Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) DeutschlandRadio Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 26.11.2012, 19.30 Uhr Wetten, dass ... ? Agrarrohstoffe als Finanzprodukte Von Caroline Nokel Atmo Messehalle, Geld fällt klimpernd durch einen Schacht Atmo + O-Ton Mitarbeiter Spielautomat Also, man wirft quasi die Münzen oben rein, die Münzen drücken von hinten nach vorne. Irgendwann fallen die Eier über die Kante nach unten, und in einem von den Eiern ist der Hauptgewinn. Also recht simpel, eigentlich ein Geduldsspiel. Atmo + O-Ton Besucher Da liegen 100 000 Euro drin wahrscheinlich. Sprecher v. Dienst Wetten, dass.. ? Agrarrohstoffe als Finanzprodukte Ein Feature von Caroline Nokel Atmo Messehalle Automat Sprecherin Um einen runden gläsernen Glückspielautomaten hat sich eine Traube aus Versicherungsmaklern gebildet. Die Damen und Herren in Anzug und Kostüm bekommen jeweils zehn Münzen, die sie in die Schlitze im Automaten stecken dürfen. O-Ton Es geht quasi drum, dass das Fass vollläuft und der eine Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt quasi, dass das Ei runterfällt. Sprecherin Doch die Plastikeier lassen sich nicht von den Münzen anstupsen, kein einziges fällt über die Kante. Atmo Messehalle Sprecher Die DKM in Dortmund, eine Messe für die Finanz- und Versicherungswirtschaft, hat begonnen. Fachleute kommen hierher, aber auch Prominente, wie Bundestrainer Joachim Löw und Dieter Bohlen halten Vorträge in der "speaker's corner". Zahlreiche Banken und Versicherungen präsentieren sich mit mehr oder weniger aufwendigen Messeständen. Manche sind so groß wie Kaffeebars und haben eine eigene Galerie, andere bestehen nur aus einem Tresen und jemandem, der Prospekte verteilt. Sprecherin Vor dem Eingang von Halle vier ist eine Harley Davidson aufgebaut, flankiert von zwei Frauen in knappen Höschen. In Schoko-Goldmünzen gepflanzte Bäume schmücken den Stand eines Finanzinvestors. Trotz der vielen Fachleute hier, dauert es bis sich jemand findet, der über das Geschäft mit Agrarrohstoffen ins Mikrofon spricht. Der Broker möchte seinen Namen nicht nennen, zeigt aber die Internetseite seiner Firma "activ trades". Hier können auch Kleinanleger per Mausklick investieren und spekulieren: O-Ton 1 Vertreter von activ trades, anonym Sie finden unter "Märkte" und "Rohstoffe" den Bereich "specs", "margin" und "spreads". Bei activ trades haben Sie die Möglichkeit, Commodities oder Rohstoffe zu handeln über das Produkt CFD. Atmo unter Sprechertake Messehalle Sprecher CFD - Contract for difference. Derivate, die es den Kunden ermöglichen, mit geringem Eigenkapital auf fallende oder steigende Kurse zu setzen. O-Ton 2 Vertreter von activ trades, anonym Wir bieten das unter dem Bereich "Märkte" an. Für die meisten Kunden ist immer da interessant, wie hoch die "spreads" sind. Das können Sie bei uns auf der Seite relativ schnell nachschauen. Bei activ trades haben Sie die Möglichkeit, CFDs auf die jeweiligen commodity future zu traden. Sprecher Commodity futures: Warenterminkontrakte. O-Ton 3 Vertreter von activ trades, anonym Es sind nicht die Spot-Produkte, in diesem Fall handelt es sich um future, ein hoch liquides Produkt. Sie haben bei uns die Möglichkeit, ab einem Hundertstel lot in den Markt einzutreten. Sie gehen entweder long oder short, je nachdem, ob sie bullish oder bearish sind. Das hängt so 'n bisschen von dem Thema ab. Sie könnten, wenn Sie Agrarbauer wären, könnten Sie Ihre Ernte über uns hedgen. Sprecher Hedgen: absichern. Sprecherin Ursprünglich sollen Warenterminkontrakte Bauern und Lebensmittelverarbeitern dazu dienen, sich gegen Preisschwankungen abzusichern. Sie garantieren dem Bauern oder dem Verarbeiter zu einem festgesetzten Termin einen bestimmten Preis. Futures setzen hingegen einen physischen Besitz des Rohstoffs nicht mehr voraus. Daher können Finanzspekulanten auf dem Markt aktiv werden. Sie wetten auf fallende oder steigende Preise. Sprecher: War der Anteil der Spekulanten an den Terminmärkten lange gering, so dominieren sie diese mittlerweile. Der Prozentsatz der physischen Absicherer nimmt entsprechend ab. Beispielsweise waren im Chicagoer Weizenfuture im Jahr 2008 nur noch 35 Prozent physischer "Hedger" vertreten, verglichen mit 88 Prozent im Jahr 1996. Die Firma "activ trades" bietet ihren Kunden an, Kontrakte im Internet zu handeln. O-Ton 4 Vertreter von "activ trades", anonym Wir haben die größten Commodities oder die, die am liquidesten sind, das ist Zucker, Kaffee, Kakao, Weizen, Soja, Corn. Wir haben Gas, wir haben auch crude und natürlich auch Kupfer. Sprecher Seit die Dotcom-Blase im Jahr 2000 geplatzt ist, suchen private und institutionelle Anleger weltweit nach neuen Möglichkeiten, ihr Kapital zu vermehren. Dabei rücken der Agrarsektor und börsengehandelte Rohstoffprodukte immer mehr in den Fokus ihres Interesses. Von 2008 bis 2011 verdoppelte sich das Volumen der Finanzinvestitionen in Agrarrohstoffe. Die Deregulierung der Börsen in den USA und die Finanzkrise förderten diese Entwicklung. Nichtregierungsorganisationen wie die Deutsche Welthungerhilfe, Oxfam, Misereor, foodwatch und weed sind sich einig darin, dass Spekulation mit Agrarrohstoffen mitverantwortlich ist für den starken Anstieg und außerordentliche Schwankungen der Lebensmittelpreise. Atmo campact-Aktion darüber: Mit Kampagnen wie "Mit dem Essen zockt man nicht" prangern sie eine zu geringe Regulierung der Finanzmärkte und die Praxis institutioneller Anleger wie der Allianz an, mit Milliarden Euro auf den Anstieg der Nahrungsmittelpreise zu wetten. Das Argument der NGOs: O-Ton 80 Prozent ihres Einkommens geben Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern für Lebensmittel aus, wenn Spekulanten an den Agrarbörsen mit Lebensmitteln spekulieren, reichen schon kleine Schwankungen aus, dass sich Menschen ihr täglich Brot nicht mehr leisten können. O-Ton 29 Vertreter von "activ trades", anonym Von unserer Seite ist es, der Retail-Kunde und auch der institutionelle Kunde ist interessiert an solchen Produkten, entsprechend bieten wir sie an. Ob es wirklich nachhaltige Effekte gibt, dass man sagt realwirtschaftliche Konsequenzen aufgrund von Finanztransaktionen, da müssen wir mal abwarten, was die Analyse ergibt. Sprecherin sagt der Broker von activ trades. Andere Mitarbeiter an den Messeständen der DKM dürfen nichts ins Mikrofon sagen. Zu ihrer persönlichen Meinung befragt, ob die Spekulation mit Rohstoffen die Preise in die Höhe treibe, antworten viele mit "ja, natürlich". Ein Mitarbeiter der UBS Deutschland sagt zynisch über seine Kunden: Sprecher Agrarrohstoffe. Das, was im Moment keiner hören will! Vor zwei Jahren wollten sie's alle haben - 'warum seid ihr nicht dabei, warum habt ihr's nicht?' Und jetzt will's keiner mehr, aber gut. Sprecherin Ein Mitarbeiter von Black Rock, einem großen Anlageverwalter, meint, viele Kunden lehnten aufgrund der Debatte in den Medien spekulative Geldanlagen mit Agrarrohstoffen derzeit ab. Stefan Parey arbeitet als Vertriebsleiter von Aquila Capital. Sein Unternehmen bietet "Investitionen in die Makrotrends des 21. Jahrhunderts" an, wie es auf der Homepage heißt. Hierbei handelt es sich um Agrarfonds. Kurz laufende Derivate, wie Futures für Mais und Weizen sieht man auch bei Aquila Capital kritisch. O-Ton 6 Stefan Parey Die reine Spekulation hat zur Folge, dass die Preise steigen. Dass auch die Nahrungsmittelpreise steigen. Weil, je teurer so 'n Land wird, desto teurer muss auch der Preis für das Gut, was darauf produziert wird, werden. Die Investition in Landwirtschaft ist extrem wichtig. Vor dem Hintergrund, dass wir natürlich immer mehr Agrargut auf immer weniger Fläche produzieren müssen. Und deswegen ist die Investition wichtig. Weil wir mehr Lebensmittel brauchen in der Zukunft. Wir werden pro Tag etwa 200 000 Menschen netto mehr auf der Welt. Die wollen natürlich alle ernährt werden. Agrarflächen hingegen werden immer weniger durch Urbanisierung, durch Klimawandel, Erosion, alles was wir auf den landwirtschaftlichen Flächen erleben. Von daher ist es nicht nur ne notwendige, sondern auch ne lohnende Investition. Sprecherin "Aquila Capital" macht sich die wachsende Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten zunutze, kauft Agrarflächen auf und investiert in die Bewirtschaftung der Flächen. Die Anleger profitieren von der Knappheit der Flächen und den daraus resultierenden steigenden Landpreisen. O-Ton 7 Stefan Parey Bei Agrarinvestitionen gibt es verschiedene Ansatzmöglichkeiten. Die eine ist, dass man als Investment Agrarflächen kauft und auf diese letztendlich in der Wertentwicklung spekuliert. Das geht in der Regel in Ländern wie Afrika oder auch in Richtung arabische Emirate, da kann man also kaufen. Das ist aber dann eine Landpreisspekulation, bei der letztendlich noch nicht wirklich feststeht, in welche Richtung geht der Wert. Vielfach geht es auch zulasten, muss man ganz ehrlich sagen, der entsprechenden Bauern, die dort Landwirtschaft betrieben haben. Sprecherin Menschrechtsorganisationen prangern das so genannte "Land grabbing" an, weil dabei die Rechte der lokalen Bevölkerung missachtet werden. Aquila Capital nimmt für sich in Anspruch, nach ethischen Standards zu handeln. O-Ton 8 Stefan Parey Die Alternative dazu ist, dass man wirklich aktiv in das Farm-Management reingeht, das heißt, dass man Farmen erwirbt, dass man das Management verbessert, dass man investiert in die Farmen. Und mit laufenden cash-flows, die man steigert, aus den laufenden Erträgen die Entwicklung der Landpreise mitnimmt. Das in der Verbindung zusammen, ergibt einen höheren Wert, an dem man als Anleger dann auch partizipieren kann. Sprecherin Das setzt voraus, dass das ganze Jahr über Landwirtschaft betrieben werden kann. O-Ton 9 Stefan Parey Als Aquila machen wir's in Neuseeland und Australien. Wir kaufen dort Farmen im Bereich der Milchviehwirtschaft, Schaffarmen. Diese Farmen werden optimiert. Die werden technisch optimiert und auch, was den Umfang der Herden angeht, optimiert. Die Weiden selbst werden meistens neu hergestellt und neu aufgebaut. Und so kann man über einen Zeitraum, mit entsprechenden Partnern vor Ort natürlich, von etwa drei bis sieben Jahren ein Investment so entwickeln, dass es für den Markt wieder sehr interessant ist, um es weiter zu veräußern. Musik treibend/werbend Sprecher Investieren Sie immer noch in Aktien, Anleihen und Immobilien? Oder schon in die Zukunft? O-Ton 10 Jim Rogers In my view, agriculture is one of the most exciting ... have enormous opportunities in the next 20-30 years. 1.Übersetzer Landwirtschaft ist einer der aufregendsten Anlagebereiche, den ich zurzeit kenne. In den nächsten zwanzig bis dreißig Jahren werden große Vermögen in der Landwirtschaft gemacht. Die Landwirte werden Lamborghini fahren. Die Börsenmakler nicht. Sie werden Taxi fahren. Die klugen Börsenmakler werden lernen, Traktor zu fahren, sodass sie für die Landwirte arbeiten können, denn die Landwirte werden sehr reich und wohlhabend werden. Und die Leute in der City of London und der Wall Street werden leiden. Diejenigen, die Güter produzieren, haben enorme Chancen in den nächsten zwanzig bis dreißig Jahren. Sprecherin Als einer der Ersten bewarb Jim Rogers Rohstoffe als den "attraktivsten Markt der Welt". Der Mitbegründer des renditeträchtigen Quantum Funds legte 1998 den Rogers Commodity Index auf. In dem Rohstoffindex sind 38 verschiedene Futures enthalten, die an den Warenterminbörsen in den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Japan und Australien gehandelt werden. Der Index umfasst nicht nur Öl und Gas, Industrie- und Edelmetalle, sondern auch Agrarrohstoffe wie Mais, Weizen, Zucker, Sojabohnen, Orangensaft und Schafwolle. In seinem 2004 erschienenen Buch "hot commodities" schreibt Jim Rogers: 1.Übersetzer Rohstoffe gehören in jedes wirklich gut diversifizierte Depot. Mit einem Rohstoff- Investment kann man sich gegen eine Aktienbaisse, galoppierende Inflation und sogar eine schwerwiegende Wirtschaftskrise absichern. [..] Die Baisse endete 1998, als sich die Preise ihren 20-Jahres-Tiefs näherten (..). In diesem Jahr beschloss Merrill Lynch, die größte Brokerfirma der USA, sich aus dem Rohstoffhandel zurückzuziehen, und ich gründete einen Rohstoff-Indexfonds, um vom Ende der Baisse zu profitieren. Atmo Interview Sprecherin Jim Rogers ist gerade aus Singapur nach Paris gereist. Für die Aufsichtsratssitzung von Genagro, einem Investment-Unternehmen, das weltweit Land aufkauft und in landwirtschaftliche Flächen investiert. Der Hedgefondsmanager nimmt sich Zeit für ein Interview, denn er hat eine Botschaft: die Preise für Nahrungsmittel MÜSSEN steigen. O-Ton 12 Jim Rogers Many people are going to suffer ... prices have to go higher and some people are going to suffer. 1.Übersetzer Viele Leute werden leiden, aber Sie können die Landwirte nicht für umsonst arbeiten lassen, sonst haben Sie bald keine Landwirte mehr. Die Preise müssen steigen und manche Leute werden leiden. Sprecherin Rogers geht davon aus, dass steigende Preise auch wohlhabendere Bauern zur Konsequenz haben. Für die Preissteigerungen macht er andere Gründe verantwortlich als die exzessive Spekulation mit Agrarrohstoffen: O-Ton 13 Jim Rogers Journalists like to say ... So the evil speculators make money ... that helps us all in the end. 1.Übersetzer Journalisten sagen gerne, die bösen Spekulanten seien schuld. Politiker lieben es zu sagen, es liege an den Spekulanten. Doch die Realität ist, dass uns die Bauern ausgehen, und dass uns die Lebensmittel ausgehen. Die Nahrungsmittelvorräte sind weltweit auf einem Tiefstand. Wenn wir ein paar schlechte Ernten haben wie 2008, wenn das Wetter schlecht wird, dann ist das der Grund für steigende Preise. Natürlich sehen Investoren das als Chance. Sie gehen rein und kaufen. So wie Investoren Chancen sahen, als die Berliner Mauer fiel. Sie kauften Immobilien in Ostberlin. Die Preise gingen hoch, weil immer mehr Leute kauften. Das Gleiche passiert in der Landwirtschaft. Wenn die Leute sehen, dass etwas sehr billig ist, investieren sie in Landwirtschaft. Die bösen Spekulanten machen Geld, aber das hilft letztendlich allen. Sprecher Dass schlechte Ernten wie in diesem Jahr aufgrund der Dürre in den USA zu höheren Preisen führen, bestreitet niemand. Dass auch die staatlich subventionierte Ethanolproduktion und der zunehmende Fleischkonsum in Schwellenländern dazu führen, dass immer mehr Agrarflächen benötigt werden und dies die Preise in die Höhe treibt, auch nicht. Doch waren 2008 und 2010, als die Weizen- und Maispreise explodierten, die Ernten gar nicht so gering: In der Saison 2010/2011 betrug die Maisernte 824 Millionen Tonnen. Damit fiel sie umfangreicher aus als in den beiden Jahren zuvor. Die Weizenernte stieg von gut 600 Millionen Tonnen in der Saison 2007/08 auf knapp 700 in zwei aufeinanderfolgenden Jahren, um dann wieder auf 650 Millionen Tonnen zu sinken. Die Entwicklungs- und Schwellenländer fragen kontinuierlich seit Jahrzehnten mehr Lebensmittel nach, ohne dass es vorher zu Preissprüngen gekommen wäre. Hinzu kommt, dass China bei Mais und Weizen Selbstversorger ist. Die sogenannten Fundamentaldaten reichen also nicht aus, um die Preissprünge vor allem bei Getreide zu erklären. Sprecherin Jim Rogers ficht all das nicht an. Er deutet die jetzige Entwicklung allein mit der Gesetzmäßigkeit von Angebot und Nachfrage. O-Ton 14 Jim Rogers If prices go up, more people ... and then we have another cycle. 1.Übersetzer Wenn die Preise steigen, produzieren mehr Leute Nahrung, dann hast du zu viel Nahrung, der Preis geht wieder runter, und dann haben wir einen neuen Zyklus. O-Ton 15 Roman Herre Das ist ne extrem lineare und aus meiner Sicht auch etwas gefährliche Erklärung. Die Welt ist ein ganzes Stückchen komplexer. Sprecherin Roman Herre, Agrarreferent von FIAN , "Food First, Information & Action Network." Die weltweit tätige Organisation setzt sich für das Menschenrecht auf Nahrung ein. O-Ton 16 Roman Herre Zwei relevante Punkte aus meiner Sicht: Zum einen ist es so, dass wegen der Preissteigerungen mittlerweile große internationale Agrarkonzerne durch den massiven, riesigen Aufkauf von Agrarflächen in diese Landwirtschaft, in die landwirtschaftliche Produktion investieren und damit eben noch mehr Hunger produziert wird, weil eben nicht dort für die Bevölkerung produziert wird, die die Nahrungsmittel benötigen würde. Sondern es wird für den Weltmarkt produziert und da für die Märkte, die die kaufkräftigsten Kunden haben. Das heißt, im schlechtesten Falle, dass man, ich nenn jetzt mal ein Beispiel, in Sambia mehr Soja produziert, oder ich sags mal neutraler, Kalorien exportiert werden, um die Schweine in Europa zu füttern. Sprecherin Das Argument von Jim Rogers, steigende Preise machten den Job des Landwirts wieder attraktiv, lässt Roman Herre nicht gelten: O-Ton 17 Roman Herre Man weiß mittlerweile, dass die Steigerung der Preise an den Kleinbauern, insbesondere an den marginalisierten Kleinbauern kaum weitergegeben worden sind. Dass sehr viel Geld durch beispielsweise die Düngemittelkonzerne absorbiert worden sind, Saatgutkonzerne. Die Zwischenhändler sehr viel bekommen haben auch, dass als Beispiel der doppelte Preis nicht beim Kleinbauern angekommen ist, der es am dringendsten benötigen würde, sondern bei ihm vielleicht nur ein sehr kleiner Anteil. Das andere Problem ist eben, dass die allermeisten Kleinbauern, Kleinbäuerinnen, Nomaden nicht nur Produzenten sind, sondern auch Konsumenten. Und damit auch noch mal die zusätzlichen Kosten tragen müssen. Daher ist das Bild sehr viel differenzierter und sehr viel komplizierter, als es manchmal so dargestellt wird. Musik/Effekt Sprecher Wie steht es um die Konsumenten - diejenigen, die in Entwicklungs- und Schwellenländern leben und jetzt schon bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben? Sprecherin Zum Beispiel in Kenia. 56 Prozent der 36 Millionen Einwohner leben in extremer Armut. Das Land ist auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Der Einkaufspreis von Mais stieg innerhalb von zwei Jahren von 223 auf 408 US Dollar. Mais ist ein Grundnahrungsmittel. Atmo Mathare Slum In Nairobi, im Slum Mathare betreibt Stephen Mwangi ein Lebensmittelgeschäft. Es ist so groß wie ein Kiosk. Hineingehen kann man allerdings nicht. Stephen Mwangi schaut durch ein winziges, vergittertes Fenster und reicht die gewünschte Ware nach draußen. Zu den Einkaufsgewohnheiten der Slumbewohner befragt, zeigt er ein Tütchen Milch. O-Ton 18 Stephen Mwangi Nina uza maziwa kama haya kwa vile ... grams. (Ende bei 16:00) 2. Übersetzer Ich verkaufe die Milch so, weil die Leute sie bevorzugen. Sie können sich nicht leisten, große Mengen zu kaufen. Ich kaufe immer 30 Liter Milch und verkaufe sie in 200g- Packungen. Sprecherin Auch das Grundnahrungsmittel Maismehl geht nur in kleinen Portionen an die Kundschaft. O-Ton 19 Stephen Mwangi Nina uza unga wa mahindi pia ... hawana uwezo wa ku nunuwa unga kwa wingi. 2. Übersetzer Maismehl wird auch in 250g-Packungen verkauft, weil die Leute es sich nicht leisten können, große Mengen Mehl zu kaufen. Sprecherin Mwangi teilt ein Weißbrot in zwei Hälften. Das Geld der Kundin reicht nur für ein halbes Brot. Der Lebensmittelhändler deutet auf eine große Waage: O-Ton 20 Stephen Mwangi Tuli anza mwaka wa 2007 ... shilingi 15 tulikuwa tuna uza kwa bei ya shillingi 8. 2. Übersetzer Wir haben 2007 damit begonnen, alles in kleinen Gebinden zu verkaufen. Alles wurde teurer als vorher. Maismehl kostete vorher 35 Shilling das Kilo. Jetzt kostet es 120. Zucker kostete 40 Shilling, jetzt kostet er 120. Die Milch, die wir jetzt für 15 Shilling verkaufen, kostete früher 8. Wir haben uns entschieden, die Lebensmittel in kleinen Mengen zu verkaufen, da niemand in der Lage ist, große Mengen zu bezahlen. Sprecherin Zu Stephen Mwangis Kundinnen zählen Helen Achieng und Elizabeth Adhiambo. Beide Frauen verdienen das Geld für ihre Familie überwiegend mit dem Verkauf von Gemüse. Helen Achieng hat fünf Kinder. O-Ton 21 Helen Achieng Nina pata mshahara wa shilingi 200 ... wangu hawapati vyakula vizuri. Übersetzerin Ich verdiene 200 Shilling. Wenn ich Geld habe, kaufe ich Fisch und Fleisch, auch etwas Milch. Aber wenn es nicht reicht, koche ich Maisbrei mit Wasser. Für meine Kinder hätte ich gern gutes Essen, wie Reis, Bohnen und Fisch. Doch weil ich nicht die Möglichkeit habe, mehr Geld zu verdienen, bekommen meine Kinder das nicht. Sprecherin Elizabeth Adhiambo ist seit zwei Jahren Witwe und ernährt die Familie: zwei Töchter und einen Enkel. O-Ton 22 Elizabeth Adhiambo Huwa na nunuwa tomato za shilingi 1700, ... napata elfu mbili na fahida yangu ni shiling 300. Übersetzerin: Ich kaufe Tomaten für 1700 Shilling. In zwei Tagen schaffe ich es, sie für insgesamt 2000 Shilling zu verkaufen, sodass ich insgesamt einen Gewinn von 300 Shilling habe. Sprecherin 300 Shilling entsprechen etwa dreieinhalb Dollar - Elizabeth Adhiambos Verdienst in zwei Tagen. Von Spekulation mit Nahrungsmitteln hat sie noch nie etwas gehört. Sie hat nur eine Botschaft: O-Ton 23 Elizabeth Adhiambo Ninge pendelea kuambia ... kwavile maisha ni magumu na hatuwezani na hizo bei za juu. Übersetzerin: Ich möchte der Regierung raten, die Nahrungsmittelpreise nicht dermaßen steigen zu lassen, denn wir können sie uns nicht leisten. O-Ton 24 Booker Owuor If somebody is earning 100 shillings ... like a house, like school fees. 2. Übersetzer Wenn jemand 100 Shilling am Tag verdient und 30 gehen für das Essen weg, bedeutet das, dass nur 70 Shilling bleiben für andere Ausgaben wie den Arzt, die Miete, Schulgebühren. Sprecher Der Agrarberater Booker Owuor führte für die Heinrich-Böll-Stiftung eine Studie am Beispiel von Kenia durch. Untersucht wurde, inwieweit den Landwirten hohe Agrarpreise zugute kommen. O-Ton 25 Booker Owuor The farmers who are the producers are not ... the consumers are also not benefitting. 2. Übersetzer Die Landwirte, die immerhin die Produzenten sind, profitieren nicht von den hohen Preisen. Die Landwirte profitieren nicht, und die Konsumenten profitieren auch nicht. Sprecher Zum einen steigen die Aufwendungen für Düngemittel und Treibstoffe, zum anderen müssen die Bauern teure Nahrungsmittel für die Selbstversorgung zukaufen. O-Ton 26 Booker Owuor We found out that the percentage the farmers ... prices than the small scale or medium scale farmers and the kinds. 2. Übersetzer Wir haben herausgefunden, dass der Prozentsatz, den die Landwirte bekommen, weit geringer war als der, den andere entlang der Wertschöpfungskette erhalten. Die Transporteure, die Lager, die Mühlen erhielten viel höhere Anteile an diesen hohen Preisen als die kleinen oder mittelgroßen Landwirtschaftsbetriebe. Sprecher Booker Owuor vertritt die Interessen kleiner Getreidebauern in Kenia. Er wünscht sich eine starke Lobby für sie und fordert eine Erhöhung der staatlichen Investitionen in die Landwirtschaft von fünf auf zehn Prozent. Er möchte auch, dass Infrastrukturen geschaffen werden, die den Bauern helfen, wetterunabhängig drei bis vier Mal im Jahr zu ernten. Auch Roman Herre von FIAN befürwortet Investitionen, vor allem in die Entwicklung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, damit die Bauern bessere Erlöse erzielen können. O-Ton 27 Roman Herre Grundsätzlich ist es, denke ich, gut, wenn es eine moderate, kontinuierliche Preissteigerung bei den Agrarprodukten gibt, damit eben nicht nur die Bauern hier in Deutschland und in Europa, sondern insbesondere die, die an der Existenzgrenze knabbern, sich langfristig besser ernähren können, besser wirtschaften können, weil die Preise höher sind. In dem Kontext ist es zu sehen, dass wir durch unser Dumping von hoch subventionierten Agrarprodukten dazu beigetragen haben, dass die Preise so extrem sind in den Entwicklungsländern. Sprecherin Aus menschenrechtlicher Perspektive sind die Nationalstaaten in der Pflicht, für die Ernährungssicherheit ihrer Bürger zu sorgen. Dass viele Entwicklungs- und Schwellenländer für den Export produzieren, um Devisen zu erwirtschaften, statt die Selbstversorgung ihrer eigenen Bevölkerung im Blick zu haben, liegt auch an der Liberalisierung des Welthandels und dem Druck, den IWF und Weltbank auf die Länder ausüben. Sprecher Die Zahl der Hungernden hat mittlerweile eine Milliarde erreicht, obwohl jeder Mensch theoretisch 30 Prozent mehr Nahrung zur Verfügung haben müsste als 1960. Laut Weltbank sind im Jahr 2010 nur aufgrund der hohen Lebensmittelpreise 44 Millionen Menschen verarmt. FIAN behauptet, zehn Prozent des Hungers in der Welt seien durch Dürren und Naturkatastrophen entstanden, 90 Prozent der Hungernden litten aufgrund von strukturellen, menschengemachten Problemen. Auch die Ernährungs-und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen macht die exzessive Spekulation mit Nahrungsmitteln für Preisspitzen und schnellere Preisschwankungen mit verantwortlich. Sprecherin In deutschen Medien lieferten sich der Wirtschaftsethiker Ingo Pies und Markus Henn von der entwicklungspolitischen Organisation weed einen Schlagabtausch. Ingo Pies behauptete, ein Verbot der Spekulation könne negative Auswirkungen auf die Produktion von Nahrungsmitteln haben. Markus Henn hielt dagegen, die rasant zunehmende Spekulation habe keinen Nutzen für Landwirte und Konsumenten gehabt. Roman Herre: O-Ton 28 Roman Herre Letztes Jahr, als die Hungerproblematik am Horn von Afrika in die Medien gekommen ist, hab ich das, um mal ein paar Zahlen zu nennen, bei Äthiopien noch mal angeschaut. Da hat sich der Preis von Juni 2010 bis Juni 2011, der Preis von Weizen auf dem Weltmarkt verdoppelt. Jetzt sind wir beim Weltmarkt. Guckt man sich mal die Preise auf dem nationalen Markt in Äthiopien an, da haben sich die Preise von 4600 bir auf über 8000 bir auch fast verdoppelt. Man hat ne sehr hohe Korrelation. Es gibt natürlich jetzt immer Wissenschafts-Füchse, die sagen, Korrelation ist noch nicht Beweis. Allerdings kann man diese Korrelation in sehr vielen Ländern herstellen. Immer erst zu warten, bis man den finalen Beweis hat, ist absolut nicht ausreichend, um Schritte einzuleiten, um dieser Problematik entgegenzutreten. Wenn die Anzeichen sehr stark auf die Zusammenhänge deuten, und die weisen bei vielen Zahlen daraufhin, dann muss gehandelt werden. Sprecher Im Sommer haben die Commerzbank, die Fondsgesellschaft der Sparkassen, Deka und die Landesbank Baden-Württemberg angekündigt, auf Nahrungsmittel in ihren Rohstofffonds zu verzichten. Die Allianz weigert sich jedoch, aus der Spekulation auf Nahrungsmittelpreise auszusteigen. Laut einer Studie der Nichtregierungsorganisation Oxfam legte der Versicherungskonzern 2011 über sechs Milliarden Euro in Agrarrohstoffen an. Deutsche Finanzinstitute hielten mit 11,4 Milliarden Euro etwa ein Sechstel des weltweiten Anlagevermögens in diesem Bereich. Die EU arbeitet derzeit an einer neuen Finanzmarktrichtlinie. Sie beinhaltet, die Zahl der Verträge jedes Händlers zu begrenzen, den außerbörslichen Handel mit Rohstoffen zu regulieren und eine Berichtspflicht für die Handelsplätze einzuführen. O-Ton 5 Vertreter von "activ trades", anonym Wir stellen dem Privatkunden die Möglichkeit zur Verfügung, aber auch institutionellen Kunden, sich im Markt zu positionieren. Über die moralischen Aspekte, bzw. die globalen Implikationen seines Handelns muss jeder Anleger sich im Endeffekt selbst im Klaren sein, bzw. sich selbst informieren. O-Ton 30 Jim Rogers Now you and I have ... , but the alternative is, no food at any price. 1. Übersetzer Sie und ich, wir müssen mehr für unser Essen ausgeben, und jeder auf der Welt muss mehr für sein Essen ausgeben. Es wird Ihnen nicht gefallen oder mir wird es nicht gefallen, aber die Alternative ist: kein Essen zu irgendeinem Preis. Musik Sprecherin Auf der Internetseite "black commentator" gibt es eine Karikatur. Sie zeigt einen mageren Menschen, der ein Schild hochhebt, auf dem steht: "Hungry!". Er blickt zu einem Broker hinter seinem Schreibtisch und ruft: "Ich kann nichts mehr kaufen!" Der Broker guckt auf die Charts auf seinem Monitor und antwortet: "Dann verkaufe!" Sp. v. Dienst: Wetten, dass.. ? Agrarrohstoffe als Finanzprodukte Ein Feature von Caroline Nokel Es sprachen: Nadja Schulz-Berlinghoff, Joachim Schönfeld und Helmuth Gauss Ton: Philipp Adelmann Regie: Gabriele Brennecke Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur, 2012 Die Zeitfragen zum Nachhören und Nachlesen finden Sie unter dradio.de. Am kommenden Montag senden wir: Der lange Weg zur grünen Wiese - was geschieht in den stillgelegten deutschen Atomreaktoren 1