DEUTSCHLANDFUNK Redaktion Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Ulrike Bajohr Dossier Willkommensklassen - Bildungschancen für junge Flüchtlinge in Berlin von Agnes Steinbauer Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © unkorrigiertes Exemplar - Sendung: Freitag, 07. August 2015, 19.15 - 20.00 Uhr Atmo: Guten Tag…. O-Ton/ Jamil/Schüler der Johanna-Eck-Schule, Berlin …Ich heiße Jamil Mohammed Amin und ich komme aus Syrien, bin 15 Jahre alt und bin seit einem Jahr und fünf Monaten in Deutschland O-Ton/Jamil …Bevor das Krieg begonnen hat, für uns Europa war gar nicht wichtig. Mein Vater war ein Rechtsanwalt und meine Mutter war eine Lehrerin und uns ging es ziemlich da gut, da hatten wir alles, was wir bräuchten…und wir waren in der Schule und auf einmal haben wir eine Bombe gehört. O-Ton /Romena/ Schülerin ...und dann war alles unmöglich: Es gab kein Wasser, kein Elektrizität, kein Internet…unser Freund, er ist gestorben vor zwei Jahren, weil er Christ war, er war alleine zu Hause und sie waren die Nachbarn und sie haben ihn getötet… O-Ton/Anne Baumgart, Lehrerin der Johanna-Eck-Schule…das, was sie alle verbindet: Sie haben ihre Heimat verlassen, sie haben oft ihre Familie, ihre Freunde, ihre Sprache, alles das, was ein fester Bezugsrahmen ist, was ganz wichtig ist fürs Aufwachsen. All das haben sie ja verloren und sie kommen hierher, und das ist erstmal schwierig für sie… Atmo Unterricht Ansage Willkommensklassen - Bildungschancen für junge Flüchtlinge in Berlin. Eine Sendung von Agnes Steinbauer Atmo Unterricht Sprecherin In einem hellen, geräumigen Klassenzimmer der Johanna-Eck-Schule im Berliner Süden lächelt Anne Baumgart aufmunternd in die Runde. Atmo Unterricht Sprecherin Anne Baumgart ist Lehrerin einer „Lerngruppe für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“. Sie bringt Schülern aus aller Welt die Grundlagen unserer Sprache bei – am liebsten spielerisch. Die schlanke Frau setzt sich auf ihr Pult und wirft den Schülern einen Ball zu. Wer ihn fängt, ist dran: Atmo Unterricht Junge: Ich heiße Moussa, ich komme aus Pakistan, ich bin 12 Jahre alt, ich mag U-Bahnfahren… Sprecherin Moussa ist der Jüngste von zehn Jungen und Mädchen, die an diesem Sommermorgen den Anfängerkurs A 1 besuchen. Seine Mitschüler sind zwischen 14 und 16 Jahre alt und kommen aus Syrien, Serbien und Bulgarien, aus Pakistan und Tschetschenien. O-Ton/Baumgart Das wechselt halt immer, wie die Krisenlage dieser Welt gerade ist. Nun ist jetzt der Fokus auf den Kindern aus Syrien, aber es gab die Welle in den 90er-Jahren, als die Kinder russischer Aussiedler hier ankamen. Es gibt auch immer wieder Kinder aus afrikanischen Ländern oder aus den asiatischen Ländern – es sind immer so Phasen, aber eigentlich ist ja das Kerngeschäft: Der Unterricht mit den Schülern, die kein Deutsch verstehen, hier aus den unterschiedlichsten Gründen nach Deutschland kommen und die ein schweres Päckchen mit sich tragen… Sprecher Laut UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht - darunter viele Kinder und Jugendliche. Auf ihrer Odyssee durch die Welt können sie oft monate- oder jahrelang keine Schule besuchen. In den Aufnahmeländern steigt der Bedarf an Schulplätzen - besonders in Metropolen wie Berlin. Bis zu den Sommerferien lernten dort 4900 Kinder und Jugendliche in 430 sogenannten „Willkommensklassen“. Nicht nur Kriegsflüchtlinge, sondern auch junge Menschen, die aus Armutsgründen nach Berlin kamen. Auch Kinder, die hier schon lange leben, aber schlecht Deutsch sprechen, sind darunter. Diese Spezialklassen werden von den Bezirksämtern je nach Bedarf eingerichtet. Der Schulplatz ist wohnortabhängig. Besonders viele „Seiteneinsteiger“ wohnen im Bezirk Mitte und gehen deshalb dort zur Schule, die wenigsten in Marzahn-Hellersdorf. Seit Ende 2012 hat sich die Zahl der Willkommensklassen verdreifacht. Allein im letzten Halbjahr kamen über tausend neue Schüler in diese Lerngruppen – Tendenz steigend. Atmo Theater Sprecherin Im Bezirk Tempelhof-Schöneberg im Berliner Süden waren vor den Ferien über 400 Kinder und Jugendliche in Willkommensklassen. Auch an der Johanna-Eck-Schule, einer Integrierten Sekundarschule mit Zuwandererkindern aus 36 Nationen und langjähriger Erfahrung mit internationalen Schülern. Pro Jahr werden hier bis zu vierzig Schüler in Willkommensklassen aufgenommen. Themen wie Flucht und Vertreibung sind im Alltag der Johanna-Eck-Schule immer präsent – etwa in einem Theaterstück mit dem Titel „Lampedusa“. Atmo/Theater Sprecherin Wie es sich anfühlt, wenn alles zusammenbricht und die vertraute Welt nur noch in der Erinnerung besteht, verstehen hier alle, die ihre Heimat verlassen mussten. Jamil lebte in Syrien, bis der Krieg seine Stadt Aleppo erreichte. O-Ton Jamil …unser Zuhause war genau neben ein Zentrum war für die Polizisten…und da wurde eine Bombe geschmissen, Gott sei Dank, es ist nichts passiert, aber vom Balkon wurden ein paar Steine runtergefallen… Und in diesen Nacht haben wir Gewehrschüsse gehört und da haben wir unser Auto gehört und gesehen, dass jemand die Scheibe kaputtmacht und das Auto klaut…dann haben wir entscheidet: Wir müssen sofort weg, obwohl unsere ganze Sachen: Auto, Geld…alles ist da geblieben…Haus…wir haben wirklich viel verloren… Sprecherin Seitdem sind über drei Jahre vergangen. Kürzlich wurde Jamil 16. Bevor er mit seinen Eltern und zwei jüngeren Brüdern nach Deutschland kam, lebte die Familie ein Jahr lang in der Türkei. Atmo Theater Sprecherin An dem Stück „Lampedusa“ arbeitete die Theater AG monatelang, auch an den Wochenenden und in den Ferien. Unter Anleitung ihres Lehrers recherchierten die Mitglieder das Thema, feilten an Texten und Dramaturgie. Bei der Premiere saßen ausländische und deutsche Schüler schließlich zusammen in einem selbstgebauten Boot, das sich auf Rollen hin- und her bewegte wie auf hoher See... Atmo Theater O-Ton/ Oliver…es ist ja nicht irgendwelche Leute, die sagen: Oh! ich hab kein Geld, ich komme nach Deutschland, um Hartz IV zu kriegen…die Leute werden zu Hause erschossen auf der offenen Straße und ihre Kinder werden vergewaltigt und entführt. O-Ton/ Alexandra…die ganze Schule hat sich ja damit befasst…ein Junge hat auch seine Geschichte erzählt und da haben wir alle angefangen zu weinen, weil das so traurig war. O-Ton Sebastian…mit dem Projekt wollten wir anderen weismachen, dass es sehr schlimm ist, jetzt auf der Welt. O-Ton Oliver Das ist einfach eine extreme Art des Kapitalismus, das ist abartig und nichts anderes als Menschenhandel. Sprecherin Oliver, Alexandra und Sebastian versetzten sich als Schauspieler in die Situation von Flüchtlingen. O-Ton/Bassel Ich bin mit meiner Familie gekommen, damals hatte ich Glück. Ich bin mit dem Flugzeug gekommen. Wer das macht, der flüchtet wegen der Armut oder wegen der Krieg. Sprecherin Der 16-Jährige Bassel verließ wie sein Freund Jamil Aleppo, als ein normales Leben dort nicht mehr möglich war. Bassel und Jamil haben sich inzwischen gut hier eingelebt. In der Schule werden sie nicht mehr als „Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“ eingestuft. Bassel lernt bereits seit einem Jahr im Regelunterricht. Nach der 10. Klasse hat er gute Aussichten seinen Mittleren Schulabschluss – den MSA - zu schaffen. Jamil wechselt nach den Ferien in eine reguläre Klasse. O-Ton Jamil … ich hab die Prüfung bestanden, ich komme in die neunte Klasse nächstes Jahr und dann hoffentlich werde ich meinen Abschluss machen – MSA und dann Abitur und hoffentlich will ich ein Arzt werden, also ich will ein Arzt werden. Sprecherin Die Johanna-Eck-Schule, die im Zug der Berliner Schulreform, aus einer Haupt- und Realschule zur integrierten Sekundarschule fusionierte, gilt als „Leuchtturm“ im Umgang mit Migranten. Konrektorin Silke Donath blickt selbstbewusst zurück: O-Ton Silke Donath, Konrektorin der Johanna-Eck-Schule…Es ist schon ein Stück weit Arbeit unserer Schule. Wir sind im Bezirk die Schule, die seit jeher solche Klassen hat. Mit den Abschlüssen, die unsere Schüler nachweisen können, können wir belegen, wie sinnvoll unserer System ist, auch mit dem schulinternen Curriculum. Atmo Fortbildung Sprecherin Die passionierte Lehrerin, die in der DDR Deutsch und Russisch studierte, macht sich für Sprachbildung in Berlin stark. An ihrer Schule arbeitet Silke Donath seit 20 Jahren in Deutsch-Lerngruppen. Darüber hinaus ist sie Fachlehrerin für Weiterbildung, veranstaltet Workshops zum Thema und organisiert Netzwerke mit Kollegen, um Unterrichtskonzepte für Klassen mit nicht deutschen Schülern zu verbessern. Auch an der Entwicklung des schulinternen Curriculums war sie maßgeblich beteiligt. Es orientiert sich am mehrstufigen System des vom Europarat entwickelten „Gemeinsamen Referenzrahmens für Sprachen“. In den drei Kursstufen - A1, A2, B1 – werden die Schüler in 31 Wochenstunden an die deutsche Sprache und an Grundwissen in anderen Fächern herangeführt: O-Ton Donath …in der A1 – das sind rein ausgewiesene Deutschstunden, sie haben aber auch Mathematik, Sachkunde…in diesen Bereich fließen dann in der A 1 vorwiegend Biologie und Geographie ein. Sie haben Sport, sie haben ein musisches Angebot, das sie nach Neigung wählen können…// in der A2 gibt es dann WAT – Wirtschaft, Arbeit, Technik…sie haben ITG, lernen also am Computer zu arbeiten und sie haben Physik und in der B-Klasse kommt dann noch Physik mit einer Stunde mehr dazu und es kommt Englisch dazu, weil das die erste Fremdsprache ist und wir die Erfahrung gemacht haben, sie brauchen dieses Jahr, um nachher in der Regelklasse fußzufassen und Englisch ist halt für den Abschluss wichtig. Sprecherin Um im Regelunterricht erfolgreich zu sein, so Donath, müsse ein Schüler B1 Niveau haben. Nach dem Referenzrahmen ist auf dieser Stufe „fortgeschrittene Sprachverwendung“ möglich. Zitat: Sprecher (Ein Lernender) „kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird … (Er) kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.“ Sprecherin Im Unterschied zu anderen Schulen haben ausländische Kinder und Jugendliche an der Johanna-Eck-Schule regelmäßig Kontakt zum „normalen“ Schulleben. Im Sport- und Musikunterricht oder in Computerkursen werden sie gemeinsam mit Regelschülern unterrichtet. Ihre Klassenzimmer liegen im Schulgebäude und sind nicht – wie oft an anderen Schulen – räumlich ausgelagert. Atmo Schüler im Museum O-Ton Marie Hilse Ich liebe meine Arbeit, weil ich im Gegensatz zu dem Unterricht in den Regelklassen ganz, ganz viel Lernwillen spüre, weil ich Fortschritte sehr schnell bemerke, weil man für die Kinder mehr ist, als nur eine Lehrerin, man ist eigentlich der erste Kontakt mit der deutschen Sprache in Deutschland und das ist was, auf das die Kinder sich normalerweise freuen und man bekommt ganz viel zurück von den Kindern, ganz viel Liebe, ganz viel Aufmerksamkeit, aber auch Hilfebedürftigkeit. Atmo … Sprecherin Marie Hilse unterrichtet in einer „Willkommensklasse“ in der 1. Gemeinschaftsschule Schöneberg. Die junge Lehrerin für Deutsch und Geschichte mit Zusatzausbildung Deutsch für Ausländer hat bis zu 15 Kinder in ihrer Gruppe – Im letzten Schuljahr kamen sie aus elf Ländern. O-Ton Hilse Ich versuche Ihnen Alltagskompetenzen für die Kommunikation zu vermitteln, dass sie sich in Alltagssituationen oder Situationen, die für Teenager relevant sind, verständig machen können. Das beginnt mit dem sich vorstellen, einkaufen etc. aber auch sich in der Stadt bewegen können, aber auch kulturelle teilhabe. Wir lesen ein Buch, oder gehen ins Museum … Atmo Museum Ornella Sprecherin Ornella kam aus Argentinien nach Berlin zu ihrer Großmutter, weil sich ihre Eltern nicht um sie kümmern konnten. Anfangs war es sehr schwer für sie, sich einzugewöhnen – erzählt Marie Hilse: O-Ton Hilse …Das ging ca sechs Monate, dass sie sehr depressiv war, keinen Lernwillen gezeigt hat , viel gefehlt hat und dann kam Romena in unsere Klasse, das Mädchen aus Syrien, und die beiden hatten sofort einen Draht zueinander, und ich glaube, die haben sich auch gegenseitig ganz schön aufgefangen, weil Romena trotz ihrer schlimmen Erfahrung ganz viel soziale Kompetenz hat und sie aus diesem Tief rausgeholt hat und jetzt redet die Argentinierin wie ein Wasserfall… Atmo Morgenkreis…Kinder erzählen vom Wochenende O-Ton Hilse ich lege auch sehr viel Wert darauf, dass wir viel kommunizieren, dass die Schüler auch bemüht sind, sich auszudrücken und ihre Wünsche und Bedürfnisse mitzuteilen, aber auch über ihre Erlebnisse berichten und dass sie so einfach die Sprache anwenden…das ist mir wichtiger, als dass sie Grammatikregeln pauken – Atmo Morgenkreis Sprecherin Einmal in der Woche wird ein benoteter Test geschrieben. Zum Ende eines Halbjahres gibt es ein Sprachstandszeugnis. Auch ein wenig Geographie, Geschichte und Biologie baut Marie Hilse in ihren Unterricht ein. O-Ton Hilse …wir haben wenig Auflagen. Wir haben einen Leitfaden vom Senat, an den wir uns halten müssen, der z.B. besagt, wie viele Unterrichtstunden unseren Schülern zustehen oder wann die in Regelklasse eingeschult werden sollen, aber es gibt wenig konkrete Vorschläge, es gibt keinen Rahmenlehrplan, es gibt keine verbindlichen Kompetenztests. Es gibt leider auch sehr wenig Unterstützung muss ich sagen. Inzwischen gibt eine Fortbildung für Lehrkräfte für ein Jahr und einmal im Monat haben wir einen Fortbildungstag, das ist ziemlich hilfreich. Atmo Verkehr Sprecher Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat einen „Leitfaden zur schulischen Integration von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen“ herausgegeben, der die Rahmenbedingungen beschreibt. Unter anderem geht es um Aufnahmeverfahren und Beschulung, Qualifizierung und Beratung der Lehrkräfte sowie um rechtliche Regelungen. Danach haben alle ausländischen Kinder und Jugendlichen das Recht auf den Besuch einer öffentlichen Schule. Schulpflichtig sind sie aber dann, wenn sie einen Aufenthaltstitel besitzen – etwa in Form einer Aufenthaltserlaubnis. Atmo weg Sprecherin Ein wichtiger Punkt im amtlichen „Leitfaden“ ist die „Verweildauer“ in den Willkommensklassen. Zitat: Sprecher „Für alle Lerngruppen für Neuzugänge gilt, dass der Aufenthalt der Schülerinnen und Schüler vorübergehend ist, ausgerichtet auf einen schnellen Übergang in eine Regelklasse, in der Regel innerhalb eines Jahres. Der Übergang in die Regelklasse ist jederzeit vorher möglich. Ausschlaggebend…ist der Stand der Deutschkenntnisse.“ Sprecherin In der Praxis seien solche Zeitvorgaben unrealistisch, meint Maria Greckl – seit zwanzig Jahren Lehrerin für jugendliche Zuwanderer im Bezirk Zehlendorf-Steglitz. O-Ton Greckl Viele können es nicht in einem Jahr schaffen, die bräuchten eineinhalb Jahre oder zwei Jahre, ansonsten werden die untergehen in diesem Sprachbad… Sprecherin Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres wundert sich über solche Aussagen und verweist auf Entscheidungsspielräume im Leitfaden. O-Ton Scheeres Es ist so, dass die Kinder einen sehr unterschiedlichen Stand haben. Ich kann mir aber nicht vorstellen, wenn ein Kind ein längeres Bedürfnis hat, in der Willkommensklasse zu sein – also dass wenn die Lehrkraft sagt: Es wäre gut fürs Kind, vier bis acht Wochen länger in der Willkommensklasse zu sein, dass dieses Kind dann gezwungenermaßen in die Regelklasse…solche strengen Vorgaben sind mir nicht bekannt, dass wir diese haben. Hier erwarte ich auch Flexibilität auch der Schulen, damit so umzugehen. O-Ton Donath …so ganz ohne Probleme ist es nicht, weil viele Schulleiter, die wenig oder keine Erfahrung in dem Bereich haben, sich ganz streng an den Leitfaden halten und um mögliche zusätzliche Kommunikation mit dem Amt zu vermeiden und schnell reagieren zu können, werden die Schüler nach einem Jahr in die Regelklassen geschickt, auch wenn sie teilweise überhaupt nicht regelklassenfähig sind… Sprecherin Erfahrungsgemäß, so Silke Donath, brauchten Kinder und Jugendliche den geschützten Raum der Spezialklassen mindestens zwei Jahre lang. Allerdings räumt die Konrektorin auch einen Widerspruch in den eigenen Reihen ein: Einerseits werde die Erwartung der Senatsverwaltung beklagt, Kinder in einem Jahr regelklassenfähig zu machen, andererseits nutzten Schulleitungen ihren Spielraum zu wenig. O-Ton Donath Es gibt Schulen, die sind von sich aus bemüht, die sind auch bemüht, wenn sie wissen, sie müssen eine Lerngruppe aufnehmen, ein Konzept zu entwickeln und es gibt Schulen, die nehmen diese Klassen, weil sie sie aufnehmen müssen, aber eigentlich passen sie ihnen nicht ins Konzept. Atmo Baustelle Sprecherin In Marzahn-Hellersdorf ist gerade ein neues Asylbewerberheim mit Platz für 400 Menschen fertiggestellt worden. Stefan Komoß, als Bezirksbürgermeister auch für die Schulen zuständig, machte sich schon vor der Eröffnung des Heims über die jungen Bewohner Gedanken: O-Ton Komoß Nach unseren Erfahrungen sind etwa ein Viertel bis ein Drittel der Menschen, die einem Asylbewerberheim untergebracht werden, schulpflichtige Kinder, das wiederum bedeutet für uns, dass wir davon ausgehen: 100 bis 130 Kinder sind zu versorgen. Wir haben es von dem Standort aus nicht allzu weit bis zur nächsten Grundschule, das ist ja insbesondere der Bereich, der hier Beachtung findet… das ist rein von der Entfernung her ist das unter einem Kilometer. Sprecherin Obwohl Marzahn-Hellersdorf berlinweit mit 5 Prozent den geringsten Ausländeranteil hat, ist der Bezirk immer wieder wegen Anwohner-Protesten gegen Asylbewerber in die Schlagzeilen geraten. Stefan Komoß hat verschärfte Polizeipräsenz angekündigt – und setzt außerdem auf die wachsende Zahl von Bürgern, die sich offen gegen Neonazis stellen. Das ist wichtig für die Zuwandererkinder. Im nächsten Schuljahr wird es für sie bis zu 15 Willkommensklassen geben. An der Konrad-Wachsmann-Schule hat man da schon Erfahrung … Atmo Unterricht: Lehrerin teilt Zettel aus, gibt Anweisungen, Schülerstimmen Sprecherin Paula Berndt ist 32 Jahre alt und hat eigentlich Sport studiert. Aber jetzt begeistert sie sich für die Arbeit als Lehrerin für ausländische Kinder: Atmo Schule O-Ton Berndt Ich bin total offen, was sowas angeht…ich bin super interessiert an Kulturen, an anderen Nationen und hab gedacht, das ist eine Herausforderung und so ist es auch. Es macht tierischen Spaß, ich bin da eigentlich reingestolpert, aber ich will momentan nichts anderes machen. Atmo Schule Sprecherin Dass es immer wieder rassistische Anfeindungen im Bezirk gibt, spiegelt sich auch hier im Schulleben wider: O-Ton Berndt Es betrifft ein zwei Schüler aus meiner Klasse, die auch mit diesen Protesten zu tun hatten, aber es ist prinzipiell ein großes Problem. Marzahn-Hellersdorf ist ein sozial schwacher Bezirk, in dem leider viele Meinungen vertreten, wovon sie überhaupt keine Ahnung haben und einfach nachschwatzen, was die Eltern erzählen, und in den Medien ja auch geschürt wird. Aber es ist immer unterschwellig da. Und man wird immer komisch angeguckt, wenn man mit der Klasse durch den Bezirk wandert – es ist eben nicht Kreuzberg hier, es ist Marzahn-Hellersdorf. Sprecherin Das beste Mittel gegen Rassismus ist gegenseitiges Kennenlernen, meint Paula Berndt. Anfangs waren ihre ausländischen Schüler getrennt von den Regelklassen in einem separaten Gebäude untergebracht. Das ist vorbei, und Paula Berndt ist darüber sehr froh: O-Ton Berndt Die Schüler profitieren ja auch voneinander, also ob es die deutschen Schüler sind, die von unseren profitieren oder unsere Schüler, die von den deutschen Schülern profitieren… das ist ein unbedingtes Muss. Die Erfahrung an unserer Schule war, dass es eine Klasse gab, wo es rassistische Vorfälle gab, dass sich das so hochschaukelte, dass die Eltern sich einschalteten und dass da massenhaft Proteste gegen dieser Schüler nicht deutscher Herkunft gab – viel auch seitens der Eltern…wo wir dann Aufklärungsarbeit geleistet haben, die Klassenlehrerin mit der Klasse in das Asylheim gefahren ist, sie besucht hat… dort sie erfahren haben, wie die Menschen dort leben, wie es denen geht, woher die kommen, warum die hier sind, was mit denen passiert, wenn sie wieder abgeschoben werden oder was ist überhaupt Asyl, was das heißt…und es war dann zum Schluss soweit, dass wir das Experiment gewagt haben, in diese äußerst schwierige Klasse einen meiner Schüler teil zu integrieren und das hat so toll funktioniert, dass ich sage: Das muss unbedingt sein und meine Kinder gehen alle stundenweise in die Regelklassen. Atmo Unterricht, es geht um den Film Neuland Sprecherin Die Klasse war kürzlich im Kino. Im Film „Neuland“ werden junge Migranten und ihr Lehrer ein Jahr lang begleitet. Es geht darin auch um das Thema Berufsvorbereitung und Vorstellungsgespräche. Atmo… Schüler erzählen O-Ton Berndt Die Hälfte von meinen Schülern, die ich bis jetzt auf diesem Weg betreut habe, die schafft das – die ist hochmotiviert und die wird ihren Weg finden, und dann gibt es die andere Hälfte, die mit den Sozialhilfen zufrieden sind. Wer will und wer hier fleißig im Unterricht ist – da mache ich mir keine Gedanken – der wird hier in Berlin oder sicher auch in Deutschland – seinen Weg finden… Sprecherin Paula Berndt gehört zu den vielen engagierten Lehrerinnen, die ihre Schüler möglichst gut fördern wollen. Dazu wünscht sie sich bessere Bedingungen. An ihrer Schule gab es vor den Ferien nur zwei Sprachlernklassen, die alle Niveaustufen abdecken mussten, für einen dritten Kurs war kein Platz. O-Ton Berndt Aus den Fortbildungen, die ich berlinweit mache, kann ich nur sagen, dass es total unterschiedlich in den Bezirken auch ist und dass ich merke, dass Marzahn-Hellersdorf da unheimlich viel Nachholbedarf hat, was Einheitlichkeit, was Management angeht, wie die Schüler verteilt werden, wie die aufgenommen werden – was bei der Aufnahme zum Beispiel, dass gleich ein Sprachstand erfasst wird, das wird für die Grundschüler in Marzahn-Hellersdorf gemacht, aber nicht für die Oberstufenschüler. Sprecherin Und: Paula Berndt hätte gern viel mehr Zeit, für das, was neben der Organisation des Unterrichts und dem Schulwissen für ihre Kinder gut ist: O-Ton Berndt Dann sind es auch die vielen persönlichen Gesprächen, die ja auch in die psychologische Richtung gehen, die Zeit bräuchten, die man dann natürlich vom Privaten abzweigt, für Schüler, die 17, 18 sind, und gar nicht mehr in eine Regelklasse integriert werden können, weil sie schon so alt sind, die also entweder an ein Oberstufenzentrum müssten oderind die Berufsausbildung direkt müssten, die würde ich natürlich auch gerne mal begleiten oder betreuen und mich auch stark machen dafür, aber das schafft man einfach gar nicht… Sprecherin Eigenverantwortung ist wichtig, kann aber Schulbehörden nicht von ihrer Aufgabe entbinden, die Probleme, der Lehrer in der Praxis ernst zu nehmen und ihnen bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Der „Leitfaden“ der Senatsverwaltung wird gerade überarbeitet. Höchste Zeit, meint Maria Greckl, Lehrerin an der 10. Integrierten Sekundarschule Steglitz-Zehlendorf. O-Ton Greckl Es gibt zu wenige Plätze in Regelklassen. Die Schüler bräuchten noch ein Unterstützungsprogramm parallel zum Übergang in die Regelklassen…dass die nachmittags Förderunterricht haben, Nachhilfe haben oder zusätzlichen Sprachunterricht, dass sie sozusagen, wenn sie mit A2 da anfangen, dass der Sprachunterricht sie auf B1 bringt. O-Ton Scheeres Das ist mir jetzt nicht bekannt, auch, wenn ich mir die Schülerzahlen anschaue, in Steglitz-Zehlendorf, da ist der Anteil der Flüchtlingskinder sehr gering – 238, wenn ich den Vergleiche zu Mitte – 707 Schüler, also da kann ich mir nicht vorstellen, dass wir da keinen Platz für die Kinder haben, weil ich weiß auch, dass es einzelne Schulen gibt, wo wir freie Plätze haben, in den Schulen… Sprecherin ...meint Bildungssenatorin Sandra Scheeres. Marie Hilse, Lehrerin der Willkommensklasse in Berlin-Schöneberg, führt allerdings auch Klage über die Übergänge in die Regelklassen. Vor allem dann, wenn sich für begabte Schüler ein Weg abzeichnet, der viele überrascht. O-Ton Hilse … weil viele Schulen, beispielsweise vor allem Gymnasien, die Aufnahme dieser Kinder in die Regelklassen wirklich ablehnen, weil sie denen nicht zutrauen, dass sie die sprachlichen Fähigkeiten mitbringen, sich am Gymnasium durchzuschlagen. Und ich glaube, das ist oft falsch, weil man einigen Kindern, die sehr intelligent sind, damit Wege verbauen würde, und da habe ich mich dann als Lehrkraft hinter geklemmt, und ganz viele Schulen angerufen, weil das Schulamt von Tempelhof Schöneberg im Moment ziemlich überfordert ist, weil es schlecht besetzt ist, und die da auch wenig dafür machen konnten. Sprecherin Romena kam vor nicht einmal einem Jahr aus Syrien und lernte so gut, dass sie vor den Ferien aufs Gymnasium wechseln konnte. O-Ton Romena In Syrien war ich auch ins Gymnasium gegangen und ich wollte auch hier ins Gymnasium gehen und Frau Hilse hat diese Schule gefunden und die Schule gefällt mir wirklich. Die Lehrer sind nett und sie helfen mir. Wenn ich nicht verstehe, geben sie mir extra Blätter und so. O-Ton Hilse Das ist natürlich auch ein Frage der Herkunft, in Syrien gab es ein sehr gutes Schulsystem beispielsweise, die Kinder, die dort in der 9. Klasse sind, sind eigentlich vom Wissenstand her weiter, als Kinder in Deutschland in der 9. Klasse. Deswegen konnte jetzt z. B. Romena auch zum Gymnasium wechseln, weil die schon ein sehr großes Weltwissen hat. Atmo Verkehr Sprecherin Vor allem in Bezirken wie Berlin Mitte, wo viele Zuwanderer wohnen und Schul-Kapazitäten knapp sind, müssten Kinder und Jugendliche oft zu lange auf einen Platz in Willkommens- und später in geeigneten Regelklassen warten, kritisiert Silke Donath, die Fortbildungslehrerin: O-Ton Donath Damit haben die Schüler überhaupt keine Chance dort beschult zu werden, oder müssen sich dann mit Plätzen zufrieden geben – irgendwo, mit langen Fahrtwegen, an Schulen, die von deutschen Schülern wenig nachfragt sind. An die Schulen werden dann die ohnehin benachteiligten Schüler geschickt. Da frage ich mich: Wo ist das Willkommen wirklich in der Umsetzung und welche Chancen eröffne ich den Schülern dann… Sprecherin Silke Donath hat auch beobachtet, dass Kinder und Jugendliche zu häufig die Schule wechseln müssen, in die sie sich gerade eingewöhnt haben. Da brauchen die Schulleitungen einen guten Kontakt zur Schulaufsicht… O-Ton Donath Der Bezirk akzeptiert durchaus Begründungen, wenn wir sagen: Die Schüler sind jetzt zwar in einen anderen Bezirk gezogen, weil sie aus dem Heim raus endlich in eine Wohnung gezogen sind, aber wir möchten sie weiter beschulen, kann man bei uns im Bezirk mit dem Schulamt reden. In anderen Bezirken wird das viel rigider gehalten und die Schüler werden rigoros aus den Klassen ausgeschult und müssen sich im neuen Bezirk wieder eine Schule suchen. O-Ton Scheeres Grundsätzlich läuft das in Berlin sehr gut. Es ist nicht in allen Bundesländern so, dass alle Flüchtlingskinder in den Schulen beschult werden. Sprecherin setzt Bildungssenatorin Sandra Scheeres dagegen. O-Ton Scheeres Es gibt Bundesländer, die haben nicht diesen Ansatz. In Berlin ist es uns sehr wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen so schnell wie möglich in der Schule integriert werden…und dass es dann an der einen oder anderen Stelle mal holpert, das ist klar bei diesen Mengen Flüchtlingskindern… Sprecher Die zügige Aufnahme von mehreren Tausend Schülern, die nicht planbar zuwandern und von heute auf morgen Unterricht brauchen, ist eine Mammutaufgabe für die Verwaltung. Zumal Berlin ohnehin eine schnell wachsende Metropole ist - auch gemessen an der Gesamtschülerzahl. Fast 300.000 Kinder und Jugendliche sind hier im Schulsystem. Für die nächsten Jahre wird ein rasanter Zuwachs prognostiziert, den niemand genau beziffern kann. Die Rede ist lediglich „von mehreren Zehntausend“ Schülern. 2000 Pädagogen will die Senatsverwaltung bis Ende 2015 neu einstellen – darunter auch Fachkräfte für Deutsch als Zweitsprache. Durch die steigende Anzahl der ausländischen Kinder und Jugendlichen verschlechterte sich die Schüler-Lehrer-Relation. Kamen im Januar 2014 noch 8 Schüler auf eine Lehrkraft, sind es heute durchschnittlich 12. Sprecherin Ein wichtiges Stichwort ist der Umgang mit Vielfalt. O-Ton Donath Das Problem in anderen Schulen ist durchaus, dass der Leitfaden überhaupt nicht die Vielfältigkeit der Schüler wirklich anerkennt…wir haben Schüler drin, die sind vielleicht vom Alter her schon Siebt-, Acht- oder Neuntklässler, haben aber aufgrund ihrer Flüchtlingsodyssee mehrere Jahre keine Schule besucht und auch der Schulbesuch im Heimatland ist sehr unterschiedlich in der Wertigkeit. Man kann nicht sagen: Fünf Jahre in Tschetschenien sind gleichzusetzen mit fünf Jahren Grundschule in Berlin… O-Ton Maria Greckl es gibt viele Schulen, die haben nur eine Klasse und im Extremfall hat man in dieser einen Klasse einen Analphabeten und einen Schüler, der zum Gymnasium will, die soll man alle zusammen – da hat man vielleicht 12 oder 14 Schüler – alle zusammen in einer Klasse unterrichten, dann ist es vielleicht eine Lehrkraft, die keine ausgebildete Daz-Lehrerin ist – dann können Sie sich vorstellen, was dabei rauskommt… Atmo Klassenzimmer Sprecherin In Berlin-Steglitz steht Maria Greckl im Alphabetisierungsunterricht vor zehn jungen Männern aus Serbien, Syrien, dem Libanon, Bangladesh, Afghanistan, Gambia, Mali und Eritrea. Thema der heutigen Stunde: Wie beschreibe ich ein Haus: Atmo… Unterricht Sprecherin Bis vor kurzem konnten die Schüler hier kaum lesen und schreiben. Die meisten sind erst seit ein paar Monaten in Deutschland und haben viel gelernt. Einige schreiben noch etwas ungelenk, aber gestochen scharf. Wenn sie lesen hört sich das schon gut an… Atmo Klassenzimmer …Schüler liest vor… O-Ton Greckl Ich fange meistens mit den eignen Namen an. Und darüber fange ich dann an, dass wir die Buchstaben des Namens und des Herkunftslandes analysieren und dann auch lernen, lernen auszusprechen, lernen zu schreiben. Und wir haben Großbuchstaben, wir haben Kleinbuchstaben. Dann lernen sie die Namen aller Mitschüler aus der Klasse kennen und darüber auch wieder: wie wird das geschrieben, wie wird das ausgesprochen. Atmo…Schüler stellt sich vor…ich bin Makan Fofana, ich komme aus Mali, ich bin 16 Jahre. Ich bin hier in Deutschland sechs Monate… Atmo…Greckl stellt Fragen über Leben zu Hause…Schüler antworten… Sprecherin Deutschlernen durch Konversation: Maria Greckl lässt ihre Schüler von Zuhause erzählen… Atmo O-Ton Greckl Wenn man kein Geld hat, kann man nicht zur Schule gehen…das haben wir öfter von verschiedenen westafrikanischen Ländern , dass Schüler wegen Bildung hierhin kommen…und die sind dann auch ein eifriger Lerner…für die ist das natürlich ganz eng mit sozialem Aufstieg oder einem erwarteten sozialen Aufstieg– raus aus der Armut – zu einem anständigen Leben verbunden und von daher ist da eine sehr hohe Motivation.. Atmo Afrikaner Sprecherin Die meisten aus dieser Alphabetisierungsgruppe sind unbegleitete jugendliche Flüchtlinge und in Heimen oder Wohngruppen untergebracht. Einige – wie ein 16-Jähriger Junge aus Afghanistan – haben ihre ganze Familie verloren. O-Ton Greckl Traumatisierungen nehme ich so wahr, dass sie in den ersten zwei drei Monaten nicht oder nicht richtig fähig sind – sie sind nicht aufnahmebereit, der Kopf ist noch woanders, ist noch nicht hier, sind erstmal nur physisch anwesend…das entwickelt sich dann so im Lauf der Zeit, irgendwann merkt man, der nimmt jetzt war, was ich sage… Sprecherin Für Schulerfolg und Neuanfang in einem fremden Land ist die Unterstützung von Fachkräften aus der Jugendhilfe sehr wichtig. Hier sind Psychologen und Sozialarbeiter gefordert. Atmo Neben den hauptberuflichen Helfern stehen immer mehr Privatpersonen jungen Flüchtlingen zur Seite. Für Ruhollah aus Afghanistan hat Jasmin Azar die Patenschaft übernommen: O-Ton Azar Es ist natürlich eine Verantwortung, die man demjenigen gegenüber hat – und auch eine sehr schöne Verantwortung…das heißt eigentlich, dass ich immer für ihn da war, wenn es darum ging, dass er Unterstützung brauchte, sei es bei der Schule, sei es beim Anwalt, sei es einfach nur, wenn man mal einfach irgendwie reden möchte, diesen ganzen Frust loslassen möchte, den man ja auch hat, wenn man allein in ein fremdes Land kommt und keiner versteht einen…und man bekommt viel Ablehnung auch… Sprecherin Ruhollah kam im April 2012 nach Berlin. Weil er als Angehöriger der Ethnie der Hazara in der eigenen Familie bedroht wurde, verließ er vor über drei Jahren sein Land, lebte zunächst im Iran und kam nach wochenlanger gefährlicher Flucht in Deutschland an: O-Ton Ruhollah Man lebt sein Leben zwischen Tod und Leben – gibt es keine Sicherheit… Sprecherin Ruhollah möchte diese dunklen Zeiten vergessen. In Berlin begann für ihn ein neues Leben – zunächst in einer „Willkommensklasse“ - in der er sich aber nicht immer willkommen fühlte… O-Ton Ruhollah Am Anfang oder sehr lange– das war wirklich eine Willkommenklasse, wir haben nur die wichtigen Fächer gelernt – am meisten Deutsch war, Englisch, Mathe, Kunst und Geographie… ich habe vieles gelernt und konnte gut sprechen damals – nach den sechs Monaten oder sieben Monaten meine Lehrerin in eine andere Schule gewechselt…und dann wir waren ohne Klassenlehrerin. Dann gabs keinen richtige Unterricht. Sprecherin An der Herbert-Hoover-Schule in Berlin-Wedding, die 2006 mit dem Deutschen Nationalpreis ausgezeichnet wurde - pikanterweise wegen der Vereinbarung, im Schulbereich nur noch Deutsch zu sprechen – verbrachte Ruhollah ein Jahr in der „Willkommensklasse“. Es folgte eine Schul-Odyssee durch Berlin. O-Ton Azar …wir haben so lange gesucht, bis er eine Schule gefunden hat, in der er dann die Regelklasse machen konnte, weil nach der Willkommensklasse konnte er nicht weiter an dieser Schule bleiben, denn die haben von vorne herein gesagt: Die Kinder, die bei uns in der Willkommensklasse sind, kommen nicht in die Regelklassen …die Kinder waren in einem anderen Schulgebäude, die hatten nichts mit Ihren Schulkameraden zu tun…und dann steht man da nach der Willkommensklasse und muss erst mal eine Schule finden… Sprecherin Eine Berufsschule in Charlottenburg nahm Ruhollah zwar „formell“ als Regelschüler auf. Schob ihn aber in schulexterne Deutschkurse ab. Fachunterricht mit dem für seine Altersgruppe üblichen Fächerkanon erhielt er nicht. Schließlich fand sich dann doch noch eine Schule für Ruhollah: die Reinhold-Burger-Schule in Pankow. Vor ein paar Wochen schaffte er dort am Ende der 10. Klasse seinen mittleren Schulabschluss und ist überglücklich. O-Ton Ruhollah Tolle Lehrerin und tolle Klassenlehrer und alle sind einfach der beste, man kann nicht viel beschreiben einfach der beste. Sprecherin Mit Unterstützung dieser Schule bekam Ruhollah auch einen Ausbildungsplatz: als KFZ-Mechatroniker. Nach den Ferien kann er anfangen. Auch für seine Mentorin Jasmin Azar ist das ein großer Erfolg. Neben ihrer Patenschaft für Ruhollah arbeitet sie für den Verein „Kein Abseits“, der Bildungsprojekte für Kinder koordiniert: O-Ton Azar Mir bringt das total viel. Ich hab erstens mal eine Lebenswelt kennengelernt, die ich vorher gar nicht kannte. Ich habe einen Menschen kennengelernt, den ich wahrscheinlich unter normalen Umständen, nichts zu tun gehabt hätte. Ich habe gelernt, was es ausmacht, wenn man füreinander da ist. Ich hab auch gelernt, wie schön es ist, wenn man was gibt, weil man bekommt so viel zurück und ich weiß, ich kann mich immer auf ihn verlassen, wenn ich Hilfe brauche…hier beim Verein engagiert er sich mittlerweile ehrenamtlich, hat sich eingebracht und es ist so schön zu sehen, wenn die kleinen Jungs, weil er ja Aikido Trainer ist, sich um ihn scharen und ihn total bewundern dafür. Da denke ich: Das ist wirklich eine Win-Win-Situation, die wir da geschaffen haben. Atmo: Guten Tag Sprecherin Eine Win-Win-Situation hatten sich auch mehrere freie Schulen in Berlin erhofft und wollten Willkommensklassen einrichten. Die Rudolf-Steiner-Schule in Berlin-Dahlem hatte zum Beispiel zwei Lehrer dafür eingeplant. Das Bezirksamt sagte zunächst ab: Begründung: Zu wenig Schüler. Das könnte sich bald ändern. Thorsten Metter, Pressesprecher der Bildungssenatsverwaltung, teilte auf Anfrage mit, dass die Bildungsbehörde solche Angebote annehmen werde, wenn entsprechend viele Zuwandererkinder in der Nähe der Schule wohnten. Fest stehe schon jetzt, dass es an der Freien Waldorfschule in Mitte eine Willkommensklasse geben werde. Atmo Johanna-Eck-Schule Sprecherin Ende August beginnt in Berlin das neue Schuljahr. Jamil, der junge Syrer von der Johanna Eck-Schule in Tempelhof-Schöneberg, freut sich schon auf die neunte Klasse. Es wird eine reguläre Klasse sein. O-Ton Jamil…Die Lehrerinnen oder Lehrer, die geben sich sehr viel Mühe, bis du das verstehst, und sind sehr nett und können sehr gut erklären. Für solche Sache kann der Mensch natürlich nicht vergessen. Atmo Absage Willkommensklassen. Bildungschancen für junge Flüchtlinge in Berlin. Sie hörten eine Sendung von Agnes Steinbauer Es sprachen: Isis Krüger und Christoph Wittelsbürger Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Angelika Brochhaus Redaktion und Regie: Ulrike Bajohr Eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. 1