DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Tel. (0221) 345 1503 Bürger gegen Bürger. Die Braunkohle spaltet die Lausitz von Manuel Waltz Produktion: 11. 8. 12.10 Uhr, 8/1 Sprecher: Andreas Potulski Sendung: 15.8. 2014 URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.  DeutschlandRadio [Atmo Zug läuft in den Bahnhof ein, die Türen öffnen sich, es piepst] [Autor] Ich lebe auf Braunkohle, wie alle anderen Menschen in und um Leipzig. In der DDR existierten tatsächlich Pläne, große Teile der Stadt abzubaggern. Ohne die Wende ´89 hätte Leipzig vielleicht nicht überlebt. Heute fühlt man sich hier sicher vor den Baggern. Anders in der Lausitz: Dort ist die Braunkohle immer noch der wichtigste Wirtschaftsfaktor, neue Tagebaue werden geplant und genehmigt, viele Existenzen hängen am Bergbau und den Kraftwerken. Immer noch werden riesige Flächen der Kohle geopfert, tausende Menschen umgesiedelt. Ich möchte wissen, was diese Perspektive aus einer Region macht und fahre nach Schleife, einer kleinen Gemeinde kurz vor der polnischen Grenze. Am Bahnhof treffe ich Adrian Rinnert. Mit dem von ihm gegründeten Bündnis „Strukturwandel jetzt – kein Nochten II“ ist er zum Gesicht des Widerstands gegen die Braunkohle geworden. 01 O-Ton Auf dem Bahnhof Hallo, na geht es gut? [Rinnert] Jo. Gutes Wetter [Über die Atmo im O-Ton Ansage] Bürger gegen Bürger. Die Braunkohle spaltet die Lausitz Ein Dossier von Manuel Waltz [Autor] Adrian Rinnert packt mich in seinen alten Opel Zafira. Er ist fast einen Kopf größer als ich, trägt einen kurzen, etwas zotteligen Bart. Begrüßt hat er mich mit einem festen Händedruck. Adrian Rinnert ist Ende 20. Das Studium der Tiermedizin hat er abgebrochen, um zusammen mit seiner Freundin eine alte, verfallene Mühle zu kaufen, die sie gemeinsam renovieren. Auf dem dazugehörigen Grundstück bauen sie Gemüse an. Obwohl direkt daneben ein idyllisches Flüsschen fließt, die Struga, haben sie immer Probleme, genügend Wasser für ihre Pflanzen zu bekommen. 02 O-Ton [Autor] Sag mal, ich würde dich bitten, mal zu erzählen, worum es hier überhaupt geht. [Rinnert lacht] Gute Frage, worum geht es? Das ist philosophisch, wa? Ja, worum geht es, ja wir befinden uns jetzt im Bereich Tagebau Nochten II. Und dieser Bereich soll halt für Tagebauzwecke geopfert werden. [Autor] Das heißt, alles was wir hier sehen, kommt weg? [Rinnert] Alles was wir hier sehen kommt weg. Also alle Dörfer. Wir sind jetzt vom Bahnhof losgefahren, das ist quasi der Süden von Schleife, da ist schon alles weg, was quasi südlich ist. Und jetzt befinden wir uns quasi im Loch. Und fahren jetzt durch .... ja, was später Kippe und Restsee ist. Und genau darum geht es. Aber es geht nicht nur um dieses Gebiet hier, sondern es geht halt um das Gebiet auch außen rum. [Autor] Wo das Grundwasser abgesenkt wird und die Erde sozusagen Luft bekommt. [Rinnert] Genau, und dass halt dann nachher dieses Problem hat, mit diesen chemischen Reaktionen die im Boden stattfinden, das Pyrit, das dann aufgespalten wird zu Eisen und Schwefel. Und was dann über diese Jahrzehnte bis Jahrhunderte unser Grundwasser verseuchen wird, das Trinkwasser untauglich machen wird, und das ist ein viel, viel größeres Gebiet. Ich erkläre das meist so, dass ich sage, man setzt sich in eine Badewanne und versucht mal mit ´nem Eierlöffel in der Mitte ein kleines Loch in das Badewasser zu schippen. Das geht nicht. Also entweder senkt man alles ab, oder.... So, und so ist das auch mit ´nem Tagebau. Man kann nicht punktuell den Tagebau absenken und dann da drin buddeln. Man muss die ganze Region das Wasser hier absenken, um dann den Tagebau.... Deswegen muss man ja so lange pumpen. Man pumpt ja allein fünf Jahre mit Hochleistungspumpen vorher, damit dieses ganze Gebiet trocken gelegt ist im Grunde genommen. Also die ganzen Brunnen hier, von diesen ganzen alten Gehöften, die sind alle trocken. Die Grundwasserabsenkung hier unter diesen Höfen ist über 60 Meter... [Autor] Über 60 Meter? [Rinnert] Ja, da ist nichts mehr da. Die Bäume vertrocknen, wenn die die nicht gießen würden. Die müssen jeden Tag jetzt hier bei dem Wetter müssen die hier wie die bekloppten gießen. Deswegen gibt es ja teilweise mit den Trinkwasseranbietern also mit den Wasserversorgern Verträge, dass die paar Kubikmeter Wasser gratis kriegen im Jahr. Damit die überhaupt ihre Gärten noch am Leben halten können. Viele schaffen es einfach nicht, weil sie werktätig sind, diese Gärten am Leben zu halten, weil sie nicht die Zeit haben zu gießen und dann vertrocknet das. [Autor] Und das alles hier wird abgebaggert? [Rinnert] Das wird abgebaggert, genau, und das... [Autor] Und wie viele Menschen sind das? [Rinnert] Das sind 1700 ungefähr. Die Zahl wurde jetzt hoch korrigiert. Vorher wurde ja von Vattenfall-Seite behauptet, 1500 jetzt sind es 1700, genau. Also derzeitig sind es 1700. (Atmo ganz leise ziehen, aber nicht völlig weg) [Autor] Am 5. März und am 3. Juni 2014 wurden zwei neue Gruben von den Regierungen in Sachsen und Brandenburg durchgewinkt. Auf der sächsischen Seite der Lausitz ist das die Erweiterung des Tagebaus Nochten, auf dessen Gebiet mich Rinnert gerade herumfährt. Hinzu kommt die Erweiterung des Tagebaus Welzow Süd in Brandenburg, dem noch einmal rund 800 Menschen weichen müssen. Viele in der Lausitz wehren sich wie Rinnert gegen diese neuen Riesenlöcher, sie sehen in Zeiten der Energiewende keine Notwendigkeit, weiter Menschen umzusiedeln und die Natur noch weiter zu zerstören, um an einen Energieträger zu gelangen, der wie kein anderer das Klima schädigt. Auf der anderen Seite kämpfen vor allem die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, kurz IGBCE und der Verein Pro Lausitzer Braunkohle gemeinsam mit dem Energiekonzern Vattenfall für die neuen Tagebaue. In ihren Augen bildet die Braunkohle das wirtschaftliche Rückgrat dieser Region, ohne die gut bezahlten Jobs und Ausbildungsplätze bei Vattenfall und seinen Zulieferern fürchten sie den ökonomischen Kollaps. [Atmo: aus dem Auto heraus hört man einen Zug vorbei fahren] Vor uns haben sich die Schranken an einem Bahnübergang geschlossen. Wir müssen einen Güterzug durchlassen. 03 O-Ton Was ist das jetzt, Braunkohle? [Rinnert] Rohbraunkohle, genau. Die kommt jetzt direktemang aus dem Tagebau Nochten [Autor] Aus dem Tagebau? [Rinnert] Nochten! [Autor] Und geht jetzt wohin? [Rinnert] Schwarze Pumpe, Kraftwerk Schwarze Pumpe bei Spremberg. Und dann gibt es noch das Kraftwerk Boxberg, das ist dort hinten. Genau, aber dann gibt es solche von Vattenfall finanzierte Vereine, wie Pro Lausitzer Braunkohle, die ja hier mit extrem hohen Finanzmitteln agieren können. Die provozieren diesen Streit. Also da gibt es diese, diese Sache, die ich bis jetzt noch nicht verstehe. Also die ziehen mit einem großen Radiergummi durch die Gegend, der geformt ist wie ein Kohle-Block, auf dem drauf steht: Wir lassen die Lausitz nicht ausradieren. Man muss sich das mal vorstellen, ich glaube ungefähr 28 000 Menschen wurden in der Vergangenheit hier in der Region umgesiedelt über 130 Dörfer wurden zerstört, und jetzt kommen die Lobbyisten, die dieser Industrie quasi unterstehen, die hinter dieser Industrie stehen und sagen: Wir lassen die Lausitz nicht ausradieren, wir lassen nicht verhindern, dass noch weitere Dörfer zerstört werden, so. Das ist zynisch. Und das führt natürlich zu einer Frontenbildung. [Ein Lastwagen überholt uns und hupt sehr laut, den Rest meiner Frage versteht man nicht mehr] [Rinnert] Das war übrigens jetzt ein Vattenfall-Laster, ne. Ähm. [lachen] Ich habe hinten den Aufkleber drauf: „Strukturwandel jetzt, kein Nochten II“. Ja, es gibt immer Bekloppte. Aber ich kenne auch Leute, die da arbeiten, die sind in Ordnung, die würden so was nie machen. [Autor] Wenn Adrian Rinnert das Gesicht der Braunkohlegegner ist, so ist Wolfgang Rupieper das Gesicht der Befürworter. Der pensionierte Richter stammt aus Bochum. Nach der Wende kam er aus dem Ruhrgebiet in die Lausitz, um das hiesige Justizsystem zu reformieren. Heute kämpft er mit seinem Verein „Pro Lausitzer Braunkohle“ für die neuen Tagebaue, für die Kraftwerke. Er hat sein Büro im Haus der Wirtschaft in Cottbus, eine ruhige Gegend nahe der Spree. 04 O-Ton [Rupieper vor dem Bürogebäude, leichtes Vogelzwitschern] Grundsätzlich sind wir ja alle Umweltschützer. Ich bin ja auch nicht gegen die Umwelt. Ich möchte ja auch, dass die Umwelt... und ich habe meine Kinder auch so erzogen, dass sie vernünftig mit der Umwelt, mit den Ressourcen, dass sie mit Tieren und mit der Natur insgesamt vernünftig umgehen. Das ist meine ich von vernünftigen Mitteleuropäern eine Selbstverständlichkeit. Aber ich kann den totalen Umweltschutz kann ich einfach nicht praktizieren. Ich muss da auch in eine Abwägung reinkommen und jeder Bau, jeder Straßenbau ist ein Eingriff in die Umwelt, jeder Hausbau ist ein Eingriff in die Umwelt. Und da sind natürlich Auflagen auch richtig, stehe ich auch vollkommen dahinter. Aber Sie haben natürlich immer da ein Grenze. Einmal das Machbare, und machbar heißt natürlich auch, es muss bezahlbar bleiben. Und in so fern sind wir ja nicht gegen den Schutz der Umwelt, sondern wir sind ja auch mit den klimapolitischen Zielsetzungen vollkommen einverstanden. Ich möchte auch, dass die eher morgen als übermorgen realisiert werden. Aber wir wollen die Diskussion versachlichen. Wir wollen mit Greenpeace, wir wollen mit allen anderen vernünftig darüber reden, wie wir möglichst umweltfreundlich hier Kohle abbauen oder andere Industrie ansiedeln aber dass der Wohlstand insgesamt erhalten bleibt aber wir die Eingriffe in die Natur und die Belästigung auch der Menschen so gering wie möglich halten. Da würden wir gerne mit diesen Institutionen zusammenarbeiten. Da sind wir ja auch gar nicht unterschiedlich von unserer Zielsetzung. Es geht lediglich darum: Ist es zu verwirklichen oder nicht. Das ist unsere einzige Divergenz und dadurch ist es auch so, dass da von der anderen Seite gesagt wird: Ausstieg spätestens 2030 und wir, das lehnen wir aber ab, weil wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht genau sagen können, wann alles so weit ist mit den erneuerbaren Energien, mit den ganzen Techniken, dass wir tatsächlich sagen können: Heute schon 2030, dann brauchen wir die Braunkohle nicht mehr. [Atmowechsel ,wieder im Auto ) 05 O-Ton [Rinnert] Das ist Mulkwitz. Und Mulkwitz wird vollständig abgebaggert. Also hier da, wenn man jetzt nach links guckt, da sieht man diese Waldkante, da hinten, also nach hinten, hier sieht man die vordere und dann gibt es auch noch die vordere und ein paar Kilometer hinter dieser Waldkante endet dieser neue Tagebau. Da hinter der Waldkante, ein paar Kilometer ist er im Augenblick und ein paar Kilometer in die Richtung wird er dann sein. Und da bis zum Bahnhof und quasi am Betonwerk vorbei gefahren sind, das ist der ungefähre Raum dieses Tagebaus. Das hier ist im Grunde genommen ein Bild der Vergangenheit. [Autor, auf vorigen O-Ton] Adrian fährt mit mir durch alte Wälder, dann wieder über offene Flächen, auf denen vereinzelt Höfe stehen, fast alle aus gelbem oder rotem Klinker. Die meisten von ihnen sind in den vergangenen Jahren renoviert worden. Auf den Dächern glänzen neue Ziegel, auch die Scheunen wurden wieder hergerichtet. 06 O-Ton Und diese Höfe hier, das sind sorbische Höfe? [Rinnert] Das sind sorbische Höfe. Man hat im sorbischen Siedlungsgebiet halt vor allem diese... man hat so eine Art Dorfkern und dann verteilt Höfe im Außenbereich. Wir fahren jetzt auch gleich auf so einen, hier vom Ingo Schuster. Und diese neuen Siedlungen, die werden zusammen kompakt gepackt, ne, da hat man diese, man kennt das aus Vorstädten halt, diese, ich sage mal, Papphäuser. Die bestehen halt aus Leichtbeton und sonstwie. Man baut ja nicht mehr, man baut ja keine Klinkergebäude mehr. Das macht man nicht mehr. Damit hat man dann das Bäuerische oder sorbische, Sorben sind ja ein Bauernvolk, endgültig getötet. [Autor] Und was macht das sorbische? Es heißt ja immer, das sorbische wird verloren gehen. Irgendwie, wenn das hier abgebaggert wird. [Rinnert] Die Bauernkultur. Meiner Meinung nach ist es das letzte, das letzte Fünkchen Bauernkultur in diesem Landstrich, was man noch hat. Das wird man töten. Man wird hier, man frönt dem Konsumenten. Das wird hier... Was man schafft: endgültig abhängige Menschen von Supermärkten und sonst was. Die Möglichkeit einer Selbstversorgung, die Möglichkeit einer eigenen Kultur, die nicht Abhängig ist von Pro7 und Sat1, die wird es dann nicht mehr geben, alles wird den Gott des Fernsehers anbeten. Was ja einigen gar nicht mal so unlieb ist. [Wagen hält an, wir steigen aus, laufen zum Hof] [Autor] Ja, es sieht jetzt nicht so aus, als ob man sich drauf einstellt, bald umzuziehen. Alles ist noch... [Rinnert] Ne, das ist das schöne. Das sind halt die Menschen, die Mut geben, halt auch anderen, diejenigen, die halt Angst davor haben, dass es kommt. Die können dann zu Ingo gehen, da läuft der Ball noch. Das ist keine Verzweiflung, die man hier hat. [Tor schlägt zu] [Schuster] Hallo, Schuster. [Autor] Du stehst hier mit deinem Hof auf Gebiet, das abgebaggert werden soll? [Schuster] Das ist richtig, ja. Ich selber lebe jetzt nicht von dem Hof, das ist, das würde nicht funktionieren. Ich arbeite als Kraftfahrzeugmeister in einem Autohaus, meine Frau ist in der Altenpflege tätig. Ja und da verdienen wir unsere Brötchen und das hier ist unser Hobby, unser Leben. Wir haben ja mit... den habe ich ja erst 2001 gekauft, den Hof, hier bin ich je nicht groß geworden. Mein Elternhaus ist ja auf der anderen Seite der Struga, auf der anderen Seite des Dorfes, das praktisch dem jetzt schon genehmigten Bergbauplan unterliegt, dem 94er, und die müssen sich jetzt arg mit dem Gedanken beschäftigen jetzt weg zu müssen. Das hatten wir auch nach der Wende alles neu und umgebaut und alles wunderschön gemacht. Ja, und meine Eltern sind jetzt eigentlich in einem Alter, wo sie es eigentlich genießen könnten. Und letztendlich müssen sie jetzt die Koffer packen. [Autor] Und wohin ziehen die dann? [Schuster] Ja, das wird sich dann zeigen, auch nicht hier aber in die nächste, in den brandenburgischen Bereich, denke ich mal. [Autor] Und wie sieht so dein Kampf für deinen Hof und gegen die Braunkohle aus? [Schuster] Tja, was ich damals schon gesagt habe, dass man die Braunkohleplan beklagen muss. Und den Weg möchte ich gehen und werde ich gehen. Es wird genug Gegenwind kommen. Muss ich mal so sagen. Es sind ja viele, die ihre Vorteile sehen in der Umsiedlung. Man hat sage ich mal ein altes Haus stehen, jahrelang nichts gemacht und plötzlich hat man dann ein neues da stehen. Ist dann für viele sehr leicht dann auch die Sache zu übergeben. Aber wenn man viel Zeit und Geld reingesteckt hat hier. Ja, vor allem Zeit, die der Familie auch gefehlt hat, muss ich sagen, weil wir haben ja wirklich seit 2001 hier gearbeitet hier in dem Hof und das möchte man dann auch nicht so gerne aus der Hand geben, das muss man auch verstehen. Weil, das ist ja fast wie ein Lebenswerk, was man da aufbaut, für die Kinder, und dann wird einem das genommen. Das ist schon krass. Dass man nicht mal auf dem Umsiedelungsstandort Außenbereiche schafft, wo man diese sorbische Siedlungsstruktur wieder so aufbaut, wie sie eigentlich mal an dem Altstandort vorhanden war. Und es ist... es ist Beschämend, sage ich mal, dass es Möglichkeiten gibt, den Denkmalschutz zu entwidmen, und Naturschutzgebiete zu entwidmen, aber Ausnahmegenehmigungen für einen Umsiedlungsprozess werden da nicht gemacht. Also zum Wohle der Allgemeinheit muss man halt herhalten, ne. Es ist schon echt krass. [Autor] Das heißt du willst einfach auch so leben, wie hier jetzt das so, dass du da drüben eben kein Haus siehst. [Schuster] Ja und ich meine die Nachbarn, das ist ja. Ich habe drei Nachbarn aber wir haben so fuffzig Meter Luftlinie versetzt und das ist sehr angenehm, keine berührt sich so und man ist trotzdem gut befreundet ,aber das ist eine ganz andere Lebensqualität, als wenn man jetzt das Fenster aufmacht und beim Nachbarn auf die Terrasse gucken kann und gucken kann, was er denn auf dem Frühstücksbrötchen hat und [lacht] Und ja, das ist schön. Man hat den Acker gleich sage ich mal am Grundstück mit dran, vorne die Wiese, hinten noch ein Acker raus und man kann das alles mit nutzen. So was kriegt man heutzutage nicht mehr, ne. Es wird auch immer weniger. [ich] Und wie ist dein Umgang mit Vattenfall und den Befürwortern? [Schuster] Was soll ich denen, muss ich akzeptieren, ist so. Ist natürlich schade, wenn das jetzt so weit kommt, wenn dieser Umsiedelungsprozess jetze von statten geht, und einige Höfe jetzt immer, also sage ich mal, es zerfällt langsam hier das Dorf. Es ist dann jeder vierte Hof jetzt irgendwann dann weg und jeder dritte, jeder zwote und dann hat man noch einige Häuser hier stehen, die dann wirklich an der Scholle hängen und auch abwarten, so wie ich das mache und auch auf die Energiewende hoffen, dass das, dass dieser Wahnsinn nie kommt, dass man hier weg muss. Und, ja und dann ist dieser Umsiedelungsprozess, der extern, sämtlicher naja, Realität eigentlich gemacht wird. Es wird überhaupt nicht betrachtet, wie weit sich die technische Entwicklung, was alternative Energien betrifft oder wie weit die Kohle noch genutzt wird, das wird alles außer Acht gelassen. Es wird umgesiedelt und selbst wenn 2025 die Kohle nicht mehr gebraucht wird, dann ist das Land halt, ja, entsiedelt, entwidmet. Und noch krasser ist es noch, sage ich mal, wenn man noch auf dem neuen Umsiedelungsstandort wohnt, dass man sich dieses entwidmete Land wieder angucken kann, den Kindern sagen kann, ja. Wo man mal gewohnt hat [fängt an zu weinen] Ja. Ne. Muss ich mal so sagen. Das ist unfassbar. [Autor] Aber wie kann es da eine Lösung geben, die einen hängen an ihrem Arbeitsplatz, die anderen hängen an ihren Höfen. [Schuster] Ich sehe es ja auch ein, dass die um ihre Arbeitsplätze hier kämpfen. Und alles drum und dran. Aber es ist ja so. Ich sage es mal so, es ist einfach mal unmenschlich, dass man sein Hab und Gut und sein Grundstück aufgeben muss, nur dass der andere seinen Arbeitsplatz behält. Für mich ist das echt krass. Ich weiß nicht, ob er das umgedreht machen würde. Ne. Das sollten sie sich alle mal fragen. Und was mich dann immer ärgert, dass sie dann gegen die Leute argumentieren und noch am besten noch die Hand und die Faust heben: Ah, was bist du nur für ein Schlimmer, was du hier machst. Und, und eigentlich existent ist ihr Arbeitsplatz eigentlich nur sage ich mal durch uns, weil wir hier weggehen und unsere Scholle abgeben müssen. Und nüschd anderes. Normalerweise müssten die sich, müssten die jeden Tag sich, sage ich, sich verneigen vor uns. Warum? Dass wir jahrelang, jahrelang muss ich sagen, hier diese ganzen Dörfer aufgegeben haben. Das ging von Schellen los, Teile Nochten et cetera, ne. Mühlrose. Wie viele Sorben hier ihr Hab und Gut aufgeben mussten. [Atmo wechsel. In einem Jeep fahre ich mit Thomas Buckerts durch einen Tagebau] 07 O-Ton Also ich gehe mal davon aus, also ich kann jetzt nur von mir sprechen, aber von den meisten Kollegen, die sind schon stolz darauf, dass sie Bergleute sind und ihre Arbeit unter allen Bedingungen erledigen und das auch machen. Und diesen Stolz den gibt es schon, ja, das ist so. [Autor] Dieses Glück Auf, ist, bedeutet auch was. [Buckerts] Ja, so begrüßt man sich, wenn man in den Tagebau einfährt, dann sagt man Glück auf, das ist dann auch historisch gewachsen. Ja, das ist so. [Autor] Etwa 40 Kilometer nördlich von Ingo Schusters Hof bin ich in ein anders Auto gestiegen: Thomas Buckerts kurvt mich mit einem Jeep durch den Tagebau Jänschwalde, einen der fünf aktiven Tagebaue in der Lausitz. Thomas Buckerts ist Ingenieur bei Vattenfall. Eine asphaltierte Straße umkreist die riesige Grube, vorbei an Sandbergen, tiefen Gräben und Löchern, in denen Förderbänder Erde und Kohle transportieren. Immer wieder kommen uns große LKW entgegen, denen wir ausweichen müssen. In den Tagebauen arbeiten etwa fünfeinhalb Tausend Menschen, nochmal zweieinhalb Tausend in den Kraftwerken [Autor] Ich nehme mal an, dass Sie eher auf der Pro-Braunkohle-Seite stehen, was würden Sie den Umweltschützern sagen? [Buckerts] Ich würde denen nichts sagen, ich würde denen eine Frage stellen. Die sollen mir plausibel klar machen, also plausibel und nicht einfach nur so dahin sagen, das geht mit regenerativen Energien. Regenerative Energien, ja. Wind Sonne... Wir wissen, nachts scheint die Sonne nicht, klar. Wind weht auch immer nicht in den Mengen, wie es gebraucht wird. Wie wollen die das absichern. Ist ja nu... jetzt nach der Wende, - oh, jetzt haben wir einen schönen Blick auf unsere Windräder, die da stehen, - war ich auch so. Oh, mein Gott, die nehmen mir die Arbeit weg, oder was. Ne, ne, ich sehe das in der Zwischenzeit ganz anders. Jede Kilowattstunde, die die da einspeisen, reicht meine Kohle länger. Meine Kohle in Anführungsstrichen. Meine Kohle in Anführungsstrichen, ist klar... [Autor] Thomas Buckerts hält mit seinem Jeep am Straßenrand. Nachdem wir ausgestiegen sind, führt er mich direkt an die Abbaukante. Vor uns öffnet sich der riesige Graben, in dem die Kohle abgebaut wird. [Atmo steigen aus dem Auto, Türen schlagen zu] Buckerts Ja und jetzt können wir mal schön gucken hier. Wir sehen auch die F60 kommt uns auch gerade hier entgegen, die ist jetzt gerade im vorderen Bereich. [ich] Was ist die F60 denn? [Buckerts] Die F60 ist die größte bewegliche Maschine der Welt. Das ist eine Abraumförderbrücke. Die bewegt praktisch den Abraum. Wir sehen gerade, wie hier der eine Bagger schön im Hochschnitt arbeitet. Die F60 kann Deckgebirge abtragen über dem Kohleflöz zirka 60 Meter, deshalb heißt sie so. Und alles, was drüber ist muss ja vorher so weit runter ich sage mal geraspelt oder gefördert werden, dass dann die F60 in der Lage ist, den Rest zu machen. Und dieses, was da drüber ist, das ist der Vorschnitt. Ist jetzt schlecht zu erkennen. Also der Vorschnitt bringt den Abraum so weit runter, dass die F60 das dann schafft bis auf das Hangende, das Hangende ist die obere Schicht vom Kohleflöz, das Deckgebirge so weit abträgt, dass das Hangende frei gelegt wird, um dann an die Kohle zu kommen. Und dann wird dieser Abraum, den der Vorschnitt macht, einmal praktisch komplett um den ganzen Tagebau rum, das ist dann das, kommt dann da hinten an, was wir gesehen haben, als wir reingefahren sind. Und wird dort verkippt und dann, ja gestaltet und mit Raupen planiert und was weiß ich und wenn es erforderlich ist, wird auch der Boden noch aufgebessert. Dafür gibt es dann extra Bereiche Rekultivierung, die sich dann um diese Bodengestaltung. Und man sieht auch hier, selbst wenn es heute nicht ganz staubig ist, aber es wird schon mit Wasserwerfern gearbeitet in der Grube, wenn es dann in den nächsten Tagen wieder sehr heiß wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass es auch dann staubig wird. Und dann wird das schon benetzt. Ja, damit die Staubemissionen minimiert werden. So weit wie es denn irgend geht. Ja und dann sehen wir, wie die F60 schön arbeitet. Und das Gerät, das da unten steht, fördert praktisch die Kohle, die fällt auf dieses Bandund dann wird das in die Kohleverladung gefördert und da stehen dann Züge drunter und da fällt die Kohle dann rein und von der Kohleverladung zum Kraftwerk. [Autor] ...zum Kraftwerk. Und das heißt diese F60, die fördert selbst gar keine Kohle, die macht nur die... [Buckerts] ...die macht nur den Abraum. jetzt hier im Tagebau Jänschwalde haben wir praktisch drei Hochschnittgeräte. Hochschnittgeräte sind Schaufelradbagger und zwei Tiefschnittgeräte, das sind dann wieder Eimerkettenbagger, die sind selbstfahrend auf Raupenfahrwerken. Wobei die F60 auf Schienen fährt. Ich sage es mal um es einfach zu machen. Wir baggern hier im vorderen Bereich das aus, wenn das fertig ist fährt dann das Ganze nach hinten, dann wird hinten gebaggert, und hier vorne werden die Schienen gerückt, also weiter gelegt und so ist das immer ein Spiel hin und her, sodass immer wenn ausgebaggert ist, gerückt wird, dann bewegt man sich im anderen Teil des Tagebaus. Und werden dann die Schienen wieder... und dann geht das immer peu a peu hin und her. [Autor] Und wie tief ist das jetzt hier. Also wie tief geht die Kohle jetzt runter? [Buckerts] Also die Grubenarbeitsebene ist glaube ich... so zwischen 60 und 100 Meter. Ist dann schon so die Tiefe von so einem Loch. [Autor] Das ist schon mächtig. Ja. Und wie weit geht das jetzt noch weiter hier? Das geht ja da um die Ecke oder? [Buckerts] Ja, das täuscht jetzt. Da ist ein kleiner Bogen drin, das ist korrekt, aber die Straße, das sehen wir nachher, wir fahren ja einmal lang ist so zirka vier Kilometer. Also der Graben, der von der Brücke gemacht wird ist so zirka 650, 700 Meter breit, das. Wenn wir mal das vom Vorschnitt weglassen, die müssen ja ein Stückchen Vorlauf haben, dass wir uns nicht ins Gehege kommen, aber das variiert dann auch, je nachdem, wie wir jetzt an Ortschaften vorbei kommen. Hier auf diesem Bild kann man das schön sehen. [Tagebau-Atmo endet… Atmo Burchardt Neu-Horno] 09 O-Ton [Burchardt im Archiv der verschwundenen Dörfer] Horno ist das letzte Dorf. Das war vom Ministerpräsidenten gesagt gewesen. Nun hat sich die SPD nicht dran gehalten. Seit 2007 planen sie sieben neue Tagebaue in der Region oder sehen die Möglichkeit, dann haben die Linken sich ein Ei gelegt, haben noch beim Volksbegehren mitgemacht 2008, oder 7/8: „Keine neuen Tagebaue“. Und jetzt haben sie einen neuen Tagebau genehmigt, sodass hier die Leute ganz schön rat- und hilflos sind. Weil wir, bis jetzt kann man sagen, die Kohle gewinnt immer. Sie nimmt nicht Rücksicht auf verfassungsgeschütztes Siedlungsgebiet, auf gar nichts, nicht Rücksicht auf Wasser, auf Natur auf gar nichts. [Autor] Thomas Burchardt ist Vertreter der Domowina, des Verbandes der Sorben in der Lausitz .Mehrfach hat sich die Domowina gegen jeden neuen Tagebau ausgesprochen. Ich treffe Thomas Burchardt in Neu-Horno. Hierher, in diesen neugebauten Vorort von Forst wurden die Bewohner von Horno umgesiedelt, ehe das alte Dorf 2004 dem Tagebau Jänschwalde weichen musste. Fast 14 Jahre lang hatten sich die Menschen in Horno mit aller Kraft und geschlossen dagegen gewehrt. Weil eine Umsiedlung unter diesen Voraussetzungen gar nicht möglich gewesen wäre, musste die brandenburgische Landesregierung eigens eine Lex Horno schaffen. 09f O-Ton [Burchardt] Der Bagger, der zieht durch. Man konnte bis jetzt Atomkraftwerke stoppen, man konnte Gaskraftwerke, alles Mögliche konnte man stoppen, Autobahnbauten und so weiter. Aber es ist noch nicht gelungen einen Tagebau in seinem Lauf zu stoppen. Mal gucken, ob wir es hinkriegen. [Autor] Neu-Horno ist eine typisches Neubausiedlung. Hell verputzte zweistöckige Einfamilienhäuser, meist eine Garage daneben. Finanziert von Vattenfall als Ausgleich für das alte Horno, das mit seinen Klinkerhöfen angeblich nicht mehr der heutigen Bauordnung entsprochen habe. Thomas Burchardt führt mich in das Archiv der Verschwundenen Orte, in dem Informationen über die mittlerweile 136 Dörfer, die der Braunkohle in der Lausitz weichen mussten, gesammelt werden. Die meisten dieser Dörfer waren sorbisches Siedlungsgebiet - eigentlich durch die Verfassung geschützt. Wir stehen in dem Museum auf einem Teppich mit einer großen Landkarte der Lausitz. 10 O-Ton [Burchardt] So hier ist jetzt die Lausitz mit allen möglichen und unmöglichen Tagebauen, die schon gewesen sind, die gerade sind und die noch geplant sind. [Autor] Das sind viele. [Burchardt] Das sind sehr viele. Die ganze Lausitz könnte in dem Sinne fast abgebaggert werden. Jeder rote Punkt ist ein Ort, der abgebaggert wurde. [Autor] Wurde? [Buchardt] Abgebaggert wurde. Ähm, jede grau hinterlegte Fläche, so wie hier, hier ist zum Beispiel Forst Hauptfeld und wenn man genau guckt, liegt hier Forst, da ist Horno teilweise schon wieder auf Kohle. [Autor] Das sind mögliche.... [Burchardt] Das sind mögliche Tagebaue. Forst Hauptfeld, Jänschwalde Süd, welcher jetzt geplant wird ist Jänschwalde Nord mit Kerkwitz, Grabko, Atterwasch. Ähm, Welzow II, der hier mit Proschim und hier unten ist Nochten zwei hier diese Ecke mit Rohne, Mulkwitz und so weiter. [Atmo-wechsel, vor dem Hof von Ingo Schuster] 11 O-Ton Schuster] Und irgendwann ist mal Schluss. Das sind die letzten schönen sorbischen Dörfer, hier was man mal... Rohne, Mulkwitz, Mühlrose. Da muss mal durchfahren. Das ist so schön, das findet man hier überhaupt nicht mehr. [Autor] Mulkwitz. Auf dem Hof von Ingo Schuster. Der steht vor seinem Haus, ein Bein auf der Schubkarre, und blickt über die weiten Felder. 11f O-Ton Schuster] Oder Schutzgut Mensch, wie geht es dem Menschen? Man macht sich hier psychisch kaputt mit dem ganzen, man hat hier jahrelang umsonst gearbeitet und dann muss man irgendwann mal alles abgeben und die Zukunft sieht dann, ja... B- Plan. Grundstück Nummer 6 und fertig ist der Lack. Das kann es einfach nicht sein. Das funktioniert so nicht. Wir haben hier unseren wunderbaren großen Tiergarten noch gehabt. Der ist dem ´94er Plan zum Opfer gefallen. Einzigartig. Das wäre normalerweise Weltkulturerbe, hier von der Bad Muskauer Standesherrschaft, sage ich mal, was Fürst Pückler betrifft. So das ist alles entwidmet worden damals, die haben 2012 alles runtergehauen, jetzt den Rest noch. Nichts mehr da, nur noch verbrannte Erde, sieht aus wie Krieg. Das ist Wahnsinn. Ne, und das ist die grüne Lunge von Weißwasser gewesen, da haben sich jede Woche was weiß ich wie viele Radfahrer da durch gefahren sind, die haben sich erholt da die Familien. Ich kenne es ja noch von Kind auf da. Ja, und jetzt haben sie mit dem Staub zu kämpfen ohne Ende, ne. Diese, wenn diese Winde aufkommen im Hochsommer oder beziehungsweise bei Trockenzeiten, dann ja, dann ist die Staubbelastung und Verschmutzung durch den Kohlestaub echt rapide. So dass man dann, sage ich mal, den Kohlestaub von den Fensterbrettern abwischen muss, ne. Das ist krass. Das Bundesberggesetz, ja wie ist es, ja, Emissionen zum Beispiel, das gibt es die Richtlinie TH Lärm und TH Staub. Und hier Staub, das Messinstrument nennt sich das, das ist ein großes Gurkenglas. … Was heutzutage mit Feinstaubmessungen eigentlich noch viel exakter gemessen werden könnte, was gesundheitsschädigend ist für den Menschen, das wird gar nicht gewollt. Wenn sie das machen würden, dann müssten sie hier Tagebaue gleich schließen. Aber das umgehen sie, das brauchen sie nicht, durch dieses Gesetz. Und das ist ja noch das krasse, dass es noch aus nationalsozialistischen Zeiten stammt, dieses Gesetz, und eigentlich zur Mobilmachung von Deutschland gemacht wurde, zur Absicherung. Und es passt aber den Herrschaften wunderbar, sage ich mal, ins Konzept, das so zu belassen. Das ist... Das ist so krass, das sowas überhaupt funktioniert in unserer Gesellschaft. [Autor] Und was heißt, das einzige bleibt, auf Zeit zu spielen, weil je länger es raus gezögert wird desto.... [Schuster] Sage ich mal so: Klar, man muss Zeit sehen. Ich muss immer sehen, es ist die Entwicklung der Alternativenergien, man hofft auf die Speicherung der Energie, dass sie die Grundlast abdecken können, dass es nicht zum Kollaps kommt. So, und wenn diese Speicherung funktioniert, dann ist das hier binnen ein paar Jahren erledigt und dann hat sich das erledigt, dann rechnen sich die Dinger nicht mehr. Dann können sie sie abschalten. So aber, krass ist es natürlich, dass hier nur auf die eine Schiene gesetzt wird, auf die Braunkohle gesetzt wird und dass es am besten noch 100 Jahre so weiter läuft. So und alles was rings rum passiert, das wollen sie am besten ausblenden. [Autor] Die entscheidende Frage lautet: Brauchen wir die neuen Tagebaue? Ja, sagt die Regierung in Sachsen, eine Koalition aus CDU und FDP, genauso wie die Rot-Rote Landesregierung in Brandenburg. Allerdings, darin sind sich im Prinzip alle Beteiligten einig, wird die Frage letztlich nicht politisch entschieden, sondern vor Gericht. Denn viele Betroffene wie Ingo Schuster sind bereit, gegen den Braunkohleplan und die damit verbundenen Enteignungen zu klagen. Und ein Gericht wird Enteignungen nur zustimmen, wenn es für die Versorgungssicherheit Deutschlands absolut notwendig ist, neue Gruben aufzuschließen. Dazu gibt es zwei Gutachten. Das eine von Professor Georg Erdmann, von der Technischen Universität Berlin, kommt zu dem Schluss, die Gruben sind notwendig, das andere widerspricht. Es stammt von Professor Christian von Hirschhausen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ich besuche beide - von Hirschhausen zuerst. 12 O-Ton [von Hirschhausen] Ja, die Annahmen sind einfach unterschiedliche. Mein Kollege Georg Erdmann nimmt an, dass die Braunkohle auch noch in den 40er Jahren eine wesentliche Rolle für die Versorgung von Strom in Deutschland spielt. Das halte ich deshalb für falsch, weil ich mich an die Ziele der Energiewende halte. Wie gesagt, 80 bis meinetwegen auch 95prozentiger Anteil der Erneuerbaren und in einem solchen System ist dann für Braunkohle kein Platz mehr. Von daher ist das wie oft: Ergebnisse von Studien leiten sich von Annahmen ab. Und danach, alles andere ist Kopfrechnen. [Autor] Auch Georg Erdmann treffe ich. In seinem Büro in der TU Berlin frage ich Ihn, worin diese unterschiedlichen Annahmen begründet sind. 13 O-Ton[Erdmann] Also erstmal ist von Hirschhausen von Greenpeace beauftragt worden und Greenpeace ist eine Organisation, die versucht, den Ausbau der Braunkohle zu verhindern. Also ist das... [Autor] Aber die Studie, die er gemacht hat, hat er ja im Auftrag des Umweltministeriums gemacht... [Erdmann] Ja, aber auf dem Treffen der, wie heißt es, der Braunkohleausschuss, hat er sich ganz klar als Partei positioniert und nicht als neutraler Sachverständiger. Aber das ist das eine, das Zweite ist, die Wissenschaftler kommen manchmal zu unterschiedlichen Aussagen, weil sie in ihren Modellen unterschiedliche Annahmen treffen und eine dieser Annahmen, wie wir sie zum Beispiel getroffen haben, die Herr Hirschhausen nicht getroffen hat, ist, dass die Kraftwerke eben heruntergefahren werden, wenn eben sehr viel Erneuerbare vorhanden sind, aber nicht vollständig abgestellt werden können, weil sie ja eventuell in kürzester Zeit wieder hochgefahren werden müssen. Und die damit verbundenen Braunkohlemengen, die muss man halt auch bereitstellen, wenn man die Versorgung in Deutschland sichern will. [Autor] Diese Strategie ist mit der Energiewende aber nicht vereinbar –denn: wer Kohlekraftwerke nach Bedarf wieder hochfahren will, kann sie nicht ganz abschalten. Dann werden bei einem Energie-Überangebot eben Windkrafträder abgeschaltet. Von Hirschhausen richtet sein Szenario daher konsequent an den Erneuerbaren aus. 14 O-Ton [von Hirschhausen] Wenn man das ernst meint, dann ist in einem Erneuerbaren basierten System kein Platz mehr für relativ inflexible und sehr kapitalintensive Braunkohle. Wenn man es nicht ernst meint, dann kann man sagen, wir machen die nächsten 80 Jahre noch Kohle. Und von daher stützen sich Befürworter für diese Tagebaue auf eine Argumentation, die 100prozentig entgegen der Energiewende gerichtet ist. Das kann man machen. Ist nicht unsere Meinung, weil wir denken, dass die Energiewende eine sinnvolle Sache ist. Sie ist Konsens. Alle im Bundestag vertretenen Parteien unterstützen sie. Das heißt unabhängig davon, ob es jetzt einen Regierungswechsel gibt, hat man ja gerade gesehen, dass die neue Bundesregierung praktisch auch fortgeführt hat. Deshalb ist für die Braunkohle kein Platz mehr im Energiemix, mittelfristig. Andererseits hat man jetzt zwei Jahrzehnte Zeit, das ist sehr viel Zeit, um sich diesem Strukturwandel zu widmen. Und deshalb geht es auch nicht darum, jetzt hier Arbeitsplätze zu gefährden, sondern den Strukturwandel rechtzeitig anzugehen, damit man in den 30er Jahren dann Alternativen hat. [Autor] Pro- oder contra Braunkohle - für die meisten Beteiligten ist es letztlich eine Glaubensfrage - oder eine der persönlichen Betroffenheit. Die einen glauben, die Braunkohle sei unverzichtbar als Energieträger und für ihre Arbeitsplätze - die anderen glauben an die Energiewende und ihre Höfe. Vattenfall, der schwedische Staatskonzern, sieht sich mittlerweile noch von anderer Seite bedroht: Aus seiner Heimat. Die schwedische Öffentlichkeit steht der klimaschädlichen Braunkohlesparte in der Lausitz, der „Vattenfall Mining and Generation“, äußerst kritisch gegenüber. Ich treffe Carsten Enneper, Staatssekretär im brandenburgischen Wirtschaftsministerium, auf einer Veranstaltung des Vereins Pro Lausitzer Braunkohle e.V. 15 O-Ton [Enneper] Wie Vattenfall zu seinen Braunkohleaktivitäten steht, also völlig begeistert sind sie ja davon nicht, dass sie zwar einen Geschäftsbereich haben, der gute Gewinne macht, im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen in anderen Ländern - aber so richtig in die Strategie scheint es häufig, dass man möglichst wenig CO2 produziert, passt halt die „Vattenfall Mining and Generation“ nicht. Aber ob Vattenfall jetzt nun wild entschlossen ist, hier nun die Braunkohleaktivitäten, die Kraftwerke in der Lausitz aufzugeben zu jedem Preis, da wäre ich mir nicht so sicher. [Autor] Und stünde das Land Brandenburg bereit... [Enneper] Wie Minister Christophers gesagt hat. Also wir haben da keinen Plan B und nicht einen Plan über die Übernahme, aber Gespräche führen und, und Überlegungen anstellen, tun wir natürlich. Aber die nicht unbedingt dahin münden, dass das Land Brandenburg da irgendwas übernimmt. [Autor] Ein klares Dementi gegen einen brandenburgischen Staatskonzern für Braunkohleverstromung klingt für mich anders. Wirtschaftsminister Ralf Christoffers von den Linken hat schon mal erklärt, dass die Klimaziele seines Bundeslandes, vermutlich sogar die des Bundes, mit den neuen Tagebauen nicht mehr einzuhalten seien. Dass man in Potsdam bereit ist, diesen Preis zu zahlen, mag auch daran liegen, dass Land und Bund ein starkes Interesse haben, den Wert der Braunkohlesparte von Vattenfall hoch zu halten. Denn die Politik braucht dieses Geld. Alle Betreiber von Atomkraftwerken, auch Vattenfall, mussten milliardenschwere Rücklagen bilden, um in den kommenden Jahren den Rückbau der KKWs zu bezahlen. Vattenfall hat dieses Geld – übrigens steuerfreie Gewinne –in seine Lausitzer Braunkohlesparte gesteckt: Man will quasi mit einer legalen umweltschädlichen Technologie Geld zur Abschaffung einer politisch nicht mehr gewollten verdienen. Mit dem Ende der Braunkohleverstromung würde das nicht mehr funktionieren. Ein Teufelskreis? Thomas Burchardt, Vertreter der Sorben, plädiert für einen sauberen Kreislauf. 16 O-Ton [Burchardt] Bergbau basiert auf Ausbeutung. Das ist diese... dieses Kreislaufdenken was die Erneuerbaren haben, das hat der Bergbau nicht. Bergbau kommt, beutet aus und geht. Und hinterlässt Kippen, braune Spree abgerissene Dörfer, Löcher... [Autor] Thomas Burchardt hat mich in die Kirche von Neu Horno geführt - ein Nachbau der alten Kirche in Horno – finanziert von Vattenfall. Wir treten ein und steigen durch ein weißes, ein wenig steriles Treppenhaus in den Dachstuhl. Er will mir etwas zeigen. 16f O-Ton[Burchardt] [Atmo Tür geht auf, Burchardt] Hier sind die Orte alle, die abgebaggert wurden, der Tagebauplan dazu, ähm und das ist hier das, was ich meine. Es ist eine Ausstellung von den Kirchen, die dem Tagebau weichen mussten. Es ging 1960 los, nee, müsste schon eher sein. Hier: 1960 genau. Das heißt vorher hatte man in dem Sinne nur kleine Tagebaue gemacht oder partiell teilweise noch unter Tage abgebaut. Und hier ging es dann los, und so richtig ab 1977 ging dann eins nach dem anderen los. Und die Ausstellungsmacher haben dann gesagt: Hier ist kein Platz mehr, hier ist Schluss. Das ist in dem Sinne das Vermächtnis von Horno. [Autor] Auf einem langgezogenen weißen Sockel stehen hintereinander die Modelle der abgebaggerten Kirchen. Es müssen zum Teil stattliche Gebäude gewesen sein, mit großen Gemeinden. Am Ende der Reihe: die alte Kirche von Horno. (Atmo Zug) [Autor] Und Adrian Rinnert? Wo ist das „Gesicht des Widerstands“ gegen die neuen Gruben geblieben? Nachdem Adrian mich auf Ingo Schuberts Hof abgeladen hat, ist er weitergefahren: Er hat viel Arbeit: die Klagen gegen den Braunkohleplan stehen an. Und für den 23. August organisiert er eine Menschenkette. Umweltaktivisten aus der ganzen Welt werden in die Lausitz kommen. Absage Bürger gegen Bürger. Die Braunkohle spaltet die Lausitz Sie hörten eine Sendung von Manuel Waltz Es sprach: Andreas Potulski Ton und Technik: Ernst Hartmann und Kiwi Hornung Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2014 1