DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 07.12.2010 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Eichhörnchens permanente Revolte Über die Umweltaktivistin Cécile Lecomte Von Nadine Dietrich URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo Schweres Atmen von Cécile mit Wind (Köhlbrandbrücke) ? Anstrengung deutlich zu hören, peux pas monter plus vite... O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 27. Januar (es regnet) Hier spricht das Eichhörnchen. Jajaja, die Bäume sind besetzt und zwar immer! Und wir werden auch keinen Baum freiwillig hergeben, das kann ich auch gleich sagen. Atmo: schweres Atmen von Cécile mit Wind (Köhlbrandbrücke) O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 27. Januar Hier spricht wieder das Eichhörnchen, wir haben heute Mittwoch, ca. 15 Uhr. Ein paar Neuigkeiten und zwar wurden wir gerade ziemlich lange von einem Polizeihubschrauber gefilmt. Für uns heißt es weiterhin wachsam bleiben: Wir bleiben hoch in den Bäumen. Atmo: schweres Atmen von Cécile mit Wind (Köhlbrandbrücke) Ich rutsche. Blaulicht kommt! Blaulicht kommt! O-Ton Friedrich Niehörster (Polizeipräsident Lüneburg aus NDR Fernsehen) Das ist absolut nervig. Das ist absolut krank, was sie macht. Sie ist frei und dann klettert sie auf das nächste Ding und macht irgendwas. Als wenn wir eine Maschine anstellen. Das ist ein Störfaktor und den muss man irgendwann mal unterbinden. Atmo: schweres Atmen, Knistern der Plane O-Ton - Selbstaufnahme Cécile - 27. Januar Das dauert mindestens 40 Jahre, bis neue Bäume so hoch gewachsen sind. Und man merkt, wenn man hier im Park wohnt, wie die Bäume wichtig sind, wie die Umwelt wichtig ist. Das sind Windböen. Und es schwankt wie auf dem Meer hier auf der Plattform. Der Baum schaukelt ? Ruhe ? Musik Ansage Eichhörnchens permanente Revolte Über die Umweltaktivistin Cécile Lecomte Ein Feature von Nadine Dietrich Musik Autorin Hamburg im Januar 2010. In einem kleinen Park auf Sankt Pauli sind Umweltschützer in einige der Bäume geklettert und halten sie besetzt. Der Energiekonzern Vattenfall will hier eine Fernwärmetrasse für sein neues Kohlekraftwerk bauen, deswegen sollen die Bäume weg. Ich bin neugierig: Was sind das für Menschen, die hoch oben bei Wind und Wetter ausharren? Wie denken sie? Welche Konfrontationen nehmen sie auf sich und wie leben sie, wenn sie nicht gerade in Bäumen sitzen? Weil ich selbst nicht permanent im Park sein kann, nehme ich mein Diktiergerät und versuche die Baumbesetzer dafür zu gewinnen, eine Art mündliches Tagebuch für mich zu führen. Atmo Gählerpark Feuer knistert, Hunde kläffen sich heftig an, Cécile: Das sind immer die Kleinen, die die Großen.... Musik entfernt zu hören, Stimmen Autorin Mitten im verschneiten Park an einer Feuertonne stehen ein paar Menschen, reden und wärmen sich die Hände ? zwischen ihnen auch die Baumbesetzer, um ihre Taillen breite Gurte mit Karabinerhaken für die Kletterseile daran. Sie tragen Skihosen, Mützen, Handschuhe, Schals und leuchtend grüne Jacken mit dem Schriftzug der Umweltschutzorganisation "Robin Wood". Ich stelle mich dazu, erzähle ihnen von meiner Idee und erkläre, wie das Diktiergerät funktioniert. Eine junge zierliche Frau mit Sommersprossen im blassen Gesicht hört besonders interessiert zu. Sie wird die einzige der acht Baumbesetzer sein, die mir tatsächlich erst kurze, dann immer länger werdende Berichte auf dem Gerät hinterlässt. Und das meistens nachts, wenn sie in acht bis zehn Meter Höhe unter einer aufgespannten Zeltplane auf ihrer Holzplattform liegt. O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 13. Februar Wir haben weiterhin Samstag, den 13. Februar, aber wir haben gerade kurz vor Mitternacht. Im Tippi sind ganz viele Menschen versammelt, an der Feuertonne im Tippi, also schneefrei und warm. Und von hier, ich bin jetzt im Bett, aber ich höre noch ein bisschen trommeln und die Leute singen. Das ist, was ich gern mag bei Baumbesetzungen. Das ist ein Stück Utopie, was man zusammen aufbauen kann. Mit anderen Menschen ein gemeinsames Ziel - dafür zu kämpfen. Autorin 400 Bäume will der Energiekonzern Vattenfall in Hamburgs Innenstadt für die Fernwärmetrasse fällen. Die Regierung aus CDU und Grünen hatte dem zugestimmt - ohne Bürgerbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfung. Anwohner und Umweltverbände sind empört. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz hat gegen das Genehmigungsverfahren geklagt. O-Ton - Selbstaufnahme Cécile vom 13. Februar Mein kleines Zuhause ? etwa zwei Meter lang, zwei Meter 50 ca. breit. Ich muss mal ein bisschen den Schnee entfernen, hat heute viel geschneit und das ist an den Wänden geklebt. Raschel ? das macht eine kleine Lawine für die Fußgänger unten. In jeder Ecke sind Wärmflaschen. Natürlich muss man auch in der Nacht gesichert bleiben. Bin an der Plattform gesichert. Man kann nicht nur halb den Baum herunterfallen, deswegen gibt es eine Regel: immer gesichert sein. Da gewöhnt man sich dran mit dem Gurt im Schlafsack. Bin gerade dabei hereinzuschlüpfen für eine gute Nacht. Musik Autorin Einmal pro Woche gehe ich in den Park, wechsele die Speicherkarte im Diktiergerät und unterhalte mich mit dem "Eichhörnchen". Cécile Lecomte ist 28 Jahre alt und in Frankreich geboren. Seit fünf Jahren lebt sie in Lüneburg, 70 Kilometer süd-östlich von Hamburg. Zum ersten Mal kam sie 2001 nach Deutschland, erzählt sie mir. Sie hat damals Außenhandelswirtschaft studiert und war als Austauschstudentin in Bayern. Dort erfuhr sie zum ersten Mal von den Atommülltransporten nach Gorleben. O-Ton Cécile 21. Juni Lüneburg Als ich im November in der Zeitung gelesen hab, dass da Auseinandersetzungen sind zwischen Demonstranten und Polizisten und irgendwelche Castoren - die gesamte Dimension des Problems ist mir bewusst geworden. Ich war schon aus wirtschaftlichen Gründen gegen Atomkraft, weil es ist eine zentralisierte Energiequelle. Es wird weit weg oberhalb von den Köpfen der Menschen entschieden, es ist nicht das, was ich will. Von den Gefahren wusste ich, aber nur ein wenig Intuition, irgendwas geht nicht, mehr wusste ich vorher nicht. Ich habe festgestellt, dass das Thema zu mir gekommen ist, bis nach Bayern, obwohl es in Norddeutschland, in Gorleben war. Da habe ich mir gesagt, das ist der Erfolg einer Protestbewegung, einer sozialen Bewegung. Autorin Zurück in Frankreich begann Cécile Lecomte zwischen deutschen und französischen Atomkraftgegner Verbindungen aufzubauen: Sie übersetzte Artikel, stellte Kontakte her und organisierte deutsch-französische Demonstrationen. Aus ihrer eher intuitiven Ablehnung der Atomenergie wurde bald eine gut begründete Überzeugung. Atmo: WDR-Aufnahme 16. Januar 2008 Jingle - Moderatorin: Der Atomtransport aus Gronau ist heute nicht pünktlich in Rotterdam angekommen. In der Nähe von Burg Steinfurt wurde er in der vergangenen Nacht nämlich gestoppt. Spektakulär von einer Frau, die kopfüber an einem Seil turnte, mitten über der Bahnstrecke. Fernsehjournalist: Als wäre es ein Showauftritt zeigte die junge Französin, was sie als alpine Kletterin alles so drauf hat. Doch die Bühne für die 26-Jährige war die Bahnstrecke zwischen Metelen und Burg Steinfurt. Dem Zug mit dem Urantransport flog gestern Abend ein Hubschrauber voraus. Als die Piloten die junge Atomkraftgegnerin in acht Metern Höhe entdeckten, wurde der gesamte Transport gestoppt. Autorin In den Fernsehaufnahmen vom 16. Januar 2008 ist zu sehen, wie Cécile Lecomte im Dunkeln an einem Seil hängt, das quer über die Bahnschienen gespannt ist. Sie beginnt zu schaukeln, hängt plötzlich kopfüber und macht in der Luft einen Spagat. Zum Schluss breitet sie mit einer eleganten Bewegung die Arme aus. Unten neben den Bahnschienen stehen die Polizisten, schauen nach oben und warten sechs Stunden lang auf die eigenen Kletterspezialisten. Atmo: Fernsehjournalist Um 1 Uhr 15 war es dann soweit, die 26-jährige Demonstrantin wurde von den fünf Spezialisten abgeseilt und am Boden von Polizeikräften in Empfang genommen. Sie wolle mit ihrem Protest ein Zeichen setzen gegen den ihrer Meinung nach gefährlichen Atommülltransport von der Urananreicherungsanlage Gronau nach Russland. Autorin Bei unserem nächsten Treffen erzählt mir Cécile, dass sie den Atommülltransport zwei weitere Male für mehrere Stunden gestoppt habe ? immer auf die gleiche Weise. Seitdem exportiert das Unternehmen Urenco in Gronau keinen Atommüll mehr nach Russland, er wird jetzt in französische Wiederaufbereitungsanlagen gefahren. Mein größter Erfolg, sagt Cécile, die wegen ihre Kletterkünste den Spitznamen: "das Eichhörnchen" bekommen hat. O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 12.-13. März Heute haben wir schon den 13. März. Eichhörnchen meldet sich wieder zu Wort, weil ja - heute ist meine letzte Nacht hier im Baum. Da wir gegen Vattenfall erst mal einen Etappensieg verbuchen können, werden wir natürlich freiwillig die Bäume Atmo: Seile sortieren, Klimpern von Haken Autorin Während die Baumbesetzer und ihre fast 100 Gäste Kuchen essen und Kaffee trinken, wickelt Cécile Lecomte ihre Seile auf, stopft ihren Schlafsack in einen Beutel. Morgen früh fährt sie nach Frankfurt am Main. Sie muss sich vor Gericht wegen Hausfriedensbruch und Nötigung verantworten. Ich gebe ihr spontan das Diktiergerät wieder mit und bin gespannt, wann und wo ich beide wiedersehen werde. Atmo: Klimpern der Seile und Haken Autorin Zwei Monate später, im Mai, bekomme ich eine E-mail von Cécile: Die Speicherkarte ist voll. O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 29. April Heute will ich mal zum Thema Bauwagen was sagen. Ich finde Bauwagenleben ziemlich toll, es ist zwar relativ klein, aber man ist gleichzeitig viel draußen, hat viel Kontakt mit Nachbarn. Und wenn jetzt der Frühling kommt, ist es angenehm, draußen zu sitzen und zusammen zu frühstücken. Es wird viel zusammen gemacht. Es ist auch ökologisch: Wir haben kein Leitungswasser im Wagen, wir holen das im Gebäude nebenan. Man merkt viel mehr, wie viel man verbraucht, weil man muss jeden Liter selber holen. Man merkt dann, wie viel das ist! Der Umgang mit Ressourcen ist dadurch viel bewusster. Ich finde das schön. Autorin Den Bauwagen, das Zuhause von Cécile Lecomte, möchte ich mit eigenen Augen sehen. Ich kenne bisher niemanden, der im Bauwagen lebt, und bin neugierig. Wir verabreden uns also in Lüneburg, um die Speicherkarten zu tauschen. Cécile wartet an der Bushaltestelle auf mich. Ich sehe sie zum ersten Mal ohne Wintermütze: sie hat rot-blonde, sehr kurz geschnittene Haare. Sie wirkt entspannt, ruhiger als bei der Baumbesetzung in Hamburg. Cécile Lecomte hat etwas von einem frechen Jungen, der zu verbergen versucht, dass er längst den nächsten Streich im Kopf hat. Und gleichzeitig ist da auch etwas Zartes, Zerbrechliches in ihrem Gesicht. Cécile lehnt an ihrem Einrad. Als wir die Straße überqueren, merke ich plötzlich, dass sie nicht hinterherkommt. Ich drehe mich um: Cécile geht langsam, sie humpelt. "Ich habe seit sechs Jahren Rheuma", sagt sie, als wir auf der anderen Straßenseite angekommen sind. Musik Autorin Wir biegen von einer breiten, vielbefahrenen Straße ab ? auf ein großes Grundstück der Universität Lüneburg. Etwas abseits stehen unter hohen Bäumen drei Bauwagen. In der Mitte zwischen ihnen ist eine Feuerstelle, daneben unter einem großen Sonnensegel stehen Tisch und Stühle. Céciles Wagen ist der größte: etwa 10 Meter lang und zwei Meter breit, aus dunklem Holz und mit einem extra Oberdeck, in dem sie schläft. Von weitem sieht ihr Bauwagen wie eine große alte Lokomotive aus. Ein großes X aus gelb gestrichenen Holzplanken ? das Widerstandssymbol gegen die Castortransporte nach Gorleben ? hängt neben dem Eingang. Über eine Metalltreppe in der Mitte des Bauwagens klettere ich hinein und stehe in der Küche. Fotos von ihren Kletteraktionen stehen auf einem Bord, Plakate von Demonstrationen hängen an den Wänden. Am hinteren Ende ist eine kleine Essecke. "Wir gehen in den Wintergarten", sagt Cécile: am vorderen Ende des Bauwagens hat ein Tischler Fenster in den Holzwagen eingesetzt, es ist schön hell hier und der Platz reicht für ein kleines Sofa. O-Ton Cécile Lecomte Lüneburg Juni Geklettert bin ich, glaube ich, immer, weil der beste Platz im Zimmer war immer oben auf dem Schrank. Oder aufs Dach, wo die Katze auch lang lief, da wollte ich auch hin. Wir sind eine Kletterfamilie: Also meine Mutter ist eine richtig leidenschaftliche Bergsteigerin. Mein Bruder auch, meine Schwester etwas weniger, aber die klettert auch. Sonst habe ich mit sieben Jahren im Verein angefangen. Ich wohnte in Orléans, flacher geht es nicht, es ist ein bisschen wie hier eigentlich. Und ich bin fast jedes Wochenende und Urlaub in die Berge, in den Alpen sind wir immer geklettert und ich habe bis 30 Stunden die Woche geklettert eine Zeit lang. Autorin Cécile Lecomte war mehrfach französische Jugendmeisterin im Sportklettern. Beim Klettern in den Bergen entstand das Gefühl, die Natur schützen zu wollen, erzählt Cécile. Shoppen mit ihren Klassenkameradinnen war sie nie. O-Ton Cécile Lecomte Lüneburg Juni Meine ersten politischen Aktionen waren zum Beispiel Gegenwerbung. Das ist eine Kritik von der Konsumgesellschaft, warum gibt es Werbung? Um den Anreiz zum Einkaufen immer größer werden zu lassen. Aber warum immer mehr produzieren, warum immer mehr einkaufen? Um Geld anzuhäufen und Sachen anzuhäufen, dadurch werde ich nicht glücklich und dadurch wird das Klima auch nicht glücklich, weil die Erdressourcen begrenzt sind. Dadurch bin ich politisch aktiv geworden und habe gesehen, dass Wirtschaft und Umwelt einfach zusammenhängen. Erzählerin Nach ihrem Studium - sie hat Abschlüsse im Fach Außenhandelswirtschaft und als Lehrerin für "Französisch als Fremdsprache" - zog Cécile vor fünf Jahren von Frankreich nach Lüneburg ? und das nicht ohne Grund: Ein Mal im Jahr fahren durch Lüneburg die Castorzüge mit Atommüll ins 70 Kilometer entfernte Zwischenlager in Gorleben. Gorleben, sagt Cécile, sei der zentrale Ort und das Symbol für den bundesweiten Widerstand gegen die Atomenergie. Da wollte sie in der Nähe wohnen. Die ersten drei Jahre unterrichtete Cécile an Lüneburger Schulen Französisch, doch plötzlich begannen sich die Schulleitungen für ihre Aktivitäten jenseits der Schule zu interessieren: für ihre Baumbesetzungen und ihr Engagement gegen die Atommülltransporte. Es wurde Druck auf sie ausgeübt, die Schulen zu verlassen. Cécile vermutet, dass die Schulleitungen von der Polizei erfahren haben, dass das Mobile Einsatzkommando sie im Jahr 2008 in der Zeit vor den Castortransporten rund um die Uhr bewacht hat. Die Überwachung war rechtswidrig, doch Cécile entschloss sich, ihr Leben ganz dem Umweltschutz zu widmen, Vollzeit-Aktivistin zu werden. Atmo ? Mars TV, junge Frau Junge Frau: Schön guten Tag, wir sind live vom Mars und wir wollten Sie gerne fragen, ob Sie auch denken, dass Baumklettern verboten ist. So auf Bäume hochklettern, die Aussicht genießen und sich dort oben wohlfühlen. Mann: Ist das in Deutschland verboten? Hat das einen religiösen Hintergrund? Junge Frau: Nein, der Flughafen wurde ausgebaut und dafür wurden im Vorfeld Bäume besetzt und das ist Hausfriedensbruch, angeblich. Können Sie das verstehen? (weitere Umfrage, die leise weiterläuft) O-Ton - Cécile Selbstaufnahme 19. März 2010 Ja heute haben wir den 19. März 2010. Und ich hab mich von den letzten anstrengenden Tagen eine Erkältung eingeholt. Das war angstrengend. Ich war in Frankfurt. Ich musste vor Gericht, weil wir vor einem Jahr acht Monate lang Bäume in Kelsterbachwald besetzt haben gegen die Rodung von 240 Hektar Wald, die letztendlich trotzdem gerodet wurden. Als ob es nicht reichen würde, dass einfach die Natur platt gemacht wird, stehen nicht die Konzerne, die Klimawandel verursachen, sondern wir vor Gericht. Ja und in den Tagen vor dem Prozess haben wir so Straßentheater gemacht mit Mars TV. Atmo ? Mars TV Sie: Ja hallo, wir machen hier Mars TV und wir wollten Sie als Erdling mal fragen, ist es auf der Erde gestattet, auf Bäume zu klettern oder wie sieht das aus? Mann: Ja, natürlich, wir sind ja Menschen, wir stammen aus Affen...ist ja wunderbar Sie: Jetzt sollen aber Leute vor Gericht kommen, weil sie auf Bäume geklettert sind. Mann: Das sind ja Spießer, Idioten, sie wissen nicht, wie dieser natürliche Prozess verläuft. Sie haben vielleicht verlernt, menschlich zu sein, aber worum geht es Ihnen eigentlich? Sie: Naja, die Leute hier haben den Wald besetzt, der gerodet werden sollte, Flughafenausbau, ja O-Ton - Cécile Selbstaufnahme 19. März 2010 Scheinbar wird das vom Staat sehr, sehr ernst genommen. Auf jeden Fall waren wir am 17. März um 9 Uhr, als wir zum Gericht kamen, von den Umständen sehr, sehr entsetzt. Eine komplette BFE-Einheit der Polizei stand da, also Beweis- und Festnahmeeinheit in voller Montur mit Ausrüstung, Helm, Schlagstock und allem. Und die Anklage fand im Landgericht statt, im Schwurgerichtssaal ? als ob es um schwere Verbrechen ginge. Also es gab eine Trennwand, eine große Plexiglasscheibe zwischen Publikum und Gericht und das ist als Angeklagte ein Raum, der sehr, sehr bedrückend ist. Das kennt man eigentlich eher von Terrorismusprozessen, von RAF-Prozessen. Und ja, da gab es Clowns im Gerichtssaal mit roten Nasen, die gelacht haben. Und irgendwann hat der Richter gesagt: Ich bin kein Kindergärtner. Autorin Über die Umstände dieses Prozesses möchte ich gerne Genaueres wissen und verabrede mich mit Céciles Anwalt Tronje Döhmer aus Gießen. Er erklärt mir erst mal die drei Anklagepunkte: die Betreiberfirma des Frankfurter Flughafens, die Fraport, hat Strafantrag gegen Cécile gestellt. Die Firma argumentiert: Der Wald sei im Sommer 2008 der Fraport zur Nutzung überlassen worden. Cécile habe sich ohne Genehmigung quasi auf dem Privatgelände der Fraport aufgehalten, die Baumbesetzung im Kelsterbacher Wald wäre daher Hausfriedensbruch. Zum Zweiten habe sie mit Freundinnen eine Baumfällmaschine besetzt, während der Fahrer in der Mittagspause war - die Staatsanwaltschaft wirft Cécile Nötigung vor. Und zum Dritten ist Cécile in der Vorhalle des Frankfurter Hauptbahnhofs in die Deckenkonstruktion geklettert, ihr wird deshalb noch einmal Hausfriedensbruch vorgeworfen. O-Ton Tronje Döhmer Das Verfahren selbst ist seitens des Gerichts und der Staatsanwaltschaft mit einem Aufwand betrieben worden, als handle es sich bei Frau Lecomte um die Staatsfeindin Nr. 1. O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 29. März Ich hab erklärt, warum ich vor Gericht stehe: ich stehe vor Gericht, weil ich "Nein" gesagt habe. Weil ich mich für eine freie, solidarische, selbstbestimmte Gesellschaft einsetze und zu Machtgier und Profitgier "Nein" sage. Also Kapitalismus ist schon deshalb verkehrt, weil es um die Anhäufung von Waren, von Geld, von allem möglichen geht, obwohl die Ressourcen begrenzt sind. Das kann nicht gehen. Das ist halt, was mich wütend macht. Und der Ausweg im Sinne von Albert Camus, vom Philosophen, ist nicht die Revolution, sondern die Revolte, die permanente Revolte. Und das Gericht wird mich nicht davon abhalten, zu revoltieren. O-Ton Tronje Döhmer Meines Erachtens sollten mit dem überzogenen Maß der Sicherheitsvorkehrungen sowohl die Zuschauer als auch die Verfahrensbeteiligten das Gefühl bekommen, es mit einem übermächtigen Staat zu tun zu haben, und das sollte meines Erachtens schon abschreckende Wirkung haben. Autorin Céciles Anwalt Tronje Döhmer ist der Auffassung, die Besetzung der Bäume im Kelsterbacher Wald sei ein klassisches Beispiel für zivilen Ungehorsam. Und ein Verfahren wegen zivilen Ungehorsams kann eingestellt werden, wenn kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Zum Beispiel, weil eine weit verbreitete Meinung durch den zivilen Ungehorsam geäußert wird. Das Frankfurter Gericht hätte daher auch anders entscheiden können. Ich rufe den Richter Ralf Henrici in Frankfurt an und frage ihn, warum er die Strafanzeige der Fraport gegen Cécile Lecomte angenommen hat. Warum hat er das große Polizeiaufgebot und die strengen Sicherheitskontrollen für das Publikum angefordert? Der Richter antwortet mir engagiert, genervt, mitunter nachdenklich, insgesamt sehr entschieden. Und am Ende unseres Gesprächs sagt mir Ralf Henrici, dass ich seine Antworten nicht veröffentlichen dürfe. O-Ton - Selbstaufnahme Cécile vom 1. Mai Ich bin Zuhause in meinem Bauwagen, es ist schon ziemlich spät. Meine Bauwagen-Nachbarinnen sind in die Stadt gefahren, ich wär gern mitgefahren. Ich bin wegen Polyarthritis sehr erschöpft und komme damit nicht so richtig klar. Deswegen sind die anderen ohne mich losgefahren. Die machen gerade so eine Containertour, also Müll aus den Containern aus dem Supermarkt rausholen, was noch essbar ist. Ich glaube, ich werde wieder ganz viel Gemüse bekommen, wenn die Anderen zurück sind. Die Supermärkte werfen einfach wahnsinnig viel weg. Das wäre zu schade, das einfach vergammeln zu lassen, also holen wir uns das. Musik O-Ton - Selbstaufnahme Cécile Der dritte Verhandlungstag fand am 15. April statt, das war der dritte und letzte Verhandlungstag. Und wie der Prozess verlief: Über 20 Prozessstunden für eine Verurteilung zu 15 Tagessätzen à 8 Euro. Also 120 Euro. Das ist eine Lappalie. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist keinerlei gegeben. Aber das Ekelhafte ist hier: Bis 15 Tagessätze inklusiv kann man nicht so einfach in die Berufung gehen, das soll die Justiz entlasten. Und ich hab mich erkundigt im Internet: Richter verhängen solche Strafen, wenn sie die Angeklagten für einen Querulanten halten. Der soll sich nicht noch einmal im Berufungsverfahren vor Gericht produzieren dürfen. Das heißt, ich nerve das Gericht, das hat der Richter auch ganz offiziell in seiner Urteilsbegründung gesagt: Ja, die Frau Lecomte, die nervt. Ich werde Rechtsmittel einlegen, was kommt, ist unsicher. Autorin Ende des Sommers wird Céciles Berufung abgelehnt, das Frankfurter Urteil zur Waldbesetzung gegen den Flughafenausbau ist rechtskräftig und das "Eichhörnchen": vorbestraft. O-Ton Tronje Döhmer Wenn das dann noch mal vorkommt, dann könnte man hier schon drüber nachdenken, ob man nicht eine kleine Freiheitsstrafe verhängt, die natürlich zur Bewährung ausgesetzt werden müsste. Aber wenn dann noch wieder was dazu kommt, dann könnte man auch überlegen, ob die Bewährung zu widerrufen ist, sodass sie dann Gefahr laufen würde, eine Freiheitsstrafe verbüßen zu müssen. Autorin Tronje Döhmer hat gegen das Urteil Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Er hält es für politisch motiviert. O-Ton Tronje Döhmer Die Aktionen, an denen Frau Lecomte beteiligt ist, sind sehr öffentlichkeitswirksam, erwecken das Interesse anderer Bürger und veranlassen diese, unangenehme Fragen zu stellen und können sie unter Umständen auch dazu veranlassen, sich zu solidarisieren mit den politischen Zielen des gewaltfreien Widerstandes und deswegen wird das als sehr unangenehm empfunden, was Frau Lecomte macht. O-Ton Friedrich Niehörster Absolut nervig und das ist absolut krank, was sie macht. Musik Autorin Rückblende: Ende Mai 2010 sendet das NDR Fernsehen ein Portrait von Cécile Lecomte. Darin sagt der Polizeipräsident von Lüneburg, Friedrich Niehörster: O-Ton Friedrich Niehörster Sie ist frei und dann klettert sie auf das nächste Ding und macht irgendwas. Als wenn wir eine Maschine anstellen. Das ist ein Störfaktor und das muss man irgendwann mal unterbinden. Erzählerin Als Cécile die Aussage des Polizeidirektor Friedrich Niehörster hört, bekommt sie Angst. Sie befürchtet eine willkürliche Festnahme vor dem diesjährigen Castortransport. Ihre Anwälte sagen, die Angst sei berechtigt. Bis zum Herbst 2008 schnitt Cécile Grimassen, machte Faxen, wenn die Polizei sie bei einer Festnahme fotografierte - jetzt befällt sie Angst, mitunter Panik, wenn sie merkt, dass die Reaktion der Polizei in keinem Verhältnis zu ihren Protestaktionen steht. Im Herbst 2008 wurde sie wenige Tage vor dem Castortransport in der Nähe von Lüneburg bei einer Kletteraktion festgenommen ? 'vorbeugend'. Sie kam in Langzeitgewahrsam. O-Ton Cécile Mir ging es super schlecht. Bislang war es nie so ein Problem gewesen, weil ich auf die Konfrontation vorbereitet war und immer einplane, dass so etwas passieren kann, aber es ist eine Frage der Dauer. Ich war nervös, ich war fertig mit den Nerven, ich konnte das nicht mehr für mich behalten und konnte nur noch weinen, weil das Ohnmachtsgefühl zu groß war, dass man einfach plötzlich wegverhaftet wird, weil man vielleicht eine Ordnungswidrigkeit begehen wird. Es ist dieses Gefühl, wo ist Rechtssicherheit? Wo ist das Gefühl, ich hab dieses Verhalten und dann wird das passieren? Für mich ist es unberechenbar geworden. Autorin Die Polizei begründete ihr Vorgehen damals so: Sie müsse verhindern, dass die junge Frau beim Protestieren gegen den Atommüll-Transport eventuell eine Ordnungswidrigkeit begehe. Ordnungswidrigkeiten sind Vergehen unterhalb einer Straftat, also etwa Falschparken oder das Betreten von Gleisen. Ohne, dass sie sich irgendetwas hatte zuschulden kommen lassen, kam Cécile vier Tage lang in Gewahrsam, zwei davon ins sogenannte Gewahrsamszentrum in Braunschweig. Dort wurde sie in einer weiß gekachelten Zelle ohne Fenster festgehalten. Eine Möglichkeit zum Hofgang gab es nicht. In den Fluren hingen Fotos, die geächtete Fesselungsmethoden zeigten. O-Ton Cécile Die haben mich richtig angeschrien und unfreundlich angesprochen, ich war echt überfordert von der Situation. In der Nacht haben sie das Licht angelassen, und daraufhin bin ich einfach auf den Schrank geklettert, weil es der einzige Ort war, wo ich mich ein bisschen sicherer gefühlt habe. Habe mir eine Decke über den Kopf gezogen und hab versucht zu schlafen. Ging natürlich nicht. Ich war am Zittern, so ermüdet wie ich war am frühen Morgen habe ich es doch geschafft, einzuschlafen. Ich war echt fertig. Bis zum Besuch einer Ärztin, die durch die Anwältin organisiert wurde. Und irgendwann hat sie mir auch eine Zeitschrift gebracht. Ab dem dritten Tag hatte ich was zu lesen endlich, davor nicht. Autorin Seitdem leidet Cécile Lecomte an 'posttraumatischen Belastungsstörungen'. Kaum ein halbes Jahr später: der nächste Langzeitgewahrsam. Zitator Festnahmebericht: Am Mittwoch, den 15.07.2009 um 18 Uhr 39 kletterte die Lecomte, Cécile Stephanie die Fassade am Landgericht Gießen im Bereich des Haupteingangs hoch und schrieb mit blauer Kreide die Worte "Gentech weg! Gentech weg! Ätsch!" an die Fassade. Atmo: Polizeivideo Cécile schreit: Ich will jetzt die Stadt verlassen! Sie können mich zum Bahnhof begleiten. Das ist nicht verhältnismäßig, wenn Sie mich jetzt mitnehmen ... Das ist nicht rechtmäßig! Zitator Drei Minuten später, um 18 Uhr 42, kletterte sie nach mehrfacher Aufforderung durch Polizeibeamte eigenständig wieder herunter. Ihr wurde durch EPHK Klingelhöfer (Anm. der Autorin: Erster Polizeihauptkommissar) die Ingewahrsamnahme zur Verhinderung weiterer politisch motivierter Aktionen eröffnet und sie wurde durch Bretschneider, PK und Seibel, PK festgenommen. Atmo: Polizeivideo Sie wird zwischen zwei Polizeiwagen geschleppt, schreit, ihre Rheuma-Handgelenke werden offensichtlich schmerzhaft angefasst, im Polizeiauto hyperventiliert sie, sie schluchzt und weint. Atmo: Polizeivideo Hyperventilieren Zitator Zum Fahrzeug und zur Personalienfeststellung musste die Lecomte getragen werden. Im Fahrzeug klagte sie über Atemnot, woraufhin ihr Wasser und ihr Rucksack mit ihren Medikamenten gereicht wurde. Während der gesamten Fahrt verhielt sich die Lecomte unkooperativ, schrie herum und versuchte auszusteigen, woraufhin ihr durch PK Bretschneider die Handfesseln angelegt wurden. Atmo: Polizeivideo Hyperventilieren Zitator Sämtliche Maßnahmen wurden durch den BeSi-Beamten (Anm. der Autorin: Beweissicherungsbeamter) Locker auf Video dokumentiert und werden EPHK Klingelhöfer, Pst Gießen Nord zugestellt. Die Lecomte wurde anschließend zur Pst Gießen Süd verbracht und dem dortigen Gewahrsam übergeben. Gezeichnet Seibel, PK Autorin Das Video fand sich unter den Beweismitteln im Prozess. Die Kreidemalerei am Gerichtsgebäude ist zu sehen, wie Cécile danach selbständig wieder herunterklettert und wie sie nach der Festnahme im Polizeiwagen hyperventiliert. Atmo Weißgekachelte Gewahrsamzelle: Sie wird von drei Polizistinnen festgehalten, ein Beamter zieht ihr die Schuhe aus. Sie weint sehr heftig, schluchzt, schreit, wehrt sich ? dann nehmen ihr die Beamten ihren Rheuma-Handgelenkschoner ab, biegen ihr die Finger auf, Cécil schreit. Autorin In der weiß gekachelten, schummerigen Gewahrsamzelle in Gießen Süd wird sie von drei Polizistinnen am Boden festgehalten, ein Beamter zieht ihr die Schuhe und Socken aus. Dann fassen sie ihren rechten Arm, zu zweit halten sie ihren Unterarm und das Handgelenk fest im Griff. Sie biegen ihr jeden Finger einzeln auf und ziehen ihr den ledernen Handgelenkschoner ab, den sie wegen der Rheumaschmerzen permanent tragen muss. Cécile kauert auf dem Boden der Zelle. Die Videoaufnahme bricht ab. O-Ton Tronje Döhmer Sie wurde dann von Polizeibeamtinnen mehr oder weniger unter Einsatz unmittelbaren Zwangs entkleidet. So ist das. Zitator Gießener Allgemeine Zeitung , 19. September 2010: Die Gießener Polizei und Teile der Justiz haben sich in den letzten Jahren etliche Rechtsverstöße im Umgang mit einer bestimmten Gruppe linker Politaktivisten erlaubt. Geradezu atemberaubend war 2007 die Mahnung des Frankfurter Oberlandesgerichts an die hiesigen Stellen, man möge den Unterbindungsgewahrsam doch nicht in einer Weise praktizieren, die an die im Dritten Reich praktizierte Schutzhaft erinnert. O-Ton Tronje Döhmer Natürlich hat Frau Lecomte Strafanzeige gegen die maßgeblich beteiligten Beamten erstattet. Es ist im hiesigen Bereich üblich, dass wenn solche Beamten in Verdacht stehen, Straftaten begangen zu haben, dass das die Staatsanwaltschaft in Gießen regelmäßig einstellt. Das ist aber keine Ausnahme, sondern eigentlich der Regelfall. Zitator, aus Gießener Allgemeinen Jetzt also noch der Fall der französischen Fassadenkletterin, die völlig zu Unrecht über Nacht im Gewahrsam der Gießener Polizei festgehalten wurde, der über Stunden ein Kontakt mit der Außenwelt verwehrt und die zwangsentkleidet wurde. Das war reine Willkür. O-Ton Tronje Döhmer Für den Einsatzleitenden Beamten hatte es natürlich Konsequenzen, auch das ist hier in Hessen inzwischen üblich: Wer solche rechtswidrigen Maßnahmen gegen politische Gegner einleitet, wird im Regelfall befördert. Hier ist der Einsatzleiter befördert worden zum Leiter der Polizeidirektion Wetzlar. Atmo: Gitarrespielen auf Floß O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 22. Juli Ja, es ist der 22.Juli und wir sind auf nem Floß - mit Wilfried Gitarre spielt Ja, heute ist es superwindig und feucht, wenn nicht nass wegen Gewitter und jetzt ist meine Hängematte nass geworden und jetzt ist es auch grade superwindig, hört man wahrscheinlich auch. Ja, wir sind auf der Fahrt nach Ludwigsburg und wird vielleicht wieder Gewitter geben. Es ist schon so allgemein, dass man alles aufhängen muss, sonst fällt das über Bord. Vorgestern ging eine Kopflampe über Bord, dann eine USB-Stick für Internet, leider gibt's immer wieder irgendwelche Gegenstände, die nicht fest sind und dann ins Wasser fallen. Autorin Seit elf Jahren sind Mitglieder der Umweltschutzorganisation "Robin Wood" jeden Sommer mit einem Holzfloß auf Neckar, Main und Rhein unterwegs, um auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen. Die diesjährige Tour beginnt in Stuttgart und hier beteiligen sich die Umweltaktivisten auch am Protest gegen den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs. O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 22. Juli Gestern hatten wir ein riesiges Transparent neun Meter mal sechs Meter gegen Stuttgart 21 aufgehängt, es stand "Kopfbahnhof statt Stuttgart 21" auf dem Transparent. Die Menschen haben sehr positiv darauf reagiert. Es sind ziemlich viele Menschen zum Floßbesichtigung gekommen, haben da angeschaut, wie wir auf dem Floß leben und warum und weswegen wir diese Tour machen und ich glaub, es ist grad viel zu windig, um weiter zu sprechen. O-Ton Georg Bischoff Bei den Aktionen mache ich mir keine Sorgen um Cécile, weil ich denke, sie weiß genau, was sie macht und sie kann sehr gut klettern. Sie kann die Situationen sehr gut einschätzen. Wo ich mir schon Sorgen mache, ist wie reagiert wird von behördlicher Seite und von Polizeiseite, diese Langzeitüberwachung, die jetzt stattgefunden hat, die sie auch unter psychischen Druck setzt, das finde ich schon bedenklich. Autorin Georg Bischoff ist Anfang 30 und kommt vom Bodensee. Er hat Cécile vor einigen Jahren in Frankreich bei Protesten gegen das geplante Atommüllendlager in Bure kennengelernt und unterstützt sie jeden Monat mit einem kleinen Geldbetrag. 23 Menschen in Deutschland finden ihre Arbeit so wichtig und bewundernswert, dass sie dem "Eichhörnchen" Geld schicken: Ein Arzt aus Kassel, ein Schriftsteller aus Düsseldorf, eine wohlhabende Erbin aus Köln, ein Anwalt aus Münster... Sie sind Céciles Paten, organisiert in der Bewegungsstiftung - eine Stiftung, die Organisationen wie die Globalisierungskritiker "attac" unterstützt und Menschen, die das Engagement für die Umwelt oder in sozialen Bewegungen zu ihrem Beruf gemacht haben. O-Ton Georg Bischoff Ich denke schon, dass an ihr ein Exempel statuiert werden soll und zum Zweiten hat sie einfach schon unheimlich viele Aktionen auf dem Alleingang geschafft. Ich denke auch, dass das die Polizei wurmt und dass das ein persönliches Ding ist: Dieses Mal wollen wir es auf jeden Fall verhindern. Und gerade auch dieser Polizeipräsident von Lüneburg, da hat man auch das Gefühl gehabt, der fühlt das quasi wie eine persönliche Niederlage, wenn sie es wieder schafft trotz eines Riesenaufgebots ihre Aktion zu machen. Autorin Kurz nach meinem ersten Treffen mit Cécile in ihrem Lüneburger Bauwagen hat sie mir geschrieben, dass sie davon ausgehe, dass ihre E-mails mitgelesen werden - also auch meine Nachrichten an sie. Ebenso, dass ihr Handy abgehört werde ? also auch meine Gespräche mit ihr. Einige Tage später weist mich ihr Anwalt Tronje Döhmer ebenfalls daraufhin. Ich schlafe eine Nacht deswegen schlecht. Es fühlt sich sehr unangenehm an zu wissen, dass irgendjemand möglicherweise die eigenen Telefonate mithört und mails mitliest. Ich frage mich, wer das veranlasst und welche Konsequenzen das haben könnte. Auch Georg Bischoff sind solche Überlegungen nicht fremd: O-Ton Georg Bischoff Da mache ich mir keine Illusionen, da sollte man nicht in Paranoia ausbrechen, aber das im Hinterkopf behalten. Ich hab das dann auch als bewussten Schritt gesehen: Entweder ich halte mich fern von ihr oder ich unterstütze sie. Und ich möchte sie unterstützen, deswegen nehme ich das in Kauf. Atmo: Klettervorbereitung in Stuttgart Cécile: Das wäre ein Seil, wir brauchen ein zweites. Wie lang ist es? - 15. - 15 auch. Prima. Ich bin noch gerade mit dem Gurt beschäftigt. Wir brauchen lange Schnur unter dem Transparent ? haben wir ? wo ? in der Werkzeugkiste... Wurfschnur und dann brauchen wir deswegen einen Mastwurf ? Klimper ? hier zum Sichern vom Transpi ? jeweils einen Prosigg zum Sichern vom Transpi ? Kleinen Karabiner, ... O-Ton - Selbstaufnahme Cécile Heute haben wir den 27. August. Ich bin gerade in Stuttgart angekommen, ich übernachte bei Freundinnen, da bin ich gerade. Voll beeindruckt von der Demonstration, die wir heute hatten. Es waren zwischen 30 und 50.000 Menschen auf der Straße, superlaut und kraftvolle Stimmung und das bewundere ich richtig, weil ich war im Juli ab und zu bei Mahnwache gegen Stuttgart 21, da waren noch nicht solche Massen, jetzt komme ich einen Monat später und sehe eine Stadt im Aufstand. Atmo: Fernsehaufnahme TV SWR 30.8.2010 Baggerbesetzung - laute Proteste Um 4 Uhr 30, am frühen Morgen, konnten zehn Aktivisten den Bauzaun am Nordflügel des Hauptbahnhofs überwinden. Drei von ihnen kletterten auf den Abrissbagger und ketteten sich fest. Mehrere Stunden harrten sie in rund 10 Metern Höhe aus, alles verlief friedlich. Sanitäter konnten ihnen sogar warme Decken bringen. O-Ton - Selbstaufnahme Cécil 31.8.2010 Heute haben wir den 31. August. Ich hab sehr anstrengende Tage hinter mir wegen Protest gegen Stuttgart 21. Wir sind auf den Abrissbagger geklettert auf dem Gelände der Baustelle. Unter dem Motto: Oben bleiben! Die Aktion war eine klare Aussage Richtung Politik und Bahn: Hey, wir machen den Baustopp, dann können wir verhandeln! Autorin Plötzlich sehe ich Cécile im Fernsehen, sie tanzt mit einer grauen Decke auf den Schultern auf einem gelben Bagger in Stuttgart. Dann hängt sie kopfüber, macht einen Spagat in der Luft. Hinter ihr am Bagger hängt ein Transparent mit der Aufschrift: "Hallo, geht's noch?" Vor ihr auf einer Hebebühne stehen schwarz vermummte Polizisten. Atmo: TV SWR 30.8.2010 Baggerbesetzung - laute Proteste Nach fünf Stunden wurden die Aktivisten von einem Spezialkommando vom Bagger heruntergeholt. Sie leisteten keinen Widerstand, als die Polizei die Kletterseile löste und die Demonstranten mit einer Hebebühne zurück auf den Boden brachte. O-Ton - Selbstaufnahme Cécile Das SEK geht nicht gerade vorsichtig vor: einfach losschneiden und man geht kopfüber hopp in die Hebebühne rein. Einen Kameraden, der auch geklettert ist, haben die SEK sehr, sehr gefährlich geräumt, noch gefährlicher als in meinem Fall: in zwölf Meter Höhe haben die seine Sicherung gekappt und ja ? dann war er in zwölf Meter Höhe ohne Sicherung. Das passt überhaupt nicht zu gewaltfreiem Protest, wie wir das machen. Das geht einfach nicht. Atmo TV Baggerbesetzung Alle zehn Aktivisten wurden zunächst in Gewahrsam genommen, dann aber wieder frei gelassen. Schon kurze Zeit später setzte sich der Bagger wieder in Bewegung ? unter lautem Protest der rund 100 Demonstranten vor dem Zaun. O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 7. September Heute haben wir den 7. September. Die Zeit vergeht superschnell, ich bin in Lüneburg und ich hab gerade einen kleinen Spaziergang durch den Wald gemacht, ausgerüstet mit Klettergurt und Seilen und ein paar gelben Xen, das ist das Symbol für den Widerstand hier, Widerstand gegen Atomtransporte. Und das ist ja ganz, ganz deutlich, die fünfte Jahreszeit hat hier angefangen. Mit fünfter Jahreszeit meinen wir immer die Zeit zwischen September und November, wo nicht nur die Blätter von den Bäumen verschwinden, sondern plötzlich alles grün und blau wird. Mit Grün und Blau sind die Uniformen von den Polizisten gemeint, wenn an der Bahnstrecke plötzlich Container stehen, wo Polizisten drin wohnen und das Tag und Nacht beleuchtet wird und keine Ahnung, ob die Polizisten Angst davor haben, dass die Schienen weglaufen. Weiß ich nicht, ich hab die gefragt, aber wollten sie mir nicht sagen. Außer: Frau Lecomte, kommen Sie darunter! Ja, Klettern an Waldwegen, um ein paar Widerstandssymbole aus Holz aufzuhängen, ist überhaupt nicht verboten. Musik Autorin Ich besuche Cécile ein letztes Mal im Bauwagen. Sie ist blass, wirkt müde und hat eine neue Therapie gegen ihr Rheuma begonnen. Seit drei Wochen hat sie weniger Gelenkschmerzen, berichtet sie, und auch keine lähmenden Rheumaschübe mehr. Dafür machen ihr die Nebenwirkungen, unter anderem Migräne und Müdigkeit, sehr zu schaffen. Sie sitzt an dem kleinen Küchentisch in ihrem Bauwagen und trinkt Tee aus Kräutern, von denen ihre Wagenplatznachbarin meint, dass sie gegen Rheuma helfen. Die Polizisten in den Containern entlang der Bahnstrecke zum Zwischenlager Gorleben werden bis zum Castortransport im November bleiben. Um Blockaden zu verhindern, um vor Ort zu sein, wenn die Proteste beginnen. Sie sind auch wegen des "Eichhörnchens" da, sagt Cécile grinsend und dabei schwingt ein bisschen Stolz mit. Dann rutscht sie auf ihrer Küchenbank hin und her und wirkt wieder wie ein kleiner Junge, der einen Streich ausheckt. Sie lacht: Nee, über ihre Pläne rede sie nicht. Vielleicht über ihre Grenzen, über ihre Zukunft? O-Ton Cécile Lecomte So einfach ist der Mensch ja nicht, dass er so eine klare Grenze hat, das eine ist das Physische und das andere vielleicht das Psychische und das ist auch wiederum so: Auf extreme Situationen reagiere ich mit extrem viel Wut: Jetzt erst recht! Deswegen werde ich nicht aufhören, wenn mich was besonders belasten wird. Das ist meine Grundhaltung. Eine klare Grenze gibt's sowieso nicht. Wie stelle ich mir mein Leben in 20, 30 Jahren vor? Ich denke, ich werde noch immer politisch aktiv sein, muss ja nicht immer das gleiche sein, vielleicht werde ich eine zeitlang mehr Hintergrundarbeit, Pressearbeit, Übersetzungen und Artikel schreiben als Beobachterin ? tue mich sehr schwer, am Boden zu bleiben, aber schaffe ich auch manchmal ? lacht. Man muss vielfältig sein als Person, sich vielfältig einsetzen. Ich halte auch sehr gerne Vorträge. Mein Ziel ist auch, andere Leute zu aktivieren. Man wird auch bisschen älter und es müssen auch welche nachkommen. Ich fühle mich inzwischen auch ein bisschen älter. Bei Aktionen bin ich nicht mehr die Jüngste und das finde ich gut. Atmo Anrufbeantworter Sonntag, 7. November, 4:08 Uhr: Hallo Frau Dietrich, hier ist ... am Telefon. Mir wurde gesagt, ich soll Ihnen Bescheid geben, dass es eine Gleisblockade und eine Hochseilaktion ... O-Ton - Selbstaufnahme Cécile 7. November Wir haben 7. November 2010. Ich komme aus Kassel, für mich ist das die Castor-heiße Phase gerade. Also ich hörte gerade im Rundfunk, da sitzen in Harlingen im Wendland über 3000 Menschen auf den Schienen. Die Polizei hat ein großes Problem damit und eigentlich habe ich mich schon auch an dem Protest beteiligt heute Früh. Wir haben in der Früh angesetzt bei Kassel und wir haben der Angela Merkel und der ganzen Politik gezeigt, was wir von Brückentechnologie halten und eine ? sage ich mal ? eichhörnchenartige Aktion durchgeführt. Atmo/Musik Absage: Eichhörnchens permanente Revolte Über die Umweltaktivistin Cécile Lecomte Ein Feature von Nadine Dietrich Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2010 Es sprachen: Janina Sachau und Volker Niederfahrenhorst Ton und Technik: Gunther Rose und Anna Dhein Regie: Heide Schwochow Redaktion: Karin Beindorff Atmo O-Ton - Selbstaufnahme Cécil vom 13. Februar Meine Gruppe in Frankreich, die ist "Chiche" ? das ist ein Wort auf Französisch, was man auf Deutsch nicht übersetzen kann - das ist die Antwort auf: Und du glaubst, dass du die Welt verändern wirst?" Und du sagst: "Chiche! Jawohl! Schaffen wir das." Und das ist richtig das Gefühl, was ich heute habe: Tu crois, tu vas changer le monde? Chiche!!! 26