COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. KULTUR UND GESELLSCHAFT Reihe : Literatur Titel der Sendung : "Ihre Zeit in Briefen erfasst" - Rahel Levin Varnhagen im Briefwechsel mit ihrer Familie. Zusammengestellt von Autorin : Barbara Hahn Redakteurin : Barbara Wahlster Sendetermin : 03.02.2013 Regie : Stefanie Lazai Besetzung : 2 männliche Stimmen, 3 weibliche Stimmen + Sprecherin/Kommentare Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig (c) Deutschlandradio "Ihre Zeit in Briefen erfasst" Rahel Levin Varnhagen im Briefwechsel mit ihrer Familie zusammengestellt von Barbara Hahn Deutschlandradio Kultur: 03.02.2013 Redaktion: Barbara Wahlster Sprecherin: Die ältesten überlieferten Briefe sind in hebräischen Buchstaben geschrieben. Die Mutter, unterwegs zur Messe in Leipzig, schreibt ihrer Tochter Rahel, die mit den jüngeren Geschwistern in Berlin geblieben ist. Erste Frauenstimme: Chaie an Rahel: Dienstag, den 12. Ijjar 544. Liebe Tochter Rahel, sollst leben! Dein Brief von 28ten Passato haben wir mit Vergnügen erhalten. Rahele, Du schreibst gar nix von Lipman, Meir, Rösche. Ich zweifel nicht, daß sie wohlauf sein und Dich manche mahl beunruhigen. Dafür sind'st Kinder, mußt Geduld lerne. Grüße alle Deine gute Freunde. Ich danke sie, daß sie Dich nicht allein lassen. Rahele, wann ich Dich von alle namentlich grüßen sollte, die mir's auftragen, muß ich ein ganzen Bogen Papier allein haben. Lebe wohl, küsse die Kinder, und grüß Lipman. Er soll artig und fleißig sein. Deine Mutter Chaie. Sprecherin: Eine jüdische Familie im Berlin der Aufklärung. Gerechnet wird nach dem jüdischen Kalender - nach der gängigen Zeitrechnung wurde der Brief am 3. Mai 1791 geschrieben - , die Namen der Kinder und Bekannten sind jiddisch. Kurz darauf ist alles anders. Mordechai heisst nun Markus, Lipmann, der mittlere Bruder, nennt sich Ludwig und Meir, der jüngste, Moritz. Nur die Töchter der Familie behalten ihre Namen. Rahel und Rose. Levin Markus, der Vater, ist bereits 1790 gestorben. 1794 reiste die zweiundzwanzigjährige Rahel mit ihrer Mutter und der Schwester Rose nach Breslau, um einen orthodoxen Teil der Familie zu besuchen. Die Briefe von dieser Reise berichten von einem Schock. Rahel wird mit einem Judentum konfrontiert, das sie aus Berlin nicht kennt. Orthodoxe Juden nennt sie "Böhmen". Zweite Frauenstimme: Rahel Levin an die Geschwister in Berlin. Breslau, den 8. August 1794. ich sah nichts als Böhmen in allen Gaßen die ich passierte und arbeitsleute u.d.g. als wir zu Haus kamen setzt ich mich dum auf einen Stuhl und wartete daß die Zeit flöße, der Stuhl stand an einen Fenster dieses Fenster fürte auf der Gaße, diese Gaß war voll von Geschrey dieses Geschrey kam aus lauter bömische Münder und wäre meins nicht so sehr fest verschloßen wenn ich nicht spreche, so hätt' es sich für erstaunen geöfnet, sich unvermutet in der Frankfurter Böhmische Gaße zu finden denn diesen eindruk machte es auf mich. Dabey war eine colonie Flöhe auf meinem Leibe glüklich, die sich ihn seit voriger Nacht zur Insul ihrer Freiheit und Gleichheit ausgesucht haben, die Freiheit nahmen sie sich, und gleich stark lieffen und stachen sie, sie müßen auch wenigstens die Entstehung der Republik gefeurt haben. wärend den Benschen ward ich aber bald ohnmächtig aus Flöh schmerz (den 12 hatte ich unterwegs schon wegefangen) Ermüdung Langeweile traurigkeit und Schrek, besonders aber von Flöhe. ve imro omein. Sprecherin: Ein Brief in vier Sprachen. Lange Passagen über die Fremdheit der traditionellen jüdischen Welt sind französisch geschrieben. Das Tischgebet wird jiddisch "benschen" genannt, und das Gebet, das Rahel im Hofe zitiert hört, endet hebräisch: ve imro omein: Und so saget: Amen. Die Briefe der nächsten Jahre wenden sich einer anderen Welt zu. Im Sommer 1795 reist Rahel zum ersten Mal in die böhmischen Bäder. Die Familie begleitet diesen Ausflug mit täglichen Briefen; Rahels Anworten sind nicht erhalten. Erste Frauenstimme: Chaie Levin an Rahel in Karlsbad. Berlin den 8. Juni 1795. Liebe Tochter meine wünsche und gute Hofnung nach bist du gewis mit Deiner liebenswürdige Freidenn gesund und gans glücklich nach Carlsbade angekommen. Ich bitte Dich laße die Welt aus ihre Fugen, Du kanst sie nicht wieder rein! Bringe mir an Dir eine recht gesunde tochter zu Hause; da für werde Dir eine gesunde Mutter so fern es an mir abhengt erhalten. Dritte Frauenstimme: Rose an Rahel in Karlsbad. Berlin, den 24. Juni 1795. Meine liebe aller beste Rahel! Wir haben Deinen Brief vom 16ten mit dem größten Vergnügen von der ganzen großen Weld mit alle Städte Dörfer Bauerhäuser gelesen, denn ich bin überzeugt das in allen diesen Behaltnißen der Weld in diesen 5 oder 6 Minuthen nicht so viel Freude geherrscht haben kann als in jedes meiner Glieder werend der Zeit daß ich Deinen Brief gelesen. Nachschrift von Chaie Levin. Liebe Tochter nun weißt Du doch wo zu Du gebohren bist (nicht nur zu Verdruß) auch ein Goette nicht allein zu lesen, auch ihm zu sprechen, das macht Dich glücklich und das wahr längst der Wünsch Deiner Mutter H. Levin Sprecherin: 1792 hat sich Marcus Levin mit Hendel Liepmann verheiratet; zwei Töchter, Hanne und Fanny werden geboren. Rose verlobt sich mit einem holländischen Juristen und zieht bald darauf nach Amsterdam. Rahel geht nach dem Ende einer schmerzlichen Liebesgeschichte für neun Monate nach Paris. Zweite Frauenstimme: Rahel an Rose in Berlin. Paris, den 25. September 1800. Um wie viel glüklicher aber bist Du Rose, wenn es Dir möglich wird, im Leben einen Mann zu beglüken - wie Du doch glaubst - die Zauberkraft von den Göttern verliehen zu haben, beynah jeden Schmerz - durch Berührung! - von einem Weesen was leiden kann zu verscheuchen. So ist's wenn man von einem Manne, der einer ist, geliebt wird, und ihm mit treuer Seele gerne dient - alles für ihn thun kann was er wünscht, ohne Zwang und mit Belohnung. Ein hohes Glük; und doch noch nicht das Größte: wie viel Glük giebt's! - Ich gratuliere Dich! Ich schreibe nicht gerne; Du sihst es wohl: ich werde sehr traurig: denn ich bin's. Und in Paris hab' ich dies bis zu einem Grade der Gewißheit erfahren, die keinen Zusatz erlaubt, und bedarff. Es ist keine von den Traurigkeiten die wieder vergeht; die wie ein durch Wolken gebrochener Schein eine Gegend angenehm-melankolisch verdunkelt und erhellt. Nein die Gegend selbst ist zerstört, und meine ewige himmlische Laune kann nur Sonnenblike darauf werfen. Sie bleibt die Traurigkeit, die Einsicht, der Ernst; es ist vorbey. Hier war es lange dunkel, und kein Sturm, ich hab es gesehen. Auch wußt' ich es vorher. Die Reise nach Paris war nur der letzte Pulsschlag, eines frischen Herzen's; nun bin ich hier, nun ist es aus. Dritte Frauenstimme: Rose an Rahel in Paris. Leipzig, den 16. Oktober 1800. Dein Brief hat mich traurig gemacht und Deine himmlische Laune kann mich trösten, denn die bin ich überzeugt tröstet Dich. ich fühle lebhaft es ist unsere Bestimmung einen Mann zu beglücken, und es wird mein heißes Bestreben seyn wohl mir! daß ich einen Mann gefunden den ich beglücken kann. Es ist so kalt ich kann die Feder nicht halten, es hört nicht auf zu regnen ich bin hier beständig mit einer Französin sie spricht schön und ist gern mit mir. Nichts Hübsches gekauft hab ich auch nicht, es ist nichts da, und was da ist zu theuer. Leb wohl! könntest Du so wohl leben als ich es Dir wünsche! Rose L. Erste Männerstimme: Markus an Rahel in Berlin. Berlin, den 1. Januar 1801. ich bin die mehrste Zeit unzufrieden mit mir, ich bin nicht thätig genung, ich weiß zu wenig, und kann keine efforts machen etwas zu erlernen, alles muß im Traum kommen. Es ist nur nicht zu bezweiflen, daß ich das hiesige Banqieur Geschäfft erlernen werde, denn ich thue das was gethan seyn muß, aber ich weiß so viel was ich längst hätte thun können, daß sich das was ich wirklich thue in Nichts dagegen verliert. ich bin auch noch immer der festen Überzeugung, daß ich ein reicher Mann werde. Glaubst Du wirklich, daß ich jemand beneide, wir milbige Milben, die von einer Ewigkeit träumen, und nicht Herr über eine Sekunde sind, auf mein inneres Gemüth kann Nichts Einfluß haben. Du kannst nur über diesem Geschmiere nach Deinem Gefallen urtheilen, aber so viel ist gewiß, daß das plattste was man über unser Leben sagen kann zugleich auch das tiefste ist. ich will diese Stimmung nutzen wo mir Alles wie Nichts vorkommt, und mein angebohrner Stolz eine traurige Figur spielt, um Dir zu sagen, daß Du mir jedes mal Unrecht thust wenn Du an meine anhänglichste Liebe für Dich und unsere Geschwister zweifelst. Zweite Männerstimme: Moritz an Rahel in Berlin. Amsterdam, den 4. Januar 1802. Liebe Rahel! ich habe mich sehr mit Deinem Briefe vom 25 Decbr gefreut er ist aber zu spät gekommen um gleich zu beantworten. Wir Geschwister affektiren zwar keine Liebe und vergießen bey Ankunft und Abschied nicht ungeheuer viel Thränen, wir lieben uns aber doch sehr, weil wir uns einer dem Andren unumgänglich nöthig sind um gehörig goutirt und geachtet zu werden. Leider aber hat sich unter uns gesagt unser Geschwister Rose hier so verändert daß sie fast gar nicht mehr unter uns zu rechnen ist, und für mich so ist als ob ich keine Schwester hier hätte. Du kannst also denken wie ich mich auf Euch freue. Sprecherin: Im Oktober 1806 unterliegen die preussischen Truppen Napoleon. Die finanzielle Lage der Familie Levin verschlechtert sich sofort; wahrscheinlich auch, weil Markus sich verspekuliert. Chaie löst die große Wohnung in der Berliner Jägerstraße auf und zieht in eine kleinere am Molkenmarkt. Rahel lebt fortan allein zur Miete. Ludwig nimmt den Namen Robert als Nachnamen an; Rahel und die Brüder tun es ihm später nach. Erste Männerstimme: Markus an Rahel in Berlin. Breslau, den 22. Oktober 1806. Meine Liebe. Du hast recht, wir können nicht früh genug die nöthige Einschränkungen einrichten. Wir können vors erste wohnen bleiben, und werden es auch ferner können, aber das muß auch das Einzige seyn, wo wir etwas über unsere Kräffte thun. Sey nur so gut und helfe Mama und Hendel. Genirt Euch nicht vor der Welt. Sie mögen es wißen, daß wir viel verlieren, und mögen merken daß wir uns einschränken. Wenn wir uns umeinander nicht änstigen brauchen wir uns nicht zu trösten. Zweite Männerstimme: Moritz an Rahel in Berlin. Hamburg, den 14. August 1807. Liebe Rahel! Endlich habe ich ausechauffirt aber unglaublich von der Sonne verbrannt. Denk Dir 14 Tage unter freien Himmel geschlafen, und einmal schlecht warm gegeßen sonst immer das gröbste Brodt und fast ungenießbares Wasser. Was ich wieder für Schläge Menschen kennen gelernt und für Erfahrungen gemacht habe, das ist unglaublich. Bunter kann man sie nicht aufs Schloß und auf den Tanzboden sehen, als ich sie diesmal in ganz engen Räumen zusammen gefunden. Mit den Damen ist es mir in Ewigkeit nicht so gut gegangen als jetzt; ist die braune Farbe oder die Hitze daran Schuld? Ich denke immer eine wird verrückt, wenn ich glaube ich gefalle ihr. Zweite Frauenstimme: Rahel an Moritz in Hamburg. Berlin, den 18. August 1807. Seit 14 Tagen martert mich der Gedanke daß ich Dir schreiben will, drükt meine Seele wie eine Wolke: ich wußte auch nicht wo Du bist. Endlich kommt Gestern Dein schöner, lieber, properer Brief an mich. Auch ich habe eine schmerzhafte Sehnsucht Dich zu sehen. Ich habe kein Glük mehr in der Welt zu erwarten und zu erhoffen, als Gesundheit - den Genuß der Künste, den mir die Götter nicht zukommen laßen - ein Zutrauenvolles Leben mit Freunden, in Mittheilung und frischer komischer Laune hinverlebt. Diese Freunde seyd ihr, meine Brüder. Du! denke Dir mich nun plötzlich ganz allein, ohne Land! bey mama, ich sage mama. Den aufgeben muß man die. Endlich bin ich durch 100000 Schwächen und Umweg zu dieser Überzeugung zu dieser Härte gekommen! Sie ist verwebt. Ihr Körper - obgleich ohne merkliche Veränderung - so schwach geworden und so herab wie es Ihre schwache schwankende Seele immer war. Man kann schlechterdings von Geschäften nicht mit ihr sprechen. Und es ist ein Wahnsinn, ein Lewischer Famillen Wahnsinn: von uns, wenn wir es noch wollen. wir sind toll, ihr noch zu schreiben oder zu sprechen, Er, Markus, hat unser Geld; er muß es uns herausgeben. Verliert er, so sind wir es mit. Verdient er, so ist er es allein. Und das seit 15 Jahren. Zweite Männerstimme: Moritz an Rahel in Berlin. Hamburg, den 13. Dezember 1808. A' propos Mama hat mir ein dutzend recht gute Hemden auf mein Verlangen geschickt. Soll und kann ich ihr dafür das Geld anbieten? lieb wäre mir dies, aber ich wage es nicht so de but en blanc zu thun, denn alte leute haben triefende Augen und schlottrigte Waden, und sind veränderlich. ich kenne Sie jetzt nicht. Also bitte ich Dich schreib mir ausführlich deswegen und einstweilen bestelle ihr meinen Dank und sage ihr sie wären ganz nach meinem Geschmack. Erste Frauenstimme: Chaie an Moritz in Hamburg. Berlin, den 19. Dezember 1808. Lieber Sohn! Es wahr mir sehr lieb, daß Dir die Hemden recht nach Deinem Willen gewesen sind, damit sind sie zu dank bezahlt, auch freut es mich recht sehr, daß Du bey guter laune bist, die mußt Du Dir ja immer suchen zu erhalten, das macht bey jedem Menschen Einen beliebt. Was ich aber bedaure, ist, daß Du so ein schwach Gedächtniß hast, Du glaubst, mich nicht mehr zu kennen, das thut mir leid, da ich doch erst seit Ende April, des Vergnügens beraubt bin, Dich mein Lieber Sohn, bey mir zu sehen; sey ruhig, die Schwäche wird sich wieder geben. Zweite Frauenstimme: Nachschrift von Rahel: Hier hast Du einen Brief den Dir die arme alte Frau schon den Sonnabend geschrieben hat. Als ich Deinen Brief bey ihr bekam und auch las, mußte ich so ungezähmt lachen daß ich ihr vieles vorlas; sie lachte auch sehr; und ist sehr froh daß Du vergnügt bist. Ich kann Dir versichern daß ich gar nicht lache; und Dein Brief eine Comedie für mich war. Meine tiefste Kränkung ist, daß wenig Menschen so viel Tallent zu leben haben als ich, und zum Lachen: und das ich und das schöne Geschenk in Schmerz untergehen müßen. Ich könnte mich göttlich amüsiren. Sprecherin: Zwischen Rahel und den Brüdern Markus und Moritz kommt es immer wieder zu Spannungen. Die Summe, die sie ihr jährlich zugestehen, reicht für das Leben einer allein stehenden Frau, die Bediente braucht, nicht aus. Zweite Frauenstimme: Rahel an Chaie in Berlin. Berlin, den 27. Februar 1809. Werden Sie mir wohl gütigst vergönnen, Ihnen meine Lage noch ein letztes Mal vorzulegen! Mein Alter wißen Sie; meine innere Herzensnoth wird Ihnen ewig ein Geheimniß bleiben. Von Ihnen hange ich ab: also Sie nur konnten mich schützen; und durch eine liebreiche Behandlung, mir eine Zuflucht für mein Herz gewähren. Jetzt stehe ich so. Vermögen habe ich nur was Sie mir geben können und wollen: Niemand kann berechnen was einem Andern eine Summe werth seyn kann. Mit 500 Reichsthaler baar, kann man durch Glük, oder Kenntniße zum Millionär werden. Bis zu meiner Verheirathung; kann ich dies nicht. Daß Sie mir Freyheit gelaßen haben, kann ich Ihnen trotz des größten Respektes nicht danken, wenn ich keine gehabt hätte würde es mich empöhrt haben. Und Sie hinwiederum können nicht sagen daß ich sie zu irgend eines Menschen Nachtheil gebraucht habe; höchstens zu meinem eigenen. Jedem Menschen gehöhrt seine eigene Person. Und auf diese Fälle ein Exempel anzuführen Welche von Ihren 2 Töchtern war der Famille bis jetzt hülfreich, beflißen nützlich zu seyn, welche war angerufen in Noth, um Rath gefragt, die Freundin jedes Einzeln; und welcher ist es gelungen Ihren Kindern das Leben durch gesellige Freuden angenehm zu machen. Der Verheiratheten Geschützten Gelobten; oder der Unglücklichen? Verlust ist gekommen; Wirwar; Krieg und Noth; meine Freunde habe ich verlohren. Heimlich gekränkt wollte ich gehen: wie eine Irrende zu gehen wollte ich ausweichen: und wartete auf eine Gelegenheit, Frieden, und etwas Klarheit in Ihren Geschäften. Dies kam nicht: sie zogen aus - heimlich aufgesagt: - eh ich die Mittel hatte wegzukommen. Ich hatte hier nichts als unsere Wohnung. Ich habe es Ihnen zum Steinerbarmen geschrieben; Sie es aber vergeßen. Das ist es, was Ihnen Ihr unglücklich Kind einflößt. Laßen Sie mich aber jetzt wie künftig, so lange ich ehlos bleibe direkt von Ihnen abhangen; dies ist die einzige Bitte die ich noch wage! Wie dies die letzten Worte über meine elend erbärmliche Geschichte. Rahel. Sprecherin: Der Brief tat seine Wirkung; die Spannung zwischen Mutter und Tochter hat sich gelöst. Erste Frauenstimme: Chaie an Rahel in Charlottenburg. Berlin, den 8. September 1809. Guten Morgen meine Tochter! so eben werde ich ausfahren, um ein veranderung zu haben, und fängt an Gott lob etwas bezer zu gehen, aber mit sehr langsamen Schritte. Was machst Du das ich Dich nicht sehe? ich will hoffen das Du gesund bis, und bleiben solst, der Wunsch Deiner Mutter Levin. Zweite Frauenstimme: Rahel an Rose in Amsterdam. Berlin, Ende Oktober 1809. Liebe Rose bleibe gesund! Ich bin es noch; und erschöpft, oder vielmehr Gedanken und Schmerz stokken jetzt in mir. Ich sitze in Mamaen's Haus neben Robert und schreibe, Ich habe einen grauen taftenen wattenrok an, einen gelben Strohhuth mit schwarzem Flohr. Diese Détails zur Beruhigung; daß Du sihst wie alles hier ist. Mama wußte nicht, daß sie gefährlich ist, oder wenigstens verbarg es uns so gut, daß wir ihr nichts anmerkten. Sie sagte Donnerstag noch: "ich tausche nicht mit der Königin, die ist nicht so glüklich, als ich". So fühlte Sie ihre Pflege und Aufwartung. Gibt es einen Trost in solchem Schmerz, so wird meiner auch Deiner seyn, daß ein Mensch nicht mehr geliebt, gepflegt und abgewartet und mit Sorge und Witz aufgewartet wurde als diese reine Mutter! Sie lebte zuletzt als reiche glükliche Frau. Starb in Robert marcus Hindel und meiner Gegenwart: wir auf den Knien betend. Sonnabend Nacht punkto 1 Uhr. Drey Stunden vorher schien's hatte sie das Bewußtseyn verlohren. Freytag glaubte sie noch an einer Reise nach Holland die sie projektirte; und die ich ihr zur Freude vormahlte: als ich vom Postillon und Wald sprach schnalzte sie mit der Zunge wie ein Kutscher: uns zu ermuntern, und auch sich zu teuschen. Ich hielt ihr noch todt die Hand: im Fall Sie es fühle: ich war mit zum Begräbnis, und ging nur von ihrer Seite als mir durch Erde ihr Anblik entzogen war. Sie nahm noch Löffel weise Kafee, Boillon, und Wein bis 4 Stunden vor dem Todt. Wir ließen ihr das Sterben nicht moralisch empfinden; und glauben sie geteuscht zu haben. Faße Dich! Wir hier wollen für einander sorgen: und so die Mutter ehren. Sprecherin: Rahels jüngster Bruder Moritz hat inzwischen seine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen und heiratet Ernestine Victor aus Posen. 1813 flieht die ganze Familie aus der von den Franzosen besetzten Stadt; Rahel lebt in Prag und Wien. Zweite Männerstimme: Moritz an Rahel in Berlin. Posen, den 4. Januar 1812. Meine liebe Rahel! bald komme ich dahin einzusehen daß die Vernunft im Menschen sein ärgster Feind ist; oder sie müßte denn auf die Höhe gebracht werden können daß sie sich triumpfirend dem Leichtsinn unterwirft. ich möchte wohl wißen ob man dergleichen raisonnements philosophiren nennen kann, d.h. ob ein Philosoph das fait davon macht; nehmlich so Einer der ein Prinzip voranschickt ehe er seine verdammten Gesichter zu schneiden aufhört es so betrachten würde; denn ich verstehe unter Philosophie jeden allgemeinen von dem Verstande hergeleiteten Satz, und wahr oder unwahr heißt dabei gut oder schlecht. Was mir am aller ecklichsten ist, sind die arrangements die man hier wegen der unanständigen Brautnacht genommen. Denk Dir daß man uns in dem älterlichen Hause worin ich jetzt nicht wohne; ein Zimmer mit 2 Betten eingeräumt hat; welches mit andern Schlafstuben begränzt ist; ein completter Nothstall. Daß Ernestine durchaus von nichts wißen will ist natürlich; und ich bestehe auch darauf daß es anders eingerichtet werde und daß man uns in ein anderes Haus einquartire. Wie unangenehm mir dergl. Debatten sind weißt Du. Zweite Frauenstimme: Rahel an Ernestine in Wien. Prag, den 4. August 1813. Gestern liebes Ernestinerl erhielt ich Ihren Brief vom 30ten vorigen Monats aus Wien. Gott sey in seinem Gewitter hinein gedankt, welches jetzt himmlisch tobt und gießt, daß es Ihnen wohl geht in Wien! Und ich danke Ihnen aus voller Seele daß Sie mir gleich geantwortet haben. Weil mir übrigens kein Mensch antwortet! Hier ist man über den Krieg nichts weniger als ruhig - Göttlicher! rollender! tröstender Donner- Gottes! - auch stehen hier Armeen und Prag ist eine Festung: Ich bleibe nun beym Ausbruch nicht hier, und sollte ich mich zu Fuß zu Ihnen bettlen. Friede! Großer Gott! Friede! oder mir den Todt! das ist mein ganzes Gebeth! Leben Sie wohl und schreiben Sie mir alles von sich es amüsirt mich sehr. Dritte Frauenstimme: Fanny an Rahel in Prag. Berlin, den 8. Januar 1814. Gerühret hat mich wahr und tief Dein schöner philosofischer Brief, Er belehret und erfreut zugleich, Ist an Menschenkenntniß und Wahrheit reich; Ich las, ich überzeugte mich, Und ehrte in dem Briefe - Dich. Doch daß auf's Dichten Du Dich gelegt Daß ein goethischer Genius sich in Dir regt, Das wußte ich in Wahrheit noch nicht Das machet auch mir die Verse zur Pflicht. Daß alles was Robert heißt dichtet und reimet - Doch da sich der Eine emporgeschwungen, So soll denn von nun alles gesungen, So soll denn alles in Versen sein. Sprecherin: 1813 dreht sich Napoleons Geschick. Im Herbst 1813 wird bei Leipzig vernichtend geschlagen; im April ziehen die gegen ihn verbündeten Mächte, darunter Preussen, in Paris ein. Im Herbst 1814 lässt Rahel sich taufen und heiratet Karl August Varnhagen. Zweite Frauenstimme: Rahel an Markus in Breslau. Berlin, den 11. Oktober 1814. Ein elendes Flußfieber und eine völlige extinction de voix mit gehörigen Nerfenzufällen zwang mich Vorgestern Abend Pferde und reisegesellschaft absagen zu laßen. Jedoch dank' ich Gott auf den Knien daß mir Betteliegen und Kräuterthee à profusion in so weit geholfen daß ich Donnerst: reisen werde und jetzt aus dem Bette sitze und schreibe. Meine nerfen leiden dies - wie Du sehen wirst - am wenigsten. Also nur das Nothwendige. Der Drang der Geschäfte und der unzählig abzuwartenden Menschen in einer Unpaßlichkeit, in der man sich noch nebenher verheurathen, und reisefertig machen mußte, erlaubten nichts anderes. Zweite Männerstimme: Moritz an Rahel in Wien. Berlin, den 24. Januar 1815. Sontag war ein brillantes Concert, von Mlle Fischer jetzt verheirathete Bernier; ganz Jerusalem war dort und hatte Blumen und Edelsteine in Menge mitgebracht, die ungezogenen Königstöchter des Usurpators Liepmann Taus, betrugen sich sehr unanständig, nickten sich ihren Beifall vom Nordpol bis zum Südpol des Saales zu, und überreichten eine der Andern, durch keine Entfernung abgeschreckt, Tüten voll Confitüren. Die Fischer hatte ihre Stimme vor einiger Zeit verlohren, und scheint dem ehrlichen Finder als Recompense, vieles von der hohen Tönen abgegeben zu haben; indeß hat sie mir doch außerordentlich gefallen, denn es ist ein großer genre, und die Stimme hat die feinste Erziehung mit Erfolg genoßen. Erste Männerstimme: Markus an Rahel in Wien. Berlin, den 24. Januar 1815. Napoleon soll gesagt haben "ich habe gefehlt, ich hielt Europa für fauler als es bis jetzt ist" So kann es uns mit einer gewißen Eiterbeule gehen die ihren Kern in Rom hat, ein zu frühes öffnen kann dem ganzen Körper gefährlich werden. Zu wißen was der Zeitgeist ertragen mag oder nicht, ist eine Kunst die zu den besten Eigenschafften eines Staatsmanns gezählt werden muß. Mit dem Geist der Zeit voreilen ist ersprießlich, ihm vorgreifen verderblich. - . Du kannst Dir vorstellen, daß ich mir etwas darauf zu gut gethan habe, mit einer so geistreichen Dame als Frau von Varnhagen gleicher Meinung zu seyn. Sprecherin: 1815 wird auf dem Wiener Kongress die alte Ordnung Europas wieder hergestellt. Risches - Judenhass, geduldet von den Regierungen in Wien und Berlin, ist eine Folge. Varnhagen tritt in preussische Dienste und wird an den badischen Hof in Karlsruhe geschickt. Dritte Frauenstimme: Ernestine an Rahel in Wien. Berlin, den 23. Februar 1815. Ihre Briefe die ich nur selten zu lesen bekomme, amusiren mich sehr, weil ich die meisten Menschen kenne. So oft einer ankommt wird er gleich zu Marcus geschickt, wenn ich ihn dann lesen will, sagt Robert, er ist gar nicht interressant für Dich, nur politische Sachen, - und dann bin ich böse, verlange ihn nicht noch einmal, und erfahre gar nichts... Unser Souper war viel amusanter, als alle wo ich war. - 50 Personen. Die Schlafstube ausgeräumt, und Spieltische darin, in der Wohnstube die alten Damen, die jungen tanzten in der rothen, und im Cabinet war das Klavier. in den beiden Vorderstuben wurde dann ganz außerordentlich gut warm soupirt. Zweite Frauenstimme: Rahel an Markus in Berlin. Wien Mittwoch, den 22ten Merz 1815 gegeben aus meinem Bett; meinem einzigen und wirklichen teritorial Besitz. Ich werde nicht viel schreiben: um mich durch die Lage nicht zu reitzen. Neues giebt es hier nichts: Außer die wiedersprechensten Nachrichten. Napoleon ist schon wieder bei der Hand und schont nichts: und die Welt muß sich besinnen und berüksichtigen: sie, wir haben viele Intereßen, und er eins. Und alle andere Collision: all die alten Unordnungen, vexationen, Mißbräuche, Irrthümer, an die nun all gestoßen und gerührt wird. Basta! Es kommt alles anders; Es ströhmt Frühling vom Himmel, die Erde gebiert, und eine große Obwaltung ist, die wir nie berechnen können. Zweite Männerstimme: Moritz an Rahel in Karlsruhe. Berlin, den 21. Dezember 1816. Die Juden sind ein armes bedrücktes Volck sagt Iffland in eins seiner Lustspiele, aber der liebe Gott hat doch endlich mitleid mit ihnen, und läßt ihnen nach und nach die gehörige portion Narrheit angedeihen. Sie werden stolz, lieben Fêten, halten die Mittel für Zwecke, werden Sammler, glauben daß man sich Glauben angewöhnen kann, freuen sich mit der Plattheit weil sie keine Anstrengung kostet, verderben sich den Magen um Gourmand zu erscheinen, geben sich zur Ruhe um ohne Vorkenntniße Gelehrte zu werden, und nachdem sie sechs ihnen unverständliche Worte die Geduld gehabt haben durchzulesen glauben sie an sich selbst. Die Personen zu diesen Spitzen gehen alle hier herum schmutzig und elegant, mit mehr oder weniger Jargon in der Sprache, und schlecht gewachsen aber alte, und mit so veränderten Namen daß sie gar nicht heraus zu kennen sind denn sie sind schon so weit daß nur der Anfangs Buchstabe des vorigen Namens bleibt. Dritte Frauenstimme: Fanny an Rahel in Karlsruhe. Berlin, den 7. Januar 1817. Prost Neujahr liebe Ralle! Wärest Du am Sylvesterabend hier gewesen, Du hättest Dich gewiß amüsirt, denn wir haben, denke nur - wir haben Komödie gespielt! - ein kleines Lustspiel, von einem jungen Menschen fabrizirt, den Du wahrscheinlich nicht kennen wirst. Die Idee zu dem Stücke war eigentlich vom Vater; er wollte nämlich, die jetzt in Berlin herrschende Bildungssucht das heißt, eine Sucht Andere zu bilden, lächerlich machen; Du wirst es besser verstehen, wenn ich Dir sage, daß es eigentlich auf einige beim Theater angestellte Professoren abgesehen war, deren Beruf es ist, die jungen Schauspieler zu bilden oder zu verbilden. - dies wollte der Vater persifliert haben; der Dichter selbst machte einen alten ästethischen Professor, Mathilde Edeling, ein junges Mädchen, das bei ihm erzogen wird, Eduard Magnus, seinen Neffen, Hanne, eine alte Contesse, Gustav Magnus, einen Bedienten, und ich - einen altdeutsch gekleideten jungen Dichter (...); ich sah sehr komisch, aber doch nicht ganz schlecht aus, weil mir alles paßte, und der Anzug kleidet; daß ich himmlisch spielte kannst Du wohl denken - ich war nicht ganz taktfest in der Rolle, bei den Proben nämlich, denn im Stücke gieng es wie geschmiert, und dies war ein großes Wunder, denn das Stück wurde in zwei Tagen geschrieben am Sonnabend war Leseprobe, und Dienstag die Aufführung; also die ungeheureste Schnelligkeit. ich hoffe Du bewunderst uns! Dritte Frauenstimme: Ernestine an Rahel in Karlsruhe. Berlin, den 11. Januar 1817. Daß ich jeden Donnerstag eine förmliche Soirée bei mir habe, wißen Sie auch schon? aber nicht wie es ist, ein mahl wie das andere. Es kommen viele Leute, man trinkt Thee, dann wird gesungen, die herrlichsten vielstimmigen Sachen. Die Finales aus Cosi fan tutte, Zauberflöte, don Juan, Domeneo, den Waßerträger, das Requiem von Mozart, Choräle und noch andere schöne Sachen, die alle sehr gut gehen, und um 11 Uhr wird kalt gegeßen. Es ist sehr amüsant, und es kommen viele Leute die recht angenehm sind, und nicht nur wie Robert durch Anecdoten brilliren. Bei Mendelsohns wird gelesen. Erste Männerstimme: Markus an Rahel in Karlsruhe. Berlin, den 17. Januar 1817. Endlich ist auch diese Zeit gekommen! Gott lob!! Nachdem wir beynah als Zwillinge von der Amme an erzogen, der alte Mutzel Dich Sauertopf gescholten, die Amme mir Zuckerbrodt gekauft, die alte Mutter uns Beyde innig geliebt und gepflegt, bis wir endlich Sonnabend Morgends in der Eckstube auf den Gobellins in den bloßen Strümpfen, bey gut eingeheitzter Stube, noch vor dem Aufstehen der Ältern Ballette tanzten, wir denn unterrichtet werden sollten, Niemand aber wußte wie so etwas anzufangen sey, und endlich wir groß und selbstständig geworden, wir den Vater verlohren, ich die Frau gefunden, der böse Krieg eingefallen, die treue Mutter uns verlaßen, Du einen eben so treuen Freund dafür bekommen, mir die Töchter herangewachßen bis die Zeit gekommen, daß nun wieder die ihr Leben an ein Fremdes knüpfen sollen. Diese Zeit ist nun endlich auch gekommen, und obgleich ich eigentlich noch nichts für abgemacht will gelten laßen, bis Du mir Antwort auf diesen Brief gegeben, so können wir uns doch Alle Glück wünschen!! Ferdinand von Lamprecht bis jetzt nur noch Referendarius beym Kammer Gericht, also ein angehender Richter, wird der Gatte Deiner Nichte Johanne. - . Der Verbindung liegt eine gegenseitige Neigung zum Grunde, die sich in dem Jahre in welchem der junge Mann unser Haus besucht gebildet hat. Ferdinand ist ein geschickter Jurist voll Geist und Karacter, und von den besten Gesinnungen. Er ist gewiß nicht schön, aber keines wegs häßlich eine sehr kluge und bey längern Verweilen angenehme Phisionomie, er hat den Krieg von 13 und 14 mitgemacht ist bey Lützen verwundet gewesen, und hat sich ohne Tadel betragen. Er liebt Hannchen mit ganzer Seele. Mein Wunsch war immer, daß besonders Johanna ganz aus Ihren alten Verhältnißen heraus heyrathen möchte, das Judenthum war ihr besonders lästig und sie giebt etwas auf Stand und Rang, das wird sie erlangen dabey hat sie nach Neigung wählen können. Zweite Frauenstimme: Rahel an Moritz in Berlin. Karlsruhe, den 15. Februar 1817. Lebt ich einzeln hier, als Rahel, so lobt ich mir doch mein Loch in die Welt (aber in meiner Position gezwängt, als Ehe-dame, ist trotz Varnhagens: Einsicht, der mir täglich das Wegreisen anbietet nichts zu machen Dies Alles mündlich.) Über Hanne habe ich mich unendlich gefreut. Weil die Verbindung edel von innen her ist: und sie sich freut Daß ist gewiß profit! Ich bitte mir von Dir, Deine ganze Meinung, und alle Détails aus. Von mir bekommt nie ein Kind die Einwilligung zum Heurathen. Das sag' ich in der glücklichen Ehe. Nein, das ist nichts, Wenn nicht beyde so denken wie ich. Aber dies versteht Niemand, außer ein künftiger Gesetzgeber: bis der kommt, muß man alle gratulieren die sich selbst gratulieren. adieu, liebe Kinder! daß Hanne vor's Judenthum vorbeysegelte ist auch kein Spas! Sprecherin: In den Karlsruher Jahren wird der Kontakt der Schwestern wieder enger; sie haben sich mehr als zehn Jahre nicht mehr gesehen. Zweite Frauenstimme: Rahel an Rose in Den Haag. Donnerst: Karlsruhe den 22ten May 1817 Schlechtes kühles, unbeständiges Regenwetter: gegen Abend viel Nebel. Liebe Rosentochter! Nun kann es nicht mehr aufgeschoben werden nun muß ich Dir endlich schreiben, sonst denkst Du wirklich mein Herz ist so steif geworden, wie ich und meine Laune. daß ich aus Land und Bekandschaften, Wirkungskreiß, Erinrungen, ausgewurzelt wurde, wann in ein schmerzgetödtetes Herz, und Alter keine mehr wachsen, ist ein rafinement meines Schiksals, über das ich nicht hinaus kann. Ich liebe noch immer Gesellschaft - aber freye; wie unsere war-- Musik, Theater, Luft, Grünes, Scherz, Witz, tiefes denken, wahrhaftes Seyn, Franzosen, französische lecture. ennuire mich leicht, amüsire mich leicht. Ich mache schon lange keine Musik mehr, mich schwindlen die noten, die töne dröhnen mir in den Nerfen! - So ist's Rose. Und dabey gönnen sie einem nichts in der Jugend beschränken tadlen Einen. Man ist arm. Ich war Jüdin, nicht hübsch ignorant ohne Grace, sans talents sans instruction: ah ma soeur c'est fini. c'est fini avant la fin réele. [Ohne Anmut, ohne Talente und ohne Unterricht: ach, meine Schwester, es ist zu Ende; zu Ende, ehe noch das wirkliche Ende da ist.] Nichts hätte ich anders machen können. Erste Männerstimme: Markus an Rahel in Karlsruhe. Berlin, den 14. Oktober 1817. (...) Die Juden sind jetzt sehr anrüchig, und wer der mächtigern Parthey huldigen oder nur schmeicheln will, vermeidet in nähern Beziehungen mit Ihnen zu kommen: Dies läßt sich nicht beweisen, aber wer einen richtigen Tact hat, fühlt es wohl. Mit unmenschlichem Gelde ist freylich auch dieser Mangel zu bedecken, und gute Diners verschmähen sie doch nicht; allein solche große Anstrengungen und Zeitverlust, ist der ganze Tanz nicht werth, und quadrirt weder mit meinem Karakter noch mit meinen politischen und moralischen Mitteln. Jacobinismus Deutschheit und Judenhaß, sind die jetzige Dreieinigkeit, und haben, wenige ausgenommen, ihre Würzel in selbstsüchtiger Menschenfeindlichkeit. Deutschland glaubt seine Freyheit erlangen zu wollen, bereitet aber seinen Untergang vor. Wir werden es um die Unruhstifter im Zaun zu halten, von fremden Truppen besetzt sehen, nicht wie jetzt etwa Frankreich, welches Einheit und Verfaßung hat, sondern wie es Deutschland seiner zerstückelten Nationalität und seiner Jugend wegen veranlaßen wird, und härter und unerhört! Hat es Gott anderß beschloßen, so muß Er neue Wunder thun. Mann will Verfaßungen für die Menschen machen, mann mache erst Menschen für die Verfaßung. Gieb uns o Herr Menschen! Die Verfaßung kommt von selbst. Zweite Frauenstimme: Rahel an Ernestine in Berlin. Karlsruhe, den 13. April 1818. Mit Ihnen will ich sprechen liebe Ernestine! Sie werden ehrlicher seyn. Unter meinen Brüdern, seh ich immer von Neuem, herrscht das Laster fort, daß keiner dem Andern einen Brief von mir zeigen will, ich mag machen und schreiben was ich will. Ist es Nachläßigkeit? Ist es Neid? Ist es Nichtachtung? das Letzte wenigstens gegen meine ausführliche Bitten. Dies aber macht daß ich seltener schreibe: ich werde des Federführens - aus Krankheit - immer unfähiger, und da ist es mir eine große Erleichterung, dann und wann, einen Brief herauszustoßen der dann für euch alle geschrieben ist: und das gelingt mir nie! Erste Männerstimme: Markus an Rahel in Baden-Baden. Berlin, den 22. September 1818. Das ist ein wahres Wort was Du sagst: für den Geist bleibt am Ende Alles nichts als Aufgaben, gelöst oder ungelöst, und ich möchte hinzufügen immer ungelößt, denn gelöst??? - - Daher ist ein isolirter Geist nicht viel, wir müßen ihn hinanbilden an unser Gemüth, wenn ein Mensch draus werden soll. Ich hoffe das thaten wir redlich von Jugend auf, und von der Seite, sind wir wirklich vortrefflich, das laße ich mir bey aller meiner sonstigen Demuth nicht nehmen. Zweite Frauenstimme: Rahel an Rose in Brüssel. Karlsruhe, den 22. Januar 1819. Ich aber eße doch jetzt jeden Tag ein halbes Huhn: weil Nichts so leicht Nahrung giebt und seinen ledirten organisationen diese so sehr nöthig ist. Mache Dir auch Zerstreuung bey Deiner Eselsmilch: d: h:, geh an Orte wo neue Gegenstände, Worte und Menschen Dich berühren, Dir Blut, Leben, Nerfen und Gedanken auffrischen. Wir Frauen haben dies doppelt nöthig; indeßen Männer ihre Beschäftigung wenigstens in ihren eignen Augen auch Geschäfte sind, die sie für wichtig halten müßen, in deren Ausübung ihre ambition sich schmeichelt; worin sie ein Weiterkommen sehen, in welcher sie durch Menschenverkehr schon bewegt werden: wenn wir nur immer herabziehende, die kleinen Ausgaben und Einrichtungen, die sich ganz nach der Manner Stand beziehen müßen Stükeley'en vor uns haben. Es ist Menschenunkunde, wenn sich die Leute einbilden unser Geist sey anders und zu andern Bedürffnißen constituirt, und wir könnten zum Exempel ganz von des Mannes oder Sohn's Existens mitzehren. Diese Forderung ensteht nur aus der Voraussetzung, daß ein Weib in ihrer ganzen Seele nichts höheres kennte, als grade die Forderungen und Ansprüche ihres Mannes in der Welt: oder die Gaben und Wünsche ihrer Kinder: dann wäre jede Ehe, schon blos als solche, der höchste Menschliche Zustand: so aber ist es nicht: und man liebt, hegt, pflegt, fügt sich den Wünschen der Seinigen wohl; macht sie sich zur höchsten Sorge, und dringensten Beschäftigung: aber erfüllen, erhohlen, uns ausruhen, und zu fernerer Thätigkeit, und Tragen können die uns nicht; oder auf unser ganzes Leben hinaus stärken und kräftigen. Dies ist der Grund der vielen frivolen was man bey Weibren sieht, und zu sehen glaubt: sie haben der beklatschten Regel nach gar keinen Raum für ihre eigen Füße, müßen sie nur immer dahin setzen wo der Mann eben stand, und stehen will; und sehen mit ihren Augen die ganze bewegte Welt, wie etwa Einer, der wie ein Baum mit Wurzlen in der Erde verzaubert wäre, jeder Versuch, jeden Wunsch den unnatürlichen Zustand zu lösen, zu ändern, wird Frivolität genannt; oder noch für strafwürdigeres bestreben gehalten. Darum mußt Du und ich ein wenig angefrischt werden! Sprecherin: Im Sommer 1819 wird Varnhagen von seinem Posten in Karlsruhe abberufen. Erste Männerstimme: Markus an Rahel in Baden-Baden. Berlin, den 2. August 1819. Ich habe, meine theure Schwester, einen ähnlichen Brief von Dir erwartet, als der vom 24ten July der mich völlig beruhigt hat. Hätte ich Augusts Karakter nicht gekannt, würde ich so nicht haben schreiben können, denn Hier liefen die lächerlichsten und boshaftesten Gerüchte herum. Schon den 19ten July hörte ich er solle verhafftet und seine Papiere in Beschlag genommen seyn, und so setzte mann seine Angelegenheit mit den hiesigen Verhaftungen in Verbindung. Einige Tage späther widersprach mann jedoch der persönlichen Verhafftung und sprach nur von Beschlagnahme seiner Papiere, und seiner Entlaßung. Mann gab als Ursach, Einwirkungen auf Mitglieder der dortigen Representanten-Versammlung an, und nannte das Vorgehen democratische Umtriebe. Sprecherin: Im Herbst 1819 zieht Rahel mit Varnhagen zurück nach Berlin, wo sie bis zu ihrem Tod im März 1833 leben wird. Ihre Brüder Marcus und Ludwig sterben. Erste Männerstimme: Markus an Rahel in Berlin. Berlin, den 19. November 1826. Teure Seele! Ich bin Dir diese kleine Anstrengung schuldig. Es geht mir bey weitem besser als alle dieser Tage. Das heutige Regime scheint bis jetzt das weniger Unrichtige. Ich trank Heute wenig und beschäfftigte den Magen überhaupt nicht zu sehr. Ich habe im ganzen viel Ruhe und halb Schlummer gehabt. Ein Weinglas Lamprechts Bier, vor einer Stunde getrunken, hat mich erquickt ohne Nachtheil. Im Laufe des Abends werde ich mir noch einmal diese Erqwickung vergönnen. Gott wird uns wieder helfen, und mir eine erträgliche Nacht schenken. adieu! adieu! Sonntag 1/2 8 noch bei Sonne Zweite Frauenstimme: Rahel an Rose in Den Haag. Berlin, den 12. Januar 1827. Mein einziger trost ist, daß ich ihm Alles, ohne Ausnahme alles, that und opferte, was nur in meinen Kräften stand: das opfer bestand, in den Rest meiner wenigen Gesundheit: meine satisfaction, nicht in einer Pflichterfüllung, sondern in der sichtbaren Sicherheit, ihn wirklich soulagirt, und beygestanden zu haben. Mit Pflege aller Art, und Trost: und muthigen, so wohl, als zärtlichstem Betragen. Er der nie démonstratif war, und immer weniger es wurde; und immer Wortkarger: nannte mich oft, "treue Schwester; treue Seele!". Das äußerste! Ewig werde ich von seinen Leiden beleidigt bleiben; jedoch hatte er einen edlen Todt am Ende: er war nur einen tag mit ohnmachten befallen: sprach mich noch um halb 4, war um halb 9. entschlafen. Alles, den ganzen Rest; mündlich! Physisch habe ich die Empfindung: als wäre ich eine Blume, eine Rose, und aus meiner Mitte ein Blatt gebrochen, und ein Stük des Mittelstüks. Sie riecht die Rose, sie ist roth; aber sie fühlt den Riß! So ist's wenn einem Geschwister voran gehn. Das wußt' ich nicht. Ich nenne es jetzt; Faserliebe. Es ist ein Geheimniß, welches wir von der Natur noch nicht wißen. Er betrug sich in der Krankheit herrlich! Muthvoll, anständig, duldungsvoll! was Du willst! Ich küßte ihm oft die Hände, die Backen: ich rieb ihn. Alles! Ich schämte mich keiner Liebe. Ich war bey allen Bädern: 12. oder 14. ich weiß nicht: noch den letzten tag vor seinem todt. Sprecherin: Die Kinder von Fanny und Hanne verbringen viel Zeit bei ihrer Großtante. Im Sommer 1830 reist Fanny für mehrere Wochen nach England und Frankreich; ihre drei Töchter bleiben bei Varnhagens in Berlin. Dritte Frauenstimme: Fanny an Rahel in Berlin. Boulogne-sur-Mer, den 3. August 1830. Was sagst Du, liebe Vice-Mutter zu den Vorfällen die unsere Reise so unerwartet denkwürdig machen? ich bin im Ganzen ruhig, denn ich fürchte die Elemente mehr als die Menschen, im Gegensatz zu Deiner Denkungsweise. So hat mich das Seebad das ich heute genommen mehr geängstigt als die Revolution die uns umgab. Meine Kinder so weit von mir entfernt zu wissen, und die Unmöglichkeit sie einen Augenblick zu sehn, ist der Tropfen Weemuth der auch den schäumendsten Freudenbecher immer verbittern wird. Keine Rose ohne Dornen! Zweite Frauenstimme: Rahel an Ernestine in Berlin. Berlin, den 30. Dezember 1831. Auch einem gestorbenen Fasan muß Gerechtigkeit wiederfahren; den ich von Ihnen hatte und Gestern verzehrte, war - Moriz soll es wißen! - beßer, als alle seine Böhmischen Brüder, die ich je kannte! Ganz jung: und daher nur, vortrefflich! Vielen Dank! für den schönen Kohl und das Meisterstück von Rauchfleisch. Verdienen Sie meinen Dank, liebe Ernestine! Bald komme ich - unbeschrien! heute bleibe ich aber noch ein; sind Sie wirklich wohl, so freut es mich, Sie zu sehn Sprecherin: An die achtjährige Elise, die älteste Tochter von Fanny, schreibt Rahel Billets in grossen deutlichen Buchstaben. Zweite Frauenstimme: Rahel an Elise in Berlin. Berlin, den 6. Januar 1832. Geliebte Erdbeerenblüthe! Ist Deine liebe Hand ganz besser? Denke Dir! gestern Abend assen wir den Rest der Torte ganz auf. Frau von Arnim, Herr Poley, onkel und ich. Ihr sollt andre bekommen. Grütze in Brühe, lasse ich Dir auch kochen: lerne auch recht lesen und schreiben, damit wir uns etwas mittheilen können, wenn Du, oder ich nicht kommen können. Und dann kannst Du auch die Ballette lesen, die Du sehn sollst. Deine Pflegerin. Rahel. Sprecherin: Rahels letztes Billet, geschrieben ein paar Tage vor ihrem Tod, lädt noch einmal zu einem geselligen Abend. Zweite Frauenstimme: Rahel an Ernestine in Berlin. Berlin, den 25. Februar 1833. Ihre Musik hat mich gestern in's Leben zurückgerufen: und ich bin voller Sehnsucht danach! Nun hat mir Graf Blankensee sagen lassen, er käme heute Abend mit Noten und Liedern. Ich bitte Sie, Ernesta! erfreuen Sie mich: machen Sie mir Ehre! Singen Sie schön wie gestern. Ich habe Blut geleckt; ich muß mehr haben. Parole d'honneur! 1