COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel am 21.04.2013 "Rund ums Rad", Folge 2 In den Sattel oder hinters Lenkrad - wie fahrradfreundlich ist Deutschland? Ein Magazin Musik Lange mussten wir auf sie warten, aber endlich, endlich ist sie da: Die Sonne. Und mit ihr Tausende Radler auf deutschen Straßen. Auf den immer zahlreicher werdenden Fahrradfernwegen und in vollen Radabteilen der Bahn. In unserer kleinen Reihe "Rund ums Rad fragen wir heute: "In den Sattel oder hinters Lenkrad - Wie fahrradfreundlich ist Deutschland?" Und was können wir von anderen lernen, vielleicht sogar von den Amerikanern? Das erwartet Sie in der nächsten halben Stunde: - Ärgerlich: Fahrradfahren in Hamburg - ein Selbstversuch - Unmöglich: Mit dem Rad in der Deutschen Bahn - nichts geht mehr in vollen Zügen - Optimistisch - Lobbyist -Michael Cramer prophezeit dem Drahtesel eine große Zukunft - Überraschend: Portland ein kleines Fahrrad-Paradies im Autoland USA Und - Ehrgeizig: in Brasilien soll das Rad den Verkehrsinfarkt verhindern helfen Am Mikrofon: Bettina Ritter. Guten Abend. Musikbrücke Münster gilt bekanntermaßen als Fahrradparadies in Deutschland. Großzügige, rot markierte Wege, Vorfahrtrecht für Radler und rücksichtsvolle Autofahrer. In den meisten deutschen Städten sieht es aber anders aus. Zwar steigt der Anteil der Radfahrer am Straßenverkehr stetig, doch die Infrastruktur ist oft mangelhaft, die Städte stellen zu wenig Geld zur Verfügung. Hamburg ist so ein Fall, wie Axel Schröder im wahrsten Wortsinne selbst erfahren hat. Atmo Straßenverkehr Neben mir, vor mir, hinter mir: Menschen, die sich mit Motorkraft durch den Raum bewegen. Auf Motorrollern, in Personen- und Lastkraftwagen, in Bussen. Ich fahre Rad und gehöre damit zu einer wachsenden Zahl, aber immer noch einer Minderheit von Hamburgerinnen und Hamburgern, die den Kampf um einen Platz auf der Straße aufnehmen. Atmo Straßenverkehr II Es geht die Rothenbaumchausee runter. Eine breite Straße ohne Fahrbahnmarkierung. Links gibt es einen Radweg, von dem man nicht weiß, ob er in beide Richtungen befahrbar ist. Rechts parken Autos. Vorsicht mit den Türen, mit allzu schwungvollen Fahrern. Die weißen Rückfahrleuchten im Blick behalten. Ist ein Helm vielleicht doch eine sinnvolle Anschaffung? Sieht aber schon beknackt aus und überhaupt: eigentlich müssen Vorschriften für Autos her. Atmo Straßenverkehr III Abbiegen Ecke Dammtor in Richtung Alster. Eine Baustelle. Vierspuriger Verkehr, ich mittendrin. Jetzt kein Schlenker, nur geradeaus und hoffen, hier irgendwie heil rauszukommen. Auf dem Weg zum ADFC, zum Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Seit zwei Jahren lasse ich das Auto stehen. Wenn nicht gerade ein endloser Winter alles vereist, wenn nicht gerade alle drei Kinder frühmorgens über den strömenden Regen schimpfen, den Weg zur Schule, in den Kindergarten verweigern. Atmo Straßenverkehr IV Die letzte Etappe. Kopfsteinpflaster. Schön anzusehen, als Radfahrer großer Mist. Wo sind sie bloß, die Velorouten, von denen der Senat immer schwärmt? Darauf weiß Dirk Lau Antwort, der Sprecher des ADFC: OT Lau: Das ist eine Absichtserklärung! Das Veloroutenkonzept gibt es seit den Neunzigerjahren: Und wir als Radfahrverband fordern immer wieder tatsächlich, dass da auch wirklich mit angefangen wird, die Velorouten zu bauen. Das Konzept hat glaube ich fünfzehn, sechzehn Velorouten. Und davon sind zwei, drei in einem Zustand, wo man sagen könnte: OK, das entspricht den Anforderungen an eine Veloroute und ansonsten ist da Stillstand! Dirk Lau ist ein großer, durchtrainierter Typ. Er hat wenig Zeit, muss gleich los. Wen wundert's: zum Radfahren mit Freunden. Per Rennrad über Land. Die Velorouten der Stadt sind tatsächlich ein guter Witz: im Internet sind sie aufgelistet, unterteilt in die einzelnen Streckenabschnitte. Die Veloroute 9 besteht demnach nicht nur aus Radwegen, sondern auch aus Straßenabschnitten, aus Tempo 30-Zonen und einer, kein Witz: zwei Kilometer langen so genannten "Schiebestrecke". Erstaunlich für eine Stadt, die sich die im letzten Jahr mit dem Titel "Umwelthauptstadt Europas" schmückte. Wer verantwortlich für diesen Unfug ist? Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt jedenfalls nicht, beteuert eine Sprecherin. Das ist Sache der Wirtschaftsbehörde, heißt es. Aber dort geht niemand ans Telefon. OT Lau: Das Hamburger Radwegenetz, das stammt aus den Sechzigerjahren. Das ist inzwischen marode, das ist unüberschaubar, das kann man nicht mehr benutzen. Radwege in Hamburg sind technisch nicht benutzbar. Das hat uns als verein auch dazu veranlasst, Radfahrer dazu aufzufordern, zu ihrer eigenen Sicherheit, nicht auf diesen Radwegen zu fahren, sofern dort keine Radwegebenutzungspflicht besteht, sondern auf der Fahrbahn! Aber was ist der Grund für die Sturheit der Hamburger Senate? Ihr blindes Fixiertsein auf den motorisierten Straßenverkehr? OT Lau: Dem Autoverkehr etwas wegnehmen in Hamburg ist also ein ganz, ganz großes Drama! Wir immer gleich mit Majestätsbeleidigung gleichgesetzt. Und vom SPD-Senat wird in der Richtung sehr, sehr wenig dagegen gehalten. Sobald man einen Parkplatz wegnimmt, ist gleich der Wirtschaftsstandort Hamburg in Gefahr! Und die Einwohnerzahl wächst. Es scheint den Menschen also zu gefallen in Hamburg, trotz fieser Radwege. Dirk Lau macht sich mit Rennrad auf den Weg, raus ins Grüne. Ich strampele zurück über holprige Pisten, benutze die Straße, gebe Acht. - Mittlerweile kann ich unterschiedliche Verbrennungsmotoren am Auspuffgeruch erkennen, kann die Farbe der Feinstaubplakette erriechen und ob der Wagen vor mir einen Katalysator alter oder neuer Bauart hat. Die Feinstaub- und Stickoxidbelastungen an Hamburgs Verkehrsadern reißen schon seit Jahren alle EU-Grenzwerte. Und die hatte vorher schon die Autolobby verwässert. Vielleicht ist es doch gesünder, das Radfahren in dieser Stadt sein zu lassen und endlich aufs Auto umzusteigen. Und Schiebestrecken gibt es dann auch nicht mehr. Nicht nur in der Stadt schieben die Radfahrer Frust. Auch der entspannte Wochenend-Ausflug ins Umland kann schnell in Stress ausarten. Zumindest, wenn man das Rad mit der Deutschen Bahn transportieren will. In den ICEs ist das Mitnehmen ganz verboten und nur wenige Radabteile gibt es zum Beispiel in den Regionalexpress-Zügen. Vor allem auf den Strecken nach Mecklenburg-Vorpommern, dem beliebtesten Rad- Reisegebiet in Deutschland, sind die Züge oft heillos überfüllt. Ole Schulz hat sich bei den Ausflüglern und der Deutschen Bahn umgehört. Sprecher: Zugeinfahrt am Berliner Bahnhof Gesundbrunnen. Es ist das erste wärmere Wochenende im April, und unter den Fahrgästen sind auch Radfahrer, die mit der Bahn aufs Land fahren wollen. Noch gibt es in den Regionalbahnen genügend Platz für Räder. Je mehr die Temperaturen steigen, desto schwieriger dürfte es aber werden. Die Rentnerin Efi, eine passionierte Radlerin, will heute mit einer Freundin an der Oder eine Radtour machen: O-Ton: Efi "Besonders schwierig ist es am Wochenende. Aber das ist klar: Dann sind Kinderräder und diese Kinderanhänger, und das ist klar, und dann geht es nur, wenn man miteinander redet. Aber die Bahn müsste auch etwas tun, ist auch klar. Richtung Rostock und Stralsund, wär´s schon schön, wenn ein Wagon nur für Gepäck und Räder zur Verfügung steht." Sprecher: Auf dem anderen Bahnsteig stehen zwei Radrennfahrer in voller Montur mit ihren Rädern - sie wollen an einem Rennen in Brandenburg teilnehmen. Und auch sie graut es schon ein wenig vor der Sommersaison in der Bahn: O-Ton: Radrennfahrer "Wenn der Ostseeverkehr hier einsetzt, dann ist es halt schon viel zu voll. Wie haben aber meist das Glück, dass wir noch relativ früh sind, aber im Sommer stehen wir meistens im Eingangsbereich, wenn wir zu so einem Rennen wollen, von daher ist es schlecht. [Und wenn ich den Fernverkehr nutze, da dann aber weiter aufs Land muss, dann bin ich auch meist ziemlich genervt, wenn ich keinen Intercity habe, weil ich dann eben halt nicht reservieren kann." Sprecher: Mit dem Rad in der Deutschen Bahn - da habe viele schlechte Erfahrungen gesammelt: Zu wenig, und oft überfüllte Fahrradabteile im Nahverkehr, in dem Reservierungen für Fahrräder zudem nicht möglich sind. Im Fernverkehr muss dagegen reserviert werden, aber die Kapazitäten sind dafür stark begrenzt. Bettina Cibulski, die Pressesprecherin des ADFC, des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs. O-Ton: Bettina Cibulski "Also, die meisten Probleme, wenn Leute ihr Fahrrad in der Bahn mitnehmen wollen, entstehen tatsächlich eher im Nahverkehr. Im Fernverkehr funktioniert es einigermaßen, weil man da es ja früher bucht, und es darum auch klar ist, der Platz ist reserviert. Das klappt fast immer." Sprecher: Allerdings ist die Fahrradmitnahme bei Fernreisen lediglich in Intercity, Eurocity- und Nachtreisezügen, aber nicht in ICE´s möglich. In den Intercitys gibt es je Zug wiederum nur acht Fahrradstellplätze, und das Vorab-Buchen im Internet ist eine Wissenschaft für sich. O-Ton: Bettina Cibulski "Es ist grundsätzlich problematisch, eine Fernreise mit einem Fahrrad zu machen, das ist ein grundsätzliches Problem, weil fast nur noch ICE unterwegs sind auf deutschen Strecken. Das heißt, wenn ich jetzt von Hamburg nach München fahren will, mit meinem Fahrrad zusammen, dann wird mich das viel Zeit kosten, weil ich dann auf einen Intercity ausweichen muss. Da fahren nicht so viele von, die fahren nicht so oft und die brauchen auch länger. Und ich muss umsteigen." Sprecher: Die Deutsche Bahn verteidigt sich mit dem Argument, sie könne nicht alle Wünsche erfüllen. Andreas Fuhrmann von der Pressestelle der Bahn: O-Ton: Andreas Fuhrmann "Wir haben eben immer einen Konflikt zwischen Fahrgästen, die mit Fahrrad und Fahrgästen, die ohne Fahrrad unterwegs sind. Wir hatten zum Beispiel auch mal einen entsprechenden Versuch auf einer ICE-Linie, wo dann entsprechende Mehrzweckabteile vorhanden waren, die sind aber sehr, sehr wenig genutzt worden. Wir hatten dort eine sehr geringe Auslastung über das Jahr gerechnet, so dass wir uns entschlossen haben, diesen Versuch auch nicht mehr weiter fortzuführen." Sprecher: Konkret nennt die Bahn finanzielle und logistische Gründe dafür, dass in ICE´s derzeit noch keine Fahrradmitnahme möglich ist. O-Ton: Andreas Fuhrmann "Unsere ICE-Züge müssten mit einem erheblichen Aufwand umgerüstet werden. Wir reden hier von einer Millioneninvestition, um sie für die Fahrradmitnahme halt auszurüsten. Das ist der eine Punkt. Zum anderen haben wir sehr enge, dichte Fahrpläne, gerade auch in den Knotenpunkten, wo die Fahrradmitnahme im ICE dazu führen würde, dass sich die Haltezeiten verlängern würden. Das heißt der gesamte Fahrplan würde da durcheinander geraten." Sprecher: Immerhin verspricht die Bahn Besserung - wenn auch erst in einigen Jahren: 2017 soll dann ein neuer Schnellzug im Fernverkehr eingesetzt werden, bei dem die Fahrradmitnahme möglich sein wird. Im Nahverkehr bleibt Radfahrern in der Bahn dagegen nichts anderes übrig, als so gelassen zu bleiben, wie Rentnerin Efi und ihre Freundin vom Berliner Bahnhof Gesundbrunnen. Beide meinen, dass es gerade an der Haltung der Mitreisenden liegt, wie man sich in einem überfüllten Zug miteinander arrangiert. Vor allem mit Fahrgästen, die die Fahrradstellplätze belegen, haben sie schon Ärger gehabt. O-Ton: Efi "Unhöflichkeiten und mürrisch, und was wollen sie denn, warum haben sie überhaupt ein Rad dabei. Nehmen sie doch den nächsten Zug. Und ganz besonders ältere Herrschaften und ältere Herren - ich bin 72, ich bin auch älter, aber dann frag´ ich mich immer: Oh, der schon wieder mit seinen hängendem Mundwinkel, von dem habe ich auch nichts anderes erwartet." (lachen) Einer, der die Radunfreundlichkeit der Bahn seit langem kritisiert, ist Michael Cramer von Bündnis 90/Die Grünen. Er selbst hat seit mehr als 30 Jahren kein Auto und streitet seit Jahrzehnten für eine bessere Fahrradpolitik. Erst in Berlin und seit 2004 als Europaabgeordneter in Brüssel. Ich habe ihn gefragt, wo steht Deutschland mit seiner Fahrradfreundlichkeit im europäischen Vergleich? Interview Cramer Der "Fahrradlobbyist" Michael Cramer von Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben es gerade gehört: Kopenhagen und Amsterdam fahren im europäischen Vergleich den anderen Städten davon, wenn es um die Fahrradfreundlichkeit geht. Aber auch bei der Autofahrernation Nummer Eins, den USA hat es "geklingelt". Wenn auch noch eher selten und leise. Aber es gibt sie, die überraschenden Ausnahmen. In Portland, Oregon, zum Beispiel, hat Sabina Matthay ein USA-untypisches Fahrrad-Paradies gefunden. Atmo zoobomb One, two, three, four - .... Sonntag Abend in Portland: Dutzende Fahrradbegeisterte sind auf einem Hügel am städtischen Zoo am Start. Atmo zoobomb ... - zoo bomb! (& Music "Zoo Bomb") Auf Kommando heizen sie jauchzend den Abhang hinunter. Erwachsene. Auf Kinderrädern. Musik Mazarine Street "Zoobomb" "Zoo Bombing" - "Zoo-Brettern" - nennen die Portlander dieses Sonntagabendritual. Doch Fahrradfahren ist in Portland längst auch Teil des Nahverkehrs. Atmo Hawthorne Bridge Jede Radfahrt über die Hawthorne Bridge, den wichtigsten Verkehrszubringer der Innenstadt, wird von einem Digitalen Zähler registriert, den Carl Larson vom Fahrradförderverein BTA uns zeigt: OT Carl Larson / on Hawthorne Bridge This counts how many bicycles cross the Hawthorne Bridge and today we have just hit 4700. And it will keep going up as we stand here. Now 4701. 4.700 sind es an diesem regnerischen Nachmittag, dabei hat die Rush Hour noch nicht mal begonnen. Es ist gar nicht so lange her, dass Radfahrer in Portland Exoten waren, verrät Greg Raisman vom Verkehrsamt: OT Greg Raisman Our first bicycle count in 1974 had fifty bikes going across our bridges. 1974, bei der ersten Fahrradzählung, überquerten grade mal fünfzig Räder unsere Brücken. Seither sind mehr als sechs Prozent der Berufspendler in Portland aufs Rad umgestiegen - US-weit liegt der Schnitt bei 0,6 Prozent -, sagt Roger Geller, Fahrradkoordinator bei der Stadtverwaltung: OT Roger Geller It is easy to ride a bicycle here. Radfahren ist hier einfach! Es war eine politische Entscheidung: Anfang der neunziger Jahre machte der Stadtrat Ernst mit dem Vorsatz, Portland zur Fahrradmetropole auszubauen. OT Roger Geller We have built a system of integrated bike ways that run everywhere in the city of Portland and people have responded by getting on their bicycles and riding. Wir haben in der gesamten Stadt Portland ein Netz von integrierten Radwegen eingerichtet und im Gegenzug sind die Leute hier aufs Fahrrad umgestiegen. Die Stadt will Radfahren nun noch sicherer, noch bequemer machen, damit bis 2030 ein Viertel der Bevölkerung von Portland umsattelt. Das Wegenetz von 500 Kilometern soll verdreifacht, mehr verkehrsberuhigte Zonen sollen eingerichtet werden. "Neighbourhood Greenways", fahrradfreundliche Nebenrouten in den Aussenbezirken, sind ebenso geplant wie Ampeln mit Vorrangsschaltung für Radler. Konfliktbereiche im Stadtverkehr werden umgestaltet. Ehrgeizig, sagt Carl Larson vom Fahrradförderverein BTA, aber machbar: OT Carl Larson We like to say that bicycling is a cheap date, these projects compared to freeway projects are really affordable. Radfahren ist ein billiges Vergnügen, verglichen mit Autobahnen sind diese Projekte sehr preisgünstig. 600 Millionen Dollar will Portland investieren: 1.200 Abstellplätze vor Geschäften und Lokalen sind bereits installiert, zu Lasten von Parkplätzen. In der Stadtmitte wurden Autospuren deutlich sichtbar mit grüner Farbe zu Fahrradwegen umdeklariert. Beides stieß auf keinen nennenswerten Protest. Fussgänger, Autofahrer und Radler kommen gut miteinander aus in Portland. Atmo Fahrradklingeln / Martina Fahrner (Klingel aus Japan). Da kann keiner böse sein! Wenn Sie so hinter einem klingeln, kann keiner böse sein! Martina Fahrner ist Miteigentümerin von "Clever Cycles", das Fahrradgeschäft schließt seit 2007 eine Marktlücke in Portland: OT Martina Fahrner Das Besondere ist, dass wir keine Sporträder haben, sondern dass wir Hollandräder und was wir als Nutzfahrräder bezeichnen, also Transportfahrräder, was man in D als normale Fahrräder bezeichnet. Genau die vermisste die gebürtige Braunschweigerin, als sie 2004 hierher zog und weit und breit die einzige Mutter mit einem Kind auf dem Rad war: OT Martina Fahrner 6'45" Ich kann mich an eine Zeit erinnern, (..) da hat doch eine Dame neben mir angehalten mit ihrem riesigen Mini-van und hat mich angebrüllt, dass sie den Kinderschutz benachrichtigen würde, das ginge ja wohl so nicht, die Kinder auf dem Fahrrad.(...) Inzwischen ist es normal, dass ganze Familien in Portland radfahren, 38 Prozent aller Schulkinder radeln zur Schule, die Nachfrage selbst nach ausgefallenen Rädern ist groß: Atmo "Splendid Cycles" / Rad In der Werkstatt von "Splendid Cycles" entsteht ein Lastenfahrrad nach Maß, erzählt Joel Grover, einer der Eigentümer: Splendid Cycles / Joel Grover That particular bike is (...) going to a family which just moved up to Portland from the Bay Area. They are totally car-free, they bought a cargo bike and now they are getting a second one for their family. Das hier ist für eine Familie, die überhaupt kein Auto hat. Ein Lastenfahrrad haben sie schon, jetzt kommt noch eins mit Kindersitzen. Bis zu 7.000 Dollar - fünf einhalb tausend Euro - kann so ein maßgeschneidertes Lastenrad kosten. "Splendid Cycles" exportiert auch in andere Teile der USA - Portland sei Trendsetter, sagt Joel Grover. Und das Fahrrad ein Wirtschaftsfaktor für die Region, fügt Greg Raisman vom Verkehrsamt an: OT Greg Raisman In Portland, bicycles are adding about 100 mio Dollars to our economy every year. Between shops like this, tourism, bicycle manufacturing, custom bike building, it goes from there. Added about 100 mio Dollars every year to our economy. Geschäfte wie dieses,Tourismus, Fahrradhersteller, Werkstätten für Sonderanfertigungen - das alles trägt jedes Jahr rund 100 Millionen Dollar zur hiesigen Wirtschaft bei. Genau wie der Spaß am Rad. Etwa 2.000 Veranstaltungen rund ums Fahrrad finden jedes Jahr in Portland statt, von Geschichtstouren über Feinschmeckerfahrten und Einrad-Polo bis zur Fahrradoper. Und natürlich immer wieder Sonntags - Zoo Bombing! Music "Zoobomb" Fahrrad-Spaß in Portland! Millionen- Städte, chronisch verstopfte Straßen. In den Metropolen Lateinamerikas sind Staus und Verkehrschaos Alltag. Das soll sich ändern: Buenos Aires zum Beispiel hat in den vergangenen Jahren viele Radwege gebaut. Auch in der brasilianischen Fußball-WM-Stadt und künftigen Olympiametropole Rio de Janeiro tut sich etwas. Trotzdem kamen hier in den vergangenen Wochen gleich drei Radler ums Leben. Immer wieder protestieren Radler lautstark für ihre Rechte. Victoria Eglau. Radfahren in Rio de Janeiro Atmo 1 Wellenrauschen Copacabana Autorin Copacabana, einer der berühmtesten Strände der Welt. Sonnenhungrige räkeln sich im Sand, Jugendliche spielen Fußball, Spaziergänger schlendern über die Promenade, und: Fahrradfahrer genießen den Blick aufs Meer von der Ciclovia aus - dem Radweg, der parallel zum Strand verläuft. Insgesamt ist die Ciclovia fünfzehn Kilometer lang und führt vom Stadtteil Leblon bis ins Zentrum von Rio de Janeiro. Atmo 1 kurz hochziehen Autorin Der Fahrradweg am Strand ist sicherlich der schönste von Rio, einer Metropole, die ein Radwege-Netz von immerhin gut 300 Kilometern besitzt. Damit kann keine andere Stadt Brasiliens aufwarten. O-Ton 1 5 O objetivo até las Olimpiadas em 2016 é facer mais 150 de infrastrutura para bicicleta. Esta fue uma meta da prefeitura (...) O propio comité olimpico perguntou sobre um transporte de mobilidade por bicicleta. Entao foi incluido no programa inclusive como uma forma de reducir as emisoes CO2, com uma meta bastante ambiciosa. Que mais pessoas usem bicicleta para reducir essas emisoes. Voiceover 1 (MANN) Das Ziel der Stadtregierung von Rio ist, bis zu den Olympischen Spielen 2016 weitere 150 Kilometer Radwege zu bauen. Das Olympische Komitee selbst hat den Wunsch nach einer stärkeren Nutzung dês Fahrrads in der Stadt geäußert. Dies soll auch dazu beitragen, die CO2-Emissionen zu verringern. Autorin erzählt Fernando José Lobo von der Nichtregierungsorganisation Transporte Ativo - "Aktiver Verkehr". Lobo ist auch Mitglied der Arbeitsgruppe Radwege der Stadtregierung von Rio de Janeiro. Ihm zufolge wagen sich heute deutlich mehr Radler in den chaotischen Verkehr Rios als vor zwei Jahrzehnten. Registrierte Lobos NGO Mitte der neunziger Jahre 70-tausend Radfahrten pro Tag, sind es heute knapp 500- tausend. Damit hat das Fahrrad einen Anteil von drei Prozent an Rios Gesamtverkehr. O-Ton 2 3 Se voce compara hoje como 10 anos atras, é muito más amiga da bicicleta. 10 anos atras voce saia na rua, todos os carros bocinavam, xingavam, falabam: vai para a calcada. Os motoristas comecaram a ficar acostumados a andar com bicicletas na rua. Quem comeca hoje a usar bicicleta, ainda acha muito salvaje, que ainda falta muito. Mas para quem usa bicicleta muito tempo, já percebe uma diferencia muito grande. Motoristas que param nas esquinas e deixam passar, coisa que nao aconteceu e já acontece. Voiceover 2 (MANN) Heute ist Rio fahrradfreundlicher als noch vor zehn Jahren. Damals hupten und fluchten die Autofahrer, wenn sie einen Radfahrer sahen. Inzwischen haben sich viele an die Radler gewöhnt. Dennoch, es fehlt noch viel, damit Rio wirklich bikefriendly wird. Nur, wer hier schon lange Fahrrad fährt, kann erkennen, dass sich etwas verbessert hat. Autofahrer, die für Radler bremsen - das hätte es früher nicht gegeben. Atmo 2 Verkehrslärm Autorin Mögen manche Autofahrer auch vorsichtiger geworden sein - wer als Radler in Rio unterwegs ist, muss auf der Hut sein. Die motorisierte Mehrheit hat einen agressiven Fahrstil und nimmt wenig Rücksicht auf schwächere Verkehrsteilnehmer. Drei Radfahrer wurden in den vergangenen Wochen angefahren und getötet. Dennoch: laut Experte Lobo ist das Fahrrad das sicherste Verkehrsmittel - Auto- oder Motorradfahren sei gefährlicher. Paola Ghetti überzeugt das nicht. Die passionierte Radlerin aus Rio lässt ihren Drahtesel inzwischen wochentags lieber zuhause. O-Ton 3 1/1'00 Gosto muito, mas prefiro ultimamente só como lazer. Os fines de semana, quando tenho mais tempo e mais calma também para andar. Porque tem que tomar muito cuidado. 7'30 O ciclista é o ultimo da cadeia, o ultimo a ser respetado. Existe algum respeto com os pedestres. Mas o ciclista é sempre muito mal visto. Acham que o ciclista passa em qualquer lugar. Voiceover 3 (FRAU) Ich liebe es, Rad zu fahren, aber in letzter Zeit nur noch am Wochenende, wenn ich nicht in Eile bin und weniger Verkehr herrscht. Radfahrer müssen sich in Rio wirklich vorsehen. Sie sind das schwächste Glied in der Kette, sie werden noch weniger respektiert als Fußgänger. Radler haben auch einen schlechten Ruf, es heißt, sie würden lang fahren, wo sie wollen. Autorin In gewisser Weise stimme das auch, sagt Paola Ghetti, denn das Radwege-Netz sei zu klein und teilweise in sehr schlechtem Zustand. Deswegen seien Rios Radler auch auf Straßen und Bürgersteigen unterwegs. Atmo 3 6 / 2 + 5 Bicicleta, um carro a menos ... Stimmen, Pfiffe Autorin An jedem letzten Freitagabend im Monat startet im Zentrum von Rio de Janeiro eine Bicicletada, eine Demonstration auf Rädern. "Ein Fahrrad - ein Auto weniger", skandieren die Teilnehmer, bevor es losgeht. Einer von ihnen: der Musiker Marco Miglietta, der in Rio täglich Fahrrad fährt: O-Ton 4 1'40 Ter a visibilidade da bicicleta como um veículo no transito. 9'30 (...) A bicicleta tem que ser asumida como vehículo. E também o codigo de transito, assume bicicleta como vehículo. Mas a populacao nao entende isso ainda. Nao está acostumada mesmo. Voiceover 4 (MANN) Ziel der Bicicletada ist, das Fahrrad im Verkehr sichtbar zu machen. Wir wollen, dass es als normales Fortbewegungsmittel akzeptiert wird. Brasiliens Verkehrsgesetzbuch erlaubt Radfahrern ausdrücklich, die Straße zu benutzen. Doch viele Leute haben sich daran noch nicht gewöhnt. O-Ton 5 3'20 O governo diz que está construiendo, mas nao está. As vezes eles pintam a calcada de vermelho e dizem que é uma ciclovia, mas é mentira porque atrapalha os pedestres. 0'20 Para tentar facer uma manifestacao alegre, e de concientizacao dos motoristas. Pediendo respeto no transito, e que no passem muito perto, é tambem um trabalho de educacao. Voiceover 5 (FRAU) Die Stadtregierung sagt, sie baut Radwege, von wegen! Sie malt Bürgersteige rot an und sagt, das ist ein Radweg, aber das ist gelogen, weil die Radler dort mit den Fußgängern zusammenstoßen. Mit unserer Fahrrad-Demo wollen wir auf fröhliche Weise erreichen, dass die Autofahrer uns wahrnehmen. Sie sollen lernen, uns zu respektieren und Abstand zu halten. Atmo 4 Pfeifen, Rufen, Verkehrslärm Autorin erklärt eine junge Frau, bevor sie und mehr als hundert andere Radler sich im Pulk in den Feierabendverkehr stürzen. Rios Autofahrern bleibt nur eins: verdutzt zu lächeln oder empört zu hupen. Wie auch immer sie reagieren - ausnahmsweise müssen sie stehenbleiben. "In den Sattel oder hinters Lenkrad - Wie fahrradfreundlich ist Deutschland?" haben wir heute im Nachspiel gefragt. Und gelernt: es kommt immer darauf an, mit wem man sich vergleicht. Deutschland hat noch Entwicklungspotential, soviel ist sicher. Auf 15 Prozent möchte die Bundesregierung bis 2020 den Anteil der Radler am Straßenverkehr steigern. In Kopenhagen liegt die Zielmarke bei 50 Prozent bis 2025. Am kommenden Sonntag hören Sie den dritten und letzten Teil unserer Serie "Rund ums Rad". Dann begleitet Fritz Schütte Hobby- Langstreckenradfahrer, die bei 100 oder 200 Kilometern noch lang nicht genug haben. "Die Tortur als Traum" heißt der Titel seiner Sendung. Viel Spaß und Augen auf beim Radeln und bis zum nächsten Sonntag, sagt Bettina Ritter. 1