KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : LITERATUR 19.30 Titel der Sendung: "und schreib mir ,Deine' unter die Briefe" - Bertolt Brecht und Helene Weigel schreiben einander Autor : : Michael Opitz Redaktion: : Sigried Wesener Sendetermin : 05.02.2013 Besetzung : Erzähler : Zitator : Zitatorin : Musik/o-Ton Regie : Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio "und schreib mir ,Deine' unter die Briefe" - Bertolt Brecht und Helene Weigel schreiben einander 1. O-Ton Brecht "Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut In der wir untergegangen sind Gedenkt Wenn ihr von unsern Schwächen sprecht Auch der finsteren Zeit Der ihr entronnen seid." 2. O-Ton Weigel "Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung." 3. O-Ton Brecht "Dabei wissen wir ja: Auch der Haß gegen die Niedrigkeit Verzerrt die Züge. Auch der Zorn über das Unrecht Macht die Stimme heiser. Ach, wir Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit Konnten selber nicht freundlich sein." 4. O-Ton Weigel "Ihr aber, wenn es so weit sein wird Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist Gedenkt unsrer Mit Nachsicht." (B. Brecht: An die Nachgeborenen, Bd. 12, S. 87) Erzähler: Bertolt Brechts Gedicht "An die Nachgeborenen" ist im dänischen Exil entstanden. Als Hitler 1933 an die Macht kommt, flieht der in Augsburg geborene Dichter zusammen mit seiner Frau Helene Weigel aus Deutschland. Beide lernten sich im Dezember 1923 in Berlin kennen. Er war fünfundzwanzig, sie zwei Jahre jünger. Der erste Brief, den er ihr schreibt, ist eigentlich kein Brief, sondern eher ein Gedicht. Es gibt keine Anrede und der Text verzichtet auf einen Gruß am Schluss. Doch die 12 Zeilen bezeugen, dass das Auftreten von H W - Helene Weigel - im Leben von Bertolt Brecht für reichlich Verwirrung gesorgt hat. Zitator 1: "1 Zweite Hälfte Dezember: starke Langeweile 90 % Nikotin 10 % Grammophon offensichtlicher Mangel an Bädern Jahresende: Auf nach Mahagonny bevorzugt! 2 H W (zu deutsch: Havary)" (9) Regie: denkbar wäre, dem Gedicht Musik aus der Mahagonny-Oper zu unterlegen Erzähler: Die Briefe, die Brecht an die Weigel, und die sie an ihn geschrieben hat, liegen jetzt in einer im Suhrkamp Verlag erschienenen Briefausgabe vor. Sie umfasst die gesamte erhalten gebliebene Korrespondenz. Der Band, der einen Einblick in die außergewöhnliche Partnerschaft zweier Künstler erlaubt, die das Theaterleben des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt haben, ist vom Leiter des Bertolt-Brecht-Archivs, Erdmut Wizisla, herausgegeben worden. 5. O-Ton Erdmut Wizisla, Track 2: "Wir hatten in der Brecht-Ausgabe, der großen kommentierten "Berliner und Frankfurter Ausgabe", 137 Briefe von Brecht an Helene Weigel. Und 1999 tauchten im Nachlass von Victor N. Cohen in der Schweiz 40 bis dato völlig unbekannte, überwiegend handschriftliche Briefe von Brecht an Helene Weigel auf. Die meisten sind in New York geschrieben und nach Santa Monica adressiert. Zwei stammen aus Paris [...] und damit hat sich das Briefkorpus Brecht schon um ein Viertel erhöht und dann war es angeraten und lohnend, einfach zu schauen, was gibt es von Helene Weigel. Da waren bis dahin sechs oder sieben Briefe publiziert worden - an Brecht - und durch genaueres Suchen sind das eben doch sechzig Briefe von Helene Weigel geworden." Erzähler: Der Schauspielerin Helene Weigel, die u.a. am Deutschen Theater arbeitet, bescheinigt der Theaterkritiker Julius Bab 1925, dass sie zu den "ganz großen" Mimen gehört. Brecht ist zu dieser Zeit gerade dabei, das Theater zu revolutionieren. Für seine Stücke "Baal", "Trommeln in der Nacht" und "Im Dickicht der Städte" erhält er 1922 den renommierten Kleist-Preis. Er weiß, wie man sich in Szene setzt - nicht nur auf der Bühne, sondern auch bei den Frauen. Von den Frauen hält Brecht viel, vom bürgerlichen Theater wenig und von den bürgerlichen Moralvorstellungen gar nichts. Mit seiner ersten Liebe, die er Bittersweet oder Bi nennt - mit bürgerlichem Namen heißt sie Paula Bannholzer - hat er einen Sohn. Aber nicht sie, sondern Marianne Zoff heiratet er im September 1922, die ein Kind von ihm bekommt. Im März 1923 wird ihre Tochter Hanne geboren. Als Marianne Zoff im April 1924 mit dem Kind nach Capri reist, ist Brechts neue Liebe - Helene Weigel - bereits schwanger von ihm. An "Helli" oder "Heli", wie er sie in seinen Briefen nennt, beobachtet er staunend, auch ein wenig stolz und hocherfreut, dass sie aufgrund der Schwangerschaft fülliger wird. Ein Brief vom Juli 1924 endet mit den Zeilen Zitator Brecht: "Ich küsse Dich, wirst Du tüchtig dick? Das ist gut. Da bist Du gut zu haben. Das festigt innerlich. Schreibe mir! bert" (21) Erzähler: Einen Monat später fragt er erneut: Zitator Brecht: "Wirst Du dicker? Das freut mich." (23) Erzähler: Was das Äußere anbelangt, so hat Brecht ein bestimmtes Bild der Weigel vor Augen. Er sieht sie vor sich, wenn er an sie schreibt und diesem Bild soll sie entsprechen, wenn er sie wiedersieht. Doch nicht nur ihre äußere Erscheinung liegt ihm am Herzen. Er, der selbst ein passionierter Zigarrenraucher ist, sorgt sich um die Weigel, wenn er sie ermahnt, nicht so viel zu rauchen. Er wünscht sich, dass sie gesund bleibt, denn er braucht sie. Und als sie sich im Frühjahr 1946 einer Operation unterziehen muss, schreibt er ihr: Zitator Brecht: "Du schonst Dich nicht genug. Bitte, bitte, tu das. Es ist so gefährlich nach Unterleibsoperationen, wenn man zu früh wieder arbeitet. Und ich brauche Dich dringend so gesund wie möglich. Für vieles, Heli." (222f.) Erzähler: In den Anfangsjahren ihrer Beziehung sind Brechts Briefe lakonisch und witzig. Er berichtet ihr, womit er beschäftigt ist. Da er der Weigel aber auch gefallen will, lässt er sich in den Briefen etwas einfallen. Verhindern will er, dass sie ihn vergisst. Wenn sie seine Briefe liest, dann soll auch sie ihn vor Augen haben: Zitator Brecht: "Liebe Helle, ich habe die Lederhandschuhe angetan ein Streichholz entzündet eine Zigarre geraucht etwas notiert Schokolade gefressen mich geschneuzt und ich bin müde davon. [...] Wann hast Du wieder Zeit???? Wirst Du so gut schlafen als ich es wünsche und fröhlich sein allerdings nicht zu sehr aber etwas Ich bin Ihnen fortdauernd reichlich gewogen Madamme bidi" (10f.) Erzähler: Für den Bühnenautor ist es ein Leichtes, sich neue Rollen auszudenken. Kurz nachdem er den feinen Herren gegeben hat, verwandelt er sich in einen personifizierten Geist: Zitator Brecht: "Liebstes Helletier jetzt sitzt der große Manitu wiederum in seiner Wolke von holländischem Tabakrauch und blinzelt wenn Licht durch den Zeltschlitz fällt und lauscht dem Gramotier das Oh by Jingo seufzt" (22) Musik: aus dem Musical Linger Longer Letty (den Song, auf den Brecht verweist, einspielen und dem Zitat unterlegen) Erzähler: In den ersten Jahren der gemeinsamen Beziehung klagt Brecht häufig über Langeweile. Zitator Brecht: "Hier habe ich mit viel Nikotin wenige Sonette hergestellt. Die Langeweile ist entsetzlich und dabei hält mich ein katastrophaler Geldmangel von allem ab auch davon bald nach Wien zu gehen. [...] Wenn ich 2 Selbste hätte würde ich eines ermorden." (30) Erzähler: Oft weiß er nicht, womit er sich die Zeit vertreiben soll und in diesen freien Stunden hätte er gern die Weigel an seiner Seite: 6. O-Ton Erdmut Wizisla, Track 3 "Ich glaube, [...] dass Brecht sich gelangweilt hat, wenn er nicht mit Leuten zusammen war. Das mag insofern schon ein Lockruf an Helene Weigel gewesen sein, denn wenn er mit ihr zusammen war, dann wird er sich nicht oder sich nicht so gelangweilt haben, wie er es in den Briefen ausdrückt. Brecht lebt so aus der Kommunikation und aus der Zusammenarbeit und dem unmittelbaren Austausch, dass ihm die Klage "mir ist so langweilig" hauptsächlich nur dann kommt, wenn er wirklich allein ist, was er auch dann versucht zu vermeiden. " Erzähler: Bertolt Brecht und Helene Weigel heiraten im April 1929. Ist er fern von ihr, wünscht er sich, dass sie ihm schreibt. Aber die Weigel schreibt nur selten oder gar nicht. Zitator Brecht: "schreibe mir auch sonst öfter, sei nicht so faul" (65) Erzähler: Nicht jeder Brief, den er von der Weigel bekommt, stimmt ihn froh. Gern würde er sehen, wenn unter ihren Briefen ein persönliches, ihre Verbundenheit bezeugendes Wort stünde. Zitator Brecht: "Rauch nicht zu viel und heiz gut. Und behalte mich in der Erinnerung (und schreib mir ,Deine' unter die Briefe.) Ich küsse Dich b" (148) Erzähler: Aber ist er nicht auf Distanz zu ihr gegangen? Zwei Jahre nach ihrer Hochzeit machte er Margarete Steffin zu seiner Mitarbeiterin und auch zu seiner Geliebten. Daraufhin überlegte Helene Weigel, sich von ihm zu trennen. Brecht schreibt ihr im Januar 1933, dass er keine Lust habe, sich an die Moralvorstellungen irgendwelcher Spießer zu halten: Zitator Brecht: "Liebe Helli, ich schreibe, statt zu sprechen, weil das leichter ist, gegen das Sprechen habe ich eine solche Abneigung, das ist immer ein Kämpfen. Für gewöhnlich ist es bei uns so: aus kleinen psychischen Verstimmungen, die viele Ursachen haben können und meist unaufklärbar sind, teils Mißverständnisse zur Ursache haben, teils nur die Müdigkeit oder Gereiztheit, die durch die Arbeit, also von außerhalb kommt, entsteht dann eine große undurchdringliche Verstimmung. Ich komme dann nicht heraus aus einem unlustigen und sicher quälenden Ton und Du machst abweisende oder tragische Gesichter. Ich habe nun oft gemeint, man sollte sich bemühen, das Körperliche nicht nach dem Psychischen zu richten, da es die naivere und unbelastetere Verständigung ergibt. [...] Ich weiß von mir, daß ich Dir immer nahe stehe [...], vergiß nicht, ich lebe gerade (und meistens) in schwieriger Arbeit [...] und fürchte Privatkonflikte, Szenen usw., die mich sehr erschöpfen. Nicht aber lebe ich ausschweifend. Davon ist keine Rede." (79) Erzähler: Erzähler: Einen Monat nach diesem von Brecht geschriebenen Brief, am 27. Februar 1933, brennt in Berlin der Reichstag. Am frühen Morgen des 28. Februar fliehen Helene Weigel und Bertolt Brecht aus Deutschland. Als Verfasser der "Legende vom toten Soldaten" stand er auf der Liste derer, die die Nazis verhaften wollten, ganz oben. Beide sind gezwungen, Deutschland zu verlassen, denn weder die Jüdin Helene Weigel ist in diesem Land nach Hitlers Machtantritt sicher noch ist es der linke Autor Bertolt Brecht. Ins Exil, das für beide eine radikale Zäsur in ihrem Leben darstellt, gehen sie gemeinsam - in finsteren Zeiten halten sie zusammen. Er erwirbt im Juli 1933 in Dänemark, der ersten Exilstation auf der Flucht vor den Nazis ein Haus für sich und die Seinen. Es hat ein Strohdach und liegt in Skovbostrand, auf der Insel Fünen. In unmittelbarer Nähe befindet sich eine Pension, in die Margarete Steffin zieht, denn auch sie gehörte in Deutschland zu den politisch Verfolgten. In Dänemark lernt Brecht Ruth Berlau kennen. Die Schauspielerin und Übersetzerin, die seine Texte ins Dänische überträgt und mit der zusammen er das Buch "Jedes Tier kann es" schreibt, wird die dritte Frau an Brechts Seite. 7. O-Ton Erdmut Wizisla, Track 7 "Ich glaube schon, dass es verschiedene Phasen gab in der Beziehung Brecht/Weigel. [...] Es ist zunächst etwas Grundsätzliches, was man über die Beziehung sagen muss, dass sie - auch im Unterschied zu anderen Beziehungen, die Brecht gehabt hat - eine Kontinuität hatte. Kontinuität heißt auch, dass sie ihre Auf und Abs hatte. Es gibt mehrere Krisen. [...] 1937 kommt Helene Weigel nicht zurück nach einem Gastspiel in Paris. Erst heißt es, sie versucht in anderen Städten, in Prag und in Zürich, Möglichkeiten für Gastspiele zu sondieren, aber dann ist irgendwann klar, dass Brecht [...] nervös wird und sie auffordert, in einem ironischen Brief, den er mit Steff zusammen schreibt, zurückzukehren an den heimischen Herd." Zitator Brecht: "Werte Genossin, der Gatten- und Söhnerat hat beschlossen, Dich aufzufordern, nach Erledigung Deiner Obliegenheiten o h n e V e r z u g zurückzukehren und Deine Tätigkeit hier wieder aufzunehmen. Du hast Dich also baldmöglichst bei Untigen zu melden. Mit rev.[olutionärem] Gruß Steff bidi" (166) Erzähler: Brecht schreibt für Helene Weigel Bühnenrollen, die sie wie keine andere zu interpretieren weiß und er widmet ihr Gedichte: Zitator Brecht: "DER VERLÄSSLICHEN, der die Polizei den Mund zuhielt Der Unerschrockenen, die den Unterstand baute mit dem Strohdach, das Gesicht nach Süden gewandt Der Freundlichen und Verständigen, welche die Kinder zu freundlichen machte und zu verständigen Der Warmherzigen" (BFA, Gedichte XIV, 419) Musik: Erzähler: Vermutlich hat Helene Weigel nicht alle, aber viele Briefe von Brecht beantwortet, doch nur wenige sind überliefert. 8. O-Ton Erdmut Wizisla, Track 4 u. 5 "Es gibt vor 1951 fünf Briefe von ihr, nur fünf. Es ist deutlich, dass es wesentlich mehr gegeben hat, weil er sagt: ,Schreib' und weil er sagt: ,Danke für deinen Brief, schreib weiter.' Vielleicht hat Brecht sie nicht aufgehoben bei den vielen Exilstationen. Es ist sogar nicht einmal ausgeschlossen, das Helene Weigel die Entscheidung getroffen hat. [...] Aber das ist Spekulation." Erzähler: Im frühesten Brief, der von ihr erhalten ist, beschreibt sie im Mai 1938 Brecht, wie Slatan Dudow Brechts Stück "Furcht und Elend des III. Reichs" - in dem sie eine Rolle übernommen hat - in Paris inszeniert: Zitatorin Weigel: "Ich bin ganz unzufrieden. [...] Mit Dudow steuer ich immer, aber auch nur knapp am Krach vorbei. Über alles. Als ich in der ersten Probe etwas sagte, begab er sich in den Schmollwinkel, bat mich dann, mich nicht einzumischen, zog mich also zurück und rede nicht. Zweitens verlangt er kategorisch, daß kein Mensch in die Probe darf. Piscator nicht, Benjamin nicht. Es stört ihn. Ich hab eine Wut" (173) Erzähler: "Deine" schreibt sie nicht unter den Brief, sondern nur Helli. Aber der davor stehende Satz dürfte Brecht außerordentlich gefallen haben: Zitatorin Weigel: "Leb wohl, schreib, ich bräuchte Dich unter allen Umständen zu allen Dingen und allen Zeiten. Helli" (173) Erzäher: Sie braucht ihn. Doch in den Jahren des amerikanischen Exils - als die Familie in Santa Monica wohnt - ist er häufig nicht da. Sechsmal hält er sich für mehrere Monate in New York auf, wo er in der 57. Straße Nummer 124 wohnt. Es ist die Wohnung von Ruth Berlau. Dass FBI, das Brecht im amerikanischen Exil überwacht, kontrolliert auch seine Post. Ein Brief von Helene Weigel, den sie ihm nach New York schickt, ist in Brechts FBI-Akten aufgetaucht. Im Dezember 1943 fragt sie ihn, ob er Weihnachten nach Santa Monica kommen wird. Am Schluss des Briefes heißt es: Zitatorin Weigel: "Ich bin eine schlechte Warterin. Ansonsten gibt's nichts Neues. Auf Wiedersehen. HELLI" (358) Erzähler: Er kommt weder zum Weihnachtsfest noch zum Jahreswechsel, aber er bittet sie in seinem Antwortschreiben. Zitator Brecht: "Bitte sei keine zu schlechte Warterin." (191) Erzähler: Zur selben Zeit schreibt er an Ruth Berlau: Zitator Brecht: "Endlich einmal werden wir ein Weihnachten zusammen haben." Erzähler: Nach Santa Monica kehrt Brecht im März 1944 zurück. In einem Brief an ihn, von dem der Herausgeber Erdmut Wizisla vermutet, dass er 1944 verfasst worden ist, zeigt sich Helene Weigel irritiert darüber, dass er sich plötzlich wieder für sie interessiert und zugleich wundert sie sich über die Zugeständnisse, die er Ruth Berlau einräumt: Zitatorin Weigel: "Lieber Bert, jetzt muß ich Dir schon einen Brief schreiben, weil es mir selber närrisch vorkommt, daß ich nein sage, wenn Du mit mir schlafen willst und außerdem erstaunt mich Dein sofort auftretendes neubelebtes Interesse, wieso, nur wegen dem Nein?" (191) Erzähler: Ruth Berlau hatte im September 1944 ein Kind von Brecht bekommen. Doch der gemeinsame Sohn starb wenige Tage nach der Geburt. Zitatorin Weigel: "Du kannst und willst nicht eine deklarierte mit Stempel versehene Ehe führen, das war sie auch nie und ich habe sie nie verlangt [...] weil ich annahm, daß sie nicht geht für Dich, aber ich finde auf einmal, daß Du solche Ansprüche einer anderen Frau einräumst. Dein Antwort darauf ist, daß Du völlig verschwindest, schweigend drei Wochen eine völlige Änderung einführst, das ist schon ein Fußtritt von besonderer Heftigkeit." (194) 9. O-Ton Erdmut Wizisla, Track 6 " Sie ist genau, sie macht keine Schnörkel und das passt eigentlich: Man kann sich die Weigel so vorstellen. Sie kommt zu einem Punkt [...], sie macht keine Herzensergießungen. Sie sagt, was [...] gesagt werden muss und dann ist es auch gesagt und Aus und Schluss. Das, finde ich, hat auch einen Reiz. Ich finde schon, von den paar Briefen, die wir vor 1951 haben, da wird man eigentlich neugierig auf das, was es noch gegeben haben muss." Musik: Hanns Eislers Musik zu "Furcht und Elend" Erzähler: Im Juni 1945 fährt Brecht erneut nach New York, weil unter der Regie von Bertolt Viertel und seiner Mitarbeit das Stück "Furcht und Elend des III. Reiches" aufgeführt werden soll. Die Musik, Zitator Brecht: "sein bestes seit langem, auf diesem Gebiet", Erzähler: stammt von Hanns Eisler. Im Februar 1946 weilt Brecht erneut in New York, denn Charles Laugthon soll in der nächsten Saison den Galilei spielen. Deshalb wollen Brecht, Elisabeth Hauptmann und Wystan Hugh Auden noch einmal die amerikanische Fassung des "Galileo" durchgehen. Die Reise hat aber auch einen privaten Hintergrund, denn Ruth Berlau hatte im Dezember 1945 einen schweren Nervenzusammenbruch und liegt noch immer im Krankenhaus. Brecht kommt am 10. Februar 1946 in New York an und schreibt einen Tag später an Helene Weigel: Zitator Brecht: "Liebe Helli, ich lerne: Gläser + Tassen spülen, Boden fegen, Abfall wegschaffen, Rühreier und Suppen machen, alles als Autodidakt. Ich fühle mich Dir sehr gewogen, wenn ich Gläser spüle, daß Du das nun so lange gemacht hast, unter anderm." (207) Erzähler: Als sich der Lernende in der Wohnung von Ruth Berlau aufhält, ist niemand da, um zu erledigen, was sonst für ihn erledigt wurde. Brecht ist allein und als die Weigel fern von ihm ist, wird ihm bewusst, wie sehr sie ihm fehlt. In diesem langen, dem längsten Brief, den er - wie er am Schluß schreibt - je geschrieben hat, berichtet er auch sehr detailliert, wie es seiner Geliebten Ruth Berlau geht: Zitator Brecht: "Seit sie das Kind verlor und die große Operation hatte, war ihr Nervenzustand schlecht, sie arbeitete [...] sehr viel und aß und schlief wenig, so kam sie körperlich herunter. Dann hatte sie im Herbst eine Affäre mit einem der dänischen Seeleute, von der sie mir Anfang Dezember berichtete. Von da an - obwohl ich freundlich schrieb - scheint sie schnell in den Zusammenbruch gefallen zu sein, anscheinend nicht imstande, ihre Emanzipation mit der Zusammenarbeit und Verwicklung in meine Geschäfte und dem Kult, den sie mit meinen Arbeiten und mit mir trieb, noch zusammen zu bringen. [...] Ich schreibe Dir all das, weil Du fragtest am Telefon und wohl beunruhigt bist." (208) 10. O-Ton Erdmut Wizisla, Track 9 "Ich glaube, sie sind auf eine bestimmte Weise damit erwachsen und reif umgegangen. Ich finde, auch das sieht man erst an diesen Briefen, in welchem Ausmaß das zwischen den beiden möglich gewesen ist - was auch ein Zeichen von Vertrauen ist. Das hat eben nichts: Da wird die Freundin versteckt. Im Gegenteil. Gerade in diesem Brief, der ja auch der bemerkenswerteste ist, den es in diesem Briefband gibt, gerade da gibt es eine ganz lange, intensive Beschreibung der Krankheitssymptome von Ruth Berlau. [...] Dass er seiner Frau von der Krankheit der Freundin schreibt und dann noch sagt: Ich schreibe dir das alles, weil du danach fragtest, d.h., dass das zumindest doch ein Versuch ist, im Gespräch zu bleiben. Ein Versuch, die fortdauerten Gefährdungen in der Beziehung nicht durch Schweigen noch mehr zu gefährden. Ich begreife durch diese Briefe, besonders durch die neuaufgetauchten, dass ein Paar im Gespräch bleibt. Bei allen Anfechtungen und allen Eskapaden und allem Unmöglichen, was er ihr zumutet." Erzähler: Zärtliches sagt er ihr häufig am Schluss seiner Briefe: Zitator Brecht: "Ich küsse Dich vorsichtig und unvorsichtig, sorgfältig und flüchtig, schnell und langsam, Heli." (222) Erzähler: Dass er sie liebt, vertraut er keinem Brief aus den vierziger Jahren an. Hingegen findet sich die Abkürzung "j e d" [Regie: Dänisch!] unter den Briefen, die Brecht Ruth Berlau schreibt. Die Abkürzung steht für Jeg elsker dig, was im Dänischen "Ich liebe Dich" heißt. Doch er weiß sehr wohl, was er an der Weigel hat, die ein wahres Organisationstalent ist. Ob ein Rasierapparat zu kaufen ist oder Rauchwaren fehlen: Zitator Brecht: "Könntest Du mir die 6cts Zigarren schicken lassen? Hier gibt's für das Geld nichts so Gutes." (181) Erzähler: Was immer auch zu besorgen ist, die Weigel erledigt, schickt und kümmert sich. Als sie nach dem Krieg nach Europa zurückkehren kann sie wieder spielen. Zunächst steht sie in Chur, in der Schweiz, auf der Bühne, wo sie unter seiner Regie die Antigone in dem von Brecht bearbeiteten Stück die "Antigone des Sophokles" spielt. Bejubelt wird sie in der Rolle der Courage in Brechts Stück "Mutter Courage und ihre Kinder", das am 11. Januar 1949 im Deutschen Theater Premiere hat. Im Mai 1949 ist sie es, die beauftragt wird, ein Theaterensemble zu gründen - weltberühmt wird es unter dem Namen Berliner Ensemble. Brecht und die Weigel können wieder zusammen arbeiten und sie wohnen gemeinsam in einem am See gelegenen Haus in Berlin-Weißensee. Zitator Brecht: "EIN NEUES HAUS Zurückgekehrt nach fünfzehnjährigem Exil Bin ich eingezogen in ein schönes Haus. Meine No-Masken und mein Rollbild, den Zweifler zeigend Habe ich aufgehängt hier. Fahrend durch die Trümmer Werde ich tagtäglich an die Privilegien erinnert Die mir dies Haus verschafften. Ich hoffe Es macht mich nicht geduldig mit den Löchern In denen so viele Tausende sitzen. Immer noch Liegt auf dem Schrank mit den Manuskripten Mein Koffer." (BFA, Bd. XV, 205) Erzähler: Brecht bleibt - was die politischen Verhältnisse in Deutschland anbelangt - skeptisch. Sein Koffer mit den Manuskripten liegt griffbereit auf dem Schrank. Schnell hätte er zur Hand, was er bräuchte, wäre er erneut gezwungen, ins Exil zu gehen. Brecht lebt und arbeitet in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, aber er sichert sich mit der österreichischen Staatsbürgerschaft ab, die er im April 1950 erhält. Im Dezember 1949 bedankt er sich bei Helene Weigel ... Zitator Brecht: ... "für ein gutes Jahr, von dem Du das Größte warst." (263) Erzähler: Sie schenkt ihm zum Weihnachtsfest 1952 ein Buch mit No-Stücken und legt dem Buch ein Kärtchen bei, auf dem sie die Zeilen notiert: Zitatorin Weigel: "von Deiner ältesten Verehrerin, Helli" (281) Erzähler: Doch als es 1953 zu einem Streit zwischen beiden kommt, und sie das gemeinsame Haus in die Berliner Allee verlässt, zieht auch Brecht um. Er findet eine Wohnung in der Berliner Chausseestraße 125. Wenig später zieht auch die Weigel in dieses Haus ein, aber nicht in seine Wohnung. Die Briefe, die sie in den fünfziger Jahren an ihn schreibt, betreffen in erster Linie die Arbeit am Berliner Ensemble, das sie als Intendantin leitet. Zitatorin Weigel: "Lieber Bert, wir sind in absoluter Hilflosigkeit, weil verabredete Dinge nicht eingehalten werden. Ich bitte um Krach, 1. wegen Probenkoordinierung 2. wegen der täglichen Probenansage Der Einzige, der zuverlässig ist, ist unser Bunge, er wird's auf diese Weise auch bald verlernen." (320) Erzähler: Das Wort "Deine" schreibt sie nur noch gelegentlich unter ihre Briefe, die häufig diktiert und mit der Maschine geschriebenen sind. Ein allerletztes Mal steht das Wort, das Brecht so gern unter ihren Zeilen gelesen hat, unter einem Telegramm, dass sie ihm zu seinem 58. Geburtstag nach Mailand schickt. In einem dreizehn Jahre nach Brechts Tod geführten Interview bekennt Helene Weigel: Zitatorin Weigel: "Das war zwischen uns eine große Liebesbeziehung. Und das hat alles sehr, sehr weh getan! Das war nit einfach etwa." (Hecht, 54) 11. O-Ton Erdmut Wizisla, Track 13 "Sie hat sich nicht als Leidende herausgestellt, aber sie hat auch nicht verborgen, dass es ihr etwas ausgemacht hat. [...] Die haben sich ihre Beziehung erhalten können und dazu gehörten beide. Er hat sicher mehr Gefährdungen hereingebracht, aber auch er ist bei ihr geblieben und sie hat vielleicht mehr ausgehalten, aber auch sie ist am Ende geblieben. Was dabei herausgekommen ist, wenn man nur das Theater hätte, wäre ja schon beachtlich und es ist ja eine ganze Menge mehr." Erzähler: Privates erörtern beide in den Briefen aus den fünfziger Jahren eher selten - sie sind miteinander im Gespräch. Eine Ausnahme bildet der Brief, den er im November 1953 an sie adressiert. Auf den Umschlag findet sich der handschriftliche Vermerk: Zitator Brecht: "Nach meinem Tode zu öffnen / Helli" Erzähler: Brecht bittet Helene Weigel, folgendes zu veranlassen: Zitator Brecht: "1) daß der Tod sichergestellt wird, 2) daß der Sarg aus Stahl oder Eisen ist, 3) daß der Sarg nicht offen ausgestellt wird, 4) daß er, wenn er ausgestellt werden soll, im Probenhaus ausgestellt wird, 5) daß weder am Sarg noch am Grab gesprochen, höchstens das Gedicht ,An die Nachgeborenen' verlesen wird" [311] 12. O-Ton Brecht: "So verging meine Zeit Die auf Erden mir gegeben war." 13. O-Ton Weigel: "So verging meine Zeit Die auf Erden mit gegeben war." 14. O-Ton Brecht: "So verging..." 15. O-Ton Weigel: "... meine Zeit" 16. O-Ton Brecht: "und [...] meine Zeit." 1