COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandrundfahrt 27.02.2010 Der Kalimandscharo von Zielitz Die höchste Erhebung zwischen Magdeburg und der Ostsee Autorin: Susanne Arlt Redakteurin: Margarete Wohlan Jingle und Kennmusik O-Ton 1 Sieglinde Wöretshofer Das ist unser Kalimandscharo. Wenn andere kommen, ob die sagen, oh das ist schön oder da steht so´n Hügel, muss ich nicht haben. Wir finden es schön. Musik hoch O-Ton 2 Klaus Hanke: So eine Halde ist nun nichts Wünschenswertes, aber sie sind nun mal da. Aber es ist kein Gift, was man dort hat. Es ist der höchste Punkt von der Börde zur Ostsee. Wir haben einen herrlichen Ausblick. Musik hoch O-Ton 3 Ulf Hölz: Die Bedeutung des Kalis wurde Ende des 19. Jahrhunderts erkannt und es wurde damals schon gehandelt wie Gold. Es gab ja damals noch nicht so viele Bergwerke, die Kali abgebaut haben. Und das Kali war damals schon so begehrt wie Gold. Musik hoch O-Ton 4 Stephan Gunkel: Beim Kaliabbau ist das Hauptproblem die Salzeinleitung in die Oberflächengewässer und ins Grundwasser. Was durch die Salzhalden entsteht. Und dafür gibt es Lösungen und die müssen vom Unternehmen nun auch endlich angewandt werden. Musik hoch SpvD: Der Kalimandscharo von Zielitz Die höchste Erhebung zwischen Magdeburg und der Ostsee Eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt Atmo 1 Bergmannsverein Autorin: Jeden ersten Mittwoch im Monat treffen sich die Mitglieder des Bergmannvereins Scholle von Calvörde auf dem Gelände des Kaliwerkes in Zielitz. 27 Kumpel haben nach dem Fall der Mauer mit dem Vereinsleben begonnen. Zu Zeiten der DDR wäre das unmöglich gewesen. Auch das Fest der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergmänner, durften sie nicht feiern. Diese Zeiten aber sind passé. Das Feiern wird kräftig nachgeholt. Atmo 2 Klatschen ... Hebet die Gläser ... Prost ... Singen Autorin: 140 Männer und Frauen engagieren sich für den Verein, die meisten von ihnen sind Rentner. Das Durchschnittalter liegt bei 67 Jahren. Die Vereinskneipe liegt im Keller direkt unter der Werkskantine. Über der Theke hängen Bierkrüge und ein selbstgemaltes Schild auf dem geschrieben steht: Kippstelle, Achtung 40 Prozent. An den braun vertäfelten Wänden hängen massenhaft Utensilien aus dem Leben eines Bergmannes. Hammer und Schlegel. Ein altes Arschleder ? darauf sind die Kumpel früher in die Stollen hinunter gerutscht. Wappen befreundeter Vereine. Fotos von den gemeinsamen Ausflügen. Atmo 3 Glocke, so werte Kameradinnen und Kameraden, ein herzliches Glückauf ... Glückauf! Autorin: Klaus Hanke führt den Vorsitz. Der studierte Elektrotechniker hat in den 60er-Jahren die Anlagen für das Salzbergwerk mit aufgebaut. Fast drei Jahrzehnte lang ist er mit seinen Kollegen runter in den Schacht gefahren. Das schweißt zusammen, sagt er. Man muss sich dort unten blind auf den anderen verlassen können, so der 78-jährige. Vielleicht ist gerade darum der Zusammenhalt unter Bergleuten so stark. Auch wenn sie schon längst in Rente sind. O-Ton 5 Klaus Hanke: Gerade im Bergbau unter Tage ist es notwendig, dass jeder auf den anderen sich verlassen kann. Daraus ergibt sich das und wir haben ja auch einen Bergmannschor, der zwar in die Jahre gekommen ist, aber das bergmännische Liedgut, der Bergmann mit seinen Liedern über die schwere Arbeit, der über die Fröhlichkeit, über die Geselligkeit und auch die Zugehörigkeit. Woran erkennt man einen Bergmann? An seinem Gruß Glück Auf! Autorin: Die langgestreckten Tischreihen sind mit weißen Decken bespannt, darauf liegen quadratische Deckchen in grün. Grün-weiß, das sind die Farben des Bergmannvereins Zielitz - Scholle von Calvörde. Der Name stammt von der geologischen Formation, die sich vor Jahrmillionen in der Tiefe unter Zielitz gebildet hat. Atmo 4 So nun kommen wir aber zu unseren eigentlich Themen, wir haben ja einen sehr anspruchsvollen Jahresarbeitsplan, den wir beschlossen haben ... Atmo 5 Raum Autorin: Jahresplan und ein Vortrag stehen an diesem Abend auf dem Programm. Danach ziehen sich die Frauen in einen separaten Raum zurück. Die Männer bleiben unter sich. Wohl eine alte Angewohnheit von uns, scherzt Klaus Hanke. Mit 60 Jahren hat er aufgehört im Kaliwerk in Zielitz, das war ein Jahr nach dem Mauerfall. Seitdem habe sich viel geändert, sagt Klaus Hanke. Zum Guten, betont er. O-Ton 6 Klaus Hanke: Wir hatten zu DDR-Zeiten keine Möglichkeit einer ordentlichen Filterung. Das ist ja alles vorbei. Auch hier auf dem Berg gab es keinen Strauch, der grün war. Das ist erst mit der neuen Technik möglich, sodass von dieser Seite aus keine Gefährdung der Umwelt mehr besteht. Autorin: 1.700 Männer und Frauen arbeiten heute über und unter Tage für das Kaliwerk. Unsere Tagesproduktion hat sich verdoppelt, sagt Klaus Hanke stolz. Wir schaffen 41.000 Tonnen Rohsalz am Tag. Überhaupt, wenn der Rentner vom Zielitzer Werk erzählt, spricht er noch immer in der ersten Form Plural. O-Ton 7 Klaus Hanke: Jetzt haben wir wieder fast so viele Bergmänner unter Tage wie zu DDR-Zeiten, allerdings fördern wir das Doppelte. Und der Instandhaltungsaufwand der Technik war damals wesentlich höher. Ich habe immer gesagt, wir hatten einen rotierenden Schrotthaufen. Ja wir hatten also viel zu tun, die Geräte instand zu halten. Autorin: Bei den Frauen sitzt zum ersten Mal Sieglinde Wöretshofer mit am Tisch. Sie hat vor dem Mauerfall in der Verwaltung gearbeitet, wurde aber nach zwei Jahren entlassen. Trotzdem hält sie dem Kaliwerk bis heute die Treue. Ihr Mann hat noch vor wenigen Monaten auf der Halde gearbeitet. Der Frührentner will bei den Bergtouren mitmachen, die der Bergmannsverein von April bis September anbietet. Bis zu 3.000 Besucher kraxeln im Jahr den Salzberg hoch. O-Ton 8 Sieglinde Wöretshofer: Das ist unser Kalimandscharo. Wenn andere kommen, die Besucher, wie die das empfinden? Ob die sagen, oh das ist schön oder da steht so´n Hügel, muss ich nicht haben. Wir finden es schön. ... Die gehört zu unserem täglichen Geschäft. Womit wir den Leuten zeigen, dass ringsherum alles grün ist und demzufolge auch was für die Umwelt tun. Und nicht immer heißt, der Bergbau versaut die ganze Welt. MUSIK I: "Glück auf" ist unser Bergmannsgruß Musik: traditionell Interpret: Bergkapelle und Saarknappenchor Verlag: Leico, LC 7701 Atmo 6 Winterlandschaft mit Krähen Autorin: Der Kalimandscharo ? höchste Erhebung zwischen Magdeburg und der Ostsee. Im Vergleich zu seinem Namenspatron ist der Kalimandscharo ein Winzling. Der größere der beiden Hügel misst gerade mal 120 Meter. Für die Magdeburger Börde ist das allerdings schon ein Superlativ. Die Landschaft ist flach und baumarm. Der graue Himmel lastet schwer über dieser Einöde. Ab und an sieht man wie hin getupft ein kleines Kiefernwäldchen aus dem Sandboden wachsen. Musik II Titel: Chariots of Fire Komponist u. Interpret: Vangelis Verlag: Geffen, LC 07266 Autorin: Der Besucher kann seinen Blick also kilometerweit schweifen lassen durch diese verschneite Gegend, nichts hält ihn auf. Bis er neben der Gemeinde Zielitz plötzlich diese beiden gigantischen Dünen erblickt. Doch statt aus Sand sind sie aus Salz erbaut und wachsen von Tag zu Tag. Das darunter liegende Salzbergwerk liefert das Material dazu. Aus den Tiefen der Magdeburger Börde fördern Bergmänner tagtäglich über 40.000 Tonnen Rohsalz zu Tage. Doch nur ein Viertel dieses Materials kann das Kaliwerk auch verwerten. Der Rest landet als Abraum auf den beiden Salzbergen. Und so kommt es, dass Halde eins auf inzwischen 75 Meter und Halde zwei auf 120 Meter angewachsen sind. Atmo Musik ab 30´ hochziehen und kurz stehen lassen Autorin: Oben auf dem Gipfelplateau haben Wind und Regen die Salzablagerungen zu bizarren Formen geschliffen. Die aufgeschütteten Kegel erinnern an kleine Vulkane, die ihre Lavaströme ins weiche Salz geschwemmt haben. Auf dem Boden sieht man lauter kleine Lösungskrater. Als ob jemand nacheinander Pingpongbälle in den weichen Untergrund gedrückt hätte. Atmo 8 Halde mit Wind Autorin: Ulrich Zeitke steht auf Halde zwei und genießt den Blick über die Magdeburger Börde. Weit kann er allerdings nicht sehen. Dunstschwaden verdecken den blauen Himmel. Ab und an scheint die Sonne matt hinter dem grauen Schleier hervor. Richtung Süden versperren die Schlote und Fabrikanklagen des Kaliwerks den Blick nach Magdeburg. Richtung Osten schlängelt sich die Elbe durch die Börde. Die Luft hier oben ist eisig. Minus fünf Grad Celsius misst das Thermometer, doch gefühlt sind es mindestens fünfzehn Grad minus. Ulrich Zeitke ist diese Temperaturen gewohnt, er ist sozusagen der Herr der Halden. Sein offizieller Titel: leitender Betriebsingenieur in der Produktion. Behelmt und bekleidet mit einer blauen Jacke mit dickem Innenfell strotzt er Wind und Temperaturen. Seit 33 Jahren arbeitet Ulrich Zeitke in, um, über und unter Zielitz. Die Halden sind der Wetterhahn, glauben viele Menschen im Dorf. Schon Tage vorher wollen sie erkennen, ob es bald regnen wird oder nicht. Darüber kann Ulrich Zeitke nur matt lächeln. O-Ton 9 Ulrich Zeitke: Wenn dieser Schmutz und Staub trocken ist, ist er hell. Und wenn er feucht wird, wird er dunkel. Wenn wir also eher feuchtes Wetter haben, eine höhere Luftfeuchtigkeit haben, zieht die Halde Feuchtigkeit aus der Umgebungsluft an, dadurch wird die Oberfläche feucht und dunkel. Autorin: Das einst weiß-graue Salz lagert den angewehten Staub aus der Umgebung mit ein in seine Oberfläche. O-Ton 10 Ulrich Zeitke: Würde man die Oberfläche ankratzen mit einem harten Gegen- stand, wäre sie wieder weiß. Atmo 9 Abkratzen Autorin: Ulrich Zeitke bohrt seine Stiefelspitze in die harte braune Oberfläche. Die körnige Masse unter den Stiefeln ist weder leicht noch locker. Luft und Wasser haben das Abraumsalz ausgehärtet und zu festem Stein gemacht. Atmo 10 Halde O-Ton Ulrich Zeitke: Man kann das also gut jetzt sehen an der Böschung. Es sind Partikel zu sehen, dunkle Partikel. Staub und Schmutz und wenn man was abbricht, erscheint wieder der weiße Haldenkörper dahinter. Autorin: In anderthalb Jahren werden wir auf diesem Plateau eine Bandanlage aufbauen, erzählt Ulrich Zeitke. 160 Millionen Tonnen Salz liegen hier herum, die Halde platzt aus allen Nähten. Darum sei es notwendig, sie weiter Richtung Süden aufzufahren. Noch wachsen auf der Brache 120 Meter tiefer ein paar Büsche, Bäume und Wiesen. Das landeseigene Bergamt und das verantwortliche Wirtschaftsministerium prüften jahrelang die Pläne des Unternehmens, stellten die ökonomischen Folgen den ökologischen gegenüber. 1.700 Männer und Frauen arbeiten für das Salzbergwerk. 4.000 Jobs hängen direkt und indirekt von der Kaliproduktion ab. Am Ende gewann die K und S Kali GmbH. Somit kann die 110 Hektar große Halde um weitere 70 Hektar erweitert werden. Für unser Abraumsalz haben wir dann erst einmal Platz bis zum Jahr 2020, sagt Ulrich Zeitke erleichtert. Halde eins darf dagegen nicht weiter wachsen. Die Bewohner vom benachbarten Dorf Loitsche haben sich erfolgreich dagegen gewehrt. Der Salzberg würde ihnen dann schon zur Mittagszeit die Sonnen nehmen. Atmo Halde kurz hochziehen Autorin: Ulrich Zeitkes Blick wandert zu einem riesigen blauen Koloss, der in 100 Metern Entfernung beharrlich das noch schneeweiße Salz in einem hohen Bogen über die Haldenkante spuckt. Ein zwei Kilometer langes Transportband versorgt den sogenannten Bandabsetzer mit der weißlich, grobkörnigen Masse. O-Ton 11 Ulrich Zeitke: Das Gerät stammt aus der Braunkohle, aus der Abraumförderstrecke. Über die Haldenkante fällt das Salz dann 50 Meter tief. Er verstützt Tag und Nacht, im Normalfall 32.000 Tonnen in 24 Stunden. ... 1240 Tonnen die Stunde. Autorin: Für den ahnungslosen Besucher steht dieser Koloss bedenklich nah an der Abbruchkante. Ulrich Zeitke grinst, winkt näher heran: O-Ton 12 Ulrich Zeitke: Wir können uns ganz unmittelbar an die Haldenkante stellen, es gibt dort keine Abrutschungsgefahr. Der Rückstand liegt sehr fest. Wir sind also in der Lage, mit dem schweren Gerät, mit dem Absetzer, der eine Dienstmasse von 604 Tonnen hat, kurz nach Schütten der Halde bis zu fünf Meter an diese Kante heranzufahren. Keine Abbruch und keine Abrutschungsgefahr. MUSIK III Titel: Fallen nach oben Interpret: Cassandra Steen Musik u. Text: Annette Humpe u.a. Verlag: Universal, LC 06748 Autorin: Das Kaliwerk Zielitz in Sachsen-Anhalt. In dem flachen Landstrich erinnern vor allem nachts die schlotenden Schornsteine, die beleuchteten Fördertürme, die riesigen kegelförmigen Lagerhallen an eine andere, eine utopische Welt. Seit 37 Jahren wird an diesem Standort in Teufen von 500 bis 1.200 Metern das im Steinsalz eingeschlossene Kalimineral gewonnen. Ein idealer Dünger für heiße, ausgedörrte Regionen. Hochreines Kali ist aber auch wichtiger Bestandteil von Infusionslösungen und begehrter Rohstoff für die Pharma- und Kosmetikindustrie. Musik IV Titel: Whale Nocturne Komponist u. Interpret: Yantra de Vilder Verlag: Image Library, IMCD 3010 Autorin: Die Welt des Salzes ist eine Unterwelt, die vor 250 Millionen Jahren eine Art Ur-Meer war. Meerwasser enthält viele unterschiedliche Salze, darunter auch das Kalimineral. Vor Millionen Jahren brachten die Sonnenstrahlen das Wasser dieses Binnenmeeres zum Verdunsten. Eine hoch konzentrierte Salzlösung blieb zurück. Dicke Gesteinsschichten lagerten sich im Laufe der Jahrmillionen über diesen Flözen ab. Und durch einen Zufall wurden vor 150 Jahren die Salzlagerstätten in Sachsen-Anhalt entdeckt. O-Ton 13 Ulf Hölzl: Die Bedeutung des Kalis wurde Ende des 19. Jahrhunderts erkannt und es wurde damals schon gehandelt wie Gold. Es gab ja damals noch nicht so viele Bergwerke, die Kali abgebaut haben. Und das Kali war damals schon so begehrt wie Gold. Autorin: Nach dem Fall der Mauer aber wurden die Salzbergwerke eher geschlossen, denn ausgebaut. Bergmann Ulf Hölzl hat das alles miterlebt. Die Mitteldeutsche Kali AG fusionierte mit der westdeutschen Kali und Salz GmbH. Alte Werke in Ostdeutschland wurden geschlossen. Viele Kumpel in Bischofferode und Sondershausen verloren über Nacht ihren Job. Nicht so in Zielitz. Das Werk war schon zu Zeiten der DDR eines der modernsten. Und noch immer liegt das kostbare weiße Gold dort unten begraben und wartet darauf, gehoben zu werden. Inzwischen werden stillgelegte Bergwerke wieder reaktiviert. Denn Salz ist heute fast wieder so wertvoll wie im Mittelalter. Die Rohstoffpreise haben sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt. Bauern aus Europa, Südamerika und Südostasien gieren nach dem weißen Gold. Und der Exportanteil der Kali und Salz GmbH liegt bei 95 Prozent. Atmo 12 Gang zur Grubenfahrt Autorin: Die Kumpel der Tagschicht fahren ein. Die behelmten Männer tragen grau-weiße Overalls. Die Füße stecken in schweren schwarzen Sicherheitsschuhen. Von ihren Schultern baumelt das Geleucht - kleine runde Taschenlampen - und der sogenannte Selbstretter. Das kompakte Gerät wiegt fünf Kilo und ist unter Tage überlebenswichtig. In dem luftdicht verpackten Edelstahlgehäuse steckt ein Atemfilter, der bei einer Explosion oder bei einem Brand unter Tage giftiges Kohlenmonoxid in lebenswichtigen Sauerstoff umwandelt. Gesäßschutz, Hammer und Schlegel sind längst passé. Heutzutage übernehmen tonneschwere Maschinen die harte Arbeit unter Tage. Atmo 13 Tür geht zu, Glocke Autorin: Ulf Hölzl betritt den Korb, nickt seinen Kollegen zu. Seit 35 Jahren arbeitet er im Kalibergwerk. Der Beruf hat in seiner Familie Tradition. Viele in der Verwandtschaft sind ein Leben lang unter Tage gefahren. Bei seinem Kumpel Albert Hirt ist das nicht anders. O-Ton 14 Albert Hirt und Ulf Hölzl: Ich bin in der dritten Generation und mein Sohn ist auch hier. ... Man hat eine vernünftige Grundausbildung mit der Lehre, man kann sich weiterqualifizieren, es ist ne Arbeit, die wetterunabhängig ist und die nicht schlecht bezahlt wird ... Mein Großvater hat immer gesagt Bergmann über Tag ist Schimpf und Plag. Autorin: Der Anschläger ruft den Männern ein freundliches Glück Auf zu, gibt das Signal, schickt dann den Förderkorb per Knopfdruck in die Tiefe. Atmo 14 Grubenfahrt Autorin: Sachte setzt sich der Stahlkasten in Bewegung. 80 Bergmänner stehen dicht an dicht. Manche schwatzen, manche grübeln in der Dunkelheit. Die meisten von ihnen haben im Zielitzer Werk angefangen, kennen sich ein halbes Leben lang. Die Arbeit unter Tage, sagt Ulf Hölzl, schweißt ein besonderes Band zwischen uns Männer. O-Ton 15 Ulf Hölz: Man hat auch viele private Kontakte zu Kollegen, wo man dann auch nach der Arbeit gerne zusammen ist. Wir selber als Kinder damals haben mit den Kindern der Kollegen unserer Eltern gespielt. Das wächst zusammen mit der Zeit. Autorin: Im Schein der Grubenlampen sind nur die Stahlbetonröhren zu erkennen, die den Schacht umfassen. Der Korb fällt immer schneller. Nach drei Minuten ist die Fahrt zu Ende. Atmo 15 Gittertor öffnen Autorin: Die Luft in 700 Metern Tiefe ist überraschend warm und schwül. Links neben dem Förderschacht ist ein kleiner Schrein aufgebaut. Darin wacht aus Holz die heilige Barbara über das Wohl der Männer. Von dem Grubenraum zweigen rechts und links breite Gänge ab. Nach wenigen Minuten legt sich auf die Haut eine salzige Schicht, die sich in die Poren frisst. Die Luftfeuchtigkeit hier unten, schätzt Ulf Hölz, liegt bei zehn bis 20 Prozent. Das Salz nimmt sie auf. Der Bergmann steigt in einen grauen Jeep. 90 Kilometer Strecke im Jahr legen sie frei. Da kann die Autofahrt zum nächsten Revier locker zwanzig Minuten dauern. Atmo 16 Jeepfahrt mit Ventilator O-Ton 16 Ulf Hölzl: Ich sage mal offene Strecken, die wir jetzt zurzeit in Zielitz haben sind´s an die 600, 650 Kilometer. Wir fahren jetzt in den westlichen Teil des Grubengebäudes in das Revier eins. Unser größtes Revier mit 11.000 Tonnen Tagesförderung. Autorin: Der Jeep rumpelt mit 40 Kilometern in der Stunde über die holprige Strecke. Es geht hoch, runter, geradeaus, dann scharf nach rechts, nach links und wieder hoch. Riesige Ventilatoren stehen an der Strecke, sogenannte Wetterbeschleuniger. Sie sorgen für eine gute Luftzirkulation. Unter der Decke hängen dicke, schwarze und schmale, graue Kabel. Dort oben liegt unsere gesamte Stromversorgung, erklärt Ulf Hölz, der sich mit seiner linken Hand am Bügel des Jeeps festkrallt. Rechts und links zweigen Nebenstollen ab. Schwarze Vorhänge versperren jedoch den Blick. Das in lange Streifen geschnittene schwarze Transportgummi soll den Staub abhalten. Nach vierzehn Kilometern biegt der Jeep endlich in eine große Halle ein: Revierplatz Nummer eins, größtes Abbaugebiet unter Tage. Ulf Hölzl steigt aus, läuft auf einen weißen Containerbau zu. Die zwei Räume bieten Schutz vor Lärm und Staub. Atmo 17 Gang ins Büro, Funkgespräche Autorin: Links sitzt Revierleiter Peter Zacher, rechts neben seinem Büro befindet sich ein Frühstücksraum. Die Wände sind von oben bis unten mit barbusigen Frauen beklebt. Peter Zacher verzieht den Mund zu einem süffisanten Lächeln, sagt dann fast entschuldigend. O-Ton 17 Peter Zacher: Wir sind ja nun schon zig Jahre während unserer Arbeitszeit von acht Stunden unter Tage ohne dass wir mit Frauen in Kontakt kommen. Na ja und dann freut man sich mal über ein paar bestimmte Bilder. Motiviert ein bisschen ... das Schönste was der Herrgott geschaffen hat. Autorin: Die Männerrunde grinst sich zu, nickt einhellig. Seit diesem Jahr dürfen rein theoretisch aber auch Frauen unter Tage Kali fördern. Der Europäischen Union sei´s gedankt, sagt Peter Zacher und macht aus seiner Meinung keinen Hehl. O-Ton 18 Peter Zacher: Es gibt Schwierigkeiten, wenn Frauen unter Tage sind. A von den Aufenthaltsräumen. B Toiletten geht schon los, C ob sie die Belastungen auf den Großgeräten? Können sie es überhaupt, diese Fahrzeuge zu fahren. Wird schwierig werden. Autorin: Zwei Frauen haben sich in diesem Jahr bei der K und S Kali GmbH in Zielitz beworben. Doch als sie erfuhren, was unter Tage auf sie zukommen wird, haben sie ihre Bewerbung lieber wieder mitgenommen, erzählt Untertage-Chef Ulf Hölzl. Unterdessen fährt ein Großlochbohrer an der Kajüte vorbei und lässt den Boden erzittern. Das gelbe Monstrum ist zehn Meter lang und stemmt seine bizepsdicken Eisengestänge problemlos sieben Meter tief in das Salzgestein hinein. Die tiefen Löcher sind notwendig, damit durch die Explosion das Salz nicht in sich zusammen backt, sondern nach außen gesprengt wird. MUSIK V Titel: Riders on the storm Komponist: Morrison, Krieger u.a. Interpret: Yonderboi Verlag: WSM, LC 03708 Atmo 18 Laufen übers Salz Autorin: Ralf Könnecke läuft 600 Meter tief im Zielitzer Salzbergwerk über den lockeren Salzboden. Kurz vor einer Felswand bleibt er stehen. Bunte Salzkristalle schimmern ihm entgegen. Diese Salzschicht, schätzt der Bergmann, ist 25.000 Jahre alt. Atmo Hohlraum Autorin: Ralf Könnecke nimmt seinen Helm ab. Klemmt ihn unter seinen linken Arm. Mit dem rechten wischt er sich die Schweißtropfen von der Stirn. 30 Grad Celsius herrschen hier unten und die Aufgabe, die der erfahrene Sprenghauer gleich zu erledigen hat, ist riskant. Der Bergmann will 1.300 Tonnen Salz aus dem Gestein schießen. Das macht er ohne die Hilfe eines Kollegen. Unsere Arbeit ist was für Eigenbrötler, sagt Ralf Könnecke und lacht. O-Ton 19 Ralf Könnecke: Es ist einsam. Nach drei Stunden triffst du meistens einen. Und dein Chef soll sich ja auch noch mal blicken lassen so nach zweieinhalb Stunden, der befährt dich. Weil das hier so ne Sicherheitsvorschrift ist, dass man nicht immer ewig lang alleine ist, man wird kurz befahren, dann wird kurz erzählt und dann ist das O.K. Autorin: Der Abbau unter Tage folgt einem genauen Plan. Vermesser geben die Richtung vor. Die Bergmänner achten peinlich darauf, dass nicht zu große Hohlräume gesprengt werden. Sie sind nur etwa 15 Meter breit und 3 Meter 50 hoch. Der Grund: Die Pfeiler, die das Deckengebirge stützen, müssen mindestens drei Mal so breit sein. Sie müssen das mehrstöckige Gewölbe auf Dauer auch tragen. Sonst könnte die Fläche um Zielitz eines Tages zusammensacken. Atmo 19 Sprenglochbohrer Autorin: Eine monströse Maschine auf Rädern bohrt sieben Meter tiefe Löcher in den Stoß. Das Schema gibt Ralf Könnecke vor. Ein Computer mit 80 Bohrprogrammen unterstützt den Sprenghauer bei seiner Arbeit. Per Hand schiebt Ralf Könnecke zuerst die elektrischen Zünder in die Bohrlöcher. Passieren kann da eigentlich nichts sagt er und gibt dann zögerlich zu. O-Ton 20 Ralf Könnecke: Ja wenn man schon mal zehn Minuten zu spät kommt dann geht es schon zu Hause los. Früher hatte man noch kein Handy. Jetzt kann man wenigstens noch eine SMS Schreiben, wenn man zu spät kommt. Der Sohn ist jetzt auch hier. Und das ist noch schlimmer, wenn man ne andere Schicht hat und die Mutter wartet dann zu Hause, der Vater ist zuhause, ja der Sohn, wann kommt der denn. Autorin: Ralf Könnecke läuft zurück zum Sprenglochbohrer. Aus dem Wagen zieht er einen schmalen Schlauch hervor, der mit der Sprengstoffkammer verbunden ist. Darin lagern 1.000 Kilo Sprengstoffgranulat. Das Material hat eine Konsistenz wie Waschpulver und riecht nach Diesel, sagt Könnecke. Steckt den Schlauch in das Sprengloch, drückt auf eine Taste. Druckluft schießt das Granulat sieben Meter tief in den Fels. Aber erst wenn alle Bergleute die Grube verlassen haben, wird die Sprengung per Fernzündung aus der Grubenwarte ausgelöst. Atmo 20 Sprengung dumpf und aus der Ferne Autorin: Haben sich die giftigen Dämpfe und Nebelschwaden verzogen, karrt die nächste Schicht die Salzbrocken zusammen und fördert sie nach oben. Atmo 21 Produktionshallen Autorin: In den Zielitzer Produktionshallen werden Kalidünger und hochwertiges Industriesalz hergestellt. Das gewonnene Rohsalz besteht aus nur fünfzehn Prozent wertvollem Kali und 85 Prozent Steinsalz. Die Bestandteile müssen darum voneinander getrennt werden. Das Unternehmen wendet zwei Methoden an, beide sind aus ökologischer Sicht nicht ganz unproblematisch. Bei dem sogenannten Heißlöseverfahren verbraucht man viel Wasser. Das in Wasser aufgelöste Kali- und Steinsalz kristallisiert sich bei unterschiedlichen Temperaturen aus. Bei dem sogenannten Flotationsverfahren legt man das Rohsalz in eine Lauge. Die spezielle Emulsion umhüllt nur die begehrten Kalikristalle. Sauerstoffbläschen bleiben an ihrer Oberfläche haften, treiben die Kalikristalle nach oben. Dort werden sie abgeschöpft und anschließend getrocknet. Zurück bleibt eine hoch konzentrierte Salzlauge. Sie kann in den Produktions-Kreislauf zurückgegeben werden. Viele Tausend Liter der Salzlösung werden aber auch in die Elbe eingeleitet. Ulrich Göbel, Pressesprecher der Kali und Salz AG, sieht darin kein größeres Problem. O-Ton 21 Ulrich Göbel: An der Werra haben wir natürlich die Diskussion, dass aufgrund der Konzentrierung der Produktion auf drei Standorte, die parallel produzieren, dass die ja schon ein bisschen mehr machen als hier in Zielitz gemacht wird. Dort wird eine Rohsalzmenge von rund 20 Millionen Tonnen verarbeitet im Jahr gegen die zwölf Millionen Tonnen, die hier in Zielitz verarbeitet werden. Und es wird eben ein ganz anderes Rohsalz verarbeitet mit recht hohen Magnesiumchloridanteilen, die dann zu einem vermehrten Anfall von Salzlösungen führen. ... im Kreislauf gefahren werden können, Autorin: Je nach Pegelstand der Elbe darf das Kaliwerk 40 bis 80 Kubikmeter Salzlauge in den Fluss einleiten, sagt Kali-Mitarbeiter Jürgen Fensterer O-Ton 22 Jürgen Fensterer: Wir haben ein Überwachungssystem Pegelstände Elbe, nach denen wir einleiten dürfen. Und da gibt es eben Wochen im Sommer, wo wir denn nicht einleiten dürfen. Da wir uns auch deutlich im Rahmen unserer Wasserabstoßgenehmigungen befinden, haben wir keinen Grund, dort irgendwelche Bedenken zu haben, dass da mal was schiefgeht. Autorin: Fünf große Tankanlagen stehen bereit, die in den heißen Sommermonaten die Salzlösung für einige Wochen speichern können. Aber auch die großen Halden produzieren eine verdünnte Salzlösung. Denn jeder Regentropfen, der oben auf den Salzberg fällt, kommt unten als gesättigter Tropfen wieder heraus. O-Ton 23 Jürgen Fensterer: Wir haben ja große Haldenflächen draußen und aus denen läuft uns die Lauge raus. Und die müssen auf jeden Fall abgeführt werden, sonst laufen die in den Wald und dann haben wir noch viel größeren Schaden. MUSIK VI Titel: Geisterfahrer Interpret: Tokio Hotel Musik u. Text: Dave Roth, Patrick Benzner Verlag: UDP Stunner Record, LC 19826 Atmo 22 Dorf Autorin: Wer in Zielitz in Sachsen-Anhalt Richtungen Norden fährt, der gelangt nach wenigen Kilometern in den Ort Loitsche. Das 700-Seelen-Dorf hat es vor einigen Jahren zu internationalem Ruhm gebracht. Zumindest unter eingefleischten Fans der Teenie-Gruppe Tokio Hotel. Die beiden Zwillingsbrüder Bill und Tom Kaulitz stammen aus Loitsche. Im Garten ihres Bungalows weht eine deutsche Fahne, seit einiger Zeit führt ein metallener Zaun um das Grundstück. Direkt davor befindet sich ein hölzernes Buswartehäuschen. Tokio-Hotel- Verehrerinnen haben sich darauf verewigt. In schwarzen Lettern steht dort "Bill ? wir lieben dich" oder "Bill ? ich liebe dich". Die Rollläden vor den Fenstern sind zur Hälfte herunter gelassen. Es geht das Gerücht um, dass auch die Mutter der beiden Popstars inzwischen ausgezogen ist. Bill und Tom hatten vor einiger Zeit offiziell mitteilen lassen, sie liebten ihre Heimat, ja, aber nach Loitsche wollten sie trotzdem nicht mehr zurückkehren. Irgendwie kann es der Besucher das verstehen, denn der Bungalow der beiden Tokio-Hotel-Brüder steht direkt am Fuß der Halde eins. Atmo 23 Ramstedter Mühlengraben Autorin: Die Menschen, die hier leben, haben sich vermutlich an den Anblick des Salzbergs gewöhnt. Stephan Gunkel schüttelt ungläubig den Kopf. Der 40-jährige stammt aus Suhl in Thüringen und kennt die Folgen des Kalibergbaus. Gunkel hat die Fächer Landschaftsnutzung und Naturschutz studiert und arbeitet jetzt für den BUND als Referent für Gewässerpolitik. An diesem Freitagmittag steht Stephan Gunkel mitten in Loitsche auf einer Straßenbrücke. Er will sich einen Eindruck verschaffen, ob auch hier wie an der Werra Umweltschäden durch die Kaligewinnung entstanden sind. Stephan Gunkel blickt nach unten. Dort plätschert gemächlich der Ramstedter Mühlengraben vor sich hin. Der Bach mündet ein paar Meter weiter südlich in den Seegraben. Bodenproben haben ergeben, was Stephan Gunkel bereits vermutet hat. O-Ton 24 Stephan Gunkel: Der Ramstedter Mühlengraben bringt im Prinzip die ganze Salzlast mit, die von der Halde abfließt und zum Teil oberflächlich abfließt und zum Teil mit dem Grundwasser. Der ist so versalzen, dass in dem Graben selbst nichts mehr lebt. Also da kann man sagen, dass ist ökologisch tot. Atmo 24 Bach plätschert stärker Autorin: Ein paar Schritte weiter südlich mündet der Ramstedter Mühlengraben in den Seegraben. Dort wächst nur dürres, gelbes Gestrüpp. Stephan Gunkel zeigt auf das Bett des Baches. Der Untergrund ist braun gefärbt, als ob er verschlammt wäre. Gunkel schüttelt den Kopf. Diese Verfärbungen seien ein klares Anzeichen für einen hohen Salzgehalt im Wasser. Wasserpflanzen gibt es keine. In diesem Salzwasser, erklärt Gunkel, können auch keine Tiere überleben. Höchstens der unverwüstliche Strudelwurm. O-Ton 25 Stephan Gunkel: Nach unserer Meinung müsste ein Abwasser nicht in ein Gewässer geleitet werden, sondern das Abwasser müsste gesäubert werden. Wenn sie eine kommunale Kläranlage haben, dann darf sie das Wasser natürlich nur einleiten, wenn es gesäubert wurde. Und hier ist es eben so, dass das Wasser eingeleitet wird, obwohl es extrem versalzen ist. Und das dürfte eigentlich nicht sein. Autorin: Schuld an dieser Versalzung sei die Halde eins, glaubt der BUND- Mitarbeiter. Dort habe das Unternehmen leider keinen Entwässerungsgraben gezogen so wie bei der größeren Halde zwei. Fällt ein Regentropfen auf den Salzberg und rinnt langsam nach unten ist er am Fuß der Halde bereits zu einer dünnen Salzlauge geworden. Seit bald vier Jahrzehnten kann diese Salzlauge ungehindert in die Bäche und ins Erdreich fließen, ärgert sich Stephan Gunkel. O-Ton 26 Stephan Gunkel: Südlich von Loitsche sieht man jetzt hier ausgebreitete Wiesen, das ist im Prinzip eine Flussaue. Und hier hat man schon jetzt das Problem, dass das Grundwasser stark versalzen ist. Und da besteht die Gefahr, dass einfach die Flächen auch weiträumig versalzen. Also es wird geschätzt, dass etwa in zehn, zwanzig Jahren, sich diese Versalzung im Grundwasser so weit ausgebreitet hat, dass zum Beispiel Burg und Tangermünde auch betroffen sind. Autorin: Schmilzt der Schnee, könne man das mit bloßem Auge sehen. Spätestens im Frühjahr sind die Wiesen dann nicht mehr saftig grün, sondern nur noch welk und braun, sagt Stephan Gunkel und zuckt bedauernd die Schultern. Atmo 25 Wasser plätschert, Wildgänse gackern Autorin: Eine Stunde später steht der Naturschützer am Ufer der Elbe und schaut gedankenverloren aufs Wasser. Eilig strömt der ungezähmte Fluss an ihm vorbei. Im Winter und Frühjahr trägt die Elbe viel Wasser, im Sommer und Herbst dagegen wenig. Jetzt im Februar fließt sie satt, kleine Strudel kräuseln sich im dunklen Wasser. Auf der gegenüberliegenden Uferseite streiten sich ein paar Schwäne und Wildgänse um das Futter. Atmo 26 Wasser strudelt aus einem Loch Autorin: Stephan Gunkel läuft ein paar Schritte nach links. Zwischen zwei Buhnen hat er eine ungewöhnliche Öffnung entdeckt. Aus dem betonierten Ufer ragt ein rechteckiger Stahlschlund. Unaufhörlich strömt daraus Wasser, das über eine Rinne in die Elbe fließt. Es ist die aufgefangene Salzlösung aus der Produktion und der Halde zwei, erklärt der Umweltschützer. Die Einleitung in die Elbe sei eine bessere Lösung als die Salzlauge einfach ungehindert ins Grundwasser sickern zu lassen. Aber es gibt noch umweltfreundlichere Methoden. O-Ton 27 Stephan Gunkel: Man kann zum einen die Salze wieder nach unten bringen in die Hohlräume in den Bergbaugebieten. Zum anderen kann man das Salz von dem Salzabwasser trennen, zum Beispiel durch eine Verdampfungsanlage. Autorin: Solch eine Anlage aber kostet Geld. Geld, das sich die Kali und Salz AG sicherlich leisten kann, sagt Stephan Gunkel. An der Werra denke das globale Unternehmen inzwischen laut über den Einsatz dieser Anlage nach. Der öffentliche Druck durch Anwohner und auch Kommunalpolitiker ist denen einfach zu groß geworden, freut sich der Naturschützer. Fragt man in Loitsche nach, geben sich die Menschen lieber bedeckt. Das Kaliwerk ist der größte Arbeitgeber weit und breit und noch immer hofft man, sich im Stillen mit der ortsansässigen Tochter der Kali und Salz AG einigen zu können. Stephan Gunkel schaut skeptisch drein. Solange das Unternehmen keine Auflagen erhält, werde es weiter machen wie zuvor. Das landeseigene Bergamt schreibt dem Zielitzer Werk ja noch nicht einmal den Versatz vor, stellt der BUND-Mitarbeiter fassungslos fest. O-Ton 28 Stephan Gunkel: Also aus unserer Sicht ist Versatz eigentlich Stand der Technik und deshalb sollte grundsätzlich ein Versatz im Salzbergbau auch gemacht werden: Das heißt die Salze, die man nicht braucht, die Abraum sind, sollte man wieder unter Tage bringen und damit die Hohlräume verfüllen. Das ist nicht nur aus ökologischen Gründen sinnvoll, sondern auch, weil das den Bergsenkungen vorbeugt. Aus meiner Sicht ist das kein nachhaltiger Bergbau und es ist unverantwortlich, das so zu genehmigen. Autorin: Am Ende seiner Tour durch Loitsche fährt der Umweltschützer mit dem Auto weiter bis zur Halde zwei. Die letzte Strecke muss er zu Fuß durch einen ausgemergelten Fichtenwald zurücklegen. 210 Meter hoch türmen sich die Salzberge vor ihm auf und tagtäglich werden es mehr. Um die quadratisch angelegte Halde hat das Unternehmen einen Graben legen lassen. Eine Rinne aus brauner Keramik sammelt das Salzwasser auf, das aus dem Abraum tritt. Pumpen drücken die salzige Lösung in ein Becken. Von dort fließt es über lange Röhren in die Elbe hinein. Trotz dieser umweltfreundlicheren Variante macht Stephan Gunkel keinen glücklichen Eindruck. Atmo 27 Krähen O-Ton 29 Stephan Gunkel: Also hier sind wir am Fuß der Kalihalde und man sieht, dass das Sickerwasser von den Halden entlang fließt. Zum Teil wird es aufgefangen und zum Teil fließt es gar nicht in die Rinne, die hier angelegt ist, sondern fließt einfach neben der Rinne und kann an diesen Stellen natürlich auch ins Grundwasser versickern. Und man sieht auch, dass die Rinne gar nicht gepflegt ist. Es tritt einfach über, weil die Rinne voller Sand ist. ... Autorin: Stephan Gunkel kann nicht verstehen, wieso das sachsen- anhaltische Bergamt diese Anlage so lasch überprüft. Eine geregelte Abwasserabführung sehe anders aus. O-Ton 30 Stephan Gunkel: Das Unternehmen macht sich noch nicht einmal die Mühe, den Anschein zu wahren, dass sie das Salzwasser hier geregelt abführen. Offenbar prüft das Bergamt das gar nicht richtig. Autorin: Hier gibt es noch einiges für uns zu tun, sagt der Mitarbeiter vom BUND und wirft bei seinem Abschied noch einmal ein kurzen Blick auf die Elbe, die sich landeinwärts durch die schneeverwehten Auen schlängelt. MUSIK VII Titel: Peer Gynt Suite No. 1, Op. 46 Komponist: Edvard Grieg Interpret: St. Louis Symphony Orchestra Ltg. Leonard Slatkin Verlag: Telarc, LC 05307 Atmo 28 Oase, Wasser plätschert Autorin: Die Gemeinde Zielitz in Sachsen-Anhalt liegt nördlich von Magdeburg. Von der A2 aus ist das 2000-Einwohner-Dorf leicht zu erkennen. Denn sein Wahrzeichen, der Kalimandscharo, ein riesiger Salzberg, ist schließlich die höchste Erhebung zwischen Magdeburg und der Ostsee. Seit kurzem hat Zielitz auch eine grüne Oase. Die liegt mitten in der Ganztagsschule Werner Seelenbinder. Palmen, Gräser und krautige Pflanzen wachsen unter dem überdachten Pausenhof. Sogar ein kleiner Bach mit Wasserfall schlängelt sich durch die Oase. Atmo Oase Autorin: 4,7 Millionen Euro haben die Gemeinden Zielitz und Loitsche sowie der Landkreis Börde in die grüne Oase, das schicke Schulhaus und in eine neue Bibliothek mit plüschigen Sofas und gemütlichen Sitzecken investiert. Bürgermeister Dyrk Ruffer erläutert das Konzept: O-Ton 31 Dyrk Ruffer: Wenn man auf Bildung Wert legt im Ort, dann gehört eine Bibliothek eigentlich unweigerlich dazu und die Kombination Schule und Bibliothek ist glaube ich der Idealfall, dass man Kinder heranführt und trotzdem offen ist nach außen für Erwachsene. Autorin: Während andere Gemeinden in Sachsen-Anhalt aufgrund ihrer leeren Haushaltskassen nicht nur ihre Stadtbibliotheken schließen müssen, leistet sich Zielitz gleich einen Neubau. Im Jahr 2008 konnte die Gemeinde neun Millionen Euro an Gewerbesteuern einnehmen. Im Schnitt liegen wir aber eher bei dreieinhalb Millionen Euro, sagt der CDU-Politiker und bekennt dann offenherzig: O-Ton 32 Dyrk Ruffer: Zielitz gäbe es in der Form nicht, wenn es das Werk nicht gäbe, das ist ganz klar. Autorin: Zielitz und das Kaliwerk. Ein Liebes- oder doch eher ein Abhängigkeitsverhältnis? Das eine hängt unweigerlich mit dem anderen zusammen, soviel ist klar. Geht es dem Unternehmen gut, geht es auch der Gemeinde gut. Wer sich auf diesem Flecken Erde den Traum vom Eigenheim leisten möchte, den belohnt die Gemeinde mit 5.000 Euro. Und pro Kind legt sie dann noch einmal 1.000 Euro drauf. Die Bewohner von Zielitz scheint der Ausblick auf das monströse Industriewerk mit seinen schlotenden Türmen und den grell beleuchteten Fördertürmen nicht weiter zu stören. Die beiden Salzberge sind längst zum Wahrzeichen geworden. Wer sich in Zielitz umhört, der hört kaum jemanden schlecht reden über das Kaliwerk. Auf die Frage nach Umweltproblemen folgt ein Achselzucken. Dyrk Ruffer sagt, man kooperiere sehr gut miteinander: O-Ton 33 Dyrk Ruffer: Das Werk hat für unsere Probleme immer offene Ohren. Und wir sind natürlich auch als diejenigen, die politisch mit bei Entscheidungen notwendig sind, auch die, die die Interessen des Werkes mittragen. Na ja am Ende ist es ja schon ein Betrieb, der auch mit Problemen behaftet ist, wenn ich die Kalihalden sehe und die Abgase, da könnte es natürlich auch schnell Stimmung geben, die eher negativ sind und dort wirken wir soweit das eben vernünftig ist und geht mit ein. Atmo 29 Gesang Zwischen Berg und tiefem tiefem Tal ... Autorin: In Sachsen-Anhalt denken zurzeit kreisfreie Städte wie Dessau- Rosslau intensiv über Einsparungen aller Art nach. Die Stadtväter wollen vor allem die freiwilligen Zahlungen an kulturelle Einrichtungen massiv kürzen. Auch das Anhaltische Theater ist davon betroffen. Die kleine Gemeinde Zielitz kann sich dagegen ein eigenes leisten: das Holzhaustheater. Noch ist es in einem hässlichen Containerbau untergebracht. Im kommenden Jahr aber will die Gemeinde die alte Turnhalle sanieren und zur Spielstätte des Holzhaustheaters umfunktionieren. Die neue Turnhalle mit dem Namen Glück Auf steht schon längst neben dem Schul- und Bibliothekskomplex. Atmo 30 Theater kurz hochziehen Autorin: Sabine Vorpahl hat das Holzhaustheater vor elf Jahren zusammen mit ihrem Mann gegründet. Die Gemeinde unterstützt uns finanziell, erzählt die Journalistin. Doch ohne das Kaliwerk würden wir gar nicht existieren. Vor elf Jahren durften zum ersten Mal Besucher die Salzberge erklimmen. Auch Sabine Vorpahl kraxelte nach oben und war von der Salzkulisse schwer beeindruckt. O-Ton 34 Sabine Vorpahl: Und dann diese Formationen, die das Salz bildet. Das sieht aus wie Gran Canaria oder so. Nur dass es viel härter ist, es ist ja kein Sand, sondern Salz. Und ich habe so dahin gesagt, da könnte man einen utopischen Film drehen, so verrückt sieht das da aus. Autorin: Stattdessen gründeten Sabine Vorpahl und ihr Mann das Holzhaustheater. Der Verein hat 70 Mitglieder und bietet inzwischen auch professionellen Schauspielunterricht an. An diesem Nachmittag lernt der Nachwuchs das richtige Hasenhüpfen. Im Sommer sollen die Kinder das Märchen vom kleinen Angsthasen aufführen. Sabine Vorpahl gibt den zehn Kindern Regieanweisungen: Atmo 31 Achtung bitte, Ruhe hinter der Bühne, Konzentration, ihr seid nicht mehr Lena und Nele und Jupp, sondern ihr seid die Hasen. Achtung und bitte. Uahh ... hüpfen Autorin: Höhepunkt im Jahr sind zweifelsohne die Kalimandscharo-Festspiele. Sie finden immer im Sommer statt, mitten auf dem Plateau der Halde eins. Eine bessere Kulisse kann man sich einfach nicht vorstellen, schwärmt Sabine Vorpahl. Die Zuschauerzahlen geben ihr recht. An den drei Wochenenden spielt das Holzhaustheater vor ausverkauften Plätzen. Doch ohne die Hilfe und Kulanz des Zielitzer Kaliwerkes können unsere Festspiele gar nicht stattfinden, betont Sabine Vorpahl. O-Ton 35 Sabine Vorpahl: Das ist viel Arbeit, diese Fläche verwittert übers Jahr. Muss immer wieder neu geschoben werden, da müssen neue Salzlagen aufgeschüttet werden. Also es müssen neue Salzlagen aufgeschüttet werden. Es muss geschoben werden, damit die Bühne überhaupt stehen kann. Atmo 22 Wer von euch weiß denn, was mit weißem Gold gemeint ist? Kalisalz! Autorin: Die zehn Kinder kennen den Zusammenhang zwischen Kaliwerk und Kalimandscharo ganz genau. Der zwölfjährige Jupp weiß auch von den Umweltbelastungen. Aber auch er hat Verwandte, die zur Arbeit in die Grube fahren. Die Kinder aus Zielitz können sich ein Leben ohne die Salzberge nicht vorstellen. O-Ton 36 Jupp, Genevieve und Lena: Nein, nein, dann würde es ja auch nicht das Holzhaustheater geben. ... Weil das so ein bisschen wäre wie Harz ohne Brocken. Eben diese Berge, die wären dann irgendwie alle weg und das ist ein riesengroßer Unterschied, weil sonst wäre das ja wieder nur Tiefland und tja dann würden zwar Wälder wachsen, aber dieser Berg ist schon was Einmaliges. ... Also der ist auch wie so ein Zeichen von Zielitz. ... Wenn wir manchmal wegfahren, dann sage ich immer dahinten ist Zielitz, wenn man den Salzberg dann sieht und ohne den Salzberg, da würde was fehlen. Musik hoch SpvD: Der Kalimandscharo von Zielitz Die höchste Erhebung zwischen Magdeburg und der Ostsee Das war eine Deutschlandrundfahrt mit Susanne Arlt Musik hoch 1