HINTERGRUND KULTUR UND POLITIK Organisationseinheit 39 Reihe Literatur Kostenträger P.3.3.03.0 Titel Auf dem Pulverfass der Religionen und Konfessionen – Theologie, Politik und Literatur im Libanon AutorIn Margarete Blümel RedakteurIn Dr. Jörg Plath Sendetermin 16.09.2018 Ton Regie Stefanie Lazai Besetzung Karim Cherif, Ursina Lardi, Anika Mauer Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig © Deutschlandradio Musik 1 (K. Arnold) Sprecher 1 (Zitat und VO): Staub am Horizont der Seele wirbelt auf, unsere Städte werden zerfressen in der Blüte ihrer Niederlagen. Unsere Dörfer sind Minarette, die nur noch von der Angst bestiegen werden. Unsere Särge gehen voran wie Möwen bei Sonnenuntergang, die bei Morgenanbruch mit den Toten entschwinden. Was können wir für unsere Heimat noch tun, was? Musik 1 (K. Arnold) Sprecher 1 (Zitat und VO): Die Nacht hat sich auf das Lager meines Landes gelegt, die Krähen des Untergangs haben sich auf den Wunden niedergelassen. Und die, die dich auswählten, um den Krieg im Namen deiner Sicherheit fortzuführen, haben dich betrogen. Sie wichen zur nächsten Wegbiegung zurück, um die Beute aufzuteilen. Wohin kannst du also fliehen? Über welchen Gräbern wird deine weiße Flagge flattern? Musik 1 (K. Arnold) bitte Kreuzblende Atmo 1 Café in Beirut O-Ton 1 Chawki Bazih (arab.) Sprecher 1 (Zitat und VO) Ich heiße Chawki Bazih und bin Dichter. Als ich der Übersetzerin Leslie Tramontini mein Gedicht „Die Elegie des Staubes” zur Übersetzung vorschlug, war mir erst ein bisschen bang. Es ist vielleicht zu schwierig, dachte ich. Und werden deutsche Leser die diffizile Geographie des Libanon verstehen? Die Verbindungen zwischen Ebenen und Bergen, Meer- und Bergwelt, zwischen dem, was man sieht, und dem, was sich nur erahnen lässt? Und dann unsere andere, unsere historische Geographie – die politischen Wirren, die bis heute andauern, und der fünfzehn Jahre währende Bürgerkrieg? Atmo 1 Café in Beirut / Musik 1 (K. Arnold) Sprecher 1 (Zitat und VO): Staub am Horizont der Seele wirbelt auf. Seine Richtung: nirgendwo. Was die Kriege hinterließen geriet unter die Trümmer, überließ denen, die danach kommen, eine Rose aus Rauch. Musik 1 (K. Arnold) Sprecher 1 (Zitat und VO): Adieu also, adieu dem Felsen, dessen Grund das Herz vergeblich wusch, adieu dem Pfirsichbaum, der seine Lider schließt an der Terrasse des Hauses, adieu den Freunden, die zu Schaum geworden sind auf den Wogen der Zeit. Musik 1 (K. Arnold) bitte Kreuzblende mit Atmo 1 Café in Beirut Sprecherin 1: Chawki Bazih sitzt mit seinem Dichterfreund Mohamed Nasereddeenin in einem Café im West-Beiruter Ausgehviertel Hamra. Der Libanese Chawki Bazih ist 67 Jahre alt und einer der bekanntesten Dichter der arabischen Welt. Wenn das verschmitzte Chawki-Bazih-Lächeln auf seinem runden Gesicht erscheint, wird es ganz weich, die Augen blitzen, und er wirkt mindestens drei Jahrzehnte jünger. Atmo 1 Café in Beirut Sprecherin 1: An den Nebentischen trinken junge Männer und Frauen Café au Lait, blättern in englischen oder französischen Journalen oder blicken auf den Bildschirm ihres Notebooks. Die Frauen tragen unarabisch kurze Röcke, ihre Dekolletés lassen tief blicken. Atmo 2 Café in Beirut C. Bazih u. M. Nasereddeenin unterhalten s. (arab.) Sprecherin 1: Chawki Bazih und Mohamed Nasereddeenin schauen gar nicht hin. Die beiden Dichter kommen oft hierher. Um den guten Kaffee und das Salzgebäck zu genießen, die in diesem Café besonders schmackhaft zubereitet werden. Und um sich zu entspannen. Atmo 2 Café in Beirut C. Bazih u. M. Nasereddeenin unterhalten s. (arab.) Sprecherin 1: Um zu vergessen, dass es in Beirut überall und jederzeit zu einem Bombenattentat kommen kann. Zu Anschlägen, die fast immer auf Kritiker oder Gegner der schiitischen Hisbollah zielen, aber oft genug Dutzende andere mit in den Tod reißen. Mit mehr als 6,3 Millionen ihrer Landsleute sitzen Chawki Bazih und sein Freund Mohamed Nasereddeenin auf einem Pulverfass der Konfessionen. Der im Libanon praktizierte Konfessionalismus bedeutet, dass Vertreter von achtzehn islamischen und christlichen Religionsgemeinschaften die Geschicke des Landes leiten. Die Macht liegt nicht beim Volk, sondern sie wird von den religiösen Führern, ausgeübt, deren Zahl und politische Funktionen durch ein Proporzsystem geregelt wird. Viele Libanesen beklagen, dass der dauernde Verteilungskampf ihre politischen Oberhäupter weit mehr interessiere als die grassierende Armut, als Jobs für die große Zahl junger Leute, der ständige Stromausfall und die unzuverlässige Müllentsorgung. Atmo 2 Café in Beirut C. Bazih u. M. Nasereddeenin unterhalten s. (arab.) Sprecherin 1: All das und die Tatsache, dass die letzten Wahlen nicht das Geringste an den Alltagssorgen, der Sicherheitslage, der Korruption oder der Vetternwirtschaft geändert haben, versuchen Chawki Bazih und Mohamed Nasereddeenin zumindest für die Dauer ihrer Café-Besuche zu verdrängen. Um stattdessen ausführlich über ihr Lieblingsthema zu sprechen – über die Poesie. O-Ton 2 Chawki Bazih (arab.) Sprecher 1 (Zitat und VO) Dichter haben in der arabischen Welt und damit auch bei uns, im Libanon, ein dankbares und aufmerksames Publikum. Das ist ein Privileg, dem eine Pflicht erwächst. Für mich bedeutet sie, nicht nur um mich selbst zu kreisen und mich um meine Gefühle zu kümmern, sondern auch um die Dinge, die meine Leser und Leserinnen bewegen. Ich hatte eine gute Kindheit, die ich im Süden Libanons verbracht habe. Aus diesem Füllhorn, aus diesem inneren Reichtum heraus vermag ich, Figuren zu erschaffen und Bilder zu entwerfen, mit denen sich viele Menschen identifizieren können. Sprecherin 1: Dazu gehören Bezüge auf die wechselvolle Geschichte Libanons, fügt Chawki Bazih hinzu. In seinem Heimatland sei das ein Balanceakt – kein Libanese schlage eine gute Prise Eskapismus aus. Doch das Leid vieler Menschen sei so groß, dass die Lebensrealität immer wieder rasch die Oberhand gewinne. O-Ton 3 Chawki Bazih (arab.) Sprecher 1 (Zitat und VO) Unsere Geschichte gibt für Romane mehr als genug Stoff her. Allein der Bürgerkrieg, in dem zwischen 1975 und 1990 verschiedene Religionsgruppen gegeneinander kämpften, hat unzählige Tote gefordert und Überlebende mit schweren Traumata hinterlassen. In Romanen und Erzählungen versuchen Schriftsteller bis heute, das Geschehene zu verarbeiten. Und es ist unvermeidlich, dass auch unsere Dichtung von all dem Schmerz durchdrungen ist. Musik 1 (K. Arnold) Sprecher 1 (Zitat und VO): Ich bin zwei, die nichts hören außer dem Wind, der in ihren Ruinen donnert, und die sich gegenüberstehen an den zwei Ufern dieses Krieges. Und jeder deutet erstaunt auf den Kopf seines Kameraden und fragt: Wer hat dich getötet? Musik 1 (K. Arnold) Sprecher 1 (Zitat und VO): Staub am Horizont der Seele wirbelt auf. Und das Kind in mir entfernt sich in eine endlose Finsternis, erhellt von seiner Trauer. Musik 1 (K. Arnold) O-Ton 4 Mohamed Nasereddeenin “I am a reader of his experience ... I feel same time very beautiful.” Sprecher 1 (Zitat und VO) Ich nehme voller Freude an Chawkis Erfahrungen teil. „Die Elegie des Staubes” hat etwas Reales, Greifbares. Und seine Verse zeugen von Reife. Sie berühren mich und ich lerne aus ihnen. Und zugleich bergen diese Worte eine große Schönheit. O-Ton 5 Chawki Bazih (arab.) Sprecher 1 (Zitat und VO) Meine Gedichte sind vielleicht nicht immer einfach. Umso dankbarer bin ich dann, wenn sogar ihre Übersetzung geglückt zu sein scheint. Natürlich ist die Übertragung von Gedichten besonders schwierig und immer mit einem Verlust verbunden. Was das angeht, machen es sich Kollegen, die sich arabischer Versmaße bedienen, gleich doppelt schwer, weil sich die Struktur nicht angleichen lässt. Es ist einfacher, wenn der Dichter über die Grenzen der Metrik hinausgeht. Wenn er Bilder sprechen lässt und existenzielle Fragen anspricht. Wenn er zum und mit dem Leser spricht. Die arabischen Klassiker dagegen verzetteln sich, weil ihr Versmaß starr ist. Die Metren bestehen zum Beispiel aus langen und kurzen Silben, die in immer gleicher Folge aufeinandertreffen. Deren Sinn und eventuell auch ihre Kunstfertigkeit erschließen sich nur einem Leser, der Arabisch beherrscht. Ich habe mir aber sagen lassen, dass mein Kollege Adonis eine Ausnahme darstellt. Sprecherin 1: Adonis:„Nachruf auf einen Schmetterling“. Sprecher 1 (Zitat und VO): Es werden alle sterben, und im Schatten der Jahreszeiten wohnen wie ich, wo es keinen Nachbarn gibt, außer unserem Widerhall. In Ruß und in die Gräser, als wir sie überquerten, zeichneten wir einmal die Schatten unserer Schritte. Für die Nachkommenden hier hinterlassen wir eine Spur, wenn sie der Sonne entfliehen und sie fallen, berauscht von unserem Widerhall und unseren Heldentaten. Atmo 3 Café in Beirut / lautes Reden Sprecherin 1: Es ist laut geworden in Chawki Bazihs Stammcafé. Und voll. Jetzt, am frühen Abend, wenn eine Menge, die bis auf die Straße reicht, auf einen frei werdenden Platz warte, sei dies nicht mehr der Ort, um über Poesie zu sprechen, sagt der sich zum Aufbruch rüstende Dichter. Oder? Und – wollten Sie nicht ohnehin nochmals Ihre Notizen für das Gespräch mit Joumana Haddad morgen durchsehen? Atmo 4 Straßenverkehr Beirut Sprecherin 1: Die Hotelangestellten haben mich eindringlich gewarnt: Zu weit, der Verkehr ist mörderisch, viel zu gefährlich – und auf keinen Fall zu Fuß! Atmo 4 Straßenverkehr Beirut Sprecherin 1: Das Büro von Joumana Haddad liegt im Ost-Beiruter Stadtteil Achrafieh, einem eher wohlhabenden Bezirk, in dem viele Christen leben. Die 48-jährige Schriftstellerin mit den wilden, schwarzen Locken kommt aus einem konservativen Elternhaus und hat 14 Jahre in einer Klosterschule verbracht. In ihren Romanen und Streitschriften betont sie immer wieder, dass jede Araberin der starren Traditionen wegen eine schwere Bürde trage, aber auch selbst für ihre Lage verantwortlich sei. Ihre eigene Entwicklung zu einer mutigen, selbstbestimmten Frau und ihre Sicht auf ihr Heimatland und dessen Hauptstadt schildert Haddad nachdrücklich in dem Buch „Wie ich Scheherazade tötete“. Atmo 4 Straßenverkehr Beirut Sprecherin 2 (VO und Zitat) J. Haddad : Beirut – das ist die Stadt, in der man sich als Bewohner wie der Darsteller in einer Seifenoper vorkommt. Wo Schwule und Lesben sich verstecken müssen, so, als wäre ihre Sexualität eine todbringende, ansteckende Krankheit. Wo sich sämtliche Politiker in einem dauernden Machtkampf befinden, wie ein Haufen gackernder Hühner, die alle nach denselben paar Krümeln picken, während sich keine Hand für eine zivile, kultivierte und aufgeklärte Gesellschaft rührt. Atmo 4 Straßenverkehr Beirut Sprecherin 1: Vom Hotel aus gehe ich etwas mehr als eine Stunde nach Achrafieh. Es ist ein Slalom durch Häuserschluchten und über lärmende, mehrspurige Hauptstraßen hinweg. Atmo 4 Straßenverkehr Beirut Sprecherin 1: Eine komplett verhüllte Frau bleibt mitten auf der Straße stehen, um mich bei der Hand zu nehmen, und geleitet mich, „Inschallah“ – „So Gott will!“ – murmelnd, durch den brausenden Verkehr auf die andere Seite der Straße. Kurz darauf sprintet der Security-Mann eines Hotels herbei, teilt mit gebieterischer Geste den Verkehrsstrom und bringt die von deutschen Verkehrsregeln und Ampeln verwöhnte Deutsche dem Ziel näher. Atmo 4 Straßenverkehr Beirut Sprecherin 1: Ich blicke einer Metropole der Gegensätze ins Gesicht: Pompöse Villen mit elektrisch betriebenen Garagen, vor denen teure Sportwagen der Besitzer und Besucher parken. Nicht weit davon eine Ansammlung schmalbrüstiger, verwahrlost wirkender Flachbauten. Verschlissene Unterhemden und durchgescheuerte Tuchhosen grüßen von Wäscheleinen auf den Balkonen. Atmo 4 Straßenverkehr Beirut bitte Kreuzblende mit Musik 2 „Li Beirut“ Teil 1 (Fairuz) Sprecherin 2 (Zitat und VO / J. Haddad): Ich bin zwar in Beirut aufgewachsen, aber ich habe mich der Stadt niemals in irgendeiner Weise zugehörig gefühlt. Das mag daran liegen, dass ich das hässliche, grausame, harte Gesicht dieser Stadt gesehen habe: die Fratze des Krieges, der Not, des Tötens, des Sichverkriechens in den Bunkern. Musik 2 „Li Beirut“ Teil 1 (Fairuz) bitte hoch und blenden Sprecherin 1: Schreibt Joumana Haddad in „Wie ich Scheherazade tötete“. Im Libanon geht die Autorin gerade noch als Enfant terrible durch. In vielen anderen arabischen Ländern jedoch, etwa in Saudi-Arabien, Kuwait oder Bahrain, gilt die couragierte Libanesin als Paria. Die Freizügigkeit und Häufigkeit, mit der sie über Sex und Erotik schreibt, kommt vor allem bei vielen Männern nicht gut an. Von Haddads Kritik an den patriarchalischen Strukturen in der arabischen Welt ganz zu schweigen. In der Heimat dagegen kann die Literatin bei jenen Themen Zustimmung verbuchen, die viele ihrer Landsleute, gleich ob männlich oder weiblich, ärgern oder sogar schmerzen: beim Müll, in dem die Hauptstadt, wie ihre Bewohner oft klagen, bald versinken, beim Straßenverkehr, an dem sie ersticken wird. Und wenn es in nicht allzu ferner Zeit soweit sei, werde man nicht einmal einen Notruf auslösen können – weil es dann bestimmt gerade mal wieder keinen Strom gebe und weder das Telefon noch das Internet funktioniere. Beirut, so Joumana Haddad, sei ein von allen guten Geistern verlassener Moloch. Musik 3 “Li Beirut“ Teil 2 (Fairuz) Sprecherin 2 (Zitat und VO / J. Haddad): Wenn ich mir das heutige Beirut ansehe, dann erblicke ich eine Frau, die ihre Identität eingebüßt hat, die in endlosen Schönheitsoperationen gefangen ist, die ständig in den Spiegel starrt, statt in die eigene Seele zu schauen, die versucht, etwas von ihrem früheren Zauber, ihrer einstigen Grazie und ihrem vergangenen Glanz zurückzuholen. Wo sich ihr Herz befindet? Ich weiß es nicht. In welchem Takt es schlägt? Auch das weiß ich nicht. Musik 3 Li Beirut Teil 2 Sprecherin 2 (Zitat und VO / J. Haddad): Ich fühle mich von Beirut nicht angezogen, und ich habe das leise Gefühl, dass diese Stadt mich auch nicht besonders leiden kann. Müsste ich mich aber für eine Seite Beiruts entscheiden, die mir weniger suspekt ist als die anderen, dann wäre es das nächtliche Gesicht der Stadt. Ich mag ihre Dunkelheit, ihren Lärm, wie sie sich freizügig ihren Launen und Gelüsten hingibt. Nachts wäscht sich diese Stadt ihre Schminke ab und zieht unverkleidet und ohne Perücke los. Wenn es Nacht wird, verwandelt sich Beirut in eine verwundbare Frau. In einen Ort, an dem Anarchie als Ordnung gilt. Einen Ort, an dem am Ende aber auch die Vorstellungen von Ehre aufs Engste mit dem verbunden sind, was sich zwischen den Schenkeln eines Mädchens befindet. Beirut ist die Königin der Widersprüche. Musik 2 Li Beirut (Fairuz) Teil 2 Sprecherin 1: Ein Spitzenhotel auf dem Weg zu Joumana Haddads Büro: verspiegelte Glasfront, Live-Unterhaltung, ein Arsenal feiner Boutiquen. Die Schaufensterpuppen sind entweder kurz und knapp bekleidet oder tragen schicke Unterwäsche für ebensolche Damen: aus schmalen Bändern und Schnüren bestehende Tanga-Slips und seidene Push-Up-Büstenhalter. Vor dem Schaufenster löffeln drei vollverschleierte Frauen mit ihren Enkeln auf den Armen völlig ungerührt ihr Pistazieneis. Atmo 5 Shopping-Centre Sprecherin 1: Zwei Läden weiter drücken sich vier jüngere Damen in Shorts und engen Tops die Gesichter an der Scheibe des Handtaschen-Shops platt. Ihre Nasen sehen identisch aus. Ihre Lippen und ihre Körper ebenfalls. Feine, kleine Nasen. Enorm pralle Lippen. Die Figur rank und schlank. Und dazu ein Busen, der es in sich hat. Musik 4 The Blaze Territory Sprecherin 1: Wie sagte Chaqi Bazihs Freund Mohamed Nasereddeenin gestern Abend? Er habe manchmal schon Lust, ein Gedicht über das „Phänomen der konformistischen Schönheit“ zu verfassen. O-Ton 6 Mohamed Nasereddeenin “It's called the 'botox loan'. You go to the bank … to make herself conform to this figure. This is conformism.“ Sprecher 1 (Zitat und VO) Das Ganze nennt sich Botox-Darlehen. Sie finden es auf Google. Libanesische Frauen nehmen ein Darlehen für kosmetische Eingriffe auf, das sie drei Jahre lang abbezahlen. Das ist sehr verbreitet. Die Männer entscheiden darüber, wie die Frauen auszusehen haben. Und die Frauen passen sich dem an. Das ist schierer Konformismus. Musik 4 The Blaze Territory Sprecherin 1: Joumana Haddad hält von Konformismus gar nichts. Die 48-jährige Autorin, Übersetzerin und Künstlerin hat etwas im arabischen Raum bisher nie Dagewesenes geschaffen: ein erotisches Magazin für Frauen. Sie spricht sich immer wieder gegen die Unterwürfigkeit arabischer Frauen aus, die sich erniedrigen, etwa durch Schönheits-OPs, um die Gunst der Männer zu gewinnen und das Prestige ihrer Partner zu heben. Ihre Proteste haben Joumana Haddad viele dankbare Emails und Briefe von Leidensgenossinnen beschert. Außerdem eine Menge ziemlich herablassender Kritik aus der Männerwelt sowie Hass-Emails. Sprecherin 2 (Zitat und VO / J. Haddad): Dich sollte man zu Tode steinigen! In der Hölle sollst du schmoren! Sie sollten sich was schämen – Sie verderben unsere Kinder! Gott wird dich strafen. Wir beten darum, dass jemand dich mit Säure übergießt. Musik 5 Sprecherin 2 (Zitat und VO / J. Haddad): Als Frau in einem arabischen Land kompromisslos zu schreiben, heißt, frech, unverfroren und unerschrocken zu sein. Es bedeutet, auf den Skandal gefasst zu sein. Und weil dies allgemein bekannt ist, wird jede schreibende Frau mit einem Schwall von patriarchalischen Anschuldigungen überzogen. So werden etwa heiße Sexszenen in Romanen aus weiblicher Feder gern und häufig als Vorwand für Verunglimpfungen und Gerüchte über das Geschlechtsleben der Verfasserin und ihre sexuellen Abenteuer missbraucht. Musik 5 Sprecherin 2 (Zitat und VO / J. Haddad): Es ist kein Zufall, dass mein erster Gedichtband auf Französisch erschien. Mit der feigen Flucht ins Französische wich ich der Konfrontation mit dem Arabischen aus. Das Arabische hält nämlich große Stücke auf seinen Reichtum an Allegorien, Symbolen und Synonymen. Warum also ein Risiko eingehen und von Brüsten sprechen, wenn man sich über Hügel oder Berge (je nach Körbchengröße) oder über Äpfel oder Birnen (je nach Form der Wölbung) ergehen kann? Warum Gefahr laufen, das Feingefühl des Lesers durch namentliche Erwähnung der Klitoris zu verletzen, wenn man mit etwas Fantasie auch von der Paradiesblüte, der Himmelslippe oder, wenn man es richtig drauf hat, von des Vulkanes Türknauf schwärmen kann? Musik 5 bitte harte Blende Sprecherin 1: Unsere Begegnung findet nicht statt. Joumana Haddad ist nicht in ihrem Büro. Ich kehre ins Hotel zurück, wo mich eine Nachricht von ihr erwartet. Sie musste plötzlich einen ihrer Söhne ins Krankenhaus begleiten und hatte meine Telefonnummer verlegt. Sprecherin 2 (Zitat und VO / J. Haddad): Und wie ich vorher schon geschrieben hatte – morgen fliege ich ja für ein paar Wochen nach Paris! Wollen Sie nicht vielleicht meine Freundin und Kollegin Alawiyya Sobh besuchen? Ich habe ihr bereits von Ihnen erzählt! Sie sind herzlich eingeladen. Übermorgen wird die Verlegerin Rania Moallem vom hiesigen Verlagshaus Dar Al-Saqi bei ihr sein. Sie kennt sich bestens in der arabischen Literaturszene aus und freut sich, Sie kennenzulernen. Atmo 6 Muezzin ruft zum Gebet Sprecherin 1: Beirut, zwei Tage später. Im Taxi vorbei an einer Vielzahl von Moscheen und einigen Kirchen, die mit großen Vorplätzen versehen und von Bäumen gesäumt sind. Die christlichen Gotteshäuser sind geschlossen, die islamischen öffnen ihre Pforten. Der Muezzin ruft die Gläubigen zum Mittagsgebet. Atmo 6 Muezzin ruft zum Gebet Sprecherin 1: Hier im Westen Beiruts zeigt die Stadt ihre vernarbte, schroffe Schönheit. Die Spuren des Bürgerkriegs sind unübersehbar: Ruinen, die vor Hochhäusern mit Glasfassaden vom Wiederaufbau träumen, Einschusslöcher, klaffende Lücken zwischen den Häusern. Atmo 6 Muezzin ruft zum Gebet Sprecherin 1: Das Haus, in dem die Schriftstellerin Alawiyya Sobh wohnt, sieht unscheinbar, aber unbeschädigt aus. Der letzte Anstrich der Fassade muss schon eine ganze Weile zurückliegen. Es gibt einen nachträglich eingebauten Aufzug, der mich ins dritte Stockwerk bringt. Alawiyya Sobhs Apartment besteht aus fünf Zimmern und ist liebevoll und teuer eingerichtet. O-Ton 7 Alawiyya Sobh (Handyklingeln, A. Sobh spricht / arab.) Sprecherin 1: Rania Moallem sei im Verlag aufgehalten worden, werde aber gleich da sein, sagt Alawiyya Sobh. Die 63-jährige Autorin und eines arabischen Frauen- und Familienmagazins hat ausdrucksstarke Augen, aus denen Blitze zu sprühen scheinen, wenn sie über die Kluft zwischen arabischen Männern und Frauen spricht. O-Ton 8 Alawiyya Sobh “I believe that it is a catastrophy. And I am full of anger ... I am sick because of that. I am sick.“ Sprecherin 2 (Zitat und VO) Es ist eine Katastrophe! Ich bin ungeheuer wütend, vor allem auf die scheinheiligen Muslime hierzulande. Ich bin diese Männer so satt. Sie machen mich krank! Sprecherin 1: In ihren Romanen und Erzählungen beschäftigt sich Alawiyya Sobh immer wieder mit dem Thema Gewalt. Sie lenkt das Augenmerk auf die Wunden, die der Bürgerkrieg im Libanon zurückgelassen hat. Unter dem Brennglas seziert sie das Los der Frauen. Die Autorin weiß, dass ihre Heimat im Ausland als besonders freiheitlich und fortschrittlich gilt. Im Vergleich zu sehr konservativen Ländern wie Kuwait, Saudi-Arabien und Bahrain zum Beispiel lässt Alawiyya Sobh diese Sicht auch gelten. Doch der Bürgerkrieg habe den Libanon zurückgeworfen und eine politisch und konfessionell tief gespaltene Gesellschaft hinterlassen. „Die Frauen”, sagt sie, “bezahlen dafür den Preis.” O-Ton 9 Alawiyya Sobh “I naked the society, I raise my voice to tell how...in this dirty ethnic civil war happened which let people to more confessionalism, sectarianism.“ Sprecherin 2 (Zitat und VO) Ich habe die gesellschaftlichen Zustände bei uns demaskiert. Vor allem in Bezug darauf, was die islamischen Glaubensvertreter mit den Frauen machen. Mir ist klar geworden, dass Frauen ignoriert und dazu gebracht werden, ihren Körper zu hassen, sich selbst abzulehnen und in Angst zu leben. Mit und an meiner Protagonistin Marjam zeige ich auf, warum meine Generation sich der Modernisierung verschlossen hat. Was wir erfahren und erlitten haben in diesem elenden, schmutzigen Bürgerkrieg, der den Konfessionalismus und das Sektierertum sogar noch forciert hat! Sprecherin 1: In Alawiyya Sobhs Roman „Marjams Geschichten“ treffen verschiedene Frauenschicksale aufeinander. Es kommen Libanesinnen zu Wort, die von ihren Ehemännern oder ihren Familien verstoßen werden. Mädchen, die im Alter von zehn Jahren verheiratet werden und achtzehn Schwangerschaften hinter sich bringen. Eine Muslimin, die einen Christen liebt, der sie wegen der zu befürchtenden Probleme doch nicht heiraten wird. O-Ton 10 Alawiyya Sobh “I explored all the violence, especially the sexual religious ... raped her, her mother burnt her hands in order not to speak.“ Sprecherin 2 (Zitat und VO) Ich habe mich explizit mit sexueller und religiös motivierter Gewalt beschäftigt. Mit der Psychologie, die ihr entspringt. Dem negativ konnotierten Körpergefühl. Und damit, dass ein 15-jähriges Mädchen wie Rauda schwanger ist, nachdem sie von einem Verwandten vergewaltigt worden ist. Und dass die Mutter ihrer Tochter die Hände verbrennt, damit sie schweigt. Sprecherin 2 (Zitat und VO): Sie zerrte die Schwangere an den Haaren und schlug ihren Kopf gegen die Wand, bis die Haut platzte und das Blut aus der Wunde und der gebrochenen Nase spritzte. Als Nächstes packte sie ihre Tochter bei den Handgelenken, öffnete ihr gewaltsam die angstvoll verkrampften Fäuste und drückte ihre Finger fest auf das glühend heiße Backblech, bis die Haut festklebte und es im ganzen Haus nach verbranntem Fleisch roch. O-Ton 11 Alawiyya Sobh “So I dig down, I find myself go to the stories of woman of my generation... the civilization of killing woman, the civilization of silent woman.“ Sprecherin 2 (Zitat und VO) Ich bin in die Abgründe unserer Gesellschaft getaucht und dort auf die Geschichten von Frauen meiner Generation und denen meiner Mutter und Großmutter gestoßen. Ich hatte Angst, während ich all das niederschrieb. Es war die Furcht vor all der Unterdrückung, vor einer Zivilisation, die Frauen tötet, um sie zum Schweigen zu bringen. Musik 6 (trauriges Stück) Sprecherin 2 (Zitat und VO): Einige Tage danach kehrte Großvater aus Amerika zurück und wurde von seiner Frau über das Unglück aufgeklärt. Er trat ans Bett der Misshandelten und betrachtete sie. (…) Großvater sagte kein Wort. Musik 6 (trauriges Stück) Sprecherin 2 (Zitat und VO Auszug A. Sobh): Er tötete sie, ohne ihr auch nur eine Frage gestellt zu haben. Stumm wie eine Träne und fiebrig in kaltem Schweiß gebadet war das Einzige, was sie hervorbrachte, ein schmerzgequältes Winseln und unverständliches Gestammel. Er hob die stumme Träne aus dem Bett und trug sie hinaus. Von einem Gefühl tiefer Liebe zu ihr erweicht, brannten ihm die Augen, doch er verbot sich zu weinen. Er lief immer weiter, schwarz vermummt, mit kalten Schweißperlen auf der Stirn. Hinaus aus dem Dorf. Bis zum Brunnen. Und wie mechanisch warf er das Mädchen mit all seinem Elend in den tiefen Schlund. Die stumme Träne versank. Musik 6 (trauriges Stück) O-Ton 12 Alawiyya Sobh “They are afraid from woman. I don't know why they are afraid. They hate the woman.“ Sprecherin 2 (Zitat und VO) Sie haben Angst vor uns. Ich verstehe nicht warum. Unsere Männer hier hassen die Frauen. Sprecherin 1: Rania Moallem nickt. Sie ist vor fünf Minuten eingetroffen und hört aufmerksam zu. Die Inhaberin des Verlags Dar Al-Saqi hat „Marjams Geschichten“ betreut und dafür gesorgt, dass der Roman im Libanon herauskam. Sie erinnert sich genau daran, wie gemischt die Reaktionen auf das Buch ausfielen. Ähnlich wie Joumana Haddad haftet Alawiyya Sobh der Ruf an, unbequem zu sein und über Themen zu schreiben, die im Libanon besser nicht und im Rest der arabischen Welt auf keinen Fall angesprochen werden sollten. O-Ton 13 Rania Moallem “Censorship in Lebanon is somewhat more tolerant than other arab countries ... in Lebanon maybe banned in most arab countries.“ Sprecherin 2 (Zitat und VO) Die Zensur im Libanon ist etwas toleranter als in einigen anderen arabischen Ländern, etwa in Kuwait, Saudi-Arabien, Bahrain und so weiter. Aber es gibt auch Themen, die wir nicht behandeln, weil sie zu sensibel sind. Alles, was mit Religion, mit Glauben zu tun hat etwa. Bücher, die sich mit brisanten Themen wie Sexualität oder, sagen wir, Atheismus beschäftigen, können vielleicht im Libanon publiziert werden, sind aber eventuell in den meisten anderen arabischen Ländern verboten. Sprecherin 1: Rania Moallem ist mittleren Alters, erfrischend lebhaft und mit allen Problemen, die das literarische Leben im arabischen Raum prägen, vertraut. Deshalb wundert sie sich nicht, dass Alawiyya Sobhs Romane und Erzählungen von den Zensurbehörden nicht akzeptiert werden. O-Ton 14 Rania Moallem “The publisher needs the approval of the ministry of culture ... And allows the distribution of books we expect will be banned.“ Sprecherin 2 (Zitat und VO) Die Verlage benötigen die Genehmigung des Kulturministeriums. Oder einer anderen Institution, je nachdem, von welchem Land wir reden. Erst wenn die Erlaubnis vorliegt, können wir das Buch dort auf den Markt bringen. Unglücklicherweise ist dies in allen arabischen Ländern so. Das ist ein großes Problem für alle Verlage. In unserem Haus gibt es keine Zensur. Wir haben bereits einige kontroverse Schriften und Romane veröffentlicht, zum Beispiel „Unaussprechliche Liebe – Schwules und lesbisches Leben im Vorderen Orient“. Es ist manchmal merkwürdig und überhaupt nicht nachvollziehbar: Mal untersagt eine Zensurbehörde die Veröffentlichung von Werken, von denen wir gedacht haben, sie seien okay. Und dann wiederum gibt sie Bücher frei, von denen wir sicher waren, dass wir für sie keine Erlaubnis bekommen würden. Sprecherin 1: Für die Verlage ist das Risiko also groß. O-Ton 15 Rania Moallem “The arab market is one, is the same. So we couldn't speak about egyptian market or lebanese market.” ((kein VO, wird von der Erzählerin übersetzt)) Sprecherin 1: Jedes Buch, das im Libanon publiziert wird, ist nicht nur für den libanesischen, sondern für den ganzen arabischen Markt gedacht. Dennoch sind die Auflagen oft sehr niedrig. Neben der Zensur ist hierfür auch die Sprache verantwortlich: Veröffentlicht wird stets in Hocharabisch. Doch die meisten Libanesen, Ägypter und Jordanier sprechen ihren jeweiligen Dialekt. Das Hocharabische, das Araber miteinander verbindet und das in den Medien verwendet wird, ist für die weniger Gebildeten ein Buch mit sieben Siegeln. Die politische Situation in Ländern wie Jemen und Syrien tut ein Übriges. Und zu allem Überfluss, sagt Rania Moallem, gibt es wirtschaftliche Probleme: Für viele seien Bücher aus dem Libanon unerschwinglich. O-Ton 16 Rania Moallem “The egyptian market, 80 million readers... book prizes too low – loss! We have to reduce the prize.“ Sprecherin 2 (Zitat und VO) Nehmen wir Ägypten – 80 Millionen Leser! Wenn wir diesen Markt nicht vollends verlieren wollen, müssen wir Verluste hinnehmen. Wir senken also die Preise. Sprecherin 1: Im Allgemeinen betrage die Startauflage für Romane und Erzählungen bei einem bekannten, mittleren Verlag wie Dar Al-Saqi bei 3000 Exemplaren, erzählt Rania Moallem. In Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern liegt die Erstauflage ebenfalls oft bei 3000 Exemplaren; im arabischen Raum leben allerdings mehr als 410 Millionen Menschen. Wenn es sich um das Werk eines besonders beliebten Autors handele, könne die Startauflage auch 5000 Exemplare betragen – wie bei Jabbour Douaihys Roman „Morgen des Zorns”, in dem der libanesische Schriftsteller die Dynamik der Gewalt im Nahen Osten zu analysieren sucht. Dass dieses Buch in der arabischen Welt ein Erfolg wurde, habe auch damit zu tun, dass Emigration ein wichtiges Thema für viele Araber sei. Sie fänden sich in Szenen wie jener wieder, in der die Mutter des Protagonisten Elia überlegt, warum sie ihren Sohn ins Ausland geschickt hat. Musik 7 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug Jabbour Douaihy): Keine Angst, Elia, ich werde nicht weinen, ich habe schon lange aufgehört zu weinen. Ich werde nicht weinen, warum sollte ich auch weinen über deine Abwesenheit, wo ich es doch war, die dich auf Reisen geschickt hat? Das ist die wahre Geschichte deiner Mutter Kamleh: Ihr einziger Sohn, für den sie alles nur Erdenkliche getan hat, hat sich von ihr getrennt mit ihrem vollen Einverständnis. Erinnerst du dich nicht, dass ich eines Tages zu dir gesagt habe: Das Maß ist voll, mein Sohn, das ist ein kaputtes Land. Pack' deinen Koffer und geh', bleib' keinen einzigen Tag länger hier! Musik 7 O-Ton 17 Jabbour Douaihy “In my home land there is violence of course…what I have always in my mind because it was difficult for my generation.” Sprecher 1 (VO und Zitat) In meinem Heimatland, im Libanon, ist Gewalt leider ein Thema – vor allem gegen Kinder und Frauen. Ich möchte darüber schreiben, weil mich das immer schon beschäftigt hat und weil es für Angehörige meiner Generation lange Zeit sehr schwer war, diese Dinge anzusprechen. Sprecherin 1: Jabbour Douaihy ist 69 Jahre alt und lebt in einem kleinen Ort im Norden Libanons, in der Bergregion Zgharta. Schnee bis zum Sommerbeginn, ein paar Häuser, die durch eine gewundene, holprige Straße miteinander verbunden sind. Jahrzehntelang war Jabbour Douaihys Familie hier in eine Blutfehde verstrickt, die immer wieder aufflackerte und viele Opfer forderte. Damals, sagt der Schriftsteller und Literaturprofessor, zog jeder Tod einen weiteren Tod nach sich. Mindestens. Allein an einem einzigen Tag im Juni 1957 seien 20 Menschen umgebracht worden. In „Morgen des Zorns“ beschreibt Jabbour Douaihy, wie sich daraus eine Spirale der Gewalt entwickelte. O-Ton 18 Jabbour Douaihy “I went through all this…But: I am here. “ Sprecher 1 (VO und Zitat) Ich habe das alles selbst miterlebt. Von meinem ersten Lebensjahr an bin ich immer wieder Zeuge von lokalen Auseinandersetzungen und schließlich auch vom Bürgerkrieg geworden. Und doch: Ich lebe immer noch hier. Musik 7 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug Jabbour Douaihy): Und dann ging dein Vater mit seinen Verwandten zu dieser Messe für die Seele des Bruders vom Bischof. Möge Gott ihn in der Hölle schmoren lassen, dieser Bruder war vor ein oder zwei Jahren gestorben, welcher Teufel hat den Bischof geritten, eine Messe für ihn halten zu wollen und diese ganzen Leute dazu einzuladen, und das nur eine Woche vor den Wahlen? Um ein Uhr mittags ist dein Vater fortgegangen. Sie haben sich irgendwo getroffen und sind alle zusammen hochgestiegen. Um fünf Uhr kehrte er mit den anderen Toten zurück. Man brachte sie auf einem kleinen Pritschenwagen her, und die Männer waren so lang, dass ihre Füße hinten heraushingen. Er war von zwei Kugeln in den Rücken getroffen worden, eine davon ging ins Herz. Sie haben ihn hinterrücks erschossen. Musik 7 bitte blenden O-Ton 19 Jabbour Douaihy “Every year you have 500, 600 novels in the arab world ... This means that the arab culture met the novel somewhere.” Sprecher 1 (VO und Zitat) Jedes Jahr kommen 500 oder gar 600 Romane in der arabischen Welt auf den Markt. Vor 20 Jahren waren es nur 30, jetzt sind es also 20-mal so viel. Das ist ein Phänomen. Das bedeutet, der Roman ist in der arabischen Kultur angekommen. O-Ton 20 Rania Moallem “I will give you an example … Lacht. It's not to compare with the bestseller in Europe, I think.” Sprecherin 2 (VO und Zitat) Ein Beispiel: ein Bestseller, erschienen bei Dar Al-Saqi und geschrieben von Mohammad Hassan Alwan, einem saudi-arabischen Romanautor. Er hat für dieses Buch vergangenes Jahr den Internationalen Preis für arabische Belletristik gewonnen, veröffentlicht wurde es im Februar 2016. Bis jetzt haben wir 25000 Exemplare davon verkauft. Nicht mehr! ( lacht ) Mit einem Bestseller in Europa kann man das natürlich überhaupt nicht vergleichen. Sprecherin 1: Für arabische Verhältnisse gut verkaufen lassen sich aber auch Bücher des libanesischen Autors Charif Majdalani. Mehrere seiner Romane wurden im Ausland mit Preisen ausgezeichnet, etwa „Das Haus in den Orangengärten“. In der Familiensaga geht es um den Aufstieg und Fall eines großen Clans und die wechselvolle Geschichte einer Region, die bis heute von einer Vielzahl politischer Krisen erschüttert wird. Musik 8 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug Charif Majdalani): Abermals nahm er den Stapel Spielkarten auf, den er immer aufs Neue mischte, um die Hände zu beschäftigen und um die Karten danach auf den Sims zu legen, neben das Adressbuch, in dem fast alle Telefonnummern von Toten stammten, in dem jeder Name die Erinnerung an ein Leben, an eine vergangene, entschwundene Geschichte wachrief, entschwunden wie alles um ihn, der noch da war, unverrückbar wie ein Fels, Überlebender einer beinahe heroischen Zeit, letzter Sprössling eines unermesslich großen Clans, dessen Angehörige der Reihe nach gestorben waren und ihn inmitten eines Trümmerfelds zurückgelassen hatten. O-Ton 21 Charif Majdalani (französ.) Sprecher 1 (VO und Zitat) Ich habe dieses Thema in erster Linie gewählt, weil es die Geschichte meines Großvaters ist. Das Ganze hat mich aber auch deshalb sehr inspiriert, weil es in einer Epoche der Veränderungen spielt. Die Osmanen, die den Libanon lange unter ihrer Knute hatten, mussten unser Land verlassen. Frankreich übernahm die Verwaltung Libanons, bis mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch diese Periode Geschichte war. Musik 8 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug Charif Majdalani): Wenn ich mir meinen Großvater vorstelle, sehe ich ihn auf den Nebenstraßen von Marsad, zwischen Gärten und Steinmäuerchen, über die Zweige von Zitronenbäumen und Mispeln ragen. Er nimmt die Abkürzung hinunter in die Stadt. Dort werden die Geschäfte gemacht. Dort ist auch sein Platz. Er ist gerade aufgebrochen, taucht in den Duft frischer Wäsche und gekochter Lorbeerblätter ein, und schon springt er über das dampfende Waschwasser, das über den Weg fließt. O-Ton 22 Charif Majdalani (französ.) Ich benutze die Geschichte Großvaters als Vehikel, um einen Teil unserer Geschichte transparent zu machen, der zeitlich zwischen dem späten 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert liegt. Schon damals sind die Libanesen ein stoisches, gleichmütiges Volk, das sich an Kriege gewöhnt hat – ja, ein Menschenschlag, für den Krieg und Wirren Alltag geworden sind. Musik 8 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug Charif Majdalani): In der Stadt bietet er also seine Dienste an. Er findet einen Käufer für ein lukratives Grundstück (ein Pistazienhändler aus der Rue de Pas), einen Abnehmer für die Eisenstangen (den Inhaber einer Steinschleiferei beim Sankt-Elias-Kloster) und auch einen Abnehmer für den Rappen (ein reicher muslimischer Händler aus Saida, der sein Gestüt vergrößern will). Jedes Mal kassiert er eine Provision – eine Reihe Maulbeerbäume in den Bergen oder eine Ladung Safran, die beim Zoll liegen geblieben ist. Seine Geschäfte gehen gut, es gelingt ihm sogar, ein wenig Geld zu sparen. Bis zu jenem rätselhaften Tag, an dem er mir vollständig entschwindet, an dem sich etwas ereignet, das ihn zwingt zu gehen. Musik 8 bitte blenden Atmo 7 bei Alawiyya Sobh, Handy klingelt Sprecherin 1: Drei Stunden mit Alawiyyah Sobh und Rania Moallem neigen sich ihrem Ende zu. Zum Abschied gibt es eine weitere Tasse sehr süßen und ausgesprochen starken arabischen Kaffees – und Alawiyya Sobhs Handy darf endlich wieder klingeln. Atmo 7 bei Alawiyya Sobh, Handy klingelt bitte blenden mit Atmo 8 Tür fällt zu Sprecherin 1: Im Hotel überspiele ich meine Aufnahmen auf das Notebook und tippe bei der Kontrolle versehentlich auf eine andere Datei. Es ist das Gespräch mit dem Philosophieprofessor Nazer al Bisri von der American University of Beirut, das ich einige Tage zuvor aufgenommen habe. Nazer al Bisri ergänzt die von Rania Moallem erwähnten Tabuthemen durch einen wichtigen Punkt. O-Ton 23 Prof. Nazer al Bisri “We have to say it Lebanon is officially at a state of war with Israel ... viewed as a threat to some form of national interest and security.” Sprecher 1 (VO und Zitat) Festzuhalten ist, dass Libanon sich offiziell immer noch im Krieg mit Israel befindet. Versuche, dieses Verhältnis literarisch zu bearbeiten, oder gar den Zionismus salonfähig zu machen, werden als Bedrohung libanesischer Interessen und der nationalen Sicherheit angesehen. Sprecherin 1: Wenn es um dezidiert politische Literatur gehe, sagt Professor al Bisri, dürfe natürlich der in Beirut geborene Autor Elias Khoury nicht unerwähnt bleiben. Richtig! Denn wie kein anderer Intellektueller seines Landes spricht der 70-jährige in seinen Essays und Romanen immer wieder unverhohlen gesellschaftspolitische Fragen an. O-Ton 24 Prof. Nazer al Bisri “He is a remarkable individual who has also a public persona...And highly regarded in the regional sense and in the arab literary context.“ Sprecher 1 (VO) Er ist ein bemerkenswerter Mensch, der sich auch öffentlich engagiert und für die Gemeinschaft einsetzt. Ein Intellektueller, der sein literarisches Schaffen mit dem gemeinschaftlichen Leben verknüpft. Er ist sehr gut angesehen, sowohl hierzulande als auch in der arabischen Literaturszene. Sprecherin 1: Zudem ist Elias Khoury ein ausgewiesener Kritiker einiger arabischer Nachbarstaaten. Auch die politischen Schachzüge der USA und Israels nennt er beim Namen. Bis 1976 engagierte sich der aus einer christlichen Familie stammende Khoury in der Palästinensischen Widerstandsbewegung. Am bekanntesten ist sein Buch „Das Tor zur Sonne“, in dem er sich mit der Entwurzelung der Palästinenser auseinandersetzt. Aufsehen erregte auch sein Roman „Yalo“. Yalo wird verdächtigt, Paare, die sich im Auto miteinander vergnügten, nicht nur beobachtet zu haben. Musik 9 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug “Yalo” / Elias Khoury): Auf diesen Ausflügen, mit Taschenlampe und Kalaschnikow bewaffnet durch den Wald streifend, hatte er immer das Gefühl, auf der Pirsch zu sein. Lautlos schlich er sich zwischen den Pinien an das Auto heran, das für die Insassen schlicht zur Falle wurde. Wie ein erfahrener Vogelfänger wusste er genau, wann Saison ist, und kostete diese voll aus. Und das versuchte er nun, dem Ermittler begreiflich zu machen. Als Jäger, so erläuterte er sein Tun, sei es ihm weder um Diebesgut noch Frauen gegangen. Nein, entscheidend sei vielmehr der Spaß gewesen. Der Spaß, Paare beim verbotenen Liebesspiel in verriegelten Autos aufzuspüren. Der Spaß, sie zu überwältigen. Der Spaß am Überraschungsmoment, wenn das Licht sein Ziel erfasst: zwei verstörte Gesichter, eine Hand beim Griff zwischen die Schenkel, ein Mund an einem halb entblößten Busen. Yalo traf immer unmittelbar, ohne Umschweife. Er fackelte nicht lange herum. Der Schuss musste sitzen. Verfehlte er sein Ziel, so betrachtete er das Abenteuer als gescheitert und zog sich lautlos zurück. Sprecherin 1: Die Polizei fasst Yalo. Er sitzt in einer Einzelzelle eines libanesischen Gefängnisses und wird gefoltert, bis er am Rand des Wahnsinns ist. Musik 9 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug “Yalo” / Elias Khoury ): Yalo hatte keine Ahnung davon, dass das in der arabischen Welt eine verbreitete Methode war, um vor allem politischen Gefangenen Geständnisse zu entringen. Sprecherin 1: Der Ermittler erwartet von dem Verdächtigen, dass er gesteht, nicht nur Paaren aufgelauert und manche der Liebenden erschossen oder vergewaltigt zu haben. Er soll auch noch einen Anschlag geplant und Sprengstoff in seiner Hütte aufbewahrt zu haben. Musik 9 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug E. Khoury “Yalo”): Yalo verstand nicht, was vor sich ging. Er stand vor dem Ermittler und schloss die Augen. Das tat er immer. Er schloss die Augen, wenn er in Gefahr war, schloss sie, wenn er sich einsam fühlte. Musik 9 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug E. Khoury “Yalo”): Yalo verstand nicht, weshalb alles so weiß war. Weiß der Lichtkranz um den Ermittler. Weiß der Tisch, hinter dem dieser thronte. Weiß die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster schienen und das Gesicht seines Gegenübers verschluckten. Yalo sah nichts. Nur ein gleißendes Flirren rund um einen blinden, konturlosen Fleck und eine Frau, die über den eigenen Schatten stolpernd einsam durch die Stadt irrt. Musik 9 Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug E. Khoury “Yalo”): Schlank und hoch aufgeschossen, das dunkle Gesicht lang und schmal mit dichten, zusammengewachsenen Brauen, stand er da und schloss die Augen. Nur kurz, um sie gleich wieder zu öffnen und dann klar zu sehen. Hier auf der Polizeiwache von Dschunie aber sah er nichts. Nur Linien. Linien, die kreuz und quer durch den Raum verliefen. Yalo schaute auf seine Hände. Sie waren gefesselt. Die Sonne blendete ihn. Er konnte das Gesicht des weiß umkränzten Mannes vor sich nicht erkennen. Also schloss er die Augen. Es war zehn Uhr am Vormittag und eisig kalt. Der weiß Umkränzte vor ihm war der Ermittler. Die Sonnenstrahlen blendeten ihn. Er konnte das Gesicht des weiß Umkränzten, der ihn mit seiner endlosen Fragerei quälte, nicht erkennen. Also schloss er die Augen. “Augen auf, Mann!“, gellte ihm plötzlich eine Stimme in die Ohren. “Los, Augen auf!“ Musik 9 bitte blenden mit Atmo 8 Beeka-Region / Flüchtlingssiedlung Sprecherin 1: Nur 70 Kilometer sind es vom in der Nähe Beiruts gelegenen Dschunie, wo Yalo vom Ermittler gequält wird, bis nach Kefraya im libanesischen Bekaa-Tal. Hier leben um die hundertfünfzig Männer, Frauen und Kinder aus Syrien, denen die Ereignisse im Roman nur allzu vertraut ist. Sie sind vor Krieg und Folter in den Libanon geflohen und haben am Rande des Dorfes Kefraya ihre Zelte aufgeschlagen. Manche leben schon seit Jahren hier. Wie der 50-jährige Mann aus Damaskus, der am Straßenrand mit zwanzig anderen auf den Klinikbus einer westlichen NGO wartet. O-Ton 25 syrischer Flüchtling (arab.) VO-Sprecher Ich bin seit fünf Jahren mit meiner Familie hier im Libanon. In Syrien war uns nichts mehr geblieben, alles war zerstört. Ich bin gefoltert worden und wir mussten alle um unser Leben fürchten. Wir sind hier nicht gern gesehen, aber was sollten wir tun? Wir hatten keine Wahl. Wir mussten unsere Heimat verlassen. Atmo 8 Beeka-Region / Flüchtlingssiedlung O-Ton 26 Makram Rabah “We are talking about racism that affects everybody ... In my perception it is just another name for racism.“ Sprecherin 1 (Zitat und VO) Den Flüchtlingen schlägt hier blanker Rassismus entgegen. Wie auch immer es einige meiner Landsleute gern nennen wollen – aus meiner Sicht handelt es sich um Rassismus. Sprecherin 1: Makram Rabah ist groß und kräftig und hat ein sehr sympathisches Lächeln. Der Historiker und Schriftsteller lebt mit seiner Familie in Beirut. Maram Rabah schreibt Essays, Kommentare und Analysen zu allem, was ihm und seinen Landsleuten auf den Nägeln brennt. Zu den libanesischen Blutsbrüdern Religion und Politik zum Beispiel. Zum allenthalben grassierenden Nepotismus. Zur Korruption. Und, wie in dieser Zeitungskolumne zum Verhältnis zu den syrischen Flüchtlingen in Kefraya, die er mehrfach besucht hat. Sprecher 1 ( VO und Zitat / Auszug Makram Rabah): Seit sieben Jahren währt der Krieg in Syrien. Die Menschen litten und leiden unter dem Bombenhagel, unter dem Einsatz chemischer Waffen und – vielleicht am Schlimmsten – darunter, ihre Wurzeln zu verlieren. Und doch: Wer außer beständiger Furcht um sein Leben nichts mehr besitzt, sieht sich dazu gezwungen, die Heimat zu verlassen. In den Gastländern warten neue Schrecken auf die Menschen: Gewalt in Form fremdenfeindlicher Übergriffe, die ihren Aufenthalt im Exil mindestens ebenso leidvoll und tragisch gestalten wie das, was ihnen in Syrien widerfahren ist. Und der Libanon steht bei alldem an vorderster Front. Sprecherin 1: Jeder fünfte Bewohner des Landes ist ein syrischer Flüchtling – eine große Belastung. Außerdem waren bis vor 13 Jahren syrische Streitkräfte im Libanon stationiert. Während des Bürgerkriegs wurden sie von der Arabischen Liga als Friedenstruppe in den Libanon entsandt. Doch die syrischen Beschützer boten nicht nur Beistand. Sie bereicherten sich und versuchten, Einfluss auf das politische Geschehen zu nehmen. Diese Erfahrungen belasten das Verhältnis zu den Flüchtlingen zusätzlich. Sprecher 1 (VO und Zitat / Auszug Makram Rabah): In einem als Satire maskierten Song mahnt unser Landsmann Charbel Khalil uns, es mit der Gastfreundschaft nicht zu übertreiben. Wir hätten übersehen, warnt uns der Kabarettist, dass es längst zu einem Rollentausch gekommen sei: Wir seien zu Gästen in unserem eigenen Land geworden. Die Syrer stehlen uns unsere Jobs, singt er, sie bekommen in schneller Folge viel zu viele Kinder und überhaupt, sind sie von niederen Instinkten beseelt und es nicht wert, Mitglieder der libanesischen Gesellschaft zu sein. Kritik an seiner Haltung wiegelt der Künstler erwartungsgemäß ab, indem er auf der Harfe der politischen Satire spielt. Nachdem die syrischen Flüchtlinge das Grauen in Syrien hinter sich haben, laufen sie nun hier Intellektuellen, die Hass säen, vor die Flinte. Darf politische Satire das? – Nein. DÜRFEN wir das? – Wieder nein. Denn wir sind Libanesen – die mehr als genug gesehen, erlebt und gelitten haben, um nun zumindest für unsere Gäste einzustehen und dem Hass ein Ende zu bereiten. Sprecherin 1: Die verhaltene Hoffnung, die am Ende von Makram Rabahs Zeitungskolumne aufblitzt, kann sein Landsmann Chaqi Bazih nicht teilen. In der „Elegie des Staubes“, die der Dichter mit dem verschmitzten Lächeln auf dem runden Gesicht verfasst hat, ist und bleibt der Libanon verdammt. Musik 9 (wie Musik 1 K. Arnold) Sprecher 1 (VO und Zitat): Staub am Horizont der Seele wirbelt auf. Warum begegnen wir uns wie zwei Blinde? Ich bin zwei und der eine ruft dem anderen zu: Rette dich, denn ich bin untergegangen Musik 10 (wie Musik 1 / K. Arnold) Sprecher 1 (VO und Zitat): Stirb' nicht, bevor nicht der Mandelbaum erneut erblüht, versteck' dich nicht hinter dieser Zerstörung, die du da wahrnimmst. Es sind doch nur noch ein paar Monate, bevor die Seele ein zweites Mal hell hinter den Bergen anbricht. Musik 10 (wie Musik 1 / K. Arnold) Sprecher 1 (VO und Zitat): Nur noch ein paar Monate, bevor die Anemonen ihren Märtyrerschrei ausstoßen. Alles ist vorbereitet, so wie es sein muss am Ende des Abends. Und nach einer kleinen Weile wird frisches Gras das Licht neu hervorbringen. Und die Lieben werden wieder ins Leben zurückkehren, begleitet vom Vogeltrupp ihrer Träume, von frischem Blut, von einem neuen Tag. Musik 10 (wie Musik 1 / K. Arnold) Sprecher 1 (VO und Zitat): Nur noch ein paar Monate bevor sich die Schülerin morgens erhebt, um aus dem Meeresblau ihre Schuluniform zu schneidern, und bevor unter ihren Händen das Buch erblüht. Doch ich sehe nichts außer der Sonne, die ihr Gedärm über den Köpfen der Schöpfung hinter sich herzieht. Die Erde ist ein Apfel, den die Wölfe in der Dunkelheit zerbeißen Musik 10 (wie Musik / 1 K. Arnold) 2 Hintergrund Kultur und Politik Literaturredaktion T +49 30 8503 0 hoererservice@deutschlandradio.de Hans-Rosenthal-Platz, 10825 Berlin T +49 30 8503-0 deutschlandradio.de Deutschlandradio K. d. ö. R., gesetzlicher Vertreter ist der Intendant. Deutschlandradio kann auch von zwei vom Intendanten bevollmächtigten Personen gemeinsam rechtsverbindlich vertreten werden. Auskünfte über das Bestehen und den Umfang der Vollmachten erteilt der Justiziar. Gerichtsstand: Köln