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Deshalb schlugen sie vor, die Höhe der Säugetiersteuer nach der Größe der Körperoberfläche der Tiere zu bestimmen. Das Finanzamt akzeptierte den Vorschlag, musste aber den Begriff der Körperoberfläche vermeiden, da es sonst wegen der Diskriminierung fetter Menschen Ärger gegeben hätte. Einem, der von der Größe der Körperoberfläche spricht, fehlt es an politischer Sensibilität. So entstand die Idee, den Begriff der "behaarten Oberfläche" einzuführen. Mit diesem Ausdruck wurde deutlich, dass nicht Menschen, sondern andere Säugetiere gemeint waren. Dabei vergaß man aber zu berücksichtigen, dass inzwischen auch Gegenstände behaart sein können. SPRECHER Es war ein weiter Weg, den die Menschheit gehen musste, vom ersten Rasierwerkzeug aus der Steinzeit bis zur Einführung einer Haarsteuer, die die Schriftstellerin Yoko Tawada in ihrer gleichnamigen Kurzgeschichte vorschlägt. ATMO Schimpansen-Horde in Aufregung, Tarzans Jodelruf (Johnny Weissmueller!) ZITATOR Vom nackten Affen zum Barbaren. Oder: Wie sich die Restbehaarung des Menschen zum semiotischen System auswuchs ATMO HOCH SPRECHERIN Populärwissenschaftliche Darstellungen der Evolution beschreiben den Übergang zum Menschen gern mit dem Bild vom "nackten Affen". Um Mensch zu werden, lernte er den aufrechten Gang und verlor den dichten Pelz. So entwickelte er der Reihe nach die Kleidung, das Lagerfeuer, die Lehmhütte, die Gesellschaft, die Religion, den Staat, den Fünf-Uhr-Tee und das Fernsehen - also all die Dinge, die helfen sollen, uns auch ohne Körperpelz warm, behaglich und geschützt zu fühlen. Das Gefühl der Nacktheit indes blieb dem Menschen erhalten. Es machte ihn stolz - unterschied es ihn doch von allen Verwandten aus dem Tierreich - und es machte ihm zugleich Angst. SPRECHER Der Mensch zeigte seine Nacktheit und verbarg sie mit Mode, Kultur und Waffen. Glücklicher- oder auch unglücklicherweise war ihm an einigen, sehr prekären Stellen seines Körpers ein Rest des Felles seiner Vorfahren geblieben. Er nannte es vornehm das ‚Haar', und ließ ihm besondere Behandlung und Sorgfalt angedeihen. Einerseits verschönert er sich, macht sich jugendlicher und anziehender, bietet dem Anderen Haut als erotische Resonanzfläche dar. Andererseits ist sich der Mensch, der sein Haar schneidet, aber auch bewusst, dass er damit einen Eingriff in seine Natur vornimmt. Und so mischt sich in der Geschichte der Haarpflege und -entfernung immer Faszination mit Unbehagen. 1a O-TON Jörg Scheller Der enthaarte Körper hat weniger etwas Bedrohliches als vielmehr etwas Unheimliches, denn er ist kein Natur-, sondern ein Kulturkörper - ein Körper, der ganz Kultur geworden ist, der sich aus Naturzusammenhängen verabschiedet hat. SPRECHER Der Kunstwissenschaftler Jörg Scheller lehrt an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und an der Universität Siegen. 1b O-TON Jörg Scheller Hier begegnen wir einem Menschen, der auf eigentümliche Weise als reines Kulturwesen erscheint. Man hat immer versucht, sich den Menschen als mit der Natur verbunden vorzustellen, als Teil der Natur. Das ist etwas, was zum Eindruck des Unheimlichen beiträgt: ein Mensch, ein Körper, der sich aus Naturzusammenhängen zurückzieht, der genuin urban wird. SPRECHERIN Das Unheimliche hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass die mehr oder weniger kultischen Handlungen um das Haar und seine Entfernung so vieldeutig sind. Die Beziehung des Menschen zu seinem Haar bzw. zu den Haaren anderer Menschen vollzog sich drei bis vier Jahrtausende lang wohl in fünf kulturellen Grunddiskursen. MUSIK ZITATOR Der hygienische Diskurs SPRECHER Schon früh galten die behaarten Regionen des Menschenkörpers - mal zu recht und mal zu unrecht - als besonders anfällig für Krankheiten, Parasiten und andere unerwünschte Spuren der Außenwelt. Sich der Haare zu entledigen, war wohl ursprünglich vor allem ein Akt der Körperpflege und der Abwehr jener Mitbewohner, derer sich die äffischen Vorfahren durch wohliges gegenseitiges Entlausen entledigten. Im Lauf der Zeit ist dann die glatte, haarlose Haut ganz allgemein zum Zeichen von Reinheit und Gesundheit geworden. MUSIK ZITATOR Der soziale Diskurs SPRECHER Parallel dazu wurden Kopfhaar und Bart, so man sie denn streng nach jeweiliger Vorschrift pflegte, auch Ausdruck von Kraft, Autorität und Rang. Die Sklaven und das niedere Gesinde mussten ihr Haupthaar lassen, die Mägde das ihre unter Kopftüchern verbergen. Die Geschorenen, im süddeutschen Sprachgebrauch noch heute als die "Gescherten" oder das "Gescher" gegenwärtig, waren immer die niedersten auf der sozialen Stufenleiter. Geschoren wurden auch Sträflinge, Kollaborateure, Verräter - in einem Akt unverhohlener Demütigung und symbolischer Kastration. MUSIK ZITATOR Der politische Diskurs SPRECHERIN Die Barbaren, die bärtigen Wilden also, sind immer die anderen. Sie kommen aus den Wäldern, sie hängen heidnischen Naturreligionen an, es sind ungeordnete, wilde Haufen. Eine ordentliche Armee erkennt man nicht nur an Uniform, Gleichschritt und taktischer Bewaffnung, sondern auch am Haarschnitt der Soldaten. Die mit den Bärten sind in aller Regel Aufständische. So zumindest wird es gesehen seit die bärtigen Germanen, Gallier oder Sachsen bezwungen wurden von glattrasierten römischen Legionären, die Schlachtordnung im Kopf und darauf jene kunstvolle Stirnhaarlocke, durch die der Hollywoodfilm sie später charakterisierte. Noch in der Moderne blieb der Bart ebenso wie die Haartracht nicht nur Zeichen des Standes, sondern auch der politischen Gesinnung. SPRECHER Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts galt in unseren Breiten ein ansehnlicher, gepflegter Bart als Ausdruck einer gefestigten männlichen Persönlichkeit. Weder die französische Revolution noch die amerikanische hatten etwas anderes als den Wandel des Dresscodes von ihren Parteigängern verlangt. Doch seit der bürgerlichen Revolution von 1830 war der Bart das erst heimliche, dann immer offensiver getragene Zeichen des bürgerlichen Dissidenten. Und im Jahr 1848 trug bei den Barrikadenkämpfen der Studenten jeder, der auf sich hielt, einen möglichst eindrucksvollen Bart. SPRECHERIN Der Bart war schließlich so eindeutig Zeichen des politischen Widerstands gegen das alte monarchistische System, dass man in konservativen Kreisen und in antirevolutionären Propagandaschriften abfällig von den... ZITATOR (spöttisch) ... "Demokratenbärten"... SPRECHERIN ....sprach. Und in etlichen deutschen Kleinstaaten wurde das Tragen markanter Bärte sogar polizeilich verboten. In Hessen erließ man 1857... ZITATOR (streng) .."das höchste Rescript, wonach das den Zivildienern erlassene Verbot des Tragens von Schnurrbärten von sogenannten polnischen Judenbärten Anwendung findet und von den Zivildienern dergleichen Bärte sowie Schnurrbärte nicht getragen werden sollen". SPRECHERIN Doch nicht nur Beamte und sonst wie in direkten oder indirekten Staatsdiensten stehende Männer hatten sich per höchstem Erlass strikt bartfrei zu halten, sondern vor allem auch Studenten und Professoren an den Hochschulen. Der... ZITATOR ..."Professorenbart"... SPRECHERIN ...wurde zum Markenzeichen der Opposition, führte nicht selten zu Entlassung und Exil und erlangte schließlich den Status eines allgemein verbindlichen Zeichens von Eigensinn und Widerstand, das seine Wirkung bis heute nicht verloren hat. SPRECHER Bart- und Haar-prächtig waren die Ikonen der Revolution, von Marx und Engels bis Che Guevara und Fidel Castro, Bart- und Haar-prächtig waren die Hippies, die 68er- Studentenrevoluzzer, die neuen Aktivisten für Ökologie und zivilen Ungehorsam. Und andererseits ist es wohl kein Wunder, dass einen Politiker wie Silvio Berlusconi außer Juristen mit kritischen Fragen nichts so in Rage versetzt wie Männer mit Bärten, die er, wie man sagt, in seiner Umgebung nicht duldet. Das männliche Gesicht des Erfolges im so genannten Neoliberalismus ist glattrasiert und hautgestrafft. Und die Barbaren sind wieder einmal die anderen. Auf Bahnhöfen und Flughäfen geraten Männer mit dunklem Teint, schwarzem Haar und Bart von vorneherein unter Terrorismus-Verdacht. MUSIK ZITATOR Der religiöse Diskurs SPRECHER Um zu sehen, dass das Christentum einigermaßen bärtig und langhaarig in die Geschichte der Kulturen und der Staaten eintrat, bedarf es weder eines Besuches in Oberammergau noch der andächtigen Betrachtung von Moses-Skulpturen und Bildern. Der Heilige Augustinus wetterte nicht nur gegen das Stutzen von Haupthaar und Bart als Verstoß gegen die göttliche Natur des Menschen, sondern vor allem auch gegen die Sitte oder eben Unsitte der Haarentfernung an intimeren Stellen. 2 O-TON Jörg Scheller Gerade die alten Kirchenväter, die sich gegen die Ganzkörperrasur des Mannes wandten, haben stark mit homophoben Argumenten argumentiert: Gott hat den behaarten Männerkörper verfügt. Bereits Kirchenvater Clemens hat in einem Erziehungsratgeber geschrieben, daß die Enthaarung dem Manne nicht gut zu Gesicht und vor allem nicht gut zu Körper stünde, weil Körperhaar der Ausweis von Kraft und Potenz sei - ohne behaarte Brust ließe sich nicht herrschen. SPRECHERIN Alle Auseinandersetzungen um Haare, Bärte und Körperrasuren scheinen neben einem politischen und einem sexuellen auch einen tiefen religiösen Urgrund zu haben. Während der frivole Westen gerade einen neuerlichen modischen Generalangriff auf alle Haar-Codes bis in letzte körperliche Feuchtgebiete zu führen scheint, kommt aus anderen Gebieten der Welt die dogmatische Antwort: Das Haar ist heilig. Nicht obwohl, sondern weil es sexuell ist. MUSIK ZITATOR Der sexuelle Diskurs SPRECHERIN Wie der gepflegte Bart für eine Zeit Ausdruck der kontrollierten und zivilisierten männlichen Potenz war, erschien das füllige weibliche Haar als Ausdruck sinnlicher Schönheit und sublimierten Begehrens. Frauen mit allzu schönem langen Haar, wie die Flusssirene Loreley oder die femmes fatales der bürgerlichen Salonmalerei, konnten den Männern nur gefährlich werden. Sowohl für den Träger als auch für den begehrenden Blick kann das Haar werden, was die Psychoanalyse den Fetisch nennt: ein Zeichen, das zum eigentlichen Inhalt eines Kultes wird. Von der traurigen Kaiserin Elisabeth, genannt Sisi, ist bekannt, dass sie Stunden um Stunden damit verbrachte, ihr langes, mahagonifarbenes Haar zu pflegen. Umgekehrt erkannte man zu Zeiten die moderne und emanzipierte Frau daran, dass sie ihr Haar kurz, frei und unkompliziert arrangierte, um nicht wertvolle Energie und Zeit damit verschwenden zu müssen, sich zu stylen - als Sklavin ihrer eigenen Kulte und männlicher Phantasien. Von der androgynen Sexyness, vor der jedem Patriarchen grauen muss, ganz zu schweigen. In jeder Veränderung der Haarbehandlung steckt der Keim der politischen und sexuellen Revolte. MUSIK Strawinsky ZITATORIN Durch die Gentechnologie war es zum Beispiel möglich geworden, auf der Oberfläche eines Schreibtisches, eines Stuhles oder eines Bettes Haare wachsen zu lassen. Unter jungen Karrieremenschen entstand daher rasch eine neue Möbelkultur. Sie bekamen endlich etwas zum Streicheln und Umarmen, das aber pflegeleicht und nicht liebessüchtig war. Auf jeden Fall war die Steuerreform nachteilig für Liebhaber behaarter Möbel, denn nach der neuen Steuerregelung musste man jede behaarte Fläche versteuern. Sie waren aber nicht die einzigen, die wesentlich mehr Steuern zahlen mussten als vorher. MUSIK ZITATOR Körpertechniken. Vom Rasieren, Frisieren und Epilieren MUSIK HOCH SPRECHERIN Parallel zur Geschichte der Haar- und Bartmoden verläuft die Geschichte der Techniken der Haarentfernung bzw. des Haarschnitts. Sie führt vom geschärften Stein über Messer und Schere zur feinen Klinge und zum elektrischen Rasierapparat. Sie beinhaltet aber auch ein Spiel von Intimität und Öffentlichkeit, von Do-It-Yourself und Spezialistentum. SPRECHER Wer es sich leisten konnte, suchte seit dem 14. Jahrhundert den Barbier auf. Gewiss hat sich das Berufsbild dieses Handwerks seit dem Mittelalter entschieden geändert. Die Wundbehandlung und das Zähnereißen überließ man in der Neuzeit lieber anderen. Aber die grundlegende Funktion, die Verantwortung für Bart und Haar, einem anderen zu übertragen, aus dem Besuch des Barbiers und schließlich des Friseurs ein Ritual zu machen, dort eine soziale und sogar politische Institution entstehen zu lassen, blieb über Jahrhundert erhalten. MUSIK Mozart: Figaros Hochzeit SPRECHERIN (darüber) Der Barbier, der Friseur, der Figaro wurde zu einem intimen Vertrauten, zu einem Ratgeber und nicht zuletzt zu einem Übermittler guter und nicht so guter Nachrichten. Beim Barbier konnte man Beichten ablegen, Tratsch verbreiten und Liebeshändel einfädeln. Immer verbunden mit dem wohligen Gefühl, sich, seinem Körper und seiner sozialen Stellung etwas Gutes zu tun. Und immer mit dem flirrenden Gefühl, dass es hier um vieles andere geht als um das Haar allein, wie in Mozarts Oper von "Figaros Hochzeit": MUSIK HOCH SPRECHERIN (darüber) Haare spielen eine Rolle in der Liebe, in der Gesellschaft - und im Krieg. ZITATOR "ALARM! Bedeutet für den Soldaten die raffinierteste Ausnutzung der verfügbaren Zeit. Der ‚Gillette'-Rasier-Apparat mit der gebogenen Klinge gestattet in kürzester Zeit, sich sicher und tadellos ohne sich zu schneiden zu rasieren." SPRECHER So hieß es 1910 in einer Anzeige der Gillette Deutschland GmbH. Dreißig Jahre später half die amerikanische Mutterfirma den Alliierten beim Siegen. Per Exklusivvertrag erhielt jeder US-amerikanische Soldat Toilettenartikel und Rasierzeug von Gillette, das einen "messerscharfen" Schnitt versprach. Die glatten Gesichter und die ausrasierten Nacken der GIs sollten schließlich das moderne Bild des Soldaten bestimmen. Und die Firma Gillette versuchte, sich Märkte zu erobern, indem sie diese Ideale ins Zivilleben überführte. 3 O-TON Gillette razor commercial SPRECHERIN Wie der Bart zum Markenzeichen bürgerlicher Dissidenz geworden war, so wurde nun die glattest-mögliche Rasur, nebst großzügigem Einsatz von Rasierwasser, zum Zeichen wirtschaftlichen und sozialen Erfolges. Dem Absatz der entsprechenden Artikel kam es dabei durchaus zu Pass, dass einerseits die tägliche Rasur in der populären Kultur zu einem Männlichkeitsritual stilisiert wurde, mit dem der junge Mann gar nicht früh genug beginnen konnte. Und dass andrerseits eine Art "Glaubenskrieg" zwischen der traditionellen wenn auch stets verfeinerten Technik der Nassrasur und dem Einsatz des neuen elektrischen Rasiergeräts entbrannte. 4 O-TON Remington electric shaver commercial SPRECHER Den elektrischen Rasierer hatte in den 1920er Jahren der Kanadier Jacob Schick erfunden - wenn man bei dem Ungetüm, das handelsübliche Klingen in Bewegung versetzte, schon von einem Rasierapparat sprechen will. Auf dem Markt begann sich der Elektrorasierer freilich erst in den Dreißigern durchzusetzen, als die Geräte handlicher, kleiner und vor allem ungefährlicher geworden waren. Die große Zeit des technologisch verschärften Trockenrasierens kam schließlich mit den konsumfreudigen fünfziger und sechziger Jahren. Jetzt endlich war der richtige Rasierapparat ein Statussymbol, und das allmorgendliche Summen eines der Zeichen dafür, dass morgens um sieben die Welt noch in Ordnung war. SPRECHERIN Mutter freilich benutzte ihren Rasierer erst, wenn alle aus dem Haus waren. Während der Kult um den männlichen Bartwuchs bzw. seine fachgerechte Beseitigung gleichsam in aller Öffentlichkeit zelebriert wurde, war die Beschäftigung mit der weiblichen Körperbehaarung, eher eine Sache von Diskretion und verschwiegener Selbstverständlichkeiten - sieht man einmal ab von modischen Pendelschlägen der Frisuren zwischen Bubikopf und Bienenkorb, zwischen Natürlichkeit und Kunstgebilden. In den siebziger Jahren wurde eine mitteleuropäische Touristin, die sich nichts aus dem Entfernen der Achselhaare machte, an einem amerikanischen Strand mit Verwunderung und Erheiterung betrachtet. Ansonsten aber galten einigermaßen universale Regelungen: Was vom weiblichen Körper öffentlich sichtbar sein sollte, am Strand, beim Sport oder beim sommerlichen Ausflug, das sollte möglichst haarlos sein. Und je knapper die Kleidung, desto größer die Zonen der Enthaarung. MUSIK Strawinsky ZITATORIN Eines Tages behauptete eine Gruppe von Beamten, dass Frauen dem Gesetz nach ihre Beine versteuern müssen, falls sie behaart sind. Einige pensionierte Beamte führten sogar ehrenamtliche Kontrollen an Badeorten durch. Studentinnen, die wenig Geld besaßen, rasierten ihre Arme und Beine, um keine Steuer für behaarte Oberflächen bezahlen zu müssen. Die Haare auf dem Kopf ließen sie jedoch weiter wachsen, denn der Kopf war steuerfrei. Auch die meisten männlichen Studierenden rasierten ihren Körper. Männer wurden zwar seltener kontrolliert, aber sie wollten kein Risiko eingehen. Das Studium war schon riskant genug, in allen anderen Lebensbereichen wollten sie deshalb lieber Sicherheit. Nur große Geschäftsleute, Politiker und ihre Ehefrauen lagen unrasiert wie Bären an den Stränden. Der behaarte Körper wurde zum Statussymbol. Die Armut war dagegen nackt, glatt und weich. Unter Managern herrschte die Mode, auch aus Armbanduhren, Taschenrechnern und Scheckkarten Haare von der gleichen Farbe wie ihre Körperhaare wachsen zu lassen. Die teuren Hormonspritzen, die man dafür brauchte, konnte man von der Steuer absetzen. MUSIK ZITATOR Vom nackten Affen zum ganzkörperrasierten Gesamtkunstwerk MUSIK HOCH SPRECHER Die Intimrasur oder Ganzkörperrasur breitete sich bereits im Mittelalter mit dem Islam in Nordafrika, im Mittleren Osten und in Teilen Südeuropas aus. Dem christlichen Abendländer freilich trieb es die Schamesröte ins Gesicht, zu hören, wie in den Serails der islamischen Potentaten speziell ausgebildete Eunuchen damit beauftragt waren, den Frauen und Konkubinen des Herrscher täglich den Körper im allgemeinen und den Schambereich im besonderen zu rasieren. Man folgte dabei einer hygienischen Reinheitsvorschrift, ließ aber auch gern das körperliche Wohlbefinden und die sexuelle Stimulanz als willkommenen Nebeneffekt gelten. 6 O-TON Jörg Scheller Es gibt absolut unterschiedliche Handhabungen für den Umgang mit Körperhaar. Sie haben religiöse Paktiken im islamischen Kulturraum, es gibt in Japan eher einen Schamhaar-Craze, da bedeutet Schamhaar noch Potenz und Fruchtbarkeit. SPRECHER Der Kunstwissenschaftler Jörg Scheller 7 O-TON Jörg Scheller Der dominante Trend in den westlichen liberalen Konsumkulturen geht eher zur Enthaarung. In den 1920/30er Jahren kommt die Ganzkörperrasur in Mode, es entstand eine Nacktkultur, diese Zurück-zur-Natur-Bewegung war stark verbreitet in der Weimarer Republik. Und nach dem II. Weltkrieg beginnt das amerikanische Zeitalter - aus dem alteuropäischen Naturkörper wird der posthistorische Kulturkörper. Im Zuge dieser Abkehr von der Natur entsteht die Ganzkörperrasur als Breitenphänomen, verstärkt in den 90er Jahren mit Internet und Pornoboom, einer Vermischung von Mainstream und Porno-Subkultur. Da wurde die Körperrasur salonfähig wie der Porno seit den frühen 70er Jahren. SPRECHERIN Die Nacktheit des Menschen und die mehr oder weniger feinsinnige Semiotik der Behandlung der Resthaare an hoch bedeutenden Körperstellen stehen gewiss im Zusammenhang mit der sexuellen Organisation dieser Spezies. An Stelle der Brunftzeiten und Revieransprüche ihrer äffischen Vorfahren ist das gleichsam unendliche Kämpfen um Lust und Macht getreten, und das erotische Erscheinungsbild des Körpers ist so wichtig wie die soziale Kontrolle darüber. GERÄUSCH (schnelles Abziehen eines Enthaarungsstreifens) SPRECHER Vor allem bei jüngeren Deutschen steht Körperhaar heute unter Generalverdacht. Mann mit Haaren auf der Brust geht gar nicht, Schamhaar gilt beiden Geschlechtern fast schon als obszön. In den Städten schießen Waxing-Studios aus dem Boden, und im Internet streiten sich entschieden mehr Menschen um erotische Vorzüge und Techniken der Intimrasur als um die Zukunft von Staat und Demokratie. 8 O-TON Jörg Scheller Dass die Ganzkörperrasur hochgradig erotisch aufgeladen ist, ist ein alter Hut, das findet man schon bei Aristophanes in der griechischen Komödie "Lysistrate": "Wir sitzen mit glattgezupftem Schoß zuhause und warten auf unsere Männer". Ein erotischer Thrill ist so alt wie die Menschheit oder seit es Rasierklingen gibt. Der Philosoph Bataille hat geschrieben, daß mit dem Grad der Sauberkeit die Lust an der Verschmutzung steigt. Weil seit den neunziger Jahren die Körperrasur zum Trend geworden ist, könnte man sagen, es handelt sich um entzeitliche Körper: der Körper will sich nicht mehr weiterentwickeln, er will nicht altern, kein anderer werden, er will sich entzeitlichen wie eine klassizistische Statue. Da stört das Körperhaar, es ist Indikator für Geschichtlichkeit. Dieser Körper, der Behaarung entwickelt, altert, d.h. man hat Körper, die zeitlos und irgendwo steril sind, die anmuten wie ein moderner Konsumgegenstand: sie altern nicht, sie patinieren nicht, sie verschmutzen nur oder gehen kaputt. Da könnte ein dialektischer Reiz bestehen: weil das Haar verschwunden ist, weil es wieder quasi jungfräuliche Körper sind, steigt eine gewisse perverse Lust an diesen Körpern. SPRECHERIN Nach wie vor sind die Barbaren die anderen, nach wie vor erscheinen religiöse Haarkulte dem Mitteleuropäer verdächtig. Doch gleichzeitig hat er einen radikalen Wandel vollzogen, auch ihm erscheint die behaarte Region des Körpers eher obszön. Doch statt sie, wie es die anderen, die Barbaren eben, tun, diese Regionen zu verhüllen, setzt er sich einem Trend zur totalen und zugleich öffentlichen Nacktheit aus. 9 O-TON Jörg Scheller Was alle Körperrasuren oder alle Techniken der Körperrasur verbindet, ist ein Wille zur Kunst. Denn es geht nicht mehr um die Funktionalität des Körpers, daß der Körper durch Rasur funktionaler wird - die Wärmedämmung etwa wird dadurch behindert. Sondern es ist ein entfunktionalisierter Körper, und eines der maßgeblichen Charakteristika für Kunst ist die Entfunktionalisierung. Man leistet sich einen Körper, der keine wirkliche Funktion mehr hat, es sei denn als symbolische, als kultürliche Funktion - eine handfeste Funktion hat er nicht mehr. SPRECHER Der enthaarte Körper als postmodernes Individualkunstwerk. Wenn es dem Zeitgeist dient, von dem Arthur Schopenhauer einst geschrieben hat: MUSIK ZITATOR "So also erteilt der Geist seiner Zeit ihr auch die äußere Physiognomie. Den Grundbass zu dieser spielt stets die jedesmalige Bauart; nach ihr richten sich zunächst alle Ornamente, Gefäße, Möbel, Geräte aller Art und endlich selbst die Kleidung, nebst der Art Haar und Bart zu stutzen." SPRECHERIN Und die Umkehrung dieser weisen Ableitung der Haar- und Bartbehandlung von den Architekturen einer Gesellschaft? Wie er sich rasiert, so lebt der Mensch auch. Die Ganzkörperrasur wäre demnach eine Antwort auf die digitale Unwirtlichkeit und die fremde Intimität des urbanen Zusammenlebens. Der Körper ist hier nicht mehr viel wert. Doch wer ihn rasiert, der versichert sich wenigstens, dass er noch einen hat. MUSIK HOCH 2