COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 28. Dezember 2009,19.30 Uhr Ist die Krise weiblich – oder ein Konjunkturpaket für mehr Geschlechtergerechtigkeit? Eine Sendung von Mandy Schielke Musik: O-Ton Monika Schulz-Strelow Ich glaube, was zu der männlichen Ausprägung der Krise gehört, ist das Thema Macht und ist das Thema Gier. O-Ton Friederike Maier Wenn große Unternehmen Frauen gehören, werden die nicht unbedingt besser geführt. O-Ton Franziska Ihle Ich stelle eigentlich fest, dass Männer irgendwo in einer Sinnkrise stecken. O-Ton Jürgen Trittin Wir sorgen dafür, dass in den Aufsichtsräten der genetische Defekt von Männern, nämlich spekulieren zu müssen, ein Stück ausgeglichen wird. O-Ton Monika Schulz-Strelow Die Bilder, die mir da in den Kopf kamen und die dann auch in vielen Interviews zum Ausdruck kamen, war doch die, dass die Frau dann doch noch einmal die Funktion der Trümmerfrau übernommen hat. Musik: Sprecher vom Dienst: Ist die Krise weiblich - oder ein Konjunkturpaket für mehr Geschlechtergerechtigkeit? Von Mandy Schielke Atmo: Atelier, Metallsäge fein... O-Ton Sonja Fries Ich mache ein wunderschönes Armband in der Hoffnung, dass es im Vorweihnachtsgeschäft verkauft wird. Das ist jetzt kein Auftrag. Aber ich hatte eben Lust etwas Eigenständiges zu machen. Sprecherin: Ein breiter, eng anliegender Armreif. Ein androgynes Schmückstück. Der Verschluss muss noch ran. O-Ton Sonja Fries Und zwar soll das wie ein Druckknopf wirken und das wird dann nur noch so übereinander gelegt, hat solch einen Snap. Atmo: Sprecherin: Sonja Fries ist Goldschmiedin. Zwölf Jahre hat sie in New York gearbeitet bevor sie sich mit ihrem Atelier in Berlin-Mitte selbstständig gemacht hat. Im Spätsommer 2008. O-Ton Sonja Fries Im August habe ich New York verlassen, direkt vor der Krise. Ich habe New York noch blühend und geldwedelnd erlebt. Geld hat im Prinzip nur auf dieser Plastikkarte stattgefunden. Man hat Geld ausgegeben wie man lustig war.Da war der Ringkauf am Abend nach der Arbeit, wie für andere Leute, ja Wurst und Baguette noch mit nach Hause zu nehmen. Da sind Kunden bei uns im East Village vorbeigekommen, die sich Ringe zwischen 200 und 300 Dollar, ohne mit der Wimper zu zucken, mitgenommen haben. Und hier in Berlin habe ich meine Preise erst einmal halbieren müssen. Ich bin in Berlin mit dem Gefühl der Krise gestartet. Da hatte ich schon das Gefühl, dass es einem erst einmal die Luft abschnürt. Sprecherin: Die Konsequenz: kleine Schritte. Die Goldschmiedin übernahm Reparaturen, erarbeitete sich so nach und nach das Vertrauen der Nachbarschaft. Die Investitionskosten hielt sie so niedrig wie möglich. Durchhalten, darum ging es im ersten Jahr ihrer Selbstständigkeit. O-Ton Sonja Fries Es kam ganz oft so Anmerkungen, mmhhh, das muss ich mir jetzt erst einmal überlegen, das muss ich jetzt erst einmal zusammensparen, das kann ich mir aus dem Stehgreif jetzt nicht leisten. Und dann kamen oft auch so Kommentare, ob man Silber jetzt auch als Investition sehen kann, ob man Silber auch wieder versetzen kann, wenn es einmal Engpässe gibt. Sprecherin: Sonja Fries findet, dass Berlin ein guter Ort für Krisen ist. Denn durch die, im Vergleich zu New York, lächerlich niedrige Ladenmiete, konnte sie sich auch in den einnahmeschwachen Monaten über Wasser halten. Außerdem: auf Krisensituationen könne sie sich als Frau sowieso ganz gut einstellen. O-Ton Sonja Fries Die sind sicherlich fähiger zu haushalten und flexibler auf momentane Situationen eingehen zu können. Sprecherin: Frauen bewältigen Krisen – beruflich oder privat – besser als Männer, sagt auch die Berliner Psychotherapeutin Franziska Ihle. Ihre Praxis am Alexanderplatz eröffnete sie im Frühjahr 2008. O-Ton Franziska Ihle Ich hatte hier angefangen mit drei Patienten in der ersten Woche. Das waren Leute mit Angst- und Panikstörungen und auch mit Depressionen. Was ich in diesem Jahr eben sehr stark mitkriege, was sich halt gesteigert hat, viele Leute kommen mit Burn-out Syndromen. Waren es früher vorwiegend Frauen, sind es jetzt eher Männer, die hier in die Praxis kommen. Sprecherin: Zwei Drittel ihrer Patienten sind inzwischen Männer, Männer die mit dem Druck am Arbeitsplatz nicht mehr klar kommen und ihre Jobs von der Wirtschaftskrise bedroht sehen. Zeigt sich also gerade jetzt in der Krise, dass die vermeintlich kühlen Köpfe weiblich sind? O-Ton Franziska Ihle Ich stelle eigentlich fest, dass Männer in einer Sinnkrise stecken. Der Beruf ist ja sehr wichtig. Wenn alles nicht so läuft, wie es laufen soll, dann kommen sie doch schneller in eine Sinnkrise als eine Frau. Frauen können doch mehr aushalten, Frauen sind leidensfähiger. Sprecher: Und genau deshalb ist die Krise, behaupten Ökonomen und Politiker, gerade nicht weiblich. Nein. Sie ist männlich, denn die Männer sind davon schließlich auch betroffen. Das zeigt sich auf dem Arbeitsmarkt. Vor allem Männer und nicht Frauen waren es, die im vergangenen Jahr ihre Jobs verloren haben. In den USA, wo der Arbeitsmarkt deutlich stärker als hierzulande erschüttert wurde, ist übrigens nicht mehr von einer „recession“, sondern von einer „he-cession“ die Rede. Trenner Musik Sprecher: Männlich, weiblich? Welches Geschlecht hat die Krise? Ein flüchtiger Blick der Ökonomin Friederike Maier von der Fachhochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin auf die Köpfe der Wirtschafts- und Finanzkrise: O-Ton Friederike Maier Alan Greenspan für die amerikanische Zentralbank zum Beispiel. Natürlich fällt einem Herr Ackermann ein. Sprecherin: Josef Ackermann, Deutsche Bank. Außerdem die Chefs der Landesbanken, HSH Nordbank, WestLB, SachsenLB, LBBW, BayernLB und der Ex-Vorstandsvorsitzende von Deutschlands Krisenbank Nummer eins: Hypo Real Estate. O-Ton Friederike Maier Unfähige Manager gibt es ziemlich viele, unter anderen Herr Middelhoff. Sprecher: Thomas Middelhoff galt lange als Popstar unter Deutschlands Konzernchefs. Doch bei Arcandor scheiterte er grandios. Sprecherin: Der Frauenanteil in deutschen Vorstandsetagen liegt Studien zu Folge bei 2,5 Prozent. Noch ein Indiz für die Schuldfrage. Die Frauen können es also gar nicht gewesen sein. Musikakzent (kurz) Sprecher: Fazit: Krisen-Verursacher: männlich. Sprecherin: Nachdem die Bundesregierung Milliarden in die Banken gepumpt hatte, wollte sie auch die private und öffentliche Nachfrage steigern und beschloss zwei Konjunkturpakete, investierte beispielsweise in den Straßenbau, einigte sich auf die Abwrackprämie für Autos und verlängerte das Kurzarbeitergeld. Finanzspritzen für Männerbranchen. Musikakzent (kurz) Sprecher: Fazit: Krisenhilfe: männlich. O-Ton Friederike Maier Es wird alles getan um die Männerarbeitsplätze zu retten. Sprecherin: Denn die Krise, erklärt Friederike Maier, Professorin für Verteilung und Sozialpolitik, trifft jetzt vor allem das verarbeitende Gewerbe, den Maschinenbau, die Bauwirtschaft, die Autoindustrie oder die Computerbranche - Jobs, die Männer haben. Musikakzent (kurz) Sprecher: Fazit: Krisenopfer: männlich O-Ton Friederike Maier In der Kurzarbeit stecken im Wesentlichen Männer. Die Betriebe, die Kurzarbeit beantragen, sind in den Kernbereichen der Industrie. Da arbeiten vor allem Männer. Die Kurzarbeit ist ein Instrument, das die Männerarbeitsplätze rettet. Während vergleichbare Probleme im Handel nicht über Kurzarbeit geregelt werden. Woolworth hat keine Kurzarbeit beantragt sondern Insolvenz. Karstadt hat keine Kurzarbeit beantragt, sondern Insolvenz. Sprecherin: So wurden die Bandarbeiter von Opel gerettet, die Verkäuferinnen von Arcandor aber aufgegeben! Ohnehin ist für Friederike Maier die Definition der Krise als Männerkrise sehr kurzfristig gedacht. Es stimme zwar, dass im Moment Branchen betroffen seien, in denen vor allem Männer tätig sind, vergessen werde bei der Analyse: Männerkrise hingegen, wo das Geld später fehlen werde. O-Ton Friederike Maier Es wird dann zu einer Frauenkrise, wenn auf diese öffentlichen Konjunkturprogramme im nächsten Schritt darauf reagiert wird. Dass man sagt, wir müssen jetzt die öffentlichen Ausgaben einschränken und das dann konzentriert auf die Bereiche des öffentlichen Sektors, wo wir einen starken Frauenanteil haben. Kinderbetreuung, Bildungseinrichtungen, Altenpflege, Gesundheitswesen. Wenn wir in der nächsten Runde zu Einsparungen in diesen Bereichen kommen, heißt das, Frauenarbeitsplätze werden betroffen sein. Sprecherin: Auf die Männerkrise könnte also eine Frauenkrise folgen. Denn während die Statistiken zeigen, dass die Rezession im ersten Schritt vor allem sozialversicherungspflichtige Männer-Jobs verschluckt hat, werden, so die Ökonomin, im zweiten Schritt Frauen-Jobs verloren gehen: qualifizierte Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor, aber auch Stellen im Niedriglohnbereich. Und dort sind immerhin zwei Drittel der Beschäftigten Frauen. Und Minijobs, so die Expertin, seien in Deutschland sowieso Beschäftigungsverhältnisse, in den vor allem Frauen stecken. O-Ton Friederike Maier Männer in Minijobs - das kennen wir praktisch nicht. Das sind Rentner oder Studenten. Wenn Männer Minijobs machen, dann wenn sie Rentner sind oder Studenten. Aber die Kerngruppe zwischen 20 und 55 bei den Männern, die machen keine Minijobs. Und wenn, sagen wir, Lidl in der nächsten Runde beschließt, das Personal um 10.000 Leute zu reduzieren, dann trifft das Frauen, deren soziale Lage ohnehin schon sehr schlecht war und deren Chancen auf Wiederbeschäftigung ziemlich gering sind. Sprecherin: Friederike Maier rechnet vor, dass Frauen, einmal in der Arbeitslosigkeit angekommen, viel schwerer wieder herausfinden als Männer. Ihr Anteil unter den Langzeitarbeitslosen liegt bei nahezu 70 Prozent – die so genannte stille Reserve noch gar nicht eingerechnet: Die nicht arbeitslos gemeldeten Vollzeitmütter und Frauen, die sich entmutigt vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, tauchen in der Statistik nicht auf. Sprecher: Und so sind es zwar jetzt nicht die Frauen, die man am Arbeitsmarkt als die Opfer der Krise ausmacht. Das könnte in naher Zukunft jedoch ganz anders aussehen. Sprecherin: Darüber hinaus zeigt die Realität am Arbeitsmarkt auch ohne Krisen-Fokus, dass Frauen, was die Qualität von Beschäftigungsverhältnissen angeht, ohnehin schlechter dastehen als Männer. Sie arbeiten in Minijobs und häufiger im Niedriglohnsektor und gehen irregulären Jobs nach. Wenn jetzt also den Männern die guten Jobs mit Urlaubs- und Weihnachtsgeld abhanden kommen, kann noch lange nicht von einer Männerkrise gesprochen werden. Vielmehr werden sich die Jobs der Männer den Bedingungen, unter den Frauen jetzt schon tätig sind, annähern. O-Ton Friederike Maier Was ich glaube, was man sagen kann ist, dass von Krise zu Krise werden die Arbeitsverhältnisse immer stärker dereguliert und auch das Normal-Arbeitsverhältnis verschwindet auch für Männer. Auch bei den Männern werden Sie sehen, wenn diese Krise wieder überwunden wird, werden auch sie mehr irreguläre Beschäftigungsverhältnisse haben, mehr Zeitarbeit haben werden als vorher. Sprecher: Ein Blick auf vorangegangene Wirtschaftskrisen allerdings zeigt, dass Männer im Aufschwung nach einer Rezession schneller wieder zu Jobs kommen als Frauen. Sprecherin: Und noch eine andere Entwicklung prognostiziert Friederike Maier durch den Jobverlust von Männern. O-Ton Friederike Maier : Es wird in bestimmten Konstellationen, insbesondere in Ostdeutschland dazu kommen, dass wir auch Familien haben, wo die Frauen die Haupternährer sind. Gab es früher nicht so, zumindest in Westdeutschland nicht. In Ostdeutschland ist das schon in den Neunziger Jahren aufgetaucht. Da hat man gesagt, oh, das ist ja interessant. Auf einmal sind die Frauen die Ernährerinnen. Was das bedeutet für die Männer und die Gesellschaft, wenn das ein Phänomen wird, das häufiger auftritt, das kann ich noch nicht so richtig einschätzen. Aber es wird mehr Frauen geben, die die Ernährerinnen sind und das wird sicherlich etwas ändern. Sprecher: In diesem Fall könnte die Krise dann doch noch so etwas wie ein Konjunkturpaket für mehr Geschlechtergerechtigkeit werden. Trenner Musik Sprecherin: Und plötzlich war die Krise da und Männer entdeckten die Frau. O-Ton Klaus Hurrelmann: Hier passiert Bemerkenswertes. Die Mädchen drehen am Leistungsrad. Wenn das so weiter geht, dann sind die Frauen bald die neue Bildungselite…. O-Ton: Psychologe: Männliche und weibliche Führungskräfte unterscheiden sich nicht in dem Ausmaß, wie sie die von der Organisation die gesteckten Ziele erreichen. Wir konnten anhand unser Daten nicht bestätigen, dass es dort einen Unterschied im Führungserfolg weiblicher Führungskräfte gibt. O-Ton Jürgen Trittin: Wir sorgen dafür, dass in den Aufsichtsräten der genetische Defekt von Männern, nämlich spekulieren zu müssen, ausgeglichen wird. Wir führen sofort eine 50- Prozent-Quote für Frauen in den Aufsichtsräten ein. O-Ton Monika Schulz-Strelow Die Bilder, die mir da in den Kopf kamen und die dann auch in vielen Interviews zum Ausdruck kamen, war doch die, dass die Frau dann doch so ein bisschen noch einmal die Funktion der Trümmerfrau übernommen hat. Sprecherin: Monika Schulz Strelow, Unternehmensberaterin. Als Präsidentin der Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ kämpft sie seit Jahren für mehr Frauen in Führungspositionen. O-Ton Monika Schulz-Strelow Wir haben ja in Deutschland im Gegensatz zu den nordischen Ländern eine sehr männerdominierte Industrielandschaft und Wirtschaftsszene. Und jetzt gibt es Probleme - Männer verursacht – dann dürfen die Frauen in die erste Reihe, dürfen dann auch ein bisschen Schmutz wegkehren. Sprecherin: So hat die Krise beispielsweise Mary Shapiro an die Spitze der US-Börsenaufsicht gebracht. Siemens Chef Peter Löscher hat im März eine Frau als Chief Diversity Officer ins Management geholt. O-Ton Monika Schulz-Strelow Was wir merken, wenn wir das letzte Jahr sehen, dass auch bei Aufsichtsratsbesetzungen, sich dem Thema geöffnet wird, Frauen einzubeziehen. Das heißt noch nicht, dass Frauen die Positionen bekommen, aber da ist nicht mehr die kategorische Ablehnung, dass Frauen da nicht reingehören. Das hat mir eine Expertin aus einem großen deutschen Unternehmen mitgeteilt: Die Männer werden neugieriger, neugieriger auch auf Frauen als Mitglieder in den Gremien. Sprecherin: Bislang hat Deutschland nämlich, was das angeht, noch einigen Nachholbedarf. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sind Frauen in den Aufsichtsräten der 200 größten deutschen Unternehmen mit einem Anteil von neun Prozent nach wie vor massiv unterrepräsentiert. Die Krise schaffe, so Monika Schulz- Strelow, Aufmerksamkeit für diese Ungerechtigkeit. O-Ton Monika Schulz-Strelow Das ist ein wichtiger Aspekt, den wir nutzen müssen. Ich sehe, dass dieser Slot, wo wir jetzt eben stärker reinkommen in die Gremien, dass der nicht lange geöffnet ist. Es werden die Männer, die sich eine Weile weggeduckt haben, in diese Positionen wieder hineindrängen. So müssen wir Frauen im Verbund mit den Männern, die offen für diese Themen sind, müssen wir in kurzer Zeit jetzt viel bewegen. Ansonsten ist es wieder die alte Struktur. Sprecherin: Die ersten Erfolge sieht die Unternehmensberaterin bereits. Auch dank Wirtschaftskrise. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung heißt es: Sprecher: Wir werden prüfen, ob und inwieweit die Gesetze geändert und effektiver gestaltet werden müssen. Der Anteil von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst soll maßgeblich erhöht werden. Dazu wird ein Stufenplan, insbesondere zur Erhöhung des Anteils von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten vorgelegt. Sprecherin: Eine gesetzliche verankerte Frauenquote in Führungsgremien, wie es sie beispielsweise in Norwegen gibt und wie sie auch in den Niederlanden geplant ist, ist in Deutschland zunächst nicht vorgesehen. Dennoch verspricht sich Monika Schulz- Strelow einiges von dem so genannten Stufenplan. Die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft von 2001, mehr Frauen Führungspositionen zu geben, habe nämlich, so die Unternehmensberaterin, überhaupt nichts gebracht. Musik Sprecher: Die Krise: Ein Konjunkturpakt für mehr Geschlechter-Gerechtigkeit? Das wäre ein schönes Bild, findet die Unternehmensberaterin Monika Schulz-Strelow. O-Ton Monika Schulz-Strelow Das sehen wir nur leider noch nicht. Wir sehen nur, die jetzige Bundesregierung unterstützt zum ersten Mal dieses Thema, indem ein Stufenplan für mehr Frauen in Aufsichtsräte entwickelt wird vom zuständigen Familienministerium. Sprecher: Die Finanz- und Wirtschaftskrise und die sich darum rankenden Debatten: davon können Frauen also profitieren. Sprecherin: Das mag für die wenigen topqualifizierten Frauen gelten, die jetzt möglicherweise eine größere Chance haben, in die Chefsessel dieser Republik zu gelangen. Doch dabei handelt es sich nun einmal nur um eine Minderheit, erklärt Friederike Maier, Professorin für Verteilung und Sozialpolitik. Sie prognostiziert: die Krise wird langfristig für Rückschläge in der Geschlechtergerechtigkeit sorgen. O-Ton Friederike Maier Weil in solchen Krisen immer Diskussionen aufkommen – auch bei uns, müssen Frauen überhaupt erwerbstätig sein, müssen sie auf Arbeitsplätzen sein, die auch Männer einnehmen könnten. Es gibt in jeder Krise eine Debatte, die heißt, sind Frauen nicht nur Zweitverdiener und sollten die nicht zurückstecken, wenn Männer arbeitslos werden. Diese Diskussion wird immer kommen. Sprecherin: So forderte ihr Kollege Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Paare im vergangenen Sommer dazu auf, die Krise als Chance für eine Kinderpause zu nutzen. O-Ton Friederike Maier Das ist so eine Debatte; Frauen gehören eigentlich nicht auf den Arbeitsmarkt und jetzt haben wir auch noch eine Krise und die nutzen wir jetzt, um zu thematisieren, sind Frauen nicht eigentlich doch nur Zuverdienerinnen? Können die nicht jetzt, wo es den Männern so schlecht geht, sagen o.k. ich bekomme jetzt Kinder oder ich nehme das Betreuungsgeld und bleibe drei Jahre zu Hause. Sprecherin: Verteilungsfragen werden in Krisen immer neu aufgerollt, sagt die Ökonomin. Ein Konjunkturpaket für mehr Geschlechtergerechtigkeit sind sie in dieser Hinsicht sicher nicht. Trenner Musik Sprecherin: Die Krise bringt es hervor: Frauen sind die besseren Unternehmer! Atmo: Briefträger kommt ins Geschäft Moin Moin... O-Ton Carolin Grüber Mein Name ist Carolin Grüber. Ich vertreibe Designer aus Australien und Israel, inzwischen auch ein paar aus New York und Kanada, die noch nicht auf dem deutschen Markt waren, die sind im hohen Preissegment und auf ihren Heimatmärkten und in modeaffineren Städten wie Paris und London erfolgreich sind. Ich habe hier ein klassisches Ladengeschäft in Hamburg und kümmere mich für einzelne Labels auch um den Weiterverkauf an andere Shops. Sprecherin: Die junge Frau hat 2008 die Plattform CVG gegründet, eine Plattform, über die sie die Kleider der ausländischen Modemacher verkauft. Carolin Grüber hat Literaturwissenschaft studiert und später bei einem großen PR-Unternehmen in der Wirtschaftskommunikation für Firmenfusionen gearbeitet. Die Geschäftsidee, Modedesignern aus dem Ausland beim Sprung auf den deutschen Markt zu helfen, schwirrt seit zehn Jahren in ihrem Kopf herum. Im Sommer 2008 dann gründete sie CVG, pünktlich zur Krise. O-Ton Carolin Grüber Ich hatte relativ schnell ein erhebliches Problem, denn ich habe Fremdkapital bei mir mit drin. Ein Investor war ziemlich schnell zahlungsunfähig, weil der sehr früh, weil er etwas mit dem amerikanischen Markt zu tun hat, betroffen war. Ich war also auch sofort betroffen und musste mich direkt in den Anfängen der Finanzkrise um eine andere Finanzierung bemühen. Sprecherin: Die Modelabel, mit denen sie zusammenarbeitet, sind keine Konzerne, sondern kleine Firmen und die gerieten durch die Finanz- und Wirtschaftskrise, ob in Australien, den USA, Kanada oder Australien, schnell in Schwierigkeiten. Stofflieferanten stoppten Lieferungen. Der Zahlungsverkehr in der gesamten Branche änderte sich im vergangenen Jahr, sagt die Jungunternehmerin. Auch sie musste die Ware, die sie für ihren Laden in Hamburg bestellte, nun schon zum größten Teil direkt bei der Bestellung bezahlen. Die Konsequenz: O-Ton Carolin Grüber Ich habe auf kleinerer Flamme angefangen und ein paar Sachen anders ausgerichtet. Das Ganze hat mich nicht in Schwierigkeiten gebracht aber alles verlangsamt. Die Idee geht jetzt in Babyschrittchen vorwärts. Sprecherin: Ihren Businessplan hat sie in den ersten Monaten ihrer Selbstständigkeit mindestens fünf Mal umgeschrieben, erzählt sie. Der Erfolgsdruck ist hoch. O-Ton Carolin Grüber Zum einen habe ich versucht, das ganz Negative auszublenden, damit man nicht in einen Lähmungszustand kommt und was für jeden Unternehmer essentiell ist, dass man sich einen alternativen Weg überlegt, wenn einer gerade nicht geht. Dass man nicht aufhört und sagt, die Welt ist gemein, die Finanzkrise hat mich ruiniert und ich kann nichts dafür, sondern dass man sich Alternativen überlegt und es gibt immer irgendeinen Weg. Sprecherin: Ihr Umweg zum Ziel: unter anderem ein Online-Shop. Außerdem kümmert sie sich um die Pressearbeit für die zwölf ausländischen Labels. Eigentlich wollte Carolin Grüber fast anderthalb Jahre nach der Gründung bereits weiter sein mit ihrem Unternehmen. Die Kleider von Avsh Alom Gur, Cynthia Rowley oder Smythe sollten jetzt schon in Boutiquen in München, Berlin oder Frankfurt zu haben sein. Sie sagt, beim Weg durch die ersten schwierigen Krisenmonate haben ihr vor allem Freunde und ein gut funktionierendes Netzwerk geholfen. Sie kennt eine ganze Reihe junger Unternehmer, denen die Rezession Probleme bereitet. O-Ton Carolin Grüber Ich habe das Gefühl, dass Frauen lösungsorientierter damit umgehen. Ich glaube sie nehmen es weniger persönlich. Dass sie einfach versuchen einen Ausweg zu finden, je nach dem wenn man einen Job verloren hat, die Firma für die man gearbeitet hat Pleite gegangen ist, sich selber wieder neu aufzubauen. Und es dort weniger das persönliche Ego trifft als bei Männern. Trenner Musik Sprecherin: Sind Frauen also die besseren Unternehmer, weil sie berufliche Rückschläge eher bewältigen können? Sprecher: Monika Schulz-Strelow behauptete in einem Interview, das sie vor einem Jahr einem großen deutschen Online-Magazin gab: Gebe es in Banken mehr weibliche Topleute wäre es nicht zur Krise gekommen. O-Ton Monika Schulz-Strelow Ich würde das immer noch unterstreichen. Was ziemlich viel untersucht worden ist gerade im letzten Jahr sind die Verhaltensmuster, die Frauen in diese Gremien reinbringen. Es ist eine andere Fragekultur, da gibt es eine andere Risikobereitschaft, die ist geringer als bei Männern. Sie sind risikoaverser. Sprecherin: Die Ökonomin von der Fachhochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin ist da skeptischer. O-Ton Friederike Maier Es gibt empirische Untersuchungen, die zeigen, die Tatsache, dass Frauen beispielsweise vorsichtiger sind mit ihren Finanzanlagen, hat eher damit zu tun, dass sie so wenig Geld haben als mit irgendeiner weiblichen Risikostrategie. Wenn Frauen über die gleichen Ressourcen verfügen würden wie Männer, ob sie dann anders wären als Männer, ist eine offene Frage. Sprecherin: Das bestätigt auch eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: Dass Frauen bei Geldanlangen weniger risikofreudig sind, liegt demzufolge nicht daran, dass Frauen grundsätzlich vorsichtiger sind. Vielmehr haben Frauen oft weniger Einkommen und Vermögen. Bei gleichen finanziellen Grundvoraussetzungen zeigen, so die Wissenschaftler, Männer und Frauen die gleiche Neigung zu riskanten Anlageprodukten. Das mag für die Untersuchungen in privaten Haushalten stimmen, im professionellen Leben jedoch erkennt Monika Schulz-Strelow durchaus Verhaltensunterschiede bei Männern und Frauen. O-Ton Monika Schulz-Strelow Das, was Frauen ausmacht, was Männer nicht so gern sehen, ist, dass Frauen inhaltlich nachfragen. Durch das Unterbrechen dieser Kommunikationskultur in reinen Männergremien machen sie auf Fehlentwicklungen aufmerksam und sie werden anders dazu diskutieren. Sprecherin: Die Jungunternehmerin Carolin Grüber aus Hamburg kann das nur bestätigen. O-Ton Carolin Grüber Ich finde – und ich habe vorher in einem Job gearbeitet, wo wenige Frauen waren, wo ich viel mit Männern zusammen gearbeitet habe –dass Frauen weniger eitel sind im Job. Da fällt das Gockelsein häufiger weg, die müssen sich nicht selbst präsentieren, sondern sie sind häufiger daran interessiert, irgendeine Sache nach vorn zu bringen. Deswegen haben sie es zwar auch karrieretechnisch schwer, aber deshalb stolpern sie nicht über die eigene Eitelkeit in solchen Krisensituationen. Sprecherin: Trotzdem: O-Ton Friederike Maier Wenn große Unternehmen Frauen gehören, werden sie nicht unbedingt besser geführt. Trenner Musik O-Ton Franziska Ihle Ich stelle eigentlich fest, dass Männer in einer Sinnkrise stecken. O-Ton: Psychologe: Männliche und weibliche Führungskräfte unterscheiden sich nicht. Regie: Musik kurz hoch O-Ton Friederike Maier Frauenbeschäftigung ist heute nicht mehr eine Manövriermasse. Jetzt ist Krise - alle Frauen raus. Das geht so nicht mehr. Die Frauen wollen das nicht, die Betriebe wollen das auch nicht in bestimmten Bereichen. Man kann die Krise nicht dadurch lösen, dass Männer jetzt Frauenarbeitsplätze übernehmen. Was man früher einmal gedacht hat. In den 50er und 60er Jahren war mal die Vorstellung, Frauen an den Herd und die Männer machen deren Arbeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es offensive Politiken, die gesagt haben: diese Arbeitsplätze müssen jetzt mit Männern besetzt werden und die Frauen gehen bitte wieder alle nach Hause. Sprecherin: 2010 ist das anders. O-Ton Monika Schulz-Strelow Es bewegt sich etwas auf der politischen Seite, es bewegt sich etwas in der Wirtschaft, es bewegt sich auch etwas bei Frauenverbänden, es bewegt sich etwas draußen, international. Dass wir sagen, das lassen wir uns nicht kaputt reden, denn viele Männer mögen dieses Thema Gleichstellung nicht gern hören. Das ist für die ein ganz schwieriges Kapitel, Diversity und Vielfalt, das ist für viele Männer einfach ein mühsames Kapitel. Gender – schon gar nicht. Da reagieren sie ganz zurückhaltend. Das ist eine Erfahrung und deshalb ist es für uns wichtig, dass wir die Sachebene erreichen, eine offene Diskussionssituation schaffen – alles ohne Schuldzuweisungen. Ansonsten bekommen wir es nicht verändert. Musik Sprecherin: Die Krise kann eine Chance sein für mehr Geschlechter-Gerechtigkeit in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft. Auf anderen Ebenen kann der Effekt der Krise genau gegenteilig sein, wie die Ökonomin Friederike Maier erläutert hat. Und dennoch. Dass eine Wirtschaftskrise und die daraus resultierende Rezession in den Dimensionen männlich, weiblich diskutiert werden – in der Politik, in den Medien und in der Wirtschaft, das findet sie erfreulich. O-Ton Friederike Maier Die Tatsache, dass wir heute darüber reden, zeigt schon, man kann das nicht mehr ausblenden. Und das ist ein Fortschritt, es ist kein gleichstellungspolitischer Fortschritt, aber ein Fortschritt in der Sensibilität für die Geschlechterdimension in der Gesellschaft. Sp. v. Dienst: Ist die Krise weiblich - oder: Ein Konjunkturpaket für mehr Geschlechtergerechtigkeit? Von Mandy Schielke Es sprachen: Bettina Hoppe und Christian Gaul Ton: Kirsten Klatte Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1