KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : Literatur Titel der Sendung : Tanz zwischen den Messern. Erwerbsmodelle von Schriftstellern Autor : Hanno Depner RedakteurIn : Jörg Plath Sendetermin : 22.3.2011 Besetzung : Regie : O-Töne im V-Speicher; unterstrichen sind Kürzungsvorschläge Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 Sprecherin sowie 7 Sprecher fürs Overvoice Musik: Las Sombras. Tango Café, # 14 (CD an Autor zurückgeben) (Musik. Fade-in Café-Hintergrundgeräusche. O-Töne 1-3 werden aneinander geschnitten, mit Hintergrundgeräusch "Cheheltan_Hintergrund" einheitlich unterlegt, so dass der Eindruck eines Gesprächs entsteht.) O-Ton 1: Cheheltan/Sprecher 1 (voiceover) In nichteuropäischen Ländern ist das Leben im Allgemeinen schwerer (lacht) - für Schriftsteller, aber auch für alle anderen. O-Ton 2: Wainaina/Sprecher 2 (voiceover) Ich glaube, dass Schriftsteller überall auf seltsame Weise gleich arm sind. Dass man von Literatur gut leben kann ist ein Mythos, der fast überall falsch ist. Immerhin gibt es in einigen Ländern Stipendien, mit denen man sich über Wasser halten kann, aber reich wird man davon nicht. O-Ton 3: Nagarkar/Sprecher 3 (voiceover) Es ist möglich, wahnsinnig gute Sachen zu schreiben und wahnsinnig erfolgreich zu sein. García Márquez ist ein gutes Beispiel. Ich glaube, wenn Goethe heute leben würde, wäre er auch sehr erfolgreich. Okay, William Faulkner hat's nicht geschafft - erst nach seinem Tod war er erfolgreich. Und es gibt noch viele andere, die es nicht geschafft haben, sogar wenn sie sehr gut waren. Wir sollten nicht unterschätzen, welchen Anteil das Glück hat. Glück ist sehr wichtig. Die Leute wollen es nicht wahrhaben, aber es ist sehr, sehr wichtig. Fadeout Café-Geräusche Sprecherin Im Gespräch: Acht Schriftsteller aus der ganzen Welt. Sie reden über einen entscheidenden Aspekt ihrer Arbeit, der oft im Hintergrund steht und gerne dort stehen gelassen wird: Wie verdient man als Autor sein Geld? Es geben Auskunft: Amir Hassan Cheheltan aus dem Iran, Binyavanga Wainaina, der aus Kenia stammt und heute in den USA unterrichtet, der Australier Robert Gray, Gerhard Falkner aus Deutschland, der neuseeländische Staatsbürger und geborene Chinese Yang Lian, der Kolumbianer Luis Fayad, der in Deutschland lebt, der Ire Colum McCann mit Wohnsitz New York und Kiran Nagarkar. Ironisch fasst der indische Schriftsteller die Bilanz seiner literarischen Einkünfte zusammen. O-Ton 4: Nagarkar/Sprecher 3 (voiceover) Ich habe meinen ersten Roman in meiner Muttersprache Marathi verfasst. Die Kritik feierte ihn als Meilenstein. In 27 Jahren wurden 1000 Exemplare verkauft. Im ersten Jahr habe ich mit diesem Buch vermutlich eineinhalb Euro verdient, und von da an wurde es immer weniger. Mein Roman "Ravan und Eddie" bringt mir pro Jahr vielleicht 75 Euro (lacht) und mit "Krishnas Schatten" verdiene ich mit viel Glück sogar etwas mehr. Sprecherin: Kiran Nagarkar bestritt sein Einkommen als Universitätsdozent, Journalist, Drehbuchschreiber und in der Werbebranche. Der 68-Jährige verfasste Theaterstücke, Drehbücher und vor allem vier Romane, die ihm den Ruf eines herausragenden Vertreters der zeitgenössischen indischen Literatur einbrachten. Trotzdem kann er von seinen Werken allein nicht leben. Zurzeit ist er Visiting Scholar am New Yorker Ithaca College. O-Ton 5: Nagarkar/Sprecher 3 (voiceover) Wenn in Indien ein Buch fünf- oder sechstausend Mal verkauft wird, nennt man es schon einen Beststeller. Sie können sich also vorstellen, was für ein Witz das Literaturgeschäft ist. Es gibt trotzdem einige Schriftsteller, die sehr gut verdienen. Das müssen ungefähr zehn Schriftsteller sein. Wie schon gesagt, ich gehöre nicht zu ihnen. Bei den letzten Worten Fade-in Café-Geräusche "Cheheltan_Hintergrund". O-Ton 6: Wainaina/Sprecher 2 (voiceover) In Amerika gibt es die Entwicklung, dass einige Schriftsteller als Marken aufgebaut werden. Wir befinden uns in der Epoche des Branding; und deshalb nehmen immer weniger Schriftsteller immer mehr Platz ein, und die meisten Autoren verdienen gar nichts. O-Ton 7: Fayad/Sprecher 4 (voiceover) In Lateinamerika werden Autoren kaum bezahlt. In diesen Ländern gilt es bei vielen Buch- und Zeitungsverlagen schon als Bezahlung, wenn der Name des Autors in ihren Medien erscheint. Und wir Schriftsteller haben uns an den Gedanken gewöhnt, dass man uns bereits einen Gefallen tut, wenn man uns nur publiziert. O-Ton 8: Cheheltan/Sprecher 1 (voiceover) Oh ja, weil Schreiben als eine heilige Tätigkeit angesehen wird und der Schriftsteller keine finanzielle Belohnung von irgendjemandem erwarten sollte. Es ist eine spirituelle Tätigkeit. Diese Haltung entstammt einer sehr alten Tradition. ... Der Iran bewegt sich zwischen Tradition und Moderne. In meinem Land zeigt sich das sogar beim Thema Schreiben: Schreiben ist sowohl eine spirituelle als auch eine professionelle Tätigkeit. Fade-out Café-Geräusche Sprecherin: Schreiben als Beruf und Schreiben als spirituelle Tätigkeit: Nicht nur im Iran müssen Schriftsteller beides verbinden. Es ist ein Problem, mit dem alle Autoren gleichermaßen zu kämpfen haben. Literatur muss sich verkaufen, aber sie darf nicht käuflich sein. Literatur soll als Kunst nichts mit Geld zu tun haben. Wovon aber leben die Schriftsteller? Der Dichter Yang Lian vergleicht die notwendigen beruflichen und künstlerischen Kompromisse mit einem Tanz zwischen den Messern. Viele Schriftsteller arbeiten in einem Brotberuf und alimentieren ihre eigenen Werke. Andere sind auf Stipendien angewiesen. Einige versuchen, ihre Texte bewusst dem Markt anzupassen - eine Strategie, die von ihren Kollegen mit gemischten Gefühlen beobachtet wird. Schreiben ist ein seltsames Gewerbe und ein unmögliches Geschäft. Musik Sprecherin Je nach den Möglichkeiten ihrer Kultur betätigen sich Autoren am liebsten in Bereichen, in denen Bildung, Kreativität und die Fähigkeit zur Vermittlung gefragt sind. Schriftsteller, die zwischen Berufsleben und literarischem Schaffen eine scharfe Grenze ziehen, sind weniger häufig. Natürlich gibt es Ausnahmen: Autoren und Versicherungsangestellte wie Franz Kafka und Wallace Stevens oder praktizierende Ärzte wie Gottfried Benn und Alfred Döblin. Oder gelernte Elektroingenieure wie Amir Hassan Cheheltan aus dem Iran. Er hat inzwischen allerdings seinen Beruf gewechselt und arbeitet, wie viele Schriftsteller, als Journalist. O-Ton 9: Cheheltan/Sprecher 1 (voiceover) Ich habe am Anfang nicht daran gedacht, von Beruf Schriftsteller zu werden. Deswegen habe ich ein Universitätsstudium beendet und begonnen, als Ingenieur zu arbeiten. Aber nach einigen Jahren stellte ich fest, dass meine Hauptbeschäftigung das Schreiben ist. Als Ingenieur habe ich nur aus Notwendigkeit gearbeitet, um Geld zu verdienen, um zu überleben. Aber irgendwann stand für mich fest, dass ich bei der ersten Gelegenheit meine Arbeit als Ingenieur aufgeben und meine ganze Zeit dem Schreiben widmen würde. Sprecherin Amir Hassan Cheheltan verfasste seinen ersten Roman als Soldat während des Iran- Irak-Kriegs. Später arbeitete er am Teheraner Zentrum für Wissenschaft und Forschung. Nach einem zweijährigen Aufenthalt als Stipendiat des internationalen Schriftstellerparlaments in Italien lebt er inzwischen als freier Autor und Journalist wieder in seinem Heimatland. Er betrachtet Journalismus und Literatur als eng miteinander verwandt - und doch verschieden. O-Ton 10: Cheheltan/Sprecher 1 (voiceover) Auch Journalismus ist in gewisser Weise ein Teil des Schreibens, wenn man es als allgemeinen Begriff versteht. Aber es gibt für mich durchaus Unterschiede: Ich schreibe Romane, ich schreibe Kurzgeschichten, ich schreibe Drehbücher, ich schreibe Essays und Zeitungsartikel und manchmal auch Kritiken. Fade-in Café-Hintergrundgeräusch "Cheheltan_Hintergrund" O-Ton 11: McCann/Sprecher 5 (voiceover) Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen dem Schreiben von Gedichten und Theaterstücken und Journalismus und Literatur - es geht immer um die Kunst, eine gute Geschichte zu erzählen, die Wörter richtig zu setzen. Auch als Journalist habe ich immer versucht, die Geschichte auf die bestmögliche Weise weiterzuführen. Für mich sind alles verschiedene Formen, eine Geschichte zu erzählen. O-Ton 12: Fayad/Sprecher 4 (voiceover) Wenn ich schreibe, trenne ich den Journalismus ganz deutlich von der Literatur. ... Aber für mich hat der Journalismus trotzdem eine große Bedeutung - sowohl wirtschaftlich, weil er mich teilweise ernährt, als auch wegen der großen Befriedigung, die er mir gibt. Ich schreibe viele Artikel und Reportagen ohne Auftrag und schicke sie ein, auch wenn ich weiß, dass man sie nicht bezahlen wird. Aber das interessiert mich in dem Moment nicht. Weil ich das einfach schreiben will - es ist genauso wie bei literarischen Texten. Wenn mir eine Geschichte in den Kopf kommt, kann ich nicht anders, als sie aufzuschreiben. Und genauso geht es mir auch beim journalistischen Schreiben. Fade-out Café-Hintergrundgeräusch Sprecherin Auch Luis Fayad ist Schriftsteller und Journalist, war Buchhändler und Redakteur. Er stammt aus einer Familie libanesischer Einwanderer und wurde 1945 in der kolumbianischen Hauptstadt geboren. Seit 1974 lebt Fayad in Europa, seit einigen Jahren in Deutschland. Von hier berichtet er immer wieder für die spanischsprachige Presse. O-Ton 13: Fayad/Sprecher 4 (voiceover) Ich habe schon früh angefangen, als Journalist zu arbeiten und - in finanzieller Hinsicht - mehr vom Journalismus gelebt als von der Literatur. Die Literatur war für mich ein heikles Schicksal, eine Notwendigkeit. ... Als ich meine erste Erzählung veröffentlichte ... fühlte ich mich schon als Schriftsteller. Ich war vielleicht 19 Jahre alt und freute mich sehr, aber gleichzeitig war mir auch nicht ganz wohl. Mir war klar, dass ich weiter schreiben muss. ... Ich veröffentlichte mein erstes und später mein zweites Buch und mit der Zeit stellte sich immer deutlicher heraus, dass es in finanzieller Hinsicht sehr schwierig werden würde. ... O-Ton 14: Wainaina/Sprecher 2 (voiceover) Als ich anfing zu schreiben, hoffte ich, ich könnte für große Magazine schreiben und allen erzählen, wie die Welt sein soll, und dafür würde ich dann auch noch bezahlt. Das ist natürlich naiv, aber das war meine Vorstellung. Musik Sprecherin Binyavanga Wainaina wurde 1971 im kenianischen Nakuru geboren. Er gehört zu der jüngeren Generation von Schriftstellern, die mit den neuen Medien und einer globalen Perspektive aufgewachsen sind. Er schrieb für südafrikanische Zeitungen und lebt inzwischen teilweise in den USA, wo er in der Nähe von New York das Chinua Achebe Center leitet und Creative Writing unterrichtet. Wie viele Schriftsteller in englischsprachigen Ländern findet er an der Universität den ökonomischen Halt, den kontinentaleuropäischen Autoren durch ein Fördersystem aus Stipendien und Preisen erhalten können. Der Creative-Writing-Unterricht ist allerdings ein Thema, das von Schriftstellern äußerst kontrovers diskutiert wird - sogar von denen, die selbst als Schreiblehrer arbeiten. O-Ton 15: Wainaina/Sprecher 2 (voiceover) Ich bin nicht abergläubisch, was Creative-Writing-Seminare betrifft, und denke nicht: entweder steckt es irgendwie in dir oder nicht, lalalalala. Nein, es ist auch ein Handwerk. Schreiben ist mehr als die Summe seiner Teile, aber es ist auch ein Handwerk und kann gelehrt werden. O-Ton 16: McCann/Sprecher 5 (voiceover) Man muss von etwas leben. Ich weiß, dass viele Schriftsteller wegen der Sozialversicherung an der Universität arbeiten. ... Viele Schriftsteller unterrichten, damit ihre Familien diese Sicherheit haben. Sprecherin Der Bestsellerautor Colum McCann ist eine Ausnahme. Seine Bücher verkaufen sich recht gut, werden verfilmt und mit Preisen bedacht. Der Schriftsteller wurde 1965 in einem Vorort von Dublin geboren und lebt heute in New York. Er begann als Journalist. Heute schreibt McCann gelegentlich immer noch für Zeitungen. Zusätzlich unterrichtet er Creative Writing am Hunter College der City University in New York. O-Ton 17: McCann/Sprecher 5 (voiceover) Ich habe einen Kollegen, Peter Carey, und weder er noch ich sind darauf angewiesen zu unterrichten. Die Einkommen aus unseren Büchern sind groß genug, dass wir davon leben können und nicht als Dozenten arbeiten müssen. Unterrichten ist mir aber auch ein Bedürfnis, weil ... wir haben unsere eigenen kleinen Seminare und jede Menge Freiheit. Aber mir ist natürlich klar, dass nicht alle Romanschriftsteller von ihren Büchern leben können. Fade-in Café-Hintergrundgeräusch "Cheheltan_Hintergrund" O-Ton 18: Falkner Das Creative Writing an amerikanischen Universitäten ist sehr heterogen. Zum Beispiel machen das viele der berühmtesten amerikanischen Autoren, die eigentlich das Geld nicht nötig hätten, die durchaus von ihrer Literatur leben können, Literaturnobelpreisträger zum Beispiel. Die aber trotzdem an die Unis gehen wollen. Ich glaube, wenn man unabhängig von den Bezügen an eine Universität geht, dann ist die schädliche Wirkung von so etwas deutlich eingeschränkt, weil bei vielen Autoren ist es so, dass die den Umgang mit jungen Leuten, Studenten suchen. Ein Catch-up mit Entwicklungen, die für das Schreiben und die eigene Entwicklung wichtig sind. Anders ist es, wenn jeman einfach von der Universität leben muss und die Literatur dann nebenbei praktiziert. O-Ton 19: Gray/Sprecher 6 (voiceover) Es ist ein Teufelskreis: Der Dichter unterrichtet, und sein Student wird ein Dichter und unterrichtet wieder neue Studenten. Ich bin da sehr skeptisch. Ich denke auch, dass hier die große Schwachstelle der amerikanischen Kultur liegt. Die ist uninteressant und fade und manieriert geworden, und zwar - glaube ich - weil jeder Konsens-Gedichte schreibt, Gedichte, die den Teilnehmern von Creative-Writing- Seminaren gefallen. Wenn Emily Dickinson heute in einem Creative-Writing-Seminar erschiene, würde man ihr dort zuerst die Gedankenstriche austreiben - ihre eigentümliche Zeichensetzung, die sie in ihren Gedichten verwendet. Jemand, der wirklich gut schreibt, tut das in seinem oder ihrem Schlafzimmer und geht überhaupt nicht in eines dieser Seminare. Aber sie sind für Dichter eine Möglichkeit, ihren Unterhalt zu verdienen. Fade-out Café-Hintergrundgeräusch, Musik Sprecherin Die Kritik, die der preisgekrönte Lyriker Robert Gray äußert, betrifft nicht nur Kollegen. Er hat selbst gelegentlich Creative-Writing-Seminare geleitet. Geboren wurde er im australischen Port Macquaire. Zunächst arbeitete er als Journalist und schrieb darüber hinaus auch Gedichte. Später verdiente er als Einkäufer im Buchhandel seinen Lebensunterhalt und erschloss sich in diesem Beruf - seiner "privaten Universität", wie er sagt - die Weltliteratur. Einen anderen seiner Berufe beurteilt er viel negativer. Obwohl er als Werbetexter nicht schlecht verdiente und sogar Karriere hätte machen können, gab er diese Tätigkeit auf. O-Ton 20: Gray/Sprecher 6 (voiceover) Das Werbetexten habe ich gelassen, weil ich die ganze Zeit an Cornflakes gedacht habe. ... Unter der Dusche dachte ich an Cornflakes. Ich dachte an gebrauchte Autos beim Mittagessen, ich dachte ständig an Slogans. Ich habe damit aufgehört, um weiter Gedichte schreiben zu können. Bei mir kommt das Schreiben zuerst. Ich habe es ernster genommen als die Werbung und wollte nicht, dass es von ihr beeinflusst wird. O-Ton 21: Falkner Ich würde sagen, dass Dichtung eine enorme existentielle Dimension besitzen kann. So hab` ich Dichtung wahrgenommen, und das war der Grund, warum ich mich dazu entschlossen habe, auf diesem Gebiet zu arbeiten. Was ja mit riesigen Opfern verbunden gewesen ist, weil wenn man sich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten für die Literatur entscheidet und man entscheidet sich dann für eine schwierige Literatur, dann muss man so viele Dinge in Kauf nehmen, die schrecklich sind. Ich habe jahrzehntelang deutlich unter dem deutschen Existenzminimum nicht nur verdient, sondern auch gelebt. Musik Sprecherin Auch Gerhard Falkner ist Lyriker. Er hat die Erfahrung selbst gemacht, wie schlecht sich Gedichte verkaufen. Lyrik gilt nach wie vor als Königsdisziplin. Nur ist sie anscheinend so kostbar, dass sie gar nicht bezahlt werden kann und auch nicht bezahlt werden muss - zumindest im westlichen Kulturkreis. In anderen Erdteilen, vor allem in den arabischen Ländern und in Afrika, wird Lyrik auf intensive Weise gelebt und sogar gefeiert. Lyriker können eine Popularität erreichen wie bei uns nur Pop- und Rockstars. In Deutschland ebenso wie in Frankreich oder Amerika - so behauptete Hans Magnus Enzensberger - gebe es ganze 1354 Leser anspruchsvoller Lyrik. Diese so genannte Enzensbergersche Konstante glossiert eine für Dichter unerfreuliche Tatsache. O-Ton 22: Falkner Es gibt diese Enzensbergersche Konstante, die ist noch nach unten zu korrigieren mittlerweile. ... Es ist nicht nur für die Autoren und Dichter schwierig, sondern es ist auch für die Leute schwierig, die über Dichtung oder Lyrik schreiben, weil, die können fast genauso schlecht davon leben wie die Dichter selbst. Infolgedessen gibt es auch immer weniger Leute in der Kritik und in den Medien, die sich auskennen und die Maßstäbe und ein Urteil haben. Deswegen wird auch viel unerträglich mittelmäßiges Zeug gepusht, was dann nach zehn Jahren komplett vergessen wird. Was dann aber auch zur Folge hat, dass junge Leute verprellt werden, die die Bereitschaft haben, sich darauf einzulassen. Wenn die fünf, sechs schrecklich dümmliche Gedichtbände lesen, die veröffentlicht werden, dann sagen die, das entspricht nicht meiner intellektuellen Reflexionsfähigkeit und -willigkeit, das sagt mir nichts, das fasziniert mich nicht, warum soll ich mich damit beschäftigen? Sprecherin Gerhard Falkner scheut sich nicht, emotional Auskunft über Dichtung und Buchmarkt zu geben. Der 59-Jährige kann inzwischen auf zahlreiche Auszeichnungen zurückblicken. Seine Laufbahn als Dichter begann - wie bei vielen - ohne konkrete Vorstellung von Literatur als Erwerbsmodell, obwohl er als gelernter Buchhandelskaufmann den Markt der Bücher gut kannte. O-Ton 23: Falkner Mein erster Gedichtband war ein sensationeller Erfolg, hat man immer gesagt, der hat 3000 Exemplare innerhalb von wenigen Monaten verkauft und ist heiß diskutiert worden. Gleichzeitig habe ich im Buchhandel gearbeitet und mitbekommen, dass von Hans Hellmut Kirst die Romane 450.000 mal verkauft worden sind im ersten Jahr oder Harold Robbins in Millionenauflagen erschienen ist, und dann muss man sich Brücken bauen zwischen dem, was das eigene literarische Denken repräsentiert, und dem, was auf dem Buchmarkt, wenn man den damals schon so nennen wollte, passiert. Und diese Brücken sind ganz schwierige Konstruktionen, weil man fängt ja an, sich für etwas Besonderes zu halten, weil man einerseits bloß 3000 Exemplare verkauft und in der FAZ besprochen wird, während Leute, die fast eine Million verkaufen, nicht in der FAZ besprochen werden. Wie lässt sich dieses Problem lösen? Fade-in Café-Geräusch "Yang-Hintergrund" O-Ton 25: Fayad/Sprecher 4 (voiceover) Man spricht mit einigen Schriftstellern und sie sagen: Ich schreibe einen Roman mit diesem und diesem Thema, weil sich das in England gut verkauft und ich in England leben möchte. Das gibt es. Es ist eine andere Berufsauffassung, die eigentlich einem Schriftsteller nicht entspricht, wenn man sie zum Beispiel mit einem Lyriker vergleicht, der niemals so denkt. ... Aber die andere Berufsauffassung gibt es und vor allem, sie breitet sich aus. In China gibt es Schriftsteller, die daran denken, wie sich ihr Text leicht ins Englische übersetzen lässt, und welches Thema sie wählen, das nach der Übersetzung ins Englische in die anderen europäischen Sprachen übersetzt wird, und was Interesse weckt und so weiter, wie sie irgendwohin eingeladen werden und sich auf dem Markt etablieren können. O-Ton 27: Yang Lian/Sprecher 7 (voiceover) Es gibt viele Leute, die ihre Blicke ständig nach allen Seiten zu richten versuchen und denken: Wenn ich erst einmal veröffentlich habe oder übersetzt bin, werde ich auch international bekannt. Das ist schade, denn sie haben nicht verstanden, was das Wesen des Schreibens ist. ... In China sind die meisten Romanschriftsteller und ihre Romane heutzutage sehr kommerziell. Die Schriftsteller sind Spieler zwischen Politik und Markt. Leider sind sie zu gute Spieler. Wenn ich ihre Sachen lese, dann schockiert mich, wie wundervoll sie zwischen den Messern tanzen. Aber ihr Schreiben ist gestorben. ... Wenn du nur davon träumst, möglichst einfach deine Texte zu exportieren, dann kannst du nur mittelmäßige Texte schreiben, spießiges, unwichtiges, langweiliges, abgestandenes Zeug. Selbst wenn man das in tausend Sprachen übersetzt, ist es immer noch nichts wert. O-Ton 29: Wainaina/Sprecher 2 (voiceover) Mit den Jahren habe ich meine Haltung geändert. Jetzt interessiert es mich nicht mehr, einen Auftragstext zu schreiben, zum Beispiel für Magazine, die einem sagen: Wir brauchen dies, wir brauchen das. Stattdessen versuche ich, mein Geld von woanders her zu bekommen, und ich fühle mich freier, das zu schreiben, was ich will. O-Ton 30: Yang Lian/Sprecher 7 (voiceover) Ich muss sagen, dass ich im Grunde genommen keinen Auftragstext schreiben kann. Ich schreibe Texte nur, wenn ich selbst sie schreiben will. Ich schreibe nur Gedichte oder lyrische Prosa: Diese Form gibt meinem Geist Freiheit, so dass ich nicht irgendwelchen kommerziellen Erwägungen folge. Es muss jemanden geben, der diese klassische Art zu schreiben aufrecht erhält. (...) Verschiedene Male haben mich englische Zeitungen angesprochen: ob ich nicht ein Gedicht über Hongkong schreiben kann? (...) Ich sagte: Entschuldigung, solche Sachen schreibe ich nicht. Fade-out Café-Hintergrundgeräusch. Musik Sprecherin Yang Lian wurde 1955 als Kind einer chinesischen Diplomatenfamilie in Bern geboren. Er arbeitete als Programmgestalter und Redakteur beim staatlichen Rundfunk in China. Als Yang Berichte vom Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens erreichten, hielt er sich gerade in Neuseeland auf. Er kehrte nicht in sein Heimatland zurück. Stipendien führten ihn in verschiedene westliche Länder. Inzwischen lebt er in London. O-Ton 31: Yang Lian/Sprecher 7 (voiceover) Ich habe nur halb-professionell zu schreiben begonnen. Es war während der Kulturrevolution, und man hatte mich zur sogenannten Umerziehung durch Arbeit aufs Land verschickt. Tagsüber verrichtete ich also ausschließlich körperliche Arbeit. Die einzige Möglichkeit zu schreiben war, wenn alle anderen schliefen, mit meiner kleinen Lampe. ... Irgendwann wusste ich, dass - auch wenn ich nur so wenig Zeit zu schreiben hatte - es die wertvollste Zeit für mich war: Es war der Sinn meines Lebens. So entstand das Gefühl, warum ich schreiben wollte und vielleicht auch, wie ich schreiben sollte. Deswegen mag ich keine Auftragstexte schreiben, ich schreibe nicht für das Geld oder den Erfolg. Ich möchte beim Schreiben die Tiefen meines Lebens berühren, auch meine schwachen Seiten. Fade-in Café-Hintergrund "Yang_Hintergrund" O-Ton 37: Nagarkar/Sprecher 3 (voiceover) Ich bin ein Geschichtenerzähler. ... Wenn du eine gute Geschichte schreibst, gibt es sie vielleicht noch in 2500 Jahren. Das ist doch nicht schlecht, oder? Ich will nicht zu bescheiden klingen: Geld ist mir wichtig. Ich würde mit dem Schreiben gerne Geld verdienen. Dass ich keines verdiene, ist eben Pech. Aber bisher - wie es morgen ist, weiß ich nicht - wollte ich keine Kompromisse machen. Das kommt nicht infrage. Und sogar, wenn ich es wollte: Würde ich das eigentlich schaffen? Könnte ich einen unglaublichen Bestseller schreiben, mit dem ich verdiene, was die Autorin von "Harry Potter" verdient hat? Ich bezweifle das. Es ist nicht einfach, sogar wenn viele Leute das glauben. Aber ich möchte es auch nicht. Das ist eigentlich alles. Fade-out Café und Musik 17