COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 10.8.2011, 13.07 Uhr Der liebe Westbesuch - Gerne gesehen und manchmal auch gerne wieder verabschiedet - Autor Michael Frantzen Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 10.08.11 - 13.07 Uhr Länge 18.41 Minuten Regie Klaus-Michael Klingsporn Moderation Der 13. August 1961. Ein Tag, der Deutschland veränderte. Der Spaltung der Welt, Europas und Deutschlands in zwei Hälften folgte die Mauer - und damit die Spaltung von Familien. Westbesuch. Ein Begriff, der ähnliche Assoziationen wie Westpaket weckt und zu dem es viele Alltagsgeschichten gibt. Natürlich wollte der Westbesuch den Wohlstand zeigen, erzählte manchmal wundersame Geschichten, brachte meistens auch was mit. Und, so ist zu erfahren, manchmal fuhr er auch in einem geliehenen Auto auf, weil er ja aus dem Westen kam. Der liebe Westbesuch. Michael Frantzen sammelte einige Geschichten dazu ein. - folgt Script Beitrag - - Script Beitrag- E 01 (Hennig) "Das war quasi die weite Welt, die da nach Ludwigsfelde kam." AUT West-Besuch! E 02 (Beelitz) "Das waren nun wirklich, wie wir in Anführungsstrichelchen sagten, Voll- Wessis." AUT Tante Erika. Und Tante Christa. Manchmal kam der Westen auch per Post-Bote ins Haus. E 03 (Pannwitz) "Was ich registriert habe, waren West-Pakete." (lacht) AUT Die Sehnsucht war groß; nach dem goldenen Westen. E 04 (Radeck) "Mein Ideal war lange Zeit: Ich heirate einen Franzosen. Und dann bin ich weg hier. Und dann könnt ihr sehen, was ihr davon habt!" (lacht) AUT Die DDR, urteilte der Dramatiker Heiner Müller, war eine "sozialistische Frühgeburt". Das machte bescheiden - und aus der Verwandtschaft von drüben etwas besonderes. E 05 (Z.) "Das war für mich als Kind früher immer das größte: Wenn ich zwei Mal im Jahr West-Besuch hatte." AUT Lange her. Torsten Z. lebt heute in Berlin. West-Berlin. Schöneberg. Aufgewachsen ist der Anfang Vierzigjährige im thüringischen Kahla, einer 7000-Seelen-Gemeinde, die zu DDR-Zeiten bekannt war für ihr Porzellan. E 06 (Z.) "Ich hab mir als Kind schon nen Foto-Album angelegt. Bilder von meinen Eltern, von meiner Verwandtschaft. Und natürlich hab ich da auch die West-Verwandtschaft drin verewigt. Da sieht man nämlich schon, dass die West-Verwandtschaft was Besonderes war. Das sieht man schon daran, dass die Bilder bunt sind. (lacht) Während die Bilder von der Ost-Verwandtschaft sind alle schwarz-weiß. Und dann natürlich klassisch die Unterschrift: Mein Opa und meine Oma aus der BRD. Und dann geht's weiter: Mein Cousin, Tante und Onkel nebst Oma aus der BRD." (lacht) AUT War immer Drama. Besonders wenn Tante Anneliese antanzte. E 07 (Z.) "Das war schon ne schillernde Gestalt. Um die sich viele Geschichten rankten. Die hatte wohl mehrere reiche Männer geheiratet, die dann relativ schnell an Krebs gestorben sind. Millionäre?! Davon wussten wir im Osten zumindest nix; dass es Millionäre gab. Und wenn jemand aus der Verwandtschaft so reich geheiratet hatte: Das hat schon gereicht für einen gewissen Mythos. Und dann wusste man: Sie hat nen Ferienhaus in Spanien. Und dass war für uns auch so unerreichbar. Sie war gar nicht zurückhaltend, sondern sie hat wirklich sehr direkt gesagt, was sie dachte. Und hat sich auch ziemlich herablassend über ihre Mutter geäußert. So was hätten wir zum Beispiel nie gemacht. Wir waren eher zurückhaltend und schüchtern. Im Osten galt's eigentlich eher als Fauxpas, sich zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Und sich aufzuplustern. Und das war absolut unüblich. Die kam dann halt als reiche West-Tante zu Besuch. Die war sehr stämmig. Wahrscheinlich auch relativ gross. Aufgetakelt. Wahrscheinlich hat sie auch nach Parfums gerochen, die wir im Osten nicht kannten. (lacht) Das war ja auch so was Besonderes. Die Wessis hat man ja auch schon am Geruch erkannt." E 08 (Beelitz) "Gerade wenn der Cousin meines Mannes kam: Das ging dann ins Peinliche." AUT Auch Barbara Beelitz hat so ihre Erfahrungen gemacht - mit dem "lieben Westbesuch". E 09 (Beelitz) "Weil der hat sich dann wirklich hier, wenn man mit dem unterwegs war, uffgeführt wie...na ja: Ick bin der Krösus! Ick bin der Wessi! Und nu springt mal alle! Da hat's mir dann gefallen, dass dem ab und zu auch mal Kellner zu verstehen gegeben haben, dass man auch nen Mensch is. Also, der hat sich wirklich uffgeführt wie nen Grosskotz." (lacht) AUT Ein, zwei Mal schaute sich Barbara Beelitz das Spektakel an, bis die Frau, die sich selbst eine "richtige Prenzlauer Berger Pflanze" nennt, zur Tat schritt. E 10 (Beelitz) "Aber Hallo! Ich hab ihm erklärt: Son Ding noch mal (lacht) und dann kannste alleine laufen. (lacht) Du bist da nicht irgendwo in Hamburg oder so. Nix da! Hier kannste dich gefälligst benehmen!" AUT Die West-Verwandtschaft mütterlicherseits war da schon besser erzogen. E 11 (Beelitz) "Die Tanten, die Geschwister meiner Mutter, die kamen so zu besonderen Geburtstagen. Da hatte man datt Gefühl, da sind Welten zwischen. Meine Tanten sind typische Bild-Leser gewesen. Und dementsprechend war dann in dem Moment och die Information. Die haben sich doch Tatsache eingebildet, dass unser Kitas funktionieren wie nen Armee-Stützpunkt. Was die für eine Vorstellung von unserem Bildungssystem und von den Kitas hatten - ditt hat mich absolut fassungslos gemacht. Ditt waren alleene so ne Sachen: Wenn man erzählte, wie datt bei uns in den Kitas funktionierte mit Kinder sauber machen...watt wees icke: Diese niedlichen Topfreihen, die wo dann alle saßen und gelernt haben, im Endeffekt irgendwann mal auf die Windel zu verzichten. Ditt war dann schon Drill (betont gesprochen) Drill! Und dann haben se sich auch eingebildet, dass unsere Kinder in den Kitas mit nem Panzer spielen mussten. Und ick (lacht) hab dann wirklich meine Tanten mal mitgenommen in die Kitas. Damit die sich ditt (lacht) mal angucken können. (lacht), dass da um Gottes Willen keine Kinder gedrillt werden." AUT Innerdeutsche Missverständnisse allenthalben. Auch im brandenburgischen Ludwigsfelde. E 12 (Hennig) "Und es müsste dann, ich denke, erst Ende der 70er gewesen sein, 1979, vielleicht auch 80, in den Dreh rum, dass sie das erste Mal wieder zurück kam. In den Osten zu Besuch." AUT Sie - das war Tante Hannelore. Die Tante von Falko Hennig. Hannelore hatte nach Mauerbau einen Montage-Arbeiter aus der Bundesrepublik kennen und lieben gelernt - und mit ihm "rüber gemacht". E 13 (Hennig) "Das war vielleicht klar, dass ein solcher Besuch, der so aufgeladen war mit Erinnerungen und Emotionen von den Schwestern...das der auf eine gewisse Art scheitern musste. Weil die Erwartungen wahrscheinlich gigantisch waren. Und die Wirklichkeit die nicht einhalten konnte. Vielleicht, dass von Seiten der West-Schwester auch sie vielleicht zeigen wollte, dass sie eine richtige Entscheidung getroffen hatte und da eben in besseren Verhältnissen lebt, als es im Osten möglich war. Irgendwie wurde so empfunden, dass sie andauernd sagte: Ach! Bei uns im Westen ist alles viel schöner! Da greift man nur rein ins Kühlfach! So dass bei diesem ersten Besuch danach die Verzweiflung recht groß war bei meiner Mutter." AUT Der dicke Max und der arme August - das gab es auch in der Familie von Tobias Pannwitz. Zwar gehörte seine Familie zur sogenannten "Intelligenz" der DDR: Vater Pianist, Mutter Lehrerin in einer Erzieherinnen-Schule in Ost-Berlin: Doch "die im Westen" hatten auch bei mangelnder Intelligenz einen entscheidenden Vorteil: Auswahl. Zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen gab es all das, was das Ost-Herz begehrte. Das weckte Begehrlichkeiten. E 14 (Pannwitz) "Die West-Pakete kamen zu Weihnachten hauptsächlich. Da waren dann so Sachen drin wie Süßigkeiten. Auch mal nen Lego-Kasten, nen kleiner. Oder Kleidung auch. Ja. Das war immer schon nen großer Moment, nen schöner. Weil da halt Sachen kamen, die auch exotisch waren. Wenn man Kleidung gekriegt hat, die man im Osten nicht bekommen hat. Die zwar schon getragen war dann, also es wurde nicht extra neue Kleidung gekauft. Aber die halt völlig in Ordnung war und 1000 Mal wertgeschätzter von mir, als das, was man im Osten bekommen hat. Damals, in den 80ern, waren ja so Netzgeschichten total cool, ja?! Das war halt son Ding mit nem Haufen Taschen und Netz-Sachen dran. Sehr, sehr cool." E 15 (Z.) "Was auch noch dazu kommt: Dass, glaube ich, selbst die einfachste und im Westen unbeliebteste Marke im Osten immer noch total begehrt gewesen wär. Für uns wäre das Kriterium gewesen: Ost-Jeans. Oder West-Jeans. Und die West-Jeans wäre von vorn hinein DIE coole Jeans gewesen. Egal, was da für ne Marke drauf steht." AUT Bei Torsten Z. herrschte in der Schule eine Art Zwei-Klassengesellschaft: Es gab die mit West-Verwandten. Und die armen Schweine ohne. Die mit West-Kontakten hatten die besseren Karten. Und die besseren Accessoires. War bei Tobias Pannwitz genauso. E 16 (Pannwitz) "In der Klasse kursierten neben Kleidung und auch Plastiktüten, die man nun bitte nicht wieder mit in die Schule bringen sollte, (lacht)...kursierten viele Bravos. Bravo war nen ganz wichtiges Zahlungsmittel bei uns. Es gab schon fest gesetzte Preise für wie viel ne Bravo-Seite zu haben war. Oder nen Poster. Es ging dann: 10 Mark pro Seite. Auf jeden Fall war es nen Ausdruck dafür, dass es extrem begehrt war. Für nen Poster von jemanden, den ich geil fand damals...ich sag mal so: Acht Seiten Michael J. Fox von "Zurück in die Zukunft" war geil damals." E 17 (Z.) "Das war für mich das Größte. Also: Original-Westschallplatten. Das hat dann auch die West-Verwandtschaft besorgt. Viele Sachen. Elektronik-Artikel. Wahrscheinlich hatte ich meinen ersten Taschenrechner aus dem Westen. Meine erste Quarz-Uhr hatte ich aus dem Westen. (lacht) So Elektro-Spielzeug. Irgendwelche ferngesteuerte Autos. Wir hatten nen Fernseher aus dem Westen. Wir hatten sogar unseren Trabi aus dem Westen. Das ging auch. Da gab's diesen Genex-Katalog. Da konnte die West- Verwandtschaft für West-Geld Ostware kaufen. Bei Autos musste man als Ost-Bürger normalerweise jahrelang warten. Und über diesen Genex-Katalog konntest du einfach nen Auto kaufen. Einfach hingehen und kaufen." AUT So einfach war das. Wenn "Ossi" die richtige Kontakte hatte. "Wessi-Kontakte". Autos spielten auch in Falko Hennigs Jugend eine nicht unerhebliche Rolle. West-Autos. E 18 (Hennig) "Schon dieses Auto! Ich glaube, es war nen Ford Granada. Das war für mich gigantisch groß. Im Vergleich zu den Autos, die wir hatten. Wir hatten eben nen Trabant. Ja, dann auch dieser Geruch. West-Autos rochen ja ganz anders. Innen drin. Und dann auch: Der Motor ganz leise." AUT Für West-Autos hat sich Antje Radeck nie sonderlich interessiert. Für West-Sprachen schon eher. E 19 (Radeck) "Ich hab relativ zeitig angefangen, während des Studiums als Dolmetscher zu arbeiten. In den Ferien. Weil ich halt Geld verdienen wollte. Ich hab fast nur westliche Gruppen betreut. Was natürlich in der Natur der Sache liegt. Weil: Alle Leute, die Französisch und Portugiesisch sprechen, kommen in der Regel aus diesen Ländern." AUT Antje Radeck lebt damals in Ost-Berlin. Ihr Vater kommt aus einer alten kommunistischen Familie, wie viele andere will er nach dem Krieg ein "besseres", ein "anderes" Deutschland mit aufbauen - als Chemiker an der Humboldt-Universität. Die DDR - das ist sein Staat. Für seine Tochter dagegen entwickelt sich der "Arbeiter- und Bauernstaat" zunehmend zum Klotz am Bein: Die Mauer; die Bespitzelungen; dass sie nicht einfach mal nach Frankreich oder Portugal reisen kann, um ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen. E 20 (Radeck) "Aus einer meiner letzten Dolmetsch-Erfahrungen während des Studiums 1985 ergab sich dann, dass eine Kommilitonin von mir, die da mit war, einen Heiratsantrag gestellt hat. Mit einem der Betreuer. Der war Franzose. Laurant. Und die haben sich dann im Urlaub überlegt: Laurant hat doch auch bestimmt noch nen netten Freund, der dann mich heiraten kann. Den kannte ich ja nicht. Mir wurde nur irgendein Bild gezeigt. Und dann hab ich nen langen Brief auf Französisch geschrieben und hab geschrieben, dass ich's sehr toll finde, dass er sich dazu bereit erklärt hat. Aber er müsste sich schon der Tragweite seines Entschlusses im Klaren sein. Und er könnte nicht nach zwei Monaten sagen: Ach nä, mach ich jetzt doch nicht! Diesen Brief, den ich nur mit meinem Vornamen unterschrieben hatte, dann aber auch noch nen Foto dabei gelegt hatte, den wollte ich verständlicherweise nicht mit der normalen Post schicken. Sondern den haben wir einer Freundin mitgegeben, deren Vater Syrer war. Also, die pendelte damals immer zwischen Berlin und Hamburg. Leila. Und Leila: Ja, ja, gib mal her! Ich steck's ein die Tasche. Und als Leila dann ausgereist ist, sollte sie ihre Tasche zeigen. Die haben diesen Brief gefunden, haben ihn mitgenommen, haben den ihr zwar wiedergegeben, aber: Wir waren uns halt nicht sicher, ob man über meine Absichten jetzt informiert ist." AUT Zwei Wochen lang zerbricht sich Antje Radeck Tag und Nacht den Kopf, was sie machen soll. Luft anhalten und abwarten? Oder Flucht nach vorne? Vor lauter Luftanhalten wird sie fast schon ganz blau im Gesicht. Findet Antje Radeck - und macht Nägel mit Köpfen: Sie stellt einen Ausreiseantrag. Politisch begründet. E 21 (Radeck) "Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als ich meinen Ausreise-Antrag geschrieben hatte, hat Kathrin, mit der habe ich übrigens zusammen studiert,...die fragte mich eines Tages, ob ich Lust hätte, so ner Gruppe aus Köln Ost-Berlin zu zeigen. Und ich hab zwar zuerst gesagt: Hä?! Können die sich nich alleene Ost-Berlin angucken?! Aber: OK. Bin ich halt mit. Wir haben die dann am Bahnhof Friedrichstraße erwartet. Das war halt Anfang Oktober 85. Und im Prinzip (lacht) sind wir den ganzen Tag nur von einer Kneipe in die nächste gezogen. Und nen paar von denen kamen nen paar Tage später noch mal privat zu mir. Und der eine, ein gewisser Jojo, der hat mich gefragt, ob sie mir helfen könnten. Weil natürlich kam das mit dem Ausreise-Antrag, der schon geschrieben war, zur Sprache. Und das fanden se irgendwie toll. Wahrscheinlich dachten se: Hoch! Oppositionelle! Dann hab ich zu ihm gesagt: Na ja, eigentlich, denk ich, muss ich den Part hier schon alleine durchstehen. Aber es wäre natürlich toll, wenn ich wüsste, ich komm irgendwann mal raus und ich hätte nen paar Freunde; hätte vielleicht irgend ne Anlaufstelle, wo ich auch kurz wohnen könnte oder so. Als dann zwei Jahre nix passiert war, hab ich Jojo gesagt: Ai?! Würdest du mich immer noch heiraten? Und er: Ja! Und dann haben wa die nötigen Papiere zusammengesucht. Dann hab ich nen Heiratsantrag gestellt. Dann hat er auch noch zu mir gesagt: OK! Du kannst bei mir wohnen, biste was gefunden hast. Hat sich darüber mit seinem Mitbewohner zerstritten. Und trotzdem passiert's ja nicht, dass man sich in so ne tolle Leute dann auch noch verliebt." AUT Ob Jojo in sie verliebt war - Antje Radeck ist sich da nicht sicher. Bis heute hat sie sich nicht getraut, ihn zu fragen. Sind ja auch schon lange nicht mehr zusammen. Doch das konnte keiner ahnen - bei der Hochzeit, 1988, im Standesamt von Friedrichshain. E 22 (Radeck) "Die Heirat selber - das war schon nen bisschen komisch für mich. Ich hatte natürlich auch niemanden erzählt, dass es nur getürkt ist. Ich wollt natürlich nicht riskieren, dass man mir's ablehnt. Meine Verwandten - die haben dann alle echt so Karten geschenkt, wo Geld drin war und da stand dann vorne auf dem Umschlag drauf: An das liebe Brautpaar. (lacht) Als die Heirat dann gegessen war und ich dann son bisschen vorsichtig: Na ja. Und hm?! Is jetzt nich so und so. Ja?! Aber ihr habt euch doch aber nen bisschen gern? Die waren alle völlig erschüttert, wie man so was machen kann. Ich bin dann 88 ausgereist." AUT Ausgereist ist auch Barbara Beelitz; die "Pflanze aus dem Prenzlauer Berg", die sich selbst eine "rote Socke" nennt. Allerdings nur besuchsweise. E 23 (Beelitz) "Mein Mann und ick hatten ja och das Glück, dass wir selber rüber gefahren sind. Und quasi meine Cousins und Cousinen besucht haben. Rolf, Heide, Hans-Peter, Wolfgang. Das hat auch richtig Spaß gemacht. Da haben wa halt diskutiert über Glaubensfragen, wir haben eben auch diskutiert über Politik. Immer wenn ich da war, bin ich auch einmal mitgegangen zu ihren Gottesdiensten. Weil ich mir sagte: Wenn ich mir nen Urteil darüber bilden will, muss ich's auch mal kennen. Ja! Ich fand's einfach ganz nett. OK?! Und einer meiner angeheirateten Onkel ist da och in dieser Kirchengemeinde ziemlich oben angesiedelt. Der hat dann jedes Mal versucht mich zu agitieren. Aber (lacht) da haben wa immer erklärt: Nä! Ditt is überhaupt nich mein Ding. Ick bin ein dermaßener Heide - ditt wirst du nie schaffen!" (lacht) AUT Mit Religion hatten sie auch in der Familie von Falko Hennig nicht viel am Hut. Der Onkel aus dem Westen war da keine Ausnahme. E 24 (Hennig) "Der hieß Klaus. Und Klaus ist schon vor Mauerbau in den Westen gegangen. War erst in Hamburg, hat beim Fernsehen angefangen und war dann beim WDR Redakteur. Fernsehen. Erst Kultur, später Politik. Außenpolitik. Schlief immer für unsere Verhältnisse allgemein erstaunlich lang. Um dann den Vormittag oder was davon noch übrig war, im Bademantel zu verbringen. Trug da auch lange Haare. Und das war dann irgendwie...hier: Mein Vater dann fragte: Mensch! Kriegste nich Ärger uffe Arbeit mit den langen Haaren?" AUT Wenn Onkel Klaus aus Köln anreiste, war immer was los. Zur Begrüßung lehrten er und seine vier Brüder eine Flasche Nordhäuser Doppelkorn. War Tradition so. Genau, wie das er immer den Stern und den Spiegel mitbrachte; und erzählte. Besonders von seinen Reisen. Die Kapverdischen Inseln; Südamerika. Einmal die große weite Welt hin und zurück. E 25 (Hennig) "Ich glaub, es war schon son Ritual, dass alle Brüder anreisten mit jeweiligen Lebensgefährtinnen und Frauen. Dass dann eben alle kamen. Der West-Onkel ist da! Am besten schon am ersten Tag und dann möglichst lange bleiben. Für mich war's dann eben, um so viel zu erfahren. Und der Fernseher lief. Und es wurde dabei erzählt. Manches vom Fernsehprogramm kommentiert." E 26 (Z.) "Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind, wenn ich krank war, hab ich immer ganz fasziniert am Vormittag Fernsehen geguckt: Da (lacht) liefen nämlich immer die Bundestagsdebatten. Mich hat einfach diese politische Kultur fasziniert, die es in der DDR ja gar nicht gab. Dass Politiker sich öffentlich hinstellen und sich miteinander streiten. Gab's natürlich auch son paar Gestalten wie Strauß. Oder Vogel. Brandt. Die natürlich auch mal nen bisschen lauter geworden sind. Das war für mich absolut faszinierend. Ich würde schon sagen, dass wir immer schon im Westen gelebt haben. Zumindest gedanklich. Für uns war der Westen schon auch Deutschland. Ich glaub, dass das andersrum nicht so war. Dass für die meisten Westdeutschen der Osten nicht auch irgendwie Deutschland war. Sondern das war ein fremdes Land. Natürlich auch kein attraktives Land. Aber für uns: Wir haben uns auch immer nen bisschen als gesamtdeutsch gefühlt. Und auch immer für die West-Politik interessiert. Also, ich hab mich wahnsinnig dafür interessiert, wie Bundestagswahlen ausgehen. Und hab wie viele Westdeutsche gelitten, als Helmut Kohl ein ums andere Mal wiedergewählt worden ist." AUT Leiden muss Torsten Z. heute nicht mehr. Helmut Kohl ist im Ruhestand, Deutschland wieder vereint. Und Kohls Mädchen aus dem Osten Bundeskanzlerin. Sind andere geworden - die Zeiten. Und auch das mit dem West-Besuch ist nicht mehr das, was es einmal war. E 27 (Beelitz) "Da lebt sich das dann auseinander. Das mag bestimmt schon...das is vor zwanzig Jahren gewesen. AUT Dass jemand von der West-Verwandtschaft das letzte Mal bei Barbara Beelitz vorbei geschaut hat. In Berlin-Marzahn. E 28 (Beelitz) "Ja! Solange ist das her. Entweder is es, weil's jetzt offen is. Is ja nich mehr unbedingt die Sensation oder so!" AUT Vielleicht auch besser so. Denn: Inzwischen sind wir doch alle: Einig Alltagsland! E 29 (Beelitz) "Aber hundert Pro!" (lacht) - Ende Beitrag-