COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandrundfahrt "Der Mythos des "Hyde Park" Das Herz der Subkultur im Osnabrücker Land" Von Ralf Bei der Kellen und Gesa Ufer Sendedatum: 02.11.2013 Redaktion: Margarete Wohlan Technik: Alexander Brennecke Regie: Karena Lütge Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2013 BEITRAG: Atmo 1 - Musik/Atmo aus dem Park (kein brutaler Metal) Darauf: O-Ton 1 Carsten "Im Hyde Park waren sauviele Leute, da passierte wirklich was. So wie in New York, in London, in Amsterdam, in Berlin - und das in unserer lustigen kleinen Stadt ... Gesa: Es war die erlösende Ankunft der Moderne in der Provinz: der Disco - und Musikclub "Hyde Park" in der niedersächsischen Stadt Osnabrück. Dieser Szeneladen mit einer der längsten und berühmtesten Geschichten in Deutschland hat bis heute Generationen von Jugendlichen geprägt. O-Ton 2 Dietmar Wischmeyer: "Da trafen sich einfach alle. Also, alle die wirklich anders waren, als man es von ihnen erwartete, alle, die dachten, dass die anders wären - und alle Stinknormalen, die gerne so wären, wie die anderen, die dachten, dass sie anders sind. (0'12) Musik kommt wieder hoch: Musik/ Blende Kennmusik Deutschlandrundfahrt - darüber: Sprecher vom Dienst: Der Mythos des "Hyde Park" - Das Herz der Subkultur im Osnabrücker Land Eine Deutschlandrundfahrt von Gesa Ufer und Ralf Bei der Kellen. 0. INTRO: über Musik Gesa: Vor zwei Jahren saß in der Kantine des Deutschlandradio jemand neben mir, dessen Name mir bekannt vorkam. Bei der Kellen, das klang doch irgendwie nach meiner alten Heimat. Also fragte ich: Sach' ma, kommst Du aus Osnabrück? Ralf: Ja, ausm Landkreis, also: aus Bramsche. Gesa: Und dann stellte ich die Frage, die sich alle Exil-Osnabrücker in der Diaspora stellen: Kennen wir uns vom Studium oder kennen wird uns aus dem Park? Ralf: Da war er wieder: Der Hyde Park. Seit dreieinhalb Jahrzehnten das Wohnzimmer der alternativen Jugendkultur des Osnabrücker Landes. Eine Art Großraum-Musikhalle vor den Toren der Stadt. Gesa: Sofort flogen zwischen uns die Namen und die alten Geschichte hin und her. Es war wie eine Zeitreise, und uns wurde klar: Ralf & Gesa: Wir müssen noch mal zurück Ralf: -und gucken, was wirklich dran ist: Gesa: am "Mythos Hyde Park". O-Ton 3 & Atmo Ralf & Ralf: (Atmo Schritte in der Garage) "Vielleicht sollte ich zur Sicherheit noch'n Reservekanister mitnehmen, ich weiss gar nich, wie voll der is. Ach, wir könn auch eben anne Tankstelle anhalten - oder ham wir's eilig?" "Nö. Wir fahren in Park, Mann." 'Ja ... " (Einsteigen, Türenzuschlagen, Anlassen, losfahren] (0'20) Ralf: Es ist wie vor 25 Jahren. Frisch aus Berlin angereist, fahre ich mit meinem alten Freund Ralf Stückemann in den Park. Zur Feier des Tages hat Ralf, heute Maurermeister im Familienbetrieb, seinen alten Ford Granada Baujahr 1976 aus dem Dornröschenschlaf erweckt. Naja, fast. O-Ton 4 (entsetzliches Quietschen): Ach so, die eine Antriebswelle macht ein bisschen Geräusche, die hab ich noch nicht eingefettet. Kann aber auch der Reifen sein, ich bin mir nicht ganz sicher. (0'10) Ralf: Eine Fahrt in den Hyde Park war immer auch eine Reise in eine verrückte Parallelwelt. Und die begann meistens schon an der Tankstelle. So auch diesmal: O-Ton 5 Tankstelle: Typ: "Der muss mal gewaschen werden." Ralf BdK: "Ja, aber sach ihm das nicht." Ralf S.: "Eigentlich müsste der Blei haben, aber das gibt's ja nich mehr ... " Typ: "Drei Schuss innen Tank, dann hat der auch Blei." (0'20) Ralf: Wir fahren über die B68 durch das idyllische Osnabrücker Land. Maisfelder, so weit das Auge reicht. Was uns heute wohl erwartet? O-Ton 6 Ralf S.: Viele Leute, die "Sie" zu uns sagen ... (lacht) (0'05) Atmo 2: Über schlaglochreichen Parkplatz fahren, abschnallen. Ralf: Wir stehen vor dem neuen Hyde Park. Vier Mal musste die Diskothek insgesamt umziehen. Der "Betonbau", die vierte Inkarnation, steht bezeichnenderweise neben der Auffahrt zur städtischen Mülldeponie. O-Ton 7 Ralf S. "Das is ja auch nich mehr ... wenn de mal überlegst: Früher war das hier, wenn de hier hingegangen bist, auch noch so'n Stück Lebenseinstellung mit, ne? Oder jedenfalls hätten die das alle gerne mal gehabt. Und jetzt ist das halt eine Diskothek von vielen, wenn die zumachen würde gäb's auch nich mehr groß Tumulte - so was gibt's heute nicht mehr ... " (0'18)] Atmo 3 Geräusch Rückwärtslaufendes Tonband (als akustisches Signal für "Flashback") O-Ton 8 Conny Overbeck: "Ich hab das 1976 übernommen, am 15. Mai haben wir die Teestube und die Gaststätte aufgemacht, und am 18. Juni haben wir dann den Saal dazu aufgemacht, und das ging ja dann bis zum 31. August äääh (denkt nach...) 83 - ja, genau." (0'17) O-Ton 9 Conny Overbeck "das war die richtige Zeit, der richtige Ort. Wir waren alle keine wer weiß was für Gastronomen, wir haben da alle in der Zeit noch mehr Party gemacht, und wir hatten einfach Glück. Die Leute kamen aus dem Ruhrgebiet, von überall an. Bei uns brauchten die keinen Eintritt zu zahlen, im Ruhrgebiet haben sie viel Eintritt gezahlt. 3:34 Damals waren wir ja auch der einzige Laden, wo die Gruppen spielen konnten, in der Größe - wir sind auch mit überrannt worden, nicht? (0'25) Atmo 4 - Raum bei Conny Gesa: Conny Overbeck nimmt sich noch eine ihrer langen schlanken Zigaretten. 60 Jahre alt ist die Besitzerin der legendären Diskothek in diesem Jahr geworden. Die knapp 40 Jahre in der Gastronomie sind nicht spurlos an ihr vorbeigegangen. Wir sitzen im Wohnzimmer ihres Einfamilienhäuschens, nur ein paar Autominuten von ihrem Arbeitsplatz entfernt. An der Wand hängen drei Ölgemälde, die die drei großen Etappen in der Geschichte des Hyde Parks zeigen: Ganz links ist der Alte Gasthof, das Schweizerhaus zu sehen. Auf der großen Freitreppe lungern ein paar abgerissene Punks herum. Hier - im Schweizerhaus - fing alles an, mit Connys zufälligem Job als Aushilfs-Kellnerin. Mitte der 70er-Jahre lag das 1905 erbaute und einst gut besuchte Ausflugslokal am Boden. Die alten Schankräume, die gut 700 Menschen fassten, waren schwarz gestrichen. Und das Sperrmüllmobiliar, die fleckigen Teppiche und räudigen Sofas waren ein Statement, dass hier ein Leben Platz fand, das mit dem spießigen Zuhause der Elterngeneration wenig gemein hatte. Veranstalter Gerd Ebel brachte zwar die ersten interessanten Bands in die Stadt, aber Umsatz machte die Wirtschaft nur am Wochenende. O-Ton 10 Conny Overbeck: "Und dann starb meine Tante Else, und dann hab ich 15 Tausend DM geerbt, damals. Und dann hat sich das dann so ergeben damals, da haben wir gesagt, ja wollen wir das und jenes, und dann bin ich zur Brauerei gegangen - am Anfang waren sie natürlich noch nicht so begeistert, aber dieser Rudi Heiter, der da war, hat gesagt: Komm, gib ihr doch ´ne Chance oder so was, und der Ebel war natürlich froh, den Laden loszuwerden, weil er keinen Profit damit machte, und so hat sich das dann ergeben." (0'26) Ralf: Als erstes musste dem alten Haus ein neuer Name verpasst werden: O-Ton 11 Conny Overbeck: Wir haben da gesessen und erst gesagt "Weißes Haus" und dies und jenes, und haben wir gesagt: Wir wollen aber auch, dass man hier frei sprechen kann, sich frei bewegen kann, rechts hatten wir ja dann diesen Biergarten oder so - und dann dachten wir irgendwie so "Speakers Corner", "Marble Arch" "Hyde Park" - so sind wir drauf gekommen." (0'16) O-Ton 12 Harald Keller: "Das Konzept des Hyde Parks sprach schon viele an, es passte sehr in die Zeit, gerade die Osnabrücker Jugendlichen suchten nach einem Ort, wo sie sich zwanglos aufhalten konnten. Es gab eine sehr starke Jugendzentrums-Initiative, die so einen Ort schaffen wollte. Das wurde von der Stadt immer unterlaufen, damals. Also in sofern kam der Hyde Park in der damaligen Form, so zur rechten Zeit." (0'24) Gesa: Harald Keller ist so etwas wie der Chronist der Osnabrücker Jugendkultur. Der Journalist hat das Buch "Hyde Park Memories" bei dem kleinen Münsteraner Oktober-Verlag herausgegeben. Die erste Auflage war innerhalb kürzester Zeit vergriffen. Ralf: Schon kurz nach seiner Gründung war der Hyde Park die Anlaufstelle für alle, die in Osnabrück und Umgebung anders dachten. Hier war man Mensch, hier durfte man es sein. Neben den vielen Studenten, die mit der Gründung der Universität und der katholischen Fachhochschule Anfang der siebziger Jahre nach Osnabrück kamen, gehörten zum Stammpublikum des Hyde Parks von Anfang an auch jede Menge Drop-Outs und wunderliche Typen. O-Ton 13 Harald Keller: "Wir haben bei den Recherchen für das Buch über den Hyde Park auch eine Geschichte gehört, dass das damals in Osnabrück ansässige Landeskrankenhaus, das auf psychisch Kranke spezialisiert war, mal an einem Tag einen Patienten vermisste, und der wurde dann im Hyde-Park gefunden, da stand er an der Theke im Schlafanzug und Bademantel und genoss sein Bier, und wurde genauso bedient, wie jeder andere auch." (0'20) Atmo 4 Treppenhaus Gesa: Einer der wenigen Kumpel, die nach der Schule in Osnabrück geblieben sind, ist Carsten Schierbaum. Früher sind wir oft zusammen in den Hyde Park getrampt, oder wir saßen nachts auf Bäumen und philosophierten über Schrödingers Katze und Carlos Castaneda. Einige Jahre lang hat Carsten in Osnabrück eine Kunst-Kneipe betrieben. Nach dem Tod seines Vaters zog er in dessen Wohnung in ein gesichtsloses Mietshaus aus den 70er-Jahren. In Osnabrück gibt es einige dieser Bausünden. Im zweiten Weltkrieg wurde über die Hälfte des Stadtgebietes zerstört, und während die historische Altstadt repräsentativ wieder aufgebaut wurde, strahlt ein graues Wohnhaus wie dieses unfreiwillig den Charme eines konspirativen RAF- Verstecks aus. Die Jalousien sind am Tag halb heruntergelassen, und als der Tabak alle ist, machen wir uns zu Fuß auf den Weg zur nächsten Tankstelle. Es fängt gerade wieder mal an zu nieseln, als Carsten erzählt, was für ihn die Magie des frühen Hyde Parks ausmachte: O-Ton 14 Carsten "Es war unheimlich dreckig, schwarz gestrichen, unheimlich verwegene Gestalten wie aus Mad-Max-Filmen hingen irgendwie schon draußen rum - alter Hydepark..79, ende 1979 - ich 13 Jahre alt , junger Tee-Dienst-Mann aus der christlich- pazifistischen friedensbewegten Ecke. Ich meine, da hingen Punker, Rocker, Drogensüchtige, ich meine: Erwachsene. Coole Lederjackenmenschen, na sowas war ungemein. Ja, praktisch auch Initiation - so ein Erwachsenen-Werden-Ritus, wie in einer Stammesgesellschaft - da musste man sich erst mal bewähren." (0'47) Ralf: Alles am Hyde Park war Low Budget - von den kaputten Sofas bis zum billigen Essen: O-Ton 15 Carsten "Das Essen - davon schwärmen alle, Spirellli - irgendso´n Dreck mit Knorr- Bratensoße - und kostet glaub ich 1 Mark...." (0'12) Ralf: Genauso wichtig wie die schummrige Beleuchtung, die günstigen Preise und die nicht vorhandene Gesichtskontrolle waren die Konzerte, von denen viele legendär gewesen sein müssen. Gesa: Harald Keller, der gerade eine Ausstellung zur Jugend- und Musikkultur in der Region kuratiert, präsentiert im Osnabrücker Museum für Industriekultur das Papier, das für Osnabrück den Beginn einer neuen Live-Musik-Ära bedeutete: O-Ton 16 Harald Keller: Es ging los mit Omega am 18.06.1976, die bekamen schon ne sehr gute Gage, 3000 Mark, selbst namhafte britische Bands haben zum Teil deutlich weniger bekommen. Die Scorpions aus Hannover waren gleich im August nach der Öffnung, ( ... ) da, und da haben wir die Besonderheit, dass sie sich in ihrem Vertrag ausbedungen haben, dass sie ungesehen zur Bühne gelangen wollen) Das ging im Hyde Park gar nicht, die Bühne war nur durch den Saal zu betreten. Das heißt, alle Musiker mussten immer durch den Saal durchs Publikum durch, und die Scorpions haben dann auch auf diesen Passus verzichtet... Gesa: Auch wenn der Sound oft unterirdisch war: die physische Nähe zu den Bands und Musikern machten diese Abende unvergesslich. Stammgast Karina, die seit den frühesten Hyde Park-Tagen vor allem herkommt, um exzessiv zu tanzen, erinnert sich, wie sich Musiker und Publikum nach den Konzerten mischten: Musik: Edgar Broughton Band - Out Demon's Out O-Ton 17 Karina und dann saß da in der Ecke die Edgar Broughton Band, da ist man natürlich nicht da auf die zugestürzt und hat da versucht, ein Autogramm zu kriegen, nein , man ist dann da so langgegangen, ganz cool und ehrfürchtig, hat man dann versucht, diesen Moment, ganz intensiv in sich aufzusaugen, die Bärte, die Locken, Die Mähnen, die langen Haare, die Lederhosen, und wie sie da saßen und an ihren Zigaretten und ihren Drinks - ne, Mann, Madre, und dann hat man am nächsten Tag gesagt, ich war da und die Edgar Broughton Band, die haben dann da alle noch an der Theke gesessen, echt coole Typen und so, ja so war das (0'39) O-Ton 18 Harald Keller: Also bei diesen Konzerten sah man Autokennzeichen von weit her, von bis zur holländischen Grenze und darüber hinaus, aus dem ganzen Dreieck Bremen, niederl. Grenze, Ruhrgebiet - teilweise bis nach Hannover rüber kamen die Leute....] (0'15) Musik 1: The Damned - New Rose - zunächst etwas stehen lassen (Bleibt unter dem folgenden Sprechertext liegen) Ralf: Und dann kam der Punk nach Osnabrück! Musik hoch Gesa: Harald Keller zeigt ein Flugblatt, das für das erste Punk-Konzert im Hyde Park wirbt: O-Ton 19 Harald Keller: "...das waren The Damned im Oktober 1977, die hier unter spektakulären Umständen aufgetreten sind, weil das Zielpublikum und auch Veranstalter und andere eigentlich gar nicht so recht wussten, was es mit Punks so auf sich hat....(GESA deswegen hier bei der Ankündigung auch der Hinweis "Bringt Sicherheitsnadeln, Rasierklingen und Toilettendeckel mit") Genau - und vor allem die britischen Soldaten, die hier noch vielfach stationiert waren, haben das ernst genommen, sich die Toillettendeckel aus den Kasernen gerissen, um den Hals gehängt, und kamen so aufs Konzert." (0'32) Ralf: Neben The Damned spielten auch Black Flag mit ihrem Frontman Henry Rollins oder die Dead Kennedys hier sagenumwobene Shows - zur Freude der Jugendlichen und zum Leidwesen der sanitären Einrichtungen. O-Ton 20 Conny: "Die gingen schon regelmäßig zu Bruch, - Sagen wir so: bei uns kann jeder im Laden eine Toilette auswechseln und ein Pissoir- das haben wir alle gelernt..." (0'08) Ralf: Der Hyde Park war inzwischen für ganz Nordwestdeutschland zu einem Epizentrum der Jugendkultur geworden. Der Schriftsteller und Satiriker Dietmar Wischmeyer, geboren 1957 in Melle bei Osnabrück: O-Ton 21 Dietmar Wischmeyer: "Das war die erlösende Ankunft der Moderne in der Provinz. Als der Park, da war ich aber schon als Wehrpflichtiger in Pinneberg und fuhr höchstens alle zwei Wochen mal nach Hause und in den dazwischen liegenden Kasernenwochenende ging's dann nach Hamburg in die Fabrik, zu Hause dann in den Park nach Osnabrück. Hamburg kommt mir seitdem immer etwas überschätzt vor." (0'20) Musik 2: Dead Kennedys: Holiday in Cambodia Atmo 6: (Hintergrund: Verkehrslärm Rheiner Landstraße) Schritte, Stein wird mit dem Fuß weggerollt. (0'05) Ralf: Rheiner Landstraße 140. Heute erinnern an den alten Hyde Park nur noch die gemauerte Einfahrt und ein paar herumliegende Bruchsteine. Ein verwildertes Grundstück inmitten einer Wohnsiedlung, das als Parkplatz genutzt wird. (evtl. Atmo RLL: Hallo etc) Ralf: Ich treffe Reiner Lahmann-Lammert, seit 1980 Lokalredakteur bei der Neuen Osnabrücker Zeitung. Gemeinsam betrachten wir die Überreste. O-Ton 22 RLL: ...das wollte ich Ihnen mitgeben, das sind noch ein paar Kopien aus unserem Zeitungsarchiv ... und hier sieht man so richtig ... also, das ist von der Straße aus fotografiert ... also das war das Gebäude, Hyde Park, das war einfach so'n altes Ausflugslokal und davor noch irgendwie die Mauer, die wir jetzt noch eben gesehen haben. Und da sieht man schon mal, wie viele Menschen da waren. Und das war an dem Sonntagabend, als geschlossen wurde." (0'28) Gesa: Der Hintergrund: Den Anwohnern wurde der Park zunehmend zuwider. Müll und Lärm bis tief in die Nacht störten die Eigenheimidylle. Bereits im September 1978 sollte der Park geschlossen werden. Begründung seitens der Stadt: Man habe Conny Overbeck nur die Konzession zum Zitat "Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft mit Saalbetrieb" erteilt, jedoch NICHT für den Diskothekenbetrieb. Nach vielen legalen Winkelzügen und nach Protesten von Jugendlichen sollte der Park schließlich zum 31. Juli 1983 geschlossen werden. Ralf: Da aber trotz intensiver Suche von Stadt und Betreiberin Conny Overbeck noch kein Ausweichquartier gefunden war, wollte die Stadt dem Park eine weitere Gnadenfrist von einigen Monaten einräumen. Als das ruchbar wurde, wurde am 26. Juli ad hoc eine Anwohnerversammlung in einem kleinen Radiogeschäft einberufen. Reiner Lahmann-Lammert erinnert sich: O-Ton 23 RLL: "Und da drängten sich mitten im Sommer bei 30 Grad Hitze, schätze ich mal, 50 Leute oder vielleicht auch 100, es war knalleng und die Stimmung war so richtig gereizt und es waren drei Politiker da - zwei von der CDU, die die Mehrheit hatte mit der FDP damals, und einer von der SPD. Und die Politiker wurden niedergebrüllt und es gab Forderungen, den Hyde Park abzubrennen, es gab Forderungen 'Waffenschein für alle' (lacht). Also, das waren 'Wutbürger', kann man sagen, wie man sie jetzt vielleicht noch mal in anderen Zusammenhängen erlebt - [ich habe das Ende Juli 1983 hier in Osnabrück erlebt]. Und nach dieser Versammlung, die so emotional war, hat die Mehrheitsgruppe im Rat gesagt: 'Wir machen den Hyde Park jetzt doch sofort dicht!' Also, wie vorher schon angekündigt war, zum 31. Juli - ohne diese Fristverlängerung." (0'56) Gesa: Was wiederum die Besucher des Parks zu Wutbürgern werden ließ - und das in ungeahntem Ausmaß. Ein Amateurvideo vom Abend der Schließung: O-Ton 24 (aus einem Video der Filmgruppe der Lagerhalle) "Ihr seid ja wahrscheinlich heute Abend hierher gekommen, weil der Hyde Park das letzte Mal aufhat. Ja, und was erwartet ihr so vom Abend?" "Ja, erwartungsvoll darauf, das irgendwas passiert." "Ja, und was soll passieren, was meinst Du damit?" "Alles." (0'16) Atmo 6 Crossfade Atmo Demonstration / Brennende Autoreifen (0'06) O-Ton 25 Conny: " ... und dann mussten wir um Zwölfe zumachen. Alle waren se drauf. Jeder war irgendwie chaotisch, und dann kam die Polizei, und hat dann auch Tränengas bei uns reingeschmissen, und bei uns im Putzschrank da standen die Leute mit 'nem Fegeblech vorm Gesicht. Unser Hausmeister war im Bierkeller, weil er sagte, er muss aufs Bier aufpassen, alle liefen se durcheinander, also ich kann mich gar nicht mehr an alles erinnern." (0'16) O-Ton 26 (aus einem Video der Filmgruppe der Lagerhalle) "Die schießen hier ... " (0'07) O-Ton 27 Carsten: Ja, und dann ging´s bei der Dunkelheit auch los, Gullydeckel wurden aufgemacht, Feuer auf der Straße, die Bullen kamen auch erwartungsgemäß, es flogen Stein, es flog Tränengas, ich floh wie ein kleines Mädchen (lacht) in den Hyde Park, Conny Overbeck meinte, "Komm komm komm" durch die Teestube, es wurde mir das hintere Fenster aufgemacht, (hustet) ich floh über die Mauer, Richtung Heger Friedhof, traf mich auf unserem Lieblings-Stammgrab mit ein paar netten Leuten zum Rauchen, und verpasste leider den Rest der gloriosen Straßenschlacht (0'38) O-Ton 28 Conny: " ... und dann hatten wir sie irgendwann spätnachts alle raus und haben da gesessen und dann fingen sie am nächsten morgen gleich um 8 - ich weiß nicht, die Bunte, oder das Goldene Blatt: "haben sie keine Fotos gemacht?" Und "Können wir das haben?" Für mich war diese Zeit - ist die wie im Film an mir vorbeigegangen." (0'21) O-Ton 29 Tagesschau (evtl. mit Jingle 0'04) (Wilhelm Wieben) "Zu schweren Krawallen kam es in der vergangenen Nacht in der Innenstadt von Osnabrück. Sogenannte Punker lieferten der Polizei stundenlang Straßenschlachten. 37 Beamte wurden verletzt, einige von Ihnen schwer. Acht Jugendliche wurden festgenommen. [Ausgelöst wurden die Ausschreitungen durch Schließungen dieses Rocklokals wegen Wiederholter Störung der Öffentlichen Ordnung. Aus Protest gegen diesen Beschluss hatten sich nach Angaben der Polizei weit über 1000 Jugendliche aus verschiedenen Städten Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens zu einem Abschlusskonzert eingefunden.]" (0'21) O-Ton 30 Reinhard Westendorf: "Da waren wir mit sechs Jungs im Wohnmobil auf'm Rückweg von unserem Griechenland-Urlaub ... und in Österreich, weiß ich noch genau, die ersten deutschen Nachrichten, die wir gehört haben, waren eben nämlich genau: Krawalle um Osnabrücker Großdiskothek." (0'11) Ralf: - erinnert sich Reinhard Westendorf, Jahrgang 1961 und Leiter des Kinospielbetriebs im ebenfalls seit 1976 existierenden Kulturzentrum Lagerhalle in Osnabrück. Die Demonstrationen und Ausschreitungen halten eine Woche an und erreichen am Samstag, den 6. August, ihren Höhepunkt. Gesa: Martin Schmidt, Jahrgang 1965 und heute Filmvorführer im Cinema Arthaus ist seit 1982 regelmäßiger Park-Besucher. O-Ton 31 Smilo: "Also wir sind an dem Abend zu sechst dort hingefahren - weil wir uns das einfach noch mal angucken wollten. Wir sind auch nicht direkt bis vor den Hyde Park gekommen überhaupt- Und irgendwie kamen dann Leute an und erzählten, dass die von einer Seite dann mit Hunden und Schlagstöcken dann auf diese Gruppe, die direkt vor'm Hyde Park stand, losgegangen sind. Ein anderer kam dann zu dem Einsatzwagen an und sagte, er möchte gerne den Einsatzleiter sprechen. Und der fragte dann, warum? Ja, die würden hier auf Anwohner einschlagen. Also nicht nur die ganzen Leute, die dort demonstriert haben, sondern auch die Anwohner haben wohl richtig heftig dort abbekommen. Und dann mussten wir schon wieder laufen." (0'43) Ralf: Am nächsten Tag finden sich wieder ca. 1000 Menschen vor dem geschlossenen Park ein - denen nun ca. 500 Bereitschaftspolizisten gegenüberstehen. Diese fühlen sich von flüchtenden Besuchern angegriffen und gehen mit ungeahnter Härte vor. O-Ton 32 Smilo: " [Wir] hatten keinen Bock mehr, wir wollten sozusagen nach Hause, und sind dann nur noch zu fünft gewesen. Die sechste Person war 24 Stunden verschwunden. War, wie wir dann nachher erfahren haben, auch wohl 24 Stunden in Polizeigewahrsam, ohne Anklage, ohne sonst was - das ist sozusagen mein Erlebnis mit den Krawallen 1983." (0'22) Gesa: Und das war das Ende des ersten Hyde Parks. Nur kurze Zeit später eröffnet der Hyde Park an einem neuen Ort und in neuem Gewand als "Cirkus Hyde Park" in einem riesigen Zirkuszelt - auf einer Brache zwischen Industriegebiet und dem städtischen "Entsorgungspark" am nördlichen Rand von Osnabrück. Innen gibt es jetzt an den Rändern Holztribünen, auf denen man stehen oder sitzen kann, um den Tänzern zuzuschauen, die in der Arena-artigen Mitte alles geben. Über allem baumelt eine große Disko-Kugel. Statt lauschiger WG-Atmosphäre wirkt der Cirkus Hyde-Park nun eher wie eine "Großraumdisko". Am Wochenende reicht die Schlange der anfahrenden Autos hunderte von Metern weit. Und: Der Hyde Park macht auch am neuen Standort Sorgen. MUSIK Killing Joke - Love like Blood (3'57) 3. Kapitel: Die Drogen O-Ton 33 Reiner Lahmann-Lammert: "Die Stadt wollte ja auch gerne, dass der Hyde Park weiterbetrieben wird. Auch die Polizei hat damals gesagt: Wir sind dafür, dass der Hyde Park weitergeführt wird. Und wenn die Polizei auf [die] Drogenproblematik angesprochen wurde, hieß es immer - damals schon und später auch: 'Im Hyde Park haben wir es wenigstens unter Kontrolle.' Das Argument habe ich sehr oft von der Polizei gehört." (0'20) Ralf: Einige Gäste von damals erinnern sich: O-Ton 34 Smilo: "Also, meine Eltern wussten irgendwann Bescheid, dass ich in den Hyde Park fahre - vor allen Dingen mein Vater fand es nicht gut, weil er zu dem Zeitpunkt als Rettungswagenfahrer natürlich auch um den Ruf des Hyde Parks wusste und auch um die ganzen Drogengeschichten. Und hat mich da ständig vor gewarnt (0'23) O-Ton 35 Carsten Sandkämper: "Das war ganz klar ne no-go-area. Für Eltern auf jeden Fall. Da tut man den Kindern Drogen in den Kaffee und, ääähhh ... ganz fürchterlich. Geht gar nicht." (0'12) Ralf: Alternativer Lebensstil und der Konsum von bewusstseinserweiternden Substanzen gingen oft Hand in Hand. So auch im Hyde Park. Bald wurde er - nicht zuletzt aufgrund der Nähe zu den Niederlanden, wo eine laxere Drogenpolitik herrschte - zu einem der Hauptumschlagszentren der Region. Hier traf sich auch der Drogen-affine Teil der Jugendkultur - aber nicht nur, um sich einzudecken, sondern weil sie hier auch "auf Droge" sein konnten, ohne, dass es auffiel. Karina erinnert sich: O-Ton 36 Karina Also eine Freundin von mir, die vor wenigen Jahren schon gestorben ist, die so ähnlich alt war wie ich und jetzt leider schon tot ist, die hat mal gesagt: Wenn Du einen LSD - Trip genommen hast in Osnabrück - wo willste dann hingehen? Willste in irgendne komische Disko gehen aber im Hyde Park, wie er damals so war, mit seinen Ecken und Kanten, und draußen, und selbst wenn de da mal ein bisschen gepennt hast, ein paar Stunden. Da wurdste nicht gleich von supergroben Türstehern am Schlafittchen gepackt und rausgetreten, ne - du konntest da durchaus kommen, acht Stunden aufs Sofa legen und nach Hause gehen..." (0'46) Gesa: Für einige Jugendliche endeten die bewusstseinserweiternden Experimente im Hyde Park fatal: O-Ton 37 GR: "Und dann bin ich bei meinen Eltern rein, durch's Geschäft, und dann sagten meine Eltern schon: Du, warte mal eben, wir müssen mit Dir reden. Und da hab' ich gesagt, nee ich hab' gar keine Zeit, ich treff' mich gleich mit Traute. Ja, und ... da kam dann diese ... Nachricht, dass man beide nachts tot in der Wohnung gefunden hat. Und die sich wohl totgespritzt haben." (0'26) Zitator (Christian Bienert): "Bruder und Schwester tot auf der Matratze. Die von der Polizei längst als bedrohlich empfundene Drogenszene im Osnabrücker Nordkreis hat jetzt in Bramsche allem Anschein nach die ersten Todesopfer gefordert." Ralf: Drogen! In meiner Heimatstadt! Damals war ich neun Jahre alt, und übernachtete bei meinen Großeltern. Die Geschwister Rainer (27) und Traute (24) waren Kinder der Nachbarn meiner Großeltern. Und auch, wenn Oma es verhindern wollte, so erlebte ich doch die Ankunft des Leichenwagens. Solche Dinge prägen sich ein. Am nächsten Tag lautete die Überschrift in der lokalen Presse: Zitator (Christian Bienert): "Es war Heroin: Die Spur führt in den "Hyde-Park'." O-Ton 38 GR: "Ich habe aber auch Jahre später, wenn Leute sagten 'Wir fahren in den Hyde Park, kommst Du mit'? No go! Das war für mich ... nein. Auch wenn's vielleicht harmlos war - nee, für mich hatte das'n ganz dunklen Schleier und'n ganz bitteren Nachgeschmack." (0'20) Gesa: So wie dieser Nachbarin, die von frühester Kindheit an mit der verstorbenen Traute D. befreundet war - und die anonym bleiben möchte - ging es vielen: Der Hyde Park wurde zum Inbegriff des Bösen. Ralf: Und daher dauerte es lange, bis ich mich als Teenager zum ersten Mal in diese Lasterhöhle traute. Atmo aus der Jetztzeit (Park 2013) An einem Nachmittag im Herbst 2013 sitze ich an einer der drei Theken des Hyde Parks. Neben mir sitzt Reiner Gildner, genannt Gille. Der heute 58jährige ist Geschäftsführer des Hyde Park und von Anfang an dabei. O-Ton 39 Gille: "(gedehnt) Jaaa ... wie soll ich das sagen ... so was hat's glaube ich nirgendwo wieder gegeben in Deutschland, das kann sich hier glaube ich auch keiner vorstellen, wenn Autoschlangen 200 oder 300 Meter lang sind, die am Wochenende kommen und sich ihr Koka abholen und das wie bei McDonalds schaltermäßig einfach so kaufen können, und über Jahre die Polizei einfach nur verzweifelt zuschaut, weil es von den überstellten Behörden so gewollt war. (0'45) Gesa: Im Hyde Park waren die Drogenhändler ziemlich präsent. Wer vor 23 Uhr kam, wurde gern mal direkt vor der Tür in ein Verkaufsgespräch verwickelt. Den Machern war das gar nicht recht: O-Ton 41 Gille: "Wir waren mittendrin, im Zweifelsfalle waren wir natürlich mal wieder Schuld an der ganzen Sache, wie (lacht) wie's halt so am einfachsten ist - aber wir haben da schon sehr drunter gelitten; wie gesagt, das ging ein paar Jahre, wurde dann behördlich zerschlagen, mit Platzverweisen, ziemlich aufwändig - und dann war auch Ruhe. Und dann hatte sich das mit der ganzen Drogengeschichte auch so erledigt." (0'57) Ralf: Und die Gäste? O-Ton 40 Smilo: "Also, ich hab' die auch nie als Bedrohung wahrgenommen, also, das war einfach erschreckend, das die einem plötzlich so entgegensprangen, aber letztendlich, wenn man dann gesagt hat, nee, ich hab' da kein Interesse dran, dann sind die auch sofort wieder verschwunden." .....ich hab' nie was mit Drogen selbst zu tun gehabt, fahr' auch nie Drogen genommen und mir hat's aber trotzdem Spaß gemacht, dahinzugehen und mir das allen anzugucken." (0'32) O-Ton 42 Dietmar Wischmeyer: "Also Erwachsenenwelt und die Welt der Jugend waren noch weit voneinander getrennt und jeder hielt die des anderen für total bekloppt. Das, das war 'ne gute Zeit." (0'09) Gesa: Auf jeden Fall war es eine wilde Zeit, und der Hyde Park lieferte den passenden Soundtrack gleich mit. Martin Schmidt, der von 1999 bis 2003 als DJ Smilo jeden zweiten Freitag aufgelegt hat, erinnert sich an einen der wichtigsten Songs aus dieser Zeit: O-Ton 43 Smilo: "Ja - 'Rock The Casbah' von The Clash. Das ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Also vor allen Dingen Brownie, wohl einer der großen DJs im Hyde Park der 80er-Jahre, würde ich mal behaupten, der hat eigentlich immer 'Rock The Casbah' gespielt." (0'14) MUSIK 3: The Clash - Rock The Casbah (3'30) Ralf: Das Zirkuszelt im Industriegebiet musste Mitte der 80er-Jahre einem Holzbau weichen - nicht zuletzt aus Gründen des Lärmschutzes, wie der Hyde-Park-Chronist Harald Keller zu berichten weiß: O-Ton 44 Harald Keller "Wir haben bei unseren Recherchen einen Beschwerdebrief gefunden, aus dem Ortsteil Rulle, der ungefähr 7 Kilometer vom dortigen Hyde Park entfernt liegt. Und da hat sich ein Anwohner über die Geräuschbelästigung bei einem Konzert beschwert- Er schreibt nicht, welches Konzert es war, aber wir konnten das anhand des Datums feststellen. Das war Golden Earring (Carsten...Ja, war geil) Gesa: So kam es, dass ein großer zirkusförmiger Bau entstand, das "Holzzelt". Und mit ihm - kam "unsere" Zeit. Innen ähnelte der Bau sehr dem Zirkus-Zelt - Tanzfläche in der Mitte, Theken, Flipper, Kicker und Aufgang zur DJ-Kanzel drum herum. Auch hier gab es die Holzränge an der Seite, von denen sich unauffällig begehrte Tänzer oder Gäste beobachten ließen. Unter der Tribüne war Platz für Geheimnisse: verbotene Küsse etwa, oder die ersten selbstgebauten Joints. Nach den Punks und Hippies wuchsen nun im Schatten von Waldsterben, Ozonloch und Wettrüsten und Overkill die Waver und Ökos in Westdeutschland heran - eine Truppe ahnungsloser nihilistischer Gymnasiasten, wie mein Hippie-Kumpel Carsten uns nannte. Nicht ganz zu unrecht. Wer auf sich hielt, stand notcool rum. Getanzt wurde allenfalls donnerstags zur richtigen weil düsteren Musik. Jenni Zylka, die heute als Autorin in Berlin lebt, hörte im Hyde Park am liebsten Songs wie diesen: MUSIK 4: The Forest von The Cure Darüber: O-Ton 45 Jenni Zylka: ..weil das ja so ein dramaturgisch ausgefuchstes [12 Minuten] Stück ist, wo´s im dunklen Wald, bringt sich einer um, mit so einer philosophischen Note. Ist der Baum noch da, wenn ich weggucke - das war genau mein Ding. Und dann haben da immer total hübsche Waver getanzt, aus Bramsche oder irgemwie so (lacht) hübsche Jungs aus den umliegenden Ländern, die dann mit so hochstehenden Haaren dazu getanzt haben, wie man damals so getanzt hat - fand ich ganz toll. (0'25) Ralf: Im Hyde Park-Buch beschreibt Jenni Zylka, was Generationen von Osnabrücker Jugendlichen kennen: Das heimliche Aus-dem-Haus-Schleichen, um im Park Runden zu drehen: O-Ton 46 Jenni: Man schließt das Rad unter dem Heger Tor ans Mofa, Zahlenschloss, Daumen raus in Richtung stadtauswärts. Beim Warten dreht man Zigaretten aus dem ekligen Bantam von Aldi. Steigt in Bullis ein, bärtige Typen, langhaarige Mädchen. Oder langhaarige Typen und bärtige Mädchen. Oder sich mit der großen Schwester rausschleichen. Die den Floh überhaupt originär ins Ohr gesetzt hat: Da sind Freaks" Normale Menschen tanzen so. Da tanzen aber alle SO! (Mit Ausdruck.) Auf Zehenspitzen federt man wie ein lautloser Schatten hinter ihr her, wenn sie extra geräuschvoll die Türen schlägt, sich in ihren gelben VW-Käfer setzt, und losfährt. Die Eltern hören nur eine Person gehen. Man trägt den Harry-Potter-Unsichtbar-Umhang! Genauso heimlich wieder nach Hause, später, das Nachthemd wartet an der Tür, damit das Umziehen schneller geht. Oder man kraxelt gleich aus dem Fenster, und haut durch den Garten ab. Eines Nachts standen mal plötzlich fremde Eltern mitten auf der Tanzfläche, als der Disconebel sich verzogen hatte. Danach zuckt man immer zusammen, wenn DJ Brownie eine Ansage machte. Hofft mit klopfenden Herzen, dass nicht der eigene Name aufgerufen wird. "Die Eltern von ... sind hier". Stattdessen wieder Runden drehen. Und Runden drehen. Mit der Freundin abmachen, so lange zu bleiben, bis man mindestens drei Leute trifft, die man kennt. Klappt auch immer. (1'10) Ralf: Für uns Landkreisbewohner folgte das Park-Ritual einer ganz anderen Choreographie: Sich bei Freunden treffen, warten, ob man selbst fahren muss oder ob jemand anders sich erbarmt. Dann: dann den richtigen Zeitpunkt abpassen - die Park-Experience begann in dem Moment, in dem die letzte Autotür zuschlug - oft gefolgt von dem entsetzten Aufschrei "Scheiße, Kippen vergessen!" und einer neuerlichen Verzögerung der Spannung. Dann: losfahren. Und hoffen, hoffen, hoffen, dass man nicht von der Polizei angehalten wird. Denn die wären an unseren alten Karren immer fündig geworden. Auf dem Parkplatz wurde dann erst mal geguckt, was so an anderen alten Autos da war - viele fuhren ja auch nur zum Park und blieben dann einfach in ihren Karren sitzen - zu cool um reinzugehen. Irgendwann dann doch die Mark Eintritt zahlen, und: erst mal eine Runde drehen, gucken, wer da ist, dann: Bier bestellen, sich mit Bekannten anschreien (die Musik war einfach waaaahnsinnig laut) oder den verrückten Ausdruckstänzern zugucken. Am prominentesten unter denen war neben dem Hyde Park Opa damals mein Kommilitone Carsten Sandkämper: Atmo 7 O-Ton 47 Carsten Sandkämper: "Sah vielleicht doof aus, hat aber Spaß gemacht!" (lacht) (0'05) Atmo 7 Ralf: Auch das Treffen mit Carsten ist eine Zeitreise: wir sitzen in der Cafeteria der Uni. Hinter uns bekennenden Geisteswissenschaftlern sitzt - mal wieder - ein Pulk Jura- Studenten, die noch immer eine ganz andere Sprache sprechen. O-Ton 48 Carsten Sandkämper: "Der Hyde Park hatte früher so einen Kultstatus, dass ich Freunden gegenüber, die jetzt ein oder zwei Jahre älter waren, einfach behauptet hatte, dass ich regelmäßig in den Park gehe, um cooler zu erscheinen. Und (lacht) dann sagten die natürlich: Wann bist Du denn immer da, weil - ich hab' Dich da noch nie gesehen? Ja, da sagte ich halt: Montags! (lacht) (0'22) Ralf: Darüber musste jeder Osnabrücker lachen, denn: Montag war der einzige Tag, an dem der Park geschlossen war. Für Carsten, der heute mit seiner Band Pendikel alternativste Musik macht, hatte der Park neben Sportraum und Peergrouptreff auch noch eine andere Funktion: O-Ton 49 Carsten Sandkämper: "Ja, ich bin im Hyde Park auf jeden Fall musikalisch sozialisiert worden." (0'04) Gesa: Musik aus dem Internet gab es noch nicht, Radiosendungen, die gute Musik spielten, gab es - außer denen von John Peel und Ecki Stieg - kaum, also hörte man neue und interessante Musik oft im Park. O-Ton 50 Carsten Sandkämper: "Sich mit anderen Leuten zum Plattenhören zu treffen war halt das eine, aber dann zu späterer Stunde in den Hyde Park zu fahren, um das laut zu hören, war das andere. Weil Lautstärke auch eben dazugehört - in der Art von Musik, wie ich sie höre." (0'14) Gesa: Wobei der Hyde Park immer eher der Rockmusik die Stange gehalten hat - elektronische Musik fand seltener Einlass in die Playlists der DJs. Ralf: Apropos Lautstärke: Viele männliche Park-Besucher hegten natürlich auch die Hoffnung, im Park die ultimativ abgefahrene Frau fürs Leben zu finden. Was aber - zumindest in meinem Bekanntenkreis - nur selten passierte. O-Ton 51 Reinhard Westendorf: "Weil's so laut war. (lacht) Oder , weil sie eben, äh, ja, unter irgendeinem Rauschmitteleinfluss standen, sei es Alkohol oder - unerlaubte Sachen." (0'09) O-Ton 52 Carsten Sandkämper: "So richtig als Eheanbahnungsinstitut funktionierte der Park sicherlich meiner Meinung nach nicht unbedingt. Zu laut und ... 'n bisschen zu ekelig auch einfach." Ralf: Und man fuhr auch in den Park, weil dort zu jedem Zeitpunkt alles Mögliche und auch alles Unmögliche passieren konnte. O-Ton 53 Carsten Sandkämper: "Berühmt ist natürlich der Typ, der mit ner Pistole durch die Toilettentür geschossen hat und sonnem Punk in den Hintern (lacht) dann musste natürlich der Notarzt kommen, und das war ziemlich aufregend ... wir haben dann nachher nur das Blut gesehen, also das war auch Park par Excellence, ne?" (0'21) O-Ton 54 Carsten Nein, es gingen ja auch andere Leute hin. Wie Christian Wulff zum Beispiel, von dem es gerüchteweise hieß, ich glaub´s persönlich nicht, dass er Haschisch im Hyde Park gekauft hätte, als Junge Union Vorsitzender ... Also, wie gesagt: ich glaub´s mal eher nicht, aber ... O-Ton 55 Gille: "Was war denn mit der jungen Dame, die den Striptease auf'm Stehtisch gemacht hat? [Die] war auf'm Tisch am strippen [da] hinten, und ... ich wollte das nicht, das passte mir nicht so richtig und geh' da hin ... und dann hat sie sich beim Schlüpfer ausziehen irgendwie in ihren High Heels vertüddelt und fiel mir inne Arme (fängt an zu lachen) [ich] konnte sie grade noch auffangen und dann noch nach draußen begleiten mit Klamotten ... ja, das (lacht) ... wo man dann auch fassungslos steht und denkt: Was mache ich hier überhaupt?" (0'33) Ralf: Auch wenn das oft unklar blieb: geprägt hat der Park wohl jeden, der regelmäßig hinging. (0'14) Musik 5: Fugazi Waiting Room Ralf: 2000 zog der Park noch einmal um: auf die andere Straßenseite. Gesa: Und obwohl der neue Standort nur knapp 500 Meter vom alten entfernt liegt, obwohl es immer noch schummrig, dreckig und überirdisch laut ist, geht es uns wie damals den vielen Stammgästen des alten Schweizerhauses: Irgendwie ist es nicht mehr "unser" Park. Bei der jetzigen Inkarnation des Parks haben die Betreiber mehr auf langlebige Stahlkonstruktionen gesetzt. Und die runde Zirkusform ist jetzt einem rechteckigen Zweckbau aus Beton gewichen. Es wirkt irgendwie steriler - aber das ist vielleicht auch nur gefühlt... Ralf: Aber der Park ist es immer noch. Runden drehen geht nach wie vor. Und Conny, Gille und Co. sind ja auch noch da. O-Ton 57 Gille: "Es ist jetzt die letzten Jahre ... oder eigentlich auch schon sehr, sehr lange, dass der Hyde Park glaube ich auch immer so der erste Schritt ist für die Jugend in kommerziellen(n) Diskos reinzugehen, so, sag' ich mal, nach den Schulaula- Aufführungen und Gemeindefesten, die ersten Schritte sind dann auch so, geht man in den Hyde Park rein - weil die Eltern da auch schon waren und die sagen 'Geht da mal hin, da seid ihr schon gut aufgehoben' (lacht) ... ja." (0'33) (kann noch gekürzt werden) Ralf: Na, ob das stimmt - oder ob HydePark-Urgestein Gille da nicht eher zum Romantisieren neigt? Johannes und Patrick sind beide 19 Jahre, kommen aus dem Osnabrücker Umland und gehören zu den regelmäßigen Hyde-Park-Besuchern von heute. O-Ton 58 Johannes & Patrick: Johannes: "Wir waren zusammen zum ersten Mal-" Patrick: "-da waren wir 15-" Johannes: "Ende 15, 16 vielleicht ... das war unser erstes mal, ja." Patrick: "Als wir das erste Mal im Park waren, hat das irgendwie keine seinen Eltern erzählt ... " Johannes: "Doch! Meine Mama war stolz auf mich!" Patrick: "Ach ja, stimmt ... " Johannes: "Ja, weil meine war früher selber megaoft, deswegen hat sie dann sogar all ihren Freudinnen stolz erzählt: 'Astrid, haste schon gehört? Johannes war zum ersten Mal im Park! Ja! ganz wie die Mutter! Also so was eher ... " [Patrick: Bei mir war das eher so, also, ich hatte es meinem Vater erzählt, und der war früher jeden Tag im Park - auch damals, als der noch auf der anderen Straßenseite stand, mit dem Zirkuszelt, und der hat dann gesagt, ja, cool, dass Du da warst, und hauptsache, Du ... solange Du mir nicht in die Wohnung kotzt ist alles gut, und ... ja, so war das dann."] (0'26) [0'46] Gesa: Der Park ist auch heute noch ein Schmelztiegel der Subkulturen. Wenn Harald Keller von den 1970er-Jahren erzählt, oder Johannes vom letzten Monat, scheint sich im Park nicht viel verändert zu haben: O-Ton 59 Harald Keller: Es gab ein buntes Völkchen, man kann sagen: alle Subkulturen waren da vertreten, und vor allem sie vertrugen sich auch. O-Ton 60 Johannes: "Da sind normale Leute wie wir, da sind Hardcore Emos und Hipster und alle dabei. Und all vertragen sich. Meistens. Solche Leute gehen in den Park. Oder Leute, die nich soviel Geld haben. (lachen)" (0'13) O-Ton 61 Patrick & Johannes: Patrick: "Der Park ist mit Abstand die beste Disco in Osnabrück." Johannes: "Ja, allerbeste. Ich find auch, alle Discos sind gar keine ... also, das ist gar kein Feiern für mich. Also, ich geh' doch nicht feiern, damit ich mich an den Dresscode halten kann und mich benehme und nicht zuviel tanze und nicht soviel trinke - das ist doch kein Feiern, das ist doch Etikette! Also, Hyde Park ist schon mehr Freiheit, mehr ausrasten, mehr machen, was man will ... " (0'23) O-Ton 62 Patrick & Johannes: Patrick: "Es wird auf jeden Fall so bleiben, die nächsten 10, 20 Jahre." Johannes: "Wir sind eine große, glückliche Familie." (lacht) (0'04) Ralf: Geschäftsführer Gille ist eher verhalten optimistisch: O-Ton 64 Gille: (atmet ein) "Ja, schon ne lange Zeit, woll'n mal sehen, wie was das hier so weiter um die Ecke kriegen ... bin eigentlich ganz zuversichtlich, läuft ganz gut, könnte mal besser laufen, aber wir sind ganz zufrieden, wir haben wirklich nen tolles Stammpublikum wie eh und je, ja. Ich glaube, hält auch jung ... wenn man noch mal mit jungen Leuten zu tun hat ... " (0'23) Gesa: Aber auch da gibt es - aufgrund des Alters der Protagonisten - Grenzen. Conny Overbeck, seit 40 Jahren Eigentümerin des Hyde Parks: O-Ton 65 Conny: Es ist ja auch so: heute bin ich 60 und bin froh, wenn ich hier zuhause bin. Weil es geht ja heute auch bis 5. Früher war ja um 2 Polizeistunde. Und früher haben wir uns beschwert über Polizeistunde, heute wär ich froh, wenn sie wieder da wäre. (Carsten lacht)" Ralf: Heute ist Conny plötzlich selbst die "Hyde Park Oma": O-Ton 66 Conny: ] sicher hat sich das verändert. Also vom Schweizer Haus zum Zelt, das war schon die gleiche Generation, die sind da einfach mitgekommen, und ja, klar, dann wurden die immer jünger und jünger, die anderen wurden älter, und es ist ja nicht selten, das heute jemand sagt: schöne Grüße von meiner Großmutter, sicher Ralf Auch wenn der Hyde Park möglicherweise etwas von seiner Strahlkraft für die Region eingebüßt hat, ist er bis heute untrennbar mit den Lebensläufen vieler Osnabrücker zwischen 15 und 65 verbunden. Und vieler anderer Menschen aus den angrenzenden Landstrichen. Gesa: Die Autorin Jenni Zylka hat das Schlusswort: "Egal, in welcher Stadt man lebt, wo man heute Abend hingeht, was man trinkt, wozu man schüttelt, was man hat: Von der Pieke auf gelernt hat man das alles im Park. Und das wird man ihm nie vergessen." (0'30) Schlussmusik: The Smiths/ Byrds - Hymne to find.. O-Ton Carsten Sich gegenüber von der Lotter Straße am Heger Tor an die Straße stellen, mit 20 Leute oder 30 Leuten, die da auch stehen, und der Reihe nach - wie an einer englischen Bushaltestelle abgeholt werden von Freak-Schüsseln - alten Mercedessenn. Es waren immer diese Zappa-Aufkleber. Hier in Osnabrück gab´s immer Freakmobile. Die hatten Erkennungsaufkleber: Früher war´s ein Zappa - Aufkleber, vorher ein "Atomkraft?-Nein-Danke-Aufkleber", zu meiner Zeit war´s der "Erdbeer-Blau-Aufkleber" -und trampte und es war tatsächlich eine mystische Reise auf den Sugar Mountain, ins gelobte Land, über den Jordan, dahin wohin die vernünftigen Erwachsenen einem nie folgen konnten. Wo mein Chemie-Lehrer Müller nie hinkam. ENDE/ Blende Kennmusik Deutschlandrundfahrt - darüber Sprechertext: Sprecher: Der Mythos des "Hyde Park" - Das Herz der Subkultur im Osnabrücker Land Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Gesa Ufer und Ralf Bei der Kellen. Ton: Alexander Brennecke Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2013 Manuskript und das Audio der Sendung finden Sie im Internet unter dradio.de 23 1