Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 13. Januar 2014, 19 Uhr 30 Wir wollen mehr! Kinderrechte in Deutschland Von Barbara Leitner Musik 1Take: Hannah Viele Kinder kennen überhaupt nicht ihre besonderen Rechte und denken, ja Menschenrechte gelten vielleicht für mich, aber speziell die Kinderrechte und wenn man sie nicht kennt, dann kann man sie auch nicht einfordern. 2Take: Mia Also, die Note wäre jetzt bestimmt keine Eins, manche Rechte werden einfach noch verletzt. Eine bessere Note sollten sie sich auf jeden Fall verdienen. Deshalb sollten sie schon hart dran arbeiten. Sprecher vom Dienst: Wir wollen mehr! Kinderrechte in Deutschland Ein Feature von Barbara Leitner Atmo: Sprecherin: Bad Hersfeld, Anfang November 2013. In einem Seminarraum der Jugendherberge sitzen 17 Mädchen und Jungen zwischen neun und achtzehn Jahren. An Pinnwänden ringsum hängen Poster, die zeigen, was Kinder an ihren Lebensbedingungen schätzen. Beispielsweise, dass die meisten ihre Familien okay finden, auch wenn Eltern manchmal nerven und zu viel allein bestimmen. Dass sie sich über Spielplätze, Zebrastreifen und Radwege freuen – es aber besser wäre, sie könnten bereits bei der Stadtplanung mitreden. Darum geht es bei diesem Treffen: Klar zu sagen, womit Kinder und Jugendliche unzufrieden sind, wo sie ihre Rechte vernachlässigt sehen und wo sich ihrer Meinung nach dringend etwas ändern muss. Adressaten ihrer Forderungen sind die Politiker. 4 Take: Roberta Ich glaub schon, dass es sie interessiert, aber dass sie zu wenig auf ihre Fehler achten, dass es immer so ist, wir machen ja irgendetwas, aber dass es noch nicht so ist, wir sind total engagiert und wir möchten, dass jedes Kind seine Rechte hat und dass es die auch vertreten kann. Ich habe das Gefühl, da wird zu wenig investiert rein. Sprecher: Eingeladen zu diesem Treffen in Bad Hersfeld und weiteren in Berlin und Dachau hat die „National Coalition“, das nationale Bündnis zur Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland. Ein Zusammenschluss von über einhundert Verbänden und Organisationen, die sich für Kinder und Familien engagieren. 5 Take: Mia/6 Take: Katja Hier aus der Gruppe bin ich die Allerjüngste und ich kann von den ganz Jungen sozusagen sagen, wie die denken und wie die Kinderrechte für die Kleinen funktionieren. So die ganz Kleinen, so die Vierjährigen, ab da wird schon nicht mehr geachtet. Ich denke, die wollen einfach die Macht über die Kinder, dass sie denen gehorchen und nicht jemanden anders, dann vergessen sie manchmal einfach, dass es auch den Kindern gut gehen muss, das sind auch nur Lebewesen und sie brauchen halt noch die Unterstützung von den Eltern und viele geben die halt nicht. Sprecherin: Mia und Katja, neun und zehn Jahre alt, waren noch nicht geboren, als 1989 die Vereinten Nationen die „Konvention über die Rechte des Kindes“ verabschiedeten. In 54 Artikeln garantiert sie Kindern und Jugendlichen Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte. In Deutschland ist die Vereinbarung seit 1992 gültiges Recht, eigentlich genauso wichtig, wie das Bürgerliche Gesetzbuch. Roberta, 13 und Lara, 16 Jahre alt über ihre Alltags-Erfahrungen. 7 Take: Roberta/ 8 Take: Lara Ich habe das Gefühl, dass es die Regierung gar nicht so doll interessiert, was jetzt mit den Kinderrechten ist. Dass sie eher denken, wir haben den Vertrag unterschrieben und deswegen müssen wir das halt jetzt machen. Aber wir machen das halt auch nur in dem Maße und wir setzen uns nicht besonders doll dafür ein. Kaum kommt ein Abgeordneter zu Kindern und Jugendlichen und fragt, was wollt ihr ändern? Was ist eure Sicht? Die Wahlplakate sind alle auf Erwachsene abgestimmt. Es gibt zwar auch mehr Bildung, aber es spricht nie ein Kind und einen Jugendlichen an. Dabei sollten sie Kinder und Jugendlichen auch mit vertreten und nicht nur die Erwachsenen. Sprecher : Wie die Konvention umgesetzt wird, darüber müssen die Länder in der Regel alle fünf Jahre einem UN-Ausschuss berichten. Neben den offiziellen Regierungsinformationen gibt es einen kritischen Schattenbericht, den die Experten von der sogenannten „National Coalition“ verfassen sowie einen Report der Kinder und Jugendlichen, zu dem einige von ihnen in Genf angehört werden. Sprecherin: Darauf bereiten sie sich bei ihren Treffen vor. 9 Take: Roberta Ich habe das Thema Gleichberechtigung bearbeitet. Also dass alle die gleichen Chancen haben und dass Deutschland auch noch viele Lücken hat. Sprecherin: Roberta ist 13 Jahre alt und kommt aus Hamburg. 10Take: Roberta Wenn man jetzt in die Mädchenzeitungen guckt, da sind nur Schminktipps für hellere Menschen oder Menschen mit glatten Haaren, aber es ist nie an Leute gerichtet mit Locken oder einem dunkleren Hauttyp. Ich habe halt auch das den anderen erzählt und die waren schon überrascht, weil die es gar nicht bemerkt haben. Ich glaube, das fällt einem nur auf, wenn man betroffen ist, nicht nur mit afrikanischem Hintergrund, sondern auch aus dem asiatischen Raum finden keine Möglichkeit, etwas zu machen. Und in Kindersendungen zum Beispiel gibt es kaum Mädchen mit Kopftuch, was auch nicht so gut ist, weil die Kinder dann immer überrascht sind, wenn sie im echten Leben mal jemand mit Kopftuch sehen. Oder so. Atmo Sprecherin : In Bad Hersfeld haben die Kinder Poster gestaltet und kleine Film-Szenen gedreht, die zeigen sie, darüber diskutieren sie. Mia und Katja geht es um das Thema Gewalt. 12/13 Take: Katja Ich habe jetzt eigentlich keine Gewalterfahrungen. Aber ich sehe es öfter mal und mich interessiert auch das Recht der anderen Kinder. Da sehen wir auch häufig Fälle an unseren Schulen, wo welche geärgert, geschlagen und bedroht werden. Und Ich kenne eine, die selbst von ihrer Mutter und ihrer großen Schwestern geschlagen wird. Sprecher : Vor 13 Jahren änderte der Bundestag gegen die Stimmen von CDU/CSU das Bürgerliche Gesetzbuch und verankerte dort das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Seitdem ist Gewalt gegen Kinder verboten. Das ist ein Erfolg. Allerdings sind Paragrafen das eine. Die Praxis das andere. Musik Sprecherin In ihrem Kinder – und Jugendreport berichten Mädchen und Jungen über Gewalterfahrungen: dass sie für eine Lüge von den Eltern blau geschlagen werden, dem Terror von älteren oder Stiefgeschwistern ausgesetzt sind, dass Jugendliche sie bedrohen und demütigen, dass Erwachsene sie sexuell belästigen... Sprecher : Ohne Gewalt aufwachsen zu können, bleibt einer der wichtigsten Wünsche von Kindern. Schätzungsweise jedes Fünfte aber lebt in einer gewaltbelasteten Familie. 2012 meldeten die Jugendämter 38 000 Kinder und Jugendliche, deren Wohl akut oder latent gefährdet ist. So vorbildlich die Ächtung der Gewalt in der Erziehung im Gesetz ist – das reicht nicht aus, sagt Prof. Lothar Krappmann, einer der führenden Kinderrechtsexperten in Deutschland. 14 Take: Krappmann: Die Umsetzung fehlt an ganz vielen Stellen. Es fehlt sozusagen eine nächste Ebene in dem Prozess. Diese nächste Ebene bestände manchmal auch in Regulierungen, Erlassen, die dann kommen müssten, wenn man das Gesetz schon hat. Es fehlt aber oft auch an der eingespielten Praxis. Und da ist wirklich noch viel zu tun. Sprecher: Zwar werden gegenwärtig präventive Maßnahmen und frühe Hilfen zum Schutz für die Jüngsten aufgebaut. Doch Eltern haben weder einen Anspruch auf Unterstützung, noch gibt es ein flächendeckendes, wohnortnahes Hilfsangebot für alle. In Beratungsstellen warten sie ewig auf einen Termin. Eine Unterstützung für Einwanderer und Flüchtlingsfamilien in ihrer Herkunftssprache gibt es meist nicht. Den Kindern und Jugendlichen wird kein eigenes Anrecht auf Hilfen eingeräumt. Schulsozialarbeit - wenn es sie überhaupt gibt – mangelt es häufig an zuverlässiger Finanzierung. Neue Formen von Gewalt, psychischer Druck von Eltern und Mitschülern oder Cybermobbing, dem auch die Lehrer hilflos gegenüberstehen, finden zu wenig Beachtung. 15 Take: Katja Das schüchtert die ein und die lernen es nicht anders und werden dann später in ihrem Leben auch so, weil sie es selbst nicht anders gelernt haben. Vielleicht kann Frau Merkel sozusagen härtere Strafen machen, dass die Eltern ihre Kinder nicht einfach schlagen können. Sprecher: Schutz vor Gewalt und Verwahrlosung. Das ist eines der Themen, zu denen die Bundesregierung Stellung beziehen muss. Ebenso wie die Republik Kongo, der Jemen, Portugal, Russland und der Vatikanstaat ist Deutschland zu der heute beginnenden dreiwöchigen Sitzung des UN-Kinderrechtsausschusses nach Genf eingeladen. Bei den Ländern, die durch Armut und gewalttätige Konflikte geprägt sind, beispielsweise um Kindersoldaten und Kinderarbeit gehen, um die Fürsorge für Kinder, deren Eltern verschleppt oder ermordet werden oder an AIDS sterben. Vertreter der Nichtregierungsorganisationen einiger Staaten müssen anonym berichten, um nicht in ihrer Heimat verfolgt zu werden. Für den Vatikan ist die Befragung übrigens eine Premiere. Es geht unter anderem um das Thema Kinderpornografie. Sprecherin: 18 Kinderrechtsexperten aus der ganzen Welt, Juristen, Wissenschaftler, Ärzte, Pädagogen lesen die Berichte der Staaten, führen Anhörungen durch. Lothar Krappmann gehörte bis 2011 dem Gremium an. 16 Take: Krappmann: Im Falle Deutschlands ist das wieder ein sehr breiter Bericht geworden, nicht so zugespitzt, wie sich das eigentlich aus Ausschuss wünscht, wenn ein Land schon 20 Jahre der Konvention beigetreten ist. Man müsste jetzt eigentlich über Zuspitzungen sprechen. Musik Sprecher: In dem 126 Seiten dicken Bericht steht unter anderem: Sprecherin: „...dass seit der letzten Überprüfung Meilensteine auf dem Weg zu einem kinderfreundlichen Deutschland genommen werden konnten.“ Sprecher : „die Kinderrechtskonvention für Politik und Gesellschaft ein wichtiger Leitfaden zur Gestaltung einer Welt ist, die sich an den Bedürfnissen und Interessen von Kindern und Jugendlichen orientiert.“ Sprecherin : „Nach Auffassung der Bundesregierung entsprechen alle Bundesgesetze dem Übereinkommen. Dies gilt auch für das deutsche Ausländer- und Asylrecht.“ 17 Take: Maywald Naturgemäß, Regierungen neigen dazu, die Dinge schönzureden und sich positiv dazustellen, während selbstverständlich die Rolle der Nichtregierungsorganisationen darin besteht, die kritischen Punkte zu sehen und den Finger auf die Wunde zu legen. Sprecher : Jörg Maywald vertritt eine solche Nichtregierungsorganisation, die Deutsche Liga für das Kind. Zugleich ist er Sprecher der „National Coalition“, die bereits im Juni 2013 vor dem UN-Ausschuss zu ihrem Schattenbericht Stellung genommen hat. Darin kritisieren die Experten, dass sich die politischen Akteure in Deutschland nicht von der Kinderrechtskonvention leiten lassen. 18 Take: Maywald Auf der einen Seite bestehen rechtliche Probleme, dass die Rechte von Kindern in Deutschland nicht überall verankert sind. Z.B. haben wir keine Kinderrechte in Grundgesetz. Oder wir haben mangelnde Rechte für Flüchtlingskinder, die nicht die gleichen Rechte haben wie deutsche Kinder. Und dann gibt es einen zweiten großen Teil und der betrifft die Umsetzung der bestehenden Rechte. Natürlich hat Deutschland ein relativ gutes Rechtssystem. Auch Kinderrechte sind da verankert. Aber es mangelt an der Umsetzung. Warum haben wir noch immer viele Kinder, die aus armen Familien kommen und nicht die gleichen Bildungschancen haben. Oder Kinder, denen es gesundheitlich schlecht geht und auch hier spielt Armut leider wieder eine große Rolle. Warum beklagen sich Kinder selbst darüber, dass sie inzwischen eine so verplante Kindheit haben, kaum mehr Zeit haben für Spiel, Freizeit und Erholung. Das sind alles und viele weitere kritische Punkte, wo es an der Umsetzung mangelt. Sprecher : Die Experten listen auf, wo es dringend Nachbesserungsbedarf gibt. Ihre Empfehlungen werden bei der Anhörung der Regierungsvertreter in Genf zur Sprache kommen. 19 Take: Maywald Ich würde meinen, die Bundesregierungen sich wird auf einige kritische Fragen und Anmerkungen gefasst machen müssen. Man muss sagen, dass die Autorität des Ausschusses vor allem eine politische, eine moralische ist. Das ist kein formales rechtliches Verfahren. Aber andersherum muss man schon sagen, dass gerade ein Land, was sich rühmt, die Menschenrechte zu achten, nicht einfach darüber hinweggehen kann. Atmo: Sprecherin : In Bad Hersfeld war ein Thema besonders dringlich: Wie geht es Flüchtlingskindern in unserem Land? Dazu drehte eine Gruppe einen Film über Erlebnisse von Gleichaltrigen. Flüchtlingskinder besuchen heute zwar in der Regel in allen Bundesländern – mitunter auch ohne Papiere – Kita und Schule. Doch haben sie nicht die gleichen Rechte wie andere Kinder. Unakzeptabel, findet Üwen. 20 Take: Üwen Mich nervt einfach, dass sie unverschämt behandelt werden. Sprecherin : Üwen ist 17, Kind von Einwanderern in der dritten Generation und im Sauerland zu Hause. 21 Take: Üwen Ich hatte im vergangenen Jahr ein Mädchen aus Afghanistan in meiner Klasse und die Familie war siebenköpfig und die Familie wurde halt komplett getrennt. Die sind mit den Eltern sogar nach Deutschland gekommen und die wurden komplett getrennt. Alle Kindern wurde von den Eltern weggerissen worden, einfach in eine andere Stadt. Der eine ältere Bruder war dann in Heidelberg. Die eine Schwester im Norden ganz oben und das geht überhaupt nicht, weil das richtet einen enormen Schaden an. Sie haben den Kontakt untereinander verloren und das geht gar nicht. 22 Take: Krappmann: Das ganze Verfahren, in dem geprüft wird, ob Kinder einen guten Grund haben, hier im Land Schutz zu suchen ist nicht kinderfreundlich, das Wort ist noch zu schwach, es ist nicht kinderrechtsgerecht. Sprecher : Lothar Krappmann, Pädagoge und Soziologe. 23 Take: Krappmann Kinder werden schnell abgefertigt. Sie finden nicht Gehör. Sie erhalten nicht genügend Informationen über dieses Verfahren selber. Sie haben oft nicht rechtzeitig einen Beistand. Den 16- und 17-jährigen Kindern wird dieser Beistand vorenthalten. Die Regelung hier sagt, die sind schon verfahrensfähig, was im Lichte der Kommission ein Unsinn ist, weil die Konvention bestimmt, dass die Kinder die Unterstützung in Sachen Bildung und Entwicklung und in rechtlichen Fragen bis 18 Jahren bekommen. Sprecher: Was den Wissenschaftler empört: Dass diese Kinder bewusst schlechter behandelt werden, um damit Zuwanderungspolitik zu machen. Flüchtlinge sollen so abgehalten werden, nach Deutschland zu kommen. Von den über 2000 unbegleiteten Minderjährigen, die 2012 in Deutschland Asyl beantragten, wurden 60 Prozent „zurückgeführt“ - in Krisenländer, in denen Kinder kaum mit Schutz rechnen können. 24 Take: Krappmann In mancher Hinsicht ist es so absurd. Weil wir junge Menschen brauchen. Man hält ihnen vor, dass sie nicht den Verfolgungskategorien, die es für Erwachsene gibt, entsprechen. Man sagt, ja ja, sie wollen nur in unsere Sozialsysteme einwandern. Nun gut, die haben wir nun mal. Aber man schaut nicht darauf, aus welchen Verhältnissen diese Kinder kommen. Ihr Leben muss weiter gehen. Musik Sprecherin: Was tut Deutschland, um die Kinderrechte der unbegleiteten Flüchtlinge zu achten? Sprecher : Wie können beispielsweise am Flughafen Frankfurt die Rechte dieser Kinder berücksichtigt werden? Sprecherin: Ist es wahr, dass Flüchtlingskindern nur in einigen Bundesländern ausreichende gesundheitliche Behandlung gewährt wird? Sprecher: Den UN-Vertretern geht es mit ihren Fragen an die Bundesregierung nicht um eine Anklage, sie haben auch keine Sanktionsmöglichkeiten – bis auf öffentliche Schelte. Als Anwälte der Kinder wollen sie vielmehr durch einen „Dialog“ - wie es in der Sprache der Vereinten Nationen heißt – den Ländern andere Perspektiven auf ihre Politik vermitteln und Handlungsanregungen geben. 25 Take: Danny Ich bin ja mit meinen zwei Brüdern hierher gekommen. Aber wir wurden ja getrennt. 26 Take: Obeid Ich bin aus Afghanistan. Ich bin mit meinen Geschwistern hergekommen. Meine Eltern sind noch in Afghanistan. Keinen Kontakt mehr. Sprecherin : Danny und Obeid, beide 17 Jahre alt. Sie kam vor drei Jahren aus dem Kongo nach Deutschland. Er vor zwölf Jahren aus Afghanistan. Beide Flüchtlingskinder leben jetzt in Kinderheimen in Hessen. Atmo So sehr sie schätzen, hier leben und lernen zu können. Nicht mit allem, was im Heim läuft, sind sie einverstanden. 27 Take: Danny Dass einfach jemand in mein Zimmer reinkommt ohne zu fragen oder ohne zu klopfen. Auch wenn ich da bin. Letztes Mal kam einfach unser Hausmeister in mein Zimmer rein. 28Take: Obeid Es kann sein, dass sich die Person da gerade umzieht und dann sie ist nackt und dann ist das auch ein Verstoß gegen die Privatsphäre denke ich mal. 29 Take: Hannah Ich denke, dass viele sich nicht bewusst sind, dass sie dagegen verstoßen, Eltern oder Erzieher. Die denken, ja ich passe einfach auf das Kind auf. Ich will den natürlich nicht verletzten. Aber ich muss gucken, dass es ihm gut geht und dabei überhaupt nicht merken, dass sie in die Privatsphäre des Kindes eingreifen. Musik Sprecherin: Hannah ist 18 Jahre alt und lebt mit ihren Eltern in Kaltenkirchen. Auch sie kennt das, da kommt einfach jemand in ihr Zimmer, will wissen, was sie liest, wer ihr schreibt; lauscht, wer sie anruft...In Heimen oder Pflegefamilien allerdings geraten Kinder und Jugendliche viel schneller in eine machtlose Position: Da werden Handys kontrolliert oder abgenommen, durchsuchen Betreuer die Zimmer – wonach auch immer, da wird das Besuchswochenende bei Eltern oder Geschwistern gestrichen oder das Taschengeld gekürzt. Welche Begründung die Pädagogen auch immer haben – sie verstoßen gegen Kinderrechte, betont Jörg Maywald. 30Take: Maywald Kinder brauchen unabhängige Stellen, gerade verletzliche Kinder in Heimen, in Einrichtungen, an die sie sich wenden können. Sprecher Für die Jugendhilfe wurde inzwischen – ausgelöst durch die Debatte um den sexuellen Missbrauch - das Sozialgesetzbuch verändert. Kitas, Heime und Horte erhalten jetzt nur noch eine Betriebserlaubnis, wenn sie Kindern Mitsprache und Beschwerdemöglichkeiten einräumen. 31Take: Maywald Hinzukommt aber auch, es gibt immer wieder Themen, die auf Bundesebene wichtig sind. Es müsste also auch so etwas wie einen Bundeskinderrechtsbeauftragten geben, der als Beschwerdestelle, die Person, die bei allgemein interessierenden Fragen zur Verfügung stände. Sprecher: Solch eine unabhängige Ombuds- oder Beschwerdestelle würde Kinder und Jugendliche unterstützen, wenn sie sich ungerecht behandelt oder benachteiligt fühlen. Gerade für die Schule ist das längst überfällig. 32 Take: Obeid Ich besuche halt ein Gymnasium und da sind viele Lehrer irgendwie auch erstaunt, dass Ausländer gerade aufs Gymnasium kommen. Ich finde das ist auch wieder ein Vorurteil. Also eigentlich denkt man, die Leute, die gerade nach Deutschland kommen, können nicht so gut Deutsch sprechen und sind meistens Hauptschüler und das war bei mir genau das Gegenteil. 33 Take: Danny Zum Beispiel letztes Mal im Matheunterricht. Da hat mir mein Lehrer 9 bis 10 Punkte gegeben und da habe ich gefragt, warum. Da sagt er, weil ich dich nicht so gut kenne. Obwohl ich mich ständig melde und noch nie eine falsche Antwort gegeben habe. Sprecher: Studien belegen, dass das deutsche Schulsystem keine gleichen Bildungschancen einräumt, vielmehr diskriminiert es. In den Schulen allerdings fehlen Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Dazu kommt etwas anderes, worauf auch die Kinder und Jugendlichen in ihrem Bericht verweisen: Kita und Schule sind eher aus Erwachsenensicht gestaltet und darauf ausgerichtet, was dem Erwerbsleben jetzt oder später dient. Sprecherin: Mit diesem Thema hat sich Lara beim Treffen der National Coalition in Berlin auseinandergesetzt. Atmo: 34Take: Lara Ich bin auf einer Ganztagsschule. Heißt: Mein längster Tag geht von 8 Uhr morgens bis 16.35 manchmal auch noch länger, wenn Ags dazu kommen. Vor allem aber, wenn man den langen Tag hat, ist man am Ende schon ziemlich fertig und müde. Sprecherin: Lara ist 16 und hängt gern am Freitagabend nach einer Schulwoche zu Hause ab. An den anderen Tagen allerdings muss sie abends noch Hausaufgaben erledigen. Und oft genug lernt sie für zwei oder drei Tests gleichzeitig. 35 Take: Lara Und dann baut sich enormer Stress auf, was die Schüler überhaupt nicht verkraften, was sich auch wieder auf die Noten auswirkt, auf das soziale Umfeld und das Engagement. Klar ist es für den Arbeitgeber später wichtig, ob man gut in der Schule war. Aber es kommt doch vor allem darauf an, wo die Stärken derjenigen sind. Ich würde nicht sagen, dass ich später, wenn ich in meinem Beruf bin, dass ich da später noch den Sinussatz brauche. Und da könnte so viel Druck weggenommen werden. Da muss irgendwas gefunden werden, wie man das ausgleichen kann. Wie man das auf ein Limit halten kann, wo man alles unterbringen kann. 49 Take: Maywald Das ist eine ganz wichtige Forderung, dass wir Kinder nicht instrumentalisieren, dass wir sie nicht für andere Zwecke gebrauchen, dass Bildung auch nicht in erster Linie dafür da ist, um die Wirtschaftsleistung zu steigern oder um Deutschland um konkurrenzfähig zu halten. Zunächst ist Bildung einmal die Antwort auf die unbändige Neugier, die Kinder haben. Da aber Bildung in einem allgemeinen Sinne und nicht nur auf Verwertbarkeit hin orientiert. Musik Sprecherin: Kinder sollen nicht in so frühem Alter den weiterführenden Schulen zugeordnet werden. Sprecher: Hausaufgabenhilfe sollte an jeder Schule eingeführt werden. Sprecherin : Wir wollen kostenlose Nachhilfe für Kinder, deren Eltern kein Deutsch sprechen. Sprecher: Noten müssen nachvollziehbar und fair sein und Lehrer mit den Schülern darüber reden. Sprecherin : Mit diesem Forderungskatalog werden Roberta und Obeid nach Genf reisen. In der Hoffnung, dass die Experten ihre Anregungen aufnehmen und den deutschen Regierungsvertreter vermitteln. 37 Take: Obeid Das wird eine ganz neue Erfahrung für mich sein. Und außerdem finde ich sehr interessant für die anderen Leute zu wissen, aus meinen Verhältnissen, dass ein Heimkind Kinder und Jugendliche von Deutschland vertritt. 38 Take: Roberta Ich freue mich schon ziemlich darauf, mal mit so einem wichtigen Menschen zu sprechen, der sich extra für uns Zeit nimmt, dass wir mit ihm reden können. Sprecher: Den Mädchen und Jungen ist klar: In Deutschland finden sie Lebensverhältnisse vor und werden ihnen Rechte eingeräumt, von denen ihre Großeltern oft träumten und die für viele Gleichaltrige weltweit noch immer unvorstellbar sind. Sie wissen aber auch: Vor dem UN-Kinderrechtsausschuss wird so ein reiches Land wie Deutschland an seinen Möglichkeiten gemessen werden. Sprecherin : Deshalb sagen sie: Wir wollen mehr! Unsere Rechte sollen mehr Beachtung finden. Zum Beispiel indem Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden. Dazu verpflichtete sich die Bundesrepublik mit der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention 1992. 39Take: Roberta Wenn es im Gesetz stehen würde, ich glaube, dann wäre es noch mal eine Nummer größer. Ich glaube, dass es teilweise auch einfacher werden könnte, dass es nicht mehr so viel Streit um manche Themen geben würde, weil es ein Gesetz dann gibt und nicht nur ne ungenaue Vorschrift. Sprecher In ihren Staatenbericht an die UN-Kinderrechtskommission schreibt die Bundesregierung jedoch: Sprecherin Das deutsche Grundgesetz schützt Kinder und Jugendliche umfassend. Sprecher Die Kinderrechtskonvention gab es noch nicht, als das Grundgesetz 1949 verabschiedet wurde. Seitdem hat sich der Blick auf Kinder verändert und es ist nicht mehr zeitgemäß, sie nur in Bezug zu ihren Eltern zu erwähnen, sagen Experten. Damit wird man der eigenständigen Rolle von Kindern in unserer Gesellschaft nicht mehr gerecht. 40 Take: Krappmann: Wenn die Kinder sehr klar und eindeutig mit Bezug auf die Konvention im Grundgesetz ständen, bedeutete das, dass jedes Gesetzesvorhaben in unserem Land daraufhin untersucht werden muss, ob es konform ist, mit den Forderungen der Kinderrechtskonvention. Sprecher Lothar Krappmann, Mitglied im Aktionsbündnis „Kinderrechte ins Grundgesetz“. 41 Take: Krappmann: Heute kann man sagen, naja, dass was wir tun, hat immer im Sinn, auch den Kindern gerecht zu werden. Aber es kann immer bei der blassen Formulierung bleiben. Das würde sich ändern. Und ist es wichtig, dass es sich ändert, denn wir sehen, dass Gesetze und andere Regulierungen verabschiedet werden, ohne dass hinreichend geprüft wird, ob das, was die Konvention will, auch hinreichend erfüllt wird. 42Take: Maywald Wenn sie in eine Kita, eine Schule gehen, haben wir nicht in allen, auch nicht in den meisten Fällen eine wirklich kindgerechte Gestaltung. Wir haben oft viel zu viele Kinder in zu engen Räumlichkeiten. Wir haben nicht das Angebot gerade was wir wünschen würden, gerade was Sport, Musik usw. angeht. Und Eltern könnten dann in die Schule gehen oder im Konfliktfalle vor ein Gericht und sagen, wie sieht es denn aus mit der bestmöglichen Förderung meines Kindes, wie es der Vorrang des Kindeswohl ja vorsehen würde. Ich glaube, es würde doch einiges an Bewusstsein verändern in Deutschland und auch die Politik würde sich ändern. Sprecher : Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind. Seiner Meinung nach erhielte der Staat mit einer Verfassungsänderung nicht mehr Eingriffs- und Bevormundungsmöglichkeiten gegenüber Eltern und Familien. Aber staatliches Handeln müsste sich ändern und das wäre mit erheblichen Kosten verbunden. Das berührt andere politische Interessen und ruft Widerstand hervor. Sprecherin: Es „besteht die Gefahr, dass die Verfassung Schaden nimmt durch Regelungen, die große Erwartungen wecken, rechtlich und tatsächlich aber keine Veränderungen nach sich ziehen“. Sprecher : heißt es beispielsweise in einem Gutachten, das die Bundesregierung erstellen ließ. Und in einem anderen wird darauf verwiesen, dass auch Alte, Ausländer oder andere Personengruppen besondere Schutzbedürfnisse haben. Sprecherin: Wollte man alle diese Gruppen ausdrücklich nennen, würde man Gefahr laufen, unterschiedliche Grundrechtsschutzniveaus zu schaffen, indem differenziert würde zwischen ausdrücklich und nicht ausdrücklich geschützten Personengruppen. 43 Take: Maywald Da muss ich sagen, das regt mich immer etwas auf, diese Argumentation mit den Sondergruppen. Mein Argument wäre, wir alle waren einmal Kind. Es betrifft jeden Menschen. Jeder Mensch durchläuft die Phase der Kindheit, die eben nicht nur ein Durchlauferhitzer ist. Sondern es ist eine eigenständige Lebensphase mit ihrem eigenen Wert, ihrer eigenen Bedeutung und dieses Wert zu achten, dazu braucht es eine ganze Gesellschaft, mit dem Respekt vor der Kindheit, vor den Kindern und ich würde meinen, das Kinderrechte wirklich im Interesse aller Menschen, die hier leben, sind Musik Sprecher: Die SPD ging mit dem Ziel, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern in die Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU. Im Koalitionsvertrag findet sich jedoch nur die schwammige Formulierung, dass die Sprecherin: „Wahrnehmung der Rechte von Kindern, …die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ein zentrales Anliegen der Koalition“ ist. Sprecher: Mit solchen Allgemeinplätzen wird sich die UN-Kommission bei der Anhörung in Genf in zehn Tagen nicht abfinden. Aus dem Haus der neuen Familienministerin, Manuela Schwesig werden konkrete Antworten erwartet. Musik Sprecher vom Dienst: Wie wollen mehr! Kinderrechte in Deutschland Ein Feature von Barbara Leitner Es sprachen: Bettina Kurth und Simon Böer Ton: Inge Görgner Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2014 Sie können die Sendung nachhören und nachlesen unter: deutschlandradiokultur.de In der kommenden Woche in den Zeitfragen: Die nächste Sause oder endlich Geschäft ? Vom neuen Boom der Internet-Start-ups 1