Welcome, Mr. Barleycorn Die Lange Nacht des Whiskeys Autor: Rüdiger Heimlich Regie: Claudia Mützelfeldt Redaktion: Dr. Monika Künzel Sprecher: Josef Tratnik (Erzähler) Gunter Schoß (Zitator I) Bernt Hahn (Zitator II) Thomas Anzenhofer (Zitator III) Sendetermine: 24. Dezember 2016 Deutschlandradio Kultur 24./25. Dezember 2016 Deutschlandfunk __________________________________________________________________________ Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - unkorrigiertes Exemplar - insofern zutreffend. 1. Stunde MUSIK Piano Bar Musik, vielleicht Michel Petruciano. Trio in Tokio. "Home" oder "Cantabile". SPRECHER JOSEF TRATNIK Whiskey - ob Scotch, Irish, Bourbon, japanischer Jamazaki oder, ja, auch deutscher Whiskey - in den vergangenen zehn Jahren hat das Destillat eine steile Karriere gemacht. Als ein Getränk für Kenner, für Gentleman und, ja, auch für Ladies. Whiskey hat das Aroma der großen weiten Welt. Whiskey hat Geschichte und er kann Geschichten erzählen Von salzigem Wind und vom Sound des Meeres ... ... von den Straßen Chicagos oder den Clubs von Harlem ... ... von kantigen Detektiven und furiosen Damen ... Wir laden Sie ein zu einem literarischen Whiskey-Tasting. Begleiten Sie Autoren wie Flann O'Brien oder Heinrich Böll, T.C. Boyle oder Charles Bukowsky zu einem Glas Whiskey ... ... auf die schottischen Highlands und an die irische Küste... ... zurück in die Roaring Twenties oder in die Bars des Wilden Westens... Willkommen also zu einer langen Nacht des Whiskeys. Und damit - Klang von anstoßenden Gläsern - Welcome, Mr. Barleycorn. MUSIKAKZENT SPRECHER JOSEF TRATNIK Ob pur, mit Wasser oder on the rocks - er fasziniert die Kenner wie die Sammler. Und so wie ein Whiskey reifen muss, so hat auch der wahre Whiskey-Trinker ein gereiftes Verhältnis zum Alkohol. O-TON NOURNEY 1 0:48 Ich stelle fest, dass die meisten Leute erst so mit 35, 40 zum Whiskey kommen. Also es hat einerseits ein bisschen was mit dem Alter zu tun. Whiskey ist natürlich auch eine teure Geschichte, das heißt Whiskey muss man sich leisten können. Und von der Seite her ist es meistens eine gewisse Bevölkerungsschicht, die Whiskey trinkt: Meistens mit einem höheren Bildungsabschluss, Leute die sich auch mit dem Hintergrund von Whiskey beschäftigen möchten und die nicht einfach nur Trinken möchten. Das Schöne bei Whiskey ist ja, das es eher Bildungstrinken ist. Man lernte viel über Geschichte, über Regionen kennen, man lernt viel über Menschen kennen. Es ist wirklich eine Art Bildung, wenn man sich mit Whiskey beschäftigt. Also ich glaube, ganz, ganz viele Sachen in meinem Leben von denen hätte ich nie irgendwo erfahren, wenn ich mich nicht mit Whiskey beschäftigt hätte. SPRECHER JOSEF TRATNIK Julia Nourney ist eine der besten Whiskey-Kennerinnen im deutsch-sprachigen Raum, aber auch in Schottland, Irland oder den Vereinigten Staaten eine gefragte Expertin. Eine Frau und Whiskey? Waren Whiskey-Trinker bislang nicht vor allem Cowboys, kantige Detektive und coole Stars wie Frank Sinatra oder Humphrey Bogart? O-TON NOURNEY 2 Bis vor 20 Jahren, würde ich sagen, eine fast gänzlich männliche Klientel, zwischenzeitlich finden ja glücklicherweise auch sehr, sehr viele Frauen den Weg dahin. Also da hat sich sehr, sehr viel geändert. SPRECHER JOSEF TRATNIK Julia Nourney kam vor über 20 Jahren durch ihren Mann zum Whiskey. Die Vielfalt der Aromen hat sie so begeistert, dass sie ihre Faszination zum Beruf machte. Heute ist sie Independant Spirit Consultant - unabhängige Beraterin von Brennereien, die ihre Expertise suchen, wenn es zum Beispiel darum geht, einen neuen Blend, einen neuen Geschmack zu kreieren. Dazu gehören eine feine Sensorik und viel Erfahrung. Dabei wäre manch einer schon glücklich, wenn er wüsste, wie man Whiskey trinkt. Machen wir eine Blindverkostung: O-TON NOURNEY 4 0:46 Ich schau mir erst mal die Farbe des Whiskeys an, stelle Vermutungen an, ob er eventuell gefärbt ist oder nicht. In dem Fall bin ich mir ganz sicher, weil wir haben hier einen sehr, sehr hellen Whiskey, ich würde ihn fast als Weißgold bezeichnen von der Farbe her. Dann rolle ich den Whiskey im Glas und schaue mir die Schlieren-Bildung an. Man sieht ja am Glas immer sehr gut, ob ein Whiskey in sehr dicken, ganz langsamen Nasen runterläuft oder ob er eher in ganz dünnen, sehr schnell laufenden Nasen am Glasrand runterläuft. Das ist für mich persönlich relativ wichtig, weil das ist eine gewisse Aussage darüber wie alt der Whiskey ist, und wie lange er wirklich im Fass war. SPRECHER JOSEF TRATNIK Zum Whiskey-Trinken braucht man auch (die) "Nase". O-TON NORNEY 5 Da ist es sehr wichtig, dass man jedes Nasenloch für sich selber sprechen lässt. Also ich bin nicht eine, die den Zinken so ganz weit ins Glas hebt und dann so zwei, drei Mal ganz intensiv daran riecht. Das bringt überhaupt nichts. Dann gehen einem nur die alkoholischen Dämpfe in den Kopf und man wird sehr schnell betrunken davon. Ich rieche eigentlich eher vorsichtig am Glas, rechts und links, lass in jedem Nasenloch einen eigenen Eindruck entstehen, weil wir unterschiedliche Gesichtshälften haben und deswegen auch unterschiedlich große Nasenmuscheln haben und aus diesem Grund auch unterschiedliche Aromen wahrnehmen können. Musikakzent O-TON NOURNEY 6 0:28 Ich habe hier sehr schöne fruchtige Aromen, eher elegante, weiche Aromen, ein bisschen frisches Gebäck, frische Fruchtaromen, ja vielleicht ein bisschen Birne, ein bisschen Apfel, ein paar exotische Früchte, aber nicht sehr viel. Ich würde eher von einer sehr weichen, getreidigen Note ausgehen, nichts, was sehr viel Rauch oder Torf mit sich bringt, sondern eher etwas ganz, ganz Weiches. SPRECHER JOSEF TRATNIK Man sollte nur dabei das Trinken nicht vergessen. .. O-TON NOURNEY 7 1:11 Ich bewege den Whiskey absichtlich intensiv im Mund, so dass er wirklich alle Bereiche des Gaumens benetzen kann. Beim ersten Schluck brennt das dann erst Mal ganz ordentlich. Das ist aber ganz normal. Weil der Gaumen muss sich erst mal dran gewöhnen, dass jetzt was Hochprozentiges kommt. Deswegen ist es vielleicht auch ganz gut, erst den zweiten Schluck zu beurteilen und nicht den allerersten. Und dann lass ich den Whiskey am Gaumen stehen, ziehe ein bisschen Luft drüber. Das kennen Weintrinker, das ist so ein Geschlürfe, aber das können Whiskey-Trinker auch ganz gut. Es kommt vielleicht in einer edlen Bar nicht gut, aber zu Hause mache ich das definitiv, weil ich dadurch einen besseren Gesamteindruck bekomm. Und nach dem Schlucken, und das ist für mich so ne ganz wichtige Sache, ich atme danach kräftig aus. Dieses Ausatmen bündelt mir noch einmal sämtliche Aromen. Und da kriege ich einen sehr, sehr schnellen Eindruck davon auch wie der sogenannte Nachklang ist, der Nachhall des Whiskeys, oder wenn man es einfach englisch ausdrücken will: das Finish. Musikakzent O-TON-NOURNEY 7 Ein sehr weicher Whiskey, sehr schön fruchtig. Das ist jetzt der erste Schluck, das heißt mir läuft jetzt erst Mal ganz, ganz viel Wasser im Mund zusammen. Ich muss jetzt immer noch mal nachschlucken. Ja ich schmatz hier gerade eben mal. Entschuldigung. Aber ein sehr weicher Whiskey, sehr elegant. Ich würde auf einen Scotch tippen, ich würde auf einen Single Malt tippen, mittleren Alters, vielleicht so um die acht bis zwölf Jahre, für mich wäre das sicherlich ein relativ typischer Spaysider. SPRECHER JOSEF TRATNIK Ein Glenbourgy, 10 Jahre alt, Einzelfassabfüllung mit 46 Prozent. - Man sollte überhaupt nur mit Profis trinken. Da kann man was lernen. Wie sagt ein schottisches Sprichwort? Ein Glas ist fabelhaft, zwei sind zu viel, drei sind zu wenig. MUSIKAKZENT SPRECHER JOSEF TRATNIK Beginnen wir unsere Whiskey-Reise im rauen, beinahe baumlosen Norden Schottlands, wo die Atlantikwinde über Fels und Torfwiesen fegen. Ruinen verlassener Dörfer zeugen von der Armut des Landes und den Auswanderungswellen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Für die Schotten stehen die Ruinen auch für den Niedergang der gälischen Kultur unter den Engländern. Auch wenn ihnen Robert Bruce und Rob Roy, Maria Stuart und Bonnie Prince Charlie unterlagen - die Schotten machten aus ihren gescheiterten Helden unbesiegbare Mythen. Eine legendäre Stätte ihres Freiheitskampfes ist das Cullodon Moor nördlich von Inverness. Hier unterlagen die schottischen Clans unter Bonny Prince Charlie am 16. April 1746 den Engländern - es war die letzte Schlacht im schottischen Unabhängigkeitskampf. Theodor Fontane machte im Sommer 1858 auf seiner Reise "Jenseits des Tweed" Halt auf dem Schlachtfeld. Und er erfährt dort einiges über das besondere Verhältnis der Schotten zur Freiheit und zum Whiskey. MUSIKAKZENT SPRECHER BERNT HAHN Wir mochten eine gute Viertelstunde gegangen sein, als sich plötzlich der Blick nach allen Seiten erweiterte und unser Führer, mit der vollen Hand ins Blaue deutend, ausrief: "There's Culloden-Moor." Ziemlich zu unseren Füßen und das Hügelterrain umzirkelnd, aus dem wir eben heraustraten, floss ein Bach, halb Graben, halb Bergwasser, und bezeichnete die Grenze zwischen dem diesseits gelegenen Gartenland von Inverness und der Öde des Moorlandes, das jenseits lag. Wir passierten eine alte Feldsteinbrücke, die über den Bach führte, und standen nun auf Culloden-Moor. Dies berühmt gewordene Moorland dehnt sich meilenweit in nordöstlicher Richtung aus und würde an sich selbst nicht verfehlen, durch seine Stille und Öde einen Eindruck auf den Reisenden zu machen, auch wenn man nicht wüsste, dass es ein Schlachtfeld und die Grabstätte so vieler tapferer Männer sei. Die absolute Öde dieses meilenlangen Moors, darauf nicht Baum und Strauch gedeiht, wirkt ängstigend und bedrückend, auch ohne die Attribute eines besonderen Schreckens. Es ist schwer zu sagen, was furchtbarer sei, die Einsamkeit auf einem stillen oder einem empörten Ozean. Wir marschieren nun weiter feldeinwärts, bis wir eine Art Rondell, eine Oase, erreichen, die die Öde des Moores wie eine Parkanlage unterbricht. Dies ist, wenn nicht das eigentliche Schlachtfeld, so doch der Punkt, wo am heißesten gestritten und die Niederlage der Hochländer entschieden wurde. Der Platz ist natürlich auch die Hauptbegräbnisstätte geworden und trägt völlig den Charakter eines verödeten und verfallenen Kirchhofes. Ich bin über viele Schlachtfelder gegangen, aber keines hat einen so bestimmten Eindruck in mir zurückgelassen. Sonst stieg das Ackerfeld über das Schlachtfeld; hier aber ist der grüne Rasen des Grabes Sieger geblieben. Hier wurden die Frazers, die Macintosh, die MacPhersons und die MacDonalds bestattet, jene vier Clane, die noch bis diesen Augenblick um Inverneß herum ihre Sitze haben. Die Monumente links vom Wege beschränken sich auf einen Haufen Steine. Sie sollten ein Monument werden, liegen aber jetzt nur da als ein Monument der Schmach, der Rohheit und des Betruges. Es hat damit folgende Bewandtnis. In der Mitte der vierziger Jahre trat in Inverness ein Komitee zusammen, das die Absicht aussprach, auf dem Schlachtfelde ein Culloden-Denkmal zu errichten. Die Idee fand Anklang; ziemlich bedeutende Summen wurden gezeichnet, Pläne eingesandt und Feldsteine in langen Wagenreihen bereits hinausgefahren, um vorweg Baumaterial und Fundament zu haben. Als die Begeisterung auf ihrer Höhe war, geschah, was in England nur allzu oft geschieht: Sekretär und Kassierer wurden unsichtbar. Jetzt erfolgte ein Umschlag in der Stimmung. Das Volk von Inverness, gleichviel, ob es beigesteuert hatte oder nicht, schickte sich an, wenigstens ein Culloden-Fest an Stelle des Culloden-Denkmals zu haben und zog zu Tausenden auf das Schlachtfeld hinaus. Die ersten Stunden vergingen ohne Exzesse, und einige Redner suchten das Volk für die Idee zu begeistern, aus dem bereits vorhandenen Material eine Steinpyramide aufzuschichten. Man begann auch, aber eh' noch irgendein Resultat gewonnen war, fing der Whisky an, seine Wirkung zu äußern. Der Steinhaufen, der schon dalag, wurde auseinandergerissen; dem Sekretär und Kassierer wurden Hochs gebracht, "weil sie gescheite Leute gewesen seien", die Gräber wurden zu Zech- und Tanzplätzen, und eine von Lärm, Übermut und Whisky berauschte Menge zog endlich wieder in die Stadt zurück. Wie jene wüste Nacht das intendierte Monument ließ, so ist es geblieben, ein Haufen Steine, teils noch aufgeschichtet daliegend, teils umhergestreut, das Ganze eine Stätte der Verwüstung. Theodor Fontane. Jenseits des Tweed. Kapitel 20. MUSIKAKZENT SPRECHER JOSEF TRATNIK Scotch ist der beliebteste Whiskey weltweit, Nationalgetränk und Exportschlager. Und damit den Schotten beim Scotch keiner den Rang abläuft, ist er auch ein geschützter Markenartikel. Ein Gesetz schreibt genau vor, wann ein Scotch ein Scotch ist. O-TON NOURNEY 9 Es gibt den sogenannten Scotch Whiskey Act und da steht drin, dass für einen Single Malt eben nur 100 Prozent reines Gerstenmalz verwendet werden dürfen, dass für einen Blend eben Weizen und Mais verwendet werden dürfen und ein kleines bisschen Gerstenmalz dazukommen muss. Das sind so feste Vorgaben und die bilden natürlich einen Geschmack. Ein ganz wesentlicher Punkt macht ja immer die Reifung aus. Man spricht davon, dass rund 60, 65 Prozent des Geschmacks alleine von der Reifung kommen. Und auch da gehen die Schotten ihren eigenen Weg. Weil die Schotten mögen keine starken Holzaromen, das heißt, die verwenden am liebsten gebrauchte Fässer, das heißt ehemalige Bourbon-Fässer, ehemalige Sherry- oder Port-Fässer. Und diese Fässer sind alle schon ausgelaugt durch die vorhergehende Belegung und dadurch geben die nicht mehr so wahnsinnig viele reine Holzaromen ab, also dieses bittere Taninlastige, was wir von manchen fassgelagerten Weinen eben auch kennen, was so ein bisschen den Mund trocken macht, so ein bisschen die Wangen zusammenziehen lässt. Das sind Aromen, die die Schotten gar nicht so gerne mögen. Die mögen also lieber diese ganz zarten Aromen und lassen deswegen lieber ihren Whiskey für viele Jahre in den Fässern liegen, in Fässern, die nicht mehr sehr aktiv sind, nicht mehr viele Holzaromen abgeben. Und diese sehr beruhigte Reifung, das lange Liegenlassen in einer feuchten Lagerhausumgebung, das heißt natürlicher Erdboden, das heißt wir haben darin eine sehr hohe Feuchtigkeit, wir haben eine relativ konstante Temperatur, wir haben es im Winter nie richtig kalt, im Sommer nie richtig warm. Und diese Aromen, die dadurch ganz langsam in den Whiskey übergehen, dieses vorsichtige, sehr langfristige Atmen im Fass, das ist das, was einen schottischen Whiskey so speziell macht und genau diesen ganz speziellen Geschmack gibt. SPRECHER JOSEF TRATNIK Auch der Begriff Single Malt ist gesetzlich definiert. Das Wort Single weist daraufhin, dass es sich hier um einen Whiskey aus einer einzigen Brennerei handelt. Malt bedeutet, dass das Grundmaterial zu 100 Prozent Gerstenmalz ist. Und: Ein Scotch muss wenigstens drei Jahre im Eichenfass reifen. Hopfen und Malz, Gott erhalt's. Schottischer Whiskey ist also ursprünglich nichts anderes als destilliertes Bier. Aber warum haben sie für ihren Schnaps keinen Wein genommen? O-TON NOURNEY 10 1:30 Ich gehe nach wie vor davon aus, dass die Iren den Whiskey erfunden haben, weil, wenn man sich anschaut, welche Wege missionierende Mönche in Europa genommen haben, dann waren die eben einfach zuerst in Irland und dann erst in Schottland. Und die Mönche, die überall Wein destilliert haben, um Wein haltbar zu machen oder um den destillierten Wein medizinisch zu nutzen, sind über den Kanal nach Irland gekommen und haben dort festgestellt, hier wachsen keine Trauben, hier gibt es keinen Wein. Und die Iren haben aber trotzdem etwas getrunken, was entweder aus Brot gemacht wurde, also vergorenes Brot, feuchtgewordenes, gegorenes Brot, ein Brottrunk, oder eben aus Getreide direkt angesetzt haben, weil das Getreide war denen ihr Wein sozusagen. Und als man das destilliert hat, war man im Prinzip schon auf dem besten Weg dahin, Whiskey zu schaffen, weil man Getreide destilliert hat. Das waren sicherlich die Ursprünge. Damals natürlich noch nicht fassgelagert, damals kannte man auch noch nicht die Techniken der Vorlauf und der Nachlaufabtrennung, damit ein Destillat reiner wird, sauberer wird, besser schmeckt und auch keine giftigen Bestandteile mehr hat. Das kannten die damals natürlich alles noch nicht. Deshalb hat man damals, um das einfach genießbar zu machen, jede Menge Kräuter reingeschmissen, lokale Kräuter. Man hat ihn weiß getrunken, ihn destilliert und sofort getrunken. Ich glaube es ging weniger darum, dass man da den großen Genuss hatte, sondern es ging glaube ich in der Hauptsache darum, dass es knallt. SPRECHER JOSEF TRATNIK Bis aus Biermaische Whiskey wird, dazu brauchte es viele Generationen. Jahre des Ausprobierens, auch der Zufälle, und der wachsenden Könnerschaft. Manches wird im Verborgenen stattgefunden haben, denn wegen der hohen englischen Whiskey-Steuern wurde viel schwarzgebrannt und geschmuggelt - auch das war eine Form des schottischen Widerstands. Johannes Soyener beschreibt die Geschichte eines schottischen Clanchefs, der mit seinen Söhnen schwarzbrennt und ständig auf der Hut vor den englischen Whiskyjägern sein muss. MUSIKAKZENT SPRECHER GUNTER SCHOß Johannes K. Soyener. Teeclipper. Kenneth starrte angestrengt auf das farblose Destillat, das im stetigen Fluss der gewundenen, kupfernen Kühlschlange entströmte. Es war ein Augenblick der Anspannung und ein Augenblick der Entscheidung, während sich der Torfrauch über dem Dach von Scoury House mit dem dichten Nebel des Herbstes mischte. Kenneth schien der Moment nahe, an dem der erste Teil des Destilliervorgangs, die Erzeugung der low wines, seinen Abschluss fand. Er allein besaß im Clan der Mackays das Gespür, genau wissen, wann der Augenblick gekommen war, an dem statt low wines nur noch Wasser und Fuselöle aus der unpolierten kupfernen Brennblase nachliefen. Im gleichen Moment würde er seinen Vater anweisen, rasch das Auffanggefäß zu wechseln. Seine Konzentration ließ auch dann nicht nach, als sein Vater Magnus das trockene Gewölbe betrat. Hier entwickelten sich Aromen, die allmählich den süß-modrigen Geruch von Hefe und den stechenden Geruch der Gärung zu verdrängen begannen, um ihn durch das unverfälschte Bukett der Konterbande zu ersetzen. Magnus trat nahe an seinen Sohn heran und wippte mit dem Fuß, als gehorche er dem Takt eines entfernten Trommelschlages. "Essenz, mein Sohn?" "Ja, immer noch!" "Wann ist es soweit?" "Jeden Moment!" "Lass mich probieren ... " Magnus war immer erpicht darauf, den frischen, ersten Brenndurchlauf zu verkosten. Das stetige Fließen des Rohwhiskys trieb ihm wahrlich die Ruhe aus der Seele. Er hielt seinen Quaich unter die Schlange. Seine Hand zitterte etwas. Kenneth sah in das Gesicht seines Vaters und wartete darauf, dass seine Zeremonie begann. Kenneth wusste, dass sein Vater schon nach dem ersten Destillat das Endprodukt zu beurteilen vermochte. Magnus hasste es, wenn sich jemand bei einem Gelage allzu mäßig zeigte, doch bei dieser wichtigen Probe war Nüchternheit oberstes Gebot. Auch der Traum von Glückseligkeit und Sorgenfreiheit, der ihn stets überkam, wenn der teigige Gerstenbrei in den Washbacks gärte und schäumte, war jetzt völlig aus seinen Gedanken Magnus nahm den Krug mit Quellwasser, das sie zur Herstellung der Maische verwendeten. Er verdünnte damit den Rohwhisky in seinem Quaich, um ihn auf Trinkstärke zu reduzieren, schwenkte ihn vorsichtig, schnüffelte sekundenlang daran und nahm dann einen kräftigen Schluck. Alsbald hatte er die Verbindung zwischen Geschmack, Gedächtnis und Verstand hergestellt. Schließlich sprach er das Urteil: "Aus deiner kupfernen Schlange fließt Gold, mein Junge! Ich würde damit meinen ersten Enkelsohn taufen!" O-TON NOURNEY 11 0:27 Der Schotte bezeichnet so was als Newmake, also als frischgemachtes Destillat. Das ist der weiße Whiskey, in den USA würde man das als Moonshine bezeichnen. Man darf das offiziell noch gar nicht Whiskey nennen, weil Whiskey heißt ja, dass man das Destillat erst mal für mindestens drei Jahre in Eichenfässern reifen lassen muss. Und aus diesem Grund spricht man da noch von Rohwhiskey oder von Babywhiskey oder eben von Newmake. SPRECHER GUNTER SCHOß Als Magnus einen weiteren Schluck aus dem Quaich genommen hatte, sagte er mit Pathos: "In Glasgow und in Paris werden sie nach unserem Whisky lechzen und mit dem Hintern vor Erwartung die Stühle wetzen." Für Kenneths Vater hatte das Wasser vom Allt a' Chalda Moor, das vom Cnoc an Droighinn herab etwas östlich von Scoury House in den Assynt floss und das sie seit drei Jahren verwendeten, den größten Anteil am Geschmack des Lebenswassers vom Assynt. "Es ist das Heidekraut oben am Südhang", philosophierte er gern, "mit Wolken voller Blütenstaub, den unser Wasser gefangen hält - und der Torf, durch den es geflossen ist ... " Für Kenneth waren es eher Art und Menge des Torfes, die beim Mälzen Verwendung fanden und somit den Charakter des Whiskys prägten. Daher war er tagelang stumm geblieben, als er aus dem Munde seines Vaters erfuhr, dass er für den neuen Ansatz fremde gemälzte Gerste einsetzen sollte. Auch die Begründung des Vaters - dass so der eigentümliche Geruch des Torfes wegfiele, der nicht nur aus dem Kamin, sondern auch über den Malzboden durch das Dach von Scoury House aufsteigen würde und alles Tun verraten könnte, und sich zudem die lange Zeit des Auskeimens und die harte Arbeit des Schrotens der Gerste erübrigten - konnte sein Schweigen nicht brechen. Doch schon die erste Prüfung des Malzes löste seine Zunge, als wäre ein Wunder geschehen. Es war das Islay-Malz, das Colin Morrison nach Lochinver geschmuggelt hatte. Keimende Gerste, über Torffeuer gedarrt, dessen Brennstoff über Jahrhunderte von salziger Gischt, gelöstem Seetang und dickem Seenebel getränkt worden sein musste und dessen Duft in die gemälzte Gerste eingegangen war. "Torf wie aus unserem Moor, genauso rauchig ... " Mit diesem Ausspruch wichen Unlust und Lähmung zugleich aus Kenneth Kopf und Gliedern. Die Instrumente der göttlichen Alchemie brachten ihn wieder in das Gewölbe und damit an den pot und spirit still. Scoury House besaß eine Destille, die nichts mit den unzulänglichen Brennkesseln in den sumpfigen Verstecken der meist Schwarzbrenner gemein hatte - von den miserablen Arbeitsweisen in den Schluchten und Mooren der Bergwildnis ganz zu schweigen. Im Kellergewölbe von Scoury House wurde der Whisky komfortabel und behaglich in kupfernen, birnenförmigen Brennblasen destilliert, in zwei aufeinanderfolgenden Stufen. Die erste Destillierblase, den pot still, füllte Magnus mit Angus' Hilfe mit vergorener Gerstenmaische, welche sie mit großer Sorgfalt in washbacks fermentiert hatten. Vor vielen Jahren noch hatten oftmals Essigstich und infolgedessen unreine Aromen die Maische geschmacklich beeinflusst, was den Whisky später ruinierte. Verschmutzungen, auf die nicht beachtet wurde, führten zu erheblichen Beeinträchtigungen der Maische. Manch einem moonshiner in den Highlands war dies völlig egal. In seiner Verzweiflung mischte er Gerste mit Mais, Hafer und verschiedenen Kräutern und brannte daraus einen so scharfen Fusel, dass man riskierte, das Augenlicht zu verlieren, wenn man davon trank, oder dem Wahnsinn anheimzufallen. Oder beides! Die Ehre der Mackays ließ unsauberes Arbeiten und eine schlechte Rohstoffauswahl nicht zu. Faulige, schimmelnde oder gar schmutzige Maische, die Verwendung ungeeigneter Gärgefäße und eine schlechte Gärführung waren in Scoury House unbekannt. "Aroma! Aroma! Und nochmals Aroma!" predigte Kenneth. Er war der Ansicht, dass bei abklingender Gärung bereits destilliert werden sollte. Magnus war sich dessen nicht sicher. Doch Einigkeit bestand zwischen Vater und Sohn darin, dass die erste Destillation einer der wichtigsten und zugleich schwierigsten Abschnitte beim Brennen eines vorzüglichen Whiskys war ... "Kontrolliere das Feuer, Vater!" Magnus schob den kleinen eisernen Riegel der Ofentür zurück. Die Torfstücke waren zu einem Gluthaufen zusammengeschrumpft. Sein Auge kreiste um die Öffnung und spähte in das Innere. "Die Hitze ist ausreichend, lässt jedoch nach ... ", brummte er. "Gut so!" erwiderte Kenneth. Magnus kam wieder heran, nahm ein Stück Hafergebäck von einem Teller und schlürfte erneut aus dem Quaich. "Eine bewundernswerte Essenz, mein Sohn! Das Verlangen der Menschen nach ihr ist unstillbar!" Kenneth starrte auf die kupferne Schlange und den Fluss. Dann benetzte er nacheinander die Finger seiner Hand mit low wines und führte sie zur Zungenspitze, probierte und wiederholte diese Prozedur etliche Male. "Vater! Jetzt wechseln!" rief er plötzlich. Magnus wechselte die Vorlage, indem er den halbvollen verkupferten Eimer gegen einen leeren tauschte. Vorsichtig nahm er den Behälter und entleerte ihn in die zweite Brennblase, die sie still nannten. Es war der zehnte Eimer an diesem Tag. "Wieviel wash haben wir noch?" fragte Kenneth. "Etwa einhundertzwanzig Gallonen." "Dann", sagte Kenneth nach einer Pause, "werden wir das heute noch destillieren. Wir haben dichten Nebel und günstigen Wind. Also ... Wir machen sofort weiter!" Die washtun und der wasbback, zwei gewaltige runde Behälter, standen in einer Höhle, die tief in den Fels des Cnoc an Droighinn gehauen war. Die Gärgase entwichen durch zwei Felsspalten, die hinauf zum südlichen Hang des Cnoc an Droighinn führten. Eine ideale Lösung, denn so war eine Entdeckung durch die Whiskyjäger praktisch ausgeschlossen. Lediglich das Atmen fiel allen in der Höhle immer schwerer, da eine gute Lüftung nur durch das Öffnen des einzigen Kellergangs zu erzielen war. Um das Herz der Brennerei zu schützen wurde der Abstieg durch eine Steinplatte getarnt, und der Clan hatte beschlossen, die Platte nur dann zu entfernen, wenn jemand dem Erstickungstod nahe war. Die Höhle selbst war durch einen geheimen Stichgang mit dem Kellergewölbe von Scoury House verbunden und konnte bei drohender Gefahr mit einem schweren Fels unauffällig verschlossen werden. Der Whisky selbst reifte in Scoury House in Fässern, die vor gut fünfzig Jahren, wie auch das Holz für das Dachgebälk, als Treibgut in der Clashnessie Bay angeschwemmt worden waren. Es musste ein Segler gewesen sein, der Sherryfässer geladen hatte. Jedenfalls hatte Magnus' Vater damit begonnen, seinen Whisky darin zu lagern. Als er ein vergessenes Fässchen nach Jahren der Lagerung verkostete, zeigte sich der ehemals fast farblose Whisky nicht nur eingefärbt, sondern auch im Geruch und Geschmack wohltuend beeinflusst. Es blieb das Geheimnis des Mackay-Clans vom Assynt, wie sein außergewöhnlicher Whisky geboren wurde. Lediglich David Cameron schien etwas zu ahnen, da er auf Anweisung von Magnus und Kenneth jedes Sherryfass, das über die Schmuggelkutter zu haben war, unbesehen für Scoury House aufkaufte. Doch seine Vorstellungen über die Bedeutung der Fässer waren zu vage, als dass er seine Neugier zielgerichtet hätte lenken können. O-TON NOUREY 12 1:26 Das sind die Ursprünge der Fassreifung in Schottland gewesen an sich. Man hat einfach festgestellt, dass Süßweinfässer, also alles, was man unter Sherry oder Port oder Madeira, Marsala, Sauternes versteht, dass das einen sehr, sehr guten Einfluss auf Whiskey hat. Diese ganz leichte Süße der Vorbefüllung gibt dem Whiskey eben ein sehr weiches, mildes Aroma. Deswegen werden sehr, sehr gerne Sherry-Fässer traditionell in Schottland eingesetzt, wobei diese Fässer heutzutage so teuer geworden sind, und der Umgang mit den ehemaligen Bourbon-Fässern eben wesentlich leichter geworden ist und deswegen auch die Verfügbarkeit auch immer wesentlich besser war. Man kann also davon ausgehen, dass heute 90 bis 92 Prozent aller Fässer, die in Schottland mit Whiskey befüllt in den Lagerhäusern reifen, ehemalige Bourbon-Fässer sind. Bourbon-Fässer geben eine sehr gute, zuverlässige, gleichmäßige Reifung und deswegen nimmt man sehr, sehr gerne ehemalige Bourbon-Fässer. Die sind eben zu allergrößten Teil aus amerikanischer Weißeiche gemacht und die Weißeiche hat einen sehr hohen Lignin-Anteil. Und Lignin schmeckt wie Vanillin und diese leichte Vanille-Note in einem Whiskey ist eben sehr angenehm, macht den Whiskey leicht und rund und deswegen eigenen sich diese ehemaligen Bourbon-Fässer so toll für die Reifung von Whiskey. SPRECHER GUNTER SCHOß Magnus schürte behutsam das Feuer unter dem spirit still, während Kenneth den Feinbrand kontrollierte. Sein ganzes Können und seine ganze Erfahrung waren in jenem Moment gefordert. Vater Magnus hatte diesen Teil der Arbeit schon vor neun Jahren an seinen ältesten Sohn abgetreten, als er bemerkte, wie exakt Kenneth bestimmen konnte, wann der für den Whisky schädliche "Nachlauf" begann. Dazu stellte Kenneth einen Spiegel hinter der kupfernen Schlange auf und ließ den Fluss des Destillats sich darin spiegeln. Aufgrund der unterschiedlichen Lichtbrechungen und Fließgeschwindigkeiten erkannte er wie kein anderer Whiskybrenner Anfang und Ende von Vorlauf, Mittellauf und Nachlauf. Sein Geschick, die Auffanggefäße genau im richtigen Zeitpunkt zu wechseln, war ausschlaggebend für die spätere Qualität des Whiskys. Ein wenig Nachlauf zuviel, und ein ledriger Geschmack konnte dazu führen, dass Kenneth das ganze Destillat in den Assynt kippen ließ. Sein Anspruch an die Qualität führte allerdings dazu, dass nur ein Teil des spirit- still-Destillats von ihm aufgefangen wurde. Das Maximum lag bei Kenneth nicht mehr als bei einem Drittel des gesamten Ansatzes. Der Vor- und Nachlauf wurde dennoch gesammelt und in den pot still zurückgeführt. Während Kenneth und Magnus wortlos, doch konzentriert ihren Whisky destillierten, hörten sie oben das Eingangsportal schlagen. Magnus lauschte angestrengt nach oben, während Kenneth sich völlig unbeeindruckt zeigte. Magnus stand auf und ging zum Kelleraufgang. Stimmen drangen an sein Ohr. Kurz darauf wurde von oben die Steinplatte angehoben. Seine Frau Barbara und Munro von der Achmore Farm, aus dessen Kleidern die frostige Winterluft auf ihn herabwehte, blickten bedeutungsvoll auf ihn hernieder. "Er ist zurück!" presste Munro heraus. Magnus ging die Stufen hoch und sagte fast ärgerlich: "Du kommst über mich wie der mahnende Jock Barefoot!", womit er auf jenen schottischen Geist anspielte, der nächtliche Reisende begleitet. "Aus welcher Richtung kam er?" "Von Norden. Sie haben den Fußweg östlich der Achmore Farm genommen. Wir konnten sie noch beobachten, bevor sie Ardvreck Castle erreichten. Sie schlichen sich hastig und ohne Fackel hinein." "Wie viele Männer?" fragte Magnus zurück. "Sechs!" "Fehlen ganze drei von ihnen", stellte Magnus trocken fest. Dann wandte er sich an seine Frau und befahl ihr: "Weck Allen und Neil! Sie sollen sich bereit machen. Wir müssen sicher sein, dass niemand in den Hügeln lauert. " Bevor er wieder in den Keller hinabstieg, sprach er zu sich selbst: "Gut zu wissen, wenn der Fuchs wieder in seinem Bau ist! Verdammt! Wir müssen das Whiskylager räumen. Es wird eng!" Johannes K. Soyener. Teeclipper. MUSIK Metallica, There is Whisky in the jar SPRECHER JOSEF TRATNIK Die Whiskey-Steuer ist auch heute noch eine beständig sprudelnde Einnahmequelle des britischen Staates. Doch das könnte der Brexit ändern. O-TON NOURNEY 13 0:48 Ich gehe mal davon aus, dass die Schotten, wenn der Brexit wirklich kommt, ein weiteres Mal abstimmen werden, ob sie Teil Großbritanniens bleiben wollen oder nicht, weil die Schotten wirklich sehr gerne in der EU verbleiben würden, eben nicht nur wegen Öl, Tourismus, sondern eben auch wegen dem Whiskey. Und dass die Engländer glaube ich schon relativ froh sind, dass die Schotten so viele Steuereinnahmen mit ihrem Whiskey machen und darauf sicherlich ungern verzichten möchten. Obwohl sehr viele von den großen Firmen, die in Schottland als Produzenten unterwegs sind, eben zum Teil englische Firmen sind und eben zum Teil ihre Hauptniederlassung auch in England haben. SPRECHER JOSEF TRATNIK Einbrüche im Whiskey-Handel, Zoll- und Steuerhöhungen - die Schotten fürchten ein Szenario, das die Iren schon einmal erlebten. O-TON NOURNEY 14 0:57 Irischer Whiskey war die unumwundene Nummer Eins in der Zeit zwischen 1780 und 1905 ungefähr. Damals war irischer Whiskey der Whiskey, der rund um den Globus gegangen ist. Das ist alles ziemlich den Bach runtergegangen, als mehrere Faktoren zusammengekommen sind. Einerseits war das natürlich der Kampf um die Eigenständigkeit in Irland, der hat sicherlich sehr viel Ressourcen gekostet. Und man hat sich da sicherlich auf etwas anderes besonnen als auf die Whiskey-Produktion. Und ein ganz wesentlicher Punkt war, dass die Iren durch Ihre Selbständigkeit nicht mehr Mitglied des Commonwealth waren und deswegen natürlich überall Zölle bezahlen mussten, bzw. ihre Kunden Einfuhrzölle bezahlen mussten. Und das ist natürlich auch ein Punkt. Da überlegt man sich's und greift dann vielleicht lieber auf einen anderen Whiskey zurück, der nicht so teuer ist. Es ging damals nur um den Preis, es geht heute nur um den Preis. Das ist halt leider Gottes so. SPRECHER JOSEF TRATNIK Nur gut, dass die Iren immerhin für sich selber sorgen können, denn einen Schluck Whiskey haben sie auch bitter nötig - bei dem Wetter. Heinrich Böll hat davon im "Irischen Tagebuch" ein Lied gesungen. ATHMO Regen, Wind, Tropfen SPRECHER BERNT HAHN Der Regen ist hier absolut, großartig und erschreckend. Diesen Regen schlechtes Wetter zu nennen, ist so unangemessen, wie es unangemessen ist, den brennenden Sonnenschein schönes Wetter zu nennen. Man kann diesen Regen schlechtes Wetter nennen, aber er ist es nicht. Er ist einfach Wetter, und Wetter ist Unwetter. Nachdrücklich erinnert er daran, dass sein Element das Wasser ist, fallendes Wasser. Und wieviel Wasser sammelt sich über viertausend Kilometern Ozean, Wasser, das sich freut, endlich Menschen, endlich Häuser, endlich festes Land erreicht zu haben, nachdem es so lange nur ins Wasser, nur in sich selbst fiel. Kann es dem Regen schließlich Spaß machen, nur immer ins Wasser zu fallen? Binnenländertorheit, die Tür zu öffnen, um zu sehen, was draußen los sei. Alles ist los: die Dachpfannen, die Dachrinne, nicht einmal das Mauerwerk ist sehr vertrauenerweckend. Gut ist es, immer Kerzen, die Bibel und ein wenig Whiskey im Hause zu haben, wie Seeleute, die auf Sturm gefasst sind; dazu ein Kartenspiel, Tabak, Stricknadeln und Wolle für die Frauen, denn der Sturm hat viel Atem, der Regen hat viel Wasser, und die Nacht ist lang. Spät erst hörten wir das Pochen an der Tür - erst hatten wir es für das Schlagen eines losen Riegels gehalten, dann für das Rappeln des Sturms, dann erkannten wir, dass es Menschenhände waren. Schnell die Tür geöffnet, einen durchnässten Zeitgenossen hereingezogen, die Tür geschlossen, und da stand er: mit durchgeweichtem Pappkoffer, Wasser lief ihm aus Ärmeln, Schuhen, vom Hut herab, fast schien es, als liefe Wasser ihm auch aus den Augen: so sehen Schwimmer aus, die an einem Wettbewerb für Rettungsschwimmen in voller Bekleidung teilgenommen haben; aber diesem hier war solcher Ehrgeiz fremd: er war nur von der Bushaltestelle gekommen, fünfzig Schritte durch diesen Regen, hatte unser Haus für sein Hotel gehalten und war seines Zeichens Schreiber in einem Anwaltsbüro in Dublin. "Der Bus fährt also bei diesem Wetter?" "Ja", sagte er, "er fährt, hatte nur wenig Verspätung. Aber es war mehr Schwimmen als Fahren ... und dies hier ist wirklich kein Hotel?" "Nein, aber. .. " Er - Dermot hieß er - erwies sich, als er trocken war, als guter Bibelkenner, guter Kartenspieler, guter Geschichtenerzähler, guter Whiskeytrinker: auch zeigte er uns, wie man das Teewasser auf einem Dreifuß im Kaminfeuer rasch zum Kochen bringt, wie man Hammelkoteletts auf dem gleichen, uralten Dreifuß gar bekommen kann, wie man Toast röstet an langen Gabeln, deren Zweck wir noch nicht herausgefunden hatten. Es war hell geworden, wir standen auf; und im gleichen Augenblick war es ruhig draußen. Wind und Regen hatten sich entfernt, die Sonne kam über den Horizont, und ein großer Regenbogen stand über der See, so nah war er, dass wir ihn in Substanz zu sehen glaubten; so dünn, wie Seifenblasen sind, war die Haut des Regenbogens. Heinrich Böll, Aus: Irisches Tagebuch. S. 78 - 82 MUSIKAKZENT SPRECHER JOSEF TRATNIK Die einen schwören auf irischen, die anderen auf schottischen Whiskey. Der schottische wird in der Regel in zwei, der irische Whiskey in drei Durchläufen gebrannt. O-TON NOURNEY 15 0:51 Durch diese Dreifachdestillation entsteht ein wesentlich feineres, eleganteres Destillat, ein wesentlich subtileres Destillat, das dann natürlich mit einer viel, viel größeren Sorgfalt in den Fässern gereift werden muss, weil sonst das Fass zu schnell die Richtung vorgibt und das Fass dann eben im Vordergrund des Geschmackes steht und nicht mehr diese Melange aus dem ursprünglichen Material und der Reifung und dem Fass. Die Iren haben das ziemlich gut drauf. Die haben ein sehr, sehr gutes Fassmanagement. Aus diesem Grund sind die irischen Whiskeys meistens ein kleines bisschen feiner als die Schotten. Die schottischen Whiskeys sind im Allgemeinen robuster, sind ein bisschen kräftiger auch vom Geschmack her. Geschmacklich ist da schon ein Unterschied feststellbar, durchaus. SPRECHER JOSEF TRATNIK Das Land der Heiligen, der Gelehrten und der Dichter. Bemerkenswert ist der große Beitrag, den die kleine Insel zur Weltliteratur liefert. Und es lässt sich trefflich darüber spekulieren, wieviel Inspiration die Dichtung dem irischen Whiskey verdankt. William Faulkner hat gesagt: SPRECHER BERNT HAHN "Die chemische Analyse der sogenannten dichterischen Inspiration ergibt 99 Prozent Whisky und einen Prozent Schweiß." SPRECHER JOSEF TRATNIK Und Oscar Wilde bemerkte: SPRECHER BERNT HAHN "Ich verstehe nicht, weshalb man soviel Wesen um die Technik des Komödienschreibens macht. Man braucht doch nur die Feder in ein Whisky-Glas zu tauchen." SPRECHER JOSEF TRATNIK Und ein irisches Sprichwort meint: SPRECHER BERNT HAHN "Realität ist ein Zustand, der durch Mangel an Whiskey entsteht." SPRECHER JOSEF TRATNIK George Bernhard Shaw und Oscar Wilde, James Joyce und Samuel Beckett wussten Whiskey zu schätzen. Oder Brendan Behan. Er war berühmt für seine Sauftouren. Er nannte sich selbst einen "Alkoholiker mit einem Schreibproblem". SPRECHER JOSEF TRATNIK So wie Brendan Behan schrieb auch Flann O'Brien bevorzugt in Bars und Schenken. Kein Wunder, dass viele Szenen in Kneipen stattfinden, so auch O'Briens berühmte Schnurre um die "Mollykül-Theorie". Unverhofft treffen der Dorfpolizist Fottrell und der jugendliche Held Mike in einer Dubliner Schenke aufeinander. Man nimmt ein Getränk zu sich und sinniert darüber, welche Rückschlüsse die modernen Naturwissenschaften auf die menschliche Natur zulassen. Übersetzt hat die Schnurre übrigens Harry Rowohlt, ein großer Kenner der irischen Literatur und des irischen Whiskeys. MUSIKAKZENT ATHMO Kneipengeräusch, Gläser, Flaschenklirren ... SPRECHER THOMAS ANZENHOFER Seine Schritte führten Mick ins "Metropole" in der wichtigsten Straße von Dublin. Man nannte es weder Kino, Restaurant, Tanzsaal noch Schnapshöhle, obwohl es all diese Wonnen bot. Das Trinken geschah in einer stillen, mild beleuchteten Diele im Souterrain, wo die Tische durch hohe, feststehende Wandschirme aus dunklen Hölzern gegeneinander abgeteilt waren. Es war eine bevorzugte Zuflucht für Gemeindepriester vom Lande, und, obwohl Kellnerinnen bedienten, waren weibliche Gäste ausgeschlossen. Als im Nachbarabteil eine Bestellung serviert wurde, verdutzte Mick der Dank, den der unsichtbare Gast aussprach, war er doch in Aussage wie Tonfall unverwechselbar: "In Dankbarkeit für diese Flasche, meine liebe Maid, werde ich eine neuntägige Andacht für die Ausgestaltung Ihrer Seele irreziprok zum Heiligen Martin von Tours persönlich abhalten." Es half alles nichts: Mick musste sein Glas nehmen und in die Nachbarlaube ziehen. Glücklicherweise war Sergeant Fottrell allein. Er erhob sich mit altmodischer Courtoisie und streckte eine Hand aus. "Mir war nach einem stillen Glas, und ich dachte, hier unten würde mich keiner kennen." Mick war froh, den Sergeant getroffen zu haben. Er entschuldigte sich noch einmal dafür, dass er es am Vortag versäumt hatte, sein Fahrrad von der Wache in Dalkey abzuholen. Der Sergeant hob seine lange Oberlippe von seinem Glas und zuckte dabei als Zeichen der Vergebung mit der Wimper. "Der Platz, an dem sich das Fahrrad jetzt befindet", sagte er gewichtig, "ist bei weitem sicherer als die hauptsächlichste Hauptstraße, schon rein intuitiv." "Ach so, ich dachte nur, es könnte im Wege sein." "Es ist hinter Schloss und Riegel in Zelle Nummer Zwei, und Sie stehen sich gesundheitlich weit besser, wenn Sie von ihm geschieden sind. Sagen Sie mir folgendes: Wie fanden Sie Wachtmeister Pluck?" "Ein sehr angenehmer Mensch." "Was tat er denn auf wahrnehmbare Weise?" "Er flickte einen defekten Fahrradschlauch." "Ahaaa!" Der Sergeant kicherte, nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas und runzelte, mit seinen Erinnerungen beschäftigt, leicht die Stirn. "Das wäre der dritte Platten in sieben Tagen", sagte er in einem Ton, aus dem Befriedigung zu sprechen schien. "Das klingt nach einer ziemlich schlimmen Statistik", erwiderte Mick. "Ist das ganz einfach Pech, oder liegt es an den schlechten Straßen?" "Er empfing seine Reifenpannen um halb eins am Montag, um zwei am Mittwoch und um halb sechs am Sonntag." "Woher in aller Welt wissen Sie das?" "Ich kenne Daten und Zeiten protuberant, denn es war kein Geringerer als ich, der die Pannen mit dem Taschenmesser herbeigeführt hat." "Grundgütiger Himmel, warum?" "Zum Besten von Wachtmeister Pluck. Haben Sie je die Mollyküle entdeckt oder vom Hörensagen wahrgenommen?" fragte er. "Natürlich." "Sie richtet in Dalkey schrecklichen Schaden an. Die Hälfte der Bevölkerung ist davon befallen; sie ist schlimmer als die Blattern." Der Sergeant trank zierlich, tief in Gedanken versunken. "Michael Gilhaney, einer meiner Bekannten", sagte er schließlich, "ist ein Mensch, den das Wirken der Mollykül-Theorie schon fast erledigt hat. Würde es Sie ominös verwundern, wenn Sie erführen, dass er auf dem besten Wege in der Gefahr schwebt, ein Fahrrad zu sein?" Mick schüttelte in höflichem Unverständnis den Kopf. "Er ist nach einfacher Berechnung fast sechzig Jahre alt", sagte der Sergeant, "und wenn er noch er selber ist, hat er nicht weniger als fünfunddreißig Jahre auf dem Fahrrad verbracht, über die steinigen Feldwege und die unnachgiebigen Hügel hinauf und hinab und hinein in die tiefen Gräben, wenn sich die Straße unter der Mühsal des Winters verliert. Ständig ist er zu jeder Stunde des Tages unterwegs und fährt hierhin oder dorthin, und zu jeder zweiten Stunde des Tages kommt er mit seinem Fahrrad wieder von hierher oder dorther zurück. Wenn ihm nicht jeden Montag das Fahrrad gestohlen würde, wäre es ihm sicher schon mehr als halbwegs gelungen." "Was wäre ihm halbwegs gelungen?" "Selber ein gottverdammtes Fahrrad zu sein." Hatte Sergeant Fottrell sich für einmal dazu verstiegen, trunken drauflos zureden? Seine Grillen waren für gewöhnlich amüsant, aber weniger gut, wenn sie keine Bedeutung hatten. "Haben Sie je als junger Bursch die Mollykül-Theorie studiert?" fragte er. "Ich werde Ihnen sagen, wie es sich damit verhält. Alles besteht aus kleinen Mollykülen seiner selbst, und diese fliegen in konzentrischen Kreisen herum und in hohem Bogen und in Segmenten und unzähligen anderen Routen, zu zahlreich, sie kollektiv zu erwähnen, stehen dabei nie still oder ruhen sich aus, sondern sie flitzen davon und trudeln mal hier-, mal dorthin und sofort wieder zurück, immer auf Achse. Folgen Sie mir soweit verständnisinnig? " "Ich glaube schon." "Wenn man heftig genug und oft genug mit einem eisernen Hammer auf einen Stein schlägt, werden einige Mollyküle des Steins in den Hammer gehen, sowie ebensowohl umgekehrt." "Das ist wohlbekannt", pflichtete Mick bei. "Das Brutto- und Nettoresultat davon ist, dass die Persönlichkeit von Menschen, die die meiste Zeit ihres natürlichen Lebens damit verbringen, die steinigen Feldwege dieses Landkreises mit eisernen Fahrrädern zu befahren, sich mit der Persönlichkeit ihrer Fahrräder vermischt: ein Ergebnis des wechselseitigen Austauschs von Molekülen, und Sie wären erstaunt über die große Anzahl von Leuten in dieser Gegend, die beinahe halb Mensch, halb Fahrrad sind." Mick keuchte leicht vor Erstaunen, und das machte ein Geräusch wie Luft, die aus einem schadhaften Reifen austritt. "Guter Gott, ich vermute, Sie haben recht. Aber Wachtmeister Pluck sah nicht wie ein Fahrrad aus", sagte Mick. "Er hatte kein Hinterrad und nicht einmal eine Klingel am rechten Daumen." Der Sergeant betrachtete ihn mit einigem Mitleid. "Sie können nicht erwarten, dass ihm eine Lenkstange aus dem Nacken wächst, aber ich habe gesehen, wie er versucht hat, Dinge zu tun, die noch genauer unbeschreiblich waren als das. Ist Ihnen je das merkwürdige Benehmen von Fahrrädern auf dem Lande aufgefallen, beziehungsweise das der Mehr-Mensch-als-Fahrräder?" "Nein." "Es ist eine einheimische Katastrophe. Wenn ein Mann es erst mal soweit kommen lässt, werden Sie nicht viel sehen, denn er wird sich mit einem Ellenbogen gegen Wände lehnen oder sich beim Stehen mit einem Fuß auf dem Kantstein abstützen. So ein Mann ist ein unnützes Phänomen von großem Charme und großer Intensität und ein sehr gefährlicher Artikel." "Gefährlich für andere Menschen, meinen Sie?" "Für sich und alle gefährlich. Ich kannte mal einen Mann namens Doyle. Er war einunddreißig Prozent." "Nun, das ist doch noch nichts Ernstes." "Der Briefträger" sagte er leise. "Zweiundsiebzig Prozent", "Großer Gott!" "Eine Runde von neunundzwanzig Meilen jeden einzelnen Tag, und das vierzig Jahre lang, bei Hagel, Regen oder Schneebällen." Es entstand eine kleine Pause. Mick bemerkte, dass sich das Gesicht des Sergeants umwölkt hatte und dass er in den Kopf seiner Pfeife starrte. "Nun, Sergeant, bei der menschliche Metamorphose vis-a-vis einem eisernen Fahrrad geht es um mehr als den ungeheuerlichen Austausch von Gewebe und Metall." "Und das wäre?" fragte der Sergeant neugierig. "Alle anständigen Iren sollten eine angemessene nationale Einstellung haben. Praktisch jedes Fahrrad, das man in Irland hat, wurde entweder in Birmingham oder in Coventry hergestellt." "Ich sehe intimst, worauf Sie hinauswollen. Ein Element des Verrats spielt mit hinein. Ganz richtig." Es schien, als sei ihm dieser Punkt bisher nicht bewusst geworden, und Finsternis sammelte sich in seinem Blick, als er im Innern diesen Punkt betrachtete, wobei er schwerfällig paffte und den Tabak in seinem Pfeifenkopf mit braun-gebeiztem Finger zusammendrückte. Der Sergeant verfiel wieder in Schweigen. Fast konnte man das sanfte Schwappen der Flut der Erinnerungen in seinem Kopf hören. "Ich entsinne mich eines alten Mannes. Er war soweit kein schlechter Kerl, aber er bewegte sich so komisch und hatte so einen merkwürdigen Gang, dass er damit die Leute zur Raserei brachte. Er ging zum Beispiel einen sacht ansteigenden Hügel mit einer Geschwindigkeit von, sagen wir, einer halben Meile in der Stunde hinauf, zu anderen Zeiten aber rannte er wieder so schnell, dass man hätte schwören mögen, er habe bis zu fünfzehn Emm Peh Haa draufgehabt. Und das ist Tatsache, verdammt noch Mal." "Hat jemand herausgefunden, was bei ihm nicht stimmte?" "Ja. Ein sehr intelligenter, weit- und scharfsichtiger, unverstößlicher Mann hat es herausgefunden. Ich war es. Wissen Sie, was bei dem armen Hund nicht stimmte?" "Nein. Was?" "Er war der erste im Land, der zu Beginn des Jahrhunderts mit der Dreigangschaltung fuhr." Flann O'Brien. Aus Dalkeys Archiven. MUSIK 2. Stunde MUSIK Elmer Bernstein. The Magnificent Seven. Film Music Masterworks. MCPS, LC 7371 SPRECHER JOSEF TRATNIK Mit denen Auswanderern aus Irland und Schottland kam auch der Whiskey nach Amerika. Anfangs mag das ein oder andere Fässchen echter Scotch auf den Trecks gen Westen gerollt sein, aber der Transport war teuer und der Whiskey wurde immer dünner. Deshalb begannen Iren und Schotten bald, ihren eigenen, amerikanischen Whiskey zu brennen. O-TON NOURNEY 16 1:21 Jetzt ist allerdings so, dass in sehr vielen Gegenden, in denen die unterwegs waren, die Gerste nicht so gut gewachsen ist, und aus diesem Grund hat man dann auf andere Grundmaterialien zurückgreifen müssen. Man hat gemerkt, dass der Roggen eine sehr gut einsetzbare Pflanze ist, das heißt, Roggen wächst auch auf schwierigeren Böden und auch auf etwas anderen Höhen. Und man hat dann auch irgendwann mal festgestellt, dass es da eine kultivierte Pflanze der Ureinwohner gab, die hieß Mais. Man hat festgestellt, dass man die auch sehr, sehr gut vergären kann und daraus letztendlich eine Spirituose herstellen kann - Whiskey herstellen kann. Und je weiter man nach Westen kam, umso mehr Roggen oder Mais hat man einfach vorgefunden und deswegen sind genau das die beiden Grundmaterialien in den USA, die für den native spirit verantwort-lich sind in den USA und auf die man so stolz ist. SPRECHER JOSEF TRATNIK Ein Bourbon wird also aus mindesten 51 Prozent Mais und geringeren Anteilen von Roggen, Gerste und Weizen hergestellt und schon diese Grundmaterialien ergeben ganz eigene Aromen. Dazu kommen Brennblasen, die schon aufgrund ihrer Form ein anderes Destillat ergeben. Und schließlich die ganz eigene Weise der Reifung im Fass. O-TON NOURNEY 17 Der Bourbon-Act, der 1964 in Kraft getreten ist, schreibt prinzipiell Virgin Oak vor, also das heißt, es muss eine jungfräuliche Eiche sein, das heißt ein Fass, in dem vorher nichts anderes drin war. Dieses Fass darf nur eine bestimmte Größe haben. Dieses Fass darf nur mit einem bestimmten Prozentsatz Alkohol befüllt werden. Dieses Fass muss innen drin eine Behandlung gehabt haben, eine Hitzebehandlung, das heißt, die Fässer werden innen drin ausgekohlt. SPRECHER JOSEF TRATNIK Damit bekommt der amerikanische Whiskey eine kräftigere, erdigere Note - genau das richtige Zielwasser für Cowboys und Revolverhelden. Man fragt sich allerdings, wie sie nach einem Saloon-Besuch mit ihren schweren Colts überhaupt nur ein Scheunentor treffen konnten. Ohne Frage:Ohne Whiskey wäre der Wilden Westen wohl kaum so schnell erobert worden. Ohne Whiskey wäre mancher Revolverheld brav in seinem Bett gestorben. Auch Wild Bill Hickok. Pete Dexter hat das Ende von Wild Bill Hickok in seinem Roman "Deadwood" beschrieben. MUSIK Elmer Bernstein. The Magnificent Seven. SPRECHER BERNT HAHN Sie fuhren bergabwärts, von Süden her, in Deadwood ein. Die Schlucht kam aus den Bergen, lang und schmal, und folgte dem Whitewood Creek, und dort, wo es breit genug war für ein Stadtschild, begann Deadwood. Es war am Mittag des 17. Juli. Der Ort wirkte meilenlang und schmal, zur Hälfte bestand er aus Zelten. Der Whitewood floss am südlichen Ende mit einem kleineren Bach zusammen - dem Deadwood - und zog sich dann durch die ganze Stadt. Der Matsch stand knöcheltief, und jeder nur erdenkliche Abfall wurde auf die Straße geworfen und vermischte sich damit. Auf den angrenzenden Bergen standen keine Bäume mehr. Nur Tausende von toten, verkohlten Stämmen lagen übereinandergeschichtet auf der Erde. "Wie wirkt es auf dich?" fragte Bill. Er saß oben auf dem Wagen, groß und gut aussehend, hielt die Zügel und nickte den Leuten zu, wenn sie ihm von der Straße aus etwas zuriefen. Wer da auf dem Wagen saß, hatte sich in der Stadt herumgesprochen, noch bevor Charley und Bill hundert Meter zurückgelegt hatten. "Wie aus der Bibel", sagte Charley. Sie fuhren durch den Matsch, der an den Rädern und den Hufen der Maultiere kleben blieb, bis er sich durch sein eigenes Gewicht wieder löste. Es dauerte über eine Stunde, bis der Track mit den Wagen die Main Street hinuntergefahren war, von Zwischenstopps unterbrochen, damit Bill Hände schütteln und einem Reporter des Black Hills Pioneer ein Interview geben konnte. Obwohl er Gefallen am gedruckten Wort fand, zuckte Charley doch zusammen, als er hörte, dass es in der Stadt bereits eine Zeitung gab. Weiter nördlich änderte sich die Nachbarschaft. Huren, Galgenvögel und Glücksspieler standen herum, mit einem Drink in der Hand, und schossen in die Luft. Dieser Teil der Stadt wurde die "Badlands" genannt, und dort hielten die Wagen mit den Huren. Der Ortsteil war schäbig, aber die Ladys sahen in Charleys Augen immer noch besser aus als die Ladung, die gerade ankam. Einige standen in den Fenstern, so gut wie nackt. "Welcher Teil der Bibel?" fragte Bill, als sie wieder allein waren. "Als Gott zornig wurde", antwortete Charley. Sie wendeten und fanden einen Lagerplatz, zwischen den Badlands und dem Badehaus, gegenüber dem Betwix-Stops Saloon, einem Segeltuchzelt. Der Eigentümer hatte am Eingang zwei umgedrehte Fässer hingestellt, ein Holzbrett darübergelegt und verkaufte Whiskey aus den Staaten für fünfzig Cents das Glas. Bill und Charley probierten den Fünfzig-Cent-Whiskey. Der Mann, dem das Zelt gehörte, gab ihnen die ersten Drinks aus. Er sagte, es sei eine Ehre, der Besitzer des Lokals zu sein, in das Wild Bill Hickok zuerst seinen Fuß gesetzt habe, nachdem er in Deadwood angekommen sei. Und vielleicht würde er zum Gedenken ein Schild aufstellen. Wenn man die Zelte und chinesischen Etablissements nicht mitrechnete, gab es in den Badlands sechzehn Saloons. Einige davon waren innerhalb eines Tages zusammengezimmert worden und die Decken schwankten bei starkem Wind oder einer Schlägerei. Bei anderen hatte es länger gedauert, sie hatten eine Bühne, eine Theke und im Obergeschoss kleine Zimmer, die durch Vorhänge abgetrennt waren und über denen mit Kreide jeweils der Name des Mädchens stand. Die hübschesten Mädchen und die Sängerinnen hatten Zimmer mit Türen. Charley öffnete seinen Beutel und sah zu, wie der Mann, dem das Zelt gehörte, sich reichlich Goldstaub nahm, um die Kosten dessen, was sie getrunken hatten, zu begleichen. Whiskey kostete in den Staaten weniger als zwei Dollar die Gallone, und von dem, was der Mann sich unter den Nagel riss, konnte man die doppelte Menge kaufen. "Ich habe so ein Gefühl, was dieses Camp angeht", meinte Bill. "Eine Vorahnung." Charley hielt inne. Er kannte Leute, die ihre düsteren Gedanken zum Beruf machten, aber Bill war noch nie so gewesen und Charley nahm die Bemerkung ernst. Einen Monat nach der Schießerei in Abilene war beispielsweise ein Reporter aus Philadelphia aufgetaucht und hatte geschwärmt, wie Bill mitten auf der Straße gestanden hatte, während Phil Coe und vier seiner Brüder aus jedem Winkel auf ihn schossen, aber Bill hatte seine Sache einfach durchgezogen, wie eine Maschine, indem er sich einen nach dem anderen vorknöpfte. "Wie bewahren Sie im Angesicht des Todes Ihren Mut?" hatte der Reporter gefragt. Bill hatte mit keiner Wimper gezuckt und geantwortet: "Wenn du im Herzen weißt, dass die Kugel nicht für dich bestimmt ist, zittert deine Hand nicht unter dem Gewicht eines Revolvers." Der Reporter hatte Wort für Wort notiert - Bill musste es zwei Mal für ihn wiederholen - und sich dann volle vier Tage lang betrunken. Was er über die Kugel gesagt hatte, die nicht für ihn bestimmt war, stimmte. Etwas Ähnliches hatte er Charley vorher auch schon erzählt. "Was für eine Vorahnung?" fragte er. "Dies ist das letzte Camp", antwortete Bill. "Wir können woandershin gehen", schlug Charley vor. "Schließlich sind wir mit diesem Ort nicht verheiratet." Bill schüttelte den Kopf. "Hier wartet etwas auf uns", sagte er. "Man landet nicht ohne Grund an einem Ort wie diesem". MUSIK John Lee Hooker. Boom Boom John Lee Hooker SPRECHER BERNT HAHN Am Nachmittag des 2. August, einem Mittwoch, ging Bill in die Badlands. Harry Sam Young stand hinter dem Tresen im Number 10 und mischte Bill unaufgefordert einen Gin and Bitters. Pink Buford und seine Bulldogge saßen an einem der Pokertische, zusammen mit einem pensionierten Mississippi-Lotsen namens William R. Massie und drei oder vier Siedlern, die sich bei ihrer Ankunft in Deadwood selbst zu Colonels oder Captains ernannt hatten. Der Lotse rief ihm über die Tische hinweg zu: "Wir haben einen Stuhl für Sie reserviert, Bill." Bill schob den Gin and Bitters fort. "Lass mich was Neues probieren", sagte er. "Das hier hat sein Aroma verloren." Der Barkeeper schob das Glas einen Meter weiter einem Siedler vor die Nase - inzwischen tranken die halben Badlands Pink Gin - und schenkte Bill einen Whiskey ein. Der Whiskey schmeckte gesund und vertraut, und Bill wünschte, Charley würde durch die Tür kommen, damit sie zusammen einen trinken konnten. Er wartete, bis der Barkeeper ihm noch einen eingeschenkt hatte, nahm dann die Flasche und ging hinüber zum Tisch, wo Pink Buford, Carl Mann, Charles Rich und der Lotse, Massie, Poker spielten. Massie saß auf Bills Stuhl. Der Stuhl, den sie ihm anboten, zeigte mit dem Rücken zur Tür. "Ich sitze nicht mit ungeschütztem Rücken", sagte er. "Aber ich habe Ihren Glücksplatz", sagte der Lotse. Bill sah ihn unfreundlich an. Er hatte seine Regeln und seine Gründe. Bei all dem Gerede hier über Indianer und Banditen sahen sich die Leute aus den Badlands gern als vom Schicksal begünstigte Männer in gefährlichen Zeiten, aber die Wahrheit war, dass kein Mann am Tisch saß, den schon jemand zu töten versucht hatte. Auf Bill war schon oft geschossen worden. Irgendwann einmal hatte er geglaubt, er wäre ebenfalls vom Schicksal begünstigt, aber dieses Gefühl verschwand in dem Moment, als er den Gesetzeshüter Mike Williams in Abilene erschoss. Er erwähnte diesen Sinneswandel gegenüber keiner Menschenseele, noch nicht einmal Charley wusste davon, aber Mike Williams aus Versehen zu töten bedeutete, auch selbst aus Versehen getötet werden zu können. Und entsprechend vorsichtig war er an Orten, an denen Unfälle passierten. Er hatte in einer Bar nie etwas in der rechten Hand, und er saß niemals mit dem Rücken zur Tür. Es war eine Belastung, immer auf mögliche Unfälle zu achten, und er war es leid. Niemand am Tisch bewegte sich, und Bill sah, dass sie es auch nicht tun würden. Es war wie eine Prüfung. Er stellte die Flasche vor den leeren Stuhl und nahm Platz. Der Lotse zwinkerte ihm zu und klopfte auf die Dollars, die er bereits gewonnen hatte. Bill holte das gewonnene Geld vom Vorabend aus der Tasche und legte es neben die Flasche auf den Tisch. Der Raum füllte sich falsch an, aber er konnte nicht sagen, warum. Pink Buford gab die Karten aus. Sie spielten Draw Poker. Bill gewann keine Hand, während der Lotse seine Glückssträhne fortsetzte. "Ich kann heute nicht verlieren, Jungs", sagte er. Bill kannte sich aus mit Glückssträhnen und saß es aus. Nach zwei Stunden hatte Bill fast hundertfünfzig Dollar verloren und die Flasche Whiskey geleert. Er hatte das Bedürfnis, sich zu erleichtern, aber er wollte nicht den Tisch verlassen, um nicht den Moment zu verpassen, wenn die Regeln der Wahrscheinlichkeit den Lotsen wieder einholten. Nichts dauert ewig. Number 10 hatte sich gefüllt, wie an den meisten Abenden, mit allen möglichen Reisenden und Goldgräbern. Ein Professor saß am Klavier, und die Freudenmädchen sangen abwechselnd Balladen aus dem Westen. Wenn die Reisenden sie dafür bezahlten, dass sie sangen, bezahlten die Goldgräber sie dafür, damit aufzuhören. Es war ein heißer Abend, und selbst bei geöffneten Türen stand die Luft im Raum. Bill beschloss, den Tisch zu verlassen. Er wollte gerade aufstehen, als der Dealer, Carl Mann, ihm die erste Karte einer neuen Hand gab, und er beschloss, die Runde zu Ende zu spielen. MUSIKAKZENT John Lee Hooker. Boom Boom John Lee Hooker SPRECHER BERNT HAHN Jack McCall kam durch die Hintertür herein und ging an den Tresen. Er nahm sich ein Glas, das vor einem der Reisenden stand, und trank es aus, bevor Harry Sam Young ihn davon abhalten konnte. Der Barkeeper sah den Katzenmann mit eisigem Blick an. "Ein Whiskeydieb ist nirgendwo willkommen", sagte er. "Ein Whiskeydieb wird selbst von Dieben gehasst ... " Aber in Jack McCalls Augen lag etwas, das Harry Sam Young schon einmal gesehen hatte, und er brach mitten im Satz ab. Jack McCall wandte sich von ihm ab und schob sich durch die Goldgräber und die Huren am Tresen. Er hielt jetzt einen Revolver in der Hand, und jene, die ihn kommen sahen, wichen ihm aus. Am Ende des Tresens stand der Pokertisch. Bill hatte seine Karten aufgenommen und hielt sie an die Brust. Pink Buford, der ihm gegenübersaß, bemerkte Bills ungewöhnliche Art, die Karten zu halten, und beschloss zu passen. Captain Jack Crawford sah den Katzenmann und die Waffe und wich ebenfalls zurück. Jack McCall feuerte in Bills linke Kopfhälfte aus weniger als dreißig Zentimetern Entfernung. Die Kugel trat aus seiner rechten Wange wieder aus. Einen Augenblick später brüllte Jack McCall: "Nimm das und fahr zur Hölle", und Bills Kopf, der durch die Wucht der Kugel nach links gerissen worden war, sank langsam auf den Tisch. Er hätte auch ein Schläfchen halten können. William Massie fiel vom Stuhl und hielt sich das Handgelenk. Charles Rich saß da wie versteinert. Nur Carl Mann rührte sich, und McCall zielte mit dem Revolver auf sein Gesicht und drückte ab. Es gab ein klickendes Geräusch, aber keinen Schuss. MUSIKAKZENT John Lee Hooker. Boom Boom John Lee Hooker SPRECHER BERNT HAHN Jack McCall sagte aus, dass Bill in Abilene seinen Bruder getötet und dann gedroht hatte, auch ihn umzubringen, wenn sich ihre Wege jemals wieder kreuzen sollten. "Als ich Wild Bill gesehen habe, wusste ich sofort, er oder ich", sagte er. Die Geschworenen brauchten eine Stunde, um sich zu beraten. Der Sprecher der Geschworenen war ein Schwachkopf, er wurde "Jimmy-Jauchefass" gerufen und besaß die älteste Jacke und die ältesten Schuhe von ganz Deadwood, trug aber immer einen weißen Kragen. "Wir befinden den Angeklagten für nicht schuldig aufgrund seines gerechtfertigten Grolls gegenüber Wild Bill und seines Rechts auf Selbstverteidigung", sagte er. Jack wurde freigesprochen. Pete Dexter. Deadwood. MUSIK Michael Katon, Rock'n'Roll, Whiskey, Blood 'n Guts SPRECHER JOSEF TRATNIK Der Whiskey hat in der Geschichte der Vereinigten Staaten eine heroische Rolle gespielt - im Guten wie im Bösen. Jack London meinte, der Whiskey - John Barleycorn genannt - habe seine Opfer leider meist unter den besten Männern gefunden. SPRECHER THOMAS ANZENHOFER Gerade die guten Kameraden, die wertvollen, die Burschen mit der Schwäche allzu großer Kraft, die geistreichen, feurigen und von prachtvoller Tollheit entflammten, gerade die verführt und verdirbt er am liebsten. Selbstverständlich vernichtet er Schwächlinge; aber mit denen beschäftigen wir uns hier nicht. Ich behaupte, dass es gerade die Besten von uns sind, die John Barleycorn vernichtet. Und der Grund, dass diese Besten vernichtet werden, ist der, dass John Barleycorn an jeder Straße und jedem Wege mit offenen Armen unter dem Schutze der Gesetze und achtungsvoll von der Polizei gegrüßt steht, dass er jeden anspricht und ihn an der Hand dorthin führt, wo die guten Kameraden und die verwegenen Burschen sich treffen und stark trinken. Räumte man König Alkohol aus dem Wege, diese waghalsigen Burschen würden dennoch geboren, und dann würden sie Großtaten verrichten, statt wie jetzt zugrunde zu gehen. Jack London, König Alkohol. S. 43 SPRECHER JOSEF TRATNIK In der amerikanischen Geschichte ist ein Versuch überliefert, dem Whiskey den Garaus zu machen - als die Frauen ihm den Kampf ansagten. T.C. Boyle, auch ein Freund des Whiskeys, hat die frühe Phase dieses Feldzuges in einer Kurzgeschichte beschrieben: "John Barleycorn lebt". MUSIKAKZENT Budy Guy and Junior Wells, Bad, bad whiskey. SPRECHER GUNTER SCHOß Ich hob gerade das Glas an die Lippen, als sie durch die Schwingtür stürzte und mir den Drink aus der Hand schlug. "Weiche zurück", brüllte sie, "sonst erwarten dich Höllenfeuer und ewige Verdammnis", und dann zog sie ein Beil unter ihrem Rock hervor und begann, Doges neue Kirschholztheke zu zertrümmern. Ich duckte mich, während der Zehn-Cent- Whisky den Schritt meiner Hose dunkel färbte, und sah zu, wie sie wie ein Blitz in die Glasware einschlug. Es war wie ein Taifun in einer Schnapsbrennerei - Glasscherben prasselten herab wie Hagelkörner, das süße Bukett von schottischem Whisky, Rum und Roggenwhisky erhob sich wie ein Nebel, bis es in den Augen brannte. Dann kam Doge wie ein frisch kastrierter Bulle aus dem Hinterzimmer gestürmt - Wut und Verblüffung zerrten an seinen Schnurrbartspitzen -, gerade rechtzeitig, um mitzuerleben, wie sie den eineinhalb mal zwei Meter großen Spiegel im Teakholzrahmen, den er von New Orleans hatte herschaffen lassen, zerschlug. BUM! machte es, und Scherben von Licht überfluteten den Boden. Der einzige andere Mensch im Schankraum war Cal Hoon, der Maler. Er war an einem der Tische eingeschlafen, eine Flasche Whisky und ein Schnapsglas vor sich. Ich stand gegen die rückwärtige Wand gelehnt, bereit, mir einen Stuhl zu schnappen und mich, wenn nötig, zu verteidigen. Die wilde Frau schritt zu Cals Tisch und zerschmetterte die Flasche mit einem so gewaltigen Hieb, dass die Melone von seinem Kopf fiel und das Beil zitternd in der Tischplatte steckenblieb. Und dann war es still. Cal hob den Kopf vom Tisch, langsam wie eine alte Schildkröte und glotzte verdutzt zu ihr hinauf. Sie muss ungefähr einen Meter achtzig groß gewesen sein. "Auf die Knie!" knurrte sie. "Und betet um die Vergebung des Herrn." Dann war sie verschwunden. Zwei Tage später saß ich an einem Tisch im Copper Dollar Saloon in der Warsaw Street und wartete auf ein Steak und ein paar Spiegeleier. Ich war Chefredakteur der "Topeka Sun", ein Freidenker, eine der intellektuellen Leuchten der Stadt. John McGurk, mein Setzer, war dabei. Es war nicht später als halb zehn oder zehn Uhr morgens. Wir waren die ganze Nacht auf gewesen und hatten eine Sonderausgabe über McKinleys Chancen, ein zweites Mal gewählt zu werden, fertig gemacht, und wir ließen die Köpfe hängen wie verdurstende Veilchen. Kaum hatte McGurk Whisky und Sodawasser bestellt, stand sie vor uns, die Irre, Schultern wie ein Holzfäller, schwarze Soutane vom Kinn bis zum Boden. Ein Schwarm Frauen mit schwarzen Hauben und Röcken raschelte hinter ihr herein. "Da schaut her!" sagte eins der üblen Subjekte an der Bar und lachte schallend. "Das Kloster hat Ausgang." Seine Kumpel gackerten wie Eichelhäher. McGurk lachte laut heraus. Ich grinste, war wachsam und misstrauisch. Sie fixierte das üble Subjekt mit einem Blick, der eine Schüssel Chili zum Gefrieren gebracht hätte, und dann hob sie den Arm, und die Frauen begannen zu singen, mit schrillen, fanatischen Stimmen. Der Adrenalinstoß und der moralische Eifer ließen ihre Busen schwellen und die Dachsparren erbeben. Lobet den Herrn. Lobet den Herrn im Himmel: Wir waren besiegt, augenblicklich und total. McGurk fluchte tonlos, während ich den Impuls mitzusingen niederkämpfte und mir in Erinnerung an die Chorproben und die glänzenden Orgelpfeifen meiner Kindheit Tränen in die Augen traten. Dann schwang sie das Beil hoch über ihrem Kopf wie ein Schwarzfuß-Krieger, die anderen Frauen folgten ihrem Beispiel und holten die Waffen aus den Falten ihrer Kleider. Sie machten Kleinholz aus dem Schankraum, Splitter für Splitter, und grölten dabei die ganze Zeit über Hosianna, und niemand rührte einen Finger, um ihnen Einhalt zu gebieten. Die Überreste des Copper Dollar Saloon lagen verstreut um uns herum: Holzsplitter und Sägemehl, die runden Ränder zerbrochener Gläser, Schaumpfützen. Ich langte über den Tisch und griff nach McGurks Handgelenk. "Wir schreiben einen Artikel für die Titelseite", sagte ich, "und untermauern das Ganze noch mit einem Leitartikel über Bürgerrechte." McGurk grinste wie ein Wiesel im Hühnerstall. Ich sagte ihm, er solle sich ans Telefon setzen und etwas über Mrs. Mad ausgraben, was ihren Angriffen den Biss nähme. Eine Stunde später klopfte er an meine Tür, die Augen eingesunken und fiebrig glänzend. "Sie heißt Carry Gloyd Nation", sagte er. "46 in Kentucky geboren. Hat 67 einen Charles Gloyd, Arzt, geheiratet, und - jetzt hör hin - nach zwei Monaten hat sie ihn verlassen, weil er ein Suffkopf war. Zehn Jahre später hat sie Nation geheiratet, der sich erst vor ein paar Monaten von ihr hat scheiden lassen, weil sie ihn verlassen hat." "Sie ihn verlassen?" "So ist es. Sie ist durch den ganzen Mittleren Westen gezogen und hat Saloons und Tabakläden auseinandergenommen. Wurde in Fort Dodge verhaftet, weil sie einen Tabakladen in Brand gesteckt hat. Saß drei Tage in St. Louis im Gefängnis, weil sie den Besitzer eines chinesischen Restaurants tätlich angegriffen hat. Sie behauptet, chinesisches Essen sei unmoralisch." Ich hielt die Hand hoch. "In Ordnung. Sehr gut. Wir werden diese Furie das Fürchten lehren." Wir brachten die Geschichte am nächsten Tag. Um acht Uhr morgens standen bereits zweihundert Frauen vor dem Büro, sangen "We shall overcome" und ketteten sich ans Geländer. Banner wehten über der Schar, TEUFEL ALKOHOL und JOHN BARLEYCORN MUSS STERBEN, und eine grimmige Frau hielt eine Karikatur von mir in die Höhe, auf der ich eine Flasche in der Hand hielt, in deren Hals die Sonne versank. Die Bildunterschrift lautete: DIE SONNE VON ToPEKA GEHT UNTER. Ich verriegelte die Tür und schlich ins Hinterzimmer, um eine Flasche Kentucky Bourbon zu Rate zu ziehen, während Bruchstücke von Liedern, Volksreden, Jubelrufen und Geschrei von der Straße hereindrangen. Dann krachte es im vorderen Büro - auf dem Boden lagen die blitzende Schneide und der harte Eichengriff eines Beils. Ich fragte mich, wo der Sheriff blieb. Mit jedem Schlag hob und senkte sich die Tür in den Angeln. An diesem Punkt veränderte ich meinen Blickwinkel und sah, dass sich Mrs. Mad höchstpersönlich an der Tür zu schaffen machte und mit dem stumpfen Ende ihres Beils wie wild darauf einschlug. "Öffnen Sie!" brüllte sie. "Ich verlange die Zurücknahme dieser vom Teufel eingegebenen Lügen! Öffnen Sie, sage ich!" Auf Händen und Armen wie ein Indianer auf dem Kriegspfad oder einer von Teddy Roosevelts Kundschaftern verzog ich mich ins Hinterzimmer, nahm rasch einen Schluck aus der Flasche und verdrückte mich dann durch den Lieferanteneingang. Ich zog den Hut tief in die Stirn und steuerte zwecks Neugruppierung Doge's Place an. MUSIKAKZENT Doge hatte die Schwingtür durch eine zehn Zentimeter dicke Eichenplatte ersetzt, die er ständig verriegelt hielt. Ich klopfte an, und auf Augenhöhe wurde eine Metallklappe geöffnet. "Ich bin's, Doge", sagte ich, und der Riegel wurde zurückgeschoben. Ich ging zu der improvisierten Theke und stürzte zwei Whiskys hinunter. Dann schlenderte ich hinüber zu Cal und McGurk. Doge zog einen Stuhl heran, und lange Zeit saßen wir schweigend da. Dann fragte mich Doge, ob ich die Geschichte widerrufen würde. Ich sagte, erst wenn in der Hölle die Eiszeit ausgebrochen sei. McGurk wies darauf hin, dass wir in diesem Fall innerhalb von einer Woche die Zeitung dichtmachen könnten. Doge verfluchte Mrs. Mad. McGurk verfluchte die Enthaltsamkeit. Darauf tranken wir einen. "Wisst ihr, wie ihr sie loswerden könnt?" "Um das zu erfahren, würd' ich hundert Silberdollar blechen, Freund", "Ganz einfach", krächzte Cal, hustete und spuckte auf den Boden. "Sucht diesen ersten Mann von ihr - Doc Gloyd. Wenn sie den sieht, wird sie aus der Stadt rennen wie ein Pferd, dem man den Schwanz angezündet hat." Wir drei erwachten zum Leben, neue Hoffnung erfüllte uns und so weiter, und wir quetschten ihn aus nach Einzelheiten. Kannte er Gloyd? Konnte er ihn auftreiben? Wie es schien, war Cal vor ungefähr einem halben Jahr mit dem "Doc" in der Pennergegend von St. Louis drei Wochen lang auf Sauftour gewesen. Der Doc war zu Geld gekommen. "Frisch entkorkte Flaschen vom Feinsten, fünfzig Cent das Stück", sagte Cal. Als er Gloyd nach dem Geld gefragt hatte, erzählte ihm der, dass es sich um eine Geste der Dankbarkeit von Seiten der durstigen Bürger von Manhattan, Kansas, handelte. Sie hatten ihm die Zugfahrt bezahlt und ihn mit Alkohol getränkt, damit er kam und die Stadt von einer Plage befreite. "Mrs. Mad?" fragte ich. "Richtig geraten", sagte Cal, und ein heiseres Kichern arbeitete sich seine Kehle herauf. "Sie braucht ihn bloß zu sehen. Es ist, wie wenn man einem Vampir ein Kreuz hinhält." Zwei Stunden später saßen Cal und ich bequem im Salonwagen der Atchinson-Topeka-Santa- Fe-Linie, probierten ihren süffigen Whisky, rauchten Zigarren und fuhren Richtung Osten. Nach St. Louis. MUSIKAKZENT Wir waren ziemlich hinüber, als wir in St. Louis ausstiegen. Ich war ein bisschen desorientiert, war doch der Bahnhof schon halb so groß wie ganz Topeka und wegen der vielen Männer mit Melonen und Jacketts und der Frauen mit den völlig unproportionierten Tournüren. Cal jedoch fühlte sich ganz wie zu Hause. Er bückte sich, um einen Zigarrenstummel aufzuheben, und stolzierte dann durch die Menge zu einem Mann, der, nur noch Haut und Lumpen, wie ein abgelegter Sonnenschirm gegen eine Bank gelehnt, dasaß. Die Augenlider des Mannes gingen langsam in die Höhe, als Cal eine Flasche herausholte und sie ihm hinhielt. Der Mann trank und reichte die Flasche wieder Cal. Cal trank und reichte die Flasche erneut dem Mann. Sie konferierten und kicherten fünf oder zehn Minuten lang, dann stand Cal mit knackenden Knien auf und winkte mir. "Er ist in der Stadt, das Lästermaul. Redfearns hier hat ihn gestern gesehn. Unten bei den Docks". Wir ließen unsere Sachen in Potter's Saloon, das Bett zu fünf Cent, Ecke Wharf Street und Albemarle Avenue. Potter verkaufte uns zwei Flaschen hausgebrannten Whisky zu Forschungszwecken, und dann spazierten wir hinaus, um die Unterwelt der Docks und ihr Milieu zu erkunden. Jedes Mal, wenn wir an einer flachliegenden Gestalt vorüberkamen, blieb Cal stehen, um ihre Identität zu überprüfen und, wenn zweckdienlich, sie mit ein, zwei Schluck von Potters Gift wiederzubeleben. Darauf folgte, als hätten sie's geübt, eine Weile ein Hin- und Hergeschiebe der Flasche und eine kichernde Unterhaltung wie bei dem Treffen mit Redfearns. Nach einer Weile ließ ich mich neben Cal und diesen stinkenden Saufbrüdern nieder, trank einen Schluck, wann immer die Flasche herumgereicht wurde. Da saß ich, Chefredakteur der "Topeka Sun", ein Freidenker und eine der intellektuellen Leuchten der Stadt, auf den geschwärzten Pflastersteinen der verrufensten Straßen von St. Louis, meine Urteilskraft und mein Gleichgewichtssinn schwer gestört, kaum mehr in der Lage, den Blick zu konzentrieren. Und das alles im Dienste der Menschheit. Im Verlauf des Tages begann ich, den Kontakt zu meiner Umgebung zu verlieren. Wir gingen, redeten und tranken unaufhörlich. Aber kein Gloyd. Ich war entmutigt, geknickt und dank Potters Hausbräu hatte ich praktisch nichts mehr im Bauch. Nachdem ich gegen eine Droschke und auf mein Hemd gekotzt hatte, gab es nur eins, was ich im Leben noch wollte: ein Bett. Potter führte mich die Treppe hinauf in den Schlafsaal und schob mich sanft in den dunklen Raum. "Nummer neun", sagte er. Nachdem sich meine Augen an die Düsternis gewöhnt hatten, sah ich, dass auf die Betten weiße Nummern gemalt waren. Ich ging die Reihe entlang, torkelnd und stinkend und bemüht das Gleichgewicht zu bewahren, bis ich vor der Nummer neun stand. Als ich mich mit der linken Hand an den Bettpfosten klammerte und mit der Rechten versuchte, mein Hemd aufzuknöpfen, dämmerte mir, dass eine Gestalt unter der Rosshaardecke auf meinem Bett lag. Das war zu viel. Ich begann, ihn zu schütteln. "He, wach auf, Partner. Das ist mein Bett. He." Dann verlor ich den Halt und fiel auf ihn drauf. Er prasselte los wie ein Feuer in einem Hurenhaus, kreischte und wand sich. "Arschficker!" plärrte er. "Mord und Sodomie!" Die anderen aus dem Schlaf gerissenen Gäste begannen in der Dunkelheit, Drohungen und Flüche auszustoßen. Ich wollte mich entwinden, aber der Verrückte hielt meinen Kopf in einem Griff wie ein Schraubstock fest. Seine Stimme war schrill und hysterisch, es klang wie eine Sau, die den Schlachtblock riecht. "Päderast!" brüllte er. Plötzlich flackerte Licht im Raum. Es war Potter mit einer Laterne in der Hand. Cal stand neben ihm, blinzelte in den grellen Schein. Ich wandte den Kopf. Der Mann, der mich festhielt, war grau wie ein alter Ziegenbock, hatte gelbe Zähne und Augen, die aussahen wie die Eier irgendeines im Wasser lebenden Insekts. "Doc!" rief Cal. Der Verrückte lockerte seinen Griff. "Cai?" sagte er. MUSIKAKZENT McGurk holte uns am Bahnhof von Topeka ab und schilderte uns die Lage. Mrs. Mad hatte den Sheriff gekauft, und sie und ihre Bürgerwehr säuberten die Stadt im Namen von Jesus Christus, im Namen von Nüchternheit und Abstinenz von Tabak, von Brüderlichkeit und Texicano-Essen. Sie hatte das Moose Lodge geräumt und Charlie Trumbull's Tobacco Emporium, und dann hatten ihre Jünger die Türen mit Brettern vernagelt. Und sie hatten Pedro Piramos Kneipe geschlossen, weil er frisch gebratene Tortillas und gebackene Bohnen mit Eiern servierte. Es war höchste Zeit für eine Kraftprobe. Wir machten die massive Eichentür von Doge's PIace auf, entfernten die Bretter vor den neuen Fensterscheiben, zündeten die Petroleumlampen an und heuerten einen einbeinigen Banjospieler aus Arkansas an, damit er uns Musik zum Schenkelklatschen hinlegte. Bald war der Saloon gerammelt voll mit trinkenden Männern, darunter eine gesunde Prise von üblen Subjekten. Das Banjo schallte vernehmlich durch die Straßen wie der verführerische Gesang der Sirenen. Irgend jemand schoss sogar ein-, zweimal mit einer großen Pistole. Unsere Geheimwaffe saß an der Theke. Sein Honorar waren fünfzig Dollar und soviel Schnaps, wie er trinken konnte. Gloyd war schon ziemlich hinüber. Er starrte in sein leeres Schnapsglas, muhte wieder und wieder ihren Namen wie eine brünstige Färse. "Carry. Ohhhh, Carry." Doge schenkte ihm nach. Sie brauchte eine halbe Stunde. Auf die Sekunde. Die Straße entlang kam sie, verbissen und unheilverkündend, ihre Schakale und Spießgesellinnen im Schlepptau. Ich lehnte gegen den Türstock, einen Zahnstocher zwischen den Zähnen. Das Banjo klang mir in den Ohren. Ich sah, wie sie die Köpfe zurückwarfen, als sie die Worte irgendeines geistlichen Liedes herausgrölten, und ich spürte das Beben, als ihre glänzenden schwarzen Stiefel im Gleichschritt auf das Pflaster trafen, trap, trap, trap. Die Straße entlang, mit untergehakten Armen, blitzenden Zähnen, zitternden Zäpfchen. "Er ist meine Zuflucht und meine Burg!" heulten sie. Trap, trap, trap. Sie führte sie die Treppe hinauf, stieß mich beiseite und rammte sich einen Weg hinein. Plötzlich war es totenstill. Das Banjo brach abrupt ab, Juhus und Hurras wurden verschluckt, das Geplauder erstarb. Sie hob den Arm, und der Chor schwang sich die Tonleiter hinauf, um mit einem wütenden hohen C zu enden, fromm und kämpferisch. Dann schritt sie zur Tat, stapfte schnaubend im Raum herum, bis sich die Gläser ihrer Nickelbrille vor Aufregung beschlugen. "Wachet auf, ihr Säufer, und tuet Buße!" brüllte sie. "Heulet, ihr, die ihr Wein trinkt, denn wer viel trinkt, dem wird es bitter ergehen." Sie richtete sich hoch auf, ihr Gesicht rot und geschwollen, furchteinflößend wie ein Wirbelsturm, der aus dem Südwesten heranbraust. Uns hatte es vor Erstaunen die Sprache verschlagen, uns allen - Cal, Doge, McGurk, Pedro. Aber dann, von ganz hinten in der Menge, vom weit entfernten anderen Ende der Theke her, ertönte ein leises Stöhnen wie von einem todunglücklichen Huftier. "Carry, ohhh, Baby, was habe ich dir nur getan?" Der Ausdruck auf ihrem Gesicht in diesem Augenblick hätte als solcher eine kriminelle Tat darstellen können. Sie war einfach abgrundtief hässlich. Stühle und Füße scharrten, als wir ihr aus dem Weg gingen, jeder für sich. Doge duckte sich hinter der Theke, Cal und McGurk suchten Zuflucht hinter einem umgekippten Tisch, die üblen Subjekte machten sich rar, und plötzlich waren da nur noch die beiden - Mrs. Mad und Gloyd -, die einander über den leeren Schankraum hinweg in die Augen starrten. Gloyd stieg vom Barhocker herunter und ging auf sie zu, schlurfenden, unsicheren Schritts, die Arme ausgebreitet zu einer vagen, leeren Umarmung. Plötzlich tauchte das Beil in ihrer Hand auf, ein Taschenspielertrick, die Knöchel, die den Griff umklammerten, weiß vor Anspannung. Sie keuchte wie eine Lokomotive, er war so still, als läge er im Koma. Sie setzte sich in Bewegung. Als sie keine zwei Meter mehr voneinander entfernt waren, blieben sie stehen. Gloyd taumelte, schwankte auf den Beinen, eine vergilbte Locke hing ihm ins Auge. "Carry", sagte er mit rauher, gutturaler Stimme. "Liebling, Pfirsichblüte, komm zurück zu mir, komm zurück zu deinem alten Doc." Und dann zwinkerte er ihr zu. Sie wurde knallrot, aber dann riss sie sich zusammen und entgegnete ihm mit dem Buch der Bücher: "Aber danach beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter." Er blickte ihr tief in die Augen, geil wie ein alter Kojote. "Ich bin wie ein trunkener Mann und wie ein Mann, den der Wein übermannt hat." Er grinste. Er hob die Arme, um sie zu umarmen, und plötzlich ging sie mit dem Beil auf ihn los; es beschrieb einen Bogen, während es mit bösartigem Zischen die Luft zerschnitt, verfehlte ihn um mindestens einen halben Meter. "Carry", sagte er mit trauriger und mahnender Stimme. "Lass die Vergangenheit ruhen und komm zurück zu deinem alten Doc." Ihr Arm sank hinab, das Beil fiel zu Boden. Dann ging sie plötzlich schluchzend auf die Knie - ein jammerndes Gackern drang aus ihrer Kehle, und ich konnte nicht sagen, ob sie lachte oder weinte. Ihre Schluchzer erfüllten den Raum, erschütterten die Dachsparren. Mir wurde die Angelegenheit allmählich peinlich. Aber der Doc stand grinsend vor ihr, die Hände in die Hüften gestemmt, bis eine der Frauen sie aus dem Raum führte. MUSIKAKZENT Einen Monat später rumpelte ein Fuhrwerk vom Bahnhof die Warsaw Street entlang, das Doges neue Mahagonitheke aufgeladen hatte. McGurk und ich nahmen uns den Nachmittag frei, um im kühlen Dämmerlicht von Doge's Place zu sitzen und dabei zuzusehen, wie Doge und Cal sie aufstellten und zum ersten Mal wachsten. Wir tranken ein paar Whiskys, und dann erwähnte Doge, er habe gehört, dass Mrs. Mad wieder am Werk sei und die guten Bürger von Wichita austrockne. Cal und ich lachten, aber der arme John nahm es nicht so gut auf, weil Lucy ihn verlassen hatte, der Bewegung beigetreten und mit ihr auf und davon war. Cal schüttelte den Kopf. "Diese Frauen", sagte er, "die kann nichts aufhalten. Als nächstes wollen sie auch noch das Wahlrecht." T.C.Boyle, John Barleycorn lebt. MUSIK Winwood / Traffic, John Barleycorn must die SPRECHER JOSEF TRATNIK Die legendäre Carry Nation - die Axt war ihr Markenzeichen - hat den Sieg ihrer Bewegung nicht mehr erleben dürfen. Sie starb 1911. Nur neun Jahre später, am 16. Januar 1920, wurde in den USA die Prohibition eingeführt. Mit dem Alkoholverbot wurden die Vereinigten Staaten alles andere als trocken. Im Gegenteil: Es wurde mehr getrunken denn je, allerdings illegal und im Verborgenen. MUSIK drunterlegen Emmerson, Lake & Palmer. Maple Leaf Rag SPRECHER JOSEF TRATNIK Die Prohibition machte auf einen Schlag dem fünftgrößten Industriezweig in Amerika den Garaus. Sie machte ehrliche Menschen zu Kriminellen, außerdem führte sie dazu, dass im Land sogar mehr Alkohol getrunken wurde als zuvor. Die Prohibition brachte die Mafia ins Geschäft. Ohne Whiskey-Verbot, keine Schmugglerbanden, keine Korruption, keine Unterwanderung von Polizei, Justiz und Politik. Der Whiskey machte Ganoven wie Al Capone zu den wahren Herren der Städte .... O-TON The Untouchables 3:10 bis 4:30 Meines Wissens ist ein Zeitungsartikel erschienen, der fragt, weshalb man Ihnen, da sie anscheinend der wahre Bürgermeister von Chicago sind, nicht einfach dieses Amt gegeben hat. Lachen. Wissen Sie, so etwas finde ich wirklich rührend. Das geht uns oft so im Leben: Wir lachen über einen Witz und wir lachen über die Wahrheit. Ein paar Leute, diese Weltver- besserer, sagen: Werft diesen Mann ins Gefängnis, was bildet der sich eigentlich ein? Ich bilde mir hoffentlich nicht ein, und schreiben Sie das in Ihren Zeitungen, dass ich den Menschen einfach nur das gebe, was sie wollen. Lachen. Die Menschen wollen trinken. Sie wissen es, ich weiß es, jeder weiß es. Und ich richte mich danach. Weiter nichts. Dieses Gerede über Schmuggeln von Alkohol, was soll das? Als Schmuggeln empfinden es die einen, als Fürsorge empfinden es die anderen. Ich bin Geschäfts-mann. ... Und wie steht es mit ihrem Ruf, dass Sie Ihre Geschäfte mit Gewalt durchsetzen? Dass jemand, der Ihre Waren nicht kauft, mit Gewalt dazu gezwungen wird? ... Ich wuchs in einem rauen Stadtviertel auf. Dort galt der Grundsatz: Du kommst mit freundlichen Worten und einer Waffe weiter als nur mit freundlichen Worten. Lachen MUSIK Benny Goodman, Sing, sing, sing (Trommelsolo) SPRECHER JOSEF TRATNIK In den so genannten "Roaring Twenties" verlagerte das anständige Amerika seinen Whiskey- Konsum in illegale Bars und Hinterhofclubs. Diese "speak easys" wurden von Regierungsagenten kontrolliert: Schlecht bezahlt und meist bestechlich. Nur wenige riskierten ihr Leben für ein fragwürdiges Gesetz und ein lausiges Gehalt. Upton Sinclair beschreibt in seinem Roman "Alkohol" den jungen Whiskey-Fahnder Kip, ein überzeugter Abstinenzler, der bei seinem Job allerdings ein großes Problem hat: Um Schwarzhändler zu überführen, muss er testen, ob sie tatsächlich Whiskey ausschenken. Nach den ersten beiden Gläsern muss er seinem Kollegen Abe gestehen, dass er nie zuvor Alkohol getrunken hat. SPRECHER THOMAS ANZENHOFER Abe blieb stehen; sein freundliches Gesicht wurde plötzlich ernst: "Was machen Sie mir denn da vor, Junge!" "Es ist die pure Wahrheit." "Ja, wie stellen Sie sich da Ihren Dienst als ,Probiermann' vor?" "Ich wusste nicht, was ich da zu tun habe." Abe Shilling platzte los. Er wollte wissen, wo Kip aufgewachsen war. Hier in Manhattan, sagte Kip. Das Erstaunen des anderen nahm kein Ende. "Sie müssen wissen", erklärte Kip, "dass mein Vater ein Säufer war. Drum will ich nichts davon wissen." "Ach so. Aber Mann, - glauben Sie, dass Sie das aushalten werden?" "Ich weiß nicht. Ich kann's ja versuchen." "Schön, mein Junge, wir werden uns ein besonderes Theater für Sie ausdenken, damit Sie nicht mehr als ein, zwei Schluck zu sich nehmen müssen. Den Geschmack werden Sie bald heraus haben." Sie waren gerade auf der Third Avenue unter der Hochbahn und kamen an einer Papierhandlung vorbei. "Das ist was für uns", sagte Abe, "sehen Sie die beiden Kerle, die da herausspazieren? Die haben sich eben ihre Kehlen ein wenig angefeuchtet." Die beiden Beamten gingen ein, zwei Häuserblocks weiter, kehrten dann um und traten in den kleinen Laden ein, der mit billigen Magazinen, Papierzeug und Bleistiften für Kinder vollgepfropft war. "Kühles Wetter, die Dame", sagte Abe zur Frau am Ladentisch. "Hätten gern was zum Wärmen!" "Wir verkaufen nichts", sagte misstrauisch die Frau. "Ich weiß, ich weiß", beschwichtigte sie Abe. "Aber ich bin ein Freund von Captain Schmitty, der hat mich aufgeklärt." (Später erklärte Abe Kip, dass er die Namen einer ganzen Reihe von höheren städtischen Polizeibeamten auswendig wisse.) "Bei den letzten Wahlen habe ich hier zu tun gehabt; Ihr Mann müsste mich kennen." "Mein Mann lebt gar nicht mehr." "So? Captain Schmitty sagte, ich solle nach Jake fragen." "Das ist mein Ältester." "Donnerwetter! Wie jung Sie noch aussehen! Ich dachte, Sie sind seine Frau. Darf ich vorstellen: mein Freund, Mr. Applegate, - Mrs. Winestone. Ein anständiger Junge, Madame, geben Sie ihm immer was Anständiges, wenn er kommt, kein Hausgebräu aus der Badewanne." "Ich verkaufe kein Hausgebräu", sagte Mrs. Winestone. "Ich verkaufe überhaupt nichts. Nur wenn ein Freund des Hauses kommt ... " "Ich weiß, ich weiß, Mrs. Winestone, Sie müssen vorsichtig sein bei den Zeiten. Ein Freund von mir bekam kürzlich so ein vergiftetes Zeug vorgesetzt. Schrecklich, was die Regierung da alles reinschüttet. Warum die das nur tun? Ich möchte wissen, wie wir das auf die Dauer aushalten werden." Abe schwatzte weiter drauflos. Kip kam bald dahinter, warum er das tat; er wollte die Aufmerksamkeit von sich ablenken; sonst besah man ihn sich zu genau. Die Frau öffnete halb mechanisch eine Tür rückwärts und führte die beiden in eine kleine Hauskneipe. Der Schanktisch war aus einem Haufen Kisten gemacht, die man mit einem Wachstuch überzogen hatte. Dahinter stand ein magerer, vielleicht zwanzigjähriger Junge. "Zwei Whiskys", bestellte Abe. Jake holte eine Flasche heraus und schenkte ein. Ach, man durfte sich ja nicht mehr selber einschenken, wie in der guten alten Zeit! Abe nahm sein Glas, stieß mit Kip an und sagte: "Prost!" Mrs. Winestones Ältester betrachtete sie weiter mit unfreundlichen Blicken und sprach nichts. Kip nahm einen Mundvoll davon und versuchte, es zu schlucken, - da geschah etwas Merkwürdiges. Es war, als ob der Alkohol in seiner Kehle explodiert wäre. Er spürte einen Schlag gegen die obere Mundpame; Nase, Augen und Ohren tränten, ein schwerer Hustenanfall packte ihn; der größte Teil des Mundinhalts lag auf dem Boden der Hauskneipe. Abe packte seinen Freund, klopfte ihm auf den Rücken und versuchte, sein Gleichgewicht wiederherzustellen. Um die Situation zu retten, rief er aus: "Teufel noch einmal! Was für ein Zeug verkauft ihr uns denn da, Junge!" "Das Zeug ist gut", sagte Jake streitlustig. "Was soll denn damit sein?" "Scheußlich ist es! Das schmeckt ja wie Spülwasser!" "Ich sage Ihnen, Mensch, die Ware ist erstklassig. Sie kommt eben aus dem Boot. Da schauen Sie her, ich habe noch die Strohhülle." Jake griff hinter die Kisten und zog eine Strohhülle hervor. "Da können Sie noch das Salzwasser dran riechen", versicherte er. "Das unschuldige Aschenbrödel!" rief Abe. Es war das verabredete Zeichen für Kip, an die Arbeit zu gehen. Trotz dem Hustenanfall stolperte er ein paar Schritte, kehrte dem "Schanktisch" und der Eingangstür den Rücken, holte eines von seinen Fläschchen heraus und saugte mit der Spritze etwas Alkohol aus dem Glas, - nicht ohne mit den Händen zu zittern und ein wenig zu verschütten. Abe bückte sich indessen über den Ladentisch hinüber, sah sich die lange Reihe von Flaschen dort an und prüfte ihre Hüllen. "Ich kann mir nicht helfen, Junge", sagte er. "Aber das Stroh schmeckt nicht nach Salzwasser." "Da gibt es gar nichts zu reden darüber", entgegnete Jake finster. "Ich kenne den Lieferanten selbst. Das Zeug lag noch vor einer Woche bei der Flotte draußen. Den Burschen, der's in seinem Boot 'reingeschafft hat, kenne ich auch." "Schön, Freundchen, aber jemand hat die Flaschen aufgemacht, bevor sie Ihnen überhaupt noch zu Gesicht kamen. Ich sag' ja gar nicht, dass Sie dran schuld sind, aber irgendetwas stimmt nicht mit dem Zeug, glauben Sie mir!" So schwatzte der heitere "Probiermann" weiter, bis Kip wieder zu ihm trat, sich die Lippen wischte und das leere Glas auf den Schanktisch stellte. Abe zahlte einen Dollar für beide, grüßte und zog Kip in den fallenden Schnee hinaus. "Großartig! Gar kein schlechter Trick das! Man müsste es jedesmal so machen. Glauben Sie, dass Sie immer so 'rausplatzen könnten wie heute?" "Es geht gar nicht anders", entgegnete Kip. MUSIK Peggy Lee, Fever SPRECHER THOMAS ANZENHOFER In der Second Avenue blieben sie vor einem scheinbar leeren Geschäft stehen, wo die Vorhänge niedergelassen waren; schließlich fanden sie eine Seitentüre, traten ein und wandten ihren neuen Trick an. Das Herausplatzen fiel Kip leicht; er torkelte wieder ein paar Schritte weit und entnahm dem Glas eine Probe, während Abe über die schlechte Qualität schimpfte und sich auch sonst, durch Bemerkungen über den Preis, unpopulär machte. Dann gingen sie wieder. So versuchten sie sich noch drei- oder viermal, bis es Kip plötzlich auf der Straße ganz sonderbar zumute wurde. "Ich weiß gar nicht, wie mir ist", sagte er und legte die Hand auf die Stirn. "Was ist denn los, Junge?" fragte Abe. "Das Zeug steigt Ihnen wohl zu Kopf, was?" Er nahm Kip väterlich beim Arm. "Ja", hauchte Kip. "Es steigt mir zu Kopf", und schon merkte er, dass es noch ärger kam. Er sprang zu einem Kanalgitter hin und erbrach sich. Die Passanten sahen ihm mitleidig zu; er schämte sich zu Tode und lief, so rasch er konnte, davon. "Machen Sie sich nichts daraus", sagte Abe freundlich. "Es ist gleich vorüber. Sie werden sich schon noch daran gewöhnen." Er bemerkte, wie benommen Kip noch war, und führte ihn in eine Drogerie. "Sie müssen eine Kleinigkeit essen", sagte er. "Auf einen leeren Magen verträgt der Mensch nicht einmal den Geruch von soviel Alkohol." Kip war es gerade jetzt unmöglich, etwas zu essen. Er hatte nur Lust, sich auf einen Augenblick niederzusetzen. Abe sagte zum Verkäufer: "Warten Sie ein Momentchen, mein Freund muss sich ausruhen." Ein wenig später winkte er den Mann in eine stille Ecke und sagte: "Mein Freund dort fühlt sich nicht besonders. Hätten Sie vielleicht etwas für ihn zum Trinken?" - "Nein", war die Antwort, "hier wird Alkohol nur gegen Rezept verkauft." - "Was Sie nicht sagen, Mensch! Ein Freund von mir hat letzte Woche welchen gekriegt bei euch und fand ihn ganz ausgezeichnet." "Wer war das?" "Jack Graham heißt er." "Kenn ich nicht." "Der Chef hat ihn ausgeschenkt. Übrigens können Sie den Captain Peabody anläuten, vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben. Aber so ein Haarwasser, wie man es vis-a-vis von euch bekommt, mag ich nicht, verstanden!" So ging es eine ganze Weile weiter. Schließlich nahm sie der Verkäufer nach rückwärts und schenkte ihnen zwei Gläser Whisky ein. "Trink das mal!" sagte Abe zu Kip. "Das ist es gerade, was du brauchst, du wirst schon sehen." Kip schlürfte ein wenig daran, aber es war offenbar doch nicht das, was er brauchte, und er wies das Glas mit schwacher Stimme zurück. "Aber Junge", drängte Abe, der sein Glas schon ausgetrunken hatte und mit den Lippen schmatzte, "das ist richtiger, guter Alkohol, wie er aus dem Zollagerhaus der Regierung kommt! Kriegst du's nicht 'runter?" "Danke, nein, ich mag nicht mehr", sagte Kip. "Es wär' ja schade, ihn wegzuschütten. Er tut dir gut, glaube mir; es wird dir noch leid tun, dass du ihn nicht im Magen hast." Abe zahlte und bemerkte: "Ich glaube, es ist klüger, ich heb' den Whisky für den armen Jungen auf. Er wird sich bald besser fühlen, und dann trinkt er ihn gewiss." Zur Überraschung des Verkäufers zog er ein Fläschchen aus der Tasche hervor, nahm den Kork herunter, hielt es zwischen zwei Fingern fest und schüttete vorsichtig den Inhalt des Glases hinein; die eifrige Unterhaltung mit Kip brach er unterdessen doch nicht ab. Das Gesicht des Verkäufers zog' sich immer mehr in die Länge; er brachte vor lauter Schreck kein Wort hervor. Abe steckte das Fläschchen ein, bedankte sich und verschwand mit Kip. Draußen sagte er: "Junge, der Trick ist ja noch viel feiner. Wird Ihnen den ganzen Nachmittag noch übel sein?" "Sicher", antwortete Kip. "Der erste Tag ist nämlich immer der schwerste", sagte Abe Shilling. "Machen Sie sich nichts daraus, Sie werden sich schon daran gewöhnen." MUSIKAKZENT O-TON NOURNEY 18 Ich weiß, das hört sich immer so ein bisschen an, als wäre ich totaler Berufstrinker, aber ich muss natürlich tierisch aufpassen, dass ich auch nicht zu viel Alkohol abkriege. Das heißt, wenn ich zuhause im stillen Kämmerlein verkoste, das heißt, wenn ich arbeite, dann spucke ich auch ganz konsequent aus. Und wenn ich eine Veranstaltung habe, dann muss ich meistens anschließend noch nach hause fahren oder zumindest noch ins Hotel fahren, dann trinke ich mit den Teilnehmern einen Schluck und das war's dann. Ich möchte auch gar nicht so viel trinken, weil ich einfach nicht den Fehler machen möchte, den viele andere Leute in dem Business schon gemacht haben, oder eben auch viele Konsumenten machen. Ich pass ziemlich genau darauf auf, wieviel ich wirklich bekomme. Und ich passe auch immer wieder darauf auf, dass ich ganz, ganz lange Pausen einhalte. MUSIK Peggy Lee, Fever SPRECHER THOMAS ANZENHOFER Spät am Abend erfuhr Kip, wie sich die New-Yorker Polizei zum Prohibitionsdienst stellte. Sie hatten ein Lokal in der Sixth Avenue aufgesucht, das jetzt noch genau so populär war wie früher. Offiziell wurde es alkoholfrei geführt; man bekam aber darin alles wie zu alten Zeiten, nur in anderen Gefäßen. "Hör mal, mein Alter", sagte Abe zum Schankburschen, einem jungen Iren. "Mein Freund hier fühlt sich so elend und braucht einen Schnaps. Wo krieg ich das?" "Flüsterkneipe um die Ecke", sagte der andere. "Fragen Sie den Schutzmann!" "Sachte, sachte, Junge, ich frage ja Sie. Eine Menge Freunde von mir kriegen hier was zu trinken." "So? Ja, Ingwerbier und Milchfrappé." "Mit einem Stich Alkohol drin, was?" "Mit gar keinem Alkohol drin." "Haben Sie doch Erbarmen, Jungchen!" "Ich kenn' Sie nicht." "Ich hab' doch einen Haufen Freunde hier. Fragen Sie den Sergeanten Pete, der kennt mich." "Sie kennen den Sergeanten Pete?" "Ob ich ihn kenne!" An einem Tische saß ein Mann mit einer Teeschale vor sich. Der Schank-bursche knipste so lange mit den Fingern, bis er seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er stand auf und kam auf die beiden zu. Kip kannte den Typus, es hätte Slip Kerrigan sein können, jener "Geheime" mit der Brillantnadel und der purpurgestreiften Krawatte. Er begutachtete sie von oben bis unten, in der furchterregenden Art eines Detektivs. Nach einem grimmigen Schweigen fragte er: "Was sucht ihr da?" Der drohende Ton in seiner Stimme klärte Kip und Abe darüber auf, daß ihr Spiel aus irgendeinem Grund missglückt war. "Was geht das Sie an?" fragte Abe. "Machen Sie keine Witze, Freundchen, sehen Sie sich das einmal an." Er schlug den Rock zurück und zeigte ein vergoldetes Schild, auf dem die Worte "Stadt New York" und darunter "Detektiv" zu lesen waren. "Na, und?" fragte Abe, auf den das gar keinen Eindruck machte. "Ihr seht mir stark nach ein paar Burschen aus, die ich schon lang suche." "Was Sie nicht sagen!" "Jawohl!" "Haben Sie Haftbefehle für die beiden Burschen?" "Brauch ich nicht. Ich pack' sie auf meinen guten Verdacht hin." Der Detektiv trat näher und griff nach Abes Revolvertasche. Abe brachte sich und seine Flaschen in Sicherheit. "Hände weg!" rief er. "Was heißt das? Was bildet ihr euch eigentlich ein?" "Hände weg, wenn Sie keinen Haftbefehl haben!" "Den zeigen wir euch auf der Wache. Ich werd' euch einen Haftbefehl in die Schnauze geben. Ihr seid verhaftet. Los! Mitkommen!" Er packte Kip beim einen und Abe beim andern Arm. Da sagte Abe so recht angeödet: "Laß sein, Mensch. Ich hab' auch so was!" Er schlug den Rock zurück und zeigte das Bronzeschild mit den Worten: "Vereinigte Staaten - Bundesregierung." "Teufel!" rief der Detektiv. "Warum haben Sie das nicht früher gesagt!" "Sie wissen ganz genau, warum ich es nicht gesagt habe." "Tut mir leid. War ein Irrtum!" "Nein, es war kein Irrtum. Und Sie machen sich auch gar nichts daraus! Sie haben genau gewusst, wozu wir da sind! Sie wollten den Schankburschen auf uns aufmerksam machen!" "Beweisen Sie das erst mal", entgegnete der Detektiv, ging an seinen Tisch zurück und trank den Whisky in der Teeschale aus. Der Schankbursche grinste. Die Protektion war ihr Geld wert! Upton Sinclair. Alkohol. S. 394 - 409 MUSIKAKZENT SPRECHER JOSEF TRATNIK Zur Zeit der Prohibition zahlten illegale Bars im Durchschnitt 400 Dollar im Monat an Polizisten und Stadtbeamte, was allein für New York City ungefähr 150 Millionen Dollar im Jahr bedeutete. Kurz gesagt: Eine Menge Leute verdienten eine Menge Geld mit der Prohibition. In Chicago verschwanden im Sommer 1920 rund 500 000 Liter Whisky - das waren 670 000 Flaschen - aus einer Lagerhalle, wo sie nach der Beschlagnahmung untergebracht gewesen waren. Die Nachtwächter behaupteten, sie hätten während ihrer letzten Schichten nicht bemerkt, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei... Landesweite Statistiken zeigten, dass von den 190 Millionen Litern Whisky, die zu Beginn der Prohibition in Lagerhallen der Regierung aufbewahrt worden waren, am Ende der Prohibition im Jahr 1933 zwei Drittel fehlten. Die Mordrate stieg nach der Einführung der Prohibition um fast ein Drittel an. Bestechung war an der Tagesordnung. O-TON NORNEY 19 Die Auswirkungen der Prohibition sind heute noch in den USA zu spüren. Dass es eben noch völlig alkoholfreie Landstriche gibt und dann aber eben die Bigotterie, dass die Leute fünf Meilen weiter fahren und sich das Auto vollladen mit Alkohol und zurückfahren und zu Hause heimlich in ihrem Kämmerlein trinken können nur eben nicht in einer Bar. Das sind so Sachen, die wundern mich einfach. Das könnte ich mir hier nicht vorstellen. Ich meine, wir haben hier auch Länder, in denen es ein staatliches Monopol gibt, zum Beispiel in den ganzen nordischen Ländern, wo man eben nur über staatlich geführte Spirituosen- und Verkaufsstellen an hochprozentigen Alkohol oder auch an Wein oder zum Teil ja Süßigkeiten oder so herankommt. Da habe ich noch mehr Verständnis für, weil das einfach auch eine Kontrolle seitens des Staates ist. Aber diese Kontrolle, wie sie in den USA ist, dass Sie alle paar Meilen unterschiedlich ist, das ist das, was ich bis heute noch nicht so ganz verstehe. Da denke ich mir, die Prohibition ist jetzt schon so lange vorbei, da könnte man doch jetzt eigentlich mal flächendeckend eine Lösung finden. SPRECHER JOSEF TRATNIK In der Zeit krimineller Umtriebe trieb freilich auch der amerikanische Krimi seine Blüten: Dashiell Hammetts Detektive führen ihre Ermittlungsgespräche bevorzugt bei einem doppelten Scotch, fahren mit dem Wagen die halbe Nacht durch die Gegend mit einer Kanone im Handschuhfach. Wenn Sie reden, dann immer durch geschlossene Zähne und in kurzen Sätzen, so wie im Malteser Falken mit Humphrey Bogart als Detektiv Sam Spade. O-TON aus Malteser Falke ab 48:50 bis 53:00 "Tag Mr. Spade." "Freut mich Sie kennenzulernen." "Ich bin sehr neugierig. Der direkte Weg ist immer der Beste. Trinken wir erst auf unsere Zusammenarbeit. Ich hoffe, Sie wissen einen guten Whiskey zu schätzen. Also Prost Mr. Spade, wir werden schon klarkommen. Hat's Ihnen die Rede verschlagen." "Ah, ich höre lieber zu." "Sie gefallen mir immer besser. Leute, die zuhören können, schätze ich besonders. Wenn die dann wirklich mal den Mund aufmachen, treffen sie dann meistens ins Schwarze. Zum richtigen Zeitpunkt reden, das ist eine besondere Kunst, die man durch viel Übung lernt. Entschuldigen Sie die lange Vorrede. Ich denke, der richtige Zeitpunkt ist für uns beide gekommen und wir können zum Kern der Sache übergehen." "Gute Idee, wie wär's, wenn wir über den Schwarzen Falken sprechen." "HmHm, Sie sind der richtige Mann für mich. Klopfen nicht erst auf den Busch, gehen gleich in medias res. Lassen Sie uns also über den Schwarzen Falken sprechen." (möglicherweise auch bis zur Musik zitieren) SPRECHER JOSEF TRATNIK Humphrey Bogart - es gab nur eine Sache, die er am Ende seines Lebens bereut haben soll: SPRECHER BERNT HAHN "Ich hätte nie von Scotch auf Martini umsteigen sollen." MUSIK Der Malteser Falke (Filmmusik) 3. Stunde MUSIK Ella Fitzgerald, It's only a paper moon. SPRECHER JOSEF TRATNIK Whiskey hat seine Geschichte - aber mit Whiskey lassen sich auch fabelhaft Geschichten erzählen. Willkommen zur dritten Stunden unserer Langen Nacht des Whiskeys. Ja, manch einem hilft das zweite oder dritte Glas, um ins Philosophieren zu kommen. So wie jener Herr Gantenbein, der es ablehnt, überhaupt eine eigene Geschichte zu haben. Max Frisch erzählt die Geschichte des Mannes ohne Geschichte in seinem Roman "Mein Name sei Gantenbein". ATHMO Regen, Bar, Geklimper mit Gläsern, SPRECHER THOMAS ANZENHOFER Ich sitze in einer Bar, Nachmittag, daher allein mit dem Barmann, der mir sein Leben erzählt. Ein trefflicher Erzähler! Ich warte auf jemanden. Während er die Gläser spült, sagt er, "So war das!" Ich trinke. Eine wahre Geschichte also. "Ich glaub's!" sage ich. Er trocknet die gespülten Gläser. "Ja", sagt er noch einmal, "so war das!" Ich trinke und beneide ihn - nicht um seine russische Gefangenschaft, aber um sein zweifelloses Verhältnis zu seiner Geschichte ... "Hm", sagt er, "wie das wieder regnet!" Darauf gehe ich nicht ein, sondern trinke. "Jede Geschichte ist eine Erfindung", sage ich nach einer Weile, ohne deswegen an den Schrecknissen seiner russischen Kriegsgefangenschaft zu zweifeln, grundsätzlich, "jedes Ich, das sich ausspricht, ist eine Rolle. "Herr Doktor", sagt er, "noch einen Whisky?" "Unser Gier nach Geschichten", sage ich und merke, dass ich schon zu viel getrunken habe, es zeigt sich daran, dass ich meine Sätze nicht zu Ende spreche, sondern annehme, man habe mich schon verstanden kraft meiner Einsicht, "vielleicht sind's zwei oder drei Erfahrungen, was einer hat", sage ich, "zwei oder drei Erfahrungen, wenn's hoch kommt, das ist's, was einer hat, wenn er von sich erzählt: Erlebnismuster - aber keine Geschichte", sage ich, "keine Geschichte." Ich trinke, aber mein Glas ist leer. "Man kann sich selber nicht sehen, das ist's, Geschichten gibt es nur von außen", sage ich, "daher unsere Gier nach Geschichten." Ich weiß nicht, ob der Barmann mir zuhört, nachdem er sechs Jahre im Ural gewesen ist, und nehme mir eine Zigarette, um unabhängig zu sein. "Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält", sage ich, "oder eine ganze Reihe von Geschichten", sage ich, bin aber zu betrunken, um meinen eignen Gedanken wirklich folgen zu können, und das ärgert mich, so dass ich verstumme. Ich warte auf jemand. "Ich habe einen Mann gekannt", sage ich, um von etwas andrem zu reden. "Er bildete sich ein, ein Pechvogel zu sein, ein redlicher, aber von keinem Glück begünstigter Mann. Wir alle hatten Mitleid mit ihm. Kaum hatte er etwas erspart, kam die Abwertung. Und so ging's immer. Kein Ziegel fiel vom Dach, wenn er nicht vorbeiging. Die Erfindung, ein Pechvogel zu sein, ist eine der beliebtesten, denn sie ist bequem. Kein Monat verging für diesen Mann, ohne dass er Grund hatte zu klagen, keine Woche, kaum ein Tag. Wer ihn einigermaßen kannte, hatte Angst zu fragen: Wie geht's? Dabei klagte er nicht eigentlich, lächelte bloß über sein sagenhaftes Pech. Und in der Tat, es stieß ihm immer etwas zu, was den andern erspart bleibt. Einfach Pech, es war nicht zu leugnen, im großen wie im kleinen. Dabei trug er's tapfer", sage ich und rauche, "bis das Wunder geschah." Ich rauche und warte, bis der Barmann, hauptsächlich mit seinen Gläsern beschäftigt, sich beiläufig nach der Art des Wunders erkundigt hat. "Es war ein Schlag für ihn", sage ich, "ein richtiger Schlag, als dieser Mann das große Los gewann. Es stand in der Zeitung, und so konnte er's nicht leugnen. Als ich ihn auf der Straße traf, war er bleich, fassungslos, er zweifelte nicht an seiner Erfindung, ein Pechvogel zu sein, sondern an der Lotterie, ja, an der Welt überhaupt. Es war nicht zum Lachen, ich musste ihn geradezu trösten. Vergeblich. Er konnte es nicht fassen, dass er kein Pechvogel sei, wollte es nicht fassen und war so verwirrt, dass er, als er von der Bank kam, tatsächlich seine Brieftasche verlor. Und ich glaube, es war ihm lieber so", sage ich, "andernfalls hätte er sich ja ein anderes Ich erfinden müssen, der Gute, er könnte sich nicht mehr als Pechvogel sehen. Ein anderes Ich, das ist kostspieliger als der Verlust einer vollen Brieftasche, versteht sich, er müsste die ganze Geschichte seines Lebens aufgeben, alle Vorkommnisse noch einmal erleben und zwar anders, da sie nicht mehr zu seinem Ich passen." Ich trinke. "Kurz darauf betrog ihn auch noch seine Frau", sage ich, "der Mann tat mir leid, er war wirklich ein Pechvogel." Ich rauche. Draußen regnet's nach wie vor ... Ich weiß nicht mehr, was ich eigentlich habe damit sagen wollen. Ich schweige, rauche. Max Frisch, Mein Name sei Gantenbein, S. 45 f. MUSIK George Thorogood, I Drink Alone SPRECHER JOSEF TRATNIK Es gibt Geschichten, die würde es ohne Whiskey gar nicht geben. Zum Beispiel die Geschichte von Andrzej Szczypiorski, von dem Mann, der sich weigert, jemals wieder Whiskey zu trinken. Die Geschichte spielt im völlig zerstörten Warschau kurz nach Kriegsende - also ein Ort, an dem man ohnehin eher Wodka erwartet hätte... MUSIKAKZENT SPRECHER GUNTER SCHOß Nein, ich trinke keinen Whiskey. Durchaus möglich, dass er ein sehr edles Getränk ist, aber er hat mich schon einmal verraten. Unser Wodka nie. Der Wodka hat mir nie Unrecht getan. Er war treu. Aber diese rothaarige angelsächsische Hure hat mir zwei Jahre meines Lebens gestohlen... Ich will Ihnen erzählen, wie das war, aber ich muss mit gewissen Erläuterungen beginnen. Ohne Hintergrund lässt sich die Komik der ganzen Geschichte absolut nicht begreifen. Es war Sommer, das Jahr 1946. Falls Sie sich an das Warschau der Zeit damals erinnern, brauche ich darüber kein Wort zu verlieren. Eigentlich gab es die Stadt nicht. Warschaus zerschmetterte Knochen lagen auf dem großen Trümmerhaufen des linken Flussufers. Man ging durch Ruinenschluchten, hier und da in irgendwie zusammengeschusterten Kammern oder mit Pappe gedeckten Trümmern leuchteten in der Sonne frisch eingesetzte Scheiben. Rührend war das. Es gab keine Vergangenheit und keine Zukunft, es gab nur die Gegenwart. Nichts war festgelegt, alles in Bewegung, im Wandel, in einem seltsamen, wahnwitzigen Tanz. Alle Vorstellungen von dem, was uns nach Kriegsende widerfahren würde, erwiesen sich als falsch. Alle unsere Berechnungen, Pläne, Einfälle, ja sogar unsere während des Krieges mit soviel Mühe und Mut in Gedanken an das künftige Polen und das künftige Warschau unternommenen Arbeiten erwiesen sich als unreal, der Lauf der Ereignisse verkehrte sie spöttisch in ihr Gegenteil. Ich möchte, dass Sie verstehen, in welchem Geisteszustand ich mich damals befand, denn das wird wesentlich sein, wenn ich Ihnen endlich von dieser unseligen Flasche Whiskey erzähle. Sie wurde zum Katalysator bestimmter Reaktionen. Sie verursachte den Zusammenprall zweier so schrecklich fremder Elemente, dass es zu einer Katastrophe kommen musste. Ich wohnte damals in Praga. Wohnen kann man das eigentlich nicht nennen, eher nur übernachten. Ich teilte die eiserne Bettstelle in der Küche mit einem Mann, der in der Nachtschicht arbeitete. Um sechs Uhr früh kam er heim, dann musste ich aus dem Bett kriechen. Jeden Morgen wanderte ich auf das Warschauer Ufer. Gewöhnlich zu Fuß, denn ich hatte viel Zeit. Meine Arbeit in Mokotow begann um 8.30 Uhr. Ich arbeitete zusammen mit einem Gleichaltrigen namens Maciejek. Das war ein umtriebiger, schlauer Blonder voller Einfälle, die Energie sprengte ihn. Ansonsten ein Trottel. Jede Epoche hat ihre Trottel, Maciejek war ein Trottel jener Kurve der Geschichte. Eines Abends nahm mich Maciejek mit in ein Lokal, das in den Ruinen eines ausgebrannten Hauses prosperierte. Der Abend war heiß. Die Lufttemperatur hatte ebenfalls ihren Anteil an dem ganzen Drama. In der Kneipe gab es Tanzmusik, hübsche Mädchen, ein Dutzend mit Geld gespickte junge Leute und einen Sänger jüdischer Herkunft, der im Rhythmus des Schlagzeugs und des schluchzenden Saxophons leidenschaftliche Schlager sang. Die meisten Texte sang er auf englisch, was auch seine Bedeutung hat. Kollege Maciejek kannte die Bardame des Lokals. Eine schicke Brünette, Vorkriegsklasse. Ich glaube, sie behandelte den Kollegen Maciejek mit viel Wohlwollen, deshalb unsere Anwesenheit dort. Kollege Maciejek machte der Bardame den Hof, als Gegenleistung durften wir gut essen und trinken. Irgendwann vor Mitternacht erschienen im Saal zwei Kerle, beide groß und breit, beide in hellen, eleganten Anzügen mit stark wattierten Schultern, grellfarbigen Krawatten und weichen Wildlederschuhen. Der eine war blond und hatte scharfe Gesichtszüge, der zweite trug eine dicke Hornbrille. Sie traten an die Bar und setzten sich auf Hocker dicht neben den Kollegen Maciejek. Sie sprachen Englisch miteinander. Die Bardame erschrak. Doch wozu hatte sie ihre Vorkriegsklasse? Ihr schlanker Arm hob sich mit geübter Bewegung, ihre Hand mit den langen, schönen Fingern richtete eine Locke über der Stirn. Diese Bewegung bewirkte, dass sich ihr Busen ein wenig verschob, genau soviel, wie nötig war. Beide Kerle musterten gute zehn Sekunden lang ergriffen diesen Busen, dann wies der Blonde mit der Hand auf eine Flasche Wodka und ein Tellerehen Lachssalat. Der Sänger, offenbar herbeigerufen von dem Lokalbesitzer, der auf alles ein Auge hatte, war bereits an der Bar. Er sprach die Gäste in fließendem Englisch mit leicht jüdischem Tonfall an. Und so begann es. Wir beide, der Kollege Maciejek und ich, wurden zum schweigenden Hintergrund für das freundliche Geplänkel jener vier. Der Sänger übersetzte fließend. Die breitschultrigen Sheriffs wollten sich richtig amüsieren, folglich aß ich nach drei Viertelstunden auf ihre Kosten ein zweites köstliches Abendessen, während der Kollege Maciejek, wenngleich ein wenig betrübt, nicht ohne Genuss Wodka trank und Trinksprüche ausbrachte. MUSIKAKZENT Aus: Lonnie Donegan, Have a Drink on me. Die Sheriffs waren dermaßen unkonventionell, dass wir uns sehr bald duzten, ich klopfte sie herzlich auf Nacken und Schulter, und sie revanchierten sich unter brüllendem Gelächter mit freundschaftlichen Rippenstößen. Einer der Sheriffs hieß Jones, der andere Connory, aber ich habe keine Ahnung, wie das Schicksal diese Namen auf sie verteilt hatte. Einer stammte aus New Jersey, der andere aus Montana. Dank eines Zufalls gewann ich ihre brüderliche Zuneigung. Ich hatte nämlich als Kind eine Vorliebe für Atlanten und war der Klassenbeste in Geographie, deshalb konnte ich ganz genau jede größere Bergkette, jeden Fluss, die Hauptstädte der Staaten, Länder und Provinzen aufzählen. New Jersey und Montana waren mir wohlbekannt, ich wusste sogar mehr über sie als die beiden Sheriffs. Die gackerten freudig, ohne meinen Versicherungen Glauben zu schenken, dass ich nie in Amerika gewesen sei. Um zwei Uhr nachts verkündeten die Sheriffs, unsere ganze Bande müsse sich unbedingt zu ihnen begeben, um amerikanische Getränke und Leckerbissen zu kosten. Die Bardame bedauerte, die Einladung ablehnen zu müssen, der Sänger kam mit, im übrigen wäre das ganze Unternehmen ohne einen Übersetzer unmöglich gewesen. Der Kollege Maciejek verabschiedete sich zärtlich von der Dame seines Herzens. Der Wagen rollte durch die Stadt und beleuchtete die Mondlandschaft mit den hellen Kegeln seiner Scheinwerfer. Wir fuhren zur Weichsel, die Brücke dröhnte unter uns, und wir bogen nach Süden ab. Ich vermag nicht genau anzugeben, wo diese Kerle wohnten. Als die Sonne, groß, rosarot und saftig wie eine Orange, schon über die Kiefernwipfel gestiegen war, kamen wir an. Die Villa machte auf mich einen faszinierenden Eindruck. Ich hatte mich an den Anblick der verletzten, verwundeten, verkrüppelten, zerschmetterten Häuser Warschaus gewöhnt, und nun erblickte ich im rosaroten Licht des frühen Morgens eine schöne, cremefarben-silbrige Villa mit glänzenden Fenster- Rechtecken und einem steilen, schimmernden Dach. Einer der Sheriffs, schon tüchtig angeheitert, schlug mir ein Bad vor. Zunächst hielt ich das für einen idiotischen Einfall, doch als er mir das Badezimmer zeigte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen. Wanne, Eisenofen, Bodenfliesen. Wie in Hollywood. Da war Palmolivseife, die Seife meiner Kindheit. Ich übergehe die Einzelheiten, ich will mich kurz fassen. Nach dem Bad, wieder in meiner Hose und meinem Hemd, setzte ich mich im weiträumigen Salon in einen tiefen Sessel. Dort gab es eine gläserne Bar und in dieser Bar eine Batterie exotischer Flaschen. Ich trank einen Schluck Whiskey mit Eis und Sodawasser - und fühlte mich als Kerl aus einer anderen Welt. Die Sheriffs servierten Nüsse, Konfekt, ein mir damals unbekanntes Teegebäck und später, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, riesige Beefsteaks, Gemüse, Weißbrot, Obst, Käse ... Es war eine phantastische Fresserei. Der Kollege Maciejek probierte hartnäckig die Getränke durch und schlief am Ende, den Kopf an einen großen Rhododendron-Kübel gelehnt, auf dem Teppich ein. Die Sheriffs waren auch reichlich angetrunken. So ging, als es zwölf schlug, genau zur Mittagszeit unser Abenteuer in der Villa der Sheriffs seinem Ende zu. Der Blonde schlief bereits selig und träumte von seinem fernen Montana. Der Dunkelhaarige beeilte sich keineswegs, uns im Auto nach Warschau zu bringen. Das war ganz vernünftig, zumal er nicht zu knapp getrunken hatte. Beim Abschied steckte er mir eine flache, schicke Flasche Whiskey in die Hosentasche. Wir trennten uns an der Gartenpforte und wir machten uns auf den Heimweg. Ich weiß noch, es war sehr schwül. Unser Pfad verlief durch einen Wald, unter hohen Kiefern. Ich verspürte große Müdigkeit und Unlust. Bitterkeit erfüllte mein Herz. Die Erinnerung an die vergangene Nacht und den Vormittag bereitete mir Verdruss. Ich hatte eine Welt gestreift, die nicht meine Welt war und es nicht sein konnte. Ich spürte meine Verurteilung zu Verzicht, Mangel, Sorge, zu dem gesamten polnischen Wahnsinn, zu der polnischen Ruine der Hoffnungen, zum polnischen Heroismus ohne Ziel - und ich war stolz darauf. Dann traten aus einem Wacholderdickicht zwei Uniformierte auf den Weg. Beide trugen am Ärmel weiß rote Armbinden der Miliz. Der Pockennarbige hielt uns an und befahl in scharfem Ton, die Papiere vorzuzeigen. Das kam damals oft vor, deshalb waren wir nicht überrascht. Wir hatten Praxis bei der Abwicklung solcher Begegnungen. Doch diesmal waren wir nicht allein. Bei uns war die verdammte Whiskeyflasche. Der Pockennarbige wies auf meine vollgestopfte Hosentasche und holte seine Pistole aus dem Futteral, während der andere uns geschickt durchsuchte. Er hob die Whiskeyflasche hoch, so dass der Pockennarbige den Kopf zurücklegte. Nachdenklich betrachtete er das bunte Etikett, nahm dann seinem Kameraden die Flasche misstrauisch aus der Hand, schüttelte sie, betrachtete sie wieder aufmerksam und fragte schließlich, was das sei. Ich entgegnete, das sei Whiskey. "Whiskey?" wiederholte er. "Kenne ich nicht." Der Kollege Maciejek war zweifelsfrei ein Kretin jener Epoche, das heißt ein Mensch, der ganz einfach die verschiedene komplizierten Bestandteile der Wirklichkeit nicht begriff und der glaubte, die Geschichte verlaufe auf pfeilgeradem Wege, während sie sich in einer scharfen Kurve befand und mit einer Geschwindigkeit dahinraste, bei der selbst die vernünftigsten Leute schwindelig wurden. Ich wollte ganz ruhig sagen, die Flüssigkeit in der Flasche diene zum Einreiben oder zum Spülen der Kehle, aber der Kollege Maciejek verkündete fröhlich, Whiskey sei amerikanischer Wodka. Der Pockennarbige fragte, woher ich den amerikanischen Whiskey hätte. Ich antwortete, das sei das Geschenk eines Bekannten. Wie dieser Bekannte heiße? Wo er wohne? Wer er sei? Warum er mir die Flasche gegeben habe? Er stellte seine Fragen leise und mit einer gewissen Spannung. Immer noch hielt er die Flasche in Gesichtshöhe und betrachtete die goldbraune Flüssigkeit. Immer noch war er unentschlossen. Gerade wollte ich sagen, er möge doch die Flasche öffnen, solchen Wodka habe er noch nie getrunken, der schmecke richtig himmlisch - doch der Kollege Maciejek rief, von ulanenhaftem Temperament getrieben, zornig, seine Fragen hätten mit der Sache nichts zu tun. Da warfen sich die beiden einen Blick zu und befahlen uns voranzugehen. Der Pockennarbige steckte die Whiskey-Flasche in seine Jackentasche. Sie führten uns zur Milizwache, die in einem halb zerfallenen Sommerhäuschen untergebracht war. Auf dem ganzen Weg unterbrach mich der Pockennarbige, sobald ich etwas sagen wollte, mit dem Ruf: "Halt die Schnauze!" MUSIKAKZENT In jener Nacht sprach ein beleibter, graumelierter Kerl in Zivil, der links ein wenig hinkte, mit mir bis zum Morgengrauen. Eigentlich kann man das kaum ein Gespräch nennen. Ich saß auf einem harten Hocker vor seinem Schreibtisch, das scharfe Licht einer Lampe blendete meine Augen, ich sah nichts außer diesem weißen, verhassten Lichtkreis, er aber stellte mir mit gespenstischer Einförmigkeit immer dieselben Fragen. In einem bestimmten Moment sagte ich, ich sei müde und könne mich nicht mehr konzentrieren. Er antwortete ziemlich sanft, dagegen könne er nichts tun. Mein Schicksal liege in meiner Hand, ich solle den Organen der öffentlichen Ordnung helfen und die Fragen beantworten, die zur Aufdeckung der Wahrheit dienten. Da verstand ich, dass dieser Mensch meine Erklärung verwarf, ihnen keinen Glauben schenkte und auf die Enthüllung von Fakten wartete, deren er mich verdächtigte. Vielleicht war er sogar guten Willens, aber nicht imstande zu begreifen, dass ich ganz einfach in eine Kneipe gegangen war, dort zwei Ausländer kennengelernt und ihre Einladung angenommen hatte. Er war nicht imstande, das zu begreifen, weil er selbst nie in einer solchen Kneipe gewesen war. Ich will gar nicht behaupten, er müsse abstinent gewesen sein. Sicher trank er, und zwar nicht wenig, aber ganz anders, in anderer Gesellschaft, unter anderen Umständen, in anderer Stimmung. Hinter sich hatte er das Trinken in den Wäldern, in den Biwaks, in der Froststille des russischen Winters, wo er den Fusel aus dem Kochgeschirr schlürfte und ein Stück Brot dazu aß, eine Stunde später aber Abschied nahm von einem Kumpan, der gerade mit durchschossener Lunge dahinstarb. Hinter sich hatte er das Trinken in den Transportzügen, die sich zwischen den Wänden des Frühlingsregens nach Westen schleppten, von wo das Dröhnen der Kanonen und der Geruch brennender Städte zu ihm drang. Hinter sich hatte er das irrwitzige, wilde, grenzenlose Trinken, nachdem er das ganze Magazin seiner Maschinenpistole in den bewölkten Maihimmel geschossen hatte, und dann eine endlose Reihe von Trinksprüchen auf den errungenen Sieg und den Todesstoß gegen das germanische Gewürm in seiner Berliner Höhle ausbrachte. Hinter sich hatte er das feierliche und düstere Trinken in verräucherten Komitee- und Kommandoräumen, wo er zwischen zwei Gläsern mit Untergebenen oder Vorgesetzten die weitere Strategie der Revolution absprach. Hinter sich hatte er ein ganz anderes, ein melancholisches und fremdes Stepper-Trinken, voll leidenschaftlicher Konzentration, aber ohne heitere Gelöstheit. Mit wildem Starrsinn ordnete er im Schlaf wie im Wachsein die Welt nach den unabänderlichen Maßstäben seiner scheinbaren Dialektik: Die Welt ist nur schwarz und nur weiß. Dieser beleibte, müde, hinkende Kerl war kein Ungeheuer. Heute weiß ich, hätte ich damals auf der anderen Seite des Schreibtisches gesessen, wäre ich nicht anders gewesen. Man sagt, der Mensch wählt ... Richtig, doch nicht ganz, nicht immer und nicht überall. Manchmal wählt die Situation für den Menschen. Wir schaffen die Situationen nicht, schon eher schaffen sie uns. Damals im Sommer sprachen sie nächtelang mit mir beim scharfen Licht der direkt auf meine Augen gerichteten Lampe. Ich will die Einzelheiten nicht erzählen. Wesentlich war nur, dass schon nach wenigen Tagen die unselige Flasche Whiskey völlig verschwand. Im November, als man mich in eine Sammelzelle verlegte und die Leidensgenossen mich nach dem Grund meiner Verhaftung fragten, erinnerte ich mich nicht mehr an die Flasche. Ich erinnerte mich nicht mehr an das Bad in der ovalen Wanne, ich erinnerte mich nicht mehr an die Gesichter der beiden Sheriffs, ich erinnerte mich nicht mehr an die Kneipe, den Sänger und die Bardame, nicht einmal an den Kollegen Maciejek erinnerte ich mich noch. Im Verlauf von zwei Monaten vollzog sich in mir eine große Veränderung, und ich erkannte meine eigene Biographie. In dieser Einsicht genügte ich den Erwartungen des beleibten graumelierten Kerls, der links hinkte. Er wollte in mir einen von der Geschichte betrogenen Soldaten des Warschauer Aufstands sehen - und ich war ein von der Geschichte betrogener Soldat des Warschauer Aufstands. Später war ich ihm ein bisschen dankbar. Schließlich hatte ich in den vorausgehenden Monaten nicht mit Sicherheit gewusst, wer ich war, wer ich gewesen und wer ich sein würde. Ich wusste, mit Polen und mit mir war etwas Schreckliches geschehen, ich hatte etwas verloren und begehrte etwas. Doch waren das nebulose, flüchtige Gedanken in einer nebulosen und flüchtigen Welt. Nach zwei Monaten nächtlicher Gespräche im Licht der zweihundert Watt starken Glühbirne wusste ich bereits sehr viel über mich, über diesen Kerl und auch über Polen. Um die Wahrheit zu sagen, damals gewann ich mein Vaterland wieder. Oder vielleicht die Vision eines Vaterlandes, wie ich es begehrte. Und für diesen Menschen war darin kein Platz. Es dauerte zwei Jahre minus achtzehn Tage. Als ich frei wurde, war wieder September. Jetzt verstehen Sie wohl, dass ich ein ablehnendes, ja sogar feindliches Verhältnis zum Whiskey habe. Aber vielleicht sollte ich ihn segnen? Ohne jene unselige Flasche wäre ich doch ein anderer Mensch ... Gott allein weiß, was mit mir geschehen wäre in dieser verrückten, verlogenen Welt. Vielleicht wäre ich ein besserer, ein vollständigerer Mensch. Aber vielleicht wäre ich nicht so über alles, so schmerzhaft und hoffnungslos ein Pole. Andrej Szczypioski. Amerikanischer Whiskey. MUSIK SPRECHER JOSEF TRATNIK Amerikanischer Whiskey - das ist - auch - hohe Politik. Das Weiße Hause muss für den Lauf der Geschichte einen ordentlichen Vorrat davon im Keller gehabt haben, denn von Anfang an tranken die Präsidenten Whiskey. George Washington brannte und verkaufte selbst Whiskey. Teddy Roosevelt mixte sich gerne Rye Whiskey mit Brandy, garniert mit einigen Mint-Blättern aus dem Garten des Weißen Hauses. Warren G. Harding war Präsident während der Prohibition, was ihn nicht daran hinderte, in seiner Golf Tasche immer eine Flasche Whiskey zu haben. Vielleicht war sein Handicap deshalb kaum der Rede wert. Harry Truman trank schon morgens einen Bourbon und beklagte sich, wenn ihm das Personal zu knapp einschenkte. Lyndon B. Johnson soll Scotch bevorzugt haben. Jedenfalls liebte er es, auf seiner Ranch in Texas mit dem Wagen herumzurasen, mit einem Whiskey im Plastikbecher. Hillary Clinton mag angeblich kanadischen Whiskey. Und Frank Sinatra, sagt man, sei mit einer Flasche Whiskey, einem Päckchen Zigaretten und einem Feuerzeug beerdigt worden... In den 60er/70er Jahren gehörte es zum guten Ton, Whiskey zu trinken. Oft war er sogar das Entrée-Billet, Mitglied in einer Kneipengesellschaft zu werden, die wie ein zweites Zuhause ist. J.R. Moehringer hat eine solche Initiation in seinem Roman "Tender Bar" beschrieben. MUSIKAKZENT SPRECHER BERNT HAHN An jener Ecke war schon immer eine Bar mit dem einen oder anderen Namen, seit dem Anfang der Zeit oder dem Ende der Prohibition, das lief aufs Gleiche hinaus in meiner schwer trinkenden Heimatstadt Manhasset auf Long Island. In den 1930ern war die Bar ein Zwischenstopp für Filmstars, die unterwegs waren zu ihren nahe gelegenen Jachtclubs und schicken Feriendomizilen. In den 1940ern war sie ein Hafen für aus dem Krieg heimkehrende Soldaten. In den 1950ern ein Lokal für Halbstarke und ihre Freundinnen in Petticoats. Aber zu einem Wahrzeichen, einem Flecken heiliger Erde wurde die Bar erst 1970, als Steve den Laden kaufte. In Manhasset galt Steves Bar bald als die Bar. So wie wir New York "die City" nannten und die Wall Street "die Street", sagten wir immer "die Bar", und es gab nie den geringsten Zweifel, welche Bar wir meinten. Sie wurde die bevorzugte Herberge in allen Stürmen des Lebens. Als 1979 der Atomreaktor auf Three Mile Island schmolz und die Angst vor einer Apokalypse den Nordosten erfasste, riefen viele Einwohner Manhassets bei Steve an, um sich einen Platz im luftdichten Keller unter seiner Bar zu reservieren. Natürlich hatten alle ihren eigenen Keller. Doch sobald ein Jüngstes Gericht drohte, dachten die Leute zuerst an die Bar. Für Steve war die Bar an der Ecke der egalitärste aller amerikanischen Sammelpunkte, und er wusste, Amerikaner verehrten seit jeher ihre Bars, Saloons, Tavernen und "Kneipen" - eines seiner Lieblingsworte. Er wusste, wie wichtig Amerikanern ihre Bars waren und dass sie hingingen, weil sie dort von Glanz bis Schutz alles bekamen, vor allem aber, weil sie dort die Geißel des modernen Lebens loswurden - die Einsamkeit. Er wusste nicht, dass die Puritaner bei ihrer Ankunft in der Neuen Welt noch ehe sie eine Kirche bauten, eine Bar bauten. Er wusste nicht, dass die amerikanischen Bars direkt von den mittelalterlichen Wirtshäusern in Chaucers Canterbury Tales abstammen, die von den angelsächsischen Bierschänken abstammten, die wiederum von den tabernae an den Straßen des alten Roms abstammten. Der Stammbaum von Steves Bar reichte bis zu den bemalten Höhlen in Westeuropa zurück, in denen Steinzeitmenschen vor fast fünfzehntausend Jahren ihre Söhne und Töchter in die Stammessitten einführten. Steve erklärte von Anfang an, im Publicans dürfe niemand schlecht behandelt werden. Die Sperrstunde war bei ihm verhandelbar, egal was das Gesetz vorschrieb, und seine Barmänner schenkten immer sehr - wirklich sehr - großzügig ein. Ein normaler Whiskey wäre anderswo ein Doppelter gewesen. Nach einem Doppelten schielte man. Und ein Dreifacher zog einem die Schuhe aus, glaubte man meinem Onkel Charlie, dem jüngeren Bruder meiner Mutter und allerersten Barmixer, den Steve einstellte. In den ersten fünfundzwanzig Jahren meines Lebens wurde ich von jedem, den ich kannte, in die Bar geschickt, zur Bar gefahren, zur Bar begleitet, aus der Bar gerettet oder jemand war in der Bar, wenn ich ankam, so als hätte er seit meiner Geburt auf mich gewartet. Im Dezember 1982 wurde ich achtzehn Jahre alt, das Alter, ab dem man in New York laut Gesetz offiziell trinken durfte. Ich studierte damals in Yale im ersten Semester. Doch ich fuhr an diesem Tag nach Hause, in die Bar. Es war Freitagabend, draußen dämmerte es gerade. Die Bar war noch nicht voll. Im Restaurant speisten Familien zu Abend, am Tresen standen ein paar frühe Trinker, alle erstaunlich gelassen, wie Farmer aus New England, die auf einem Feld an einer Steinmauer lehnen. Ich trat durchs Restaurant ein, blieb an der Schwelle zur Bar stehen, stellte einen Fuß auf den Backsteinsockel, der unten an der Theke entlang führte und musterte Onkel Charlies Hinterkopf. Er spürte meinen Blick und drehte sich langsam um. "Sieh mal einer an. Wen haben wir denn da", sagte er. "Hallo", sagte ich. "Auch hallo." Wie Geschworene schwenkten die Männer an der Theke ihre Köpfe in meine Richtung. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich stellte meinen Koffer ab, Onkel Charlie lüpfte seine Zigarette vom Aschenbecher, nahm einen langen Zug und blinzelte durch die Zirruswolken aus Rauch zu mir herüber. Noch nie hatte er Bogart so ähnlich gesehen, noch nie hatte mich das Publicans mehr an Ricks Cafe Americain erinnert, weshalb ich vielleicht, als ich meinen Führerschein auf die Theke legte, etwas von "Transit-Visa" murmelte. Onkel Charlie warf einen Blick darauf, ohne ihn in die Hand zu nehmen, und tat so, als zählte er die Jahre seit meiner Geburt. Dann stieß er einen langen rollenden Seufzer aus. "Heute ist also der große Tag", sagte er. "D-Day. Oder sollte ich lieber sagen B-Day? Du bist gekommen, um dir deinen ersten offiziellen Drink abzuholen." Die Männer am Tresen glucksten. "Mein Neffe", sagte er zu ihnen. "Ist er nicht schön?" Die Frage wurde mit einem tiefen Murmeln männlicher Zustimmung beantwortet, das wie Pferdewiehern klang. "Gemäß den Gesetzen des obersten Staates von New York", fuhr er lauter fort, "ist mein Neffe heute ein Mann." "Dann ist das Gesetz am Arsch", sagte eine Stimme in der Dunkelheit zu meiner Rechten. Ich drehte mich um und sah Joey D den Tresen entlangstapfen. Er bemühte sich um ein Stirnrunzeln auf seinem großen Muppet-Gesicht, doch dahinter sah ich ein Grinsen, wie eine Sonne, die gleich die Wolken durchbricht. Er schnappte sich meinen Führerschein und begutachtete ihn unter dem düsteren Licht. "Kann nicht sein", sagte Joey D. "Chas der Kleine? Ist wirklich kein Kleiner mehr?" Onkel Charlie schüttelte den Kopf, als wollte er sagen, tja, so weit sind wir jetzt schon gekommen. "Nun ja, Gesetz ist Gesetz", sagte Joey D. "Ich schätze, wir haben keine Wahl. Lass mich dem Jungen seinen ersten Drink spendieren." "Neffe, du wirst von Joey D gedeckt", sagte Onkel Charlie. "Gedeckt?" Den Ausdruck hatte ich schon gehört, aber ich war mir nicht ganz sicher, was er bedeutete. "Joey D gibt dir einen Drink aus. Was soll's denn sein?" Die magischen Worte. Sofort wurde ich einen Kopf größer. "Was trinke ich nur? ", überlegte ich laut und sah auf die Flaschen hinter Onkel Charlie. "Wichtige Entscheidung." "Die wichtigste", sagte er. Und er übertrieb nicht. Onkel Charlie war überzeugt, dass man ist, was man trinkt, und er teilte Leute nach ihrem Getränk ein. War man erst mal Sea-Breeze-Jack oder Dewars-Soda- Jill, hatte man seinen Stempel weg, und sobald man durch die Tür kam, schenkte Onkel Charlie genau das ein, und viel Glück, wer versuchte, sich bei Onkel Charlie neu zu erfinden". Wir ließen beide den Blick über die Flaschenreihe schweifen. "Ich glaube, ein Yalie sollte Gin trinken", sagte er und zeigte auf eine Flasche Bombay. "Ein guter Gin Martini. Ich mache den besten in New York, nebenbei gesagt. Ich gebe ein paar Tropfen Scotch dazu, mein Geheimrezept. Stammt von einem britischen Butler, der abends hier war." "Um Himmels willen!", rief jemand. "Ein Gin Martini? Der Saft der bösen Wacholderbeere? Du hast dem Jungen eben die Stützräder abgenommen und schnallst ihn gleich auf eine verdammte Kawasaki?" "Schön gesagt", lobte Onkel Charlie "Steck einen Nippel auf ein Budweiser", murmelte jemand, "und schieb ihn in seinen verdammten Mund." "Wie wär's mit einem Sidecar?", fragte eine Frau. "Sidecars sind köstlich. Und Chas, du machst die besten im Geschäft." "Stimmt", sagte Onkel Charlie. Er drehte sich zu mir und wölbte eine Hand seitlich vor den Mund, damit nur ich es hören konnte. "Ich verwende Cognac statt Brandy", sagte er, "und Cointreau statt Triple Sec. Hervorragend. Wird aber nicht mehr oft verlangt. In den Dreißigern war das ein großer Drink." Er wandte sich wieder an die Frau. "Aber zwing mich bitte nicht, eine Zitrone zu drücken, Schätzchen, ich weiß nämlich nicht, wo die verdammte Presse ist." Ein wilder Streit über schwer zu mixende Getränke brach aus und führte zu einer Diskussion darüber, was die Passagiere auf der Titanic gerade tranken, als sie den Eisberg rammten. Onkel Charlie bestand auf Squirrels und wettete zehn Dollar mit einem Mann, der auf Old Fashioneds pochte. Onkel Charlie ignorierte mittlerweile mindestens ein Dutzend durstige Gäste, um mir bei der Entscheidung zu helfen, ob ich Gin-Tonic JR oder Scotch-Soda Moehringer war. Dann traf er eine Alleinentscheidung. Ich sei, sagte er zu mir, ein "Herbst-Typ", genau wie er, und guter britischer Gin, eiskalt, schmecke nach Herbst. Demzufolge werde ich Gin trinken. "Jede Jahreszeit hat ihr Gift", sagte er und erklärte, Wodka schmecke nach Sommer, Scotch nach Winter und Bourbon nach Frühling. Er schob mir das Glas zu. Ich nippte. Er wartete. Fantastisch, sagte ich. Er lächelte, ähnlich einem Sommelier, der meinen Gaumen für gut befand. Bevor ich noch einen Schluck trinken konnte, hörte ich eine Stimme hinter mir. "Junior!" Ich erstarrte. Wer außer meinem Vater oder meiner Mutter kannte meinen heimlichen Namen? Ich wirbelte herum und sah Steve, die Arme vor der Brust verschränkt, Stirn in Falten gelegt, wie Sitting Bull auf dem berühmten Foto. "Was soll ich davon halten? Du trinkst? In meiner Bar?" "Ich bin achtzehn, Chief." "Seit wann?" "Vor fünf Tagen. " Ich reichte ihm meinen Führerschein. Er sah ihn kurz an. Dann öffnete sich sein Gesicht zu diesem breiten Grinsen, wie es mir von früher noch so lebhaft in Erinnerung war. "Gott, langsam werde ich wohl alt", sagte er. "Willkommen im Publicans." Sein Grinsen wurde noch breiter. Ich lächelte ebenfalls, so lange, bis mir die Wangen wehtaten. Wir schwiegen beide. Ich rieb meine Hände aneinander und überlegte, ob ich etwas sagen sollte, irgendeinen Spruch, den man von sich gab, wenn man zum ersten Mal offiziell Alkohol trinken darf. Ich wollte das absolut Richtige sagen, um Steve gerecht zu werden. Und seinem Lächeln. Da kam Onkel Charlie zurück. "Junior ist jetzt ein Mann", sagte Steve zu ihm. "Ich weiß noch, wie er hier rein kam und gerade mal so groß war." Er hielt seine Hand an die Hüfte. "Der verdammten Zeiten Flügelschlag", rezitierte Onkel Charlie. "Gib Junior einen auf mich aus." "Neffe, du wirst von Chief gedeckt", sagte Onkel Charlie. Steve klopfte mir fest auf den Rücken, als stecke mir ein Crouton im Hals, und ging dann weiter. Ich sah Onkel Charlie an, Joey D, Cager, sämtliche Männer und betete, dass niemand gehört hatte, als Steve mich Junior nannte. Das Einzige, was den Leuten im Publicans noch bleibender anhaftete als die Wahl des Cocktails, war der Spitzname, den Steve ihnen verlieh. Im Publicans war man der, zu dem man von Steve gemacht wurde, und wehe dem, der sich darüber beklagte. Onkel Charlie füllte meinen Martini auf. Ich trank ihn aus. Er füllte wieder nach und beglückwünschte mich zu meinem Stoffwechsel. Hohles Bein, sagte er. Muss in der Familie liegen. Ich trank den Rest aus, und noch ehe ich das Glas abstellte, war es wieder voll. Im Publicans füllten sich die Gläser wie von Zauberhand, genau wie die Bar. Kaum gingen fünf Leute hinaus, spazierten zehn herein. Nach meinem dritten Martini legte ich einen Zwanziger auf die Theke, um meinen nächsten zu zahlen. Onkel Charlie schob den Schein zurück. "Geht aufs Haus", sagte er. "Aber ... " "Neffen von Barmännern trinken umsonst. Immer. Kapiert?" "Kapiert. Danke." "Wo wir gerade dabei sind." Er zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche, zählte fünf Zwanziger ab und warf sie auf meinen Schein. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag." Ich wollte das Geld nehmen. Onkel Charlie winkte ab. Falsch, sagte er. Er sah die Theke entlang. Ich folgte seinem Blick. Vor jedem Mann und jeder Frau lag ein Bündel Geldscheine. Sobald du in den Laden kommst, erklärte Onkel Charlie, legst du dein Geld hin, dein ganzes Geld, und lässt den Barmann nehmen, was er im Lauf des Abends braucht. Auch wenn der Barmann dein Onkel ist und dein Geld nicht anrührt. "Eine alte Tradition", sagte er. Gegen Mitternacht drängten sich mehr als hundert Leute in der Bar, dicht wie die Backsteine in einer Mauer. In der ganzen Bar herrschte ein kompliziertes System von Gesten und Ritualen. Und Gewohnheiten. Mir fiel auch auf, dass jeder seine oder ihre eigene Art zu bestellen hatte. Joey D, kannst du darauf aufbauen? Goose, könntest du mir meinen Whiskey nochmal auffrischen, bevor ich zu meiner jämmerlichen Attrappe von Mann heimgehe? Ein Gast zeigte nur mit einem Augenblinken auf sein leeres Glas, dass er nachgeschenkt haben wollte, so als prüfte er den Tachometer bei einer Autofahrt. Ein anderer streckte seine Hand aus und berührte mit seinem Zeigefinger den von Onkel Charlie, eine Nachahmung von Michelangelos Erschaffung Adams. Bestimmt gab es nicht allzu viele Bars auf der Welt, dachte ich, in denen jemand eine Szene von der Decke der Sixtinischen Kapelle nachspielte, wenn er ein Amstel Light wollte. Um drei Uhr morgens "schloss" die Bar, aber keiner machte Anstalten zu gehen. Onkel Charlie sperrte die Türen zu, schenkte sich einen Sambuca ein und lehnte sich zurück. Er sah kaputt aus. Er fragte, wie es mir an der Uni ging. Er merkte, dass etwas nicht stimmte. Raus damit, sagte er. Den ganzen Abend schon war mir aufgefallen, dass Onkel Charlie neben den vielen witzigen Rollen, die er hinter der Bar spielte, auch eine ernste verkörperte. Ein Mann mischte sich ein. Er lümmelte sich an die Theke und maunzte Onkel Charlie an: "Einen für unterwegs, Goose?" "Moment noch", knurrte Onkel Charlie. "Ich unterhalte mich gerade mit meinem Neffen über Schulprobleme." "Du fühlst dich eingeschüchtert, weil du dein Leben mit einer Zwei und einer Sieben in verschiedenen Farben angefangen hast", sagte Onkel Charlie. "Wie bitte?" "Eine Zwei und eine Sieben in verschiedenen Farben ist so ziemlich das mieseste Blatt, das du beim Pokern haben kannst." "Das kann ich nicht beurteilen", sagte ich. "Ich komme mir nur vor wie - ein Fisch ohne Wasser." Onkel Charlie beugte sich nah zu mir und fragte: "Was hast du erwartet? Du bist an der besten Schule des Landes. Meinst du, sie lassen Dummköpfe nach Yale?" "Nur einen." "Ach. Was musst du dieses Wochenende lesen?" "Aquin." "Ein mittelalterlicher Philosoph. Wo liegt das Problem?" Ich nahm mein Geld, holte meinen Koffer und steuerte zur Tür. Ich besaß siebenundneunzig Dollar mehr als bei meiner Ankunft, und die Männer in der Bar, auch Steve, hatten mich zum Mann erklärt. Ein unvergesslicher Geburtstag. Als ich in die rosige Morgendämmerung hinaustrat, sagten alle: "Komm bald wieder, Kleiner." Meine Antwort hörten sie nicht oder konnten sie zumindest nicht verstehen. "Machich", sagte ich. "Gansbeschtimmt." J.R. Moehringer. Tender Bar. Roman. Frankfurt: S. Fischer 2007. S. 203 - 220. ISBN 978-3-10-049602-7 MUSIK Billy Joel. Piano Man. SPRECHER JOSEF TRATNIK Der Whiskey hat so manchen Dichter ruiniert, und aus manch ruinierter Existenz einen guten Dichter gemacht. Charles Bukowski, das Enfant terrible unter den amerikanischen Underground-Schriftstellern, schrieb stark autobiografisch und über Menschen auf der Schattenseite des "American Way of Life": Kleinkriminelle, Obdachlose, Prostituierte - und über Alkohol in jedweder Form, bevorzugt aber über Whiskey und Leute die Whiskey trinken, weil sie ihn dringend brauchen. So sehr, dass sie ihn auch schon mal klauen. So wie in Bukowskis Gedicht "Härte 10" SPRECHER GUNTER SCHOß Nina war härter als alle anderen. Sie war das schlimmste Weib, das mir bis dahin Begegnet war. Ich saß gerade vor meinem Schwarz-weiß Fernseher aus zweiter Hand und sah mir die Nachrichten an als ich aus der Küche ein verdächtiges Geräusch hörte. Ich rannte rein. Sie hatte eine voll Flasche Whisky in der Hand und war schon halb aus der Haustür, aber Ich bekam sie zu fassen und packte die Flasche. "Gib her, du elende Nutte!" Wir zerrten und rangelten, und ich kann euch sagen sie kämpfte wie eine Löwin. Aber am Ende hatte ich die Flasche. "Schaff deinen Arsch hier raus!" Sie wohnte im Hinter- Hof, zweiter Stock. Ich schloss die Tür ab ging mit Flasche und einem Glas zur Couch schraubte den Verschluss auf und goss mir einen strammen Drink ein. Ich stellte den Fernseher ab saß da und dachte nach über Nina und was für eine harte Nummer sie war. Ich konnte gut ein Dutzend üble Sachen aufzählen die sie sich bei mir geleistet hatte. Was für eine Nutte. Was'n harter Brocken. Da saß ich nun trank den Whisky und war ratlos. Was wollte ich eigentlich mit dieser Nina. Ein Klopfen an der Tür. Es war ihre Freundin Helga. "Wo ist Nina?" wollte sie wissen. "Sie hat versucht meinen Whisky zu klauen. Ich hab sie rausgeschmissen." "Wieso?" "Wir sollen es vor dir machen. Für fünfzig Dollar." "Fünfundzwanzig." "Sie hat fünzig gesagt." "Na, sie ist aber nicht da. Willst'n Schluck?" "Klar." Ich holte ein Glas und schenkte ihr einen Whisky ein.- Sie trank. "Hm", sagte sie "vielleicht sollt' ich sie holen." "Ich will sie nicht sehen." "Warum?" "Weil sie ne Nutte ist." Helga trank aus und ich schenkte ihr nach. Sie schlürfte. "Benny sagt immer Nutte zu mir. Ich Bin aber keine." Benny war Ihr Typ. "Ich weiß, dass du keine bist, Helga." "Danke. Haste keine Musik?" "Bloß das Radio." Sie sah es stand auf stellte es an. Lautes Gedudel kam raus. Mit dem Glas in der Hand fing sie an zu tanzen. Sie tanzte nicht gut. Es wirkte lächerlich. Sie blieb stehen trank ihr Glas aus und ließ es über den Teppich kullern. Dann warf sie sich vor meinem Sessel auf die Knie zog mir den Reisverschluss auf und machte ihre Tricks. Ich kippte meinen Drink und goss mir nach. Sie war gut. Sie hatte einen College- Abschluss von irgendwo an der Ostküste. "Bring es, Helga! Mach mirs!" Plötzlich wurde an die Tür gehämmert. "HANK! IST HELGA DA?" "Wer?" "HELGA!" "MOMENT!" "ICH BINS! NINA! ICH HAB MICH HIER MIT IHR VERABREDET! WIR HAM NE KLEINE ÜBERRASCHUNG FÜR DICH!" "Du HAST MIT MEINEM WHISKY ABHAUEN WOLLEN DU NUTTE!" "HANK! MACH AUF!" "Bring es, Helga! Mach mir's" "HANK!" "Helga, du verhurtes Luder ... Helga! Helga! Helgaaa!!" Ich zog den Bauch ein und stemmte mich hoch. "Mach ihr auf." Ich ging ins Bad. Als ich ruskam saßen sie da tranken und rauchten und lachten über irgendwas. Sie sahen zu mir hoch. "Fünfzig Dollar" sagte Nina. "Fünfundzwanzig" sagte ich. "Dafür machen wirs nicht." "Dann eben nicht." Nina paffte an ihrer Zigarette. "Also gut, du knickriger Sack - fünfundzwanzig." Sie stand auf und zog sich aus. Sie war die Härteste von allen. Helga stand auf und zog sich auch aus. Ich goss mir wieder einen Drink ein. "Manchmal!", sagte ich "frag ich mich was zum Kuckuck hier eigentlich läuft." "Mach dir keine Gedanken, Daddy. Schaff dich einfach rein." "Was soll ich'n machen?" "Was dich grad juckt. Tu's halt, verdammt" sagte Nina, und ihr großer Hintern glitzerte im Schein der Stehlampe. Charles Bukowski. Härte 10. Aus: Ende der Durchsage. Gedichte. S. 398 - 406 MUSIK John Lee Hooker. One Bourbon, One Scotch, One Beer SPRECHER JOSEF TRATNIK Gegen Ende unserer Langen Nacht vom Whiskey wollen wir zurückkehren ins Ursprungsland des Whiskey, nach Irland. John B. Keane erzählt in "Whiskey für den Weihnachtsmann", wie das "Wasser des Lebens" am Ende und am Anfang einer Lebensphase stehen kann. MUSIKAKZENT SPRECHER THOMAS ANZENHOFER Hector Fitzpitter, Schauspieler, Theaterleiter und Dramatiker, saß auf seinem Requisitenkoffer. Der stellte seinen einzigen Besitz dar, wenn man von Hut, Anzug, Hemd und Schuhen absieht, die er auf dem Leibe trug. Seit eineinhalb Stunden saß er schon so. Seine letzten Münzen hatte er früh am Tage für einen Becher Tee und ein Käsesandwich ausgegeben. Der Koffer, auf dem er saß, enthielt seine Kostüme, freilich verschlissen und leider nur noch drei an der Zahl, nämlich Jago, Falstaff und Tontagio für das Drama "Das bärtige Ungeheuer von Tontagio", die Titelrolle, in der man ihn am ehesten kannte und in kleineren Städten und Dörfern geradezu feierte. Es war ein furchteinflößender Part, bei dem sich einfache Gemüter ängstlich duckten, wenn er auf der Bühne tobte und raste. Dieses Stück hatte er selbst verfasst. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war er einmal in eine Versenkung gestürzt und hatte sich ein Bein gebrochen. Während der sechs Wochen im Krankenhaus hatte er das Drama niedergeschrieben. "Hätte er sich doch", urteilte ein besonders infamer Provinzkritiker, "lieber die Hand anstatt das Bein gebrochen und uns diesen infantilen Quatsch erspart." Ein anderer hatte ihn gleich zum "Clownprinz" für schwachsinnigen Blödsinn gekürt und ihn mit dem Dorftrottel verglichen, der gerade seinen Anfall hat. Ein weiterer Kritikus äußerte, Hector Fitzpitter müsste man hängen, strecken und vierteilen. "Hängen", schrieb er, "für die Regie im Stück, strecken dafür, wie er die Titelrolle spielt, und vierteilen dafür, dass er das Unding verbrochen hat." Hector Fitzpitter nahm solche Berichte amüsiert hin und meinte, dass nur Ignoranz und Neid Leute dazu brachte, seine Leistungen zu verkennen. Jetzt da er wirklich am Ende seiner Laufbahn mit völlig leeren Taschen stand - seine Truppe, der er die Gage nicht zahlen können, hatte sich in alle Winde zerstreut -, nun war ihm mehr zum Heulen zumute. Doch Hector Fitzpitter betrachtete seine gegenwärtige missliche Lage lediglich als einen zeitweiligen Rückschlag, einen winzigen Stolperstein auf der langen Straße zur Anerkennung. Es würde schon wieder aufwärtsgehen. Alle, nur er nicht, hatten sich aufgemacht, um zu Hause oder in anderen sicheren Häfen für die Weihnachtszeit, die unmittelbar bevorstand, vor Anker zu gehen. Mühsam erhob sich Hector Fitzpitter. Ihn fröstelte; die Windstöße erinnerten ihn daran, dass er seinen Mantel besser nicht auf die Pfandleihe hätte bringen sollen. Fitzpitter war von großer, ungeschlachter Gestalt. Die Fleischmassen, die früher in straffen Polstern auf seinem Körper ruhten, wabbelten jetzt bei der geringsten Bewegung wie Götterspeise. Jedem, mit dem er zum ersten Mal zu tun hatte, flösste er Respekt ein. Die jüngeren Schauspieler aber fürchteten ihn nicht im mindestens. "Der Fettwanst", riefen sie verächtlich aus, sobald sie jemand fragte, ob der Schauspieler- Theaterleiter-Dramatiker bei seiner Übergröße nicht ein gefährlicher Gegner sei, wenn es zum Duell kam. Allerdings räumten sie ein, dass er auf der Bühne ganz schön gefährlich sein konnte, denn sowie er ein blankes Schwert in der Hand hatte, drosch er auf alles ein, das ihm in die Quere kam. "Doch im wirklichen Leben", fügten sie hinzu, "ist er ein Schlappschwanz, der nicht mal kämpfen würde, wenn's ihm echt an den Kragen ginge." Nachdem er etliche hundert Meter so dahin geschlurft war, stand er erneut vor der Herberge, die er am Morgen verlassen hatte. Vor seinem Abschied hatte er noch die Hälfte der Rechnung beglichen und versprochen, die andere Hälfte zu zahlen, sobald ihm wieder Mittel zur Hand kämen. Als er nun zum zweiten Mal an diesem Tag das Ansinnen stellte, ihm Kost und Logis zu stunden, erklärte die Wirtin kurzangebunden, dass sich alle Logiergäste über Weihnachten an ihre Heimatorte begeben würden, und da solchermaßen das Haus am Heiligabend leer stehe, würde sie während der Schließungstage zu ihrem Sohn in die nahegelegene Stadt fahren. "Sehen Sie mal da drüben." Sie n wies auf einen winzigen Anbau. "Dort können sie bleiben, bis ich zurück bin. Da steht ein Sofa drin, und ich leg noch ein paar Decken hin. Aber ins Haus dürfen Sie nicht." Es folgten noch ein paar weitere Bedingungen, doch im großen und ganzen fühlte sich Hector nicht schlecht behandelt. Nun tat er sich nach der Pfarrei des Ortes um. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass Pfarrhäuser eine höchst verlässliche Nahrungsquelle waren und sich sogar ein bisschen Handgeld entlocken ließen, wenn man nicht zu unverschämt war. Pater Alphonsus Murphy hatte Hector Fitzpitter einmal auf der Bühne erlebt. Einem seiner Kaplane gestand er später: "Mir schien, dass mein Ausharren da Buße genug war für alle Sünden, die ich seit meinem letzten Aufenthalt im Exerzitien-Heim begangen habe." In einem Stil, der seinem Zuhörer vertraut schien, gab Hector eine Zusammenfassung seiner jüngsten Missgeschicke und fragte vorsichtig, ob es wohl möglich wäre, ihm eine bescheidene Summe Geldes zu leihen, die er gewisslich ohne den geringsten Verzug im kommenden Frühjahr zurückzahlen würde, sobald die Sommerspielzeit begonnen hätte. "Geld leihen ist unsere Sache nicht", erinnerte ihn Pater Murphy, "doch vielleicht kann ich Sie für ein gutes Werk gewinnen. Ich hätte da etwas für Sie und zahle, sobald die Arbeit getan ist." "Arbeit!" Hector schauderte es instinktiv bei dem bloßen Gedanken an Schaufeln und Picken. "Seien Sie unbesorgt. Ihre Eignung für die Arbeit, an die ich denke, ist über jeden Zweifel erhaben. Sie sollen den Weihnachtsmann spielen morgen Abend. Sie erhalten von mir Kapuze, Bart und Mantel. Wenn Sie gegessen haben, fahre ich mit Ihnen schon mal vorab in das Viertel, in dem Sie Geschenke an die bedürftigen Kinder der Gemeinde austeilen werden." Hector lächelte. Das war eine Aufgabe nach seinem Geschmack. Später, als sie langsam durch die betreffenden Gassen fuhren, gab ihm der Pfarrer Bleistift und Papier und ließ ihn sich alle Namen der Bewohner der jeweiligen Häuser aufschreiben, damit es keine Verwechslungen gäbe. Der Name des Empfängers würde sichtbar auf jedem Geschenkpäckchen stehen. Dann würden die Päckchen schon in die richtigen Hände gelangen. "Ich muss Sie allerdings warnen", Pater Murphys Stimme klang eindringlich, "im allerletzten Haus werden Sie wahrscheinlich Ärger kriegen. Sie wären gut beraten, gar nicht erst hinzugehen. Wenn man auf ihr Klopfen hin öffnet, geben Sie einfach die Geschenke ab, egal wer an die Tür kommt. Und dann machen Sie sich dünne, wenn Sie klug sind." "Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass ich mein Leben riskiere, Hochwürden?" "Ihr Leben nicht gerade". Pater Murphy lachte gezwungen, "aber Tatsache ist, dass der gemeinste Saukerl der Gemeinde und übelste Saufkopf dort wohnt, ein gewisser Jack Scalp, und wenn er nicht gerade zu Hause ist, wenn Sie da anklopfen, wird er höchstwahrscheinlich über Sie herfallen. Betreten Sie gar nicht erst das Haus, dann kann Ihnen nichts passieren. Hier", sagte Pater Murphy, "haben Sie einen Schilling. Ist doch Weihnachten, und da möchten Sie sich wohl ein Gläschen genehmigen, denke ich mal, aber dass Sie morgen Abend nicht mit 'ner Schnappsfahne kommen! Sonst schlage ich Ihnen die Türe vor der Nase zu!" "Verehrter Pater", sagte Fitzpatrick, "ich habe noch nie vor einer Vorstellung getrunken, und ich denke, diesem Vorsatz bleibe ich treu." Den folgenden Tag verbrachte er damit, besagte Straße auf und ab zu spazieren, sich die Namen und die passenden Sprüche einzuprägen und seine Bewegungen einzuüben. Am liebsten hätte er eine Generalprobe gehabt, aber das kam unter diesen Umständen nicht in Frage. Während er so umherwanderte, hielt er immer Ausschau nach Jack Scalp. Im Geiste hatte er sich schon ein Bild von dem Schuft gemacht. Er war entschlossen, Pater Murphys Warnungen in den Wind zu schlagen, und er war bereit, sofern erforderlich, sich den Weg in die Küche mit Gewalt zu bahnen. Nötigenfalls würde er alle Register seines schauspielerischen Könnens ziehen. Am Heiligen Abend trank er überhaupt nichts, nahm sich jedoch vor, ordentlich einen zu heben, sobald er seinen Lohn erhalten hatte. "Der Sack ist ganz schön groß, wie Sie sehen", bedeutete ihm Pater Murphy, "und es sind insgesamt dreizehn Haushalte, die Sie bedenken müssen. Und gehen Sie die 13. Wohnstatt mit besonderer Vorsicht an." "Ich werde mich schon in Acht nehmen", versicherte ihm Hector, band sich den angeschmuddelten weißen Bart um. Dann kamen die Stiefel dran, die eine Nummer zu groß waren. Schließlich stülpte er sich die Kapuze über und zog den langen roten Mantel an, der ihm bis zu den Zehen reichte. Pater Murphy überlegte noch, ob er ihm von dem Vorfall erzählen sollte, der sich voriges Jahr am Weihnachtsabend zugetragen hatte, er tat es dann aber doch nicht. So groß war das Malheur auch gar nicht gewesen, bloß Nasenbluten, und das hatte bald aufgehört. Ein betagter Glaubensbruder von der St. Vincent de Paul Bruderschaft hatte damals die Rolle übernommen. Vergeblich hatte Mrs. Scalp versucht, ihren angetrunkenen Ehemann zurückzuhalten. Im ersten Haus, das Hector Fitzpitter betrat, wurde er von Eltern und Kindern stürmisch begrüßt. Whiskey und Wein wurden ihm so sehr aufgenötigt, dass er beim besten Willen nicht widerstehen konnte. Und so erging es ihm bei allen anderen Familien. Er konnte sich gegen die guten Tropfen, die man ihm großherzig aufdrängte, wehren, so viel er wollte, es gab kein Entrinnen. Ein Glas Whiskey nach dem anderen ging ihm über die Lippen und stieg ihm bald zu Kopf. Sein Hirn ersoff geradezu im Alkohol, wie er sich später ausdrückte. "Einem so großen, starken Kerl wie Ihnen kann doch so'n kleiner Schluck nichts ausmachen", beschwichtigte ihn eine von den ärmlichen Frauen. Ihm war nie die Gabe zuteil geworden, einen Drink auszuschlagen, wenn gute Seelen darauf bestanden, mit ihm ein Glas zu leeren. "Die armen Leute sind ungemein freigiebig", berichtete er später Pater Murphy, "die würden ihr letztes Hemd wegschenken." Die Kinder setzten sich Hector auf den Schoß und fütterten ihn mit Zuckerzeug und Keksen. Noch ein paar Tage weiter, und in der ganzen Straße würden die Vorratsschränke wieder leer sein, doch nun war Weihnachten, und das war die Zeit, in der Geben seliger ist denn Nehmen. Es ging schon auf Mitternacht zu, als er endlich das letzte Haus erreichte. Betrunken, wie er nun war, hatte er Pater Murphys Warnungen dennoch nicht vergessen. Er reckte sich zu voller Größe auf und erinnerte sich, dass er einmal den Bären im "Wintermärchen" gespielt hatte. Fast wollte er schon in bäriges Gebrüll ausbrechen. Doch er widerstand dieser Aufwallung und klopfte leise an die Tür. Niemand kam. So kniete er nieder und drückte ein Ohr ans Schlüsselloch. Bald vernahm er Laute, die nichts Gutes verhießen. Ein Wimmern, ein schwächliches Kinderweinen. So abgebrüht Hector Fitzpitter auch war, ihm wurden die Knie weich bei diesem stoßweisen Jammern. Mitleid packte ihn, wie er es nie zuvor erlebt hatte. Schweigend erhob er sich, mit dem festen Vorsatz, dem Elend ein Ende zu bereiten. Er pochte laut an die Tür, und als sich nichts regte, trommelte er mit geballten Fäusten dagegen. Schließlich machte ein Kind auf, ein spindeldürres Mädchen in schmuddeligen Sachen und mit verweinten Augen. Hinter ihr stand ein kleiner Junge, der genauso verhungert aussah, und plötzlich waren vier weitere Jungen und Mädchen zur Stelle. "Das ist der Weihnachtsmann", flüstere einer, und jeder murmelte leise "Der Weihnachtsmann". Vorsichtig taste sich Hector Fitzpitter zur Küche durch. Viel Licht gab es nicht. Von Feuer im Kamin keine Spur. Auch die Mutter war nirgends zu sehen, leere Bierflaschen lagen umher. Der Vater saß in einer Ecke, in der Faust ein halbvolles Whiskeyglas. Er schnarchte stoßweise. "Wo ist denn eure Mutter?" "Er hat sie rausgejagt" "Warum?" "Ohne alles Warum. Das macht er immerzu", flüsterte eines der Kinder. "Ich hab für jeden von euch ein Geschenk mit", verhieß er den Kindern. Er blickte von einem Gesicht ins andere und sah, dass alle Beulen und blaue Flecken hatten. "Eure Erlösung naht", verkündete Hector feierlich den Kindern und gab sich nicht die geringste Mühe, die Stimme zu senken. "Geht jetzt und sucht eure Mutter. Sagt ihr, Knecht Rupprecht hat euch geschickt." Wie der Blitz verschwanden die Kinder. "Nun zu dir, Bursche" Damit drehte sich Hector nach dem in der Ecke schnarchenden Säufer um. "Wollen mal sehen, wieviel Mumm du in den Knochen hast. Wach auf, Kerl!", brüllte er, "so wahr die Sterne am Himmel stehen, jetzt wird Gericht gehalten in diesem Haus. Wach auf, du Mistvieh!", schrie er mit aller Kraft. Wutentbrannt und mit verschwiemeltem Blick rappelte sich Jack Scalp auf und stieß wüste Flüche aus. Als er den Weihnachtsmann vor sich sah und niemanden sonst, umklammerte er sein Whiskeyglas und wollte es ihm an den Kopf schleudern. Doch der Schauspieler kam ihm zuvor, packte ihn beim Arm und zwang ihn in die Knie. Bislang ungeahnte Kräfte erfüllten Hector. Er griff Jack Scalp an die Kehle und stemmte ihn hoch. "Meine Kraft ist gleich der von Männern zehn an der Zahl", grölte er ein Dichterwort zitierend, "bin ich doch reinen Herzens." Zum ersten Mal in seinem Leben überkam Jack Scalp so etwas wie wirkliche Furcht. Er befand sich in der Gewalt eines Verrückten, dessen war er sich völlig sicher. Hector stieß ihn mit einem Schwung in die Ecke, stampfte wie ein besessener durch die Küche. Mit einem Mal blieb er stehen. "Weißt du, wer ich bin?", herrschte er Jack Scalp an. "Ich bin das bärtige Ungeheuer von Tontagio. Siebzehn Männer habe ich bislang erschlagen und hunderte zu Krüppeln gemacht. Mach deinen Frieden mit Gott, solange du noch kannst, denn eh du dich versiehst, habe ich dich ins Jenseits befördert." Und nun steigerte sich Hector vollends in die Rolle hinein, die er geschaffen und tausendmal gespielt hatte. Mit Riesenschritten ging er in der Küche hin und her, brach dabei in wahnsinniges Gelächter aus und erschreckte sein Opfer zutiefst. "Erhebe dich", befahl er. Mit Mühe kam Jack Scalp auf die Füße, der Sabber lief ihm aus dem Mund, er sah sein Ende nahen. Hector packte ihn bei der Gurgel, drückte ihn rücklings auf den Küchentisch und würgte ihn so lange, bis der Tisch unter sich windenden Kinderprügler zusammenbrach. Und wieder stieß er den Saufbold beiseite, trommelte sich wie ein Gorilla auf die Brust, brabbelte hysterisch und stieß hohe Quiecktöne aus. Das ganze wirkte derart diabolisch, dass Jack Scalp in Ohnmacht fiel. "Schurke wach auf", schrie Hector aus Leibeskräften. "ich hätte nicht wenig Lust dich abzuschlachten". Bei dieser Szene waren ängstliche Dorfgemüter immer zu den Ausgängen gehastet, um nicht einen noch grässlicheren Mord auf der Bühne erleben zu müssen. "Verschone mich! Verschone mich!", schrieb Jack Scalp verzweifelt. "Ich will mich von Grund auf ändern!" "Dann knie auf der Stelle nieder!" Hector stellte sich neben und hielt die Hände auf dem Rücken. "Sprich mir nach ...." MUSIKAKZENT SPRECHER THOMAS ANZENHOFER Am ersten Weihnachtstag sprach Jack Scalp bei Pater Murphy vor und legte das Gelübde ab, bis an sein Lebensende dem Alkohol zu entsagen. Und daran hielt er sich tatsächlich. Ferner gelobte er, seine Frau und seine Familie nie mehr anzuschreien, zu schlagen oder sonst zu malträtieren. Er wurde ein mustergültiger Vater und schließlich eines der geachtetsten Gemeindemitglieder. Hector Fitzpitter aber hatte eine einwandfreie Vorstellung gegeben, die beste in seiner langjährigen Karriere, wie er fand. Und er zog beträchtlichen Nutzen aus seinem Auftritt. Während der folgenden Sommersaison spielte er eine neue Fassung seines Meisterwerks und erntete herzlichen Beifall von Zuschauern und Kritikern. John B. Keane. Whiskey für den Weihnachtsmann. Seite 7 - 27 MUSIK Tom Waits. The piano has been drinking. In the Neighbourhood. Anschließend: Piano-Bar-Musik wie anfangs Absage JOSEF TRATNIK Musik hoch und aus Musikliste Titel: Alabama song Länge: 02:15 Interpret: The Doors Komponist: Kurt Weill Label: Elektra Best.-Nr: 974007-2 Plattentitel: The Doors Titel: Peoples disappear all the time Länge: 02:20 Interpret: Orchester Komponist: Bear McCreary Label: Sony Classical Best.-Nr: 88985360202 Plattentitel: Outlander, TV-Serie, Season2 Titel: Whiskey in the jar Länge: 02:22 Interpret: Metallica Komponist: Unbekannt Label: Vertigo Best.-Nr: 566859-2 Plattentitel: Whiskey in the jar Titel: West coast mist Länge: 00:55 Interpret und Komponist: Declan Masterson Label: UNIVERSAL Best.-Nr: UND53084 Plattentitel: Drifting through the hazel woods Titel: Up & about Länge: 05:11 Interpret: FullSet Komponist: Johnny Doherty Label: NEW MUSIC DISTRIBUTION Best.-Nr: FSRCD002 Plattentitel: Notes after dark 2. Stunde Titel: The magnificent seven - Main Title Länge: 01:34 Interpret: RIAS Unterhaltungsorchester Komponist: Elmer Bernstein Plattentitel: The magnificent seven - Original Soundtrack Titel: The magnificent seven - Quest Länge: 04:11 Interpret: RIAS Unterhaltungsorchester Komponist: Elmer Bernstein Plattentitel: The magnificent seven - Original Soundtrack Titel: The magnificent seven - Calvera Länge: 03:14 Interpret: RIAS Unterhaltungsorchester Komponist: Elmer Bernstein Plattentitel: The magnificent seven - Original Soundtrack Titel: (Theme from) The man with the golden arm Länge: 02:15 Interpret: RIAS Tanzorchester Komponist: Elmer Bernstein Label: Varese Sarabande Records Best.-Nr: SILCD2008 Plattentitel: RIAS Tanzorchester Titel: Bad bad whiskey Länge: 03:12 Interpret: Buddy Guy Komponist: Thomas Davis Label: Atlantic Best.-Nr: ATL40240 Plattentitel: Buddy Guy with Junior Wells and Eric Clapton Titel: Sing, sing, sing Länge: 08:38 Interpret: Benny Goodman and his Orchestra Komponist: Louis Prima Label: RCA Records Label Best.-Nr: ND 85630 Plattentitel: Sing, sing, sing 3. Stunde Titel: Goodbye Länge: 01:19 Interpret: Benny Goodman and his Orchestra Komponist: Louis Prima Label: RCA Records Label Best.-Nr: ND 85630 Plattentitel: Sing, sing, sing Titel: If the sea was whiskey Länge: 01:35 Interpret: Doug Wainoris Komponist: Willie Dixon, Leonard Caston Label: Telarc Best.-Nr: 83452 Plattentitel: The songs of Willie Dixon Titel: Piano man Länge: 03:37 Interpret und Komponist: Billy Joel Label: COLUMBIA Best.-Nr: 519018-2 Plattentitel: Piano man - The very best of Billy Joel Titel: Rock 'n' Roll Roll, whiskey, blood 'n' guts Länge: 01:45 Interpret und Komponist: Michael Katon Label: MASCOT RECORDS Best.-Nr: 7135-2 Plattentitel: Bad machine Titel: The hazel woods Länge: 01:00 Interpret und Komponist: Declan Masterson Label: UNIVERSAL Best.-Nr: UND53084 Plattentitel: Drifting through the hazel woods Titel: Wandering in Alexandria Länge: 01:36 Interpret: Eleni Karaindrou and Orchestra Komponist: Eleni Karaindrou Label: ECM-Records Best.-Nr: 847609-2 Plattentitel: Music for films Titel: Farewell Theme Länge: 03:18 Interpret: Jan Garbarek Komponist: Eleni Karaindrou Label: ECM-Records Best.-Nr: 847609-2 Plattentitel: Music for films Titel: Alabama Song Länge: 05:09 Interpret: NDR Big Band Komponist: Kurt Weill Label: ACT Best.-Nr: 9234-2 Plattentitel: The world greatest Jazz Orchestras, Vol. VI - The theatre of Kurt Weill LITERATUR Heinrich Böll, Betrachtungen über den irischen Regen. Aus: Irisches Tagebuch. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1988. S. 78 - 82. ISBN: 978 -346- 2019- 049 T.C.Boyle, John Barleycorn lebt. In: T.C.Boyle, Tod durch Ertrinken. Erzählungen. Dtv 2011, S. 223 - 238. ISBN 978-3-423-12329-7 Flann O'Brien. Aus Dalkeys Archiven. Roman. Aus dem Englischen von Harry Rowohlt. Frankfurt: Suhrkamp Verlag 1982. S. 105 - 123. ISBN 10 - 351 8016 237 Charles Bukowski. Ende der Durchsage. Gedichte. Aus dem amerikanischen Englisch von Carl Weissner. Kiepenheuer & Witsch 2012. ISBN 978-3-462-04409-6 Pete Dexter. Deadwood. Roman. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt. liebeskind Verlag, München 2011. S. 28 - 29, 183 - 186. ISBN 978 - 3 - 935890 - 82 - 3 Theodor Fontane. Jenseits des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Reisebericht 1860. Kapitel 20. In: http://gutenberg.spiegel.de/buch/jenseit-des-tweed-4444/20 Stand: 8/2016 Max Frisch, Mein Name sei Gantenbein. Roman. Fischer Verlag Frankfurt a.M. ISBN 3 436 00988 1 John B. Keane. Whiskey für den Weihnachtsmann. Irische Weihnachtsgeschichten. Aus dem Englischen von Irmhild und Otto Brandstätter. Aufbau Taschenbuch Verlag 2000. ISBN 3- 7466-1620-4 Jack London, König Alkohol. Roman. Aus dem Englischen von Erwin Magnus. Anaconda Verlag, Köln 2014. ISBN 978-3-7306-0172-3. Engl. Original: John Barleycorn, 1914. J.R. Moehringer. Tender Bar. Roman. Frankfurt: S. Fischer 2007. S. 203 - 220. ISBN 978-3- 10-049602-7 Johannes K. Soyener. Teeclipper. Roman. Bastei Lübbe 1998. ISBN 978-3-404-15695-5 Upton Sinclair. Alkohol. Roman. Malik-Verlag Berlin 1952. Aus dem Amerikanischen von Elias Canetti. Keine ISBN Andrej Szczypioski. Amerikanischer Whiskey. In: Amerikanischer Whiskey. Erzählungen. Aus dem Polnischen von Klaus Staemmler. Diogenes Verlag Zürich 1989. S. 85 - 117. ISBN 3 257018266 Welcome, Mr. Barleycorn Die Lange Nacht des Whiskeys Seite 4