruppe in der Moschee Darassalam. O-Ton 4 Lejla: Ich kann von mir behaupten, dass es alles eine Veränderung war, die im Laufe der Zeit passiert ist. Da war nix von heute auf morgen. Z.B. hab ich vor zwei, drei Jahren angefangen, Sachen überm Po anzuziehen, d.h. immer noch ne enge Hose, aber n bisschen bedeckter, immer so weiter, von Schritt zu Schritt mehr, bis ich am heutigen Punkt angelangt bin. Atmo 3: (Mädchen lesen im Koran….) Autorin: Jeden Samstagnachmittag, wenn andere Jugendliche zum Sport gehen oder auf der Straße abhängen, verbringen die beiden in der Moschee in Neukölln, um den Koran zu lesen, Vorträge zu hören und mit den anderen Mädchen zu beten. Einige sind schon seit sieben Jahren dabei. Aber nicht alle verstehen das klassische Arabisch des Koran - geschweige denn auf Anhieb die Bedeutung der Suren. Atmo 4: (Mädchen lesen im Koran….) O-Ton 5 Alina: Man versteht ihn nicht. Man versteht schon manchmal Wörter, die Sure Kafira bedeutet z.B. Andersgläubige, da kommt dann Kafir, da weiß man, das ist von dem abgeleitet, es gibt viele Wörter, die man halt checkt, weil man sie kennt, aber man versteht es nicht. Man versteht die Worte, aber nicht den Sinn dahinter. Atmo 5: (Mädchen lesen im Koran, bismillah….) O-Ton 6 Alina: aber man sagt ja auch, wenn man mehr Mühe in eine Sache reinsteckt, dann kriegt man mehr Lohn von Allah. Atmo 6: Gebetsruf. Lehrerin: Unterbrechung: Wir beten schnell, dann machen wir weiter. Mujahid, kommst du mit? Autorin: Zeit für das Nachmittagsgebet. Die Mädchen unterbrechen ihre Koranlektüre und drängen nach vorne zum prächtigen Hauptraum der Moschee. Aber: Sie bleiben auf der Empore - unsichtbar für die Männer, die unten unter dem riesigen Kronleuchter in Richtung Mekka beten. Atmo 7: (alle gehen rüber… Allahu akbar. Pscht. Autogehupe. Husten. Stille. Allahu akbar… Rascheln, wenn sich alle vornüberbeugen. assalamu alaikum wa rahmatu allah… rascheln, es geht wieder zurück.) Autorin: Mujahed, der zweijährige Sohn der Kursleiterin, findet’s lustig, wie sich die Mädchen vor und zurückbeugen, er läuft ihnen um die Beine und wirft mit Legosteinen. Atmo 8: (alle gehen zurück zum Klassenraum.) Autorin: Zurück im Unterrichtsraum - nun geht es um das Jüngste Gericht. Sarah, die Kursleiterin, eine junge, schlanke Frau in bodenlangem, braun-schwarzen Gewand, erklärt, welche Zeichen den Tag des Jüngsten Gerichts ankündigen. Atmo 9: Gibt es da nur große Zeichen oder gibt es da auch andere Zeichen? Schülerin: Das ist doch auch mit der Kleidung zum Beispiel, dass, wenn Männliche eher weibliche Kleidung anziehen. Und dass die Mutter ihren eigenen Erzieher gebärt. Also, dass das Kind anfängt die Mutter zu erziehen und nicht andersrum. Wenn Leute ihr eigenes Geschlecht anfangen zu lieben… Autorin: All diese Zeichen deuten darauf hin, dass der Tag des Jüngsten Gerichts nahe ist, sagt Sarah. Dann ist es zu spät, um Reue zu zeigen, für alle – auch für die Mädchen. Dann schaut Gott in das große Buch, in dem die guten und schlechten Taten des Menschen verzeichnet sind. Ob man die fünf Pflichten des Islam befolgt hat: 5 mal täglich Beten, Fasten, Almosen geben, nach Mekka pilgern und das Glaubensbekenntnis sprechen. Es ist nicht einfach, all diese Vorschriften zu befolgen, zumal als junges Mädchen. O-Ton 7 Lejla: …Gott sei Dank ist es bei uns nicht so, dass der Teufel uns überreden will, trink mal jetzt n Schluck Alkohol, jeder hat halt Versuchungen, die er einem einflüstert, aber man versucht halt sich dagegen zu wehren, das ist nicht leicht. Autorin: Zum Beispiel die Versuchung, auszuschlafen. O-Ton 8 Lejla: mIt dem Morgengebet, ich hatte mal ne Phase, wo es mir sehr sehr schwer fiel, aufzustehen, ich konnte einfach nicht aufstehen, ich hab mir zwei drei Wecker gestellt, mein Handy, ich konnte einfach nicht aufstehen, ich weiß nicht was da mit mir los war. Autorin: Alina und Lejla gehen erst seit drei Monaten in diesen Koranunterricht, sie haben als Kinder gar nicht gebetet. Aber heute ist alles anders. Die Moschee, die Mädchengruppe und der Jugendimam – das ist ihre Welt. Es geht um: das Paradies, den Himmel - oder die Hölle. Autorin: Auf den Tischen einiger Mädchen liegt nicht nur der Koran, sondern auch das Büchlein „Der Kampf gegen Satan“. Geschrieben von Salah Soltan, einem bekannten ägyptischen Muslimbruder und Antisemiten. Übersetzt von Ferid Heider - dem konservativen Jugendimam, der in vier Moscheen predigt, regelmäßig in der Mädchengruppe Vorträge hält - und für den hier alle schwärmen. O-Ton 9: Alina und Lejla: Ja, Ferid Heider! Lejla: Ich glaub, die ganze muslimische Jugend in Berlin, die zu seinen Vorträgen geht, die sind seine Schüler. Lejla: Jeder, ich kann im Namen aller sprechen, finden ihn toll, weil er ist, er lebt den Islam, aber nicht auf eine Art, wo man, du darfst das nicht, du musst das, sondern er lebt das so mit Leichtigkeit. Autorin: Ferid Heider hatte als Jugendlicher selbst Probleme in der Schule, hing auf der Straße rum und rauchte Haschisch - bis er den Islam entdeckte. Er legt den Islam sehr konservativ aus - und will ihn zugleich europäischer machen. Er lebt seine Überzeugung. Das lieben die Mädchen. O-Ton 10 Alina: Seine Vorträge sind einfach boah, der Hammer, einfach ihm zuzuhören, egal worüber er redet, ist schön, man merkt einfach, er ist überzeugt davon, er liebt das, was er sagt, und er weiß, was er sagt. Autorin: Zur großen Enttäuschung der Mädchen kann er heute nicht kommen. Atmo 10: Hanan kommt rein… Autorin: An seiner Stelle betritt die Palästinenserin Hanan den Raum, die mütterliche Gründerin der Mädchengruppe. In der Hand ein Plakat, das immerhin einen Vortrag von Heider ankündigt. Atmo 11: Hanan: Über Whatsapp weiterleiten, bitte! Whatsapp, Facebook, … Autorin: Hanan hält die Mädchen per Whatsapp zusammen. O-Ton 11 Hanan: Wenn Mädchen nicht kommt, zwei Samstage, dann rufe ich an und sag, wo bist du, und so. Ich hab mit sieben oder neun Mädchen angefangen und guck mal, wir haben jetzt bei Whatsapp 72 Mädchen, kommt jedes Mal 30 bis 40. Es ist ok. Autorin: Hanan absolviert die gleiche Islam-Ausbildung, die Ferid Heider, der Jugendimam, schon hinter sich hat - an einem privaten Institut für Islamkunde in Frankreich, das der Muslimbruderschaft nahe steht, einer äußerst konservativen Gruppierung, der man vorwirft, das islamische Recht über die Verfassung zu stellen. Für Hanan ist das Ansichtssache. O-Ton 12 Hanan: In meiner Meinung, wir sind mittel. Wir sind nicht sehr streng - und nicht locker. Es gibt Regeln und wir halten diese Regeln und diese Regeln passt auch für die Leute, die hier in Europa leben. Atmo Schöneberg Autorin: Drei Monate später. Es ist Juli geworden. In Schöneberg scheint die Sonne durch das Wohnzimmerfenster. Die Mutter von Alina und Lejla serviert bosnischen Kaffee in kleinen Mokkatassen. Sie ist eine zierliche, lebhafte Frau mit langem hellblauem Kopftuch. Die Mädchen sitzen auf einem großen roten Sofa und knabbern Kekse. Atmo 12:… also meine Eltern kommen ja ursprünglich aus Serbien, wir trinken den Kaffee so, dass wir den Zucker also schon rein, ins Kochwasser reingießen… in Bosnien da gibt es so Würfelzucker, aber der ist größer, den macht man mit den Händen klein, nimmt ein Stück und gießt dann den Kaffee nach. So trinken die in Bosnien den Kaffee. Autorin: Die in Berlin geborene Serbin konvertiert zum Islam, als sie ihren Mann, einen Bosnier, heiratet. Aber sie ist damals nicht religiös und geht auch nicht in die Moschee. Erst als ihre Mädchen in die Pubertät kommen, entdeckt sie den Islam als Lebenshilfe für sich. Die Mädchen folgen ihr. O-Ton 13 Mutter: Und bei mir war es einfach so, dass ich dieses Gefühl hatte, ich will meinen Kindern einen Weg, dass die einen Weg haben, dass die nicht auf der Straße landen. Und es war so, dass ich so ein Gefühl hatte, ich war den ersten Monat so von Allah, so dieses Gefühl, ich war die Ruhe selbst, das war so, das ist das! Das ist das. Und dann habe ich angefangen zu praktizieren. Autorin: Sie wünscht sich, dass ihre Töchter als Jungfrauen in die Ehe eingehen, wie es in ihrer bosnischen Familie Tradition ist und dass sie sich vom Alkohol fernhalten, nicht lügen, nicht lästern und Gott dienen. O-Ton 14 Mutter: Also, die waren vorher schon vernünftig, aber jetzt, sie haben halt Werte, denen sie nachgehen, und die auch wichtig sind fürs Leben. Und auch wichtig sind wegen dem Islam, weil sie ja vor Allah treten werden, und dafür verantwortlich gemacht werden, was sie alles tun. Autorin: Und wieder das Jüngste Gericht. Die Vorstellung, dass Gott die guten Taten der Menschen zählt und abwiegt. O-Ton 15 Mutter: Es gibt ja Engel, die jedes Wort mitschreiben, was ich jetzt sage. Gute Taten, man soll die aber nicht zählen wie wenn man Geld aufm Konto zählt. Man soll es sozusagen als Konto unter Anführungsstrichen sehen, was man dann bei Allah hat, aber man kann es nicht so verwenden wie ein richtiges Konto, dass man dann sicher ist, das Geld abheben zu können, bzw. Paradies oder Hölle. Autorin: Die Mutter und Alina sind davon überzeugt, dass zu den guten Taten auch gehört, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch anzulegen. Nur Lejla trägt als einzige in der Familie noch kein Kopftuch. Wegen des serbischen Opas, zu dem sie eine besondere Beziehung hat und den sie nicht enttäuschen möchte - er versteht nicht, warum seine Tochter und seine Enkelinnen immer islamischer werden. O-Ton 18 Lejla: Es gibt ja diese vier Rechtsschulen. Man kann sich entscheiden, nach welcher man geht. Die eine sagt, geht gar nicht, die andere sagt, man muss Niqab tragen, man soll sich halt seine Rechtsschule aussuchen und sich danach richten. Autorin: Welcher Rechtsschule die drei folgen, ist nicht schwer zu erraten: O-Ton 19 Alina: Wir fragen halt immer Sheikh Ferid. Sheikh Ferid, wenn er was nicht weiß, fragt er die oder andere Sheikhs oder so. Er hat Kontakte zu den großen Gelehrten in den arabischen Ländern. z.B. die waren auch oft bei uns in den Moscheen und so. Autorin: Ferid Heider steht den Muslimbrüdern nahe, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Mit seiner konservativen Auslegung des Koran macht er sich Feinde - aber auch Freunde: Er sagt, dass die strengen islamischen Vorschriften dazu da sind, den Gläubigen das Leben zu erleichtern. Alina sieht das genauso: O-Ton 20 Alina: Würdest du erwarten, dass eine Frau mit Kopftuch in die Disko geht. Würde man nicht. Oder mit Jungs so was machen. Würde man auch nicht machen, wenn man ein Kopftuch trägt, das bewahrt einen selber vor diesen ganzen Sachen. Autorin: Dabei kichern Alina und Lejla wie ganz normale Teenager, sprechen über Jungs, ihre Facebookeinträge und ihre Angebereien. Aber sie gehen zu keinen Partys und Lejla will auch nicht mehr mit auf Klassenfahrt. O-Ton 21 Lejla: diese ganze Atmosphäre, ich würd mich da nicht wohlfühlen. Ich hör auch nicht so ne Musik, die da gehört wird. Und um dich herum trinken alle Alkohol. Und dann besaufen die sich. Autorin: Mit dem Kopftuch setzen die Mädchen klare Grenzen und fühlen sich moralisch überlegen. Sie gehen in Opposition – nicht zu ihren Eltern, wie andere in ihrem Alter, sondern zu einer Gesellschaft, die ihnen keine Orientierung gibt. Sie zeigen Kante – auch gegenüber muslimischen Mädchen, die ihre Religion nicht praktizieren: O-Ton 22 Alina: Im ersten Jahr da hat ein Mädchen zu mir gesagt, oh du tust mir voll leid. Das war voll die Beleidigung. Weil, ich hab mir das ja ausgesucht, das Kopftuch zu tragen. Und ich liebe es Kopftuch zu tragen. Und sie sagt, Du Arme! Ich so: Wieso du Arme? Ja, ist dir nicht heiß? Und da hab ich einfach gesagt, ja, aber in der Hölle ist es heißer! Autorin: Am schwierigsten war es mit den Lehrern in der Schule. Alinas Klassenlehrer, ein muslimischer Türke, stellte sie zur Rede: O-Ton 23 Alina: Von wegen, wie’s dazu kam, dass er mich als selbstbewusste Frau kennengelernt hat, hab ich gesagt, ich kann auch mit dem Kopftuch selbstbewusst sein. Sie sehen, ich bin nicht anders. Ich werde nicht gezwungen, falls Sie das fragen wollen. Dann hat er gesagt, das steht nicht im Koran, hab ich gesagt, doch, das steht im Koran. O-Ton 24 Mutter: Er hat ihr auch gesagt, ob sie nicht die Sorge hat, zu bereuen. Und überleg dir noch mal gut. Autorin: Alina hat Probleme in der Schule - weil sie das Probehalbjahr nicht besteht, muss sie die Schule verlassen. Geborgenheit findet sie in der Mädchengruppe und in ihrem Glauben. O-Ton 26 Alina: Was ich gemerkt habe, dass mir meine Religion oft hilft, wenn ich traurig bin, auch das mit dem Probehalbjahr, das hat mich schon mitgenommen. Ich glaub halt daran, das ist der Weg von Gott. In jeder schlechten Sache ist was Gutes dabei. Das beruhigt mich schon sehr, auch wenn ich weine, es hat alles seinen Grund. Das beruhigt einen so was von! Autorin: Doch ihr Gottvertrauen wird gerade auf eine harte Probe gestellt: Sie findet keinen Ausbildungsplatz. O-Ton 27 Alina: Ich war beim Zahnarzt, hatte ein Vorstellungsgespräch und die Leute wussten nicht, wie ich aussehe. Und dann kam ich da rein, in die Praxis, und da war die Schwester. Sind Sie die, die sich beworben hat. Ja. Eine Frage vorab, möchten Sie dieses Kopftuch anbehalten, wenn Sie hier arbeiten würden. Das war die erste Frage. Ja. Gut, das wollen wir nicht. Ich so, danke trotzdem. Der Arzt stand daneben, bin ich rausgegangen, hab versucht zu realisieren, was grad passiert war, und ich war voll so schockiert … und hab dann mitten vor der Schule von Lejla angefangen zu heulen. So richtig extrem geheult. Weil ich so baff war, das ging so schnell, ich hatte nicht mal die Möglichkeit mich vorzustellen. Autorin: Auch andere Vorstellungsgespräche verlaufen ähnlich. O-Ton 28 Alina: Ich weiß einfach, dass das Kopftuch ein Hindernis ist, hier im deutschen Arbeitsmarkt. Man muss es halt trotzdem probieren. Autorin: Lejla ist wütend, dass ihre kleine Schwester so behandelt wird. O-Ton 29 Lejla: Das hat mich einfach persönlich aufgeregt. Ich finde das sehr traurig, dass man nur auf das Stück Stoff reduziert wird. Autorin: Stoff zur Diskussion gibt es genug: Alinas jüngste Anschaffung: Ein Burkini, ein Ganzkörperbadeanzug, der den islamischen Kleidervorschriften entspricht. In leuchtendem Rot und Blau. O-Ton 30 Alina: Ich hab mir den Burkini eigentlich nur gekauft wegen der Klassenfahrt, nach Italien. Weil ich liebe Schwimmen, ich hab mich so gefreut drauf, weil wir halt im Meer schwimmen, und es war so ein schönes Gefühl, ich hatte das Gefühl, genauso als ob ich ohne Burkini schwimme und nur dass halt die Haare nicht so im Wasser sind. Es geht so auf unter Wasser, also ich finde das voll angenehm. Autorin: Die Kommentare einiger Jungs hat sie einfach ignoriert. Und geht, ganz selbstbewusst, auch in Berlin seitdem einmal in der Woche zum Frauen-Schwimmen mit Burkini. Atmo 14: Schritte auf Kies. Autorin: Schöneberg im September, der Sommer ist vorbei, in ein paar Tagen geht die Schule wieder los. Alina hat keine Lehrstelle gefunden - und wird erst einmal die zehnte Klasse wiederholen - auf einer anderen Schule. Und Lejla? Atmo 15: (an der Tür)… Oh, mit Kopftuch? Sie trägt jetzt für immer Kopftuch. Für immer? Schon seit einem Monat. Schon seit den Sommerferien. Autorin: Lejla, die Zögernde, die die Auseinandersetzung mit dem Großvater vermeiden wollte, trägt nun auch Kopftuch. Der Sommerurlaub bei der gläubigen Verwandtschaft in Bosnien hat Spuren hinterlassen. O-Ton 31 Lejla: Ich bin an so einem Punkt angekommen, dass einem egal ist, was die anderen sagen. Diese ganzen Schulkameraden, die sehe ich auch eher so als fremde Menschen, das kann mir egal sein, ob da jemand mit meinem Kopftuch zufrieden ist oder nicht. Genauso wie mit den Lehrern. Autorin: Und der serbische Opa? O-Ton 32 Lejla: Ich hab‘s ihm einen Tag vorher erzählt. Und dann hat er: Ich dachte, du wärst die einzige Normale noch! O-Ton 33 Alina: Also, er ist schon ein bisschen ausgerastet, wir dachten, jetzt wird er sich ne Woche nicht bei uns melden, aber am nächsten Tag hat er uns schon Cola und so gekauft. Aber sie ist die letzte. Deswegen hat er sich mittlerweile daran gewöhnt. Er denkt, was soll ich machen. Atmo 16: Schritte…. Hupen… Gehen wir rein? Klappern, Cafégeräusch. Musik. Ach. … Ich hab gar keinen Hunger…. Kanafi… sooo lecker…. Autorin: Auf dem Weg zur Moschee trinken die beiden Mädchen im Café Peri am Kleistpark noch einen Tee. Es ist auch am Nachmittag voll, das türkische Essen ist beliebt. Eine Frau mit geblümtem Kopftuch nimmt die Bestellung auf. Atmo 16 weiter : Hallo! Ich nehm einmal Künefe. Also zweimal Künefe und nen türkischen Tee. …. Sie will einen türkischen Tee, ich hätt gern einen Arizona….. Haben Sie greentea? Ich nehm dann einfach nur ne Sprite….. Klappern. Autorin: Alina und Lejla sind seit den Sommerferien noch gefestigter in ihrem Glauben. In Bosnien erfuhren sie großen Respekt für ihr Kopftuch. Ihr nächstes Ziel ist es, die Gebetspflicht ernster zu nehmen und, komme was wolle, wirklich fünf Mal am Tag zu beten. Alina hat sich jetzt einen kleinen Gebetsteppich zum Mitnehmen für die Handtasche gekauft. Und stolz zeigen sie ihre Entdeckung - einen kleinen Gebetsraum im Café Peri, der Gebetsraum für Menschen unterwegs. Atmo 17 Geräusche, Treppenstufen… Klein, aber fein, hehe. Autorin: Auf dem Weg zu den Toiletten öffnet sich in der Wand eine kleine schmale Nische, ausgelegt mit dickem türkisfarbenem Teppich. Höchstens zwei Menschen passen dort hinein. An der Wand hängen Kopftücher, Röcke und Gebetsketten zum Ausleihen. Atmo 18: Hier steht halt „im Namen Allahs.“ das ist echt praktisch, wenn man hier isst, und dann, ach, ich hab nur noch ne halbe Stunde bis zum nächsten Gebet. Da gibt‘s auch diesen Waschraum, kann man sich auch hier waschen. die Waschbecken sind niedriger. Weil man die Füße mit waschen muss. (Wasser laufen) hat man ja nie, so niedrige Waschbecken. Ne coole Sache……. Autorin: Ein Problem ist die Schule: In der Winterzeit fallen zwei der fünf Gebete genau in die Schulzeit. O-Ton 35 Lejla: Bei uns in der Schule ist es leider so: Es ist verboten zu beten. Eine, im Jahrgang über mir, sie ist in den Jahrgangsraum gegangen, der eigentlich immer leer ist, und dann hat ein Lehrer sie gesehen, wenn du das nochmal machst, fliegst du von der Schule. O-Ton 36 Lejla: ich hab mir jetzt vorgenommen, wenn die Winterzeit wieder ist, und ich zwei Gebete verpassen würde, dass ich das nicht mehr machen will, sondern ich hab mir schon so einen kleinen Plan ausgedacht (…) selbst wenn der Schulleiter mich sehen würde, er kann’s mir eigentlich nicht verbieten, ich sag dann auch immer, die einen gehen in die Raucherecke rauchen, die anderen knutschen rum. Autorin: Sie will heute Ferid Heider, den Jugendimam, um Rat fragen. Ihren Imam, der ihre Nöte kennt und ihre Fragen ernst nimmt. O-Ton 38 Lejla: Ich hab ihm mal was auf Facebook geschrieben, hat er mir nicht geantwortet. Er kriegt viele Nachrichten, auch auf Whatsapp, man ist nicht immer safe, dass er antwortet. Er ist ja nicht 24 Stunden für die Gemeinschaft zuständig. Autorin: Die Mädchen freuen sich wahnsinnig, dass er heute, an diesem Samstag Anfang September, endlich wieder zum Vortrag in ihre Mädchengruppe kommt. Alle sind aufgekratzt, nach den Ferien. Atmo 22: Moschee Mädchengruppe… O-Ton 39 Alina: Wir hatten seit drei, vier Wochen keinen Unterricht mehr bei Ferid, und es fehlt einem voll! Man kann auch Youtube gucken. Aber wenn man ihn so live sieht ist es viel schöner. Autorin: Endlich öffnet sich die Tür zu dem kleinen Kursraum. Voller Schwung betritt ein dreißigjähriger Mann mit schwarzem Vollbart, schwarzem Wuschelhaar und großen dunklen Augen den Raum und setzt sich vorne hinters Lehrerpult. Schlagartig ist es ruhig. Atmo 24/ Ferid Heider: Schritte, Türschließen. So. Stuhlrücken. Salam.. raham wau rahim… Autorin: Ferid Heider spricht über die große Pilgerfahrt, die er selbst am nächsten Tag antreten wird. Gerne streut er religiöse Floskeln in seine Rede ein. Atmo 25: Allahu akbar, alhamdulillah… Autorin: Die Mädchen lauschen fasziniert, beobachten, wie er gestikuliert, ihr Imam, und schließlich seinen Blick gen Himmel richtet. Der Pilger, schwärmt Heider, verzichtet auf alles Irdische. O-Ton 40 Ferid Heider: Er verzichtet darauf, sich zu parfümieren, sich die Fingernägel zu schneiden, seine Haare zu kämmen. Weil ich bei dieser Reise für Allah da bin, nicht für meinen Körper. Was ich bei der Pilgerfahrt erlebe ist nichts anderes als eine Generalprobe für den Jüngsten Tag. Autorin: Weil nicht jeder nach Saudi-Arabien fliegen kann, tröstet er die Mädchen: O-Ton 41 Ferid Heider: (Und ich als Nichtpilger kann es dem Pilger gleich tun. Indem ich ebenfalls verzichte.) „Wenn du noch ein bisschen Anstrengung zeigst und sagst, Oh Allah, ich möchte dir näher kommen, und bereit bist zu fasten, und deinen Körper unter Kontrolle zu halten, Geduld zu erlernen durch das Fasten, dann wird dir Allah, taalah, einfach so, zwei Jahre an Sünden vergeben.“ (18) Autorin: Das war ein eher kurzer Vortrag heute. Atmo 26: …Alle verabschieden sich. Stimmen werden leiser…. Autorin: Aber Ferid Heider nimmt sich Zeit, um mit Lejla und Alina über ihre Fragen zu sprechen. O-Ton 42 Lejla: …. das Mädchen, das einen Jahrgang über mir war, sie wurde erwischt beim Gebet und da wurde ihr der Rausschmiss gedroht. O-Ton 43 Ferid Heider: ..also ich finds erst mal ganz schlimm, wie sich das anhört, erwischt beim Gebet, das hört sich an, als wär ich erwischt worden beim Kiffen auf der Frauentoilette. Autorin: Ferid Heider wird wütend. Er blickt die Mädchen nicht an, er spricht laut, als ob er einen Vortrag für seine Youtube-Gemeinde halten wolle. O-Ton 44 Ferid Heider: Wenn da jemand Yoga-Übungen machen würde, für sich in der Ecke, hätte kein Mensch damit ein Problem. Man hat mit dem Islam ein Problem. Für viele ist man schon radikal, wenn man fünfmal am Tag betet. Autorin: Seine Meinung ist klar: O-Ton 45 Ferid Heider: Das Gebet ist die Grundlage unseres Glaubens. Darauf basiert unser Glaube. Das ist eine so wichtige Säule des Islam, dass ich darauf nicht verzichten kann. Das geht einfach nicht. Autorin: Ferid Heider weiß um seinen Einfluss auf die muslimische Jugend. Aber er lehnt es ab, dafür Verantwortung zu übernehmen. Er teilt den Mädchen seine Interpretation mit - sie können ihm folgen oder nicht. O-Ton 46 Ferid Heider: Ich würde mir niemals anmaßen zu sagen, ich bin der Islam, oder das was ich sage, ist bindend für jemanden, das wissen auch die Mädchen. Autorin: Aber natürlich glauben sie ihm. Und er rät Lejla, ihren Wunsch, fünf Mal täglich zu beten, nicht aufzugeben. O-Ton 47 Ferid Heider: Mal ganz ehrlich, ich würd‘s wahrscheinlich genauso machen. Ich geh in einen Flur in einen Stock, wo niemand sieht, und wenn man dann mal gesehen werden sollte und der Direktor sagt, hier dürft ihr auch nicht beten, na gut, dann bete ich eben außerhalb der Schule. Autorin: Ferid Heider verlässt den Raum so schnell wie er gekommen ist. Lejla ist bestärkt. Sie wird es so machen wie ER gesagt hat: sie will heimlich in der Schule beten. Solange bis es einen Gebetsraum gibt. ENDE 4 Muslimschwestern - Karin Gothe