Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Dossier Die defekte Demokratie Wie Wahlreformen den Sieg von Donald Trump begünstigt haben Von Thomas Reintjes Redaktion: Wolfgang Schiller Produktion: DLF 2017 Erstsendung: Freitag, 20.01.2016, 19.15 Uhr Sprecher: Thomas Reintjes, Hartmut Stanke, Thomas Balou Martin, Volker Niederfahrenhorst, Justine Hauer, Katherina Wolter, Gerd Daaßen Thechnik: Hendrik Manook, Jens Müller Regie: Wolfgang Schiller Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) - unkorrigiertes Exemplar - Filmausschnitt (Verschiedene TV-Moderatoren): "Voter Registration Fraud, Voter Fraud, Voter Fraud, Vote Fraud, Voter Fraud." Sprecher 1: Ein Gespenst ging um in den amerikanischen Medien vor der Wahl: Voter Fraud - Wahlbetrug. Filmausschnitt O-Ton Dick Morris: "35.500 people voted in North Carolina and voted in some other state." Sprecher 1: 35.500 Menschen sollen bei den vorangegangenen Wahlen von 2012 sowohl in North Carolina, als auch in einem anderen Staat gewählt haben. Dick Morris, Stammkommentator beim rechtskonservativen Sender Fox News, rechnet die Zahlen hoch auf die gesamten USA: Filmauschnitt O-Ton Dick Morris: "So you're talking about probably over a million people that voted twice in this election." Sprecher 1: Eine Million Menschen, die angeblich zwei Stimmen abgegeben haben. Oder vielleicht sogar drei oder vier Stimmen - das hat auch Donald Trump immer wieder im Wahlkampf suggeriert. Filmausschnitt O-Ton Donald Trump: "This voting system is out of control. You have people, in my opinion, that are voting many, many times." Sprecher 1: Bei der Wahl 2016 sollte dem endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Viele Bundesstaaten haben ihre Wählerverzeichnisse durchforstet und vermeintliche Wahlbetrüger gelöscht. Doch dabei haben sie auch viele rechtmäßige Wähler um ihr Stimmrecht gebracht. Bis zu eine Million Menschen könnten an der Stimmabgabe gehindert worden sein - und zwar vor allem Wähler von Hillary Clinton. Ansage: Die defekte Demokratie. Wie Wahlreformen den Sieg von Donald Trump begünstigt haben. Ein Dossier von Thomas Reintjes. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Ich bin Greg Palast und ich bin Journalist beim Rolling-Stone-Magazin. Seit vielen Jahren bin ich bekannt als der wichtigste Journalist, der Stimmendiebstahl und Wahlspielereien in den USA recherchiert." Sprecher 1: Greg Palast ist ein Investigativ-Reporter wie aus dem Bilderbuch. Er trägt einen Trenchcoat, darunter ein Hemd, alles ziemlich abgewetzt. Und um das Klischee zu vervollkommnen: einen Schlapphut. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Ich trage schon eine Fedora seit ich 19 war. Weil ich nie besonders viele Haare hatte, und um mich vor Sonne und Regen zu schützen. Ich hab mir nie viel dabei gedacht, aber dann war ich im Fernsehen, als Premierminister Tony Blair mich einmal angegriffen hat. Und ab da hat die BBC immer verlangt, dass ich einen Hut trage. So ist das zu meinem Markenzeichen geworden. Und ich brauche ja sowieso einen Hut - also für mich ist das perfekt." Sprecher 1: Bevor Palast für die BBC, den Rolling Stone und Democracy Now arbeitete, hatte er einen anderen Job: Er war Privatdetektiv. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Ich habe mich viel mit der Ölindustrie beschäftigt, mit der Aufklärung der Explosion der Deepwater Horizon. Und mit Aasgeier-Financiers, die es auf die Dritte Welt abgesehen haben. Aber wofür ich in den USA bekannt bin, ist die wahre Geschichte der amerikanischen Wahlen, die nicht sehr hübsch ist." Sprecher 1: Die unschönen Geschichten, die Greg Palast aufgedeckt hat, füllen ganze Bücher. Er hat Dokumentarfilme darüber gedreht und eine umfangreiche Website erstellt. Es gibt so viele, schier unglaubliche Tricks, mit denen US-Wahlen in jüngster Zeit manipuliert wurden - viel mehr, als man in einer Sendung erzählen kann. Die Möglichkeiten scheinen auch in dieser Hinsicht in den USA unbegrenzt zu sein. O-Ton Donald Trump: "We are competing in a rigged election. This is a rigged election, folks, okay." O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Als Donald Trump gesagt hat, die Wahl sei manipuliert, hätte man ihm antworten sollen: Ja, ist sie. Es sind Deine Kumpel, die sie manipulieren." Sprecher 1: Auch in den USA verschiebt sich die demographische Zusammensetzung: Vor allem Lateinamerikaner und Asiaten werden mehr, die weiße Bevölkerungsmehrheit stagniert. Das ist vor allem ein Problem für die Republikaner, denn Angehörige von Minderheiten wählen überwiegend die Demokratische Partei. Also haben sich vor allem republikanische Politiker in den letzten 15 Jahren eine Menge einfallen lassen, wie sie vor allem Minderheiten vom Wählen abhalten können. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Es ist nicht so, dass sie schwarze Menschen nicht mögen. Sie wissen einfach, wie Schwarze, Latinos oder junge Menschen wählen. Wenn sie die diskriminieren, dann nicht, weil sie Rassisten wären. Sie mögen einfach nicht, wie die wählen." Sprecher 1: Der erste und wichtigste Angriffspunkt, um Stimmen nicht zählen zu müssen, sind die Wählerverzeichnisse. Wer da nicht registriert ist, darf in den USA nicht wählen. Weil es keine Einwohnermeldeämter gibt und keine Personalausweise, ist Eigeninitiative der Bürger gefragt. Jeder, der wählen will, muss sich vor der Wahl darum kümmern, dass er registriert ist, und alle Daten auf dem aktuellen Stand sind. Das ist die größte Hürde: Experten schätzen, dass ein Viertel oder sogar ein Drittel der Wahlberechtigten in den USA sich nicht als Wähler registriert haben. Das wären 50 bis 70 Millionen Menschen, die gar nicht erst die Chance zur Stimmabgabe haben. Nun gibt es zwar viele Organisationen, die sich darum bemühen, dass sich mehr Menschen registrieren. Vor der Wahl konnten Bürger an Ständen auf Supermarktplätzen eine Registrierung ausfüllen. Wer sich bei Facebook einloggte, wurde aufgefordert, sich zu registrieren und landete mit zwei Klicks direkt auf der Online-Registrierungsseite des eigenen Bundesstaats. Aber nicht immer ist es so einfach. Manche Bundesstaaten haben in den letzten Jahren rund um die Registrierung große Hürden aufgebaut. Angeblich um Wahlbetrug zu verhindern. O-Ton Marcia Johnson-Blanco Sprecherin 5: "In Staaten wie Arizona, Kansas oder Alabama muss jeder bei der Wählerregistrierung eine Kopie seiner Geburtsurkunde beilegen. Oder wer wie ich eingebürgert wurde, die Einbürgerungspapiere." Sprecher 1: Das ist Marcia Johnson-Blanco. Sie gehört zu einer Gruppe von Anwälten, die von Washington aus gegen solche Gesetze kämpft. Für mehr Gerechtigkeit im Wahlrecht zu kämpfen ist ein Schwerpunktthema des Lawyers' Committee for Civil Rights Under Law, das 1963 auf Initiative von Präsident Kennedy gegründet wurde. O-Ton Marcia Johnson-Blanco Sprecherin 5: "Gerade in Gegenden, wo Minderheiten wohnen, finden Registrierungsaktionen oft in Supermärkten oder Parks statt. Aber niemand läuft ja mit einer Kopie seiner Geburtsurkunde herum, um sich bei Gelegenheit als Wähler zu registrieren." Sprecher 1: Solche Gesetze seien diskriminierend, findet Marcia Johnson-Blanco. Ihre Organisation geht immer wieder juristisch dagegen vor. Sie berichtet von einer Frau, die ihre Organisation in Texas von einem Gericht anhören ließ: eine ältere Afroamerikanerin. O-Ton Marcia Johnson-Blanco Sprecherin 5: "Sie sollte eine beglaubigte Kopie ihrer Geburtsurkunde vorlegen, aber die konnte sie nicht bezahlen. Sie sagte: ‚Ich brauche das Geld für Essen. Und eine Geburtsurkunde kann man nicht essen.'" Sprecher 1: Die Dokumente zu beschaffen - das kostet normalerweise zwischen 75 und 175 Dollar. Bezahlen zu müssen, um wählen zu können, das sei eine unverhältnismäßige Bürde. Und diese belaste besonders oft Afroamerikaner und Latinos. Das hat auch das Gericht so gesehen. Ein anderes Gericht in Kansas entschied im vergangenen Mai, dass 18.000 Wählerregistrierungen dort zu Unrecht annulliert worden waren. Diese Wähler hatten sich bei einer Behörde des Bundesstaats registriert, aber keinen Nachweis ihrer Staatsbürgerschaft beigefügt. Die Richterin ordnete an, dass die Registrierungen wiederhergestellt werden mussten. Verantwortlich für die unrechtmäßige Löschung war Kris Kobach, Staatssekretär in Kansas, Kobach ist so etwas wie der Erzfeind des Journalisten Greg Palast. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Kris Kobach.Das ist der Typ, der unter George Bush beim Heimatschutzministerium gearbeitet hat. Da hat er das Programm erfunden, das alle Araber in den USA verfolgt hat. Jetzt ist er zurück mit seinem Moslem-Register, er hat sich diese Moslem-Tracking-Software ausgedacht. Und als Donald Trump sagte, dass Leute viele Male wählen, hatte Kobach noch eine andere Idee. Er sagte: Aha, Leute wählen in zwei verschiedenen Staaten. Ich werde diese Doppelwähler jagen." Sprecher 1: Kobach sitzt dafür genau an der richtigen Position - zumindest für den Staat Kansas. Als Staatssekretär hat er dort nämlich auch die Oberaufsicht über alle Wahlen. Er hat also direkten Zugriff auf das Wählerverzeichnis. Um dieses Wählerverzeichnis und das von anderen Bundesstaaten von Doppelwählern zu bereinigen, hat er ein Programm aufgesetzt. Es heißt Interstate Crosscheck. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Kris Kobach hat Republikaner in anderen Bundesstaaten dazu gebracht, ihm ihre Wählerlisten zu schicken. Damit er sehen konnte, wer 2012 angeblich zwei Mal gewählt hat. Und dann hat er eine Liste von Verdächtigen erstellt. Auf dieser Liste standen 7,2 Millionen Menschen. 7.200.000 Amerikaner unter Verdacht, doppelt gewählt zu haben." Sprecher 1: Das ist ein schwerer Vorwurf. Doppelt wählen, darauf stehen bis zu fünf Jahre Gefängnis. In seinem Film The Best Democracy Money Can Buy geht Greg Palast der Frage nach, was aus all den Verdächtigen geworden ist. Er trifft einen Sprecher der Republikaner in North Carolina, einem von 29 Staaten, die mit Crosscheck Wählerdaten untereinander austauschen. Filmausschnitt O-Ton Greg Palast, Sprecher der Republikaner: Sprecher 2: "Halten Sie Wahlbetrug für eine schwere Straftat?" Sprecher 7: "Sicherlich. Es ist sicher ein Problem, wenn Menschen das machen." Sprecher 2: "Haben Sie denn schon betrügerische Wähler gefasst?" Sprecher 7: "Wir haben an Crosscheck mit Kansas teilgenommen und dabei sind ein paar Einzelpersonen hervorgetreten, die wir uns näher ansehen wollen." Sprecher 2: "Ist es denn schwierig, diese Leute zu finden? Sie haben doch ihre Adressen. Es gab diese ganze Hysterie um Doppelwähler und jetzt scheinen sie gar nicht zu existieren." Sprecher 1: Dazu fällt dem Parteisprecher nichts mehr ein. Palast sagt, von den sieben Millionen Verdächtigen seien nicht einmal sieben verhaftet worden. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Warum hat man diese Leute nicht verhaftet? Man hat ihre Namen, man hat ihre Adressen, man hat ihre Sozialversicherungsnummern. Und in North Carolina haben sie sogar ihre E-Mail-Adressen. Sie haben ihre Führerscheinnummern, sie haben alles über diese Leute. Und trotzdem sagen sie, sie seien schwer zu finden. Ich bin aus diesem Büro rausgegangen und innerhalb einer Stunde habe ich drei dieser Kriminellen gefunden!" Sprecher 1: Palast ist es gelungen, an einen Auszug der Liste zu gelangen. Zwei Millionen Namen von Menschen, die angeblich mehrfach gewählt hatten. Damit spürt er zum Beispiel einen Mann namens Willie Nelson auf. Im Film besucht er ihn in seinem Wohnmobil. Nelson sieht aus wie ein Alt-Hippie, die grauen Haare zu langen Zöpfen geflochten. Filmausschnitt O-Ton Greg Palat, Willie Nelson: Sprecher 2: "Jetzt hab ich einen erwischt. Der hat in 14 Staaten gewählt. Mal als ein Typ namens Willie, dann als eine Lady names Willie Mae. Er hat sogar seinen eigenen Bus, um in mehreren Staaten gleichzeitig zu wählen. Hier steht ‚Willie Mae Nelson'." Sprecher 3: "Willie Mae wer?" Sprecher 2: "Willie Mae Nelson hat in Georgia gewählt, und dann haben Sie als Willie J. Nelson in Mississippi gewählt. Also, im ersten Fall haben Sie als Frau gewählt. Deswegen die Zöpfe? Aber wie kommen Sie mit dem Bart durch? Und der Bus... Gutes Fluchtfahrzeug." Sprecher 3 (immer zwischendurch): " Jepp, Jepp..." Sprecher 2: "Das ist ein Kapitalverbrechen! Und, es sieht so aus, als seien Sie schon mal verhaftet worden?" Sprecher 3: "Nein, da haben die Cops und ich nur ein Spielchen gespielt..." Sprecher 2: "Was grinsen Sie denn so? Haben Sie was geraucht?" Sprecher 3: "Sie etwa nicht? ...Mir scheint Sie haben ein besseres Zeug als ich!" Sprecher 1: Muss man unter Drogen stehen, um zu glauben, dass es wirklich Millionen von Mehrfachwählern in den USA gibt? Indem Greg Palast die Anschuldigungen ernst nimmt, führt er vor, wie absurd sie sind. Er trifft meist auf einfache, arglose, von der Situation fast überforderte Menschen. Keiner von ihnen scheint je mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs konfrontiert worden zu sein. Weder flatterte eine Anzeige ins Haus, noch hat irgendwer Fragen gestellt. Greg Palast kommt deshalb zu dem Schluss, dass es bei Crosscheck gar nicht darum geht, Wahlbetrüger festzusetzen. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Sie wissen genau, dass die Liste falsch ist, dass diese Leute kein Verbrechen begangen haben, dass das verschiedene Leute sind. Und so löschen sie einfach ihre Stimmen." Sprecher 1: Statt eine Untersuchung einzuleiten, werden einfach die Wählerregistrierungen gelöscht. Dabei ist es noch nicht einmal illegal, in mehreren Staaten registriert zu sein. Nur mehrfach zu wählen ist strafbar, erklärt Sharad Goel von der Universität Stanford im Skype-Interview.. O-Ton Sharad Goel Sprecher 4: "Ich bin wahrscheinlich selbst in mehreren Staaten registriert. Ich bin vor kurzem von New York nach Kalifornien gezogen. Meine Registrierung in New York ist immer noch in den Büchern und jetzt habe ich auch eine Registrierung in Kalifornien." Sprecher 1: Sharad Goel ist Statistikexperte und hat nach einer Erklärung gesucht, warum so viele Menschen auf der Crosscheck-Liste stehen. Doppelregistrierungen sind nur ein Teil der Erklärung. Hinzu kommt, dass bei Crosscheck nur Vorname, Nachname und Geburtsdatum verglichen werden. O-Ton Sharad Goel Sprecher 4: "Wenn man sich die Registrierungen von Leuten mit dem gleichen Vornamen, Nachnamen und Geburtsdatum anguckt, dann sind viele davon wahrscheinlich verschiedene Personen. Statistiker nennen das das Geburtstags-Paradoxon. Bei einer ausreichend großen Gruppe hat man überraschend häufig Übereinstimmungen." Sprecher 1: Das Geburtstagsparadoxon besagt, dass, wenn sich 23 oder mehr Menschen in einem Raum befinden, die Wahrscheinlichkeit, dass zwei am gleichen Tag Geburtstag haben, größer ist als 50 Prozent. Das klingt zunächst unglaublich, ist aber mathematisch korrekt. Die Gruppe der amerikanischen Wähler ist nun so groß, dass es sogar zu vielen Übereinstimmungen kommt, selbst wenn man nicht nur den Geburtstag, sondern auch noch das Geburtsjahr, den Vornamen und den Nachnamen vergleicht. Alle diese Menschen des Mehrfachwählens zu bezichtigen, das muss wohl als mutwilliges Ignorieren statistischer Grundkenntnisse interpretiert werden. Es gibt Doppelwähler, keine Frage. Die meisten wahrscheinlich aus Versehen: jemand, der Briefwahl gemacht hat und dann doch zur Urne geht, beispielsweise. Aber wieviele sind es? Sieben oder sieben Millionen? Sharad Goel hat auch das statistisch berechnet. Um die Zahl von Doppelwählern zu ermitteln, hat seine Forschungsgruppe analysiert, wie häufig es vorkommt, dass Wähler identische Daten haben. Und dann haben sie ein nationales Wählerverzeichnis ausgewertet, in dem mehr als 100 Millionen Menschen eingetragen sind, die nicht nur als Wähler registriert sind, sondern auch tatsächlich gewählt haben. O-Ton Sharad Goel Sprecher 4: "Also haben wir die Zahl der Leute berechnet, die wahrscheinlich dasselbe Geburtsdatum haben, obwohl sie verschiedene Personen sind. Und dann haben wir diese Zahl abgezogen von der Zahl der tatsächlichen Treffer im Wählerverzeichnis. Das ergibt die Zahl der Leute, die wahrscheinlich Doppelwähler sind. Und das Ergebnis ist: Wenn wir davon ausgehen, dass im Wählerverzeichnis keine Falschangaben sind, dann haben 0,02 Prozent der Wähler doppelt gewählt." Sprecher 1: Das wären immer noch 28.000 Wähler. Aber bei einer Stichprobe in Philadelphia haben die Forscher festgestellt, dass bei der Übertragung der Wählerdaten in das Verzeichnis Fehler passieren. Eine Fehlerrate von einem Prozent sei relativ gering angesetzt, sagt Sharad Goel. Und berechne man die mit ein, dann gehe die Anzahl der Doppelwähler gegen null. O-Ton Sharad Goel: "If you assume even a relatively small rate of errors in the voter file about 1 percent then this number goes to zero." Sprecher 1: Mit diesen Erkenntnissen haben Sharad Goel und seine Kollegen sich auch Daten von Crosscheck angesehen. Sie bekamen Zugriff auf die Liste angeblicher Doppelwähler im Staat Iowa, denen die Tilgung aus dem Wählerverzeichnis drohte. Die Forscher haben dann berechnet, wie viele Doppelwähler sich tatsächlich auf der Liste befinden dürften. O-Ton Sharad Goel Sprecher 4: "Zumindest in Iowa sieht es so aus, dass für jeden Doppelwähler ungefähr 200 legitime Wähler von dieser Säuberungsaktion betroffen wären." Sprecher 1: Ein hoher Preis für die Demokratie. Sharad Goels Fazit: Crosscheck schadet mehr als es nutzt. Greg Palasts Verdacht, dass es darum geht, generell das Wählen zu erschweren, statt gezielt kriminelle Doppelwähler zu finden, scheint sich also zu bestätigen. Der Eindruck von Willkür verstärkt sich, wenn man bedenkt, dass fast jeder in den USA einen zweiten Vornamen hat. Bei Crosscheck wird das geflissentlich ignoriert. Auf den Listen, die Greg Palast zugespielt bekommen hat, finden sich dementsprechend vermeintliche Treffer, deren zweite Vornamen nicht übereinstimmen. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Ich habe mir die Namen angesehen und dies sind echte Beispiele: James Lewis Brown soll derselbe Wähler sein wie James Thomas Brown. Und James Edward Brown soll derselbe Wähler sein wie James Antonio Brown. Und James Brown Senior soll derselbe Wähler sein wie James Brown Junior, wahrscheinlich sein Sohn." Sprecher 1: Einen anderen Betroffenen hat er in seinem Wohnzimmer besucht. Einen Rentner namens Donald Webster. Filmausschnitt O-Ton Donald Webster, Greg Palast Sprecher 3: "Eugene, das ist nicht mein zweiter Vorname." Sprecher 2: "Eugene ist nicht Ihr zweiter Vorname?" Sprecher 3: "Nein." Sprecher 2: "Haben Sie den Namen Eugene jemals benutzt?" Sprecher 3: "Nein." Sprecher 2: "Aber die sagen, Sie hätten..." Sprecher 3 (verneint): "M-m." Sprecher 2: "Wissen Sie, dass es eine Straftat ist, mehr als einmal zu wählen?" Sprecher 3: "Natürlich. Aber ich hatte nie den Gedanken, das zu tun. Was machen schon zwei Stimmen für einen Unterschied gegenüber Tausenden und Abertausenden? Da müsste man schon eine Menge Leute haben, um das zu tun." Sprecher 2: "Sind Sie Teil einer Verschwörung?" Sprecher 3: "Nein, Sir, bin ich nicht." Sprecher 2: "Nicht?" Sprecher 3: "Nein, ich gehe einfach nur wählen. Ich wähle bei jeder Wahl und jeder Vorwahl, jeder einzelnen." Sprecher 1: Bisher konnte er immer seine Stimme abgeben. Aber jetzt steht Donald Webster auf der Crosscheck-Liste und seine Registrierung ist bedroht. Menschen wie ihn trifft Crosscheck ganz besonders. Denn Donald Webster ist Afroamerikaner. Greg Palast greift noch einmal das Beispiel "James Brown" auf: O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Sie sagen, dass es in Georgia 288 Männer gibt, die in einem anderen Staat gewählt haben sollen, und die alle James Brown heißen. Das ist einer der gängigsten Namen in Amerika. Und der Clou ist: Es ist vor allem ein gängiger Name für Schwarze." Sprecher 1: Wenn massenweise Wählerregistrierungen zu Unrecht gelöscht werden, ist das schlimm genug. Aber wenn es vor allem Minderheiten trifft, dann ist das perfide. Afroamerikaner haben häufiger gleiche Namen und sind deshalb besonders anfällig dafür, in den Crosscheck-Listen aufzutauchen. Die Ursache für die eingeschränkte Namensvielfalt geht zurück auf die Sklaverei. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Schwarze Sklaven haben den Namen ihres Sklavenhalters angenommen. Oder als sie befreit wurden, die Namen von Präsidenten wie Jefferson, Washington, Jackson. 53 Prozent der Amerikaner, die Jackson heißen, sind schwarz. 90 Prozent der Leute namens Washington sind schwarz." Sprecher 1: Ähnliches gilt für Latinos, die ihre Namen von den Eroberern geerbt haben. Dementsprechend finden sich viele Garcias, Hernandez' und Rodriguez' auf den Crosscheck-Listen. Der Datenwissenschaftler Sharad Goel gibt allerdings zu bedenken, dass Weiße die Mehrheit stellen und für sie dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, von Crosscheck erfasst zu werden. Doch ohne Zweifel haben diskriminierende Maßnahmen rund um Wahlen gerade Konjunktur in den USA. Vor allem seit im Juni 2013 der Oberste Gerichtshof einen Teil des Voting Rights Acts für ungültig erklärte. Marcia Johnson-Blanco: O-Ton Marcia Johnson-Blanco Sprecherin 5: "Der Voting Rights Act wurde 1965 verabschiedet, um die Barrieren zu beseitigen, die vor allem Schwarzen das Wählen unmöglich machten. Darin wurde auch geregelt, dass Staaten, die in der Vergangenheit Wähler diskriminiert hatten, Änderungen an ihren Wahlgesetzen mit dem Justizministerium, der Regierung oder einem Bundesgericht abstimmen mussten." Sprecher 1: Dieses Verfahren, entschied das Gericht, sei nun nicht länger nötig. Alle Bundesstaaten können jetzt also eigene Regeln machen, ohne den Segen von Washington. Noch am Tag der Entscheidung setzte der Gouverneur von Texas ein Gesetz in Kraft, das zuvor als diskriminierend durchgefallen war. Darin ist geregelt, welche Form von Ausweis zum Wählen akzeptiert wird. Demnach ist ein Waffenschein ausreichend, ein Studentenausweis einer staatlichen Universität aber nicht. Für alle, deren Haut nicht weiß ist, muss es sich anfühlen, als würden sie ein paar Jahrzehnte zurückversetzt. In die Zeit vor dem Civil Rights Act und dem Voting Rights Act, die Gesetze, mit denen Rassendiskriminierung in der Gesellschaft und bei Wahlen verboten wurde. Mitte der 60er-Jahre ein großer Erfolg für die Bürgerrechtsbewegung mit ihrem Anführer Martin Luther King Junior. 50 Jahre danach klingt Donald Webster, den Greg Palast gefragt hat, ob er Teil einer Verschwörung von Mehrfachwählern sei, wie einer, der den Kampf gegen das System letztlich doch verloren hat. Filmausschnitt O-Ton Donald Webster: Sprecher 3: "Ich erinnere mich an den Civil Rights Act und all diese Dinge. Aber davon ist fast nichts mehr übrig. Vielleicht hat meine Altersgruppe gedacht, dass es vorbei ist und dass wir nicht mehr kämpfen müssen. Und jetzt müssen wir die gleichen Schlachten nochmal schlagen. Ich bin 70 Jahre alt. Meine Kampfkraft ist nicht mehr da. Ich werde nicht mehr da rausgehen und irgendwas zerschlagen. Aber ich will, dass die Leute wissen, wo das Problem ist und dass Namen genannt werden. Die Namen der Leute, die dahinter stecken." O-Ton Greg Palast: "For example Kris Kobach." Sprecher 1: Kris Kobach, Erfinder von Crosscheck und Greg Palasts Erzfeind. Oder wie er sagt: O-Ton Greg Palast: "Trump's operative." Sprecher 1: "Trumps Funktionär." O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Er hat es abgelehnt, sich mit mir zu treffen, um seine Liste zu besprechen. Dann hat mein Team rausgefunden, dass er bei einer Veranstaltung in einem Park Spenden für die Republikaner sammeln wollte. Also bin ich nach Kansas geflogen und habe noch einen Kameramann eingeflogen, der Gefechtserfahrung hatte. Und ich hatte ein Mikrofon, das mich aussehen ließ, als wäre ich von einem lokalen Fernsehsender. Dann haben wir uns in die Veranstaltung geschlichen und ihn konfrontiert. Erst wusste er gar nicht, wer ich war. Dann habe ich meinen Hut aufgesetzt und er merkte: oh, oh... Und dann war er geschockt, dass ich die geheime Liste hatte. Er hatte wohl gedacht, er könne davonkommen, indem er sie geheim hält. Und dann hat er mich angelogen. Ich habe ihm die unterschiedlichen zweiten Vornamen gezeigt und er hat behauptet, diese Namen könnten nicht auf der Liste sein. Aber es war seine Liste! Er meinte, diese Wähler könnten nicht entfernt worden sein. Ich zeigte ihm die Liste aus Virginia, wonach 41.000 Leute entfernt worden waren. Und er sagte nur: ‚Das kann nicht sein, das kann nicht sein.'" Sprecher 1: Tatsächlich werden Wähler nicht sofort gelöscht, wenn sie von Crosscheck als verdächtig identifiziert werden: Wenn ein Name auf der Crosscheck-Liste auftaucht, bekommt dieser Wähler eine Postkarte. Die muss er zurückschicken, ansonsten gilt die Adressangabe im Wählerverzeichnis als falsch und die Registrierung wird gelöscht oder als inaktiv markiert. Wer die Postkarte übersieht, hat Pech und erfährt erst am Wahltag, dass etwas nicht stimmt: wenn die Wahlhelfer im Wahllokal den Namen nicht auf ihren Listen finden können. Auch davon seien Minderheiten besonders oft betroffen, sagt Greg Palast. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Studien der Zensus-Behörde zeigen, dass ältere weiße Personen ein Dokument von der Regierung eher unterschreiben und zurückschicken. Die leben in einem Haus, wohnen da schon seit Jahren und bekommen zuverlässig ihre Post. Und sie reagieren auf Anfragen der Regierung. Aber wenn du ein junger schwarzer Mann bist oder ein junger Latino, dann ist die Chance, dass du deine Post überhaupt empfängst, nicht besonders groß, weil du ständig umziehst. Leute verlieren ihre Arbeit oder gehen zur Uni oder sie leben in Ghettos, wo der Postbote nicht unbedingt immer die Post zustellt. Also, wenn sie sie überhaupt bekommen, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie diese Karte zurückschicken." Sprecher 1: Die Macht darüber zu entscheiden, wer wann von der Wählerliste gestrichen wird, liegt in den USA nicht bei unparteiischen Beamten, sondern bei interessengeleiteten Politikern. So konnten die Wahlprozesse überhaupt erst zum Spielball der Politik werden. In den meisten Bundesstaaten sind Staatssekretäre wie Kris Kobach zuständig. In der Regel seien das echte Hardliner, sagt Greg Palast. In den Staaten, die an Crosscheck teilnehmen - alle republikanisch regiert - entscheiden also republikanische Politiker, unter welchen Bedingungen Wählerregistrierungen gelöscht werden und unter welchen Bedingungen gewählt wird. Und diese Bedingungen fallen dann oft so aus, dass sie Minderheiten benachteiligen, die vorwiegend die Demokraten wählen: Schwarze und Latinos, Asiaten und Indianer, und auch Studenten. Greg Palast weist aber auch darauf hin, dass die Demokraten vergleichbare Tricks anwenden. Im Vorwahlkampf habe das Clinton-Lager in Kalifornien versucht, Registrierungen von Studenten zu behindern. Studenten waren mehrheitlich für Clintons Konkurrenten Bernie Sanders. Die nach einem Hack des E-Mail-Servers der Demokraten bei Wikileaks veröffentlichten E-Mails belegen, dass Parteifunktionäre Bernie Sanders ausbooten wollten. O-Ton Greg Palsat Sprecher 2: "Amerikaner haben nicht den Respekt vor dem Wählen wie das zum Beispiel in England der Fall ist. Wenn die Leute sich da streiten über Brexit oder kein Brexit, soll Schottland Teil von Großbritannien bleiben oder nicht, dann sind das sehr emotionale Debatten. Aber alle sind sich einig, dass alle Stimmen gezählt werden sollen. In Amerika finden wir nicht, dass alle Stimmen gezählt werden sollten. Wir bewundern fast schon die Leute, die Stimmen stehlen und sagen: gut gemacht! Du hast es raus, wie man das System austrickst." Sprecher 1: Tricks gibt es viele. Crosscheck ist bloß der neueste und vermutlich der, der bei der vergangenen Wahl den größten Einfluss hatte. Palast schätzt, Crosscheck könnten bis zu einer Million Wählerregistrierungen zum Opfer gefallen sein. Doch selbst wer registriert ist, hat es nicht immer einfach zu wählen. Ein Problem: Wahlen in den USA finden immer an einem Dienstag statt, einem Werktag. Wer arbeiten muss, für den kann das problematisch sein. Deshalb verlangt der Gesetzgeber, dass in den Wochen vorher schon die Möglichkeit zur Stimmabgabe gegeben sein muss. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Die meisten Schwarzen wählen am Sonntag vor dem Wahltag. Und weil viele kein Auto haben, fahren sie nach dem Gottesdienst mit Bussen von der Kirche. Sie nennen das ‚Souls to the Polls'." Sprecher 1: Souls to the Polls, das könnte man frei übersetzen mit "Seelen gehen wählen". Das ist zum Beispiel in Ohio üblich, einem der heiß umkämpften Swing States. Dort ist Greg Palasts Heimat, und dort war er am Souls-to-the-Polls-Tag. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Ich war an dem Tag in Dayton. Da gab es für eine halbe Million Einwohner ein einziges Wahllokal. Da mussten die Leute fünf Stunden Schlange stehen, um zu wählen. Dann, am Dienstag, wenn die meisten Weißen wählen, bin ich in die Vorstädte gefahren. Derselbe Wahlkreis hatte 178 Wahllokale geöffnet und es gab überhaupt keine Schlangen." Sprecher 1: Auch North Carolina hatte versucht, das Wählen vor dem Wahltag einzuschränken. Das Gesetz wurde im Juli von einem Gericht gestoppt. In der Entscheidung heißt es, diese und andere Maßnahmen träfen Minderheiten mit - Zitat - "chirurgischer Präzision". Kein Wunder: Die Gesetzgeber hatten vorher das Wahlverhalten von Afroamerikanern und Latinos genau analysiert und ihre Neuregelungen darauf abgestimmt. In anderen Staaten sind die Probleme andere, aber die Muster ähnlich. So müssen laut Bundesgesetz etwa Stimmzettel in Fremdsprachen vorgehalten werden, wenn in einem Bezirk eine große Zahl von Wählern lebt, die diese Sprache sprechen. Der Staat Kalifornien verlangt selbst für kleinere Sprachgemeinschaften, dass zumindest ein Exemplar des Stimmzettels in der jeweiligen Sprache im Wahllokal ausgehängt sein muss. O-Ton Jonathan Stein Sprecher 4: "In Kalifornien gibt es Wahlunterlagen in zehn verschiedenen Sprachen: Englisch, Spanisch und acht asiatischen Sprachen." Sprecher 1: Jonathan Stein von der Organisation Asian Americans Advancing Justice. O-Ton Jonathan Stein Sprecher 4: "In Los Angeles, wahrscheinlich der vielfältigste Wahlkreis der USA, müssen Wahlunterlagen in allen zehn dieser Sprachen vorgehalten werden. Das ist eine Menge Arbeit, aber die machen einen ganz guten Job." Sprecher 1: Aber das war eben nicht überall der Fall. Seine Organisation hat am Wahltag mit 500 Helfern rund 4.500 Wahllokale besucht. Dabei haben sie festgestellt, dass nicht immer alle Sprachen verfügbar waren, die laut Gesetz hätten verfügbar sein müssen. Wie wichtig Fremdsprachen sind, machen weitere Zahlen deutlich, die Jonathan Stein nennt: Unter den asiatischen Einwanderern in Kalifornien würden 91 Prozent zuhause nicht Englisch sprechen. Etwa die Hälfte spricht generell nicht sehr gut Englisch. Die Sprachbarriere ist also hoch, und das hat zur Folge, dass die Wählerschaft die Gesellschaft verzerrt repräsentiert. O-Ton Jonathan Stein Sprecher 4: "Bei den Wahlen im Jahr 2014 lag die Wahlbeteiligung der Asiaten bei 18 Prozent und die der Latinos bei 17 Prozent. Alle anderen kamen im Schnitt auf eine Wahlbeteiligung von 40 Prozent, also doppelt so hoch wie bei Asiaten und Latinos." Sprecher 1: Das sei eine Nuss, die noch zu knacken sei, sagt Jonathan Stein. Aber die beiden großen Parteien würden sich kaum um diese Wählergruppe bemühen. Dabei sei die Sache im Grundsatz eigentlich klar: O-Ton Jonathan Stein Sprecher 4: "Wir in den Vereinigten Staaten glauben grundsätzlich nicht, dass man Englisch sprechen muss, um seine Stimme abzugeben. Man ist ein vollwertiger Bürger dieser Nation, unabhängig von der Sprache, die man bevorzugt. Und als Bürger ist Wählen das Grundrecht überhaupt. Das sollte man ausüben können, welche Sprache auch immer man bevorzugt." Sprecher 1: Bei dieser Wahl geriet das für ihn und seine Mitstreiter allerdings fast zur Nebensache. Viel größere Sorgen bereitete den asiatisch-amerikanischen Aktivisten etwas anderes. O-Ton Jonathan Stein Sprecher 4: "Wir hatten - zumindest in jüngerer Vergangenheit - noch nie einen Präsidentschaftskandidaten, der seine Unterstützer aufgefordert hat, zu den Wahllokalen zu gehen und selbst festzustellen, wer wahlberechtigt ist und wer nicht." Sprecher 1: Durch aggressives Auftreten von Trump-Anhängern könnten sich Minderheiten abgeschreckt und eingeschüchtert fühlen, befürchtete Stein. Marcia Johnson-Blanco berichtet, dass diese Befürchtungen berechtigt waren, dass tatsächlich auf diese Weise versucht worden sei, auf die Wahl Einfluss zu nehmen. Ihre Organisation, das Lawyers' Committee for Civil Rights Under Law, hat mehr als 4.000 ehrenamtliche Anwälte und Jura-Studenten rekrutiert, die sowohl an Wahllokalen präsent waren, als auch eine Wahl-Support-Hotline betreut haben. O-Ton Marcia Johnson-Blanco Sprecherin 5: "In dieser Wahlperiode haben wir übermäßig viele Anrufe von Wählern bekommen, die sich am Wahllokal eingeschüchtert fühlten. Dieser Wahlkampf wurde so leidenschaftlich geführt und wir erlauben Anhängern auch noch, am Wahllokal um Stimmen für ihren Kandidaten zu werben, während die Leute in das Wahllokal gehen. Wir hatten viele Anrufer, die sich von der Aggressivität der Anhänger eingeschüchtert fühlten. Und es gab auch Anrufe, dass Menschen beschimpft worden sind oder von den Wahlhelfern nicht unterstützt wurden beim Wählen." Sprecher 1: Allein am Wahltag haben mehr als 35.000 Menschen die Hotline angerufen, um Fragen zu stellen, Hilfe zu suchen oder Beschwerden loszuwerden. Doch diese Wahl war mit dem Wahltag nicht vorbei. Nach dem 8. November ging der Kampf um die Stimmen weiter. In North Carolina, wo auch ein neuer Gouverneur gewählt wurde, gestand der Amtsinhaber, der Republikaner McCrory, erst rund einen Monat nach der Wahl ein, dass er dem Demokratischen Kandidaten knapp unterlegen war. Vorher hatte er versucht, Organisationen, die vor allem Minderheiten beim Wählen geholfen hatten, mit Klagen zu überziehen und somit Stimmen für ungültig erklären zu lassen. Außerdem erließ er noch nach der Wahl Gesetze, die die Macht seines Nachfolgers stark einschränken. Unter anderem kann der neue demokratische Gouverneur Roy Cooper nicht mehr die Mehrheit der Mitglieder der Wahlkommission North Carolinas ernennen. Zudem soll ab sofort immer in geraden Jahren ein Republikaner den Vorsitz der Wahlkommission innehaben. Das sind die Jahre, in denen Kongress- und Präsidentschaftswahlen stattfinden. Das Magazin The Nation schrieb: Sprecherin 6: "Während sich die Nachrichten auf Berichte über russische Einflussnahme auf die US-Wahlen konzentrierten, waren die Republikaner in North Carolina damit beschäftigt, die Demokratie zuhause zu untergraben." Sprecher 1: Auch in Pennsylvania, Wisconsin und Michigan wurde die Demokratie nach der Wahl herausgefordert. Nachzählungen wurden beantragt, aber um die durchzusetzen musste die grüne Präsidentschaftskandidatin Jill Stein mehrere Millionen Dollar zahlen. Und schließlich wurden die Nachzählungen dann doch wieder von Gerichten gestoppt. Greg Palast glaubt ohnehin nicht, dass das viel geändert hätte. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Sie haben die Stimmzettel mit denselben Wahlmaschinen gezählt wie am Wahltag. Natürlich kam dabei nichts anderes heraus. Die Grünen durften die Stimmzettel selbst nicht prüfen." Sprecher 1: Die Maschinen sind zum Teil fehleranfällig. Auf den Wahlzetteln müssen keine Kreuze gemacht, sondern Kreise schwarz ausgemalt werden. Ist die Markierung zu schwach, wird sie von den Scan-Maschinen unter Umständen nicht richtig erkannt. Das dürfte mit dazu beigetragen haben, dass es in Michigan mehr als 75.000 ungültige Stimmen gab - weit mehr als bei vorangegangenen Wahlen. Wenn sich die Fehlerrate gleichmäßig über alle Stimmbezirke verteilt, sollte das kein Problem sein. Aber Greg Palast sagt: O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Fast alle Stimmen, die die Maschinen nicht lesen konnten, waren in Detroit und Flint, Michigan. Ganz einfach, weil diese Städte bankrott sind. Die hatten furchtbar schlechte, kaputte Maschinen. Also, fast alle ungültigen Stimmen kamen aus diesen schwarzen Städten, wo es eine überwältigende Mehrheit von Demokraten-Wählern gibt. Also ziemlich sicher wären das alles Stimmen für Clinton gewesen." Sprecher 1: Für eine andere Fehlerquelle hält Palast die Tatsache, dass man auf den Wahlzetteln auch Kandidaten per Hand eintragen kann. Da hätten viele aus Protest Bernie Sanders eingetragen, weil sie Clinton nicht mochten. Gleichzeitig hätten die Wähler aber eine Markierung bei den Demokraten gesetzt. Neben der Präsidentschaftswahl fanden viele andere Wahlen statt. Je nach Wahlbezirk können dutzende Abstimmungen auf dem Stimmzettel stehen. Mit einer einzigen Markierung kann man alle demokratischen oder republikanischen Kandidaten wählen. Stand dann aber gleichzeitig Bernie Sanders handschriftlich auf dem Zettel, dann hätten die Maschinen das als ungültige Doppelwahl gewertet. O-Ton Greg Palast "But the machines said: oh someone's trying to vote for two candidates. Can't do that. Disqualified." Sprecher 1: Andererseits dürfte es aber auch Wählern der Republikaner so gegangen sein, die Donald Trump nicht mochten und deshalb aus Protest seinen Vize Mike Pence auf den Wahlzettel geschrieben haben. Doch Greg Palast bleibt dabei: Millionen von Stimmen seien nicht gezählt worden - entweder weil die Wähler nicht registriert sind, wegen Problemen bei der Auszählung oder weil Fehler bei der Stimmabgabe passieren. Und: Es gebe dabei eine starke Tendenz zum Nachteil von Minderheiten. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Die meisten Stimmen, die nicht gezählt werden, stammen von Schwarzen oder Latinos oder Asiaten, inklusive Muslime. Aber es gilt in Amerika nicht als angemessen, darüber zu berichten, denn seit Obama gewählt wurde sind wir ja post-rassistisch und Rassismus existiert nicht mehr in Amerika." Sprecher 1: Warum ist Greg Palast einer der wenigen, die über diesen Skandal kritisch berichten? Selbst liberale, den Demokraten näher stehende Zeitungen sind zurückhaltend. Greg Palast sagt, in der New York Times oder der Washington Post könne er seine Recherchen nicht veröffentlichen. O-Ton Greg Palast Sprecher 2: "Wir berichten nicht darüber, weil es beschämend ist. Amerikaner müssen ihr Image pflegen, dass sie das perfekte System haben. Niemand in Amerika will hören, dass wir hier nicht eine wunderbare Demokratie haben." Absage: Die defekte Demokratie. Wie Wahlreformen den Sieg von Donald Trump begünstigt haben. Ein Dossier von Thomas Reintjes. Es sprachen: Hartmut Stanke, Justine Hauer, Katharina Wolter, Thomas Balou Martin, Volker Niederfahrenhorst, Gerd Daaßen und der Autor Ton und Technik: Hendrik Manook und Jens Müller Regie und Redaktion: Wolfgang Schiller Wir danken Greg Palast für die freundliche Unterstützung. Eine Produktion des Deutschlandfunks 2017. 26