COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel vom 20.3.2011 Golden Girls Frauenfußball in Deutschland Autor: Günter Herkel Take 1 (0:20) ZDF-Reportage Es ist exakt 22:15 Uhr, als Birgit Prinz den Weltpokal in den Himmel strecken darf. Deutschlands Fußballfrauen sind zum zweiten Mal nacheinander Weltmeister. Das ist noch keiner anderen Mannschaft zuvor gelungen. Autor: Am 30 September 2007 jubelten Millionen Fußballfans vor den heimischen Bildschirmen über den 2:0 Sieg der deutschen Frauennationalmannschaft gegen starke Brasilianerinnen. 77 Jahre zuvor waren die Reaktionen auf kickende Frauen noch ganz anders ausgefallen. Take 2 (0:38) Specht: Die Zuschauer und die Männer, die haben sogar Steine nach uns geworfen. Und die Zeitungen haben uns durch den Kakao gezogen und geschimpft. Sogar im Laden, in der Metzgerei haben die Leute gesagt: Herr Specht, dass Sie sowas dulden, das ist ja furchtbar. Also es wehte da schon der braune Wind, 1930. Die deutsche Frau raucht nicht, die deutsche Frau spielt auch keinen Fußball. Dann haben wir nur ein Jahr existiert, also die Presse hat da kolossal gegen uns gearbeitet, und nach nem Jahr war der Traum aus. Autor: Bedauert Lotte Specht, die im deutschen Frauenfußball so etwas wie eine Pionierrolle gespielt hat. Die vor einigen Jahren gestorbene Metzgerstochter und Kabarettistin hatte 1930 den mutmaßlich ersten Frauenfußballverein Deutschlands gegründet. Ein gesellschaftlicher Skandal, denn Fußball galt seinerzeit als reine Männerdomäne. Frauen hatten sich dem Ballett oder der rhythmischen Sportgymnastik zu widmen. Gynäkologen warnten vor der drohenden Vermännlichung der Sportlerinnen, fürchteten eine Ablenkung von ihrer eigentlichen Bestimmung, der Mutterschaft. Ein Denken, das erst recht im Nationalsozialismus die bescheidenen Ansätze weiblicher Fußballkultur zurückdrängte. Auch in der Nachkriegszeit änderte sich daran zunächst nichts. Kritiker verurteilten den weiblichen Kick als unästhetisch. So auch der Deutsche Fußballbund. Zitator 1 "Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut. Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand." Autor: Mit dieser Begründung verbot der DFB auf seinem Bundestag am 30. Juli 1955 in Berlin den organisierten Damenfußball. Einstimmig beschlossen die - selbstredend ausnahmslos männlichen - DFB-Oberen, unter Androhung von Strafe bei Zuwiderhandlung Zitator 2 "unseren Vereinen nicht zu gestatten, Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich aufzunehmen, unseren Vereinen zu verbieten, soweit sie im Besitz eigener Plätze sind, diese für Damenfußballspiele zur Verfügung zu stellen, unseren Schieds- und Linienrichtern zu untersagen, Damenfußballspiele zu leiten". Autor: Der damalige Berliner Delegierte Hubert Claessen über die seinerzeit im DFB vorherrschende Haltung: Take 3 (0:27) Claessen: Dat war ja für die schon ne schwere Sünde, nich' wahr, dass die Mädchen da mit nem wackligen Busen über's Feld liefen und auch noch gegen nen Ball traten. Man wollte einfach noch keine Damenabteilungen und keine Damenwettbewerbe, weil man sagt, das ist kein Sport, der sich für Frauen eignet, weil eine Frau weder physisch noch psychisch für einen solchen Kampfsport geeignet ist. Autor: Während die kickenden Herren nach dem "Wunder von Bern" 1954 als Nationalhelden gefeiert wurden, zeigte der DFB den Frauen weiterhin die kalte Schulter. Auch Bundestrainer Sepp Herberger machte da keine Ausnahme. Take 4 (0:15) Schmidt: Herberger war schon sehr, ja - althergebracht in seiner Meinung über die Rolle der Frau. Die gehört eben wirklich an den Herd und (...)ins Haus. (...) Ich glaube, in seinem Denken hat eigentlich der Frauenfußball keine massive Rolle gespielt. Autor: Sagt Karl Schmidt, damals Spieler beim 1. FC Kaiserslautern, heute Geschäftsführer der DFB- Kulturstiftung. Auch der offizielle Bannfluch des DFB kann die fußballbegeisterten Frauen nicht daran hindern, ihrer Leidenschaft nachzugehen. Es wird gespielt, kurioserweise sogar auf nationaler Ebene. Da der Begriff Nationalmannschaft zu dieser Zeit nicht geschützt war, finden unter der Regie cleverer Geschäftemacher sogar Länderspiele statt. Matthias Thoma, Geschäftsführer der Eintracht Frankfurt Museum GmbH und Forscher in Sachen lokaler Sportgeschichte. Take 5 (0: 15) Thoma: Die Möglichkeit waren die großen städtischen Stadien. Die unterliegen nun nicht der Struktur des DFB, die waren von den Städten verwaltet. Und so wurden Länderspiele in großen Stadien gemacht. Es gab Länderspiele in München, Berlin, Stuttgart und in Frankfurt... Autor: Und das mit beachtlichem Zuschauerzuspruch. Am 23. September 1956 steigt das erste inoffizielle "Fußball-Länderspiel der Damen zwischen Westdeutschland und Westholland". Take 6 (0:30) Wochenschau: Die Gleichberechtigung schreitet auch in Fußballstiefeln voran. Essen war Schauplatz des ersten Länderkampfs der deutschen Frauen in schwarz-weiß gegen Holland. 18.000 Zuschauer waren Zeugen dieses historischen Tages. Wie Herbergers Schützlinge in ihren besten Zeiten, so ziehen die jungen Damen elegant und zu allem entschlossen ihre Kreise. Die Mühe lohnt sich. Ein haarnadelscharfer Schuss der Halblinken - und es steht 2:0. Autor: Das Spiel endet mit einem 2:1-Sieg für das deutsche Frauenteam, und Mittelstürmerin Lotti Beckmann geht als Schützin des ersten Länderspieltors in die Geschichte des deutschen Frauenfußballs ein. Bis 1965 werden an die 150 solcher Auswahlspiele organisiert, in der Regel von Frauenfußballverbänden in West- und Süddeutschland. Der sportliche Wert dieser Ländervergleiche ist umstritten. Auf manchen Plätzen kommt es zu Ausschreitungen und Anfeindungen. Immer wieder werden Spielerinnen von Teilen des Publikums attackiert. Gelegentlich setzen Vereinsvorstände das DFB-Verbot mithilfe uniformierter Polizei durch. Seinerzeit schrieb der Berliner "Tagesspiegel": Zitator 3 Das kategorische Nein des DFB zum Frauenfußball wäre lieber nicht gesprochen worden. Stattdessen hätte er seinen Vereinen raten sollen, Frauenfußball-Abteilungen bei Bedarf zuzulassen. Ihm wäre dieser Sport nicht entglitten. Die gewiss nicht positiven Randerscheinungen des Frauenfußballs hätten sich vermeiden lassen. Autor: BILD schreibt von "fußballverrückten Grazien" und vom "Fußball-Sturmlauf auf Stöckelschuhen". Aber nicht nur die Boulevardpresse ergeht sich in sexistischen Stereotypen. Kostprobe aus der UFA-Wochenschau bei einem Länderspiel gegen England: Take 7 (0:30) UFA-Wochenschau: Bert Trautmann gab den Anstoß, und das Stuttgarter Neckarstadion wurde zum Tummelplatz von 22 Fußballbräuten. Deutschland gegen England hieß der neueste Schlager im unaufhaltsamen Ausverkauf holder Weiblichkeit...Unermüdlich drängten sich die Inseldamen im gegnerischen Strafraum. Aber angestachelt durch echte Hausfraueninstinkte hielten die Deutschen ihr Nest jetzt sauber. Autor: Die Wende kommt Ende der 60er Jahre. Im Gefolge von APO und neuer Frauenbewegung schwenkt auch der Deutsche Fußballbund um und gibt seinen Widerstand gegen den Frauenfußball auf. Allerdings nicht ausschließlich aus besserer Einsicht. Der DFB fürchtet die Gründung eines Konkurrenzverbandes außerhalb des eigenen Einflussbereichs. Die offizielle Aufhebung des Verbots erfolgt auf dem DFB-Bundestag am 31.10.1970 in Travemünde. Zitator 4 "Der im Jahre 1955 gefasste Beschluss, Spiele von Damenfußball nicht zu gestatten, wird aufgehoben. Der DFB-Vorstand wird beauftragt, die erforderlichen Richtlinien zur Durchführung von Damenfußballspielen aufzustellen und deren Annahme zu empfehlen." Autor: Gleichwohl fiel den DFB-Oberen diese Entscheidung nicht leicht. Das belegen diverse Gutachten, die der Verband in Auftrag gegeben hatte, um bestehende Gesundheitsrisiken für das vermeintlich so zarte Geschlecht ausfindig zu machen. Diese münden in einer Reihe von Sonderregeln, die nur für den Frauenfußball gelten. Sporthistoriker Thoma: Take 8 (0:20) Thoma: Am Anfang haben die Frauen nicht mit dem Lederball der Männer gespielt, sie haben den Juniorball gehabt, der war ein bisschen kleiner. Stollenschuhe waren Frauen in der Anfangszeit des Fußballs verboten, das hat sich auch alles mittlerweile angeglichen. Die Winterpause sollte von November bis März sein, und Schutzhand vor der Brust war erlaubt. Autor: Zudem wurde die Spielzeit zunächst auf 2 x 30 Minuten verkürzt. Lauter Regeln, die nach Auffassung vieler Spielerinnen die schnelle Entwicklung des Frauenfußballs eher behinderten. Das Publikum zeigte sich anfangs weiterhin eher an den außersportlichen Aspekten interessiert, erinnert sich Monika Staab,. Take 9 (0:11) Staab: Die Zuschauer waren am Anfang da, die waren natürlich sehr neugierig. Es ging da eher darum, große Brüste zu sehen, wie die dann über den Sportplatz hievten, und mehr die Belustigung - können wir mit euch duschen gehen? - und Trikot tauschen... Autor: Staab spielte zu Beginn ihrer aktiven Karriere zunächst bei Klubs wie Kickers Offenbach und der nach einem Frankfurter Offizier benannten SG Oberst Schiel. Dass der legalisierte Frauenfußball auf Vereinsebene mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, belegen ihre späteren Erfahrungen bei der SG Praunheim, dem Vorgänger-Klub des heutigen 1. FFC Frankfurt. Take 10 (0:30) Staab: Die Männer waren auch nicht gar so hochspielend, und wir hatten große Probleme. Die Akzeptanz innerhalb des Vereins überhaupt für das zu kämpfen, Trainingszeiten überhaupt zu haben, Bälle zu haben. Also viele, viele Probleme, die man bewältigen musste. Wir waren immer das fünfte Rad am Wagen. Es gab keinen gescheiten Trainer, weil das finanziell gar nicht möglich war. Es war immer so: Diese Frauen - wir müssen sie dulden. Es gab viele Dinge, die an den Haaren herbei gezogen waren, und wir wollten ja eigentlich nur eins: Fußball spielen. Musik Autor: Auch in der DDR hatten die Frauen mit ähnlichen Problemen und Vorurteilen zu kämpfen wie in der Bundesrepublik. Die dortigen Sportfunktionäre betrachteten den Frauenfußball zunächst nicht gerade mit Wohlwollen. Bernd Schröder, als langjähriger Trainer von Turbine Potsdam der Pionier des Frauenfußballs in Ostdeutschland, weiß warum. Take 11 (0:14) Schröder: Es gab natürlich keine Förderung. Warum nicht? Weil die Angst hatten, dass der Fußball, der ja populärer ist als andere Sportarten, damit die Mädels und Frauen aus anderen olympischen Sportarten rüberzieht in den Frauenfußball. Autor: Eine Vorstellung, die nicht in die auf internationales Prestige gepolte Gedankenwelt der DDR-Sportfunktionäre passte. Denn mit Frauenfußball ließen sich damals noch keine Medaillen gewinnen, der propagandistische Wert war daher eher gering. Ein Verbot wie in der Bundesrepublik gab es allerdings nie. Dies hätte eindeutig dem sozialistischen Frauenbild in der DDR, das auf Gleichberechtigung fußte, widersprochen. Ein echter Spielbetrieb entwickelte sich aber auch in Ostdeutschland erst seit den späten 60er Jahren. Carina Sophia Linne, Sporthistorikerin an der Uni Potsdam. Take 12 (0:26) Linne: Ein ganz wesentlicher Unterschied zum bundesrepublikanischen Frauenfußball: In der DDR waren die Frauen auf einmal da, sie spielten, sie organisierten sich, erst mal ohne den Verband, dann folgte 1971 die Einführung des Frauenfußballs in die Spieleordnung als Volkssport, und von da an konnte peu à peu der Übungsbetrieb und Wettkampfbetrieb aufgebaut werden. Sie hatten sich nicht mit einem Verbot auseinanderzusetzen. Autor: 1971 existierten bereits rund 150 Frauenmannschaften in Ostdeutschland. Anders als im Westen, wo ab 1974 eine Deutsche Meisterschaft ausgetragen wurde, gab es in der DDR allerdings keinen solchen Titelkampf. Take 13 (0:20) Linne: Das ist im Sportsystem der DDR begründet. Der Leistungssport war die Nummer 1, die besonders geförderten Sportarten, Olympische Sportarten. Der Frauenfußball gehörte zum Sport 2, den nicht besonders geförderten Sportarten, dem so genannten Freizeit- und Erholungssport. Und darin war von vornherein festgesetzt, gibt es keine Meisterschaften, sondern nur Bestenermittlung. Autor: Die aber von allen Beteiligten als "inoffizielle Meisterschaft" angesehen wurde. Ein weiteres Handicap der DDR-Spielerinnen. Ebenso wie ihren männlichen Kollegen waren ihnen Sportreisen ins kapitalistische Ausland untersagt. Selbst Turniere in befreundeten sozialistischen Bruderländern standen unter scharfer Beobachtung der DDR-Sportfunktionäre, erinnert sich Bernd Schröder: Take 14 (0:14) Schröder: Wir bekamen dann Einladungen aus diesen Ländern, und wenn dann Länder druff waren, die nicht zum sozialistischen System gehörten, da haben wir natürlich die Einladung zurück geschickt und haben gesagt: ihr müsst uns andere draufschreiben. Manchmal ham wer se uns selber gefälscht, aber das ist ne andere Frage. Autor: So wie 1985, als Schröders Mannschaft Turbine Potsdam zu einem Turnier in Ungarn eingeladen wurde. Aus dem tatsächlich teilnehmenden Klub Landhaus Wien wurde auf Bitten Schröders Levski Sofia, und Turbine durfte spielen. Nach dem Turnier flog der Schwindel auf. Ein Funktionär hatte sie verraten. Schröder wurde gemaßregelt und international für ein Jahr gesperrt, ebenso die Spielerinnen. Musik Autor: In der Bundesrepublik hatte der Westdeutsche Fußballverband 1985 mit der Regionalliga West die erste verbandsübergreifende Spielklasse für Frauen eingeführt. Es sollte aber noch bis 1990 dauern, ehe eine zunächst zweigleisige Bundesliga etabliert wurde. Seit 1982 gab es offizielle Länderspiele einer deutschen Frauennationalmannschaft. Am 2. Juli 1989 gewinnt das Nationalteam durch einen 4:1-Sieg über den haushohen Favoriten Norwegen erstmals die Europameisterschaft. Dieser Erfolg gilt als großer Durchbruch für den Frauenfußball in der Bundesrepublik. Als Siegprämie erhalten die Europameisterinnen vom DFB ein Kaffee- und Tafelservice, noch dazu in B-Qualität. Die damalige Spielerin und heutige Bundestrainerin Silvia Neid rückblickend: Take 15 (0:20) Neid: Die beim DFB die wussten jetzt natürlich auch nicht, was schenkt man jetzt, da waren sie auch etwas überfordert. Und dann hamse sich halt gedacht, ja Frauen und Kaffeeservice, wo man auch sammeln kann, weiterhin sammeln kann. Nur, es war halt für uns junge Menschen, wir konnten halt recht wenig damit anfangen. Ich glaube, allen haben's dann ihren Müttern geschenkt, die sehr froh waren mit diesem Geschenk. Autor: Seit 1995 hält Deutschland mit fünf aufeinanderfolgenden Turniersiegen ununterbrochen den Titel des Europameisters. Im letzten Finale vor zwei Jahren besiegten die deutschen Frauen ihre englischen Rivalinnen deutlich mit 6:2 . Die internationalen Erfolge beflügeln auch die Entwicklung des Frauenfußballs auf Vereinsebene. Die zweigleisige Bundesliga mit 20 Mannschaften wird 1997 erstmals auf eine eingleisige Staffel mit zwölf Mannschaften verkleinert. Angesichts der zunehmenden Professionalisierung im Frauenfußball können kleine Pioniervereine wie Grün-Weiß Brauweiler, Bergisch Gladbach oder der TSV Siegen nicht mehr mithalten. Sie sind längst in der Versenkung verschwunden. Seit der Jahrtausendwende dominieren vor allem zwei Klubs die Liga: der 1998 aus der SG Praunheim hervorgegangene 1. FFC Frankfurt sowie der SSV Turbine Potsdam. Siegfried "Siggi" Dietrich, hauptamtlicher Manager und Pressesprecher des 1. FFC Frankfurt: Take 16 (0:20) Dietrich: Wir sind sponsoren- und mediengerecht präsent in unserem Stadion am Brentanobad. Und das haben verschiedene Sponsoren erkannt. Wir haben verschiedene Medienpartner in Frankfurt auch, die das dann mit transportieren. Wir haben das Hessische Fernsehen, das regelmäßig über unsere Bundesligaspiele berichtet. Und das sind verschiedene Anhaltspunkte, die auch einen Wert darstellen und den verkaufen wir dann entsprechend angemessen. Autor: Die Philosophie der ehemaligen Betriebssportgemeinschaft Turbine Potsdam klingt ein wenig anders. Take 17 (0:16) Schröder: Wir leben noch son bisschen das Gemeinschaftsgefühl eines Vereines, ostdeutschen Vereines, nicht politisch, sondern in der Art der Zusammensetzung der Leute, wir gehen auf die Leute zu. Wir wollen nicht den großen Profiklub rauskehren. Autor: Ob westdeutscher Profiklub oder ostdeutscher Heimatverein - beide Mannschaften agieren auf ihre Weise extrem erfolgreich. Von den letzten zehn deutschen Meisterschaften gingen jeweils fünf an Frankfurt und an Potsdam. In wenigen Monaten tritt die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft im eigenen Land an, um zum zweiten Mal hintereinander ihren Weltmeisterinnentitel zu verteidigen. Take 18 (0:36) TV-Reportage WM-Finale 2003 Freistoß Lingor nochmal. Wieder Künzer - jaaaaaaa!!! Deutschland ist Weltmeister! Vor 13 Jahren durfte zuletzt ein deutscher Reporter konstatieren, dass eine deutsche Mannschaft Fußballweltmeister ist. Am 12. Oktober 2003 ist es wieder so weit. Glückwunsch! Autor: So klang es vor acht Jahren, als Nia Künzer in der Verlängerung per Golden Goal das deutsche Team zu Golden Girls machte. Als Siegprämie gab es diesmal kein Porzellan, sondern immerhin 15.000 Euro pro Spielerin. Vier Jahre später setzten sich die deutschen Frauen im Finale in Shanghai gegen Brasilien mit 2:0 durch. Auch 2011 zählen Birgit Prinz, Ariane Hingst und Co. wieder zu den Topfavoriten. Nach jahrzehntelanger Diskriminierung, so scheint es, genießt der Frauenfußball hierzulande endlich die Anerkennung, die er verdient. Aber ist das wirklich so? DFB-Präsident Theo Zwanziger gilt als ein großer Freund und Förderer des Frauenfußballs. Take 19 (0:25) Zwanziger: Der DFB hat inzwischen, glaube ich, die notwendige Aufgeschlossenheit für den Frauenfußball entwickelt. Ich werd das auch fortsetzen. Wir müssen jetzt daran denken, dass unsere Strukturen ein Stück aus der starken immer noch Männer- und Junioren-Fußball- bezogenen Betrachtung herauskommen und sich öffnen, die Bereitschaft erklären, Mädchen nicht nur bei den Bambinis, sondern möglichst auch nachher, dann wenn sie in ältere Altersklassen kommen, weiter zu betreuen. Autor: Mittlerweile spielen nahezu eine Million Frauen und Mädchen Fußball im Organisationsbereich des DFB. Tendenz steigend. Kein Wunder, dass sich immer mehr DFB- Funktionäre als Fans des Frauenfußballs zu erkennen geben. Take 20 (0:20) Schmidt: Es gibt viel mehr Strafraumszenen als im männlichen Fußball. Mir gefällt auch insbesondere die zum Teil bemerkenswerte Eleganz, die in dem Frauenfußball liegt. (...) Diese Paarung von Eleganz und Kraft, das ist, glaube ich, das, was mich insbesondere dabei auch fasziniert. Autor: Bekennt Karl Schmidt von der DFB-Kulturstiftung. Doch trotz aller sportlichen Erfolge und unbestreitbarer spielerischer Fortschritte fristet der Frauenfußball im Alltag immer noch eine Mauerblümchenexistenz. Nach wie vor müssen die Frauen um Trainingszeiten und Gelder kämpfen. Zudem hält sich - jenseits großer Turniere wie Europa- und Weltmeisterschaften - das Interesse des Publikums in Grenzen. Bei den meisten Partien in der ersten Frauenbundesliga verlieren sich nur wenige Hunderte Zuschauer auf den Rängen. Das Spielfeld für kollektive Träume ist offenbar von den Männern besetzt, das Interesse von Medien und Sponsoren am Frauenfußball folglich eher zurückhaltend. Geht es nach dem Willen des DFB, soll sich das möglichst rasch ändern. Take 21 (0:25) Schaaf: Seit 2007, seit die so genannten jungen Wilden auf den Plan gekommen sind, also die junge Generation von Fußballerinnen, können wir feststellen, dass die sich sehr stark an die Präferenzen der Massenmedien annähern, dass die also ihren Körper entsprechend gendern. Wir haben plötzlich Spielerinnen, die lange Haare haben, die geschminkt und genagellackt auf den Fußballplatz gehen, allen voran natürlich Fatmire Bajramaj. Aber wir sehen's durchaus auch bei anderen Spielerinnen. Autor: Sagt Daniela Schaaf, Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin an der Deutschen Sporthochschule Köln. Sie untersucht im Auftrag der FIFA, nach welchen Kriterien Massenmedien und Sponsoren weibliche Fußballprofis beurteilen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollen indirekt dazu dienen, den Frauenfußball zu popularisieren. Im Klartext: Es geht darum, mehr Sponsoren und die Medien für den weiblichen Kick zu begeistern und entsprechende positive Kettenreaktionen beim allgemeinen Publikum zu erzeugen. Dafür eignen sich offenbar vor allem junge, selbstbewusste Spielerinnen wie Kim Kulig vom Hamburger Sportverein, Celia Okoyino da Mbabi vom SC Bad Neuenahr oder die Exilkosovarin Fatmire Bajramaj. Eine Lifestyle-Strategie mit durchaus problematischer Tendenz, findet die Journalistin Nicole Selmer. Take 22 (0:24) Selmer: gleichzeitig wird es vom DFB oder auch von der FIFA jetzt sehr offensiv auch promotet, zu sagen: Ja, das sind hübsche Frauen, die jetzt Fußball spielen. Wo im Hintergrund: Ja, das sind aber gar keine Lesben und auch keine Mannweiber, irgendwie. (...) Da gibt's sicherlich auch den guten Willen, jetzt den alten Klischees was entgegenzusetzen, aber da muss man eben aufpassen, dass man denen nicht noch ältere Klischees entgegensetzt, nämlich dass Frauen immer nur über ihr Aussehen zu beurteilen sind. Autor: Auch der alte Haudegen Bernd Schröder von Turbine Potsdam steht dieser Sexualisierungsstrategie im Frauenfußball skeptisch gegenüber. Allerdings eher aus sportlicher denn aus ideologiekritischer Sicht. Take 23 (0:23) Schröder: Wir machen Athletik, da werden Sie staunen, und da können Sie natürlich nicht davon ausgehen, dass n paar Ballettgestalten da rumloofen. Das sind Ausnahmen. Ne Spielerin wie Bajramaj ist ne Ausnahme zum Beispiel. (...) Und dann kommen eben andere Typen, so wie es beim Männerbereich auch ist. Ich denke, das wird ne Mischung immer geben, weil Sie können ja nicht 24 Grazien haben. Dann hamse zwar Grazien, aber dann hamwer keen Fußball. Autor: Für Schröder wäre schon viel gewonnen, wenn die Frauen die positiven Aspekte des Fußballs weiterentwickeln und die beim Männerfußball vorkommenden Exzesse weiterhin vermeiden. Also: keine rüden Fouls, keine Schiedsrichterbeleidigungen, keine Fanausschreitungen auf den Rängen. Umgekehrt fordert er: Take 24 (0:14) Schröder: Es darf nicht so viel taktiert werden, es muss frischer sein, offensiver sein. Sie müssen sehen, dass die mit Herz spielen, dass es keene Landsknechtsnaturen sind. Und Sie müssen natürlich n Umfeld haben: Kleine Stadien, wo die Leute hingehen, Begegnungsstätten. Autor: Gleichwohl dürfte in den Monaten vor der WM die Medienpräsenz ausgewählter Kickerinnen mit Sex Appeal um einiges zunehmen. Homestories in Gala und Bunte, Auftritte bei "Wetten dass" oder in anderen Talk- und Quizrunden oder auch eine Fotostrecke im Playboy - die Marketingkampagne läuft gerade an. Wenn damit bisherige Verächter motiviert werden, gelegentlich auch mal zum Frauenfußball zu gehen - warum nicht? Im ungünstigen Fall aber, so warnt Kommunikationswissenschaftlerin Daniela Schaaf, könnte der so genannte Kournikova-Effekt eintreten. Wer erinnert sich nicht an jene bildhübsche Russin, die weniger durch Turniersiege als durch ihr attraktives Outfit auf den Tennisplätzen glänzte. Take 25 (0:24) Schaaf: Im schlechtesten Fall kommt es halt zu so ner Entsportlichung, dass nämlich die sportliche Leistung nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses steht, sondern dass sich die Medien, die Sponsoren und vielleicht auch die Rezipienten wirklich auf das Aussehen der Spielerinnen konzentrieren, dass sie also quasi zu Fußballmodels stilisiert werden. Und dann besteht natürlich die Gefahr, dass sich auch nach der WM letztlich dann niemand mehr für den Frauenfußball interessiert. Musik verwendete Musik: Interpret: Mint Royale, Titel: Don't Falter Christian Becker, Titel 6 aus 49 15